Filmbesprechung von Uwe Lammers

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Eckdaten

  • National Geographic Society
  • Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen
  • Basierend auf dem gleichnamigen Buch von Jared Diamond
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Länge: 90 Minuten
  • Erzähler: Jared Diamond

Man schreibt das Jahr 2210. Die Welt ist weitgehend entvölkert, nahezu alle Ländereien wüst und verfallen. Aber eine neue Kultur ist aufgeblüht, und Archäologen erforschen mit modernsten Methoden die Ruinen einer untergegangenen Zivilisation, deren rostige, verwitterte Ruinen überall zu Land und zu Wasser zu bestaunen sind.

Die Zivilisation, die untergegangen ist und deren Rätsel entschlüsselt werden sollen, ist … die unsere der Gegenwart.

Irgendwann gegen Mitte des 21. christlichen Jahrhunderts, so berichten es die düsteren Überlieferungen aus katastrophalen Zeiten, kam es zu einem vollständigen Zivilisationskollaps, und Milliarden Menschen fanden den Tod. Datenträger wurden nutzlos, technische Systeme versagten, die Ökologie kollabierte, und die einstmals so unzerstörbar wirkende Kultur der globalen Datensphäre stürzte auf atemberaubend schnelle Weise in sich zusammen.

Die Archäologen der Zukunft fragen sich: Was war der Auslöser? Oder vielleicht auch DIE Auslöser?

Handelte es sich um einen globalen Krieg? Um einen ökologischen Zusammenbruch mit desaströsen Folgen? Falls dies der Fall war – warum konnten die Menschen des 21. Jahrhunderts, die doch nahezu alles in der Welt beherrschten, mit all ihren Kenntnissen diese Katastrophe nicht aufhalten?

Gewiss – es handelt sich um ein fiktives Szenario, aber eins, das nicht allein in dem Medium der Science Fiction wurzelt, sondern äußerst reale Wurzeln hat, Wurzeln im heutigen Hier und Jetzt. Jared Diamond, der Evolutionsbiologe, Physiologe und Geograph, der mit seinem kulturhistorischen Bestseller die Buchlisten lange anführte, nutzt diesen erzählerischen Trick, um uns dem Spiegel vorzuhalten und die Zuschauer aufzurütteln.

In seinem Buch betrachtete er verschiedene Kulturen der Vergangenheit – etwa die Anasazi im Süden der heutigen USA, die Maya-Hochkultur, die Wikinger auf Grönland und mehr – , um uns von dem kulturellen Dünkel zu ernüchtern, der sich sehr leicht für zivilisationsverwöhnte Menschen von heute einstellt. „Natürlich“ können sich traditionelle New Yorker vorstellen, dass arrogante Eliten in Guatemala ihre Umwelt so sehr ausbeuteten, dass das Staatswesen und das Volk letztlich kollabierten. Aber ihnen könne das natürlich nicht passieren – sie seien doch viel klüger als die Maya, nicht wahr?

Oder man betrachte das am Ende degenerierte, innerlich ausgehöhlte Weltreich der Römer, das ebenfalls zwar lange Bestand hatte, von dem aber heutzutage nur noch Ruinen übrig seien. Auch das ist natürlich ein Negativbeispiel, unken eingebildete gebildete Eliten von heute leicht. Sie hätten schlicht den Zenit ihrer Entwicklung überschritten, seien schlaff und schwach geworden, und dann gehe man eben unter …

Aber Diamond beweist deutlich, dass es sich dabei um einen anmaßenden, verengten Blick allein auf die Niedergangphase dieser Kulturvölker handelt. Er signalisiert, dass diese Kulturen vorher jahrhundertelang ein glanzvolles, prächtiges Staatswesen schufen, mit weit verzweigten Straßensystemen. Mit fantastisch gut durchdachten Städten, funktionierenden Gemeinwesen, solider Bürokratie und besonders Wasserversorgung. Ein strahlendes Vorbild für den Rest der Menschheit, das nur zu gern nachgeahmt wird!

Und dann schaut er sich – mit dem Blick eines Archäologen zweihundert Jahre in der Zukunft – unsere Kultur an. Haben wir nicht auch ein phantastisches, leistungsfähiges Straßennetz entwickelt, exzellente Kommunikationsstrukturen, eine hochwertige Zivilisation erschaffen? Doch, haben wir. Und viele Menschen in Drittweltstaaten schauen bewundernd und neidisch zu den Leistungen der Hochkultur empor … wie es einst einfache Bauern taten, die vom Land nach Chaco Canyon kamen oder nach Copán oder eben auch nach Rom.

Kulturen, macht Diamond mahnend klar, haben so etwas wie einen „breaking point“. Vielleicht haben sie aus inhärenter Hybris auch so etwas wie ein Verfallsdatum … nämlich dann, wenn sie an hemmungsloser Selbstüberschätzung zu leiden beginnen und über ihre Verhältnisse leben. Sie halten sich für unzerstörbar, allem, was früher existierte, weit überlegen. Und aus genau dieser Überschätzung resultieren typisch menschliche Fehlverhaltensweisen, die das Positive oft ins Negative umkippen lassen.

Vielfach sind dies die Ursachen für den Niedergang früher Hochkulturen. Misswirtschaft, die Hungersnöte auslöst. Dürreperioden, die hypertroph gewachsene Städte unter Wasser- und Nahrungsmangel leiden lassen. Klimatische Schäden. Seuchen. Vertrauensverlust von Eliten. Nahrungsmittelpolitische oder auch militärische Fehlentscheidungen (das klingt irgendwie beunruhigend vertraut!).

Die Kultur der Altvorderen, werden die Archäologen des 23. Jahrhunderts ermitteln, waren so mächtig, weil sie auf fossilen Brennstoffen basierende Staatswesen errichteten, weil sie dank dieser scheinbar unerschöpfbaren Energiequellen Bauten errichteten und in Höhen (Raumfahrt, Flugverkehr) und Tiefen (Bergbau, Wasser- und Ölbohrungen) vordrangen, die zuvor unerreichbar waren. Statt in dem Moment, in dem die Vorräte allmählich kärglicher wurden, ihren exzessiven Lebenswandel zu überdenken und zu ändern, wurde er weiter auf die Spitze getrieben. Bodenfläche urbanisiert. Bodenkrume zerstört, überdüngt, zu Staub zerpulvert und in alle Winde verweht (was heutzutage vielfach schon geschieht, beispielsweise in China). Und die Entwicklung alternativer Energiequellen schritt nicht so schnell voran, wie der hemmungslose Energiehunger der Menschheit wuchs … irgendwann wurde der Bogen überspannt, und trotz aller phantastischen Technologie stürzte der ganze Traum ein, mit atemberaubender Geschwindigkeit. Verstärkt durch soziale Zerrüttungstendenzen, Ressourcenkämpfe, ökologische Desaster und Artensterben.

Der Film ist dank dieser fiktiven Perspektive ein aufrüttelndes Drama geworden, wie ich finde, das dem historisch argumentierenden Sachbuch von Jared Diamond eine ergänzende, reine SF-Kulisse hinzufügt und sie als mahnendes Narrativ verwendet. Es entbehrt nicht gewisser ironischer Aspekte (etwa, wenn die zukünftigen Historiker Swimming-Pools in amerikanischen Siedlungen als „Wasserreservoire“ für die einzelnen Familien fehlinterpretieren), auf der anderen Seite zeigt Diamond aber durchaus auch Pfade auf, mit denen sich das drohende Verhängnis abmildern lässt. Für ihn ist leider ausgemacht – und das klingt heute realistischer als im Jahre 2010, als der Film gedreht wurde – , dass die globale Temperaturerhöhung die Latte von 2 Grad plus reißen wird. Er hofft freilich darauf, dass es nicht vielmehr fünf Grad oder sieben Grad sein werden. Die Folgen wären wohl in der Tat so geartet, dass sich der zivilisatorische Kollaps nicht mehr vermeiden ließe.

Und dann sähe unsere Welt in zweihundert Jahren womöglich wirklich so aus wie im Film, die nur so von Ruinenstädten und zerfallenen Straßensystemen wimmelt. Ja, und vermutlich würden sich, wenn die Überlebenden jemals wieder diese zivilisatorische Höhe erklimmen könnten, die Forscher der Nachgeborenen fragen: Wie konnte das alles nur geschehen?

Der Film ist eine eindrückliche Warnung – und eine Aufforderung zum Handeln im Hier und Jetzt, um genau das zu verhindern.

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