Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Eckdaten

  • Anna Todd (Hg.)
  • Imagines – Dein Star ganz nah (OT: Imagines)
  • Heyne 2017, 784 Seiten
  • Übersetzt von Nicole Hölsken
  • ISBN 978-3-453-42003-8

Der Titel des dickleibigen Buches ist Programm, das kann man nicht anders sagen. Es wird auch so schon als Definition vorangestellt: „Imagines – Eine Form der Fanfiction, in der der Leser als Hauptperson in die Story integriert wird.“ Die Herausgeberin fährt fort mit einer vertieften Reflexion: „Durch Fanfiction können wir uns kreativ und auf vertraute Weise mit Menschen austauschen, die genauso denken wie wir. Fanfiction inspiriert Millionen von Lesern und Autoren weltweit, und ich bin wahnsinnig stolz darauf, Teil dieser tollen Gemeinschaft zu sein.“

Anna Todd weiß, wovon sie spricht – sie hat als Fanautorin auf der Selfpublisher-Plattform Wattpad (von der auch alle in diesem Band versammelten Geschichten stammen) mit ihrer mehrteiligen, voluminösen Romansaga „After“ begonnen, die inzwischen auch erfolgreich verfilmt wird. Da war es nur völlig logisch, als der Gedanke aufkam, eine entsprechende Fanfiction-Anthologie aufzulegen, sie als Herausgeberin medienwirksam heranzuziehen. Herausgekommen ist ein interessantes Leseexperiment, das vielleicht manchen Ahnungslosen durch seine Optik (rosafarbener Umschlag!) oder sein schieres Volumen abschrecken mag … mich hat das, offen gestanden, eher angezogen. Gut, ich hatte zuvor schon den „After“-Zyklus von Anna Todd gelesen und rezensiert und war der Ansicht, halbwegs zu wissen, worauf ich mich hiermit einließ (großer Irrtum!). Dennoch habe ich angesichts des Preises (14,99 Euro) doch lange gezögert und erst zugegriffen, als der Band erfreulicherweise Ende 2019 preisreduziert zu finden war.

Und dann fing ich gemächlich an, so nach und nach die insgesamt 34 Geschichten zu schmökern, mit Wochenabstand dazwischen zuweilen. Aber keine Sorge, ich werde nicht über Gebühr spoilern oder den Großteil der Geschichten vorzustellen suchen, das würde erstens recht lange dauern und zum anderen die Leserneugierde vielleicht schmälern. Es ist besser, ein paar interessante Perlen herauszupicken, Strukturprinzipien der Geschichten aufzuzeigen und einen Teil der Prominenz zu nennen, um vielleicht Fans oder solche, die es werden möchten, anzusprechen.

Charakteristisch für diese Form der Fanfiction – von der ich bislang eher kaum etwas gelesen habe, ich gehöre auch nicht zu den Followern von Wattpad, zugegeben, auch wenn ich mich durchaus als Selfpublisher bezeichne – ist das Strukturmoment, dass sie alle aus der personalen Perspektive eines in der Regel namenlosen Ich verfasst sind, was einen sofortigen Sog des Lesers in die Geschichte zur Folge hat. Ich würde vermuten, es ist mehrheitlich für Leserinnen zugänglicher, weil die Majorität (vielleicht sind sogar alle Geschichten so verfasst, ich habe da jetzt nicht den Überblick) aus weiblicher Perspektive geschildert wird. Strukturell geht es um normale Bürgerinnen, die im Alltagsleben unvermittelt mit Berühmtheiten konfrontiert werden und mit ihnen interagieren.

Das klingt jetzt unspektakulär, überschreitet aber bisweilen durchaus die Grenzen zur Phantastik. Schauen wir uns beispielsweise mal die erste Geschichte an, die ich aufgrund der Tatsache, dass sie fast 60 Seiten lang ist, erst vergleichsweise spät gelesen habe. Ich neige halt dazu, kürzere Stories in Anthologien zuerst zu lesen, wohl wissend, dass zumeist die ausführlicheren die komplexeren Plots beinhalten. Eine Einschätzung, die sich hier wieder einmal bewahrheitet hat.

Kevin Fanning erzählt in „Kim Kardashians Selfies gegen die männliche Vorherrschaft“ eine nahe Zukunft, in der das Erstellen von Selfies verboten ist und Kim Kardashian als eine Prominente, die ständig Selfies zu machen pflegte, als Kriminelle in den Untergrund gedrängt wurde – eben weil sie damit nicht aufhört. Und schon sind wir in einer dystopischen Zukunftswelt, in der die Erzählerin dummerweise mit einem Regierungsagenten in einer Beziehung lebt … und dann auf einmal auf Kim Kardashian trifft, also „die“ Staatsfeindin Nummer Eins. Was dann, notwendig, zu Problemen führt.

Ebenfalls vergnüglich liest sich Annelie Langes „Superheld im Einsatz“, in der die Erzählerin unerwartet auf Chris Evans trifft, der bekanntlich im Marvel-Universum Captain America verkörpert. Wie mag der wohl im „realen Leben“ so sein? In dieser Geschichte erfährt man es.

In „Escape aus Ashwood Manor“ wird die Ich-Erzählerin überraschend mit Benedict Cumberbatch in einem „Sherlock“-Setting zusammengepfercht und muss mit ihm einen echten Kriminalfall lösen. Durchaus spannend inszeniert.

In weiteren Geschichten trifft man Prominenz wie Zac Efron, Jennifer Lawrence, Kylie Jenner, Jamie Dornan, Chris Hemsworth, die Schauspieler der Serie „Supernatural“, Tom Hardy, Emma Watson, Charlie Hunnam, Demi Lovato, Matt Damon (in einem bizarren „Bourne-Identity“-Setting) oder Tom Hiddleston.

Ein wenig knifflig war es natürlich für mich als Nicht-Serienfan, dass ich zahlreiche Personen nur flüchtig oder gar nicht kannte. Manche Leute konnte ich dementsprechend nicht einordnen, und darum übertrug sich die Fan-Begeisterung beim Lesen nur in manchen Geschichten. Aber ich würde mal sagen, das, was mich da mitgerissen hat, war schon wirklich bemerkenswert. Und wer beispielsweise wesentlich mehr von Musikern wie der Band „One Direction“ kennt oder Serien wie „Supernatural“ oder „Keeping Up With The Kardashians“, der hat hier jede Menge Aha-Effekte zu gewärtigen und kommt fraglos voll auf seine Kosten.

Natürlich, manche Geschichten sind einfach kurz und schlicht-schwärmerisch. Einige sind unübersehbar nur Wunschphantasien, für die manche Disney-Plots Pate gestanden haben. Beispielsweise wenn die Gegenwart von Promis dazu führt, dass Mauerblümchen auf einmal ihrerseits durch die Prominenten ins Rampenlicht geführt werden (so z. B. in Kassandra Tates Geschichte „Mit Michael Clifford auf den Ball“). Mitunter spielen auch klare Vorurteile eine wesentliche Rolle, die dann durch die reale Präsenz der Prominenz gründlich zerstäubt werden und unter Umständen dabei helfen, dem Leben der Erzählerin eine völlig neue Wendung zu geben (so geschehen in „Knock-out“ von Katarina E. Tonks).

Auch witzig sind Storys, in denen die Rolle zwischen Promis und Fans auf den Kopf gestellt wird. So schildert die Autorin unter dem Pseudonym Evansley in „Rollentausch“ ein alter Ego, das auf Wattpad (!) einen mehrteiligen Fanroman über Dylan O’Brien verfasst hat … und als man offiziell an sie herantritt mit dem Wunsch, dieses Werk zu verlegen, stellt sich heraus, dass einer ihrer größten Follower niemand Geringeres als Dylan selbst ist … was das zur Folge hat, ist durchaus lesenswert.

In die phantastische Sphäre gehören unbedingt die Geschichten „Supernatural – wie im echten Leben“ von E. Latimer sowie „Akuter Kim-Ernstfall“ von Kate J. Squires. Im ersten Fall wird eine Fan-Convention von der Ich-Erzählerin besucht, die großer Fan der Serie „Supernatural“ ist … wie groß ist ihr Schock, als sie auf einmal auf dieser Convention auf echte dämonische Wesen trifft, die die Verkleidungen nutzen, um hier munter Menschen zu massakrieren und ausgerechnet sie als Opfer auserwählt haben? Gut, dass es dann die Helden der „Supernatural“-Serie gibt, die ihr zu Hilfe eilen … und dann den geheimen Zweck solcher Fan-Conventions enthüllen!

In Squires Geschichte haben es Kim Kardashian und ihr Ehemann tatsächlich ins Weiße Haus geschafft, und es geht um die krisenhafte Frage, was man der anspruchsvollen First Lady denn nun zum Geburtstag schenken könnte … das ist dann schon fast eine Karikatur, aber eben auch klar aus einem Paralleluniversum.

Goldig sind auch solche Geschichten, in denen die Erzählerinnen erst gar nicht begreifen, dass sie es mit einem Promi zu tun haben. So geht es der Ich-Erzählerin in Anna Todds „Medium“. Und wirklich hinreißend, das lässt sich nicht anders sagen, ist „Ein englisches Herz“ von Kora Huddles (augenscheinlich das Pseudonym für Courtney McGehee), das uns ans Set des Marvel-Films „The Avengers“ versetzt und in die Maskenbildnerkabine von Tom Hiddleston, für den seine Ich-Erzählerin und Maskenbildnerin immer mehr zu schwärmen beginnt. Das ist einfach wirklich süß und war auch deshalb so wirksam, weil ich Hiddleston in seiner Rolle als Marvel-Halbgott Loki so sehr schätze. Die meisten der fast 70 Seiten der Geschichte fragt man sich unwillkürlich, wer hier wohl mehr auf dem Schlauch steht … ein köstliches Vergnügen.

Alles in allem ist so eine unglaublich dichte Sammlung mehrheitlich superromantischer Geschichten entstanden, die allerdings nicht allein auf Schwärmerei reduziert werden kann. Man erfährt hier auch sehr viel über die Schattenseiten des Starkults, über die Lebensumstände der Autorinnen und Fans und die bisweilen sehr schillernden Umstände solcher Schwärmereien. Manche Werke projizieren, wie angedeutet, auch zukünftige Gesellschaften oder kritische soziale Veränderungen. Natürlich kann man als „Fan“ die Geschichten auch einfach als eine von Wunschphantasien dominierte imaginative und verschriftlichte Form des Fankults verstehen.
Doch wie auch immer man sich diesem Band nähert … ich finde durchaus, dass das Rosarot des Umschlags sehr passend für diese Anthologie war. Und wenn Wattpad damit den Plan verfolgt haben sollte, potenzielle neue Schreibtalente ausfindig zu machen, so ist das augenscheinlich erfolgreich gewesen. Wenigstens von Rebecca Sky weiß ich, dass sie es schon zu normalen Buchverträgen geschafft hat. Und wer weiß, vielleicht hören wir von weiteren Autorinnen dieses Bandes ja in Zukunft noch mehr. Es lohnt sich auf alle Fälle, wenn man sich für Fanfiction erwärmen kann, dieses Buch zu konsultieren.

Meine Empfehlung lautet, wenn ihr euch das Buch anschafft: Beschränkt die Lektüre auf maximal zwei Geschichten pro Tag und zögert das Vergnügen der Gesamtlektüre so schön hinaus. Gut, in meinem Fall habe ich es etwas übertrieben und dafür zwei Jahre gebraucht … aber es hat sich auf alle Fälle gelohnt.

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