von Christina Hacker
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Dieser Beitrag ist inspiriert von Bernd Labuschs Artikel aus dem WoC 112 über »Münchhausen im Weltraum«. Bernd schreibt, dass es von der Leihbuchausgabe keinen zweiten Teil gab. Das ist nicht ganz richtig, denn dieser zweite Band: »Münchhausen im Weltraum – Wie uns der Himmelriese frass … und wie ich einen Dunkelstern erhellte« steht bei mir im Regal. Wie es dazu kam und wie der Inhalt dieses Romans auf mich wirkt, möchte ich hier erzählen.
An einem Januarwochenende 2015 machte ich eine Entdeckung. Aus einem Stapel alter abgenutzter Bücher, die aus einer vergangenen Erbschaft stammten, zog ich ein Buch, das mich verwunderte. Wir haben 1997 so viele Bücher von meiner Tante aus dem Schwarzwald geerbt, dass ich mich beim besten Willen nicht an jedes erinnern kann. Ganz beiläufig nahm ich es zur Hand, blätterte durch die vergilbten Seiten und blieb fasziniert und abgestoßen zugleich an dem Text hängen. Die Sprache war direkt und simpel und gerade deshalb so faszinierend. Und der Inhalt der Geschichte erinnerte mich ein bisschen an die PERRY RHODAN-Abenteuer aus den frühen Sechzigern, ohne aber dessen Qualität oder Ernsthaftigkeit zu erreichen. Aber alles der Reihe nach.
Erzählt wird die Geschichte eines modernen Baron Münchhausen, der mit einer fliegenden Untertasse im Sonnensystem auf der Flucht ist. Diese Untertasse hat er im vorangegangenen Band von einem Volk auf dem Marsmond Phobos »gestohlen«, zusätzlich mit der Mannschaft und zwei hübschen Damen, die ihm, ihrem Kommandanten, nun zu Füßen liegen.
Dieser Münchhausen stellt sich als Tausendsassa dar: Er kann alles, und es gibt keinen, der ihm das Wasser reichen kann. Sein riesiges Ego lässt ihn seine Mitmenschen, die er allesamt als unterlegen betrachtet, ziemlich grob behandeln. Ganz besonders Frauen begegnet er mit herablassender Überlegenheit und sieht sie eher als Eigentum, statt als gleichberechtigtes Lebewesen. Kein Wunder, wenn sich eine der Damen rächt und die Steuerung sabotiert, so dass die Untertasse vom Kurs abkommt und zunächst in Sonnennähe einer lebendigen Dunkelwolke begegnet.
Auf ihrer Flucht verfehlen sie die Erde und müssen schließlich auf einer kalten Welt am Rande des Sonnensystems notlanden. (Warum der Planet im Roman stets als »Dunkelstern« bezeichnet wird, hat sich mir leider nicht erschlossen.) Dort lebt ein Volk mit starren Moralvorstellungen. Sowohl Wetter als auch Licht sind künstlich geschaffen, doch nicht zum Wohl der Bewohner, eher zu ihrem Gegenteil. Keiner soll sich wohl fühlen, es gibt weder Schatten noch Wärme, keine Freude, keine Liebe und erst recht keine Lust. Alle männlichen Bewohner werden nach der Pubertät impotent, einfach weil ihnen die Übung fehlt.
Das stößt mit Münchhausens lockeren Moralvorstellungen natürlich in konträrer Weise zusammen. Auch wenn er sich zunächst nicht einmischen will (Man beachte, welch fortschrittliche Denkweise – verglichen mit Perry Rhodan) kommt es doch durch einen Handkuss zur unweigerlichen Reaktion einer weiblichen Bewohnerin. Der Baron ist nämlich ein von allen Frauen begehrter Mann, der sich ausnahmslos als toller Hengst darstellt. So kommt es, wie es kommen muss: Die Frauen des Planeten, von Münchhausen quasi »sexuell befreit«, brechen eine Revolution vom Zaun und machen den Baron zum neuen König. Doch das ist dem freiheitsliebenden Münchhausen dann doch zu viel. Er flieht mit seiner Mannschaft und lässt den Planeten in Anarchie zurück …
Anfangs war ich mir nicht so ganz sicher, wie ich den Roman einschätzen sollte. Man darf ihn keinesfalls als ernstgemeinte Geschichte sehen, eher als Satire. Und aus diesem Blickwinkel offenbart der Text durchaus eine Fülle an Systemkritik: Sei es an den überzogenen Moralvorstellungen von Kirche und Staat, oder am Missbrauch von Macht durch Regierungen. So geniale Aussagen wie: »Kein Mensch redet davon die Moral abzuschaffen. Das wäre die größte Dummheit, die ich machen könnte. Ich stehe auf dem Standpunkt, die Moral hört dort auf Moral zu sein, wo sie unmoralisch wird.«, haben mich in Erstaunen versetzt. Ganz nebenbei wird Doppelmoral enttarnt und spitzzüngig Kritik am System geübt. Zwischendrin schimmert der Gedanke durch, dass man Anarchie als etwas begrüßenswertes auffassen sollte.
Auf der anderen Seite aber steckt Münchhausens Denkweise in der damaligen Zeit fest. Der Roman richtet sich eindeutig an ein männliches Publikum. Die Geschichte liest sich an vielen Stellen so pubertär, dass es die Rahmenhandlung eines Pornos sein könnte. Manchmal scheint es, als tropfe die Frauenfeindlichkeit regelrecht von den Seiten. (Ehrlich, da sind die frühen PERRY RHODAN-Romane noch harmlos dagegen.) Auch geht Münchhausens Handeln nicht mit der geübten Kritik konform. Denn das, was er predigt, scheint nicht für alle zu gelten.
Einerseits gesellschaftskritisch und andererseits menschenfeindlich, lässt mich der Roman am Ende etwas zwiegespalten zurück. Überrascht hat er mich dennoch. Für ein Buch das 1955 veröffentlich wurde, erscheint der Schreibstil und ein Teil der Aussagen im heutigen Licht erstaunlich modern. Es erinnert mich mit seinen aufmüpfigen Aussagen und in seiner offenen Sprache fast ein wenig an die Subkultur des Punkrocks.
Bei eBay wurde mal eine Ausgabe dieses Buches als Sammlerstück für 59 Euro angeboten. Da habe ich wohl einen echten Schatz entdeckt.
Bemerkenswert ist aber das Vorwort des anonym erschienen Werkes.
Norbert Fiks
31. Dezember 2022 — 14:01
Ja, es gab doch immer wieder überraschend unkonventionelle Romane in der Frühzeit der deutschen SF.