Science-Fiction-Geschichte von Uwe Lammers
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Der Abend senkte sich über die Insel Coiba vor der panamesischen Küste, und die drückende Schwüle des Tropentages machte der erträglichen Wärme des Abends Platz. William und ich setzten uns nun draußen auf die Veranda seines auf Pfählen erbauten Hauses, und ein Diener mit schokoladencremefarbener Haut zündete die Öllampen an, die einen behaglich warmen Schein verbreiteten und doch genug Schatten ließen, um nicht die freundliche Atmosphäre und den Zauber des Moments zu zerstören.
Von hier aus hatten wir freie Sicht auf die dunkle Fläche des Meeres, über der nun herausfordernd silbern der Mond schimmerte. Die Palmen und anderen Sträucher ringsherum um das herrschaftliche Anwesen standen still wie stumme Wächter.
„Und du meinst, es ist alles in Ordnung?“, fragte mein Freund mich, bevor er sich setzte. Etwas skeptisch sah er mich an.
William Harper war ein rüstiger, silberhaariger Mann von vierundsechzig Jahren, und sein Gesicht ließ nicht auf sein Alter schließen, es war für dieses Klima bemerkenswert gut erhalten. Immerhin, William kam aus dem Südwesten der Vereinigten Staaten, und in Phoenix, Arizona, war das Klima wesentlich heißer, aber auch, infolge der benachbarten Wüstengebiete, erheblich trockener als hier, wo die Luftfeuchtigkeit nur selten siebzig Prozent unterschritt, was in Arizona schon normalerweise die Jahreshöchstgrenze war. Eigentlich hätte er viel schneller erschöpfen müssen, als es der Fall war. Seine grauen Augen blickten immer noch so herausfordern wie eh und je, und der Körper, den ich vorhin untersucht hatte, zeigte keine Ermüdungserscheinungen, wie sie für Menschen üblich waren, die in die Tropen übersiedelten.
„Du bist kerngesund, Will“, stimmte ich zu. „Das kannst du mir bei meiner Ehre als Arzt glauben.“
Er lachte erleichtert und sagte: „Ich glaube es dir. Es ist nur so, ich kann es selbst manchmal kaum fassen. Du weißt doch, dieses Gerede von Tropenkrankheiten und dergleichen, von der Belastbarkeit des menschlichen Organismus, das alles macht mich immer etwas sorgenvoll. Aber ich habe ja schon immer gesagt, dass ich für die Tropen wie geschaffen bin. Es war mir in Phoenix einfach zu heiß …“
Wir setzten uns, und er bestellte zwei alkoholfreie Getränke bei seinem Hausdiener. Das war auch so eine Eigenart, die sicherlich dazu beitrug, dass er sich so gut hielt. Alle Diplomaten, die ich hier in der panamesischen Region kannte, hielten nichts von alkoholfreien Getränken. Viele schütteten sich auch regelrecht zu, weil ihnen die einheimische Kost nicht bekam, weil sie Ärger mit den Vorgesetzten, den Dienststellen oder den Einheimischen hatten, weil ihre Ehen in die Brüche gingen (denn es war erwiesenermaßen so, dass Frauen im Diplomatendienst sich hier in der Karibik nicht gerne und schon gar nicht auf Lebenszeit ansiedelten), oder aber, weil es sexuelle Probleme gab. Denn es gab viele Diplomaten, die nur wegen der vermeintlich losen Sitten hierher kamen. Dass sie dadurch auch häufig kulturelle und vor allem gesundheitliche Probleme bekamen, war fast logisch. Sexualkrankheiten waren hier weit verbreitet.
William schien sich von all dem wohltuend abzuheben, er war auch schon in den Staaten ein sehr zurückhaltender, vernünftiger Mensch gewesen.
Wir hatten uns vor langen Jahren kennen gelernt auf einem Kongress in Albuquerque, auf dem es um die genetische Manipulation an Menschen im Allgemeinen ging. Randgebiete waren allerdings auch die damals in Mode kommende genetische Veränderung von Getreidesaatgut, und deswegen war er hergekommen, denn er entstammte einer großen Landfamilie in Arizona, und seine Eltern hatten ihn hergeschickt, damit er, der später einmal den Besitz übernehmen sollte, sich über diese Möglichkeiten informierte.
Ich war damals ein junger Arzt von kaum 25 Jahren, jung und voller Elan, begeisterungsfähig, und der knapp Vierzigjährige hatte mich irgendwie in dem Gewühl gefunden, oder ich war ihm aufgefallen, so genau war das nicht mehr festzustellen. Jedenfalls kamen wir ins Gespräch, sprachen über unglaublich viele Themen, von denen Genetik und die Zukunft der menschlichen Rasse nur wenige waren, und aufgrund ähnlicher Standpunkte waren wir uns spontan sympathisch. Mit der Spontaneität eines Farmers lud er mich dann zum Sommer auf die Farm ein, und ich, der ich damals zu dem Zeitpunkt gerade ein paar Wochen frei hatte, schlug ein, und daraus entstand später eine meiner festesten Freundschaften.
Als er sich zwanzig Jahre später zur Ruhe setzte, brach unser Kontakt trotz allem nicht ab, sondern er wurde eher noch intensiver. Ich war längst Diplomat des Roten Kreuzes geworden, hatte aber auch noch eine Reihe anderer Aufgaben. Es war jedenfalls so, dass ich mitnichten in den Büros zu verstauben gedachte, und meine Vorgesetzten erkannten das.
Sie machten mich zu einer Art fliegendem Doktor. Wann immer ich diesen Begriff hörte, schmunzelte ich stets, denn ich entsprach keineswegs dem Aussehen, dem Eindruck, den man mir damit aufdrückte. Ich verstand mich eher als eine Art Diplomat im Dienst der Gesundheit und der Wissenschaft, kurz: im Dienst der Menschheit. Obwohl unsere Welt noch immer weit davon entfernt war, sich zu verbrüdern. Der Nahe Osten bekämpfte sich immer noch erbittert, in Südostasien wurden Kriege mit verbissener Härte ausgetragen, oftmals verdeckte, damit nicht die amerikanische Armee eingriff oder die Russen, die sich ja verbündet hatten Anfang der Neunziger Jahre und die sich zusammen als Weltpolizei betrachteten.
Nun war ich 44 Jahre alt, und mein Haar wurde auch schon an manchen Ecken grau. Mein Traum war es ja gewesen, mal im hohen Alter eine so dichte silberne Mähne wie mein Freund Will zu haben, das aber war leider illusorisch, weil meine Haare bis dahin alle ausgefallen sein würden. Schon jetzt musste ich meine Haare nach hinten kämmen, um den kahlen Fleck auf meinem Kopf, der dem einer Mönchstonsur ähnelte, zu verdecken. Das hatte allerdings mit Eitelkeit wenig zu tun.
Auch im Gesicht hatten meine Gene wenig ausgerichtet. Außer einem schmalen Schnurrbart, der allerdings noch schön voll und schwarz war, war nie etwas gewachsen. Da war ich sogar Will etwas überlegen, der keinen Bart hatte. Seine Haut war überhaupt sehr glatt, schon immer gewesen, seit ich ihn kannte.
Seine Farm hatte er seinem jüngeren Bruder James übergeben, als er sich zurückzog, um von seinen Ersparnissen in einer klimatisierten Steueroase, wie er immer sagte, sich ein kleines Heim zu schaffen.
Seine häufigen Briefe waren dann mal aus Venezuela gekommen, mal aus Panama oder Kolumbien, auch einmal aus Peru und Bolivien, er hatte stets darauf geachtet, dass er nicht irgendwie versauerte, sondern etwas unternahm. Denn er wusste nur zu gut, dass man einrostete, wenn man sich im Ruhestand nicht mit irgendetwas beschäftigen konnte.
Verheiratet war er nicht, da war er so wie ich. Mein Job, der mich immer monatsweise rund um die Welt führte, weil ich Diplomaten medizinisch zu betreuen hatte, ließ keine Heirat zu, und es hatte mich auch nie besonders gereizt, an eine einzige Frau gebunden zu sein. So hatte ich hier und da mal Techtelmechtel und Rendezvous, auch mal tiefer gehende Leidenschaften, aber nie etwas Bindendes. Das war ein großer Vorteil.
Will hatte die Jahre seit seiner Pensionierung genutzt für vielfältige Reisen, und er hatte immer wieder die Suche nach seinem Lieblingshobby aufgenommen, nach den Spuren von außerirdischen Intelligenzen auf der Erde. So war er mit einem Segler quer durchs berüchtigte Bermudadreieck gefahren, hatte sich vor Trinidad gewaltige Basaltblöcke auf dem Meeresgrund angesehen, Bergplateaus in Kolumbien und Bolivien besucht, von denen kaum ein Mensch wusste, er war in Nazca gewesen und an vielen anderen kaum bekannten Orten. In seinen Briefen hatte er mir mitunter Schilderungen seiner Abenteuer zum Besten gegeben, die mir die Haare zu Berge stehen ließen. Dabei war er eigentlich viel zu alt für eine solche Kette von Abenteuern. Aber in dieser Sache war er ein regelrechter Fanatiker.
„Weißt du, Henry“, hatte er mir einmal geschrieben, „es ist mir ein dringendes Bedürfnis, herauszufinden, ob schon einmal in grauer Vorzeit Außerirdische die Erde besucht haben. Ich habe schon des Öfteren UFOs gesehen, aber noch nie mit ihnen Kontakt aufnehmen können. Ich glaube fest an die Existenz extraterrestrischer Intelligenzen, und es ist sehr wichtig, dass sie, wenn sie kommen, mit den richtigen Menschen zusammenkommen. Wenn sie mit offiziellen Regierungsvertretern zusammentreffen, passiert doch sicherlich ein Unglück.“
Das war eine Sache, wo wir einer Meinung waren. Denn dass es zu einer Katastrophe kommen musste, wenn die Außerirdischen, so es sie denn gab, mit einer einzelnen Supermacht zusammenarbeiteten oder gar ganz woanders landeten (beispielsweise in China oder dem Nahen Osten, wo die Gefahr bestand, dass man sie ohne Vorwarnung einfach abschoss!), dann gab das die Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges, da waren wir uns einig.
Als ich nun überraschend in die Karibik versetzt wurde und dort auch ein paar Tage in Panama war, da war es nur ein Katzensprung bis hinüber nach Coiba, an deren Ostküste William wohnte.
Und so kam es, dass ich nun hier bei ihm saß, auf der Terrasse, gegen die anstürmenden Insekten mit dem durchscheinenden Moskitonetz vor dem Balkon geschützt.
Ich sah sie anstürmen und hütete mich, überheblich zu lächeln. Die Moskitos waren die Überträger der Tropenkrankheiten und stellenweise brandgefährlich auch trotz Impfseren, denn wir hatten wiederholt festgestellt, dass die Natur immer neue Seren und Giftstoffe entwickelte. In erster Linie war das wohl auf die chemischen Vernichtungskampagnen der hiesigen Regierungen zurückzuführen, die mit geballten Insektiziden, von denen das alterhergebrachte DDT schon kaum mehr Verwendung fand, der Insektenplage Herr zu werden versuchten. Alles war nur eine Lösung auf Zeit, denn die Immunsysteme der Insekten waren unvorstellbar leistungsfähig, und sie immunisierten die Nachfolgegenerationen weitestgehend gegen die Impfstoffe und die Gifte, die eingesetzt wurden.
Während der Abend voranschritt und sich die Zahl der Insekten vor dem Netz häufte, die in selbstvernichtender Weise wie Motten zum Licht gezogen wurden, kamen wir allmählich auf unser Lieblingsthema, die Außerirdischen.
„Schau mal, Henry“, erläuterte er, während er ruhig sein geeistes Tonic Water trank, besser, daran nippte, „es ist doch so, dass es da draußen Millionen, ach, was rede ich, Milliarden von Sternen gleich unserer Sonne gibt. Und viele andere noch. Es wird behauptet, dass alleine unsere Galaxis eine Million Sonnen hat, die Welten gleich unserer Erde hervorgebracht haben. Weshalb soll es dann nicht möglich sein, dass es außerirdisches Leben gibt?“
„Du weißt, dass ich fest davon überzeugt bin, dass es außerirdisches Leben gibt“, antwortete ich ruhig. „Nur ist es bei mir so, dass ich mir nicht so recht erklären kann, warum sie keinen Kontakt mit uns aufnehmen. Gehen wir einmal alleine von den UFOs aus.“
Er stimmte mir zu. „Ein sehr guter Ansatz, Henry. Zu dem Punkt mit den UFOs gibt es Folgendes zu sagen. Es gibt in den Legenden der Eingeborenen ungezählter Inseln hier und auch bei den Bergvölkern Südamerikas und auch hier in Mittelamerika etliche Hinweise darauf, dass einst außerirdische Raumfahrer die Erde besucht haben. Sie landeten, hinterließen ihre Monumente oder gaben den Eingeborenen genaue Details und Instruktionen, wie sie derartige Monumente zu errichten hatten …“
„Zum Beispiel die Landebahnen von Nazca“, überlegte ich.
„Beispielsweise diese. Aber das sind nur die prominentesten. Wer kennt schon die Glasierten Steine von Nyan, hoch in den Bergen von Bolivien? Kaum ein Mensch. Weil die Eingeborenen keinen dorthin vorlassen. Es hat mich fast ein halbes Jahr gekostet, bis ich die Eingeborenen davon überzeugt hatte, dass ich dorthin müsste. Es war sehr aufschlussreich.“
„Du hast nicht viel davon geschrieben“, erinnerte ich ihn. Er hatte diese Steine einmal in einem seiner Briefe im vergangenen Jahr erwähnt, allerdings sehr diffus.
„Nun, sie haben mir das Versprechen abgenommen, niemandem darüber zu berichten, ich erwähne sie bloß der Vollständigkeit halber.“
Ich ging ein bisschen tiefer in das Thema und brachte ihn von dem Punkt ab, auf den er hinsteuerte. „Du redest von der tiefen Vergangenheit, Will. Aber ich meine die Gegenwart. Seit 1948 haben die UFO-Sichtungen sprunghaft zugenommen, sie sind über die ganze Welt verteilt von Millionen Menschen gesehen worden. Viele tun das ja ignorant als Massenhalluzination ab, als Luftspiegelungen, Wetterballons und dergleichen. Sicherlich trifft all das zu, aber nicht alles ist damit zu erklären.“
„Zweifellos nicht. Du meinst also, ich sollte von derartigen Dingen ausgehen, die ich in dieser Zeit erlebt habe?“
Ich nickte.
„Schau dir diese Bucht an, Henry. Sie ist annähernd elliptisch geformt und an einer Seite offen. Seit etwa 250 Jahren heißt sie im Volksmund die Bucht der Lichter. Der Name kommt daher, weil in nahezu vierzig Nächten im Jahr hier Lichter gesehen werden.“
„UFOs?“, fragte ich aufgeregt, denn ich hatte noch keine gesehen.
„Nun“, Will überlegte, „vor Jahrhunderten waren die Erklärungen für derlei Dinge noch etwas profaner. Da nahmen die Spanier und Engländer an, es handele sich Leuchtgase, um so genannte Irrlichter, weil sie dachten, der Grund der Lagune sei mit Schlick bedeckt. Bekannterweise sind Irrlichter ja nichts anderes als phoshoreszierende oder sich entzündende Moorgase. Andere nahmen an, es wären die Geister von Verstorbenen, die hier umherwandelten, weil in dieser Gegend um die Zeit bevorzugt von Piraten Exekutionen vollstreckt wurden. Es sollen hier auch noch irgendwo Schätze vergraben liegen, aber das nur am Rande. Ich bin kein Schatzjäger und habe nicht danach gesucht.
Später dann wurde von den Einheimischen behauptet, das seien die Geister der Götter, und dann wieder kam die Vermutung auf, es könne sich um UFOs handeln.“
„Hast du welche gesehen?“
„Ja, siebenmal bis jetzt. Aber sie kümmern sich nicht um mich. Fotografieren lassen sie sich nicht, habe ich festgestellt. Sie scheinen irgendeine Strahlung zu emittieren, die die Fotos zerstört.“
Ich war irgendwie enttäuscht. Aus der Hand von Will hätte ich jeden Beweis für die Existenz von UFOs geglaubt, denn er war ein Mann, der in jedem Fall auf dem Boden der Tatsachen stand. Plötzlich ging mir ein Gedanke durch den Kopf, den ich einfach aussprechen musste.
„Du, Will! Mir fällt da etwas ein, was ich dich schon lange mal fragen wollte. Wenn du mir Briefe schriebst, ist mir das nie eingefallen, und ich wollte es auch nur dann fragen, wenn ich dir direkt gegenübersitze …“
„Das muss ja ganz schön gefährlich sein“, entgegnete er grinsend. „Sprich geschwind, sonst werden dir vielleicht noch von den Moskitos die Worte von den Lippen abgelesen und zur CIA weitergeleitet …“
Ich konnte nicht anders, ich musste einfach lachen.
„Dass du nie etwas ernst nehmen kannst!“, warf ich ihm im Spaß vor.
Dann wurde ich wieder ruhiger. „Aber mal im Ernst. Du bist so ein nüchterner Mensch, du lässt dich nicht einmal von so materiellen Dingen wie Schatzsuchen überraschen oder begeistern, obwohl ich das vollkommen verstehen könnte. Stattdessen lässt du dich mit fanatischem Eifer, der so ganz und gar nicht typisch ist für dich, auf die unmöglichsten Abenteuer ein, nur um die Existenz von Spuren von Außerirdischen zu suchen. Das ist doch irgendwo ein Widerspruch, oder?“
Er war während meiner Worte immer ruhiger geworden, und sein Gesicht hatte einen so ernsten Zug angenommen, wie ich mich nicht erinnern konnte, ihn je an ihm gesehen zu haben. Fast wirkte er nun finster, abweisend.
„Will …?“, fragte ich besorgt.
„Oh, keine Angst, ich bin dir nicht böse, dass du diese Frage gestellt hast“, beruhigte er mich langsam. „Ich wundere mich nur, dass du sie jetzt erst stellst, wo wir uns doch schon über zwei Jahrzehnte kennen.“
„Möchtest du sie mir beantworten, oder ist das ein Geheimnis?“
„Vor dir? Ich bitte dich!“ Er lachte, aber irgendwie klang er keineswegs fröhlich. „Ich möchte dich nur um eins bitten: ich erzähle dir die Geschichte, etwas, was sich für dich ungeheuerlich anhören mag, aber die reine Wahrheit ist. Und ich möchte dich jetzt schon bitten: lach nicht und erzähle kein Sterbenswort davon weiter. Das ist meine ganz private Angelegenheit.“
„O…Okay“, stotterte ich, überrascht von der Schärfe des Tonfalls.
„Es ist eine Sache, die lange zurückliegt, fast zu lange, um wahr zu sein. Ich war damals ein kleiner Junge, als das passierte. Als ich den VISITOR fand …“
„Du … du hast …“, brachte ich heraus und verstummte dann, als mir die Tragweite seiner Worte klar wurde.
„Ich fand einen Außerirdischen, ja. Und ich nannte ihn in Ermangelung besserer Begriffe Visitor, Besucher. Keiner außer mir erfuhr jemals davon. Wenn du schweigen kannst, dann hör zu …“
Juni 1943.
Die Welt war im Krieg mit Hitlerdeutschland.
Das halbe Erdenrund stand in Flammen, und der Frieden war ein hochfliegender Vogel, mit dem niemand momentan ernstlich rechnete. Im Gegenteil, die Befürchtungen waren allerseits groß, dass der Krieg, der Europa verheerte, von dort auch auf Amerika übergreifen könnte. Der Tag des Schreckens war der siebte Dezember 1941 gewesen, vor rund anderthalb Jahren, als die Pazifikflotte Amerikas von den überraschend angreifenden Truppen Japans auf den Grund des Meeres geschickt wurde.
Nun lernte Amerika den Begriff Blitzkrieg kennen, der bisher nur als seltsamer Begriff durch die Zeitungen gegeistert war. „The blitz“, das war ein geflügeltes Wort in diesen Tagen. Der Stützpunkt auf Pearl Harbor war „geblitzt“ worden, in einem Südseeblitz gleichsam, auf grässliche, blutige Weise, die Amerika nachhaltig erschüttert hatte. Und während in Europa Hitler Sieg auf Sieg errang, wurde eine Insel, ein Archipel nach dem nächsten im Pazifik von den schlitzäugigen Teufeln eingenommen, und die amerikanische Bevölkerung lebte zunehmend in Angst und Schrecken. Es schien kein Licht mehr in der Welt zu geben, die Finsternis aufzuhellen und zurückzutreiben.
Wann würden wohl die vereinten Kräfte der Achse Berlin-Rom-Tokio Amerika von beiden Seiten in den Klammergriff nehmen? Wie lange vermochten die amerikanischen Frachter England noch Hilfe zukommen zu lassen? Wann würden amerikanische Schiffe von den zahllosen deutschen U-Booten im Atlantik zusammengeschossen werden und sinken?
Dass es vereinzelt schon solche Fälle gegeben hatte, wurde verschwiegen, um die Bevölkerung nicht in Unruhe zu bringen. Im Pazifik wurden die US-Streitkräfte endlich massiert eingesetzt und begannen die Japaner zurückzutreiben. Aber die verfluchten Invasoren kämpften um jeden Meter Land, und immer wilder wurden die Kämpfe, immer verzweifelter und blutiger. Ein tropisches Verdun, wie es hieß, auf jeder Insel, die umkämpft wurde, gnadenlos.
Es war in diesem Juni, als über dem Südwesten von Amerika, besonders über Arizona, ein furchtbares Gewitter tobte und heulte.
Der gerade einmal zehn Jahre alte William Harper hatte sich mit Einwilligung seiner Eltern in dem kleinen Schuppen eingeschlossen, der am anderen Ende des großen Farmgeländes lag. Hier hatte er vor einigen Monaten sein eigenes kleines Reich eingerichtet. Seine große Leidenschaft war die Chemie, und hier konnte er nach Herzenslust experimentieren. Es waren Ferien, das Wetter war bisher blendend, und er ging oft hinaus in die Umgebung, um Steine zu sammeln, denn neben der Chemie war er sehr interessiert in Geologie.
Als dieses Ungewitter losbrach, lag der junge blonde Will auf seinem Schlafsack und schreckte auf. Das Gewitter entfesselte draußen eine höllische Kraft, und der schmächtige zehnjährige Junge eilte an das kleine Fenster mit dem Fensterkreuz, das sich nicht öffnen ließ, und starrte hinaus in die finstere Wolkenfront, in der sich gleißende Blitze Duelle zu liefern schienen.
„WOW!“, flüsterte er. „Der Weltuntergang! Wenn das Dad wüsste!“
Sein Vater war derzeit nicht auf der Farm, sondern er befand sich in Wickenburg, eine Fahrtstunde mit der Eisenbahn entfernt. Sein Zug hatte dort eine Panne gehabt, und er hatte keine Möglichkeit gefunden, nach Phoenix zu kommen. Das war nicht schlimm. Er kannte seinen einzigen Sohn als einen umsichtigen Jungen und wusste, dass er auch bei solchen Ungewittern keine Probleme machen würde.
Will wusste auch, dass der kleine Schuppen die Gewalt des Sturmes aushalten würde. Er hatte schon mehrere solcher Belastungsproben ausgehalten, und die Bauarbeiter, die neulich die neue Telefonleitung hier hinausgelegt hatten, hatten tüchtig mitgeholfen, den Schuppen wieder in Ordnung zu bringen.
Wills Mum hatte ihm dazu gratuliert und ihn gefragt, wie zum Teufel er das nur geschafft habe.
„Och“, hatte er verschämt gemeint, „ich habe ihnen nur gesagt, dass mich die Telefongeschichte interessiert und dass ich mal ein großer Forscher werden will. Und dass ich das nicht könnte, wenn mir bei der ersten Gelegenheit das Dach meines Laboratoriums über dem Kopf wegflöge und ich unter den Trümmern begraben würde …“
Das war der Grund gewesen, den alten Schuppen zu seinem Reich zu erklären. Er war ohnedies wesentlich geräumiger als sein Zimmer im Haus, und sein Vater war der Ansicht, dass es besser wäre, wenn er seine höllischen Experimente in einiger Entfernung vom Wohnhaus durchführte. Aber er hatte dazu gegrinst, ein deutliches Zeichen dafür, dass er seine Pläne billigte.
Außerdem bedeutete das ein wenig Eigeninitiative, und Will musste, wenn am Haus die Glocke läutete, auch immer noch hundertfünfzig Meter rennen, bis er am Wohnhaus war. Das bedeutete auch noch zusätzliche körperliche Betätigung. Und das, so meinte seine Mutter, führte dazu, dass er in Sport besser abschneiden würde als bisher. Er war ja mit seinen Hobbys der prädestinierte Stubenhocker.
Will starrte in das Ungewitter hinaus, und als er schon, weil es immer wieder dasselbe Schauspiel war, ins Bett kriechen wollte, unter die Decken, die er auf seinen Schlafsack gelegt hatte, damit die Wärme seines Körpers nicht so schnell aus den angewärmten Sachen verschwand, da passierte es.
Das Objekt am finsteren, von Blitzen erhellten Himmel war nicht allzu groß, aber es war kilometerweit zu sehen, weil es hell leuchtete. Ein Sphäroid, wie er rasch feststellte, etwa wohl hundert Meter lang und dreiviertel mal so breit, wie er vermutete. Es sah entfernt aus wie eines dieser Luftschiffe, wie sie in Europa verwendet worden waren, bis man feststellte, dass sie wegen ihrer Gasmischung hochexplosiv waren und von den normalen, motorgetriebenen und viel schnelleren Flugzeugen vertrieben wurden.
„Jesus!“, flüsterte Will. Oder er schrie es, wegen des Donnerns konnte er das nicht so genau feststellen.
Er hatte hin und wieder, wenn seine Eltern nicht so genau hinsahen, aus der Stadt ein AMAZING TALES mitgebracht, und da stand allerlei über außerirdische Besucher drin. Meist blutrünstige Invasoren, die mit allerlei perfiden Tricks die Erde überfielen, bis die Helden sie mit noch besseren Waffen, höherer Ethik oder Logik zurücktrieben oder mit Stumpf und Stiel ausrotteten. Er hatte über solche Sachen manchmal nachgedacht, aber nie ernsthaft.
Zum Mond würden die Menschen sowieso erst in hundert Jahren vorstoßen, wenn überhaupt jemals. Aber dann hatte er daran gedacht, was die deutschen Krieger für furchtbare Waffen aus dem Boden stampften, daran, was der Krieg für Waffen hervorgebracht hatte, und er war am Zweifeln.
Vielleicht würden die Deutschen noch in diesem Jahrhundert den Mond erreichen, vielleicht 1985 sogar schon. Und dann würden sie ihre Nationalhymne singen: Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt … und im Weltraum!
Er hatte diese Gedanken abgeschüttelt, obwohl sie ihn, der ungemein frühreif war, erschütterten. Nein, Leben auf anderen Welten, das war zu erschreckend, um sich damit jetzt auseinanderzusetzen. Sie hatten genug Probleme mit sich selbst, da konnte es sich keiner leisten, an außerirdische Invasoren zu denken.
Aber … WAS WAR DANN DAS DA DRAUSSEN?
Ein deutsches Luftschiff?
Unsinn, so etwas bauten die noch nicht. So etwas konnte keiner bauen …
Dieses Ellipsoid flimmerte hell und gleißend, und wenn nicht das Gewitter wäre, das alle Leute in Deckung zwang, dann wäre ganz sicher schon die halbe Farm angerückt, um zu sehen, was da los war.
„Ich … ich … ich muss da hin!“, stammelte Will und zitterte wie Espenlaub.
Er zog sich in fliegender Hast an und streifte sich die Jacke über, zog die Kapuze über dem Kopf und verschnürte sie vor dem Hals. Die Gummistiefel an, dann hinaus in die Kälte. Es war verdammt kalt geworden, der Sturmwind peitschte gegen ihn und warf ihn fast um. Aber noch regnete es nicht. Es konnte allerdings nicht mehr lange dauern. Wenn es zu regnen anfing, dann würde er vielleicht den Rückweg nicht mehr finden.
Ein neuer Donnerschlag zitterte über den Himmel. Grell und wild züngelten die Blitze in die Überlandleitung, Funken sprühten von ihr fort.
Das Raumschiff war kleiner, als er angenommen hatte. Es schwebte etwa zwanzig Meter über dem Boden, und es kam der Überlandleitung verdammt nahe …
„Vorsicht …!“, schrie Will verzweifelt. „Da ist Strom drin! Da ist Elektrizität …!“
Der Sturm verschlang seine Worte. Und dann passierte das, was er befürchtete. Eine Kaskade von Blitzen schlug in die Überlandleitung ein und sprang über auf den Ellipsoidkörper, der wie von einem Magnet angezogen auf die Leitung zuraste.
Will warf sich zu Boden.
Die Explosion, die sich ereignete, war entsetzlich. Sie zerriss das Raumschiff in mehrere Teile und zerstörte mehr als zehn Masten, die Erde riss auf, Erdbrocken folgen durch die Luft, Holzreste, Metalltrümmern des Schiffes und Feuer. Überall Feuer.
Dann kam der Regen. Heulend peitschten der Wind und der Regen auf die Unglücksstelle nieder, verwandelte binnen weniger Minuten das Grasland in eine patschende, feuchte Wüste.
Will rannte über das Feld auf die Unglücksstelle zu. Er sah überall Metallfetzen liegen, Teile von einer seltsamen Art von Plastik und Dinge, die er nicht identifizieren konnte. Das Schiff war vernichtet, das war zweifelsfrei klar. Und als er genau hinsah, erkannte er, dass das Metall und die Kunststoffreste zischend zusammenschmolzen. Irgendeine Selbstzerstörungsautomatik? Es musste wohl so sein.
Aber sie durften doch nicht alle tot sein!
Er merkte nicht, dass er vor Verzweiflung weinte, während er durch die Trümmerlandschaft taumelte, halb blind vor Entsetzen und chaotischem Gefühlsaufruhr.
Als er den Ruf hörte, schreckte er auf, verlor das Gleichgewicht und fiel in den Morast. Aber er rappelte sich sofort wieder auf.
„Wo bist du?“, schrie er. „Wo bist du? Und … und … wie siehst du aus?“
du wirst mich erkennen, wenn du mich siehst, kam die unheimliche, sanfte Stimme wieder aus dem Nichts, die sich nach nichts anhörte, was er je vernommen hatte.
Er taumelte weiter, und in einem Loch, das schon halb mit Wasser gefüllt war, sah er schließlich den, der ihn gerufen hatte. Er kniete nieder und achtete nicht darauf, dass er klatschnass wurde.
Und darin … darin …
Seine Augen wurden weit vor Fassungslosigkeit.
„Du … du …?“ Das war das Intelligenteste, was er über seine bebenden Lippen bringen konnte. Zu mehr war er einfach nicht imstande.
ich bin es, ja. bring mich bitte fort von hier, hallte die Stimme in ihm wieder auf.
Will packte das Wesen, das etwa einen halben Meter lang und erstaunlich leicht war und hob es aus dem Wasser. Er spürte die vielen Beine an seinem Körper, und sein Verstand nahm zur Kenntnis, dass der Außerirdische in der Tat SEHR fremd war.
Aber das zählte nun einfach nicht mehr.
Alles, was zählte, war jetzt, ein Leben zu retten, und mochte es noch so ungewöhnlich sein.
Wie er den Überlebenden zum Schuppen brachte, wusste Will nicht zu sagen. Erst dort im Trockenen setzte seine geistige Tätigkeit wieder voll ein. Jetzt erst, als er die Petroleumlampe im Schuppen entzündete, wurde ihm bewusst, was er getan hatte.
„Was mache ich denn nur mit dir?“, flüsterte er hilflos. „Dein … dein Raumschiff ist zerstört … du musst also hier bleiben … wie machst du das? Was isst du?“
zuerst brauche ich mehr wasser um mich, flüsterte das außerirdische Wesen schwach. wenn ich kein wasser habe … muss ich … eingehen …
Will beeilte sich, eine Wanne mit Wasser vollaufen zu lassen – zum Glück hatte der Schuppen einen Anschluss an das Wassernetz – und setzte ihn nun in den hölzernen Bottich. Das Wonnegefühl, das Will kurz darauf durchströmte, entstammte eindeutig dem ANDEREN.
Er hockte sich an den Wannenrand, um den gestrandeten Besucher bei Licht genauer zu betrachten. Und in der Tat … fremdartig musste man ihn in der Tat nennen.
Es handelte sich um ein Wesen, das nahezu unbeschreiblich war. Seine Farbe war ein stumpfes Blauschwarz, und es glich, wenn man es von oben betrachtete, in etwa einer Schabe oder einer Kellerassel, nur eben halbmetergroß. Aber die in Segmente aufgeteilte obere Hälfte des Körpers, die mit den chitinähnlichen Schuppen bedeckt war, bildete nur eine Seite des Ganzen. Die Unterseite war dagegen mit Hunderten von Beinen besetzt, die klein und schwarz und borstenartig waren und zu den Seiten leicht herausstanden, aber wohl einziehbar waren. Zwischen diesen beiden Hälften konnte Will das Innere des Außerirdischen sehen, das irgendwie schwammig wirkte. Als er mit seinem Finger dagegen tippte, durchfuhr ihn ein mentales Kribbeln, das einen Lachreiz in ihm auslöste.
„Das magst du wohl, was?“, lachte er.
es ist durchaus angenehm … will …, gab er offen zu. Oder sie. Was auch immer.
„Geht es dir gut?“, wollte er wissen.
ja, im moment fühle ich mich wohl. die atmosphäre ist mit der meinen kompatibel, sodass keine probleme auftreten … oh, du weißt nicht, was kompatibel ist? bist du kein ausgewachsenes exemplar deiner rasse?
„Ahem … ähm, ich meine … nein … ich bin doch erst zehn Jahre alt“, stammelte der Junge und hockte sich bequemer neben das Becken. „Ausgewachsen, das sind wir erst, wenn wir so … na, etwa zwanzig Jahre alt sind. Ich bin doch noch ein Kind …“
dein verstand weist eine bemerkenswerte schärfe auf, will. ich bin froh, dass du so schnell gehandelt hast, denn kälte ist für meinen organismus tödlich. kälte und trockenheit. ich komme von einer welt, die etwas anders ist als die deine …
Und dann erzählte er oder zeigte er vielmehr, wie seine Welt aussah. Seine Rasse war eine wasserbewohnende Spezies, die sich auch zeitweise an Land aufhalten konnte, dies aber naturgemäß selten tat. Ihre Welt war zu neunundneunzig Prozent mit Wasser bedeckt, und seine Gattung war entwicklungsmäßig aus einer Tierrasse hervorgegangen, die man entfernt mit Hummern oder Langusten vergleichen konnte. Ihre Welt war die einzige einer riesigen weißen Sonne, und sie lebten jahrtausendelang in großen Königreichen unter Wasser, sie entwickelten die Gewinnung von Metallen und stellten fest, dass man sie am besten bearbeiten konnte, wenn man nicht unter Wasser war.
So lernten sie es, Räume zu bauen, in denen Luft enthalten war, sie trauten sich nicht an die Wasseroberfläche, weil die Sonnenstrahlung zu intensiv war. Es dauerte etliche Jahrtausende, bis die Rasse der Aquawesen, die keinen direkten Namen hatte – jedenfalls keinen, den Will verstehen oder wiedergeben konnte – , imstande war, eine Art Verkehrsnetz auf Magnetbasis zu errichten. Die Prinzipien, nach denen es funktionierte, begriff Will nicht. Es war wohl auch nicht so wichtig. So etwas wie ein Kommunikationsnetz war nie nötig gewesen, weil sie sich im Laufe ihrer weiteren Evolution mittels Telepathie und Empathie verständigten. Bei dieser Art der Verständigung gab es auch mit anderen Rassen keine Verständigungsprobleme, wie entdeckt wurde, als sie zu den Sternen vorstießen.
Sie waren eine alte, abgeklärte Rasse, als sie schließlich die Sterne erreichten und den Überlichtflug fanden.
„Du bist also ein Forscher!“, erkannte Will auf einmal.
richtig. ich war auf dem durchflug, als ich erkannte, dass diese welt eine intelligente, nicht raumfahrende rasse hervorgebracht hat. ihr seid eine sehr widersprüchliche rasse, habe ich feststellen können. da ihr keine mentale kommunikation besitzt, gibt es in eurem volk sowohl psychische als auch kommunikative und religiöse differenzen. und dieses medium, das du als elektrizität bezeichnest …
„Ja, es ist an deinem Absturz schuld“, murmelte Will betroffen. „Das tut mir leid … ich meine, es war unsere Schuld …“
keineswegs. es war vielmehr mein versagen, denn selbst meine rechner konnten nicht annehmen, dass diese erscheinung gefährlich war. so etwas gibt es auf meiner welt nicht, so etwas wie … blitze? ja, blitze nennst du sie … sie sind sehr schön, aber genauso gefährlich. bei uns ist das stärker abgeschirmt, weil elektrizität, wie du sie nennst, unter wasser einen viel stärkeren effekt hat. dass das bei euch auch der fall war, konnte ich nicht ahnen. und da wir so etwas wie blitze nicht kannten, wurde erst an bord alarm gegeben, als wir die magnetischen feldlinien sahen. aber da war es schon zu spät. diese … blitze … kommen viel zu schnell, als dass wir hätten reagieren können …
„Ja … aber …?“
du brauchst dir keine vorwürfe zu machen. diese welt ist sehr, sehr fremdartig, es reicht mir vollkommen, sie zu erforschen. so gut es mir möglich ist. und ich möchte gerne hier bleiben, wenn du es erlaubst, denn hier ist die wahrscheinlichkeit der suche am höchsten.
„Du meinst, du hast einen Funkspruch abgeschickt, damit deine Artgenossen wissen, wo sie dich finden können?“
so ähnlich. es war ein mentaler impuls unseres psicomputers. nein, denk nicht darüber nach, ich verstehe selbst nicht genug von diesen maschinen, viel zu wenig, um dir erklären zu können, wie sie funktionieren. sie lesen gedanken, ja, sie akzeptieren auch ausschließlich mentale kommandos. aber wie genau das geht, das weiß ich nicht. aber es würde mich sehr freuen, wenn ich von dir eine menge lernen würde und das dürfte …
Und natürlich durfte er …
„Mein Gott“, murmelte ich. „Ein Außerirdischer? Ein echter und leibhaftiger Außerirdischer? 1943, das war vor … Himmel, vor über fünfzig Jahren …“
„Ja, es ist lange her. Aber ich habe ihn nie vergessen, wie du dir sicherlich vorstellen kannst.“
Ich nickte. Natürlich konnte ich mir das vorstellen. Und nun war mir auch klar, warum er so intensiv nach den Spuren von Außerirdischen suchte. Ich hätte es auch getan. Vielleicht war ja seine Rasse schon einmal auf der Erde gewesen oder wieder einmal. Oder eine Rasse, die mit der seinen Kontakt gehabt hatte.
„Ist er noch da?“, fragte ich.
Er lachte. „Nein, leider nicht, Henry. Er ist schon lange nicht mehr da.“
„Was ist mit ihm passiert?“, brach es aus mir hervor. Ich bezweifelte keines seiner Worte, denn William Harper war nie der Mann gewesen, der Märchen auftischte. „Haben ihn seine Artgenossen abgeholt? Ist er … ist er gestorben?“
Wills Gesicht verdüsterte sich. „Das war eine mysteriöse Sache, Henry. Ich will dir erzählen, wie es zu Ende ging mit unserer Begegnung …“
Es war klar, dass Wills Freundschaft mit dem Außerirdischen geheim bleiben musste. Er hatte ihm inzwischen den Tarnnamen Visitor gegeben, kurz nur V. genannt. Wann immer er sagte, er würde zu V. gehen, da dachten seine Eltern, er meinte irgendeines seiner Tiere, die er nun im Schuppen hielt, oder aber vielleicht einen seiner Freunde in der Stadt. Sie kamen auch nie herbei, um seine Experimente zu beobachten, denn sie hatten mit der Farm genug um die Ohren, und sie freuten sich, wenn er durch die Gegend streifte und alle möglichen Kräuter suchte. Manchmal stutzten sie natürlich, wenn er Chemikalien bestellte, und als er eine wissenschaftliche Zeitschrift abonnierte und auch noch verstand, waren sie wirklich fassungslos. Aber sie waren darüber hinaus sehr stolz auf ihren Jungen.
Und das konnten sie sein. Der Außerirdische schärfte mit seinen mentalen Gaben Wills Verstand und ließ ihn mit seinen Erklärungen selbst die schwersten Artikel in den Magazin verstehen. Will unterhielt sich manchmal stundenlang mental mit seinem Freund, und in dieser Zeit veränderte er oftmals nach dessen Anweisungen die Zusammensetzung des Wassers mit aromatischen Zusätzen, die er aus den Kräutern gewann und mit Kochsalz, das er seiner Mutter entwendete, sowie manchmal auch mit Prisen von Chlor.
All das kam in der Heimat seines Freundes vor, und es war ziemlich kompliziert, diese Mischung hinzubekommen. Hinzu kam, dass er ständig die Wassertemperatur einigermaßen konstant halten musste. Zwanzig Grad war in etwa richtig. Das bedeutete, dass Will keinen geregelten Tag mehr hatte und erst recht keine geregelte Nacht mehr.
Auf Dauer konnte das nicht gut gehen. Es ging gerade einmal drei Wochen gut Als er wieder zur Schule sollte, wurde er wegen chronischer Entkräftung krank.
Und sein Freund versprach ihm Hilfe. Hilfe binnen kürzester Zeit.
„Und?“, fragte ich gespannt. „Hat er sie dir gegeben?“
„Säße ich sonst vor dir?“, fragte Will lächelnd zurück. „Es war damals eine bittere Zeit für mich, sage ich dir.“
„Wieso?“
„Das Schlimmste hast du noch nicht gehört …“
Und er fuhr weiter fort mit seiner Erzählung.
Will wurde ins Krankenhaus von Phoenix eingeliefert, und sein Vater ging gegen seine flehentlichen Bitten in seinen Schuppen und untersuchte ihn, denn der Arzt hatte verlauten lassen, dass der Kontakt mit diversen Chemikalien seinen Sohn geschädigt hatte, hinzu kam eine unregelmäßige Essensweise und noch unregelmäßigere Schlafrhythmen. Als Will nach zwei Wochen entlassen werden konnte, war er total verzweifelt.
Er eilte zu dem Schuppen, fand aber sowohl den Bottich leer als auch alle sonstigen Spuren seines Freundes nicht mehr. Es war nichts mehr von ihm vorhanden, als hätte der Boden seinen Freund verschluckt. Natürlich konnte er nichts sagen, sonst hätte er sowohl sich als auch seinen Freund, den Außerirdischen, verraten.
Einmal begab sich Will nach draußen auf das Feld zu dem Punkt, wo er seinen Freund gefunden hatte. Und hier entdeckte er eine kleine, schwarzblau glänzende Kapsel, die er fortan aufhob.
Es war schade, dass dieser Kontakt mit einer extraterrestrischen Lebensform nie wieder zustande kam. Aber er war fortan auf der Suche nach außerirdischem Leben, um wieder einmal Kontakt mit seinem Freund zu bekommen oder seiner Rasse oder irgendeiner anderen.
„Mein Gott“, murmelte ich. „Eine faszinierende Sache. Es ist unglaublich, dass davon nichts bekannt geworden ist!“
„Findest du? Überlege selbst, Henry, es war der Zweite Weltkrieg, die Farm war abgelegen, und nach der Unterbrechung der Leitungen brauchten Nachrichten einige Tage, bis sie wieder die nächsten größeren Städte erreichten, denn unsere Farm lag ziemlich weitab am Rande von Arizona. Der Besitz, auf den ich dich dann Jahrzehnte später einlud, das war der neue Besitz, vierzig Kilometer östlich davon.“
„Aber die Geschichte ist nicht ganz schlüssig“, widersprach ich dann nüchtern. „Was war mit der Hilfe, die er dir zugesagt hatte?“
„Er meinte wohl die Ärzte, die mich später behandelten“, vermutete Will. „Ich habe auch lange darüber sinniert. Aber es gibt keinen anderen Schluss.“
„Und diese Kapsel?“
Schmerzlich verzog Will das Gesicht. „Ich habe sie verloren, Henry! Als ich in die Karibik umzog, verlor ich sie. Ich weiß selbst nicht, wie, aber es ist wirklich eine Tatsache …“
Wir diskutierten noch ein wenig weiter, aber es kam nichts mehr von besonderer Bedeutung heraus. Natürlich sahen wir an diesem Abend kein UFO über der Bucht.
Am nächsten Morgen fuhr ich wieder nach Panama, und als ich am Tag darauf auf Tortuga die Zeitung aufschlug, prangte mir auch schon die Schlagzeile entgegen:
UFO-Sichtung über Coiba
Ich seufzte. Wahrscheinlich hatte Will mal wieder einen Logenplatz dabei gehabt. Vielleicht hatte er diesmal die Angehörigen seines alten Freundes getroffen.
Nachdenklich überlegte ich, als ich die Zeitung aus der Hand legte, was wohl aus diesem Wesen geworden sein mochte. Und aus seiner merkwürdigen Kapsel. Aber das würde wohl nie mehr jemand erfahren …
Epilog:
William Harper und sein Diener standen auf der Veranda, und der Abend sank herab. Vor einigen Stunden war Henry Bearson gefahren, und nun waren sie wieder alleine.
„Heute kommen sie wieder“, sagte sein Diener leise.
„Ich weiß. Ich stehe in Kontakt mit ihnen“, sagte er ruhig. „Du weißt doch.“
„Ja, Herr!“, murmelte der Eingeborene, für den sein Herr ein fast übermenschliches Wesen war.
Harper sah auf die Lagune hinaus und dachte an seinen guten Freund Henry. Er war in Ordnung, aber es war einfach noch nicht an der Zeit, sich zu melden. Seit diese Menschen die Atomenergie entdeckt hatten, war alles noch viel gefährlicher geworden. Harper vermied bei sich alles, was mit Elektrizität zu tun hatte, und er badete sehr oft und sehr warm, um nicht zu sagen, heiß. Das tat seinem Körper, der sehr austrocknungsgefährdet war, gut. Selbst solche Aufenthalte, wie er sie manchmal in die Anden unternahm, waren selten geworden, seit das ERBE hervordrängte. Er verspürte oft ein Drücken in seinem Brustkorb(,) und er lächelte dann.
Wenn er doch nicht hätte lügen müssen! Aber Henry war das nicht gewöhnt, er hätte sicherlich Panik bekommen, wenn er von IHREN Fortpflanzungsregeln erzählt hätte. Denn das konnte er nicht tun.
1943 im Sommer war William Harper gestorben. Oder zumindest war er sehr nahe daran gewesen, weil die Chemikalien seinen Organismus stark verunreinigt hatten.
Frnn’tlh hatte das erkannt, und er hatte entsprechend reagiert.
ich gebe dir hilfe, freund will, hatte er gesagt. ich habe deinen körper zerstört, und nur ich vermag ihn wieder zu beleben. sei ruhig und gefasst, lasse dir helfen.
Und dann war der Außerirdische kleiner geworden, viel kleiner, er war geschrumpft auf ein Zehntel seiner Größe, und William hatte ihn genommen und die kleine schwarze Panzerkugel noch mehr zusammengedrückt wie einen Schwamm, aus der nun die überschüssige Flüssigkeit lief. Er wusste, dass sein Freund damit starb, aber das konnte er nicht ändern.
Als er klein genug war, hatte er diese Kugel geschluckt. Und dann war er bewusstlos geworden.
Seine Eltern hatten ihn gefunden und sofort ins Krankenhaus gebracht. Hier wurde allerdings festgestellt, dass ihm außer einer starken Entkräftung kaum etwas fehlte. Von tief drinnen befahl eine innere Stimme den Ärzten, keine Antibiotika zu injizieren, und sie gehorchten wie Marionetten, ohne sich dessen bewusst zu werden.
Will kam nach Hause zurück und wuchs zu einem kräftigen, gesunden Burschen heran, zu einem intelligenten Mann, der gebildet und kultiviert, aber seltsam sexuell desinteressiert war. Das wurde nicht als direkter Mangel aufgefasst. Will diente nicht in der Armee, weil er sie verabscheute, wie er überhaupt jede Gewaltanwendung verabscheute. Auch verabscheute er es, mit den Arbeitern zu streiten, sondern er diskutierte lieber bis tief in die Nacht mit ihnen und handelte Kompromisse aus. Das imponierte seinem Vater, der ihn wegen seiner Militärverweigerung verachtet hatte, so sehr, dass er ihn nachher dennoch als Erben einsetzte, als er starb.
Will setzte sich später zur Ruhe, und selbst mit sechzig Jahren hatte er noch nicht das gefunden, was er suchte. Bis er die Lichterbucht fand.
Hier ließ er schließlich das ERBE schlüpfen, und es wuchs und gedieh in ihm wundervoll. Die Rasse von Frrn’tlh, eine Rasse, deren Name so unaussprechlich wie sein eigener Name war, hatte im Verlaufe ihrer Evolution ein Fortpflanzungssystem entdeckt, das dem der Insekten sehr ähnlich war. Es wurde dadurch möglich, dass sich die einzelnen Mitglieder seines Volkes sich von Raubtieren verschlingen ließen, sich in ihrem Inneren festkrallten und zum Teil jahrelang nicht zu wachsen begannen. Mit der Komprimierungsphase begann der so genannte Tod, der allerdings keiner war.
Seine Rasse war in gewisser Weise unsterblich, sie lebte in einer schier endlosen Kette von Inkarnationen fort. Auf der Erde hätte man diese Art der Fortpflanzung vermutlich parasitär genannt, und sie wäre kaum auf Gegenliebe gestoßen. Dabei hatte sie mit Parasitentum nichts zu tun, sondern war etwas vollkommen anderes. Wenn die Individuen, in denen die Außerirdischen saßen, krank wurden oder durch solche Krankheiten in Lebensgefahr gerieten, heilten die Außerirdischen sie durch Früherkennung oder Stabilisierung des Immunsystems durch eigene Spezialstoffe. Als Gegenwert wurde der Körper des Außerirdischen geschützt, gewärmt, angefeuchtet und ernährt. Es war eine perfekte Symbiosegemeinschaft, die erst dann endete, wenn das eigentliche Wachstumsstadium des Außerirdischen begann.
Sicherlich endete dann das Leben des Wirtskörpers, das war nicht zu bestreiten. Aber es war zum beiderseitigen Vorteil.
Und William Harper, der ohne den Außerirdischen vermutlich längst tot wäre, sah lächelnd zu dem hell schimmernden Ellipsoid, das sich aus dem bewölkten Himmel heruntersenkte.
„Lebe wohl, mein Freund.“
„Ja … ja. Herr … kommt Ihr wirklich nicht wieder?“, flüsterte der Eingeborene, dem sein Arbeitgeber wirklich sympathisch gewesen war.
„Ich nicht“, gab Harper zurück. „Aber sicherlich jemand anderes. Du kennst doch die kleine Ebenholzschachtel auf meinem Schreibtisch.“
„Ja, Herr!“
„Darin befinden sich kleine, schwarze Kugeln. Gib sie jemandem, den du gerne hier sehen würdest, zu essen. Lasse sie ihn unzerkaut herunterschlucken. Und du wirst sehen, bald wird er hier einziehen.“
„Ein großer Zauber von Euch, ja?“, fragte er.
„Ja, so kann man das sehen“, sagte Frrn’tlh freundlich zu dem irdischen Menschen und ging auf den Lichtsteg zu, der ihn in das Schiff seiner Rasse bringen würde. Bald würde ihre Rasse einen neuen Kundschafter hier haben. Sehr bald.
Die Lichterbucht würde immer ihr Stützpunkt bleiben.
ENDE