Story von Alexander „Tiff“ Kaiser
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Mein Name ist Yoshi, Yoshi Futabe. Ich bin siebzehn Jahre als und gehe in die erste Klasse der Oberstufe. Wie es aussieht, bin ich ein ganz normaler Schüler. Wenn man mal davon absieht, dass ich mein KI nutzen und in den Händen konzentrieren kann. Wenn man mal davon absieht, dass ich nicht nur ein meisterlicher Bogenschütze bin, sondern auch von meinem Großvater gelernt habe, wie man in Kanji wirksame Bannsprüche gegen böse Geister schreibt. Und wenn man mal davon absieht, dass ich eigentlich nicht wirklich Yoshi Futabe bin.
Denn dies ist eigentlich nicht meine Welt. Wie hat das mein Freund Akira so schön ausgedrückt? Es ist eine Anime-Konstruktwelt.
Ich erinnere mich noch genau. Wir saßen in unserer wirklichen Welt beieinander und diskutierten über dieses und jenes. Bis er die verhängnisvolle Frage stellte: Was wäre, wenn man in einer Anime-Welt leben würde? So mit Mechas, Magical Girls und dergleichen?
Unser Pech war, dass ein hinterhältiger kleiner Dämon in der Form eines zusammen gestauchten Mädchens seinen Gedanken gehört hat… Und als Wunsch interpretierte.
Schwups, verschlug es Akira in die Anime-Konstruktwelt.
Und dummerweise mich auch!
Ich hatte ganz schöne Mühen, mich in dieser Welt zu orientieren. Ich meine, das meiste Wissen floss mir ja zu, ich brauchte gar nichts dafür tun. Aber wieder in die Schule gehen zu müssen, und das in einer vollkommen verrückten Welt, in der es wirklich riesige Kampfroboter gab, in der Mädchen in bunten Kostümen gegen Dämonen kämpften, das war schon ein Hammer.
Mittlerweile habe ich mich ganz gut eingelebt, ich meine, Hey, Akira ist ja auch hier, und meistens zieht er den ganzen Ärger an, während ich ganz gut davon komme.
Aber das ist nicht immer der Fall.
Mögest du in interessanten Zeiten leben, lautet ein alter chinesischer Fluch. Seit ich in der Anime-Konstruktwelt lebe, kann ich interessante Zeiten exportieren…
*
Akira muß tatsächlich ab und zu in einen dieser Kampfroboter steigen, die im Weltall gegen eine außerirdische Rasse namens Kronosier kämpfen und verhindern, dass unsere Welt von ihnen unterworfen wird.
Bei seinem ersten Kampf im Erdorbit besiegte er Lonne, eine wirklich süße gegnerische Pilotin, die aber vor ihm mehr Angst hatte als vor seinem Mecha.
Ich weiß nicht, wieso er es getan hat, geschweige denn wie es gelingen konnte, aber er verhinderte nicht nur, dass Lonne verhaftet wurde, er hat sie sogar als Austauschstudentin aus Amerika ausgegeben. Sie heißt nun Lilian Jones und wohnt bei ihm im Haus.
Seine beste Freundin und die offizielle Nummer eins-Mecha-Pilotin Megumi Uno übrigens auch, seit er an diesem Tag mit dem Schulterschild seines legendären Hawk-Mechas genau ihr Appartement zerstört hatte.
Jedenfalls ist Lonne bisher noch nicht aufgeflogen, und irgendetwas sagt mir, dass das noch eine lange Zeit so bleiben wird.
Das er nun alleine mit zwei jungen, bildhübschen Mädchen unter einem Dach lebt, hat dazu geführt, dass er sich seinen besten Freund als Verstärkung ins Haus geholt hatte.
Richtig. Ich meine mich.
Doch dabei ist es nicht geblieben.
Mein Tag beginnt eigentlich ganz normal. Ich stehe auf, warte, bis das Bad frei wird und dusche erst einmal. Ich bin eigentlich ein Morgenmuffel und komme nur langsam auf Touren. Entsprechend lange brauche ich im Bad. Vor allem, da ich als einer der Ersten aufstehe, lange bevor Akira auch nur dran denkt, unter seiner Decke hervor zu gucken.
Danach ziehe ich meinen Yukata an und setze mich draußen in den Garten um zu meditieren. Das dauert meistens eine Stunde und hilft mir, meinen Geist zu fokussieren. Ich lasse meine Gedanken dabei frei schweifen, arbeite Erlebnisse der Vortage auf, treffe Entscheidungen oder verwerfe sie wieder. Diese Übung dient vor allem dazu, den Kopf frei zu bekommen.
Meistens, wenn ich die Meditation beendet habe, beginnt auch im Haus das Leben zu erwachen.
„Hier, Yoshi-sama. Ich habe dir Tee gemacht“, höre ich eine Stimme hinter mir.
Akari kommt gerade auf die Veranda heraus. In der Hand hält sie ein Tablett, auf dem ein großer Keramikbecher steht. Sie hat ziemlich schnell meine Lieblingssorte herausgefunden und serviert mir meinen Tee jeden Morgen um die gleiche Zeit. „Danke, Akari.“
Seit sie bei uns eingezogen ist, wurde sie quasi der gute Geist des Hauses. Das ist eigentlich eine ironische Formulierung, denn Akari ist ein Oni. Eine Art Geist, eine Mischung aus Dämon und Menschenseele, die vor über vierhundert Jahren verflucht wurde.
Ihr Vater hatte sie, als sie sich hatte rächen wollen, in einen Schrein gesperrt.
Diesen Schrein hat Akira neulich zerstört – während er mit seinem Katana gegen drei Yakuza gekämpft hat.
Ich habe nicht alle Details im Kopf, aber das Ergebnis war, dass sie ihm ihre Dienste angeboten hat. Und sie macht sich wirklich gut als Hausfrau.
Manchmal vergesse ich, was sie eigentlich ist. Es fällt aber auch zu leicht, wenn sie mal gerade nicht durch massive Wände schwebt, ihre merkwürdige Oni-Maske aufsetzt oder Wasser kocht, ohne den Herd anzuschalten. Dann wirkt sie wie ein ganz normaler Mensch von Anfang Zwanzig, der so glücklich lächelt, als wäre es eigens für ihn erfunden worden.
„Du machst wieder deine Übungen?“, fragt sie wie jeden Morgen.
Ich nicke dazu und spanne meinen Bogen. Auch das Bogenschießen gehört zu meiner Meditation. Ich schärfe meinen Geist, meinen Blick fürs Wesentliche. Meinen Fokus für die Welt.
Ein Pfeil liegt auf. Ich visiere das Ziel an, ein Streichholz in zwanzig Meter Entfernung.
„Das sind aber nur zwanzig Zentimeter mehr als Gestern“, stellt der Oni fachmännisch fest.
Ich lächle dazu. Akari hat einige Erfahrungen, was das Bushido angeht, das Handwerk der Krieger. Aber von Beharrlichkeit hat sie keine Ahnung. Erst wenn man eine Lektion vollständig beherrscht, kann man auf ihr aufbauen. Deswegen steigere ich mich jeden Tag ein wenig mehr. Mal wird das Ziel kleiner, mal entferne ich es etwas. Und erst wenn jeder einzelne Pfeil sitzt, kommt der nächste Schritt.
Ich lasse die Sehne los, der Pfeil schnellt davon. Ich brauche nicht hinzusehen um zu wissen, dass er lediglich den roten Zündkopf abgetrennt hat.
Hinter mir klatscht jemand leise.
Ich wende den Kopf und erkenne Megumi. Sie ist auch nicht gerade eine Frühaufsteherin, und dies ist überhaupt nicht ihre Zeit. Dennoch steht sie bereits hier draußen in der warmen Frühlingsluft und trägt bereits ihre Schuluniform.
„Nanu? Was hat dich denn aus dem Bett gescheucht?“, frage ich verwundert.
„Megumi-sama“, sagt Akari neben mir. „Ich bereite dein Frühstück vor.“ Der Oni neigt leicht das Haupt und geht wieder hinein.
Megumi sieht der Dämonin ärgerlich hinterher. „Erpressen müsste klappen“, murmelt sie.
„Erpressen?“, frage ich.
„Wenn ich sie erpresse, dann lässt sie vielleicht dieses dämliche: Sama, Sama.“ Ihr Blick kehrt zu mir zurück. „Du bist besser geworden, Yoshi. Sehr viel besser.“
Ein Lob aus dem Mund der Frau, die als beste Hawk-Pilotin der Erde gilt – wenn man meinen Kumpel Akira nicht mit einrechnet – ist etwas sehr besonderes. Ich sehe verlegen zur Seite und streiche mir durch mein Haar. Mit dieser Geste habe ich schon Mädchen ohnmächtig werden lassen. „Ich danke dir, Megumi-chan. In der Tat arbeite ich sehr hart an mir, damit Mako-chan mit mir einen Bordschützen hat, auf den er stolz sein kann. Und den die Kronosier fürchten. Im Weltall sind die Ziele immer sehr klein und sehr weit entfernt. Vieles da oben ist Emotion und Instinkt. Aber ich will auch die Technik beherrschen.“
Megumi nickt dazu. „Das ist ein guter Vorsatz. Bereits jetzt bist du der beste Bordschütze, der jemals in einem Eagle gesessen hat. Von Makoto vielleicht einmal abgesehen, als er die Waffen noch selbst abgefeuert hat.“
Überrascht sehe ich auf. Makoto hat mal beide Jobs zugleich gemacht? Die Waffen abgefeuert und den Eagle gesteuert? Mein Respekt vor Akiras Cousin wächst ein wenig mehr. Ich traue mir das jedenfalls nicht zu.
„Übrigens, der Chefingenieur fragt, ob er den Zielcomputer aus dem Eagle entfernen soll. Du benutzt ihn ja doch nie“, sagt Megumi leise und lächelt mich an.
„Das Ding hat einen Zielcomputer?“, scherze ich. Natürlich kenne ich mittlerweile nach über vierzig Stunden im Simulator und in einem realen Eagle die meisten Systeme in- und auswendig.
Megumi verzieht ihre Lippen zu einem Schmollmund. „Beinahe hätte ich dir tatsächlich geglaubt, Yoshi-chan.“
Sie dreht sich um und geht wieder ins Haus. „Kommst du frühstücken?“
*
Nach den Frühstück, das meistens immer dann im Chaos endet, wenn mehr als drei Bewohner unseres Haushaltes am Tisch sitzen – also so gut wie immer – mache ich mich auf den Schulweg. Meistens gehe ich mit Kei Takahara, einem meiner und Akiras besten Freunde.
Ich könnte auch mit Akira gehen, aber das mache ich selten. Ich bin mein eigener Herr und habe meinen eigenen Willen. Ich muß ihm nicht überall und bei jeder Gelegenheit hinterher dackeln.
In letzter Zeit begleitet uns Makoto auf dem Weg. Seine Schwester Sakura, die nebenbei auch bei uns im Haus wohnt und in der Schule unser Klassenlehrer ist – wenn sich das doch mal auf die Noten auswirken würde – hat ihn tatsächlich gezwungen, sich in der Dritten Klasse, dem Abschlussjahrgang einzuschreiben, weil sie ihn in Uniform so süß findet.
Aber süß ist für Mako-chan nicht das richtige Wort. Ich meine, das halblange, rostrote Haar, der niedliche Schnitt, das hübsche, etwas zu bleiche Gesicht und die kleine, wie zerbrechlich wirkende Statur machen ihn schon recht ansehnlich.
Tatsächlich zwingt ihn Sakura nur zu gerne, in Mädchenklamotten zu schlüpfen.
Ein entwürdigender Vorgang, bei dem auch noch Fotos gemacht werden. Viele davon kursieren sogar an unserer Schule und verhelfen Mako-chan zu einer zweifelhaften Popularität. Es war für mich eine ganz schöne Mühe, alle Sätze vollständig zu bekommen.
„Habe ich was im Gesicht?“, fragt Mako-chan unvermittelt. „Oder warum starrst du mich so an?“
Ich blinzle verwirrt. „Ich… Ich war nur in Gedanken. Wie hast du es eigentlich geschafft, Sakura davon zu überzeugen, dass du nicht in der Mädchenuniform zur Schule gehen musst? Ich meine, sogar Akane-chan hat sich eingeschaltet und eine Sondergenehmigung erwirkt.“
Mako-chan lacht hässlich auf. „Ich lasse ja vieles mit mir machen, aber irgendwo ist eine Grenze.“ Er wirft sich in Pose und lacht noch lauter. „Ich habe meine Beziehungen spielen lassen, jawohl.“
„Mit anderen Worten, du hast dich bei Akiras Vater ausgeheult und er hat Sakura verboten, dich in eine Mädchenuniform zu stecken“, stellte Kei fest.
Mako-chan sieht betreten zu Boden. Eine regelrechte Aura an Depression geht dabei von ihm aus. „Ja, genau so war es.“
„Schade, ich hätte dich zu gerne mal in der Mädchenuniform gesehen“, murmele ich leise.
„Das hast du doch!“, beschwert sich Mako-chan bei mir. „Du hast dir sogar von Kei-kun Abzüge machen lassen!“
Erschrocken sehe ich ihn an. „Woher weißt du das denn?“
Mit einem überlegenen Grinsen wendet sich Makoto ab. „Kei hat es mir gesagt.“
Ich wirbele herum. „KEI!“
Der kleine Computerfreak hebt beide Arme. „Langsam, langsam, das musste ich doch. In der Provisionsabrechnung…“
„Provisionsabrechnung?“, hake ich nach.
„Na klar. Mako-kun kriegt fünfzig Prozent der Einnahmen von jedem seiner verkauften Bilder.“
„Maaakoooo!“, brumme ich vom tiefsten Abgrund meiner Seele.
„Ach, ist es schon sooo spät? Ich wollte doch noch was mit Takashi-kun besprechen. Wir sehen uns!“
„Warum sollte er auch nicht daran verdienen? Es sind immerhin Bilder von ihm“, rechtfertigt Kei den davonlaufenden Mecha-Piloten.
„Und warum kriege ich dann keine Prozente, hä?“, bemerke ich verärgert. Immerhin kursieren von mir über vierzig Fotos, die meisten davon manipuliert, damit es aussieht, als würde ich irgendwelche hübschen Mädchen oder Männer küssen.
„Du posierst ja nie für mich“, beschwert sich Kei.
Mako-chan posiert? „Ich will da jetzt nicht drüber nachdenken. Ich will da wirklich nicht drüber nachdenken, ja? Sonst kriege ich nur Kopfschmerzen.“
„Aber ich habe da einen neuen Satz mit Bildern von ihm. Fünf Sachen, die du noch nicht kennst… Nur dreitausend Yen für dich.“
Mühsam spreize ich meine Hände. „Kei… Tausend, und keinen Yen mehr.“
„Einverstanden.“
*
Die Schule ist nicht allzu schwer. Ich meine, gleich nach Akira bin ich der beste Schüler in der Klasse. Ich könnte besser sein und an unserem Strahlemann vorbei ziehen. Aber das würde ja Arbeit bedeuten. Dann würde ich ja lernen müssen.
Ich komme auch so sehr gut zurecht. Und solange Sakura-chan nicht merkt, dass ich nur ein Drittel meines Potentials nutze, brauche ich mich auch nicht anstrengen.
Obwohl, mit Sakura-chan alleine im Klassenzimmer, wenn alle anderen schon gegangen sind, ihr beschwörender Blick, wenn sie mich anfleht, doch einfach alles zu geben, was ich habe…Schulisch natürlich.
Aber das kann ich ja nicht machen, wegen Supermann. Ich meine, Akira hat soviel um die Ohren, wenn er es sich gleich mit vier Frauen auf einmal verderben will. Dazu kommt noch die Arbeit in dem Hawk-Mecha. Die ewigen Angriffe der Kronosier. Ich kann ihm ja schlecht den ersten Rang streitig machen und ihm noch eine Sorge bescheren.
Was bin ich doch für ein netter Kerl. Einen solchen besten Freund bekommt Akira garantiert niemals wieder. Ha, ich bin ja eher mehr ein großer Bruder für ihn.
Ob er auch nur ansatzweise ahnt, was ich alles für ihn tue?
Zum Beispiel benutze ich meine Attraktivität dazu, um Akira den Ärger mit noch mehr Frauen zu ersparen. Ich meine, er hat ja schon vier oder mittlerweile sogar fünf, die er regelmäßig von sich stößt, enttäuscht oder sonst irgendwie ungewollt demütigt. Da kann er nicht noch mehr gebrauchen.
Denn, ich bin da ja ehrlich, er sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus. Nicht so gut wie ich, tja, aber doch ganz gut. Dazu seine ernste Miene und sein Image als wüster Schläger…
Ich meine, irgendwo muß die Begeisterung der Mädchen ja herkommen. Würde sonst eine Popdiva wie Joan Reilley zum Halali auf ihn blasen?
Würde sonst Megumi ihn heimlich beobachten und sich nach ihm verzehren?
Woher sonst würden all die heimlichen Blicke von Hina kommen?
Und das Wichtigste, warum würde Akane dauernd versuchen, mich mit Aufträgen zuzuschütten, wenn Akira und ich wegen irgendeinem Termin zu ihr müssen?
Wobei ich mir Letzteres nicht erklären kann. Ausgerechnet Akane. Ich meine, Megumi-chan ist schon ein richtiger Eisblock. Aber Akane, sie hat es zur Kunstform erhoben.
Meistens wirkt sie sowieso wie eine perfekte Porzellanskulptur, vollkommen in ihrer Schönheit und Unberührbarkeit. So eine Frau fällt nicht auf ein hübsches Gesicht herein. Ich muß es wissen, ich habe es ausprobiert.
„Sanae“, brumme ich leise und berühre das Mädchen, das an mir vorbei gehen will, sanft am Handgelenk, „lass es.“
Die zierliche Sanae, bei den Mädchen die drittbeste in der Klasse, sieht mich verwundert an.
„Aber Yoshi-kun, ich will doch nur mit Akira reden.“
Was soll ich ihr antworten? Dass in der letzten Nacht jemand versucht hat, ihn zu erschießen? Dass er heute Morgen extra eine schusssichere Weste angezogen hat? Das er zur Zeit mehr Probleme hat als alle Mädchen der Schule zusammen?
„Mit ihm reden, hm?“, frage ich stattdessen und greife auf ihren Rücken.
„Gib das wieder her!“, ruft sie und versucht, den rosa Umschlag wieder aus meiner Hand zu pflücken.
„Hm, parfümiert“, stelle ich fachmännisch fest.
Schamesröte schießt ihr ins Gesicht. Und ich kann mich nur wundern, dass Akira bei dem Lärm den wir veranstalten, nicht wenigstens einmal herüber sieht.
„Gib her!“, ruft Sanae verzweifelt.
Ich stehe nur auf und hebe den Arm. Damit bringe ich den Brief, der auf der Rückseite mit einem roten Herz versehen ist, effektiv außerhalb ihrer Reichweite.
Als sie aufgibt danach zu greifen, reiche ich ihn zurück.
Verwundert sieht sie mich an. „Sanae-chan“, sage ich dazu leise, „du solltest es lassen. Es wäre sinnlos.“
Wütend pflückt sie mir den Brief aus der Hand und wendet sich brüsk ab. „Ach ja? Meinst du, ich habe Angst vor diesem Popsternchen? Meinst du, ich bin keine Konkurrenz für sie?“
„Genau das“, sage ich leise und lege ihr eine Hand auf die Schulter. „Steiger dich einfach nicht zu tief hinein. Wenn du dich zu sehr auf Akira einlässt, ist der Schmerz hinterher nur umso größer.“
Langsam dreht sie sich um. Mit großen, traurigen Augen sieht sie mich an. „Glaubst du das wirklich, Yoshi-san? Habe ich wirklich keine Chance? Nicht einmal eine kleine?“
„Sieh ihn dir doch an“, sage ich und deute auf Akira. Der starrt noch immer ohne zu zwinkern aus dem Fenster und bekommt von seiner Umgebung nichts mit. „Er ist doch schon bis über beide Ohren verliebt. Oder meinst du, er grübelt darüber nach, wie man die Invasion der Kronosier am effektivsten stoppt?“
Betreten starrt sie zu Boden. „Oh“, macht sie leise. „Da hätte ich mich ja ganz schön blamiert, was?“
Ich hebe ihr Kinn an und lächle. „Du warst beharrlich und bist so weit gekommen, wie es möglich war. Es wird einen anderen geben. Und wenn du dann genauso dran bleibst, dann wird es auch klappen.“
„Meinst du wirklich?“, fragt sie mit Schmerz in der Stimme.
„Natürlich meine ich es so. Und es ist auch richtig.“
Ich tätschle ihr wie einem kleinen Kind den Kopf, was ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubert und die düsteren Wolken wieder vertreibt.
Und wieder habe ich Akira erfolgreich vor weiteren Turbulenzen bewahrt.
Ich muß jetzt nur darauf achten, dass sich Sanae nicht sofort in mich verliebt und ich den Ärger an der Backe habe. Aber wenn ich sie zum Karaoke einlade und Junichiro dabei ist, der sie ohnehin schon dauernd angehimmelt hat, kann ich das sicher abwenden.
Kurz bevor die Stunde beginnt, geht Sanae wieder auf ihren Platz. Zufrieden lehne ich mich zurück. Weiß Supermann eigentlich wie schwer ich hier für ihn schufte?
„Du verstehst dich aber gut mit Sanae, was?“, sagt eine Stimme hinter mir. Ich wende mich um und starre in Lilians zorniges Gesicht.
„Du siehst das vollkommen falsch“, rechtfertige ich mich. „Sie will ja gar nichts von mir.“
„Umso schlimmer“, brummt sie und sieht demonstrativ in eine andere Richtung.
Ärgerlich wende ich mich der Tafel zu. Was glaubt die Kleine eigentlich, wer sie ist? Meine feste Freundin?
*
In der großen Pause bin ich entweder mit den anderen oben auf dem Dach oder streife auf eigene Faust durch die Schule. Die Sempais der höheren Klassen sehen in so einem Vagabunden meistens Freiwild und triezen ihn ein wenig, um die Rangfolge in der Schule klar zu stellen. Ja, japanische Jugendliche und Heranwachsende können grausam sein. Alles, was sie im ersten Jahr von ihren Sempais abgekriegt haben, geben sie nun mit Freude weiter.
Na, nicht alle. Aber einige machen das schon.
Nur nicht mit mir oder einem anderen aus meiner Gruppe. Wir haben uns gleich am ersten Tag unseren Respekt verdient.
Also, ich kann vollkommen ungefährdet durch die Gänge der höheren Klassen gehen – und werde zudem noch mit Respekt behandelt.
Meistens jedenfalls.
Doch heute ist vieles anders. Als ich das Treppenhaus in Richtung meines Ziels verlasse, klingt der Kampflärm bis zu mir durch.
Ich beginne unwillkürlich zu laufen. Und tatsächlich. Ein paar Burschen aus dem Abschlussjahrgang haben sich tatsächlich einen der Jüngeren geschnappt und vertrimmen ihn.
Na Klasse, es ist ausgerechnet mein Lieblingsfeind Daisuke.
Ich sehe Sarah, wie sie zitternd neben der Prügelei steht und immer wieder ruft: „Tu ihnen nicht weh, Daisuke.“
Was die Sempais irritiert und noch ärgerlicher macht.
Es steht fünf gegen einen, bei diesem Zahlenverhältnis muß er seinen Gegnern wehtun können, um da wieder raus zu kommen.
Aber der verliebte Trottel würde sich ja eher was brechen lassen, als Sarah zu enttäuschen.
„Hey!“, rufe ich und habe die Aufmerksamkeit der Anwesenden. „Was macht Ihr da mit meinem Spielzeug?“
„Klappe, du! Oder willst du auch ein paar?“, brüllt mich einer der Burschen von der Seite an.
Ich fixiere ihn mit meinem stechendsten Blick. „Hast du mir was zu sagen?“
„Und ob, du…“ Ich sehe eine Faust auf mich zurasen und weiche mit einem schnellen Schritt zur Seite aus. Der andere will nachsetzen, aber einer seiner Kumpel hält ihn fest. „Nicht, Junoi-kun! Das ist Futabe-sama!“
„Es ist mir egal, wie er heißt! Es ist doch nur einer!“
„Ja, aber wir sind nur zu fünft.“
„Das ist mir egal!“, blafft er, schüttelt die Hand seines Freundes ab und stürzt auf mich zu.
Ich nehme die Rechte aus meiner Hose und ergreife sein Gesicht. Er bleibt stehen, als wäre er gegen eine Mauer gerannt. Im Prinzip stimmt das auch, da ich meine Knochenstruktur mit meinem KI gerade um das Zehnfache verstärkt habe.
Ein hässliches Knirschen verrät mir, dass er sich dabei die Nase gebrochen hat.
Ich grinse überlegen und denke für einen Augenblick an die Möglichkeit, meine Haare mit meinem konzentrierten KI aufzustellen und aufleuchten zu lassen. Aber das wäre nur eine Spielerei gewesen, die zudem unnötig Kraft gekostet hätte.
Also nehme ich stattdessen nur die Hand wieder weg, wische das Blut angewidert an der Jacke meines Opfers ab und knurre wütend: „Haut ab!“
Kurz darauf ist die Legende von Akiras Zorn um eine Geschichte reicher. Und ich stehe mit Sarah und Daisuke alleine im Gang. Auch wenn die anderen, ich meine Akira und Doitsu noch überhaupt keine Ahnung haben, was sie mit ihrem KI phantastisches anstellen können und nicht annähernd so weit sind wie ich.
„Spielzeug, eh?“, blafft Daisuke wütend. „AUTSCH!“
„Nun halt doch mal still“, sagt Sara und tupft vorsichtig seine aufgesprungene Lippe ab.
„Die haben tatsächlich einen Treffer bei dir gelandet? Wirst du einfach alt, oder langsam?“, spotte ich. „Und wenn ich schon mal dabei bin, auf Sparring hast du bestimmt gerade keine Lust, was?“
„Ich und alt? Ich hätte jeden einzelnen drei- viermal töten können und wäre nicht mal ins Schwitzen gekommen. Ich – AUUU!“
Sarah funkelt ihn böse an. „Was habe ich dir gesagt, wie du dich schwächeren Gegnern gegenüber verhalten sollst?“
„Nachsichtig, denn sie wissen nicht, was sie tun?“
„Sehr gut“, murmelt sie zufrieden und fährt mit ihrer Aufgabe fort.
„Den hast du aber gut dressiert, Sarah-chan“, spotte ich und drehe mich um. „Na, dann eben ein andernmal. Sarah, Spielzeug…“
„Spielzeug? Ich gebe dir gleich dein Spielzeug!“, blafft Daisuke wütend.
Ich wende mich noch einmal um und grinse frech herüber. „Sag mal, Daisuke, du hast dich doch nicht etwa absichtlich treffen lassen, damit Sarah was zum versorgen hat?“
Der Mecha-Pilot wird blass und mein Grinsen verstärkt sich nur noch.
Sarah schmunzelt dazu und murmelt leise: „Halt still, Daisuke.“
Na, da haben sich ja zwei gefunden. Und ich habe meine gute Tat für heute getan.
*
Es ist nicht gerade einfach, den ganzen Tag begeistert zu sein und geradezu vor Glück zu strahlen, wenn ich Sakura-chan sehe. Ich meine, das ist wirklich harte Arbeit. Wenn ich in der Klasse sitze, dann erwartet sie einfach von mir, dass ich ihr auf die langen Beine starre, wie ein Honigkuchenpferd aus einem Atomreaktor strahle wenn sie mich anspricht, und enttäuscht wirke wenn sie an mir vorbei geht ohne mich anzusehen.
Das hat sich einfach so etabliert. Aber ich kann einfach nicht damit aufhören. Nicht nur, weil es gut für Sakura-chans Ego ist. Nein, denn ihre Beine sind ansehnlich, sehr sogar. Und ich freue mich wirklich, wenn sie mich aufruft. Und wenn sie an mir vorbei geht, weil sie zum Beispiel einen Text liest oder Akira anlächelt, dann finde ich das wirklich nicht sehr nett.
Ich meine, wozu mache ich mir die ganze Mühe, wenn nicht für sie? Auch ich kann nicht permanent fröhlich sein, nicht einmal für Sakura-chan.
„Futabe-kun?“ „Hier, Sensei!“
„Kannst du Otomo-kuns Ausführungen noch etwas hinzufügen?“
„Ja, Sensei. Die massive Kontraktion des Universums wirkt sich natürlich direkt auf die Raumzeit aus. Raum und Zeit dehnen sich zusammen mit der Expansion der Materie aus, daher liegt der Gedanke nahe, dass sie sich beim Kollaps des Universums auch wieder zusammen zieht. Experten rechnen nicht nur damit, dass diese Kontraktion irgendwann stattfindet, sie sprechen auch von einer Stauchung der Raumzeit, andere sprechen von einer Umkehr des Zeitpfeils, sprich der totalen Umkehrung der Zeitgeschichte. Ob dies aber dazu führt, dass die Geschichte rückwärts läuft, nun, darüber können wir nur spekulieren, für die nächsten dreißig Milliarden Jahre, bevor wir es quasi live erleben können.“
Ich sehe in die Runde. Warum starren die mich alle so an? „Habe ich etwas vergessen, Sensei?“
Sakura-chan schließt ihren Mund wieder. „Äh, nein, Futabe-kun. Das ist alles. Du kannst dich wieder setzen.“
Nachdenklich nehme ich wieder Platz. Okay, meine Argumentation war lückenhaft. Und ehrlich gesagt nicht besonders präzise. Aber mussten mich die anderen deshalb so anstarren? Jeder macht mal Fehler.
Akira sieht müde zu mir herüber. „Solange die Größe des Universums nicht feststeht und die Masse an Materie nicht ermittelt ist, können wir einfach nicht sagen, wann es zur Umkehrung kommt, Alter. Dreißig Milliarden Jahre ist doch etwas willkürlich in den Raum geworfen.“
„Seit wann bist du Experte für die Expansion des Universums? Anhand des Dopplereffektes können wir heute sehr genau definieren, welche Eigengeschwindigkeit selbst entfernteste Cluster haben und damit errechnen, wann sich der Bewegungsimpuls aufzehrt und umkehrt.“
„Gravitatorischer Hickhack“, erwidert Akira. „Du gehst ja davon aus, dass die entferntesten Cluster bereits der Rand des Universums sind, wenn es einen solchen Rand überhaupt gibt. Und zudem glaubst du anscheinend, dass die Gravitation gleichmäßig im ganzen Universum den Bewegungsimpuls der Materie aufzehrt.“
„Was spricht dagegen? Sobald die Gravitation greift, wird die gesamte Materie zugleich zur Kontraktion gezwungen“, erwidere ich ernst.
„Und ich sage, die Kontraktion tritt unregelmäßig ein. Und zwar in Gebieten der Raumzeit mit mehr Materie schneller als in relativ materiearmen Regionen.“
„Phhh. Was für ein Blödsinn.“
„Futabe-kun, Otomo-kun, wollt Ihr die Klasse nicht an eurem Gespräch teilhaben lassen?“, fragt Sakura freundlich.
Ich erhebe mich wieder und sage: „Ach, wir spekulieren nur ein wenig. Ich sage, dass die Kontraktion als universelles Ereignis eintritt und Akira beharrt darauf, dass die Kontraktion innerhalb einer gewissen Zeitspanne erfolgt und unterschiedlich schnell geschieht. Wenn man seiner Argumentation folgt, dann kann man auch annehmen, dass für einige Materiecluster, also Galaxien und dergleichen, niemals die Kontraktion eintritt, weil ihre Fliehkraft höher ist als die Gravitation.“
„Was ist so falsch daran?“, begehrt Akira auf.
„Weil dann ein Teil der Raumzeit theoretisch die Möglichkeit hätte, sich der Kontraktion zu entziehen. Was willst du machen? Neue Universen gründen, die sich als Galaxiencluster von dem alten Universum abnabeln und eine eigene Raumzeit entwickeln?“
Ich werfe einen Blick in die Runde. „Habe ich was Falsches gesagt?“
„Äh, in Ordnung, Futabe-kun. Alles in Ordnung. Aber bitte folgt jetzt beide mehr dem Unterricht.“
Irritiert sehe ich zu Akira herüber. „Habe ich was im Gesicht, oder warum starren mich alle so an?“
Er zuckt mit den Schultern. „Liegt wahrscheinlich daran, dass unsere Gedankenexperimente so lückenhaft sind. Wir können sie ja nicht mal belegen. Wir sind schon zwei Theoretiker.“
„Das wird es wohl sein“, brumme ich leise.
*
Lilian ist wirklich sauer auf mich. Anstatt mit mir nach Hause zu gehen, dackelt sie lieber Akira hinterher. Ich verstehe überhaupt nicht, was ich ihr getan haben soll. Warum ist sie so wütend auf mich? Nur weil ich mich für ihren O-nii-chan aufopfere und ihm noch mehr Frauen vom Hals halte?
Verstehe einer die Frauen, ich tu es nicht. Ami zum Beispiel, ich komme einfach nicht dahinter, wie sie funktioniert. Ich meine, nach außen hin ist sie ein liebes, zerbrechlich wirkendes Mädchen mit viel zu blassem Teint. Und dann zerschlägt sie mal eben in der Karatestunde eine fünf Zentimeter starke Holzplatte.
Was erwarten die Frauen eigentlich? Und warum werde ich immer verlegen, wenn ich an Mako-chan denke? Ich meine, er ist nicht nur ein Mann, er ist auch noch der Mann, der meinen Eagle steuert. Aber wenn ich an diese Bilder von ihm denke, ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich mir wünsche, er wäre ein Mädchen.
Mag ich Sakura-chan deshalb so gerne? Weil sie ihm ähnlich sieht und definitiv ein Mädchen ist? Na, voll entwickelte Frau trifft es schon eher.
Und dann die Sache mit Hiroko-sempai. Sie weiß ziemlich genau, was sie will. Und irgendwie habe ich das Gefühl, ich stehe auf ihrem Speiseplan…
Aber immer wenn ich daran denke, wie sie mir beim Karaoke am Ohr geknabbert hat, dann muß ich auch daran denken, wie Lilian sich an mich drängt, leise meinen Namen flüstert und mich küsst…
Wütend schüttele ich den Kopf. Ich bin doch nicht etwa verliebt? Ich meine, ich bin nicht Akira. Ich darf doch wohl vorerst darauf verzichten, mich fest zu binden? Ich bin jung, erfolgreich, unabhängig, wild und talentiert. Muss ich da mein Herz an eine einzige Frau hängen?
Ich meine, wenn es passiert, dann passiert es, aber bitte doch erst weit in der Zukunft.
Derart in Gedanken versunken bemerke ich den Wagen beinahe zu spät, der auf mich zugerast kommt. Ich springe zur Seite, falle und rolle mich mehrfach ab, bevor ich still liege.
Wütend sehe ich auf. „Idiot! Hoffentlich erwischt es nur dich, wenn du weiter rast wie ein Verrückter!“
Entsetzt sehe ich dabei zu, wie der Wagen, der mich beinahe umgefahren hat, explodiert.
Mein Kopf ruckt herum und ich sehe den Grund. Ein Hawk hat eine Rakete auf ihn abgefeuert. Und weiter die Straße runter sehe ich tatsächlich Akira am Boden liegen. Und sind das daneben nicht Sarah und Daisuke? Und Lilian, liegt die nicht unter Akira am Boden?
Mein Gehirn ist sicher nicht das Schnellste, aber ich begreife sehr schnell, was hier passiert ist. Übergangslos lasse ich meine Tasche los, richte mich auf und renne auf die andere Straßenseite. Der kleine Park dort erscheint mir mehr als verdächtig. Ich laufe hinein, passiere den Waldrand. Und tatsächlich, nach wenigen Metern spüre ich etwas. Eine Aura der Bedrohung, des Hasses.
„Jetzt habe ich dich, du Bastard. Zwischen den Augen hast du jedenfalls keine Weste.“
Ich greife zu und entreiße dem unter einer Tarndecke liegenden Scharfschützen seine Waffe. Der Mann mit dem in Tarnfarben angemalten Gesicht sieht erschrocken zu mir hoch, tastet nach seiner Hüftwaffe.
Ich konzentriere das KI in meiner rechten Hand und zerquetsche den Lauf seines Gewehrs.
„Gute Nacht, du Trottel!“, blaffe ich und schlage mit der anderen Hand, die ebenfalls von meinem KI umspült wird, hart und nachdringlich zu. Danach werfe ich die nutzlose Waffe weg, lausche für einen Moment. Aber anscheinend ist der Attentäter allein.
Aus meiner Jacke ziehe ich ein kleines Funkgerät. „Ensign Futabe hier. Ich rufe den Hawk vor mir.“
„Yoshi? Bist du das? Wo steckst du?“, kommt die Antwort.
„Ich stecke hier im Park. Sniper? Hör zu. Hier hat ein Attentäter gelauert, mit nem Scharfschützengewehr. Aber der hat die nächsten Stunden keine Lust mehr, auf jemanden zu schießen. Scheint so, als wollte sich unser Gegner doppelt absichern, falls der Drive-by nicht funktioniert.“
„Drive-by. Was du für Ausdrücke kennst. Soll ich dem Colonel Bescheid geben?“
„Nein, lass mal. Lass ihn einfach abholen. Das reicht vollkommen.“
„Verstanden. Ich schicke jemanden.“
„Okay, ich mach mich schon mal vom Acker. Das Wäldchen links von deinem Hawk, ja?“
„Bin ja nicht blöd.“
Ich grinse fies. Na, die Antwort darauf sollte ich ihm besser nicht geben.
Wütend starre ich auf den Scharfschützen runter. „Kannst froh sein, dass ich noch nett war.“
*
Eine halbe Stunde später sitze ich im Wohnraum vor dem Fernseher.
Ja, auch ich sehe ab und zu fern. Gebe mich dem sinnlosen Konsum hin. Tu etwas vollkommen Unproduktives.
„Yoshi“, höre ich Lilian leise sagen.
Ich sehe zu ihr herüber. „Hm?“
„Yoshi, bist du böse auf mich?“
Ich rücke ein Stück und hebe einladend einen Arm. Sie kommt, setzt sich neben mich und lässt sich an mich drücken. „Wie kommst du nur darauf, Lilian? Ich kann dir doch niemals böse sein.“
„Das ist gut“, seufzt sie erleichtert und legt ihren Kopf auf meine Schulter.
Ein angenehmes Gefühl. Beinahe zu angenehm.
„Äh, ist alles in Ordnung?“, fragt Akira vom Eingang her.
Ich grinse ihn an und klopfe auf meine rechte Seite. „Klar ist alles in Ordnung. Komm, hier ist noch Platz bei mir.“
Akira zuckt mit den Achseln, setzt sich neben uns. Als ich ihn ebenfalls umarmen will, grinst er nur. „Heb dir das für Lilian auf, Kumpel.“
Ich mustere seine Jacke. „Hast du Motten?“
Akira zuckt mit den Achseln. „Ja, Kaliber sieben Komma sechs zwo. Und bei dir, alles klar?“
Ich nicke. „Für mich war das ein vollkommen normaler Tag, Akira. In jeder Beziehung.“
Ich gähne leise. Kann denn nicht mal was Aufregendes passieren?
ENDE