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Episode eins: Aoi Akuma
von Alexander „Tiff“ Kaiser
Prolog:
“…kam es erneut zu einem massiven Überfall auf einen von imperialen Fregatten begleiteten Konvoi. Bei dieser Attacke wurden alle drei Fregatten, die TIMBUKTU, die MARS und die ABU DHABI vernichtet. Die drei Frachter NEU-KÖLLN, ROTTERDAMM und CHIEMSEE wurden aufgebracht, geplündert und versenkt. Über den Verbleib der Mannschaften aller sechs Schiffe liegen bis dato keine Informationen vor. Berichten aus dem Pentagon zufolge aber wird dieser massive Rückschlag die Offensive des kronosischen Imperiums in Indien und Arabien weiter zurückwerfen und…”
“…ist die Lage unhaltbar geworden. Mit dem Verlust Alaskas und dem erzwungenen Waffenstillstand sind wir, die stolze amerikanische Nation dazu verdammt stillzuhalten, während die Kronosier von ihren Eroberungen in Südostasien nach und nach die ganze Welt befallen. Ihre Territorien im Westen Australiens, Teilen Chinas, in Arabien, Afrika, Subchina und ihre Eroberung Islands sind bereits jetzt eine massive Gefahr für alle freien Staaten dieser Welt. Die regelmäßigen Angriffe auf Südamerika, mit denen die Kronosier versuchen, ihre neuen Verbündeten Venezuela, Kolumbien und Brasilien zu unterstützen und Argentinien, Chile und Uruguay zu einem Separatfrieden zu zwingen, wie er auch schon den USA und Kanada aufgedrängt wurde, werden auch in dieser Region zu einem Ungleichgewicht führen und mittelfristig eine zweite Front errichten, die sich dann gegen die USA stellt, die immer noch die weltweit größte Armee unter Waffen hat…”
“…Russland und China große Teile ihrer subsibirischen Territorien an die Kronosier verloren, es drängen sich unwillkürlich Vergleiche mit den japanischen Eroberungen in China während des Zweiten Weltkriegs auf, als große Teile der Mandschurei von ihnen mit harter Hand erobert und noch härterer Hand regiert wurden…”
“…bringe ich es auf den Punkt: Die einzigen Regionen dieser Welt, die bisher nicht betroffen sind, das sind die Kontinente Afrika und Europa. Aber Europa wurde stark bombardiert, die Städte Paris, München, Düsseldorf, Antwerpen, Rom, Madrid, Cordoba, Warschau, Prag, Ankara und Wien, um nur die am schlimmsten getroffenen zu nennen, sind immer noch mit dem Wiederaufbau nach den Verwüstungen beschäftigt, und Europa hält still, solange die Angriffe nicht fortgesetzt werden. Natürlich kämpfen sie nicht, solange auch die USA, ihr mächtigster Verbündeter, den Waffenstillstand einhält.
Auch Afrikas Hauptstädte wurden bombardiert und teilweise schwer zerstört. Aber wesentlich gefährlicher ist der Streit der Ideologien, der diesen riesigen Kontinent zu spalten droht. Der kronosianische, pragmatische Imperialismus mit dem offenen Angebot mittels der Gift jederzeit in die Herrscherriege aufzusteigen hat viele örtliche Herrscher verführt und zu unzuverlässigen Parametern in der Formel Weltverteidigung werden lassen.
Alles entscheidet sich nun im Wettlauf der Weltraumfahrstühle. Welches System wird eher fertig gestellt sein? Das amerikanische APOLLO-ARTEMIS – System oder die kronosianische Variante mit Titanen-Station und dem OLYMP? Generaldirektor Eikichi Otomo sagte dazu…”
“…sage ich Ihnen ganz klar, was uns Kronosier noch davon abhält, die ganze Welt zu befreien, sie von imperialistischen, trotzkistischen, religiösen oder rein patriarchaischen Weltbildern zu erlösen: Der Aoi Akuma, oder wie Sie ihn nennen würden, der blaue Teufel. Er und nur er mit seiner Höllenbande ist es, der an unserer Kehle hängt wie ein Hund mit seinen Fängen am Hals eines Bären. Ihn müssen wir bezwingen, vernichten, töten, bevor wir der Welt die Freiheit bringen können. Dieser Handlanger der Imperialisten, dieser Massenmörder, dieser Pirat und Schwerverbrecher ist die moderne Geißel dieser Welt und…”
“…die Aufstellung der Helden: Major Megumi Uno, erst neunzehn Jahre alt, und dennoch führt sie schon die Hekatoncheiren-Schwadron Briareos an im Kampf gegen die Feinde der Aufklärung und des Fortschritts. Auch wenn Amerika heimlich sein Mecha-Programm entwickelt und die geheimnisvollen Sparrows und Eagles weltweit verbreitet, haben wir mit ihr die erfahrenste und beste Pilotin auf unserer Seite. Ihr legendärer Daishi ist geachtet und gefürchtet bei ihren Feinden.
Captain Lilian Jones, ebenfalls neunzehn, ist trotz ihrer Jugend bereits gefürchtet und verhasst bei unseren Gegnern. Wir rufen uns in Erinnerung, es war die Attacke mit ihrer Hekatoncheiren-Einheit Kottos, die bei der Schlacht um Alaska den Sieg gebracht hat.
Captain Takashi Mizuhara, einundzwanzig, Anführer der Gyes-Schwadron und erfahrener Mecha-Pilot. Neben seinen enormen Fähigkeiten als Pilot sind es vor allem sein umfangreiches Wissen und seine scharfe Zunge, die unsere Feinde in die Schranken weist. Als Sprecher der Hekatoncheiren war es oftmals er, der den Menschen in eroberten Gebieten die Augen dafür öffnete, dass sie nicht erobert, sondern befreit wurden.
Denen stehen die Schurken gegenüber.
Voran der Erzverräter, ehemals loyaler Offizier in den Hekatoncheiren, und nun treuer Gefolgsmann von Aoi Akuma: First Lieutenant Daisuke Honda. So wie sich Saulus zum Paulus wandelte wurde er vom Paulus zum Saulus, zum größten Verbrecher an der kronosischen Sache. Er erhielt aufgrund seiner hervorragenden Leistungen die Gift, wurde Kronosier – und verriet sie.
Captain Yuri Kruger, desertierter Luftwaffenoffizier der US Air Force. Er gab seine goldene Zukunft auf und wurde lieber ein brandschatzender und mordender Pirat. Die Zahl seiner Opfer geht bereits in die Hunderte, und solange er lebt ist kein Ende in Sicht.
Und der Böse der Bösen, das Monster schlechthin, das Übel in dieser Welt, der leibhaftige Teufel, der Scheitan, der Dämon der Dämonen, der eiskalte Krieger, der mit seinem amerikanischen Hawk-Mecha über zweihundert Gegner besiegt hat: Aoi Akuma persönlich, Akira Otomo!”
1.
“Die Wolken des Monsuns kommen uns gerade Recht, was, Kleiner?”
Ich grinste. “Keine Satellitenüberwachung bedeutet keine Signale für unsere Gegner, Yuri.”
Drei Hawks und ein Eagle waren es, die dicht über der Wasseroberfläche des indischen Ozeans dahin schossen.
Unwillkürlich griff ich neben mich und drückte Hinas Hand.
Ihrer Kraft, die wir in Ermangelung einer wirklichen Erklärung Aura-Power nannten, verdankte es mein Hawk Blue Devil, dass er den kronosischen Daishis der Agamemnon-Klasse, der Briareos-Klasse und der Gilgamesch-Klasse so hoffnungslos überlegen war.
Ein innovatives Energiesystem nahm die Aura-Kraft von ihr auf und verstärkte damit den Antrieb, die Waffen und die Panzerung. Mit Hina an meiner Seite hatte ich neulich sogar einen kronosischen Zerstörer im Alleingang vernichtet.
Sie lächelte dünn. Ziemlich dünn, wenn man bedachte, dass wir es einige Zeit tatsächlich versucht hatten – intim zu werden. Der Sex war gut gewesen und unsere Koordination war zeitweise hoch gegangen. Aber irgendwann war das Erwachen gekommen, die Ernüchterung, und seit gut vier Jahren waren wir nur noch gute Freunde. Okay, ziemlich gute Freunde, denn die Chance, in die Zivilisation zurück zu kehren und neue Bekanntschaften zu machen war meistens recht gering.
Selbst in den USA und in Europa mussten wir jederzeit damit rechnen, als Mitglieder der Akuma-Gumi verhaftet zu werden.
Tja, Popularität hatte ihren Preis.
Ich drückte ihre Hand ein weiteres Mal, was sie erneut lächeln ließ, etwas inniger, etwas tiefer, etwas ehrlicher.
“Okay, Status vor dem Angriff. Blue Devil mit Pilot und Fairy ist bereit.”
“Red Devil mit Pilot und Fairy ist bereit”, meldete sich Yuri zu Wort. Fairy, so nannten wir die Aura-Beherrscher, fünf junge Frauen, denen wir es verdankten, dass wir acht Jahre Guerilla-Krieg gegen die Kronosier im südchinesischen Meer überlebt hatten.
Seine Fairy war Akane Kurosawa, eine junge Frau, die wir bei einem Einsatz buchstäblich in letzter Sekunde aus der tiefsten Scheiße gerettet hatten. Das war vor vier Jahren. Seitdem war sie unsere zuverlässige Verbündete.
“White Devil mit Pilot und Fairy bereit”, meldete Kei Takahara dünn. Der junge Bursche wirkte hoch konzentriert, wie immer wenn er seinen Eagle in die Schlacht führte. Seine Fairy war Cecilia Wang, eine ehemalige Rotarmistin, die bei der Schlacht um Beijing in Kriegsgefangenschaft geraten war. Sie war nun sechs Jahre bei uns und hatte sich als starke Verbündete und als großartige Fairy erwiesen.
“Green Devil mit Pilot und Fairy bereit”, klang Philip Johanssons Stimme auf. Seine Fairy hieß Ami Shirai, ein kleines, blasses und stilles Mädchen, das wegen Mordes in einem Knast gesessen hatte, den wir gestürmt hatten, um meinen Cousin Makoto zu befreien.
Nun, sie mochte klein, blass und still sein, aber ihr zweiter Dan in Karate war nicht zu unterschätzen. Vor allem nicht von dem Kronosier, der sie hatte vergewaltigen wollen.
“Okay, Devil Team, hergehört. Wir erreichen das Festland in drei Minuten. Vernichtet alles, was euch anvisiert oder sogar beschießt. Unser Ziel ist Nepal, und das werden wir erreichen.”
“Uns beschießt? In diesem Dauerregen? Überschätzt du die Soldaten der Kronosier nicht etwas? Wer von denen ist bei diesem Regen schon freiwillig draußen, Akira?”
“Seit ich einen Schweden als Piloten auf einem Hawk gesehen habe, glaube ich, dass nichts unmöglich ist”, konterte ich.
Philip lachte wiehernd. “Guter Konter, mein Junge. Aber wenn du jetzt noch fragst, ob mein Hawk ein Ikea-Bausatz war, mache ich dich mit meinen Raketen bekannt.”
“Ach, der ist doch schon viel zu alt”, warf Kei ein. “Uns fällt bestimmt ein besserer ein. Bis dahin kann sich Ami ja die Haare blond färben, damit du dich mehr wie zuhause fühlst.”
“Du stehst auf blond, Kei?”, klang Amis Stimme auf. “Also wirklich, wenn du das mal früher gesagt hättest, für dich hätte ich mich doch längst umgefärbt.”
Ich lachte laut, als Kei, vollkommen aus dem Konzept gebracht, zu stammeln begann.
Zwanzig Meilen vor der Mündung des Ganges in den indischen Ozean schlugen unsere Ortungsgeräte an. Ein Schiff wurde gemeldet, ein traditionelles Wet Navy-Schiff.
“Zerstörer, Arleigh Burke-Klasse”, meldete die KI meines Hawks. Ich nannte sie zärtlich Primus, weil ich im Verbund mit ihr der beste Pilot der Erde war.
“Raketenträger, eh? Amerikaner?”
“Negativ. Das Schiff strahlt keinen IFF aus. Es muss eines der Schiffe sein, welche die Kronosier als Tribut für den Waffenstillstand in Alaska gefordert haben.”
“Werden wir erfasst?”
“Das wird nicht ausbleiben, Sir. Wir werden in nur fünf Kilometern Entfernung dran vorbei kommen.”
“Okay, Füße ins Wasser, alle Mann”, befahl ich und drückte meinen Hawk tiefer. In nur drei Meter Höhe, als wirklich fast mit den Füßen im Meer, rasten wir weiter dahin. Die Crew des Zerstörers musste wirklich, wirklich gut sein, wenn sie unsere vier Mechas in diesem Wust aus teilweise zwei Meter hohen Wellen dennoch fand.
“Ortung! Wir werden erfasst! Ortung, Raketenabschuss auf Arleigh Burke! Multipler Beschuss!”
“Ein verdammtes Aegis-System, was?” Ärgerlich riss ich meinen Hawk hoch, scherte in Richtung des Zerstörers aus. Ich riss die Linke mit der Schnellfeuerkanone hoch. “Kumpel, hilf mir ein wenig, in dem Regen sehe ich die Raketen etwas spät.”
“Verstanden, Sir.” Soweit Primus sie erfassen konnte, markierte er die angreifenden Raketen für mich. Ich musste nur noch bestätigen, um das Raketenabwehrsystem auszulösen.
“Siebzehn… Neunzehn… Drei Klicks… Zweieinhalb… Zwei…”
Ich gab die Bestätigung, und das Raketenabwehrsystem beschoss die Gefechtsköpfe nach Priorität, nämlich Kurs und Geschwindigkeit plus Entfernung. Es schoss die fünf Raketen ab, die auf mich gezielt waren, während die anderen vierzehn an mir vorbei huschten.
“Vierzehn kommen durch”, warnte ich meine Gefährten.
Ich warf den Hawk herum, fixierte weitere drei und feuerte dann mit der Hawk-Gatling. “Korrigiere. Elf kommen durch. Mit denen werdet ihr doch fertig, oder?”
“Hör auf zu reden, furchtloser Anführer. Mach lieber die Arleigh Burke platt”, erwiderte Yuri. “Die Fairies verstärken bereits unsere Struktur. Für den Fall dass wir eine oder zwei Raketen verfehlen.”
Sein Tonfall sagte deutlich, dass er diesen Fall für unmöglich hielt.
Ich seufzte, griff mit der Rechten meines Hawks auf den Rücken und zog die Artemis-Lanze hervor. Mittlerweile hatte ich mich dem Feindschiff auf fünf Kilometer genähert, und der Zerstörer feuerte erneut. Wieder trat mein Raketenabwehrsystem in Aktion, ich feuerte ebenso die Gatling ab und vernichtete zwei angreifende Raketen mit der Artemis-Lanze.
Wunderbares Ding, das. So vielseitig einsetzbar und so effektiv. Es gehörte einiges an Übung dazu, das vibrierende Karbon-Blatt der Schneide zu beherrschen, aber wenn man es erst einmal drauf hatte, rockte das Teil wirklich.
Ich setzte hart auf dem Vorderdeck des Zerstörers auf. Das Schiff begann durch den ungewohnten Bewegungsimpuls, ausgelöst durch meine Masse, heftig zu schwanken.
“Hina?”
Die junge Frau nickte, griff nach meiner rechten Hand. “Nur die Brücke, bitte.”
Ich nickte ernst. Hina Yamada hatte wirklich nicht die besten Erinnerungen an die Kronosier, aber dennoch schonte sie ihre Leben, wo sie nur konnte.
Die Kronosier und ihre Söldner würden sie dafür nicht belohnen, an dem Tag, an dem sie uns fingen, uns den Schauprozess machten und anschließend aufknüpften… Aber darum ging es ihr auch gar nicht. “Nur die Brücke, ja.”
Ihre Aura begann aufzuleuchten, erfasste das ganze Cockpit, den Torso meines Mechas und schließlich die Artemis-Lanze. Als sie strahlte wie ein Leuchtturm in stockfinsterer Nacht stieß ich sie tief in den Brückenaufbau. Und um auf Nummer Sicher zu gehen, trieb ich sie fünf Meter in die Tiefe, um den taktischen Planungsraum auch noch zu erwischen. Dann zog ich die Lanze wieder zurück und startete durch.
Entschuldigend sah ich zu Hina herüber. “Weißt du, ich…”
“Was denn? Der CIC gehörte zur Brücke.”
Erleichtert atmete ich auf. Aber aus dem Augenwinkel sah ich ihre betrübte Miene. Dieses Kriegsgeschäft war wirklich nichts für sie, und es zerriss mir fast das Herz, dass ich ihr das alles antun musste.
“Arleigh Burke erledigt”, meldete ich über Funk. “Hole auf.”
Hina nickte, und ihre Aura ging nun in den Antrieb. Wie von einem Katapult gestartet schossen wir über das Wasser dahin.
Nun würde es nicht mehr weit bis zu unserem Ziel sein.
***
“Otomo-sama!” “Eikichi Otomo!” “Direktor Otomo!” “Hierher sehen, bitte, Vorsitzender!”
Eikichi Otomo ließ den Wust an Fragen, Kameras und Menschen stumm über sich ergehen.
“Sie, bitte”, sagte er ernst und deutete auf einen ihm persönlich bekannten Reporter der Tokio Times, dem einzigen Blatt, dass zumindest leise Kritik an der kronosianischen Besetzung äußerte. Nach acht Jahren Assimilation übrigens ebenso mutig wie mit einem einzigem Hawk ein Schlachtschiff anzugreifen. Und nicht minder gefährlich.
“Direktor Otomo, was denken Sie über das Gerücht, dass Ihr Sohn Akira beim Angriff auf den TIMBUKTU-Verband federführend war? Es soll keine Überlebende gegeben haben.”
“Hm”, machte Eikichi ernst. “Erstens ist dies eine Pressekonferenz für den Fortschritt der Arbeiten an der OLYMP-Plattform. Und zweitens haben unsere kronosischen Herren weitaus mehr Feinde als Akira. Nicht jeder tote imperiale Soldat wurde automatisch von ihm umgebracht.” Eikichi schmunzelte. “Aber vielleicht das Gros.”
Leises Gelächter antwortete ihm, eine subversive Tätigkeit, die vom Geheimdienst sicherlich registriert werden würde.
“Ist es also wahr, dass Sie schützend Ihre Hand über Aoi Akuma halten? Dass Sie es sind, der verhindert, dass dieser außergewöhnlich brutale und fähige Pilot seiner gerechten Bestrafung zugeführt wird?”
“Nun… Nein. Immerhin bin ich Direktor der Imperial Mining Agency, und jeder Schaden, der dem imperialen Großreich zugefügt wird, schädigt letztendlich auch meine Pläne für diese Region. Und den Rohstoffabbau auf dem Mond, der mit der Fertigstellung des Plattformensystems endlich in voller Leistung beginnen wird.
Außerdem habe ich persönlich, aus meinem privaten Vermögen ein Kopfgeld in Höhe von einer Milliarde Dollar auf meinen Sohn ausgesetzt.”
“Das ist richtig, Sir, aber diese Summe wird nur ausgezahlt, wenn Ihr Sohn lebend gefangen wird. Ist das sinnvoll?”
“Hören Sie, die Kronosier sind bereits schuld am Tod meiner Tochter Yohko. Ist es so schwer zu verstehen dass meine Frau Helen und ich nicht wollen, dass auch unser zweites Kind stirbt? Ich bin überzeugt, dass man Akira seine Fehler vor Augen führen kann, dass man ihm begreiflich machen kann, was er gerade tut. Und welcher Weg der Bessere ist. Und das man ihn überzeugen kann, fortan auf der richtigen Seite zu kämpfen. Ich habe meinen Sohn und meine Tochter nicht in diese Welt gesetzt, damit sie vor mir sterben. Und ich will verdammt sein, wenn ich es auch noch bei meinem Sohn zulasse.
Sie, bitte.”
“Otomo-sama, Sie gelten als wichtigster industrieller Verbündeter der Kronosier. Letztendlich war es Ihr Einfluss, der die vorzeitige Kapitulation Japans, Beijings, Wladiwostoks und Shanghais ermöglicht hat. Auch das Fahrstuhl-System wurde von Ihnen erdacht und wird nun mit Ihren eigenen Mitteln, aber auch großen staatlichen Zuschüssen finanziert. Wäre dieses immense Kapital nicht besser in sozialen Programmen oder meinetwegen im Militärhaushalt angelegt?”
“Junger Mann, haben Sie vergessen, dass die Amerikaner ebenfalls einen Fahrstuhl bauen? Derjenige, der sein System zuerst fertig hat, wird beim Run auf den Mond einen enormen Vorsprung haben. Und wer diesen Vorsprung hat und hält, wird vielleicht in Zukunft die Welt beherrschen. Ich habe nicht vor, hierbei der Zweite zu sein.”
***
“Onii-chan!” “Yohko!” “Onii-chan!” “Yohko!” “Onii-chan!” “YOHKO!”
“Akira.”
Ich fuhr auf. Nur mühsam orientierte ich mich. Ich saß im Cockpit meines Hawks, neben mir saß Hina und sah mich besorgt an. Wir waren im Anflug auf Katmandu in Nepal, und ich hatte, nachdem wir die Ganges-Mündung passiert hatten, die Gelegenheit genutzt, um kurz die Augen zu schließen. Noch fünf Minuten, bevor ich geweckt hätte werden müssen.
Fragend sah ich Hina an.
“Du hast nach Yohko gerufen.”
Ich fasste mir an die Stirn. “Entschuldige, ich hatte wieder diesen Traum. Wie die Kronosier kamen und Yohko verschleppt haben. Wie ich nach Großmutters Schwert gegriffen habe, und…”
“Ich weiß. Den Albtraum hattest du früher immer, wenn du dich nicht bis an deine Grenzen verausgabt hast. Es frisst an dir, dass Yohko bei den Verhören des kronosianischen Geheimdienstes gestorben ist. Nein, antworte nicht. Diese Feststellung war rein rhetorisch.”
Ihre Linke ging in meinen Nacken und rieb sanft meine verspannten Muskeln. “Damals konntest du nichts tun. Absolut nichts tun. Es war dumm genug, das Schwert zu schnappen, drei Kronosier umzubringen und anschließend ein halbes Jahr im Knast zu verbringen.”
Ich lachte rauh auf, während ich Hinas Berührung genoss. “Knast ist das falsche Wort. Einzelhaft trifft es eher. Ich war als Geisel gegen meinen Vater vorgesehen. Verdammt, damals war ich gerade vierzehn gewesen, und an meinem Katana klebte bereits Blut.”
Hina beugte sich zu mir herüber. Ihre Stirn berührte meine. “Akira. Ich habe das alles mit dir zusammen durch gestanden. Die Selbstzweifel, die Albträume, die Verzweiflung, weil du Yohko nicht retten konntest. Und…”
“Und jetzt ist es langsam mal genug?”, scherzte ich.
“Nein, Akira. Und ich werde es wieder und wieder und wieder für dich tun. Du hast mir das Leben gerettet, nicht umgekehrt. Du bist mein Held, nicht anders herum. Egal was in der Zukunft passiert, ich bin für dich da.”
“Ich danke dir”, hauchte ich. Ihre Nähe tat gut, und ich fragte mich, ob ich sie zu ein wenig Sex überreden konnte, wenn wir in die Basis zurückkehrten. Nun, vielleicht.
Vielleicht überredete sie auch mich. Manchmal fielen unsere Bedürfnisse erstaunlich genau zusammen. Und ich konnte diese Verausgabung bis an meine Grenzen sicherlich gebrauchen.
Yohko… Ich hatte meine Schwester nicht beschützen können, aber ich hatte alles getan, was mir als Vierzehnjähriger damals möglich gewesen war. Ich hatte getötet. Es hatte nichts genützt, und Yohko war doch gestorben.
“Sir, wir kommen in Reichweite. Unser Mann vor Ort weist uns ein.”
“Danke, Primus. Was sagt er?”
“Der Angriff auf das Kloster hat gerade begonnen. Es sind zwei Kompanien konventioneller Bodentruppen der reformistischen chinesischen Kriegsfürsten, und fünf Daishis A sowie drei Daishis B der Kronosier. Sie beginnen gerade mit einem Trommelfeuer auf das Klostergelände.”
“Und alles nur wegen einem einzigen Mann. Haben die Kronosier eigentlich kein Auge für Verhältnismäßigkeit?”, fauchte Hina entrüstet.
“Wenn sie wüssten, wen sie hier gerade gestellt haben, dann würden sie das Dreifache aufbieten”, kommentierte ich tonlos. “Blue Devil an alle Höllengenossen. Es geht los. Unser Mann vor Ort weist uns ein und markiert die wichtigsten Ziele für uns. Ihr kümmert euch um die Daishis, ich übernehme den Schutz des Klosters und rette die Zielperson. Wenn sie fort ist, stellen die Kronosier den Angriff vielleicht ein.”
“Und was, wenn sie es nicht tun?”, fragte Kei sarkastisch.
Ich antwortete nicht.
“Alles klar”, kam seine Antwort. “Wir machen sie so lange platt, bis keiner mehr eine Waffe heben kann.”
“Die letzten fünf Jahre waren also nicht vergebens”, spöttelte ich.
“Ich liebe dich auch”, antwortete Kei trocken.
“Bitte erst nach mir, Kei.”
“Das war ein Detail, das ich gar nicht wissen wollte, Hina”, erwiderte er und erntete dafür wohlmeinendes Gelächter von uns.
“Die Daten kommen rein”, meldete Primus. “Unser Agent vor Ort hat alle drei Briareos markiert sowie zwei Raketenwerfer der Infanterie.”
“Fünf Markierungen? Wie viele Helfer hat er?”
“Er ist alleine.”
“Ich will diesen Mann in meinem Team haben. Yuri, Kei, Philip, ihr wisst was zu tun ist.”
“Roger!”
Kathmandu kam rasend schnell näher. Der Tempel lag etwas außerhalb, und das erwies sich nun in mehrerlei Hinsicht als Vorteil. Einmal für die Stadtbevölkerung und einmal für uns und unsere Chancen, den Gegner schnell und kompromisslos zu erledigen.
Die drei Hawks und Yuris Eagle fächerten auseinander, wobei ich die linke Flanke einnahm.
Dann waren wir heran, eröffneten das erste Feuer mit Raketen auf Maximaldistanz.
Ich trennte mich von meinen Freunden, schoss meine Garben der Infanterie, die gerade dabei war den Tempel zu stürmen, direkt vor die Füße, um sie zu stoppen. Dann landete ich, die Füße meines Mechas tief in den Boden rammend.
Ich richtete den Mecha auf und wusste, dass die blaue Lackierung meines Hawks nun sehr gut sichtbar war. Die roten Augen des voll modellierten Sensorkopfs leuchteten bedrohlich auf. Für meine Gegner durfte es keine Zweifel geben. Blue Devil war angekommen. Die Nemesis der Kronosier. Ehrlich gesagt genoss ich diesen Titel.
Kei nutzte die Schrecksekunde, um aus erhöhter Position mit den Glattrohrkanonen seines Eagles das Feuer zu eröffnen und die Raketenstellungen zu vernichten, während Yuri und Philip wie Racheengel niederfuhren und sich mit den Daishi Briareos anlegten.
Vor meinen Füßen flutete die Infanterie zurück, viele warfen ihre Waffen fort.
Tja, dieser Überraschungsangriff war uns wohl gelungen.
Die Information war spät gekommen, beinahe zu spät, und ich wusste nicht was ich getan hätte, wenn sie mich nie erreicht hätte. Das, was es zu verlieren galt, war viel zu wertvoll. Ich hätte es vielleicht nie ertragen. Nun aber hatte ich eine echte Chance.
Ich richtete die Artemis-Lanze auf einen Daishi der Agamemnon-Klasse. Die Waffe entlud sich, verstärkt durch Hinas Aura, und fuhr in den Torso des Gegners. Die Explosion des Fusionsreaktors riss einen weiteren Daishi Agamemnon um und tötete fünf ungeschützte Soldaten.
Nun spritzten die restlichen Daishis auseinander, aber es war zu spät. Meine Freunde waren bereits da und zeigten ihnen den Leistungsunterschied zwischen einem Daishi und einem Leistungsverstärkten Hawk. Ich gab gerne und offen zu, dass die neue Generation Daishis einem normalen Hawk ebenbürtig war. Aber die Aura-Waffe war etwas, dem sie nichts entgegensetzen konnten. Noch nichts. Ihre Aura-Forschung schritt beständig voran. Vielleicht zu schnell für uns.
“Der Feind flieht”, meldete Primus.
“Zeitfenster?”
“Acht Minuten minimal.”
“Okay, ich steige aus. Habt Ihr gehört, Akuma-Gumi?”
“Roger.” “Verstanden.” “Copy.”
Kurz hauchte ich einen Kuss auf Hinas Wange. “Halte die Stellung, ja?”
“Keine Sorge. Ich weiß wie man einen Hawk steuert. Ich bin nicht annähernd so gut wie du, aber ich kann einiges mit meiner Aura-Kraft kompensieren. Und jetzt geh spielen.”
Ich grinste schief. “Du würdest für jemanden eine gute Ehefrau abgeben.”
“Ja, für jeden gewalttätigen Waffenfreak auf dieser Welt.”
“Was? Hast du es auf Yuri abgesehen?”, scherzte ich und entging ihrem schlecht gezielten Wurfgeschoss nur knapp. Das Cockpit entsiegelte sich, mein Mecha ging in die Hocke. Nun war es für mich nur ein kurzer Sprung bis zum Boden.
Grinsend eilte ich auf das Kloster zu. Es hatte arg einstecken müssen, aber was ich sah waren nur Schäden an Steinen und Mauern. Es lagen keine toten buddhistischen Mönche in ihren safrangelben Kutten herum. Immerhin. Und sobald wir das Ziel entfernt hatten, würde es hoffentlich so schnell keinen weiteren Angriff geben.
Ich eilte durch das zerschossene Haupttor, orientierte mich kurz und jagte dann in den Innenhof. “YOSHI! YOSHI, DU VERDAMMTER BASTARD! WO STECKST DU?”
Noch immer keine Mönche, weder Lebende noch Tote. Aber eine Minute des Zeitfensters war nun schon vergangen.
Dies war der Treffpunkt. Lag er vielleicht unter einem der Trümmerstücke, die vom Dach gefallen waren? So kurz vor dem Ziel, so ein verdammtes ironisches Ende?
“Akira?”
Ich wirbelte herum, riss meine Waffe hoch und richtete sie auf die Stimme.
Der glatzköpfige, hoch gewachsene Mönch sah mich erschrocken an, hob abwehrend beide Arme.
Aber die Erleichterung, die mich überflutete, ließ mich die Waffe wieder senken. “Yoshi.”
“Es ist lange her, Akira”, sagte der Glatzkopf. Er trat einen Schritt auf mich zu. “Und du bist hier nicht sicher.”
“Wir beeilen uns”, versprach ich und trat auf den alten Freund zu. Wie lange hatten wir uns nun schon nicht gesehen? Seit ich damals die Kronosier getötet hatte. Dennoch hatte ich ihn sofort wieder erkannt, obwohl seine sorgsam gepflegten blonden Haare dieser Glatze hatten weichen müssen.
Yoshi wirkte plötzlich nervös. Er fingerte in seiner Kutte und zog einen länglichen Gegenstand aus Silber hervor.
Ehrfürchtig nahm ich ihn entgegen. Es war eine Grabplatte. Sie stand symbolisch für einen Toten. In diesem Fall eine Tote, und sie steckte irgendwie in diesem Stück Silber fest. Oder wurde davon in dieser Welt gehalten. Jedenfalls sollte der Geist dieser Toten eine Information haben, mit der wir den Kampf gegen die Kronosier entscheidend vorantreiben konnten, ohne uns im diplomatischen Sumpf der gegeneinander handelnden Regierungen in der Welt zu verstricken.
“Danke”, sagte ich schlicht.
Yoshi nickte zufrieden. “Und jetzt beeile dich, Aoi Akuma. Die Kronosier werden bald mit Verstärkungen hier sein. An der Grenze zu Nepal stehen zwei Divisionen, die dieses Land binnen weniger Stunden überrennen können.”
“Halt die Klappe. Du kommst natürlich mit.”
Entgeistert starrte Yoshi mich an. “W-was? A-aber… ich…”
“Hast du vielleicht was Wichtiges vor?”
“Das ist es nicht!”
“Oder traust du mir nicht?”
“Das ist es auch nicht! Es ist nur, ich bin nicht wichtig genug für…”
“Halt die Klappe, bitte! Du hast mich vielleicht im Stich gelassen, als du dem Wunsch deines Großvaters gefolgt bist, und in dieses buddhistisches Kloster eingetreten bist!”, fuhr ich den Freund böse an. Etwas leiser und versöhnlicher fügte ich hinzu: “Aber ich lasse dich nicht im Stich. Also, falls du noch irgendetwas holen willst, ist jetzt der richtige Zeitpunkt.”
“Mönche binden sich nicht an weltliche Dinge”, erwiderte Yoshi schlicht.
Ich schnappte seinen Unterarm und zog ihn hinter mich her. “Okay, dann können wir ja. Es wird etwas eng, aber da Hina an Bord ist, wirst du wohl nicht protestieren.”
Yoshi errötete. Bei jemandem, der keine Haare hatte und nur aus Gesicht bestand, ein eindrucksvolles Schauspiel.
“We-wenn ich schon mitkomme, kann ich dann nicht in der Faust deines Hawks mitfliegen?”
Ich lachte laut. “Schon mal was von Schallgeschwindigkeit gehört?” Grinsend schüttelte ich den Kopf. “Ideen hast du. Du wirst es schon überleben.”
Fünf Minuten später war es zwar eng, aber lustig. Lustig für mich, denn Hina und Yoshi hatten sich in der Schule schon nicht ausstehen können.
“Das hast du mit Absicht gemacht”, fauchte sie mir zu. Dabei hatte sie es doch ganz bequem auf Yoshis Schoß.
Ich schwenkte kurz die silberne Tafel. “Wir können tauschen.”
Das wirkte. Hina winkte ab. “Vielleicht habe ich das kleinere Übel, danke.”
“Wer ist hier ein Übel?”, klang Yoshis beleidigte Stimme auf.
2.
“AAAACHTUNG!” Fünfzig Paar Stiefel klapperten auf dem Beton, als ihre fünfzig Besitzer herum wirbelten und in Hab Acht-Stellung gingen. Fünfzig hochrangige menschliche und kronosianische Offiziere standen derart präzise stramm, als würde gleich der gesamte fünfzigköpfige Legat eintreffen.
Das junge, dunkelblonde Mädchen mit den tiefen Augenringen schien dabei ein schlechter Ersatz zu sein, wenn man sich die Männer und Frauen nicht genauer ansah. Ihre Gesichter fieberten vor Eifer, die Augen glänzten, und so mancher Mund hatte sich zu einem stolzen Grinsen verzogen.
Diese fünfzig Männer und Frauen, Kronosier und Menschen, waren angetreten um die zerrissene Menschheit zu einen, die zweihundertsieben Staaten der Erde in einer Föderation zu verbinden, dem Krieg und dem Elend ein Ende zu setzen und die Eroberung des Weltalls voran zu treiben. Nun, die meisten wollten nebenbei noch unanständig reich werden, aber das war ja auch nicht verboten.
Dem blonden Mädchen folgte eine weißhaarige Schönheit, die so selbstbewusst auftrat, als würde sie vor ihrer Schulklasse sprechen, und nicht vor einem der wichtigsten Offizierskorps des Imperiums.
Der dritte, der folgte, war ein riesiger, schwarzhaariger Japaner mit einem Kreuz, aus dem man zwei machen konnte. Er war bullig, hatte das Gesicht eines Preisboxers und die Seele eines Kriegers. Auch wenn er gerade nicht den Mund aufbekam, galt er als Dichter, Schöngeist und exzellenter Redner.
Die fünfzig Männer und Frauen, die hier angetreten waren, salutierten wie ein Mann, als die drei eintraten. Mit ihnen verbanden sie die meisten ihrer Hoffnungen, ihrer Wünsche. Die gesammelten, geballten Wünsche des Pantheons, der absoluten Sondereinheit der Kronosier. Zu ihnen gehörten auch die drei Kompanien der Hekatoncheiren; genauer gesagt führten die Hekatoncheiren das Pantheon an, obwohl Major Megumi Uno nicht die ranghöchste Person in dieser Organisation war.
Megumi Uno legte die Linke zum Gegengruß an die Stirn, als sie ans Rednerpult getreten war.
Sie nahm die Hand wieder ab und die Offiziere des Pantheons beendeten ihren Salut.
Lilian Jones, Captain der Kottos-Kompanie, postierte sich rechts, Captain Takashi Mizuhara links.
“Setzen”, klang Megumis Stimme auf. Unbewusst wollte sie mit ihrer Rechten durch ihren Pony fahren, aber der beißende Schmerz erinnerte sie wieder an ihre Verletzung, und warum der Arm ruhig gestellt war.
“Ich bedanke mich bei Ihnen allen für Ihr Kommen.” Sie sah in die Runde. “Danke an das Hephaistos-Bataillon, dass sich der Anführer Clifford Monterny von der Südsibirien-Kampagne freimachen konnte.
Danke an das Hermes-Regiment, dass General Ino die befestigten Igelstellungen trotz der schwierigen Kampflage in China verlassen konnte.
Danke an das Gaia-Regiment, dass auf Colonel Jackson Hayes für den Moment verzichtet hat, obwohl die Amerikaner den Waffenstillstand nutzen, um die Truppen an der Demarkationslinie von Anchorage zu verstärken.
Und mein besonderer Dank gilt Colonel Goran Kurosz vom Auslandsgeheimdienst, dass er sich trotz der Vielzahl an geheimen Operationen in Europa freimachen konnte.”
Sie legte eine Kunstpause ein und atmete durch.
“Danke Ihnen allen und Ihren Offizieren, dass Sie so kurzfristig erscheinen konnten. Ich komme gerade direkt von Hawaii, wo ich mit meinen wichtigsten Offizieren in einer Konferenz mit dem Zweiten Vorsitzenden des Legats gesprochen habe, Juichiro Tora.
Und ich bringe keine guten Neuigkeiten.”
Leises Raunen ging durch die Soldaten. Wenn Major Uno davon sprach, dass es keine guten Neuigkeiten gab, dann mussten sie gelinde gesagt beschissen sein.
“Um es auf den Punkt zu bringen, unsere geheime Offensive gegen die Dämonenwelt läuft nicht besonders gut. Die Dämonen werden uns binnen Monatsfrist vernichtend geschlagen haben.”
Das Raunen wurde lauter, Unruhe trat ein. “Außer natürlich, wir setzen die Hekatoncheiren ein. Ja, ich weiß was Sie alle sagen wollen. Mein gebrochener Arm ist Zeichen genug dafür, dass wir die Hekatoncheiren dringender auf der Erde brauchen. Und das die Dämonenwelt, mit der Legat Tora seinen Privatkrieg ausfechtet, für uns und unsere Pläne von einer geeinten Welt nur ein Nebenschauplatz ist.
Aber Tatsache ist, dass wir an diesem Nebenschauplatz verlieren werden. Wir haben hier zwei Möglichkeiten: Entweder wir sehen dabei zu, wie zwei Divisionen gut ausgebildeter Daishi-Piloten und Bodentruppen vor die Hunde gehen, wie es unsere Befehle sagen. Oder wir holen sie da raus, bevor das Legat anfängt, die Namen der beiden Divisionen aus den Aufstellungslisten zu streichen und die Erwähnung ihrer Soldaten zu verbieten.”
Wieder wurde geraunt. In der Armee der Kronosier gab es keine Niederlagen, keine Verluste. Wer starb – noch dazu in der Niederlage – wurde einfach aus den Daten ausradiert. Wer in einer hoffnungslosen Lage gefangen war, wurde nicht entsetzt, falls es keinen Gewinn bedeutete, diese Person oder Einheit zu retten.
Und genau dies stand Drachen- und Tiger-Regiment bevor.
“Was ich von Ihnen allen wissen will ist: Decken Sie die Hekatoncheiren, wenn ich diese ungenehmigte Rettungsoperation durchführe?”
Wieder wurde geraunt. Die Männer und Frauen stritten sich, heftige Argumente wurden ausgetauscht. Schließlich stand der ranghöchste Offizier auf. General Sakura Ino nickte Megumi Uno und ihren beiden Offizieren zu. “Sie haben die volle Unterstützung des Pantheons, Major. Sehen Sie aber zu, dass Sie die Aktion schnell durchziehen. Mit jeder Stunde die sie dauert, laufen Sie Gefahr mitten im Einsatz zurückgepfiffen zu werden.
Und Sie wissen was das heißt.”
Megumi nickte schwer. “Ja, das weiß ich. Und ich habe nicht vor, einen solchen Befehl zu verweigern.”
Nachdenklich sah sie wieder in die Runde. “Wir alle sind hier zusammengekommen, weil wir sowohl das Schlechte als auch die guten Möglichkeiten im Handeln des Legats sehen. Wir sind zusammengetreten und haben diese Organisation gegründet, um die Pfründe des Legats so gut es geht zu unterbinden, und die für die Erde und die Menschen sinnvollen Dinge zu unterstützen. Das Pantheon ist nicht nur der Vorreiter in der Eroberung der Erde, es ist auch das Bollwerk gegen die negativen Entscheidungen des Legats. Zwischen Mars und Erde stehen wir, wir allein.”
Diese Worte waren so nahe an Subversion, dass die Menge spontan den Atem anhielt. Als aber der erste Offizier applaudierte und immer mehr einfielen, hatte das Pantheon den letzten Schritt getan. Von einer Organisation Offiziere mit gleichen oder ähnlichen Interessen zu einer loyalen Opposition innerhalb des kronosischen Heeres.
Und Megumi Uno war nun in diesem Moment nicht nur Anführer des Pantheons geworden, sondern auch die Führerin dieser Opposition. Und das wusste sie auch. Es half nicht gerade, ihre Augenringe zu verkleinern.
Lilian Jones legte eine Hand auf Megumis Schulter und lächelte sie an. Es war ein entschlossenes, aber auch zufriedenes Lächeln.
“Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen allen”, sagte Megumi Uno und tätschelte Lilians Hand auf ihrer Schulter.
Takashi sah sie beide mit ernster Miene an. “Wir sollten uns beeilen. Ich habe die Vorbereitungen bereits treffen lassen, aber der nächste Zugang zur Dämonenwelt wird sich schon in neun Stunden im südchinesischen Meer öffnen. Das Bataillon dahin zu verlegen wird jede Minute kosten, die wir noch haben.”
“Verstanden, Senpai.”
Megumi verbeugte sich vor den versammelten Offizieren und trat dann mit ihren Soldaten ab.
Eine Stimme der Vernunft hatten sie sein wollen, Schutz für Zivilisten, eine Art Gestaltgewordene Haager Landkriegsordnung oder Genfer Konvention. Und nun war sie auf dem besten Wege, vielleicht gegen ihre Herren im Legat rebellieren zu müssen. Es war ein langer Weg bis hierhin gewesen.
Schmerzhaft machte sich Megumi bewusst, dass sie im Pantheon zwar die Elite der Streitkräfte vereinigt hatten, aber diese nur lächerliche sieben Prozent der Armee ausmachte und nicht ein einziges Schiff einschloss.
Ein Widerstand, ein wirklicher Widerstand würde schwer fallen. Wenn es denn so weit kommen würde.
***
Die Heimreise dauerte acht Stunden. Als wir Senso Island erreichten, war es bereits früher Morgen.
Ich hatte es einigermaßen bequem gehabt und sogar etwas schlafen können. Aber Hina und Yoshi hatten sich entweder angeblafft oder angeschwiegen.
Mehrere Stunden mit so wenig Freiraum miteinander verbringen zu müssen, vor allem wenn man den anderen nicht mochte, war sehr hart.
Meine Idee, mich mit Hina zu verausgaben, konnte ich jedenfalls vergessen. Ihre Laune hatte einen absoluten Tiefpunkt erreicht.
Senso Island war eine der größeren Inseln der Spratly-Gruppe. Vor dem Angriff der Kronosier war es umstrittenes Territorium gewesen, beansprucht von China, den Philippinen und Taiwan. Auf einzelne Inseln hatte sogar Vietnam Anspruch erhoben.
Senso Island war damals als Militärbasis ausgebaut, doch das Equipment wieder von den Rotchinesen abgezogen worden, als die Mandschurei Ziel einer massiven Invasion geworden war. In diese Lücke waren wir gestoßen – und bisher noch nicht entdeckt worden.
Dieser Flecken Land mitten im südchinesischen Meer war einfach zu unbedeutend, und damit unser bester Schutz.
Einladend leuchtete der viereckige Eingang des Hangars zu uns herüber, während die Bodenstation uns einwies.
“Senso Island, hier Senso Island. Willkommen zurück, Akira-Gumi. Ich hoffe, Ihr wart erfolgreich.”
“Wie man es nimmt, Makoto. Rate mal, wer hier neben mir sitzt.”
“So wie du die Frage formulierst sicherlich nicht nur Hina. Hat Yoshi also eingewilligt mitzukommen?”
Ich lächelte dünn. “Es war nicht gerade so, dass ich ihm eine Wahl gelassen hätte.”
“Das passt zu dir, Akira. Die Landung ist freigegeben. Zur Zeit sind keine Satelliten im Orbit, die unsere Aktivität aufspüren könnte. Verzichtet trotzdem auf Landelichter.”
“Verstanden.”
Ich setzte meinen Hawk als ersten auf und ging mit ihm die restlichen Schritte zum Hangar.
Dort erwartete uns eine jubelnde Menschenmenge. Techniker, Soldaten, Zivilisten, eine bunt gemischte Truppe an Rassen und Nationalitäten. Sie verband nur eines, der Kampf gegen die Kronosier, der nun mittlerweile fünf Jahre von dieser Insel ausging. Genauer gesagt vier Jahre und elf Monate, nachdem ich auf meiner Flucht vor den Kronosiern diese Insel in Beschlag genommen hatte. Ich hatte keine Lust mehr gehabt wegzulaufen, und eine Kuriosität hatte mir die Chance geboten, zurückzuschlagen.
Nachdem ich die Boarding Bay erreicht hatte, entriegelte ich das Cockpit, entfernte die Anschlüsse des Druckanzuges und nahm den Helm ab. Eine Brücke fuhr direkt an das Cockpit heran und hilfreiche Hände streckten sich mir, Yoshi und Hina entgegen. Hauptsächlich Hina.
Hinter uns verließen die anderen Piloten ihre Mechas, zusammen mit ihren Fairies und dem jungen Geheimdienstmann, der uns eingewiesen hatte. Der Boden in Kathmandu war zu heiß für ihn geworden, um auf herkömmliche Weise zu verschwinden, darum hatte Yuri ihn mitgenommen und auf den verwaisten Bordschützenplatz gesetzt. Er war wahrscheinlich der einzige Eagle-Pilot der Welt, der die Waffen und die Steuerung ohne Leistungseinbußen zugleich bedienen konnte.
Karl kam zu mir herüber, musterte den Hawk und brummte ein paar misstönende Laute. “Elf Stunden”, brachte er schließlich hervor. So lange würde es also dauern, um die Gefechtsschäden zu entfernen.
“Drei minimal.” So lange würde es dauern, bis er voll funktionstüchtig war, ohne dass die Lackierung und die kleineren Macken ausgebessert worden waren.
Ich klopfte dem Deutschen auf die Schulter. “Du machst das schon, alter Mann.”
“Natürlich. Ich mache es doch immer. Und ohne mich wärst du vollkommen…”
“Aufgeschmissen, verloren und hilflos wie ein Kind.”
“Du sagst es.”
Ich klopfte dem alten Mann auf die Schulter, er boxte mir spielerisch in die Rippen.
Gemeinsam mit Yoshi schritt ich durch die jubelnde Menge. Wieder einmal waren wir gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner angetreten und wieder hatten wir ohne eigene Verluste gewonnen. Verdammt, wenn wir doch nur zwanzig, nein, zehn Mechas mehr mit Fairies ausrüsten konnten, dann… Ich schnaubte frustriert. Damit hätten wir die Welt auch nicht retten, geschweige denn verändern können. Nicht, dass wir es nicht trotzdem versuchten.
“Akira!”
“Mako.”
Mein Cousin musterte mich streng. Oh, das konnte er wirklich. Sein hübsches Gesicht konnte sich so sehr verziehen, dass es selbst einem Ausbilder der US Marines Angst und Bange wurde.
“Keine Verluste, keine gravierenden Gefechtsschäden”, sagte ich schnell, um ihn zu besänftigen. Als Chef des Einsatzstabs plante er unsere Aktionen gegen die Kronosier, genauer gesagt unsere Nadelstiche, mit denen wir diesen Riesen zu fällen gedachten.
“Die anderen?”
“Auch nichts Gravierendes.”
Mako atmete durch. Das sichtbare Zeichen, dass der ernste Teil vorbei war.
Gönnerhaft schlug er mir auf die Schulter. “Na dann… Gute Arbeit da draußen. Hast du es?”
Grinsend hielt ich die silberne Platte hoch. Und unwillkürlich wich Makoto einen Schritt zurück. “Z-ziel damit doch nicht auf mich, ja?”
Seufzend steckte ich die Platte wieder ein.
“Makoto-kun!” “Yoshi! Schön dich wieder zu sehen!”
“Makoto-kun! Ich habe gehört, sie haben so schlimme Sachen mit dir im Gefängnis angestellt! Ich habe gehört, dass…”
“Dass sie mir einen Arm abgeschlagen haben? Die Augen ausgestochen? Ach Quatsch.”
“Uff. Da bin ich aber erleichtert.”
Makoto lächelte den großen Mönch an. Von einem Moment zum anderen hatte er in den “Ich bin niedlich” – Modus geschaltet.
“M-Makoto-kun…”
Mein Cousin griff nach Yoshis Unterarm und zog ihn mit sich. “Es ist bereits alles für dich vorbereitet, mein Großer. Du kriegst ein eigenes Zimmer – natürlich direkt neben meinem. Ich habe bereits genormte Sachen für dich raus legen lassen, und selbstverständlich das Badezimmer aufgefrischt. Leider hat es nur eine Dusche. Zum baden wirst du in das Gemeinschaftsbad gehen müssen, das…” Unwillkürlich zerrte Mako am Umhang des Mönchs und roch daran. “Ich glaube, wir ziehen das Bad vor, was?”
Belustigt sah ich dabei zu, wie Yoshi von Makoto fortgezerrt wurde. Ich hoffte nur, mein Cousin würde es nicht übertreiben. Früher waren die beiden sehr gut miteinander ausgekommen. Dann war ich ausgebrochen, Mako verhaftet und Yoshi ein Mönch geworden. Alles hatte sich anders entwickelt als wir es uns ausgemalt hatten. Also gönnte ich Mako die Chance, den alten Freund tüchtig zu necken. Und Yoshi, den alten Freund wieder zu sehen.
“Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man die zwei glatt für ein Pärchen halten”, meldete sich Yuri zu Wort. Der schlanke Russe grinste schief. “Kann ja sogar noch werden.”
“Ich glaube kaum. Makoto hat zwar immer noch diesen Spleen, manchmal als Frau aufzutreten, aber es wäre mir neu, dass er sich wirklich was aus Männern macht.”
“Er macht sich aber auch nichts aus Frauen.”
“Oh doch”, murmelte ich geheimnisvoll, grinste Yuri an und ging.
“Moment, Akira, du weißt da doch etwas, was ich nicht mitgekriegt habe. Akira, sei kein Schwein und verrate es mir. Akira!”
Am Geländer der Boarding Bay stand ein junger Asiat. Er zog gerade ein Tank Top über seinen nackten Oberkörper, und als ich die schwere Pelzjacke und das schweißdurchtränkte Leinenhemd zu seinen Füßen sah, wusste ich auch warum.
Nun, einige der Frauen hier schienen zu hoffen, dass er auch noch die dicken Hosen wechselte.
“Sie sind?”
Der Mann fuhr zusammen, nahm Haltung an und salutierte. Ich erwiderte den Salut.
“Freier Japanischer Geheimdienst. Captain Mamoru Hatake, Sir. Ich habe Sie und die Akuma-Gumi eingewiesen.”
Ich salutierte ebenfalls und reichte dem Mann die Hand. “Das war sehr gute Arbeit, Mamoru Hatake. Ich will Sie ab sofort in meinem Team haben.”
“Das bedeutet eine große Ehre für mich, Sir.” Zögernd, aber mit festem Griff, schüttelte er meine Hand.
“Kommen Sie, begleiten Sie mich ein Stück.”
“J-ja, Sir.”
Ich verließ die Boarding Bay, trat auf den Hangarboden und von dort vor die Halle. Draußen war es dunkel, wir hatten eine Neumondphase. Und einen Sternenhimmel, der seinesgleichen suchte. Drüben im Osten glänzte ein besonders prachtvoller Stern. Das war der OLYMP, die obere Plattform des Fahrstuhlsystems, welches mein Vater gerade für das Kronosische Imperium erstellte.
Ich war gespannt, wer schneller sein würde. Mein Onkel Jeremy Thomas mit den Amerikanern, oder Vater mit Hilfe der Kronosier. OLYMP gegen ARTEMIS. Ein interessantes Rennen.
“Wissen Sie, Captain, ich habe das eben ernst gemeint. Ich will Sie wirklich für die Akuma-Gumi haben.”
“Und wie ich sagte, Sir…”
“Akira. Und sagen Sie mir nicht, was ich hören will, nur um sogleich etwas anderes zu tun.”
“Ja, Sir. Ich meine, Akira, Sir.”
“Besser.”
Ich blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken. Der Sternenhimmel war wirklich eine Wucht.
“Was denken Sie, Mamoru? Von welchem verdammten Lichtfleck sind die Kronosier zu uns gekommen? Dem da? Oder dem? Oder ist es eine Welt die um eine Sonne kreist, die wir mit bloßem Auge nicht sehen können?”
“Eine schwierige Frage.”
“Allerdings.” Ich sah zu dem Geheimdienstmann herüber. “Wissen Sie, warum wir mit Ihrem Vater zusammenarbeiten – und damit mit dem Freien japanischen Geheimdienst?”
“Um den Widerstand aufrecht zu erhalten?”
“Nein, eigentlich nicht. Wir arbeiten zusammen, weil nur unsere beiden Organisationen, die Akuma-Gumi und der FJG, nicht korrumpiert werden können. Beide Organisationen sind auf der Flucht und nur beseelt von einem Wunsch: Diese Welt von den Kronosiern zu befreien. Alle anderen kochen ihr eigenes Süppchen. Ihr Vater, Tatewaki, und mein Vater, Eikichi, haben das verstanden. Die Akuma-Gumi ist die Essenz dieses Verständnisses.”
Ich sah zu Boden, ging in die Hocke und legte eine Hand auf die Erde. “Die Kronosier haben uns überrollt, uns vernichtend geschlagen, bevor wir überhaupt reagieren konnten. Japan fiel als erstes Land und wurde auch als erstes Land politisch indoktriniert. Unsere Streitkräfte, sofern sie nicht fliehen konnten, gehorchen nun der Stimme der Legaten und die halbe Welt betrachtet uns als feindlich.
Die einzigen, die gegen dieses Bild stehen, das sind wir, die wenigen Truppen im Ausland, die von den Verteidigungsstreitkräften noch übrig sind, und Ihr Geheimdienst.
Wenn Sie es so wollen, Mamoru, sind wir der militärische Arm der FJG.”
Ich bezweifelte, dass er mein Grinsen sehen konnte, aber sicherlich spürte er es. “Soweit unsere Interessen übereinstimmen. Was nicht immer der Fall ist.”
“Verstehe.”
“Hm. Unsere Gruppe wächst nur langsam, weil wir die Besten der Besten brauchen. Andere, schwächere Piloten oder Soldaten einzusetzen wäre Mord, offener Mord. Deshalb will ich Sie haben, Mamoru. Einen überlegenen Soldaten aus der Elite der Elite.”
Ich klopfte dem Mann gönnerhaft auf die Schulter. “Außerdem hat der alte Tate somit einen Mann direkt an unserem Puls und kann den Einfluss auf uns ausweiten.”
“Wenn die Interessen übereinstimmen.”
“Unsere Interessen werden von unserer Umgebung definiert. Gehört Mamoru Hatake zur Umgebung, definiert er ebenfalls unsere Interessen.”
“Okay, jetzt verstehe ich. Und danke, Akira. Ich glaube ich weiß langsam, warum Vater so viel von so einem jungen Burschen hält. Ich werde drüber nachdenken und Ihnen morgen eine Antwort geben. Aber bis dahin…”
“Bis dahin?”
“Bis dahin würde ich es furchtbar nett finden, wenn Sie mir mit einer Uniformhose und einem Raum zum Wechseln aushelfen könnten. Diese Pelzdinger sind in Kathmandu recht praktisch, aber hier schwitze ich mich zu Tode.”
Ich lachte laut. “Na, dagegen kann man was tun. Hina, ich weiß, dass du lauschst! Komm, ich habe Arbeit für dich.”
Hinter uns raschelte es, aus einem nahen Gebüsch trat eine schlanke Frauengestalt hervor. “Nicht Hina. Die versucht im Gemeinschaftsbad zusammen mit Ami einen Blick auf die beiden nackten Kerle Yoshi und Makoto zu erhaschen.”
“Wahrscheinlich zusammen mit achtzig Prozent der anderen Frauen, hm?”
“Eher so um die achtundachtzig.”
Ich schmunzelte. “Und warum gehört Akane Kurosawa nicht zu diesen achtundachtzig Prozent?”
Akane trat zu uns. “Akane Kurosawa findet den Muskelbepackten Oberkörper von Mamoru Hatake interessanter. Eigentlich hatte ich ja gehofft, dass du ihn zu einem nächtlichen Bad im Meer überredest.”
Ich kratzte mich am Haaransatz. “Nee, keine Chance. Ich stehe nicht auf große, muskulöse Kerle.”
Akane verdrehte die Augen in gespielter Verzweiflung. “Akira. Hast du es denn so nötig, dass bei dir jedes Argument auf Sex hinausläuft?”
“Zu eins: Ja. Zu zwei: Nein. Nur wenn es offensichtlich ist.”
Akane räusperte sich vernehmlich.
“Wie dem auch sei. Mamoru, ich vertraue Sie nun den erfahrenen Händen von Akane Kurosawa an. Sie ist eine unserer Fairies und nebenbei selbst Hawk-Pilotin. Ich verspreche Ihnen, dass sie die Finger von Ihnen lässt, solange Sie ihr keine Einladung geben.”
Ich taxierte sie mit einem nachdenklichen Blick. “Zumindest hoffe ich das.”
“Akira!”, rief sie entrüstet.
Sie griff nach Mamorus Händen und zog ihn hinter sich her, zurück zum Hangar.
“Kommen Sie besser mit, Captain. Akira Otomo mag der beste Mecha-Pilot auf diesem Planeten sein, aber er kriegt es viel zu selten, und dann wird er ein ziemlicher sexistischer…”
“Das ist ein allgemeines Männerproblem, Akane-chan!”, rief ich ihr hinterher, was sie mit einem abwertenden Gelächter kommentierte.
“Schließe nicht immer von dir auf andere, Akira-chan.”
Ich lachte bei diesen Worten. Und dankte Gott, dass das zerlumpte, gefolterte Bündel Mensch,
welches wir vor vier Jahren bei einem Angriff auf Hokkaido zur Rettung Makotos in einem kronosianischen Hochsicherheitsgefängnis gefunden hatten, nun wieder eine lebenslustige schöne junge Frau war.
Unwillkürlich ballte ich die Hände. Manche Kronosier waren in Ordnung, Leute, die ich in meinem Team hätte haben wollen, so wie Daisuke Honda. Manche waren auch nicht ekliger als das Gros der Menschen. Und dann gab es wieder Psychopathen und Schweine, die dringend eine Therapie brauchten. Und denen man Macht gegeben hatte. Ich hatte mir sagen lassen, dass siebzig Prozent der Legatsmitglieder so waren. So und nicht anders. Konnte man nicht alle Gerechten einen? Die Kriege beenden? Die Welt retten?
Manchmal dachte ich, das wäre mein einziger Lebenszweck. Und manchmal dachte ich, was ich doch für ein arroganter Bastard war, von mir selbst zu erwarten, dass ich die Welt retten konnte. Und manchmal hatte ich Angst, es nicht zu schaffen.
“Einen Cent für deine Gedanken, Akira-chan.”
Ich verzichtete darauf, meinen Schreck zu zeigen oder auf einen Beinahe-Herzinfarkt hinzuweisen, als ich mich der neuen Stimme zuwandte. “Kitsune. Du sollst dich doch nicht so anschleichen.”
Die Dämonin in der Gestalt einer mittelgroßen, rothaarigen Frau kniff die Augen zusammen und glich wirklich einem Fuchs, einer Füchsin, um genau zu sein. Sie hatte mir erzählt, dass sie die Herrin der Fuchsdämonen war. Und ich hatte oft genug gesehen, dass sie sich in einen Fuchs verwandelt hatte. Aber im Moment hatte sie ihre Menschenform inne – in einer wirklich netten Variation der khakifarbenen Felduniform der Akuma-Gumi. Statt der braunen Hosen trug sie zum Hemd einen extrem kurzen Minirock, und statt der Stiefel neckische Sandalen.
“Das war kein Anschleichen. Das war ein Test, ob dein Kreislaufsystem noch immer auf dem hervorragenden Niveau der letzten Jahre ist.”
“Kitsune. Ich sollte dich übers Knie legen”, drohte ich mit mäßigem Ernst.
“Aha. Akane hatte also Recht. Du kriegst es nicht oft genug und machst aus allem gleich einen sexuellen Akt.”
Seufzend legte ich eine Hand an die Stirn. “Kitsune, bitte.”
Ich spürte, wie sie mich umarmte und ihren Kopf auf meine Brust legte. “Ich hätte da gerade überhaupt nichts gegen, Akira-chan. Ich meine, du bist so groß und stark und du riechst so gut, und… Sag mal, freust du dich so sehr mich zu sehen oder ist das ein Revolver in deiner Hose?”
Ich seufzte erneut und zog die silberne Grabplatte hervor.
“Oh, du hast es. Das ist gut. Wir werden uns morgen ausgiebig damit beschäftigen. Aber jetzt erst mal…”
“Kitsune”, mahnte ich, ernster diesmal.
Murrend löste sie sich von mir. “Ist ja gut. Also ehrlich, Akira-chan, wenn du alle deine guten Gelegenheiten bei den Frauen um dich herum ausschlägst, dann verstehe ich Akane. Wer ist eigentlich der Mönch? Yoshi oder du?”
Ich beugte mich vor und gab der Füchsin einen flüchtigen Kuss auf den Mund. “Ich schlage nicht aus, Kitsune. Ich schiebe auf.”
Misstrauisch beäugte sie mich. “Versprochen?”
“Versprochen. Wer belügt schon eine Dämonenkönigin?”
“Vorsicht, Akira Otomo, ich nehme dich beim Wort.”
Sie griff nach der Silberplatte und musterte sie einige Zeit. “Komm raus!”
Ich fuhr erschrocken zusammen. Erstens, weil ich diesen Befehlston bei Kitsune eigentlich nur hörte, wenn einem das Wasser bis zur Unterlippe reichte. Zweitens, weil der fluoreszierende Nebel wirklich nicht jedermanns Sache war. Und drittens, weil ich wirklich ein Problem mit der großen Gestalt in dem weißen wehenden Gewand mit den zwei Hörnern und dem grotesk deformierten Gesicht hatte.
“Wer hat mich aus meinem Schlaf gerissen?”, grollte die Gestalt. Sie sah auf und ihre Augen blitzten.
“Der da”, meinte Kitsune mit einem fiesen Grinsen und deutete auf mich. Eigentlich hatte sie zwischen den Zeilen gesagt: Greif lieber den an, denn gegen mich hast du keine Chance.
Der Dämon, unverkennbar ein Oni, stürzte auf mich zu, aber problemlos wich ich aus.
“Das ist ‘ne Maske, oder? Ich meine, wer kann denn so ein Gesicht haben?”
“Sterblicher Mensch, ich werde dich…”
Ich griff an, tauchte knapp unter ihrem Schlagarm hindurch und griff in das weite, weiße, wallende Haar im Nacken. Tatsächlich ertastete ich einen Knoten und konnte ihn teilweise öffnen, bevor ich die Reichweite der weißen Gestalt verlassen musste.
“Was tust du?”, rief der Oni verzweifelt. “Du kannst doch nicht einfach… Was bist du nur für ein Mensch?”
Wieder griff ich an, versuchte sie auf der anderen Seite zu umgehen. Sie wich aus, leider in die falsche Richtung, und es endete damit, dass wir beide zu Boden stürzten. Übrigens eine reife Leistung für ein immaterielles dämonisches Wesen, sich plötzlich wie ein lebender und atmender Mensch anzufühlen – und nebenbei gesagt, so himmlisch weich.
Der Knoten im Nacken löste sich, die Maske fiel herab, entlarvte die weißen Haare als Accessoire, und machte einem wirklich hübschen Frauengesicht Platz, das mich entsetzt ansah. Nun gut, dass sie eine Frau war, hatte ich vorher schon an der Stimme erkannt. Und es hatte sich bestätigt, als sie auf mich gefallen war. Seitdem hielt ich unfreiwillig ihren rechten Busen in der Hand. Was wohl ihren entsetzten Blick erklären konnte.
Erschrocken fuhr sie hoch, wirbelte herum. “Wie kannst du mir das antun? Wie kannst du mich an dieser Stelle berühren? Welche Schande! Wenn ich nicht schon tot wäre, dann müsste ich jetzt Selbstmord begehen!”
Mühsam rappelte ich mich auf. “Ach komm. Erstens ist da nichts, wofür du dich schämen müsstest, und zweitens war es ein Unfall. Also bitte, stell dich nicht so an.”
“Du hast leicht reden. Du warst ja auch nicht in dieser Platte gefangen. Du… Wieso konntest du mich berühren?”
Erschrocken sah sie Kitsune an und ich registrierte, dass die Frau wirklich sehr, sehr gut aussah. “Er konnte mich berühren, Sama.”
“Das habe ich auch gemerkt. Vor allem, wo er dich berührt hat.”
“Nun koch nicht wieder diese Sache mit dem nicht ausgelastet sein hoch, Kitsune”, bat ich ärgerlich. “Es war ein Unfall, nur ein Unfall!”
“Ja, sicher, Akira-chan.”
“Ist er ein KI-Meister?”, fragte der Oni.
“Ja, und zwar ein ziemlich starker KI-Meister. Auch wenn er es selbst noch nicht weiß und im Moment eher einem Stahlblock denn einem scharfen Schwert gleicht.”
“Was zum Henker ist ein KI-Meister? Und könnt Ihr bitte in meiner Gegenwart nicht in der dritten Person über mich reden?”
“Ein KI-Meister… Und er kann mich berühren.”
Die Oni verbeugte sich vor mir. “Sama! Ich bitte euch, mich in eure Dienste aufzunehmen. Es ist nicht viel was ich kann, aber…”
“Wolltest du mich nicht gerade noch töten?”, warf ich ironisch ein.
“Das war bevor ich gemerkt habe, dass Ihr vielleicht meinen Fluch aufheben könnt, Sama.”
“Deinen Fluch?”
Sie erhob sich und starrte auf ihre Hände. “Meinen Fluch. Das Blut Dutzender unschuldiger Menschen, das an meinen Händen klebt, und…”
Wieder warf sie sich zu Boden. “Sama! Ich bettele Euch an!”
“Entschuldige, junge Dame, aber du bist bereits für etwas anderes vorgesehen”, sagte Kitsune. Sie trat zur Oni vor und musterte sie entschlossen.
“Akira. Gib ihr einen Namen.”
“Hm. Was man einen Namen gibt, gehört einem. Ist das der Gedanke, Kitsune?”
“Ja.”
“Mir fällt gerade kein guter Frauenname ein. Bis es das tut, nenne ich dich Akari. Ist das in Ordnung?”
“Akari. Der Name gefällt mir. Du heißt jetzt Akari. Und nun kommen wir gleich zur Aufgabe, die dir zugedacht ist, Hunderttöter.”
Akari zuckte zusammen, als Kitsune sie Hunderttöter nannte. Verzweifelt sah sie zur Fuchsdämonin hoch.
“Ich werde einen Teil deiner Substanz aufzehren, Akari. Aber freue dich, das Ergebnis wird… Nett sein.”
Die Füchsin legte beide Hände auf Akaris Gesicht. Kurz darauf blendete mich ein Lichtblitz, von dem ich nicht bezweifelte, dass er im Weltall gesehen werden konnte.
Und ein Schrei marterte meine Ohren, wie ich ihn nicht einmal gehört hatte, als ich in dem kronosischen Gefängnis eingekerkert gewesen war.
3.
“Oooooookay. Erklär es mir noch mal!” Hina starrte mit vor Zorn blitzenden Augen auf mich herab. Und sie starrte wirklich herab. Kaum ein Mensch beherrschte diesen Blick so gut wie sie. Die sechs Jahre Kampf hatten sie reichlich gerissen gemacht. Sie konnte ihre Möglichkeiten nun sehr gut einschätzen, und nutzte es aus. Gnadenlos.
“Hör mal, Hina-chan…”
“Genau das will ich. Hören. Und was macht die überhaupt wieder hier?”
“Was denn, was denn, Hina-chi. Neulich hattest du noch nichts gegen mich.”
“Hina-chi?”, fragte ich interessiert.
Kitsune kniff lächelnd die Augen zusammen. “Och, ich habe neulich mit Hina-chi gebadet. Das war lustig.”
“Ihr habt gebadet?”
“Nicht das Thema wechseln!”, rief Hina aufgebracht. “Außerdem haben wir wirklich nur gebadet, was dabei getrunken und uns über Jungs unterhalten.”
“Ich sagte doch, es war lustig.”
“Also, Akira”, sagte Hina bestimmt und kam mir so nahe, dass ich ihren Atem schmecken konnte, “wer ist dieses junge Mädchen neben Kitsune-chan?”
“Äh, das ist Akari, meine… Dienerin?”
Hina japste vor Aufregung. “Deine… Deine Dienerin?”
Ami Shirai hob eine Hand. “Frage, Chef. Was für eine Art von Dienerin?”
“Tja, das weiß ich ehrlich gesagt selbst nicht. Kitsune hat es mir noch nicht so genau erklärt.”
“Wie kommt sie überhaupt auf diese Insel? Ich meine, der gesamte Geheimdienst der Kronosier schafft es nicht, und dann gelingt es dieser… Sechzehnjährigen?”
“Vierhundertelfjährigen”, half Akari aus.
“Vierhundertelfjährigen, danke. Vierhundert… Was bitte?”
“Nun, Akari-chan war in der silbernen Grabplatte gefangen.”
“Du meinst, sie ist ein Geist?”
Vehement schüttelte ich den Kopf. “Nein, sie war ein Geist. Kitsune hat sie… Ja, was hast du überhaupt mit ihr gemacht?”
Die Füchsin lachte. “Na, was wohl? Ich habe einen Menschen aus ihr gemacht. Dazu musste ich aber einen Teil ihrer Substanz aufzehren. Energie existiert eben nicht im Überfluss, und KI in Fleisch zu transformieren ist erstens schwierig und zweitens…”
“Du hast sie zu einem Menschen transformiert?”, rief Hina ungläubig.
Ich, Akari und Kitsune nickten.
“Aber… Aber… Aber… Wie geht das denn?”
“Du, das ist eine schwierige Frage. Sie erfordert enorme Beherrschung des KI und eine langjährige Erfahrung. Sie ähnelt ein wenig meiner Transformation, wenn ich mich wieder in einen Fuchs verwandle, und… Na, auf jeden Fall ist es möglich. Natürlich gelang das nur, weil Akari ganz tief drinnen in ihrem nun wieder schlagenden Herzen vom Wunsch erfüllt ist, ihre schwere Sünde wieder gut zu machen, die auf ihr lastet. Es ist eine Art zweite Chance für sie.”
“Okay, das mag ja alles sein. Aber abgesehen davon, dass dies hier kein Platz für Kinder ist, wie soll sie uns im Kampf gegen die Kronosier helfen?”
Ich unterdrückte ein Auflachen, als Hina das mit den Kindern sagte. Andere waren nicht so diskret.
Kitsune nickte in Akaris Richtung. “Nun, sie ist eine Fairy. Genau wie du. Außerdem dient sie uns als ehemaliger Oni als Anker.”
“Fairy? Als Mensch ist sie eine Fairy? Nett, aber was meinst du mit Anker?”
“Das kann ich wohl am besten erklären”, sagte eine tiefe Frauenstimme hinter uns.
Daran wie Hina erbleichte erkannte ich, wer da hinter uns angekommen war. Ich hatte selbstverständlich bereits die Stimme erkannt.
Ich drehte mich um. “Dai-Kuzo-sama. Wir haben uns ewig nicht gesehen.” Sanft nahm ich die uralte Dämonin in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
“Das stimmt. Fünf Jahre sind eine kleine Ewigkeit. Ich hoffe, Kitsune und Okame haben dir nicht zu viele Probleme bereitet.”
“Okame nicht…”
“Akira-chan!”, beschwerte sich die Füchsin und blies entrüstet die Wangen auf.
Die große Spinne lächelte dazu. “Hina-chan. Ihr alle. Akari ist wirklich eine Fairy, weil tief in ihr der Wunsch ruht, Gutes zu tun, wie dieser Wunsch auch in euch die Erweckung zur Fairy bereitet hat. Und sie ist ein Anker. Mein Anker, um leichter von der Dämonenwelt in die Menschenwelt zu wechseln. Was mir nach Toras Manipulationen, nun, etwas schwer fällt.
Übrigens, genau zum richtigen Zeitpunkt, denn es sieht ganz so aus, als würden die Kronosier eine neue Offensive planen. Die Hekatoncheiren sind auf dem Weg zum hiesigen Tor.”
“Die Hekatoncheiren?” Verdammt, die Besten der Besten. “Weckt sofort alle Stabsmitglieder. Und gebt Daisuke den Befehl, sofort zurück zu kommen! Akari-chan, du bist auch dabei. Ebenso Yoshi und Mamoru. Und selbstverständlich Dai-Kuzo-sama.
Wenn die Kronosier die dreiköpfigen Riesen schicken, wird es ernst für uns.”
***
Der Sprung ins südchinesische Meer bedeutete für die Daishis keine große Anstrengung. Die Fusionsreaktoren lieferten unbegrenzte Energie für den Antrieb.
Lediglich der logistische Albtraum sechzig Mechas zu verlegen und dies vor den Vorgesetzten zu verheimlichen war ein Problem.
Megumi flog mit ihrem Daishi Gamma an der Spitze der Formation. Hinter und neben sich wusste sie Lilian und Takashi. Auf beide war absoluter Verlass. Aber das hatte sie auch von Daisuke gedacht, bevor der Ältere sie so bitter enttäuscht hatte.
Was war schon dabei, einen kronosianischen Biocomputer von innen zu sehen? Sie empfand nichts dabei, absolut nichts. Zumindest nichts, was sie nicht unterdrücken konnte.
Aber Daisuke… Er hatte seine Herkunft fortgeworfen, seinen Offiziersrang mit Füßen getreten, seinen Daishi Daedalus gestohlen und war mit einem Biotank auf und davon geflohen.
Eigentlich hätte er nirgends auf der Welt sicher sein sollen, nicht als Kronosier und nicht mit dieser Beute. Aber irgendwie hatte er es nicht nur zu der Akuma-Gumi geschafft, er hatte sogar Akira Otomo dazu gebracht, ihn aufzunehmen.
Als Shiroi Akuma galt er nach Otomo als der Gefährlichste in der Runde.
Megumi musste es wissen. Sie hatte den einen ausgebildet und gegen den anderen gekämpft.
Verdammt, manchmal wünschte sie sich, es könnte auch für sie so einfach sein, von heute auf morgen die Sachen zu packen und zu verschwinden. Aber sie wusste nur zu genau, dass nicht alles schlecht am kronosischen System war. Und dass sie und nur sie zwischen dem Schlechten und der Menschheit stand.
Sie und ihre Handvoll Verbündeter, die die letzten acht Jahre genutzt hatten, um die Kronosier zu infiltrieren und in eine weniger zerstörerische Richtung zu lenken.
Wäre da nicht dieser verteufelt gute Akira Otomo gewesen, zusammen mit seiner Akuma-Gumi… Nein, sie wurde ungerecht. Akira nützte ebensoviel wie er schadete. Vielleicht nützte er sogar weit mehr als dass er schadete. Immerhin lenkte er die unsäglichen Amerikaner ab, beschäftigte die Russen, hielt die Chinesen nervös und besaß auch noch die Frechheit, beste Kontakte nach Europa zu haben.
Als Verbündeter musste er unendlich wertvoll sein. Als Freund, als Vertrauter, als…
“Geht es dir gut, mein Mädchen? Dein Puls beginnt gerade zu rasen. Außerdem hat sich dein Gesicht gerötet.”
“Schon gut, Amber. Mit mir ist alles in Ordnung.”
Die K.I. ihres Mechas ließ einen Laut hören, den man durchaus als Nichtbilligung interpretieren konnte, verzichtete aber auf weitere Kommentare.
“Ich habe nur gerade an Blue Devil gedacht.”
“Blue Devil? Akira Otomo? Gehst du die Lektion in Gedanken durch, die er uns erteilt hat? Oder was beschäftigt dich?”
Wütend knirschte sie mit den Zähnen. “Wir waren mal Freunde, habe ich das schon erzählt? Unsere Familien waren so eng befreundet, dass ich mit Akira und Yohko quasi zusammen aufgewachsen bin. Makoto war auch dabei und Sakura unsere große Schwester, die auf die ganze Rasselbande ein Auge hatte. Und Makoto immer in Mädchenklamotten von mir und Yohko steckte, weil er so süß darin aussah. Und dann…”
“Und dann?”
“Und dann bekam der Geheimdienst einen vollkommen unsinnigen Tipp und holte Yohko ab, um sie zum Verhör zu bringen. Sie kehrte nicht mehr zurück. Die Kronosier sprachen von einem Herzfehler und einem absoluten Kreislaufzusammenbruch mit Todesfolge.”
“Ich verstehe. Und Akira Otomo hat das nicht geglaubt und hat so lange protestiert, bis…”
“Falsch. Er griff nach einem scharfen Schwert und hat drei der Agenten getötet, bevor er überwältigt werden konnte. Er hat die ganze Zeit an die Unschuld seiner Schwester geglaubt. Dafür landete er ein halbes Jahr im Gefängnis. In einem der schlimmsten Gefängnisse, die das Imperium unterhält.”
“Ein halbes Jahr für dreifachen Todschlag ist aber ein mildes Urteil”, kommentierte die K.I.
“Oh, verurteilt wurde er zu lebenslang. Er war nur ein halbes Jahr im Gefängnis, weil er ausgebrochen ist. Bei dieser Aktion soll er Dutzende Wachen getötet, einen allgemeinen Gefängnisaufstand ausgelöst und zwanzig reguläre Armeesoldaten ausgelöscht haben.”
“Hm. Er scheint ein gesunder und fähiger Junge zu sein. Falls er nicht längst ein durch geknallter Psychopath ist.”
“Er ist kein Psychopath!”, blaffte Megumi wütend. Leiser fügte sie hinzu: “Zumindest hoffe ich das.”
“Hm, es scheint, dass du immer noch was für ihn fühlst, obwohl er uns beim letzten Mal so schlecht hat aussehen lassen.”
“Irgendwie schon, Amber. Auch wenn Vater immer sagt, ich soll ihm so weit es geht aus dem Weg gehen. Wir sind zusammen aufgewachsen. Das steckt in meinen Knochen. Ich werde es nicht los.” Sie sah auf ihre Hände. “Dennoch wird einer von uns den anderen töten. Ich weiß es.”
“X minus einhundert. Schatz, so gern ich mit dir plaudere, aber das Tor ist knapp vor uns. Es wird Zeit, dass du Befehle gibst.”
“Ist gut, Amber. Öffne mir einen Kanal.
Hergehört, Hekatoncheiren. Dies ist eine Rettungsoperation. Da ich mir den Arm gebrochen habe, kann ich leider nicht überall zugleich sein, also seid bitte dieses eine Mal selbstständiger.”
Rauhes Gelächter antwortete ihr. Megumi grinste still.
“Wir gehen rein, lokalisieren Tiger und Drachen und beschäftigen ihre Gegner, bis sie sich mit ihren Daishis und Transportern bis zum Portal zurückgezogen haben. Verstanden?”
“Roger!”
“Viel Glück euch allen. Major Uno Ende und aus.”
Langsam zog ihr Mecha das gewaltige Herkules-Schwert vom Rücken, die allerneueste Entwicklung aus den marsianischen Labors. Ein wenig hatten sie dabei zur Artemis-Lanze gelinst, mit der Aoi Akuma in letzter Zeit herumflog. Herausgekommen war eine fünf Meter lange Klinge aus karbonversetztem, ultrahochverdichtetem Stahl, das in seinem Futteral für den Zeitraum einer Zehntelsekunde vibrieren konnte. Megumi hatte noch nichts gefunden, was sie damit nicht hatte schneiden können. Aoi Akumas Hawk ein paar Gliedmaßen abzutrennen stand auf jeden Fall ganz oben auf ihrer Wunschliste.
***
Ihr Mecha setzte hart auf dem Boden auf. Sie feuerte eine Salve Raketen, die den nahen Wald in Brand setzte. Das würde die Dämonen nicht töten, aber aufhalten, hoffentlich lange genug, damit sich die Neunte Panzerkompanie der Drachen geordnet zurückziehen konnte.
“Briareos Top ist da! Dem Himmel sei Dank, Briareos Top ist da!”
“Nicht nur ich, die gesamten Hekatoncheiren. Ich will den Captain sprechen!”
“Lieutenant Mills hier. Der Captain ist tot. Fünf Dachsdämonen haben seinen Tank zerrissen, als er sich aus unserer Formation zurückfallen ließ.”
“Sie sind jetzt der Captain, Mills. Ordnen Sie Ihre Leute und ziehen Sie sich zur Hauptbasis zurück. Dort verstärken Sie den Verteidigungsriegel, bis Sie Befehl zum Verladen bekommen.”
“Verladen? Heißt das…?”
“Das heißt es. Wir sind nicht als Entsatz hier, wir sind die Rettungsmission.”
“Dann waren wir knapp davor, aufgegeben zu werden?”
“Falsch”, kommentierte Megumi und schoss mit einer weiteren Raketensalve nach einem Geschwader Vogeldämonen. “Sie wurden bereits aufgegeben.”
“Aber was machen dann die Hekatoncheiren hier?”
“Das Richtige. Und jetzt führen Sie meinen Befehl aus, Captain Mills!”
“Aye, Ma´am! Sofort!”
Die fünf Panzer begannen sich langsam nach hinten zurück zu ziehen während die Kanonenpanzer weitere Salven in den brennenden Wald abfeuerten und die beiden Flak-Panzer die fliegenden Dämonen davon abhielten, näher zu kommen.
Megumi lächelte schwach, während sie sich langsam nach hinten zurückzog. “Briareos Top hier. Vorderste Linie gesichert. Neunte Kompanie kehrt zurück. Ziehe mich ebenfalls zurück. Status der Evakuierung?”
“General Yorric hier. Evakuierungsbefehl geht an alle Einheiten raus. Bisher haben alle überlebenden Truppen bestätigt. Die Evakuierung ist unsere große Achillesferse. Wie lange könnt Ihr die Dämonen aufhalten?”
“So lange wie nötig. Immerhin sind wir die Hekatoncheiren. Wie sehen die beiden Divisionen aus?”
“General Strater ist tot, vor einer Stunde in einem Hinterhalt gefallen. Ein Spinnendämon. Seine Drachen-Division hatte bisher zwanzig Prozent Totalverluste. Aber die restlichen achtzig Prozent wurden mehr oder weniger angeschlagen, nicht wenige stehen selbst davor als Totalverlust abgeschrieben zu werden. Meine Tiger-Division steht nicht viel besser da. Siebzehn Prozent Verluste, der Rest ist mehr oder weniger hart angeknackst.”
“Teilen Sie mir einige der weniger beschädigten Daishis zu, General. Sechzig Mechas können nicht überall sein.”
“Verstanden! Verstärkung ist unterwegs!”
“So, die Panzer haben den Wald verlassen. Wir können jetzt auch weg, Schatz.”
“Gut, Amber. Aber habe ein Auge auf die Sensoren. Ich verstehe nicht, warum die Dämonen die Gelegenheit nicht zu einem Angriff auf uns nutzen. Wir stehen hier gerade wundervoll alleine herum. Eine sehr gute Gelegenheit, den Hekatoncheiren den Kopf abzuschlagen.”
“Nun, vielleicht haben sie Angst vor dir, Schatz?”
“Angst? Wohl eher weniger.”
“Respekt?”
“Entweder das”, gab Megumi zögerlich zu, “oder dies hier ist eine Falle.”
Langsam zog sie den Daishi nach hinten zurück. Aber nirgends brach plötzlich die Erde auf, um eine Horde Tierdämonen auszuspeien. Auch die Vogeldämonen stürzten sich nicht als dichter Pulk auf sie herab. Aber eine einsame Gestalt stand in der Ferne, vielleicht vierhundert Meter entfernt.
Megumi zoomte heran. Es war eine groß gewachsene Frau mit tiefschwarzem Haar, die ein langes, schwarzes Kleid trug. Ihr Lächeln hatte etwas Süffisantes.
“Vierhundert Meter. Eine Aufladung des Herkules-Schwertes kann sie erwischen.”
“Nein, Amber. Das halte ich für keine gute Idee. Wir ziehen uns ebenfalls zurück. Wenn wir dabei Munition oder Energie sparen können, ist mir das ganz Recht.”
Megumi trat die Pedale der Düsen durch, ihr Daishi hob vom Boden ab und flog in Richtung der sich zurückziehenden Panzer und Daishis zurück.
Dabei hatte sie einen erstklassigen Blick auf das riesige Dämonenland. Nun, zumindest auf einen Teil, eine weite, grün bewaldete Ebene, die im Norden und Osten von riesigen Bergen begrenzt wurde. Eigentlich eine sehr schöne Ecke, aber sie bezweifelte, dass sie hier jemals Urlaub machen konnte.
“Was die Frau wohl wollte?”, sinnierte Amber.
“Vielleicht wollte sie nur sicher gehen, dass wir uns zurückziehen?”
“Etwas in der Art, Daishi Jo-oh”, erklang direkt neben Megumi eine Stimme.
Erschrocken fuhr sie herum, riss ihre Dienstwaffe aus ihrem Holster, aber der gebrochene Arm war ihr in diesem Moment nicht sehr hilfreich. Außerdem entkräftet genug, um von der großen, schwarzhaarigen Frau mit einer nebensächlichen Bewegung wieder herunter geschoben zu werden.
Nachdenklich musterte die Frau Megumi, und sie machte sich klar, dass dies eine Dämonin sein musste, vielleicht sogar eine Dämonenkönigin.
“Mit dieser Verletzung hat man dich in den Kampf geschickt? Schätzen die Kronosier ihre eigenen Leute so gering? Tss.”
“Ich wurde so nicht in den Kampf geschickt. Ich bin von selbst gekommen, um meine Kameraden aus diesem unsinnigen Gemetzel zu retten! Ich…”
“Von selbst gekommen? Das ist ja noch schlimmer. Und dumm. Aber irgendwie auch süß…
Darf ich dir einen Handel vorschlagen? Ich heile deinen Arm, und dafür darf ich dich küssen.”
“Ich küsse keine Mädchen! Außerdem trage ich einen Helm!”
“Gut. Ich bin nämlich kein Mädchen, sondern eine Frau. Und der Helm ist absolut kein Problem.”
Die schwarzhaarige Dämonenkönigin senkte den Kopf zu ihr herab, durchdrang Panzerung und Plastik ihres brandroten Helms, als wäre es nur ein Hologramm, und drückte dann ihre Lippen auf die von Megumi.
***
“Major Uno!” “Was?”
“Major Uno, Sie befinden sich seit einer Minute im Steigflug! Captain Mizuhara hat mich mit fünf Daishi Briareos losgeschickt um Sie zu stoppen! Sie sind bereits in drei Kilometern Höhe!”
“Es… Es geht mir gut. Steigflug gestoppt. Amber?”
“Ich bin hier. Aber uns fehlen zwei Minuten unserer Zeit. Bei dem Datenaustausch mit den anderen Daishis habe ich festgestellt, dass…”
“Schon gut, schon gut.” Megumi hielt sich den schmerzenden Kopf mit beiden Händen. Diese Frau, war es ein Traum gewesen? Und wenn ja, warum träumte sie so einen Mist? Vor allem, warum in dieser Situation?
“Schatz, du bewegst deinen rechten Arm normal! Er ist nicht mehr gebrochen!”
“Was?” Erschrocken hielt sie sich den Arm vor Augen. Diese Frau, dieser Kuss… Sie hatte Wort gehalten!
Ein eiskalter Schauer ging ihr über den Rücken. Wer war das bloß? Wem war sie da begegnet? Und warum hatte die Dämonin sie küssen wollen, anstatt sie zu töten?
“Major Uno, wir sollten zum Sammelpunkt fliegen. Die Dämonen rücken nicht nach und das macht den General nervös. Das Beladen geht ausgesprochen schnell voran, und je weniger Fehler auftreten, desto unruhiger werden unsere Leute.”
“Das brauchen sie nicht. Das brauchen sie wirklich nicht. Die Dämonen haben gesiegt. Sie lassen die Überlebenden nach Hause humpeln.” Langsam schloss Megumi die Hände um ihre Steuerung. “Glaube ich.”
“Im Moment wäre mir das ganz Recht.”
“Nicht nur Ihnen. Den Überresten von zwei Divisionen auch. Achtung, ich übernehme die Spitze.”
“Aye, Ma’am.”
Sie führte ihren Mecha an die Spitze der Formation und zog in Richtung der Landezone zurück. Aber wenn sie in diesem Moment auf den Boden gezoomt hätte, dann hätte sie die Frau aus ihrem Cockpit gesehen, die sehr zufrieden hinter ihr herblickte. Und sie hätte diese Frau sagen hören können: “Du bist interessant, Fremdweltlerin. Sehr interessant.”
***
Das Portal lag nicht weit von uns entfernt, genauer gesagt nicht einmal achthundert Kilometer. Ein Katzensprung für alle fünf Akumas.
Wir flogen dicht über dem Wasser, um eine Ortung durch die Kronosier zu erschweren.
Wenn sie tatsächlich eine neue Offensive gegen unsere Verbündeten fuhren und dafür die Hekatoncheiren einsetzten, konnte es sich nur um den Versuch handeln, dieses militärische Abenteuer doch noch zu drehen und die Dämonen mit einem Massenbombardement in die Knie zu zwingen, das die Bombardierungen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, die Granantenströme in Korea und das Flächenbombardement in Vietnam wie eine zweitklassige Übung aussehen lassen würden.
Es gab da noch die Option, dass die Hekatoncheiren einfach bei der Evakuierung der Truppen halfen, aber für so vernünftig schätzte ich die Kronosier nicht ein. Sie hatten zu viele schlechte Leute in der Kommandostruktur.
“Bereit machen”, raunte ich.
“Roger!”
“Dai-chan, bist du fertig?”
“Ich habe auch Roger gesagt”, zischte der Kronosianer wütend. In seiner Stimme klang absolute Konzentration mit. Er war ein sehr guter Pilot, fast so gut wie ich. Und mit seiner Fairy fast nicht zu schlagen. Aber erstens steckte seine Fairy die meiste Zeit in einem Biotank, um unseren Supercomputer zu koordinieren, und zweitens griffen wir hier seine alte Einheit an, die Hekatoncheiren.
“Das meinte ich nicht. Bist du fertig?”
“Es mag meine alte Einheit sein, aber mich verpflichtet nichts mehr. Ich habe alle Brücken zu ihr abgebrochen, nachdem ich Joan mitsamt dem Tank gerettet habe.”
Ich lachte rau auf. “Joan, was ist mit dir?”
“Mir geht es gut, Akira. Aber können wir die Sache schnell zuende bringen? Die Escaped wollen nachher zu einer schwierigen Rechenoperation zusammen treten und ich muss sie koordinieren. Außerdem muss ich noch die neuesten Videos rendern und die Band will das neue Stück noch mit mir üben.”
Ich grinste schief. Joan Reilley, befreit aus einem Biotank, in dem sie gezwungen gewesen war, als biologische Rechenmaschine für die Kronosier in einem mehrfach vernetzten Supercomputer zu arbeiten, tat dies nun für uns.
Nur mit dem Unterschied, dass unsere vierundzwanzig Escaped, wie wir unseren eigenen Supercomputer nannten, freiwillig zu ihren Rechenoperationen in die Tanks stiegen.
Was übrigens ihre Rechenleistung unter Joan im Vergleich zu den kronosianischen Modellen rapide erhöhte, in denen die Menschen meistens in einer Traumwelt dahin dämmerten und gar nicht wussten, was mit ihnen geschah.
Ansonsten war sie unsere Tokio Rose, unser Propaganda-Minister, unsere Stimme an die Welt. Mit ihren Songs und Videoclips, die illegal im Internet verbreitet wurden, unterstützte sie unseren Kampf gegen die Kronosier und rief die Welt zur Geschlossenheit auf.
Obwohl, die meisten ihrer Lieder machten ehrlich gesagt einfach nur Spaß und waren eher unpolitisch. So viel Spaß, dass die meisten ihrer Songs die weltweiten Airplay-Charts anführten.
“Ich will sehen, was ich für dich tun kann, Joan.”
“Ortung!”, gellte Yuris Stimme auf. “Akira, verdammt, zwei Zerstörer und ein Kreuzer lauern vor dem Portal!”
Das bedeutete automatisch auch zweihundert Mechas. Verdammt, wollten die Kronosier tatsächlich Kriegsschiffe in die Dämonenwelt schicken? Das gab der Bombardierungstheorie Vorschub.
“Daishis Agamemnon tauchen aus dem Portal auf. Sie eskortieren einen Panzertransporter!”
“Ich gebe zu, jetzt bin ich etwas verwirrt. Rotieren sie die Truppen in der Dämonenwelt eventuell nur?”, murmelte ich.
“Wohl kaum”, kommentierte Kei, als der Kreuzer das Feuer auf den Transporter eröffnete.
Das schwerfällige Gebilde wurde mehrfach getroffen, von Explosionen überschüttet und gierte Richtung Wasser. Aus über zwanzig Meter Höhe stürzte der Gigant ab. Dem nachfolgenden Infanterietransporter erging es nicht besser, während die Daishis vom Begleitschutz auseinander spritzten.
“Verdammt, eine Strafaktion! Auf Seiten der Transporter sind Hekatoncheiren!”, rief Philip aufgeregt.
“Primus, schalte mich auf die kronosischen Gefechtsfrequenzen.”
“Roger.”
“…spricht Major Megumi Uno! Stellen Sie das Feuer ein, ich wiederhole, stellen Sie das Feuer ein!”
“Admiral Henderson hier, Ma´am. Ihre Hekatoncheiren haben nichts zu befürchten und können frei abziehen. Aber dieses Gestalt gewordene Übel, die Drachen- und Tiger-Divisionen müssen ausgemerzt werden, bevor ihre besiegten Truppen die Moral unserer Leute infizieren wie ein gefährlicher Virus!”
“Aber das ist Wahnsinn! Ich bin nicht bereit dabei zuzusehen, wie Sie zwei komplette Divisionen Bodentruppen abschlachten!”
“Ich befürchte, Sie haben gar keine andere Wahl. Dies ist eine interne Entscheidung der Marine, und ich werde sie durchführen. Ziehen Sie sich zurück, Major Uno. Ich würde ungern dem Legat erklären müssen, warum ich das Aß der Armee habe abschießen lassen müssen.”
“Das werden Sie aber tun müssen!”, blaffte Megumi zurück. “Hekatoncheiren! Angriff!”
“Roger!”
Ich überschlug schnell die Rechung. Acht Transporter pro Division, angeschlagene Mechas, dazu die Hekatoncheiren. Auf der anderen Seite zweihundert frische Daishis aller Klassen sowie ein Kreuzer und zwei Zerstörer.
Megumi Uno war ein tapferes Mädchen, wenn sie sich bei dieser enorm schlechten Kräfteverteilung dazu entschloss die beiden Divisionen zu verteidigen.
Hm, eigentlich war das eine sehr gute Gelegenheit, um den Kronosiern mal so richtig den Arsch aufzureißen.
“Megumi-chan, kannst du vielleicht Hilfe gebrauchen?”
Hina sah erschrocken zu mir herüber. Auch von den anderen vier Mechas des Akuma-Gumi kamen Laute des Erstaunens.
“Akira, bist du das? Wo steckst du?”
“In Gefechtsreichweite. Also, wie ist es? Darf ich dir mit der Akuma-Gumi zur Hand gehen?”
Ich spürte ihr Zögern, ihren inneren Kampf, als würde ich ihre Hand halten und ihr dabei in die Augen sehen. Ich konnte deutlich fühlen, wie sie abwog: Zweitausend Menschen und Kronosier auf der einen Seite, Akira Otomo auf der anderen Seite. Leben retten oder die Gelegenheit nutzen, vielleicht das Aß der Asse zu schlagen.
“Wir haben einen temporären Waffenstillstand, Akira.”
“Verstanden. Also, meine lieben Teufel, heute gibt es Kreuzer zum Mittag!”
“Dann nichts wie ran ans Buffet!”, rief Daisuke und beschleunigte mit Hilfe der Aura-Kraft seiner Fairy.
Wir folgten ohne zu zögern, während Yuri seinen Eagle steigen ließ, um in optimale Fernkampfposition zu kommen.
Er eröffnete als Erster das Feuer und erzielte den ersten Abschuss auf unserer Seite.
Daisuke huschte durch die Reihen der Gyes, seiner alten Einheit, und jagte auf den linken Zerstörer und seinen Verteidigungskordon zu.
“Ich brauche eine Tür zum Zerstörer!”
“Kriegst du, Daisuke”, klang Takashis Stimme auf. “Übrigens, es ist schön, dass wir mal wieder auf der gleichen Seite stehen. Auch wenn es nicht für lange ist.”
Die Hekatoncheiren von Gyes sprangen vor, durchflogen das feindliche Abwehrfeuer und machten deutlich, warum sie als die Besten galten. Takashi und Daisuke flogen nun Seite an Seite auf den Zerstörer zu, der nun nicht mehr auf die Transporter feuerte, sondern sich voll auf die Abwehr konzentrierte.
Takashi schoss vor, auf den Rumpf des Zerstörers zu, und schaltete im ersten Anflug zwei Flak-Geschütze aus. Er wurde getroffen, taumelte, kam aber schnell wieder hoch.
“TAKASHI!”
“Nichts passiert. Nur ein Streifschuss. Jetzt liegt es an dir, Daisuke, das Tor ist offen!”
Das ließ sich der Mann, der den Ehrennamen White Devil trug, nicht zweimal sagen. Seine Fairy aktivierte ihre Aura, umspülte die Artemis-Waffe in seiner Rechten mit ihrer Kraft und beschleunigte den Mecha hart. Mit einem Aufschrei stürzte Daisuke auf die Aufbauten nieder, die Klinge seiner Waffe durchdrang den Stahl wie Butter, die Brücke wurde vollkommen zerstört. Kurz darauf gierte der Zerstörer weg und driftete Richtung Meeresoberfläche.
“Verpiss dich! Ich brauche keine Hilfe!”
“Wie kommst du nur darauf, dass ich dir helfen will, Kronosiertussi? Ich hole mir den Zerstörer vor dir, das ist alles!”
Ein entrüstetes Schnauben von Lilian Jones antwortete Kei Takahara. “DAS wollen wir doch erstmal sehen!”
Ich zoomte das Geschehen heran und beobachtete wie Kei und Lilian durch die Verteidiger des zweiten Zerstörers fuhren, im direkten Angriff auf die Waffenaufbauten.
Der Kapitän zog sein Schiff zurück, wie es schien vorsichtshalber, nachdem er das Schicksal seines Schwesterschiffs mitbekommen hatte.
“Lass sie spielen”, kommentierte Philip gelassen. “Konzentrieren wir uns lieber auf die hundert Mechas des Kreuzers. Das Mistding feuert immer noch auf Transporter. Vier liegen schon im Bach.”
Das bedeutete fünfhundert unmittelbar bedrohte Leben.
“Okay. Megumi-chan, hast du Lust, mit mir ein wenig zu spielen?”
“Sprich, Akira!”
“Die Brücke eines Kreuzers ist leider zu gut geschützt, als dass ich sie mit der Artemis-Lanze erwischen könnte. Aber ich schaffe es in den Maschinenraum, wenn du mir hilfst.”
“Was soll ich tun?”
“Deck mir den Rücken, während wir uns durch die Daishis des Kreuzers kämpfen.”
“Roger!”
Megumi schloss zu mir auf, wir flogen Seite an Seite auf den Gegner zu.
Die Artemis-Lanze in meiner Hand wurde zum personifizierten Tod, zum Ende von zwei Daishi Briareos, während sich Megumi sehr erfolgreich mit einem Daedalus anlegte.
“Philip, du musst mir die Tür öffnen!”
“Chef, nach oben ist die Verteidigung zu dicht! Du musst durch die Katapulte eindringen!”
“Megumi!”, rief ich und schleuderte die Artemis-Lanze. Der Daishi Daedalus, der sie von hinten beinahe geköpft hätte, explodierte in der Luft, als sein Reaktor durchging.
Die Artemis-Lanze fiel beinahe unbeschädigt dem Meer entgegen.
Megumi tauchte ab, fing sie auf und – “AKIRA!”
Ihr Schwert flog heran, ehrlich ein sehr interessantes Ding, das meine Aufmerksamkeit von der ersten Sekunde an beansprucht hatte, direkt auf mich zu. Ich wich leicht aus, und die Klinge bohrte sich in den Torso eines Gilgamesch. Das Cockpit wurde aufgeschlitzt und beendete das Leben des kronosischen Piloten sehr schnell und sehr nachdrücklich.
“Danke!”
“Jetzt sind wir wohl quitt.”
Ich griff nach dem Schwert, wog es in der Hand meines Hawks. “Primus, was denkst du?”
“Gut ausbalanciert, kann ebenso wie eine Artemis-Lanze aufgeladen werden.
Übrigens ist dieses Schwert kein Argument dafür, dass Sie die Bewegung des Hawks gestoppt haben, Sir. Der Kreuzer schießt sich auf uns ein!”
Irritiert riss ich den Mecha tiefer – und entging so einer Salve aus drei Mecha-Abwehrgeschützen.
“Das Ding kann aufgeladen werden. Hina?”
Sie lächelte verschmitzt. “Probieren wir es.”
“Philip, Megumi, ich brauche ein Tor und ich brauche es jetzt!”
“Das schaffen wir nicht! Nicht nur mit meinen Briareos!”
“Gyes ist da! Wir helfen Aoi Akuma!”
“Hey, Takashi, ich bin ja auch noch da! Manieren hast du! Akira, der linke Zerstörer und sein Begleitschutz sind Fischfutter. Wir öffnen die Tür für dich!”
“Nun beansprucht mal nicht den ganzen Ruhm für euch, meine Herren!”, klang Lilian Jones’ Stimme auf. Sie rauschte heran, ihre Kottos im Schlepp.
“Ich und Kei-chan haben da wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden!”
“Kei-chan?”
“Hey, das gemeinsame Vernichten eines Zerstörers bringt Menschen eben zusammen”, scherzte Kei Takahara.
“Egal was Sie vorhaben, tun Sie es schnell. Meine beiden Divisionen sind sonst bald mal gewesen!”
“Du hast General Yorric gehört. Was immer du tun willst, tue es jetzt!”
Die Mechas der Hekatoncheiren und meiner Akuma-Gumi schossen vor, auf den Absperrriegel der Daishis vor dem Kreuzer – wenn sie nicht ohnehin schon mit ihnen im Kampf waren – und kämpften sie nieder. Dutzende Mechas, Angreifer wie Verteidiger, taumelten als brennende Wracks zu Boden.
“Tun wir es”, sagte Hina ernst.
Ich nickte. “Oben herum ist die Verteidigung zu dicht. Aber es gibt immer einen Weg! Ich leihe mir das Ding hier mal, Megumi-chan!”
“Ist in Ordnung, deine Lanze liegt mir sowieso mehr.”
Hina aktivierte ihre Aura, das Cockpit füllte sich mit einem unwirklichen, strahlend weißen Licht. Ich ergriff ihre linke Hand und drückte sie.
Sie lächelte erneut.
Der Mecha machte einen mächtigen Satz nach vorne, schoss durch die Reihen der Kämpfenden hindurch auf den Rumpf des Giganten zu.
Ich spürte es kaum, wie die Aura auch mich erfasste, dann den Hawk und schließlich die Klinge. Wütend brüllte ich auf, die Schneide des Schwertes verlängerte sich mit purer Aura-Kraft um das zehnfache!
Ich zog den Hawk nach unten, unter dem Rumpf durch, während Abwehrfeuer nach dem Mecha tastete, Raketen uns verfolgten und noch so mancher gemeine Gruß der Daishis hinter uns herkam.
Dann berührte meine Waffe die Außenhülle des Kreuzers.
Wieder brüllte ich, trieb den Mecha voran, jagte ihn unter dem Rumpf des Kreuzers hindurch und zog ihn schnell nach unten, um nicht in den Mahlstrom der Triebwerke zu geraten.
Ich flog eine Kurve, bekam den Kreuzer wieder ins Sichtfeld. “Hat es geklappt?”
Mit dem Kreuzer ging eine merkwürdige Veränderung vor. Er klappte auseinander, als wäre er ein Transformer, beide Teile entfernten sich voneinander, bevor eine gewaltige Explosion das Ende des einstmals stolzen Schiffes verkündete.
“Akuma-Gumi! JETZT!”
Yuri, der uns die ganze Zeit mit Fernfeuer unterstützt hatte, feuerte eine Salve Raketen auf die Hekatoncheiren; ebenso verfuhren wir hier unten mit unseren Hawks. Ergebnis war eine dichte Bank aus künstlichem Nebel.
“Akira, was soll der Scheiß? Glaubst du etwa, jetzt wo die Schiffe zerstört sind, greife ich deine Akumas sofort an?”, klagte Megumi.
“Ich an deiner Stelle würde es tun. Letztendlich bin ich der größere Feind, oder?”
Die drei Hawks schossen aus der Nebelbank hervor, auf meine Position. Ich passte mich ihrem Kurs an und flog mit ihnen davon.
“Was ist mit meiner Herkules-Klinge?”, rief sie mir nach.
“Du hast doch gesagt, die Artemis-Lanze liegt dir mehr, Megumi-chan. Sieh es als Tausch an. Ach, und es war eine Ehre, zusammen mit den Hekatoncheiren zu kämpfen. Vielleicht bekommen wir ja erneut die Gelegenheit dafür.”
“Eher nicht. So oft retten wir keine Expeditionen in die Dämonenwelt”, erwiderte sie sarkastisch. “Also gut, behalte mein Schwert. Die Lanze liegt mir wirklich mehr. Ach, Akira. Du willst dich ja nur vorm aufräumen drücken. So warst du schon immer.”
Ich lachte leise. “Hast mich erwischt, Megumi-chan. Pass auf dich auf.” Kaum hörbar fügte ich hinzu: “Bitte.”
Ein Geräusch antwortete mir, das ich nicht einordnen konnte. Fast klang es wie ein trockenes Schluchzen. Aber Megumi?
Ich wechselte die Frequenz. “Das war gute Arbeit, Akuma-Gumi. Ich bin sehr zufrieden mit euch. Das einzige was uns nun noch bleibt ist die Schelte von Karl!”
“Das hatte ich ja fast vergessen!”, rief Daisuke entrüstet. “Vielleicht sollte ich schnell zurück desertieren.”
“Ach komm, so schlimm wird es schon nicht”, meldete sich Yuri zu Wort.
“DU hast ja auch gut reden. Du hast einen Fernkampf-Mecha. Wir sind es, die die Schäden einstecken.”
Lautes Gelächter antwortete ihm.
“Also, wenn jemand desertieren will, soll er es jetzt tun. Auf den Rest wartet eine Schelte unseres Cheftechnikers und…”
“Und?”
“Und?”
“Raus damit, Akira.”
“Und zwei schöne Dinge. Eine warme Mahlzeit und ein weiches Bett.”
“Klingt doch besser als desertieren”, rief Kei lachend.
Nachdenklich griff ich nach Hinas Hand und drückte sie. “Das war eine beeindruckende Leistung, die du vorhin gezeigt hast. Die Aura-Klinge die du produziert hast, war mächtig, wirklich mächtig.”
Sie beugte sich zu mir vor. “Akira. Du bist ein Idiot. Das war ich nicht alleine.”
“Was? Aber wer… Aber wie… Was?”
“Du bist wirklich ein Idiot! Wer sitzt denn hier noch im Cockpit?”
Erschrocken sah ich sie an. Dann hielt ich mir meine Hände vors Gesicht. Falls sich Kitsune nicht heimlich als Fuchs hier drin versteckte… War ich das gewesen? Hatte ich auch Aura-Kraft?
Ein merkwürdiger Gedanke. Furchterregend und erhebend zugleich.
“Na, danke. Noch ein Problem mehr.”
Hina verdrehte die Augen. “Idiot.”
Versöhnlicher fügte sie hinzu: “Aber du bist mein Lieblingsidiot, Akira.”
“Immerhin.”
Ich beschleunigte meinen Hawk. “Der Letzte Zuhause muss Karl beim reparieren helfen!”
Meine Freunde beschleunigten nun ebenfalls hart. Es versprach ein lustiges Rennen zu werden.
Ende