Hier gibt es die PDF-Variante zum downloaden.
Ich habe ein Dilemma. Senex hat eine Menge schöner Bilder in seine Stories integriert. Aber ich habe noch nicht herausgefunden, wie diese impliziert werden.
Wenn ich Drag’nDrop mache, werden sie nicht mit kopiert. Bedeutet: erst mal sind sie weg. Witzigerweise bleiben sie in der PDF drin. Ziehe ich diese aber rüber, verschwinden auch hier die Bilder. Das ist ein Problem, denn Seejays Mathe-Novelle hat einen Chat ganz zu Anfang, den ich ums Verrecken nicht eingebaut kriege. Deshalb seid nicht verwundert, wenn hier unten gleich die PDF gepostet und als Datei angehängt wird; die angehängte Datei enthält garantiert die Bilder.
Zumindest hoffe ich das. ^^ Wir werden sehen, was noch alles passiert, und ich bin ja lernfähig.

World of Cosmos 122 PDF

In eigener Sache

Wie Roland und Marc bereits gesagt haben, übernehme ich mit diesem WoC das Ruder auf dem Sternenschiff World of Cosmos. Die Situation ist wie folgt: Einhundert Exemplare hat Andreas „Bully“ Dempwolf regelrecht und -mäßig auf Papier gehämmert und herausgebracht. Fünfundzwanzig Jahre lang. Als ihm der Sinn nach Veränderung stand, sprang der eigentliche Initiator des World of Cosmos, Marc Schneider, in die Bresche und veröffentlichte immerhin 20 elektronische WoC’s und gab eines an das World of Cosmos-Urgestein Roland Triankowski ab.

Im Sommer war es so, dass beiden vor allem wegen dem Beruf der Saft ausging. Der Vorschlag der Beiden war, ein Quartal zu überspringen und zu Weihnachten ein letztes, abschließendes WoC herauszubringen.

Die Alternative? Dass sich unter den anderen wenigen Aktiven jemand findet, der das Projekt weiterführen wird.

Versteht mich nicht falsch. Wir sind kein großes Projekt, und der Aufwand ist gemessen an der Aufmerksamkeit, die wir dafür bekommen eher gering. Aber einerseits ist es eine Arbeit, von der ich finde, dass sie es wert ist, getan zu werden, und andererseits bin ich ohnehin diesen Teil der Arbeit gewohnt und WILL ihn auch weiter machen. Wird schon nicht so schlimm werden, und ich behalte es mir vor, ebenso wie Bully, Marc und Roland irgendwann die weiße Fahne zu hissen.

So, jetzt bin ich der mit den vier Balken auf den Schultern. Der Captain. Der, der dem Piloten die Anweisungen gibt. Der den Kurs vorgibt. Vorweg die guten Nachrichten: Nein, ich werde nicht alles großartig anders machen. Wie immer veröffentlicht das WoC Stories, Rezensionen, Leserbriefe, sonstige Artikel, solange es nur mit Science Fiction oder Fantasy zu tun hat. Wir sind da vielschichtig, waren es schon immer und bleiben es auch. Aber natürlich werde ich dem WoC ab hier meinen Stempel aufdrücken und eben doch das Eine oder Andere anders machen. Wir beginnen damit, dass ich Senex gebeten habe, einen ganz besonderen Artikel über seine Krebserkrankungen und seine Erfahrungen bei der Behandlung zu schreiben.

Ich möchte das erklären. Wir sind ja nun in der Hauptsache Menschen, die in den Neunzigern in den Zwanzigern ihres Lebens waren. Wir sind alle älter geworden. Im Zuge dessen hatten wir auf Discord (Ihr dürft gerne beitreten. Bei Interesse kontaktiert mich über die Kommentarfunktion dieses Intros oder über die Mailadresse), unserem Diskussionsforum, über eben dieses älter werden eine ausgiebige Diskussion, wobei ich feststellen musste, dass nicht nur Senex bereits einschneidende Erfahrungen gemacht hatte. Daher habe ich ihn gebeten, einen entsprechenden Artikel zu verfassen, der auch prompt direkt hinter den Leserbriefen erfolgen wird. Denn ich halte das Thema für wichtig und diskussionswürdig. Danke, dass Du meiner Aufforderung mit so einem ergreifenden Text nachgekommen bist, Göttrik.

Ich möchte nicht ausschließen, dass so ein Blick über den Tellerrand des öfteren kommen wird.

Was auf jeden Fall kommt, das ist ein Ausflug in das Oki Stanvers-Universum von Uwe Lammers. Nachdem er aus seinem Fundus bereits einige Stories beigesteuert hat, folgt diesmal ein Fortsetzungstext aus seinem ganz persönlichen Universum, dem Oki Stanvers-Mythos. Wir werden sehen, was da noch folgen wird.

Ansonsten erwarten Euch einige weitere Artikel, Stories und Rezensionen, wie Ihr es vom WoC gewohnt seid.

Ach, eine kleine Neuerung kommt noch obenauf: Ich werde nicht so intensiv bebildern wie mein Vorgänger; da, wo es sein muss, werde auch ich eine KI anwerfen oder einen Zeichner fragen. Aber ich werde nicht mehr für jede Story und jeden Artikel ein Bild entwerfen. Aber wer wie Senex die KI selbst anwirft und ein Bild für seine Story, seinen Artikel oder seinen Leserbrief einreichen möchte, dem stehe ich da nicht im Wege und nehme die Arbeit gerne.

Was ich auch noch erwähnen möchte: Erstmals hat uns Christian Jaeckel, den ich noch vom 60 Jahre-Projekt als Teilnehmer kenne, einen Text zur Verfügung gestellt. Seejay, wie er sich im Fandom rufen lässt, bewirbt damit ein Buch aus seiner Feder.

Er schreibt am Ende seiner Story: „Christian Eckhard: „Mathe für Helden – abenteuerliche Mathematik“, 252 Seiten, 8,99 €, ISBN 978-3-7519-5924-7.

Aus dem Klappentext: Zwei Abenteurer suchen die Orakelsteine König Davids; Sherlock Holmes enträtselt Moriartys letztes Geheimnis; ein FBI-Team untersucht einen Mord und entdeckt dabei einen Bauskandal; ein junger Mann soll in einer Parallelwelt eine Königin retten; ein Professor und eine Journalistin entlarven einen wissenschaftlichen Betrug; eine Dame tritt eine skurrile Erbschaft an; eine Ingenieurin stößt auf dem Mond auf einen Saboteur; ein Schmuggler trifft eine Piratentochter, die mit ihm einen Schatz heben will. Und jedes Mal sind dabei diverse Mathematikaufgaben zu lösen. Aber Achtung: Die meisten sind wirklich Oberstufenniveau – für Helden eben.“

Mit diesen Worten von mir entlasse ich Euch auf die gut gefüllten Weiden des World of Cosmos. Und erinnert Euch bitte immer daran: Neue Beiträge nehmen wir immer sehr gerne und neue Gesichter, und sei es nur in den Kommentaren zu den Beiträgen, sehen wir auch immer gerne.

Und ja, nur um das klarzustellen, ich werde alle Texte auch zu einer PDF zusammenschmeißen.

Tiff

Leserbrief Göttrik

Depesche seiner Erhabenheit,

Göttrik da Cimbria,

Bernd Labusch

Johann-G.-Müller Str. 25

25524 Itzehoe

Famal Gosner“,

und Frohe Ostern für die Leser des WoC 122.

Seit etwa zwei Jahren bzw. der Ausgabe 101 erschien das „World of Cosmos“ unter der Redaktion von Marc Schneider, und Roland Triankowski gestaltete die neue Homepage für das Fanzine. Mit der aktuellen Ausgabe 122 übernimmt Alexander Kaiser ihre Funktion und führt die Tradition weiter, wofür ich mich hiermit herzlich mit diesem kleinen Leserbrief bedanken möchte. Ebenso möchte ich mich bei Marc und Roland für ihre Tätigkeit in den letzten Jahren bedanken und meine Hoffnung äußern, dass sie sich als Autoren weiterhin am „World of Cosmos“ beteiligen werden.

Auf jeden Fall freue ich mich auf neue Storys von Tiff. Auch wenn sich „Anime Evolution“ dem Ende nähert, aber ich hege keinen Zweifel daran, dass er längst ein Dutzend neuer Ideen für das „WoC“ und für andere Gelegenheiten bereit hält.

Soweit ich hörte, geht es mit der „Perry Rhodan“-Fanserie „Rätsel der Galaxien“ unverändert weiter. Etwas, das mich sehr erfreut. Auch wenn der zeitliche Abstand zwischen der Handlungszeit der Fanserie und der Handlungszeit der aktuellen Hefte der „Perry Rhodan“-Serie inzwischen etwa 1000 Jahre beträgt. Einer Zeit, die man heute schon fast als die „Gute alte Zeit“ bezeichnen könnte, obwohl sie selbst erst etwa 30 reale Jahre zurückliegt.

Ich selbst werde mich leider aus Zeitmangel weiterhin eher im Hintergrund halten. Ich hoffe, meine kurzen Kommentare zu den aktuellen Heftromanserien haben unter dem Zeitmangel nicht allzu sehr gelitten. Ich würde mich sehr über Kommentare und Ergänzungen freuen.

Wenn Tiff nichts dagegen hat, trage ich zu diesem WoC noch eine alte Story bei: „Cpt‘Carch – Teil 1: Ein neuer Alter Bekannter“. Die Story ist aus einer Zeit als Bully als Redakteur die Texte noch per Hand abschrieb und in die immerhin schon per EDV erstellten Matrizen für die reine Printausgabe einfügte.

Soweit erst einmal mein kurzer Leserbrief zum WoC 122.

Leserbrief Tiff

Liebe Freunde und Mitstreiter des Woc,

heute ist Sonntag, der 06.04.2025, und ich habe mir fest vorgenommen, noch zwei kurze Beiträge für das WoC 122 zu schreiben – diesen und meinen Anime-Appetizer – UND das Ganze auch heute noch hochzuladen. Dafür habe ich noch fünfeinhalb Stunden, und wenn ich mich nicht SEHR ablenken lasse, sollte es mir möglich sein. Versteht also, wenn ich mich hier und da etwas kurz fasse.

Aber erst mal gibt es ja genug zu schreiben zu den Leserbriefen.

Viele waren es nicht, genauer gesagt zwei, meiner unter anderem, aber darin enthaltenen Aussagen sind natürlich beachtens-, und kommentierenswert. Gehen wir also direkt zum zweiten LB von Roland, in dem er seine Beweggründe offen legt, warum er parallel zu Marcs Rückzug vom Chefredakteursposten auch seine eigenen Aktivitäten zurückdreht.

Seine Kernaussage ist, dass der Aufwand das Ergebnis nicht rechtfertigt.

Das mag tatsächlich so sein. Als das WoC noch gedruckt erschien, gab es eine Auflage von einhundert Exemplaren. Mit dem Wechsel zum eZine gibt es Downloads und Klicks auf die einzelnen Beiträge, die auf maximal fünfzig Lesern neben uns Autoren schätzen lassen – und diese Zahl ist vermutlich um ein Drittel zu hoch gesteckt. Wenn man so die reinen Zahlen betrachtet, und dass die Kommentare unter den Beiträgen eher selten und fast nie von außen kommen, mag Roland Recht haben.

Roland, alter Freund, es ist Dein Recht, und nur Deines allein, wie Du Deine karge Freizeit verbringst. Wenn solche Schreibarbeit für Dich mit einer immateriellen Entschädigung wie Klickzahlen verbunden ist, und Du diese nicht im ausreichenden Maße siehst, musst Du halt Deinem Herzen folgen.

Für mich allerdings gilt das nicht. Das WoC war, ist und bleibt für mich ein Stück Regelmäßigkeit, und dies schon seit WoC 006. Seitdem heißt es alle Vierteljahre für mich: Es ist World of Cosmos-Zeit, und wie viele Tage gibt mir der Chefredakteur zum fertig werden nach dem eigentlichen Einsendeschluss? Nun, zu letzterem habe ich jetzt einen allerbesten Draht, also ist das kein Thema mehr. Aber die anderen Dinge halt, die möchte ich nicht missen.


Die Alternative wäre tatsächlich gewesen, auch das WoC einzustampfen, und dazu bin ich nicht bereit. Vielleicht noch nicht. Ich habe keine Ahnung, was die Zukunft noch bringen wird. Aber für WoC 122 hat das Magazin definitiv einen verantwortlichen Redakteur. Aber zwei Dinge, Roland, muss ich noch ansprechen.

1) Ich freue mich natürlich, wenn Du auch weiterhin hier und da Beiträge lieferst und mitarbeitest.

2) In Deinem LB hast Du versprochen, die Raketenmärchen fortzusetzen, die Sternfahrt (unser zweites Joint Venture), und, ganz besonders wichtig: OLD MAN RHODAN! Daran werde ich Dich ab sofort des Öfteren erinnern.

Das war es schon mit den Leserbriefen, und wir kommen auch schon zu den Stories, die ich normalerweise nicht nur kommentiert hätte, sondern auch gelesen. Aber es war sehr viel los bei mir, sodass ich über Der epochale Moment von Uwe nur kurz drübergelesen habe (das Ende gefällt mir schon mal sehr gut), während ich Vader&Ich von Rosalinda Kilian natürlich schon lange von Fanfiktion.de kenne und schon vor Jahren gelesen habe. (Sehr verwirrend, die unterschiedlichen Veröffentlichsformate, denn hier erscheinen gleich mehrere Folgen auf einem Schlag.)

Das gilt natürlich auch für die beiden Geschichten von Senex, Rhodans Tochter und Voller Dampf für Kakanien, die ich natürlich auch schon lange vor dem Erscheinen im WoC gelesen habe. (Ja, ich weiß, Roland, wir hatten über die Exklusivität von Beiträgen im WoC geredet, aber ich bleibe dabei, dass die Wiederveröffentlichung auch Meriten hat. So hat Seejay Vader&Ich nur dank uns entdeckt und ist begeistert. Das ist der Effekt, den ich mir erhoffe.)

Sorry, Göttrik, dass ich INI immer noch nicht lese. Ich habe das Gefühl, da durchaus was zu verpassen, aber überwinde mal die Trägheit mehrerer Jahre einfach so.

Über meine Story reden wir dann einfach nicht, dafür präsentiere ich Anime Evolution: Spiegel zwei von meiner Alternativgeschichte zu Anime Evolution.

Die anderen Artikel habe ich leider nicht gelesen, nur angeschnitten, weil nach dem Weihnachts-WoC tatsächlich sehr viel los war bei mir. Ihr wollt wissen, was?

Abgesehen davon, dass mein Vorgesetzter seinen Jahresurlaub im März genommen hat und ich deshalb drei Wochen sechs Tage durcharbeiten musste und daher weniger Schreibzeit hatte, gibt es auch vernünftige Gründe, zumindest einen:

Einigen sollte bekannt sein, dass ich 2022 einen Steampunkroman bei Emmerich Books veröffentlicht habe mit dem Namen St. Petersburger Eröffnung, der der erste von mindestens drei Bänden der Reihe Der Schachtürke sein sollte. Wie die Dinge so stehen hat mich Peter Emmerich neulich ermahnt, mit Band zwei in die Pötte zu kommen, und siehe da, Ende Januar habe ich tatsächlich das letzte Wort dazu geschrieben. Was folgte, waren die üblichen Lektoratsrunden für das Buch, das heißt, Peter markiert mir, was er geändert haben wollte, ich schicke es ihm wieder, dann kommt es noch mal zurück, und ich ändere wieder. Das ging diesmal erheblich schneller als letztes Mal. Wahrscheinlich die Übung.


Die guten Nachrichten vorweg: Das Buch ist in der Endabnahme und wird nur noch auf Rechtschreibfehler durchsucht, und Beate Rocholz wird wieder das Titelbild abliefern, da sie die Haus&Magen-Grafikerin bei Emmerich Books ist. Das bedeutet jetzt allerdings nichts Schlechtes, denn bereits das erste Titelbild hat mich nach dem ersten Schrecken schwer begeistert. Ich erwarte von Beate wieder eine künstlerische Collage mit dem Aha-Effekt des ersten Buchs. Und ja, dieses ganze Hin und Her hat dazu geführt, dass ich mir für viele Dinge Zeit genommen habe, aber nicht dafür, das letzte WoC zu kommentieren, geschweige denn unter den Beiträgen zu kommentieren, was Rosalinda Kilian hingegen gemacht hat. Vor allem steht ja schon seit dem Sommer fest, dass ich übernehme, und trotzdem habe ich erst kurz vorher angefangen, die zukünftige Aufgabe zu ordnen und zu verfassen. Asche auf mein Haupt.

Das bedeutet natürlich zwei Dinge. Einerseits, dass das neue Buch mit dem Titel Gardez in Bombay womöglich noch vor dem Sommer erscheint (Ich werde wieder Belegexemplare bekommen, die ich signiert in die Welt versenden kann), und andererseits, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner schreibenden Zeit in Band drei fließen wird.

Ich werde das Buch dann auch hier im WoC vorstellen und freue mich auf Käufer und Kommentare.

Genug Eigenwerbung. Ich versuche, einige der Artikel nachzulesen und Kommentare dazulassen, aber ich verspreche nichts. Und der LB muss ja auch mal fertig werden, damit ich den Anime Appetizer schreiben kann.

Hier gibt es übrigens noch zwei Dinge, die ich berichten muss, so ganz schnell noch hintenan. Einerseits versuche ich mich diesmal nicht an einer Bewertung der letzten Saison, sondern darin, die am 01.04. angelaufene Frühjahrsseason zu kommentieren. Also werde ich vier, vielleicht fünf Anime vorstellen, von denen ich lediglich beim Ersten bereits drei Folgen gesehen habe, ist das eine.

Das Zweite hat nichts mit Anime zu tun, aber mit einem „Neuen“. Tatsächlich wird Christian Jaeckel, Seejay möchte er genannt werden, eine der Stories aus seinem Buch „Mathe für Helden – abenteuerliche Mathematik“, 252 Seiten, 8,99 €, ISBN 978-3-7519-5924-7 als Auszug bringen.

Ich hoffe doch sehr, dass dies keine Eintagsfliege bleiben wird.
Wie immer gilt: Leser, Autoren, Zeichner, Kommentatoren und Fans kann das WoC immer gebrauchen.

Hitzestau und Ladehemmungen,


Tiff

P.S.: Ja, ich werde die Tage auch eine PDF veröffentlichen, wenn das WoC fertig ist. Dienstag Nachmittag habe ich frei, spätestens dann also.

P.P.S.: Jetzt sind es nur noch fünf Stunden.

Artikel von Senex

Die Angst des Patienten vor dem Arztbesuch

oder

Viel Krawall um fast nichts

Es gibt im Leben viele erste Male – und sie sind nicht immer angenehm. Eigentlich ist fast immer eine ungute Komponente damit verbunden, oft schon vorher.

Das erste Mal auf einem Sprungturm stehen.

Das erste Mal allein mit dem Rad fahren, ohne Unterstützung.

Das erste Mal selber am Steuer eines Autos sitzen.

Das erste Mal Sex. Das ist nicht nur für ein Mädchen ein zumeist schmerzhaftes Erlebnis, sondern auch für den Knaben. Besonders dann, wenn beide gleich viel Erfahrung haben, nämlich keine.

Aber am einschneidendsten ist das erste Mal, wenn man eine bestimmte Diagnose hört.

Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass es NHL ist.“

Ein bitte was?“

Ein Non Hodgkins Lymphom. Lymphknotenkrebs.“

Zuerst nähert sich die Wand ganz rapide Deinem Rücken, dann der Boden Deinem Gesäß. Auf gut Deutsch – es haut Dich auf den Arsch. Mein erster Tipp ist also, wenn ein Arzt auf Dich zukommt und sagt: „Ich habe ein Ergebnis vorliegen“, dann such Dir eine Sitzgelegenheit. Wenn Du sie nicht brauchst, dann freue Dich, aber wenn schon …

Wie hat das Ganze angefangen? Im Oktober 1998 fragte mich meine Frau nach zwei Erhebungen am Hals und bemerkte, ich solle einen Arzt aufsuchen. Also tue ich, was jeder gut erzogene Ehemann macht, nämlich das, was die Frau sagt. Irgendwann. In diesem Fall sogar ziemlich bald, nämlich im November. Tut ja nichts weh, was soll schon sein. Nun, die Hausärztin sieht genau hin, drückt, fragt nach Schmerzen, setzt sich wieder hin und sagt dann, dass es nicht sicher sei, was es ist. Ich solle ins Spital, im nächst gelegenen könne sie mir innerhalb von zwei Wochen einen Termin machen. Dippel rausschneiden und histologisch untersuchen lassen. Irgendwie überrumpelt sage ich zu – und halte den Termin auch ein. So bin ich halt erzogen.

30. November 1998, 9:00 Uhr. Es beginnt das übliche Procedere der Aufnahme und der Vorbereitung zur OP. Anamnese. Beratung. Internistische Freigabe. Vorbereitungspille. Gewand. Rasur. Dauernadel. Es ist ein eingespieltes Ritual, schnell gemacht, es ist ja kein großer Eingriff.

Hier ein kleiner Tipp gleich zwischendurch:

Ihr werdet bei jeder Aufnahme das gleiche gefragt. Welche Krankheiten, Verletzungen, Impfungen – eben die ganze Vorgeschichte. Also legt Euch eine Liste an, wo das drin steht. Da windet man sich in einer Kolik und soll wissen, wann die Blinddarmoperation oder die Mandeln waren. Gleiches gilt für Medikamente. Dann gibt es kein Vergessen.

Aber weiter. Die ersten Tage im Krankenhaus nach der Narkose waren nicht lustig, aber ich hatte mir einige Bücher von Anne McCaffrey mitgenommen. Pern. Ich wollte sie ohnehin immer schon lesen, es schien eine gute Gelegenheit zu sein.

Dann – PENG!

Die Diagnose ist da.

Es gehen einem da schon einige Gedanken durch den Kopf. Pläne. So etwa einer, in dem Schlafmittel, blutdrucksenkende Medikamente, eine Flasche Cognac und ein Balkon bei Minus-Graden eine zentrale Rolle spielen. Nun, im Krankenhaus komm man schwer an Alkohol, und einige Tage später hat man sich auch wieder gefangen.

Es folgen die unvermeidlichen Blutabnahmen, eine Knochenmarkstanze, ein CT – man ist wieder in einer Routine gefangen. Dann, etwa zweieinhalb Monate nachdem meine Frau die Schwellung bemerkt hat, hing ich an der Nadel. Ein halbes Jahr alle drei Wochen eine Infusion. Besonders witzig, wenn man wie ich panische Angst vor Injektionen und ähnlichem hat.

Dazwischen eine Stammzellenpherese. Zwei Wochen Krankenhaus, am Beginn eine konzentrierte Chemo, dann jeden Tag zwei Injektionen. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Die ersten Tage kämpft man mit Übelkeit und auch einem gewissen seelischen Kater. Physis und Psyche sind komplett aus dem Gleichgewicht. Dann – oh welch Freude – wird man wieder aufgeschnitten. Ein sogenannter Cava-Katheter wird gelegt. Also, ein kleiner Schlauch in die Vena Cava inferior hinter den Rippen. Keine allzu große Sache, aber auch nicht wirklich angenehm. Und dann – zwei Tage hintereinander etwas über drei Stunden liegen, während durch den einen Teil des Katheters Blut aus dem Körper entnommen, durch eine Gerät gepumpt und wieder zurück in den Körper geleitet wird. Übrig bleiben Stammzellen. Zur Lagerung für später.

Kann man überleben.

Habe ich überlebt.

Lustig war’s nicht.

Ende Sommer `99 dann noch eine Strahlentherapie. Sonnen- also, genau genommen Strahlenbrand am Hals. Damit war natürlich zu rechnen gewesen, und dass man sich am Hals nicht waschen soll, weil die dort aufgemalten Markierungen nicht weggewaschen werden sollen, leuchtet durchaus ein. Unangenehm, aber nicht das Schlimmste.

Aber hattet Ihr schon einmal Sonnenbrand IM Hals? So viel Eis, um das zu kühlen, kann man gar nicht essen.

Das war meine erste Bekanntschaft mit einem Tumor. Das zweite Mal war es – die Prostata.

2004. Bei einer routinemäßigen Untersuchung wurde unter anderem ein erhöhter PSA-Wert festgestellt. Hat mich nicht sehr gekümmert, ich wusste nicht, was das Ding ist. Es ist das ‚Prostata-spezifische Antigen’. Ich hatte mich nie mit dem Organ befasst, weil es funktionierte. Ich wusste zwar, dass Mann sich ab 50 regelmäßig einer Untersuchung unterziehen sollte, aber hey, bis dahin hatte ich noch ein paar Jährchen. Fünf, wenn man genau sein will. Also, sche** drauf!

2007 war ich immer noch keine 50, habe aber durch puren Zufall erfahren, was PSA bedeutet. Und ein erhöhter Wert. Das Antigen ist nämlich ein ziemlich sicherer Tumormarker.

Allerdings wollten die Ärzte nicht gleich operieren, sondern machten zuerst eine Menge Untersuchungen. Ultraschall, Röntgen, CT. Und weil das bei der Höhe des Wertes nicht mehr ausreichend war, eine Prostata-Stanze. Ja, das ist genau so toll, wie es sich anhört. In den After wird eine Sonde gesteckt, die mit federbetriebenen Hohlnadeln durch die Darmwand Proben aus der Prostata entnehmen. Man bekommt zwar eine örtliche Betäubung, aber – nun, ich habe keine Prostata mehr, der man eine Probe entnehmen müsste. Wenn es Euch blühen sollte, dann fragt nach einer Narkose. Oder einer doppelten Dosis Betäubung.

Oder noch VIEL besser, geht mit 45 zu einer Blutabnahme und lasst Euch Tumormarker bestimmen. Und ab 50 regelmäßig. Es lohnt sich.

Na ja, was soll man über eine Operation groß sagen. Ich bin eingeschlafen und ohne Prostata wieder aufgewacht. Mit der damals neuen, heute allerdings zum Standard gewordenen minimalinvasiven Knopflochmethode. Fünf winzige Schnitte statt einem großen. Der Chirurg hat es sogar geschafft, mir eine gewisse Potenz zu erhalten. Natürlich ohne Zeugungsunfähigkeit, aber auch ohne Flecken auf dem Laken. Nur so ganz dicht bin ich seit damals nicht mehr, aber in Österreich werden ausreichend Inkontinenzartikel bezahlt. Es dauert nur, bis man sich daran gewöhnt hat.

Und hier liegt der besonders große Vorteil der frühen Erkennung. Es reicht meistens, nur einen Teil der Prostata zu entfernen – und damit bleiben beide Schließmuskel der Harnröhre erhalten. Also weiterhin Pipi nur auf Kommando. Trotzdem, jo mei! Ma ko damit ldb’m, dass ma undicht is.

2009 habe ich dann den Hattrick geschafft. Den dritte Teil der Trilogie. „The return of NHL“. Wieder Chemotherapie. Trotzdem – ich hatte Glück. Großes Glück. Ich lebe noch.

Meine Mutter, der Sohn ihrer Schwester und ihre Mutter sind an Darmkrebs gestorben.

Mein Cousin hat immer gesagt, er mag es nicht, wenn ihm jemand im Hintern herumstochert. Nicht wörtlich, sondern in seinem breiten wienerisch-bayrischen Dialekt. Bis es zu spät war – und niemand wusste, ob ihn die Krankheit oder die Therapie schneller und schmerzhafter unter die Erde bringt.

Meine Mutter hatte eine seit Jahren abgelaufene Zuweisung für eine Darmspiegelung in der Tasche.

Hätten sie überlebt, wären sie früher zum Arzt gegangen? Zumindest hätten sie eine Chance gehabt. Mein Vater hat es geschafft, noch einige Jahre zu leben, er ging rechtzeitig.

Meiner Meinung nach ist es lohnend, zu Untersuchungen zu gehen. Frauen zur Brustuntersuchung, Männer zumindest zur Blutabnahme für PSA. Beide zur Darmspiegelung, spätestens ab 50. Tut nicht weh, das unangenehmste ist die Abführung. Oder zumindest eine Stuhluntersuchung auf okkultes Blut. Es lohnt sich, mit dem Hausarzt über Tumormarker im Blut zu sprechen, einige Arten können heute schon mit einer Blutabnahme abgeklärt werden.

Ja, ich weiß schon, who want’s to live forever? Aber an einem Tumor zu sterben ist nicht witzig. Gar nicht.

Appetizer von Göttrik

Appetizer von Bernd „Göttrik“ Labusch in WoC 122

Diesmal konzentriere ich mich im Appetizer auf die Science Fiction-Heftromane der letzten Monate und somit auf „Perry Rhodan“, „Maddrax“ und „Perry Rhodan Kartanin“. Im Bereich der „Fantasy“ bzw. des Gruselheftromans ist zwar auch viel passiert, vor allem bei Bastei, aber ich fand keine Zeit zum Lesen der Serien. Neben „John Sinclair“ in verschiedenen Versionen und Auflagen, erscheinen weiterhin „Professor Zamorra“, „Dorian Hunter“ und „Das Haus Zamis“. Hinzu kamen zum Jahreswechsel 2024/25 die Taschenheft-Miniserien „Die Vagabunden“ von Robert Corvus und „Atlantis Legenden“ von Ian Rolf Hill. Schließlich soll die Taschenheft-Serie „Castor Pollux“ von Michael Schauert 2025 eine weitere Staffel mit den üblichen 12 Ausgaben erhalten.

Der wichtigste Unterschied zwischen den Miniserien beim Bastei-Verlag und bei „Perry Rhodan“ ist, neben dem Format als Taschenhefte und dem Genre Fantasy selbst, der Umstand, dass alle Romane einer Miniserie in der Regel vom selben Autor verfasst werden. Letzteres sichert einen einheitlichen Erzählstil, ein geringes Maß an Widersprüchen in der Handlung und eine geradlinige Handlungsführung. Gleichzeitig reduziert es die Wahrscheinlichkeit von positiven Überraschungen. Bei dieser Gelegenheit sei auch erwähnt, dass die Taschenheft-Serie „Perry Rhodan Neo“ ebenfalls weiter läuft und inzwischen mit dem zehnbändigen Zyklus „IMPRINT“ die 350‘er Bände erreicht hat.

Heftroman-Miniserie: „Perry Rhodan Kartanin“

Am 14. März 2025 erschien Ausgabe Nr. 1 „Flucht zur Erde“ von Michael Marcus Thurner der neuen PR-Miniserie „Kartanin“. Wie üblich wird die Miniserie wieder 12 Hefte umfassen, die im Laufe des Jahres in einem Abstand von jeweils 14 Tagen erscheinen werden. Die Ausstattung der Hefte entspricht der Norm mit Glanzcover, Vorwort, Roman mit etwa 64 Seiten Umfang und einem Hauptpersonenkasten auf Seite 4. Natürlich gibt es auch ein Titelbild. Das Titelbild stammt diesmal von Dirk Schulz. Sowohl das Titelbild als auch der Roman nimmt sich hier und da Freiheiten gegenüber der erstmaligen Darstellung der Kartanin in den 1200‘er Heften, dem sog. „Chronofossilien“-Zyklus. Damals hielt noch Johnny Bruck das Monopol über die Titelbildgestaltung der „Perry Rhodan“-Publikationen, Redakteur war seit kurzem Horst Hoffmann, die Exposés stammten von Thomas Ziegler und Ernst Vlcek, William Voltz war erst etwa ein Jahr verstorben, in der „Atlan“-Serie begann gerade der Großzyklus „Im Auftrag der Kosmokraten“, dessen Grobkonzept noch von William Voltz stammt, genau wie jenes für den „Chronofossilien“-Zyklus der Mutterserie. Die Verantwortung für die Gestaltung der Handlungsebene „Kleingalaxie Fornax“ und die Paratau-Diebe aus der Galaxie Pinwheel oblag weitgehend im Alleingang Marianne Sydow, welche die neue Figur „Dao-Lin-H‘ay“ als Anführerin der Kartanin zu ihrer Lebensaufgabe machte für den Rest ihrer Karriere als „Perry Rhodan“-Autorin bis zum Ende des „Linguiden“-Zyklus. Auf den Cons Anfang der 90‘er Jahre erklärte sie jedoch, dass sie diese Thematik zuletzt als zu einengend empfand und gab die Weigerung der damaligen Expokraten Ernst Vlcek und Kurt Mahr, ihr ein anderes Thema zu geben als Grund dafür an, aus der „Perry Rhodan“-Serie auszusteigen. Mit dem Ende des „Liguiden“-Zyklus mit Heft 1599 verließ jedoch nicht nur die Autorin die Serie als Abschiedsgeschenk erhielt ihre persönliche Hauptfigur und nach eigener Aussage inzwischen Nemesis, den Status einer Zellaktivatorträgerin. Dao-Lin-H‘ay wurde damit unsterblich, stand nun aber auch ohne Autorin da und wurde daraufhin in der benachbarten Großgalaxie Hangay geparkt, mit gelegentlichen Gastauftritten. In der zweiten Hälfte des „TRAITOR“-Großzyklus nach dem Exposé von Robert Feldhoff in den Heften 2400 bis 2499 erhielt sie dann ihren letzten großen Auftritt. Bei den Lesern blieben Marianne Sydow und ihre Figur Dao-Lin-H‘ay sowie das Volk der Kartanin unvergessen.

Mit dem ersten Heft der neuen Miniserie kehren nun Dao-Lin-H‘ay und ihr Volk als aktive Protagonisten in das Perryversum zurück. Stilistisch orientiert sich Michael Marcus Thurner dabei allerdings eher an Karl-Herbert Scheer als an Marianne Sydow. Passenderweise beginnt der Roman dann auch mit einer kleinen sportlichen Verfolgungsjagd eines älteren Haluters namens Miro Teik, der einzige Nachkomme des Haluters Fancan Teik, der zusammen mit Icho Tolot den allerersten Auftritt von Halutern in einem „Perry Rhodan“-Heft absolvierte, in Heft 200 „Die Straße nach Andromeda“ von K. H. Scheer, mit dem Titelhelden Perry Rhodan. Es bleibt hervorzuheben, dass der gesamte Roman voller solcher kleiner Querverweise auf ältere Romane ist. Das erste Kapitel hat keine weitere Bedeutung für den Roman, führt jedoch mit Miro Teik eine wichtige Nebenfigur für die Miniserie ein. Michael Marcus Thurners Schilderungen von Miro Teik bewirken bei mir den Eindruck, dass er eigentlich lieber gleich Fancan Teik geschildert hätte, doch der wurde bereits im „Perry Rhodan“-Heft 2709 „Der perfekte Jäger“ von Susan Schwartz getötet und damit aus der Serie herausgeschrieben.

Danach geht es um den Absturz des Raumschiffs von Dao-Lin-H‘ay und ihrer Mannschaft, das von einem anderen Raumschiff verfolgt wird, dessen Besatzung an kleine Teddybären erinnert, die allerdings von Parasiten befallen sind, welche sie in tollwütige Monster verwandeln. Letzteres ist eines der für Michael Marcus Thurner typischen Handlungselemente. Perry Rhodan will eigentlich nichts mit der ganzen Geschichte zu tun haben, wird jedoch immer tiefer in die Geschichte hineingezogen. Es bleibt festzuhalten, dass die Kartanin in den alten Zeiten das Revier anderer Zellaktivatorträger wie Homer G. Adams und Ronald Tekener war, die aus extrem unterschiedlichen Gründen für eine Miniserie nicht zur Verfügung stehen. Die Raumschlacht im Erdorbit endet mit dem Absturz beider Raumschiffe und die schitzoide Geheimagentin a. D. Suyemi Teab mit einer Bewusstseinskopie der Posmi Aurelia Bina im Kopf übernimmt die Leitung der Ermittlungen rund um die Absturzstellen. Der Leser erfährt, dass die Mehrheit der Teddybären, die sich selbst als Monchichi, halt nein Monchai bezeichnen und von einer seltsamen Seuche, die ich mal mit den Namen Vantani umschreiben möchte, befallen sind, verstorben sind. Es sind jedoch genügend verseuchte Monchichi, äh Monchai entkommen, um für den Rest der Miniserie für Ärger zu sorgen. Die Kartanin sind ebenfalls stark angeschlagen. Dao-Lin-H‘ay hat den Absturz ihres Raumschiffs jedoch überlebt und kann nun Perry Rhodan erzählen, dass sie mit ihren Anhängern die Galaxie Hangay verlassen hat und eine neue Kolonie in der Kleingalaxie Ursa Minor gegründet hat. Diese wird nun aber von den von den Vantani befallenen Monchichi, äh Monchai bedroht. Auf der neuen Siedlungswelt in Ursa Minor blieb ein äh Geschäftspartner der Kartanin zurück und organisiert den Widerstand, der Friedensfahrer und immer noch jüngste Rhodan-Sohn Kantiran. Dieser letzte Hinweis genügt nun doch, Perry Rhodan davon zu überzeugen, sich Dao-Lin-H‘ay anzuschließen und sich etwas tiefer mit ihrem Anliegen zu beschäftigen.

Interessant ist die Darstellung der Charaktere der Protagonisten, die sehr viel Raum in der Handlung einnimmt. Auch sind die Charaktere sehr viel eckiger und widerspenstiger als man es von der aktuellen „Perry Rhodan“-Serie oder „Neo“ gewohnt ist. Allerdings führt dies zu einem angespannten Miteinander der Protagonisten und sogar Missverständnissen. Es fühlt sich halt eher wie eine alter Krimi aus den 1950‘er Jahren an oder wie ein altes USO-Abenteuer aus der frühen „Perry Rhodan“-Serie und weniger wie ein Roman von Marianne Sydow aus den 1980‘er Jahren. Insgesamt empfand ich den Roman als angenehm zu lesen und unterhaltsam und bin gespannt darauf, wie es weitergeht. Aktuell kann man als Leser nur wild spekulieren, was hinter dem oder das Vantani steckt.

Heftroman-Serie: „Maddrax“

Bereits am 14. Dezember 2024 erschien Ausgabe 650 von „Maddrax“. Das Heft trägt den Titel „Im Auftrag des Weltrats“ und dies könnte auch der Titel des gesamten Zyklus sein, der bis Band 699 laufen soll. Die im Vergleich zu „Perry Rhodan“ ohnehin bereits lockere Handlungsführung soll nun komplett an die lange Leine gelegt werden und den Autoren viel Freiheit beim Konzipieren und Verfassen der Hefte gelassen werden. Wie der Titel bereits verrät, sind die Kämpfe des „Amraka“-Zyklus bereits Geschichte und die Weltregierung in Washington will endlich für Ordnung in der Welt sorgen. Maddrax und Aruula ziehen hinaus in den Einsatz als freischaffende Agenten in der Welt nach der Postapokalypse. Dabei erleben sie Einzelabenteuer im Handlungsjahre 2549 n. Chr.

Ab Heft 654: „Metamorphosen“ von Oliver Müller begeben sich die beiden jedoch auf eine Reise, die sie weit von Nordamerika weg führt. Die erste Station ist das Aachen der fernen Zukunft, deren Dom bereits seit vielen Jahrzehnten von einer Spezies intelligenten Insekten beherrscht wird. Die eigentlichen Bewohner haben sich längst mit Königin Ch‘zzarak und ihrem Volk arrangiert. Die Königin selbst wird mit jeder neuen Häutung menschlicher und ihr Volk entwickelt sich ebenfalls immer weiter. Letztlich handelt es sich jedoch weiterhin um große, extrem Intelligente Käfer, Ameisen oder Bienen usw. Die Welt von „Biene Maya“ ist real geworden, allerdings mehr die literarische Vorlage. Die Armee der Chitiins unter der Führung von General Koleptraa will sich damit nicht abfinden. Sie besteht aus Soldaten der umliegenden Kasernen, die von den Fürsten der umliegenden Provinzen finanziert und aufgestellt wurden. Es handelt sich um gewöhnliche Söldner aus dem Rheinland, die sich mit allem an Waffen ausgerüstet haben, was man in der Welt des 26. Jahrhunderts finden kann und zudem die Panzer und Häute getöteter Insekten aus dem Reich Ch‘zzaraks als Uniformen und Schutzwesten tragen. Sie wirken wie ein ziemlich heruntergekommenes Raubritterheer, sind aber gefährlich und halten die Reise von Maddrax und Aruula auf als sie deren Flugpanzer PROTO rauben. Damit bleibt unseren Helden nichts anderes übrig als sich auf die Seite der Insekten zu stellen. So manches in diesem Roman wirkt eher wie eine mit Ironie verfasste und reichlich blutige Satire auf „Asterix“.

Heft 655: „Die Feuerhexen von Berlin“ spielt in der deutschen Hauptstadt und wurde von Lucy Guth verfasst. Das Zentrum der Stadt besteht weiterhin aus der Metropole, die aus einer Parallelwelt kam, in welcher die Inquisition im Mittelalter die Macht an sich riss. Unter Bundeskanzler Ratzinger kam es jedoch zu zahlreichen Reformen und Besserungen. Auch das Volk der Hexen von Berlin und sogar neu in die Stadt hinzugezogene parapsychisch begabte Frauen werden geduldet, allerdings auch nicht mehr. Die Inquisition selbst wurde weitgehend entwaffnet, was diese nur widerwillig hinnahm und ihre neue Führung wartet nur auf eine Gelegenheit den Glaubenskrieg neu zu entfachen. Aruula und Maddrax interessieren sich jedoch auch für das Schicksal von Carry, die sich nach den Ereignissen in Heft 650 nach Berlin begeben hat, weil sie in Deutschland mehr Freiheit und Wohlstand für sich erwartete als ihr das Nordamerika des Jahres 2549 n. Chr. geben kann. Und dann ist da noch das charakterlich bösartige und niederträchtige WonderWoman Marlena, das, wie das Oberhaupt der Inquisition Bert Hölders auch, nach der Macht in der einstigen deutschen Hauptstadt strebt. Unterstützt werden Aruula und Maddrax hingegen von Klaus Meyer, dem deutschen Humphrey Bogart in seiner Rolle des Detektives „Sam Spade“. Letzterer wird schließlich Bürgermeister von Berlin, während Bundeskanzler Ratzinger seinen Zellaktivator im U-Bahn-Schacht verliert und den Roman nicht überlebt. Wie so oft sollte man die Romane der Serie als Mischung aus Fantasy, Abenteuerroman und etwas Science Fiction nicht zu ernst nehmen, auch wenn sie nicht direkt als Satire gedacht sind.

Weiter geht es in Heft 656 zur „Enklave der Männer“ auf der dänischen Insel Bornholm. Der Roman stammt von Christian Schwarz und schildert die Erlebnisse von Aruula und Maddrax während eines kurzen Zwischenaufenthalts auf ihrer Reise in einem Dorf, das nur von Junggesellen bewohnt wird, die aus dem Reich der 13 Inseln geflohen sind, weil sie sich nicht weiter der Tyrannei der Amazonen unterwerfen wollen. Doch auch auf der fernen Ostseeinsel ist das Leben nicht einfach und voller Gefahren. Vor allem Piraten vom nordwestlichen Ende Skandinaviens sorgen für Ärger. Diesmal erhält der Leser einen klassischen Abenteuerroman mit Rückblenden auf das Leben des Snorrje, der als männliches Kind im Reich der Amazonen einen Überfall der Möchtegern-Wikinger dank des Eingreifens Rulfans überlebt hat und später zum Anführer der nach Bornholm geflohenen Jünglinge wird. Das Leben auf der Insel erweist sich jedoch in der Praxis als unerwartet hart.

Mit Heft 657 „Queen Haaley“ von Ian Rolf Hill erreichen Aruula und Maddrax endlich das Ziel ihrer Reise. Das Reich der 13 Inseln, die Heimat von Aruula und der Sitz eines Amazonenreichs, deren Führung zudem über Parafähigkeiten verfügt. Und Haaley, die komplett verrückte einstige Verbündete von Maddrax ebenso verrücktem Lieblingsfeind Dr. Jacob Smythe, die zwischendurch zu seiner eigenen Verbündeten und schließlich zur Königin der 13 Inseln wurde, ist verschwunden. Sie war auf der Suche nach einem legendären magischen Königsschwert. Wir begeben uns also auf die Spuren der Artussage. Dies ist übrigens für längere Zeit der letzte Maddrax-Roman von Ian Rolf Hill, der sich zum fleißigsten Autor des Bastei-Verlags entwickelt hat und auch bei Serien wie „John Sinclair“ und „Prof. Zamorra“ mitschreibt, aber sich nun auf andere Projekte konzentrieren möchte. Darunter die Miniserie „Atlantis Legenden“, die auf der berühmten Insel des Königs Atlan, der Typ mit den blonden Haaren und roten Augen, im Atlantik spielt, die vor etwa 10.000 Jahren unterging. Bei Bastei geht es jedoch mehr um das Schicksal einer Reihe relativ unsterblicher Dämonen in der Provinz, die später einmal als Helden und Schurken für die Heftserie „John Sinclair“ von Belang sein werden.

Allein der Umfang der Schilderungen dürfte bereits Hinweis darauf geben, dass ich gegenwärtig wieder viel Spaß mit der Serie „Maddrax“ habe und sie so gern lese wie lange nicht mehr. Ich selbst empfinde es dabei nicht als Nachteil, dass die Autoren sich zwar viele Freiheiten nehmen, aber nicht direkt mit ihrem Werk darauf hoffen, die Welt zu verändern, sondern das Publikum einfach nur unterhalten wollen. Auf der anderen Seite scheuen sie jedoch auch nicht vor satirischen Kommentaren zurück. Dies alles in ein phantastisches Setting verpackt, ist genau nach meinem Geschmack.

Heftroman-Serie: „Perry Rhodan“

Inzwischen ist mehr als ein Vierteljahr seit dem Erscheinen von WoC 121 Anfang Dezember 2024 vergangen und der erste Zyklus der „Perry Rhodan“-Serie nach dem Exposé von Ben Calvin Hary ist bei Heft 3317 angelangt und manche haben bereits Heft 3318 gelesen, wenn ich diese Zeilen an Tiff alias Alexander sende. Darüber hinaus hoffe ich darauf, dass Marc und Roland ihre Einzelheftbesprechungen der Erstauflage fortsetzen. Daher halte ich mich für meine Verhältnisse kurz.

Mit Heft 3300 „Terra muss fallen“ von Ben Calvin Hary begann der neue „Phoenix-Zyklus“, der lediglich 50 Hefte haben wird und nur als Einleitung in einen Großzyklus dienen soll, der mindestens bis Band 3499 gehen wird, wenn der neue Chefautor seine Pläne umsetzen kann. Handlungsjahr von Heft 3300 ist das Jahr 2250 NGZ, was dem Jahr 5837 n. Chr. entspricht.

Inzwischen ist auch klar, dass der Zyklus-Titel sich in erster Linie auf das Raumschiff PHOENIX bezieht mit dem Perry Rhodan, Atlan sowie Liam Barstow, Meg Ontares und der Ara Zhobotter zur Agolei reisen. Zhobotter ist kein Arzt, wie man es bei einem Ara in der Serie vermuten könnte, sondern ein Ingenieur mit dem Schwerpunkt Programmierung, wie auch Dr. Barstow, welche das Projekt „Phoenix“ leitet. Dabei geht es um die Entwicklung eines kleinen, wendigen, aber an Reichweite starken Kurierraumschiffs für die Organisation San, mit deren Aufbau sich Perry Rhodan inzwischen seit dem Jahr 1514 NGZ beschäftigt, das dem Jahr 5101 n. Chr. entspricht. Die Idee selbst geht noch auf den längst verstorbenen arkonidischen Imperator Bostich zurück. Es sollte eine Art staatliches Nachfolgeprojekt zur Kosmischen Hanse werden, die in Band 1800 oder im Handlungsjahr 1223 NGZ von der Liga Freier Terraner gewaltsam zerschlagen wurde. Angesichts der Dauer der Arbeiten an diesem Projekt fehlt mir als Leser der Glaube daran, dass die Autoren dieses real wirklich umsetzen wollen und die heutigen Autoren in der Kosmischen Hanse der Bände 1000 bis 1800 nicht einen Fehler ihre damaligen Vorgänger sehen. Unter der Exposé von Christian Montillon und Wim Vandemaan war das Projekt San selten mehr als ein Schlagwort, dass immer dann erwähnt wurde, wenn sich zu viele Leser über zu viel terranischen Nationalismus und Kleinklein sowie zu wenig Hintergrundschilderungen in der Serie beschwerten. Auch in Band 3300 ist San kaum mehr als die Begründung für den Bau der PHOENIX. Für die Handlung der „Perry Rhodan“-Serie selbst spielt das Projekt keine Rolle.

Wichtig für die Handlung ist die PHOENIX auch nur, weil es seit der Hyperimpedanz ab Band 2300 keine terranischen Fernraumschiffe mehr gibt, da die terranischen Ingenieure es nicht schafften, binnen 1000 Jahren neue Ferntriebwerke als Ersatz für das Metagrav-Triebwerk zu entwickeln. Man kann dies durchaus als unfreiwilligen Kommentar an die europäische und speziell deutsche Automobilwirtschaft werten. In Wahrheit ist es eher so, dass die aktuellen Autoren Romane mit kleinen Raumschiff mit kleiner Besatzung bevorzugen und die große Galaktische Flotte der Hefte 1000 bis 1800 mit bis zu mondgroßen Raumschiffen wie der BASIS mit entsprechender Besatzung ablehnen. Das Lineartriebewerk als aktuell verwendetes Triebwerk mit immerhin akzeptabler interstellarer Reichweite ist auch keine Entwicklung der Bewohner der Milchstraße, sondern wurde im 21. Jahrhundert Christlicher Zeitrechnung vom Volk der Druuf geraubt, die als zugegeben kriegerische Besucher aus einem anderen Universum auf der Erde erschienen. Zuvor nutzte man die Transitionstriebwerke der Arkoniden. Wie in der Realität gäbe es ohne Hilfe von Außen auf der Erde der fernen Zukunft keine Überlichttriebwerke. Im Gegenteil, ohne die Hilfe der Arkoniden würden die Terraner nicht einmal über Industrie an sich verfügen.

Die eigentliche Handlung beginnt damit, dass eine gewisse Shrell mit ihrem Raumschiff auf der Erde notlandet und dort jahrzehntelang auf dem Raumhafen der Hauptstadt der Erde, Terrania, abwartet. Schließlich zündet sie im Jahre 2250 NGZ drei Bomben jeweils am Rande von Terrania, der Hauptstadt der Menschheit, der Insel Neu-Atlantis im Atlantik, passender Name und dem Mondstützpunkt in dessen Nähe sich die lunare Riesenpositronik Nathan befindet. Mit den Explosionen werden auch drei sog. „Brennende Nichtse“ freigesetzt. Jeweils drei Zonen mit einem Durchmesser mehrerer Kilometer, die aus absolutem Nichts zu bestehen scheinen und die sich auch nicht mit irgendwas füllen lassen. Was mit dem Nichts in Berührung kommt, verschwindet einfach im Nichts.

Shrell fordert von Perry Rhodan, dass er mit der PHOENIX in die Agolei reist und dort seinen uralten Freund Reginald Bull tötet, sonst wird sie das „Brennende Nichts“ nicht stoppen und den Untergang der Menschheit einleiten. Wie schon zu Beginn des Artikel erwähnt, gibt Perry Rhodan der Erpressung nach und reist mit einer kleinen Besatzung in die Agolei. Derweil versucht auf der Erde der Haluter Icho Tolot und ein Team von Wissenschaftlern eine eigene Lösung für die Bedrohung durch das Brennende Nichts zu finden. Zum kleinen Team um Icho Tolot gehören auch zwei Geheimagenten, die Forensikerin Rhea Caburra und Sira Nylling, bei der es sich in Wahrheit um Sahira Saedelaere handelt, die Tochter von Alaska Saedelaere, dem Zellaktivatorträger, der aktuell im Dienst der Kosmokraten unterwegs ist. Die Untersuchung des „Brennenden Nichts“ führt zu nichts, stattdessen lösen die beiden Agentinnen eher nebenher einen alten Kriminalfall und beschließen schließlich, anderswo dringender gebraucht zu werden und verlassen das Team von Icho Tolot auf der Erde.

Der Wyconder Bonnifer gehörte zur Besatzung des Raumschiffs von Shrell und ist auf die Erde geflohen, er will verhindern, dass es den Menschen ergeht, wie seinem Volk. Der wahre Held ist jedoch der Jugendliche Cameron Rioz, der unfreiwillig in die Geschichte hineingezogen wird, dabei besondere Fähigkeiten beweist und schließlich die Flucht zu ergreifen versucht, was ihm auch nicht gelingt, ebenso wenig wie das „Brennende Nichts“ aufzuhalten.

Auf der Riese in die Agolei macht die PHOENIX einen Zwischenstopp im Intergalaktischen Leerraum viele Hundert Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Dabei stößt man auf das Heimatsystem der Wyconder, deren Heimatwelt verschwunden ist. Sie wurde nach einem Besuch von Shrell von einem „Brennenden Nichts“ verschlungen. Nach Klärung einiger Missverständnisse mit den Wycondern und der Flucht vor einer Invasionsflotte erreicht die kleine Expedition schließlich die Agolei und fliegt zwei abgelegene Welten an, die einmal wichtig gewesen sind. Dabei stößt man auf einen Doppelgänger von Gucky, der den Namen Tin trägt und von den Bewohnern der Agolei ausgesendet wurde, den Freund von Reginald Bull aufzuhalten. Letzterer hatte sich vor Jahrzehnten einmal schlichtend in den Streit zwischen zwei Gruppen von Bewohnern der Agolei eingemischt.

Schrell folgt der Expedition von Perry Rhodan mit ihrem eigenen Raumschiff und einem großen Sicherheitsabstand. Sie traut ihrem unfreiwilligen Agenten nicht. An Bord ihres Raumschiffs befinden sich zunächst auch noch Gucky und Rhodans Ehefrau Sichu Dorksteiger. Gucky gelingt es zu fliehen und nach einer längeren Odyssee an Bord von Rhodans PHOENIX zu gelangen. Sichu wird hingegen zu Schrells persönlicher Geisel und von ihr überall hin mitgeschleppt. So erfährt Sichu, dass Schrell einst die Anführerin einer Gruppe von Rebellen in der Agolei war. Einst gab es in der Agolei die Superintelligenz LEUN, die im Raum hinter dem „Brennenden Nichts“ lebte. Die LEUN existiert jedoch nicht mehr und aus ihr ging die Gemeinschaft der Leun-Völker hervor. Diese ist in zwei Gruppen zerfallen. Die Gruppe um Schrell will unbedingt die alte Superintelligenz wieder auferstehen lassen und in diese wieder aufgehen und das irdische Sein verlassen. Die Mehrheit hat sich jedoch längst mit dem Dasein als normale Lebewesen in der Agolei abgefunden und will gar nicht zurück.

Nun ist der Text doch länger geworden als von mir beabsichtigt. Nach einem schweren Start, der nicht so besonders Rund verlief, auch stilistisch zu wünschen übrig ließ, kommt der Zyklus langsam in Fahrt, allerdings kommt es immer wieder zu überraschenden Wendungen und es ist nicht klar, ob das weitere Szenario damit schon ausgebreitet wurde oder ob noch weitere Überraschungen auf den Leser warten. Ich bin mir lediglich sicher, dass die LEUN nicht das eigentliche Thema des Großzyklus sein werden oder auch nur des ersten Unterzyklus mit dem Titel „PHOENIX“. Dagegen scheint mir das „Brennende Nichts“ als Tor in eine neue Welt immer wichtiger zu werden. Denn die Superintelligenz LEUN und die Gemeinschaft der heutigen Leun-Völker, die aus ihr hervorging, stammen aus der Welt jenseits des „Brennenden Nichts“ und über dieses wissen wir weiterhin fast nichts. Und was genau hat Reginald Bull in der Agolei getan und sind er und der Chaoporter FENERIK noch vor Ort?

Zu den einzelnen Roman lässt sich sagen, dass die einzelnen Autoren ihren persönlichen Stil sehr viel stärker ausgelebt haben als es in der Zeit von Christian Montillon und Wim Vandemaan als Chefautoren üblich war, aber längst noch nicht so stark, wie in der klassischen Ära der Serie. Die beiden alten Expokraten werden auch weiterhin, wie auch ihr Vorgänger Uwe Anton, als einfache Autoren der Serie erhalten bleiben. Christian Montillon hat sogar bereits mit den Heften Nr. 3303 und 3314 zwei Romane beigetragen. Darüber hinaus steht er Ben Calvin Hary als Berater in Sachen Exposé zur Verfügung. Die Romane 3310 und 3311 mit den Abenteurern von Rhea Caburra und Sira Nylling alias Sahira Saedelaere waren Gastromane von Marc A. Herren, der selbst zugab, dass er die Figur Sahira Saedelaere und deren Rückblenden auf ihre Lebensgeschichte aus reiner Eigeninitiative in die Handlung einbrachte. Mir haben diese beiden Romane sehr gefallen, die eigentliche Zyklushandlung wurde jedoch nicht wirklich voran gebracht und bei einer Bearbeitung für die Silberbände in ferner Zukunft werden sie sicher fehlen. Oliver Fröhlich war mit vier Romanen 3301, 3302, 3312 und 3313 der bislang produktivste Autor, gefolgt von Michelle Stern mit drei Romanen 3307, 3308 und 3316. Leo Lukas glänzte mit einem Doppelband über den Zwischenstopp der PHOENIX in der Heimat der Wyconder in den Heften 3305 und 3306. Während die anderen Autoren ihren Stil verstärkt pflegten, hat er jedoch in seinem Doppelband die Handbremse gezogen und z. B. auf seinen typischen Humor verzichtet. Es bleiben noch die beiden Einzelromane 3304 von Hubert Haensel und 3315 von Olaf Brill, der seinen ersten Roman für die Mutterserie überhaupt verfasste. In den Miniserien bewies er stets eine gewisse Sicherheit in den Hintergrunddaten, hier kam er mit den Triebwerksdaten der PHOENIX jedoch etwas ins schwimmen, damit war er jedoch nicht allein und ungeklärt ist weiterhin in der Handlung, wie die Leun Millionen Lichtjahre in kurzer Zeit zurücklegen und dabei nur über Kurzstrecken-Triebewerke verfügen.

Lange Rede kurzer Sinn, die Romane haben mir gefallen, auch wenn sie nicht immer perfekt waren.

Aus dem Oki Stanver Mythos von Uwe Lammers

Verderben auf Tuwihry1

Ein Roman aus dem 2. Universum des Oki Stanwer Mythos

AUS DEN ANNALEN DER EWIGKEIT

von

Uwe Lammers

Teil 1

Vorbemerkung:

Im 2. KONFLIKT entstand das Terrorimperium der Troohns und wucherte zu krankhafter, schwarzer Blüte heran. Einst geboren aus dem Wunsch eines ehrgeizigen Baumeisters, Fußtruppen für den Kampf gegen das Böse selbst zu schaffen, entwanden sich die Troohns ihren Meistern und entwickelten ein eigenes, schreckliches Dasein. Sie eiferten ihrem Erschaffer nach und schufen ein Reich, das an Monstrosität seinesgleichen noch in Milliarden von Jahren suchen würde.2

Als die anderen Baumeister auf dieses entartete Wachstum der Troohn-Einflusssphäre aufmerksam wurden, war es bereits zu spät. Die Troohns besaßen inzwischen mächtige Raumflotten und expandierten, Sonnensystem auf Sonnensystem verheerend und verschlingend, in alle Richtungen. Dieser Gefahr hätte man vielleicht noch Herr werden können – doch die Troohns verfügten ebenfalls über einen sinistren Gönner, der irgendwo in den Tiefen des Terrorimperiums saß und seine finsteren Pläne ausbrütete: TOTAM, die Macht des Bösen.3

Gelähmt von diesen Aussichten, die Gefahr nach wie vor unterschätzend, mussten die Baumeister entsetzt mit ansehen, wie ein Sternenreich, das sie geschaffen hatten, nach dem anderen im Griff der Troohn-Truppen zermalmt wurde und seine Reste spurlos verschwanden. Die Vernichtungsmaschinerie des Feindes überrollte Sternhäufen, Leerräume, ganze Galaxien. Und irgendwann einmal kam der Zeitpunkt, da in einer dieser Peripheriegalaxien, einer Sterneninsel namens Twennar, auch ein friedfertiges, humanoides Volk in den Strudel der Ereignisse hineingezogen wurde: das Volk der Yantihni.4

Pazifisten, wie sie es waren, wurden von den Dienern des Lichts nicht ganz ernst genommen. Insbesondere die Elitekampftruppen der Baumeister, die hochmotivierten Allis, muskulöse, hochintelligente Echsenwesen, unterschätzten die Yantihni. Das taten sie bis zu dem Tag, da ein Ereignis alle Pläne der Baumeister brüsk und unvorhersehbar über den Haufen warf. Nach diesem Ereignis war es notwendig, die Yantihni in die vorderste Front zu beordern.

Dies ist die Geschichte jenes Epoche verändernden Ereignisses, das in einem kleinen Sonnensystem namens Voy-Xenn und einer Welt mit dem Namen Tuwihry stattfand. Nach yantihnischer Zeitrechnung geschah es am 10. Larsheb 441…5

1.

Es war eine Ehre für mich. Es war eine Ehre für mich …

Ich konnte mir diesen Satz einfach nicht oft genug aufsagen. So schlicht und doch so aussagekräftig blieb er. Eigentlich stellte diese fast schon rituelle Formel, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging, eine absolute Untertreibung dar. Es gab keine vernünftigen Worte für diese … ja … Ehre, die mir heute zuteil wurde.

Was mir widerfuhr, das war schließlich eine Segnung, wie sie nur Oki Stanwer selbst – die Lichtmächte mochten ihn behüten und ewig leben lassen! – besser hätte vornehmen können. Was natürlich niemals geschehen würde. Der Herr des Lichts kannte zweifellos weder meinen Namen noch den unseres Schiffes oder Geschwaders, ganz zu schweigen davon dass er überhaupt von unserer bloßen EXISTENZ wusste.

Infolgedessen platzte ich förmlich vor Freude, Dankbarkeit und Stolz, und ich brachte ein paar Minuten mehr mit dem Schuppenpolieren zu, als es normalerweise üblich gewesen wäre. Eigentlich bin ich ein recht unscheinbarer Diplomatenaspirant im letzten Jahr meiner Ausbildung, aber heute …

„Du wirst ja noch eitel, Coshtuur“, prustete jemand hinter mir amüsiert.

Verwirrt und ertappt fuhr ich vor dem Formenergiespiegel herum und sah die geschmeidige, wunderbare grünschuppige Gestalt von Thashii vor mir … ich meine natürlich Versorgungsoffizierin Thashii. Sie trug die Dienstuniform noch nicht wieder, sondern nur das weiche, schmeichelnde Unterkleid, das so viel von ihrem Körper preisgab, dass sich meine Gedanken verwirrten. Das Weglassen des Titels, entsann ich mich aufgeregt, hatte sie mir gestern erst hinter der Tür meines Apartments hier im Diplomatenkreuzer SULVAASCH erlaubt … dies und … na ja … und noch einiges mehr, viel mehr.

Ich konnte nicht verhindern, dass die feurigen Erinnerungen an diese unglaubliche, wunderbare Nacht in mir wieder aufstiegen. Vergebens bemühte ich mich darum, die präzise Erinnerung an den unwahrscheinlichen Anfang dieses abendlichen Abenteuers wiederzufinden – hatte ich sie angesprochen oder war sie auf mich zugekommen? Bestimmt war letzteres der Fall gewesen. Ich bin nämlich eher schüchtern. Nein, ganz gewiss hatte SIE mich angesprochen, und es verstand sich natürlich von selbst, dass kein gesunder, vitaler, junger Alli …

Meine Gedanken verhedderten sich, und meinen Worten widerfuhr peinlicherweise genau dasselbe. „Nein, sicher nicht, Thashii … ich meine … ich meine …“

Ihre geschlitzten Schwefelaugen glühten voller Vergnügen auf, während sie näher an mich herantrat mit geschicktem Blick meine stattliche Erscheinung in der dunkelgrünen Amtsuniform musterte. Was sie sah, gefiel ihr offenbar noch immer. Ich fühlte, wie heiße Wallungen in mir hochbrodelten, wenn sie mich nur anschaute. Meine Gesichtsschuppen wurden ganz dunkel …

‚Gütiges Licht, Mutter … du hast völlig Unrecht gehabt mit den Versorgungsoffizieren … sie sind viel besser als ihr Ruf … sehr viel besser, als ich es mir jemals erträumt hätte.’

Thashii hatte mich gestern Abend regelrecht verschlungen, es anders zu nennen, hätte einfach eine Lüge dargestellt. Und ich hatte dieses Verschlingen sehr genossen – so explosiven, wilden Sex hatte ich noch nie in meinem Leben gehabt. Und es war … also, überwältigend wäre eine absolute Untertreibung gewesen.

„So eitel warst du gestern Abend jedenfalls nicht …“

Sie schnalzte vergnügt mit der Zunge, dieser wirklich äußerst talentierten Zunge. Sie konnte Dinge damit anstellen, dass mir jetzt noch heiß und kalt wurde. Das hatten die Mädchen daheim aber wirklich noch nie gekonnt, ja, vermutlich nicht mal davon GEWUSST. Von Thash hätte wohl selbst eine abgefeimte Hure noch eine Menge lernen können. Nach dieser Nacht war ich bereit, alles zu glauben, was man sich von den Soldatinnen in höheren Positionen der Armee und des diplomatischen Dienstes an schlüpfrigen Geschichten und erotischen Finessen erzählte. Vermutlich war das sogar noch untertrieben!

Ich versuchte ihr mühsam zu erklären, warum ich das tat, also mich so dermaßen herausputzte, wie ich es sonst nie tun würde. Obwohl mein Unterbewusstsein mir ständig zu signalisieren versuchte, dass sie darüber vermutlich besser Bescheid wusste als ich selbst. „Thash … bitte … du weißt doch, warum ich mich so rausputze! Das ist die Chance meines Lebens!“

„Einwandfrei“, nickte sie amüsiert und streichelte ungeniert meinen Körper vom Bauch an abwärts mit ziemlich eindeutiger Absicht. Aber dafür war nun wirklich keine Gelegenheit (so gerne ich mich auch mit ihr wieder ins Bett verzogen hätte! Und zwar unverzüglich! Wenn ich mit Thashii in einem Raum war, konnte ich eigentlich nur noch ans Bett und an sie denken, alles andere wäre … na ja … eine Beleidigung gewesen, nicht wahr? JEDER Mann an Bord hätte das so gesehen!).

„Man begegnet nicht so oft einem Gott, nicht wahr?“, fügte sie vergnügt an.

Ich wusste sofort, dass sie mich aufzog, aber dennoch verteidigte ich ihn unwillkürlich, meinen obersten Dienstherrn. Das war mir einfach in all den Jahren auf der Akademie und im untergeordneten diplomatischen Dienst so in Fleisch und Blut übergegangen. Zwar war ich ihm noch nie begegnet, aber das spielte keine Rolle.

Das eherne Gesetz des Diplomatenkorps: Hier werden keine Götter beschäftigt, auch eure Vorgesetzten, so seltsame Fähigkeiten sie auch immer besitzen mögen, sind keine übernatürlichen Wesen. Der diplomatische Dienst ist keine Form von Gottesdienst! Religiöse Anwandlungen werden bestraft. Und so weiter.

„Ach, Gott … nein, er ist kein Gott. Es ist nur … ich meine, er ist eine sehr wichtige Person. Die wichtigste neben Oki Stanwer selbst.“ Na ja, und neben den Baumeistern natürlich, von denen man üblicherweise im Leben nicht allzu viele zu sehen bekam. Sie waren über Millionen von Kubiklichtjahren verstreut und ständig im Einsatz.

Dass mein Dienstherr selbst so wichtig war, stellte beileibe keine Übertreibung dar. Es war schlicht die reine Wahrheit.

Die weitergehende Wahrheit, der ich mich gegenwärtig gegenübersah, bedeutete nämlich nichts Geringeres, als dass ich zusammen mit neunzehn weiteren Elite-Allis auserwählt worden war, die diplomatische Mission meines obersten Dienstherrn, also des Boten Klivies Kleines, ins Herzogtum Voy-Xenn zu begleiten, direkt bis auf den Boden dieser seltsamen Welt namens Tuwihry.

Ausgewählt aus fast zweihundertvierzigtausend Diplomaten des intergalaktischen Dienstes … durch Prüfungen gesiebt und zahllosen Loyalitätskontrollen unterworfen … Mutter hatte gemeint, das würde sicherlich eine hervorragende Aufstiegschance sein. Selbst wenn ich nicht ans Ziel gelangte, würde ich durch diese Testverfahren so viele wichtige Personen in höheren Dienstetagen kennenlernen, dass ich rasch aufsteigen könnte. Womit sie – natürlich – Recht behielt.

Und dann KAM ich ans Ziel!

Heiliges Licht! Ich würde mit dem Boten persönlich reden!

Ich! Ein zwanzigjähriger Alli im diplomatischen Dienst, dem man wegen eines dummen Stoffwechselfehlers den Militärdienst in den aktiven Streitkräften abgeschlagen hatte! Diese Ablehnung lag erst fünf Jahre zurück, und sie hatte mich monatelang am Boden zerschmettert. Wirklich.

Unser Volk führte nämlich seit Jahrhunderten im Dienst der Baumeister Krieg … was man so Krieg nennen konnte, wenn man selbst keinerlei Erfolge erzielte. Im Wesentlichen waren es ständige Rückzugsgefechte.

Das hatte ich aber erst im diplomatischen Dienst erfahren. Die Soldaten hörten davon nichts. Ihr Informationshorizont wurde eingeengt, und die Diplomaten bis in die untersten Dienstgrade zur Geheimhaltung verdonnert, zur absoluten Geheimhaltung. Selbst bis in den familiären Kreis hinab. Allenfalls mit Gefährten in den gleichen Abteilungen konnte, durfte man über diese Themen diskutieren.

Aber wie gesagt … das lernte ich erst später.

Damals, als das Rekrutierungsbüro, das auf unserem Wohnplanetoiden Sharweshtin neue Soldaten aushob und mir dann unverblümt mitteilte, dass ich wegen physiologischer Abhängigkeit von einem Medikament eben nicht die Belastungskriterien eines einfachen Soldaten erfüllte und man mir deshalb eine zivile Laufbahn nahelegte, da konnte ich nur an Jeshuur, Zhelcay, Rhonshin und Alvyrit denken, meine drei Brüder und älteste Schwester, die allesamt unterwegs waren in den Aktionsgebieten der Baumeister, um dort gegen den FEIND zu kämpfen.

Sie vollbrachten Heldentaten, und ICH sollte hier im Niemandsland am Rande der Galaxis Suulesh versauern, ja? Am liebsten hätte ich mich von der nächsten Klippe in den Habitattunnel gestürzt. Aber ich wusste natürlich, dass das meinen Tod gewiss nicht zur Folge gehabt hätte. Sharweshtin war ein Habitat der Baumeister, und ihre SENSOREN überwachten alles. Hier KONNTE niemand sterben, selbst wenn er sich noch so viel Mühe gab.

Thashii knuffte mich vor die Brust. Sie grinste breit. „Du träumst schon wieder!“

„Ich … na ja … ja, schon“, gab ich verlegen zu. Irgendwie war ich mit der Situation nach wie vor nicht klargekommen. Ich wusste davon ja auch erst seit 48 Stunden … und einen erheblichen Teil dieser 48 Stunden hatte ich in Thashiis muskulösen Umarmungen zugebracht und Dinge erlebt, um die mich meine Geschwister gewiss heiß beneidet hätten. DAS assoziierte man sicherlich nicht mit dem diplomatischen Dienst. „Das kommt alles so plötzlich …“

Ein intensiver, dunkler Summton durchdrang die warme Luft des Apartments, die trotz der guten Klimaanlage noch immer – oder schon wieder?? – überwältigend nach Thashii und ihrem natürlichen Liebesparfüm duftete. Der Summton ließ mich noch mehr zusammenfahren.

Das musste die Eskorte sein, die mich abholen sollte!

„Viel Erfolg“, wünschte Thashii mir mit freundlichem Knurren. Spielerisch biss sie mich in den Hals und brachte meine Hormone von neuem zum Sieden.

Himmel, war sie scharf! Und sie war scharf auf mich!

Wie sollte man da nicht vor Stolz platzen? Sie war wirklich die tollste Frau, die ich jemals kennengelernt hatte, ein schierer Vulkan im Bett, und dazu hochintelligent UND in einer ranghohen Position im Heer! Mann! Ich kam mir wirklich vor wie in einem wundersamen, herrlichen Traum.

„Danke. Ich werde ihn haben. Und …“, ich schluckte schwer, „ich werde die ganze Zeit an dich denken, Thash. Versprochen!“

Sie lachte dunkel, sinnlich, versprechend. Ihre Augen glühten voller heißer Begierde. „Das höre ich gerne. Bring mir was von seiner Göttlichkeit mit, hm? Ich habe gehört, wenn man dem Boten nahe ist, wird man verdammt geil! Und das kannst du brauchen, wenn du wieder an Bord bist, glaub’ es mir.“

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich mein Apartment verlassen habe, aber das Versprechen von Thashii habe ich nicht vergessen.

Ich habe es nie vergessen.

2.

Zusammen mit fünf weiteren Elite-Allis, die aus der sechstausend Matrosen starken Besatzung des Flaggschiffs SULVAASCH ausgewählt worden waren, um den Boten Klivies Kleines zu begleiten, gelangte ich in einem der Rohrbahnzüge zum Hangar, in dem das silberne Schwingenschiff stand, das uns auf die saphirfarbene Planetenkugel hinunter bringen würde, um die die SULVAASCH einen engen Orbit eingeschlagen hatte. Hinter langen Sicherheitsglaskordons konnte ich die glitzernden Eissicheln dreier Monde erkennen, die den Planeten umgaben.

Mückenschwärmen gleich funkelten Schwärme von Raumfähren und Interplanetarschiffen, die Tuwihry gleich uns in dichtem Orbit umkreisten und sich entweder zur Landung anschickten oder zu Rendezvousmanövern mit Frachtern, die aus naheliegenden Gründen nicht landen konnten.

Dieses Herzogtum Voy-Xenn war furchtbar rückständig für unsere Begriffe. Es besaß noch nicht einmal die Überlichtraumfahrt, und normalerweise hätten sowohl die Baumeister als auch die Verkünder aus dem Volk der Dessan-Allis es noch einige Jahrhunderte lang vermieden, vor ihnen in Erscheinung zu treten, um keinen Zivilisationsschock auszulösen.

Normalerweise.

Aber die Umstände waren nicht normal. Leider nicht.

Die Front befand sich nur noch sechsundneunzig Lichtjahre von Tuwihry entfernt, und der Bote war hier, um dafür zu sorgen, dass nach dem zweijährigen Vorbereitungskontrakt endlich ein Stationierungsabkommen unterzeichnet werden konnte. Wir brauchten Truppen hier, um das Herzogtum zu schützen. Wenn wir von hier verschwanden, würde alles zusammenbrechen. Gewiss, angeblich gab es dort unten Parteien, die sich nichts mehr wünschten, als dass „die schuppigen Fremden“, womit wir gemeint waren, endlich verschwänden. Dann, so wurde naiv angenommen, würden „Ruhe und Ordnung“ unweigerlich zurückkehren.

Die Leute, die so redeten, hatten einfach keine Ahnung davon, wie die Dinge im Kosmos liefen. Die Veränderungen waren nun einmal da, die Bewohner des Herzogtums wussten um die Existenz von Hochenergietransfers, von Transmittern und Hyperraumtechnologie – auch unser Verschwinden würde diese Erkenntnisse nicht aus der Welt schaffen, von den philosophischen Implikationen einmal ganz zu schweigen.

Und dann war da immer noch der FEIND.

Den FEIND kümmerten kleinliche Nörgeleien von Hinterwäldlern nicht. Er würde sein Aktionsgebiet bis hierher ausdehnen, ganz egal, ob wir dablieben oder nicht. Aber wenn wir hierblieben, geschah das langsamer, was uns die Möglichkeit geben würde, die Bewohner des Herzogtums eventuell in Sicherheit zu bringen.

Der FEIND krempelte diese Planeten ganz gewiss so um, dass nachher hier kein Stein mehr auf dem anderen stand … ich hatte grauenhafte Geschichten von jenen Völkern gehört, die in die Einflusssphäre des Terrorimperiums der Troohns geraten waren … niemand konnte sagen, was davon stimmte. Aber eins blieb ganz gewiss richtig: niemals kehrte jemand von dort zurück, um zu berichten, was genau passiert war.

Niemals.

Der Krieg, in den unser ruhmreiches Volk verwickelt war, geschützt durch die Oberhoheit der Baumeister, dieser Krieg dauerte nach Baumeister-Angaben inzwischen schon mehrere Jahrtausende. Die Zahl der Völker, die verschwunden, ausgelöscht worden waren, ging in die Hunderte. Planetensysteme fielen täglich überall an der Front an den FEIND.

Immerzu.

Sicherlich, es hatte einige Spähmissionen des verdeckten diplomatischen Dienstes gegeben, um einstige Stützpunktwelten zu observieren. Und entsprechende Hologrammaufzeichnungen waren uns unter dem Siegel der absoluten Geheimhaltung zugänglich gemacht worden …

Ich hatte schlecht geschlafen in den Nächten direkt danach. Wirklich schlecht geschlafen, manchmal nur mit Betäubungsmitteln. Gegen diese Hologrammaufzeichnungen waren die wüstesten Horrorfilme einfach nur noch lachhaft.

Mit jedem Volk des Universums konnte man verhandeln, mit Diktatoren, mit rückständigen religiösen Theokratien, mit absolutistischen Herrschern oder Volksrevolutionären … mit allen. Und wenn man es mit Magengrimmen tat und wusste, dass das Gegenüber log.

Der FEIND war da anders.

Mit den Troohns konnte man nicht mal reden. Nicht mit ihnen.

Troohns kannten nur die Vernichtung um jeden Preis.

„Junge, wir sind da.“

„Oh!“, schrak ich nervös hoch. Ich blinzelte verwirrt und schämte mich meiner gedanklichen Nachlässigkeit ebenso sehr wie des Ergrünens meiner leicht gesträubten Schuppen. Wahrlich – irgendwie passierte hier alles so schnell nacheinander, dass ich mich noch nicht an die Verhältnisse gewöhnt hatte.

In der Tat hatte sich, wie ich erkannte, der funkelnde Rohrbahnzug schon in den Magnetklammern verankert und die Luken waren nach oben aufgeschwungen. Ich saß als einziger noch angeschnallt da.

„Ich glaube, ich muss ein Auge auf dich haben, Junge. Du bist noch ziemlich grün hinter den Ohren, was?“, sagte der hünenhafte Alli, der mich angesprochen hatte. Er sah mich mit der herablassenden Attitüde an, die dienstälteren Allis in den Streitkräften eben so zu eigen ist. Etwas, das ich überhaupt nicht schätzte.

Ich funkelte ihn wütend an. „Ich muss mir das nicht sagen lassen! Ich bin alt genug!“

„Neunzehn, schätze ich.“

„Zwanzig!“

Der bestimmt nicht sehr viel ältere Alli lachte fröhlich, half mir aus dem Sitz und zog mich dann schnell über den aus blauem Metall bestehenden Steg hinüber zu den Transportbändern. Sie würden uns schnell in die Außenhangars bringen, wo die Bodenfähre wartete. Wir waren offensichtlich in dieser Rohrbahnhaltestelle, die ausschließlich den Zügen des diplomatischen Dienstes vorbehalten war, die einzigen, die noch beim Zug standen. Die anderen Diplomaten eilten bereits davon.

„Ich bin Ashbaar“, stellte sich mein Gegenüber jovial vor, was mich dazu brachte, endlich auch meinen Namen zu nennen. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich echte Bedenken, so einen Neuling wie dich mit runter zu nehmen. Warum Kleines das zulässt, kann ich nicht sagen. Er hätte das Alterslevel anheben müssen.“

„Unfug!“, widersprach ich sofort. Das hätte mir noch gefehlt, dass man mich JETZT einfach des Alters wegen wieder zurückschickte! Gütiges Licht, das hätte ich nicht überlebt! Ungeachtet des Hinweises meines Unterbewusstseins, dass ein subalterner Alli-Soldat in den Streitkräften ganz sicher keine Möglichkeit haben würde, so etwas zu veranlassen, fühlte ich einen Schub kreatürlicher Panik in mir hochkochen. „Ich bin fast fertig mit meiner Ausbildung, ich bin den Anforderungen voll und ganz gewachsen!“

Erst mit einem Moment Verspätung ging mir auf, dass er wirklich Kleines gesagt hatte. Nicht „der Bote“ oder so.

Nein, Kleines.

Das war eine überaus vertrauliche Anrede.

Meine Nackenschuppen stellten sich nervös auf, als ich zu begreifen begann, was das bedeutete. Ich musterte mein Gegenüber mit einer Mischung aus Unglauben und unverhüllter Faszination jetzt etwas genauer. „Du … äh … du … machst das schon länger?“

„Das?“ Ashbaar amüsierte sich köstlich über meine Zaghaftigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Ich ärgerte mich mal wieder. Vermutlich würde ich solche Fehler noch öfter begehen. „Die Begleitmissionen. Ja. Seit achtzehn Jahren. Und ich sage dir, alles an Gerüchten ist wahr. Alles. Meine Frauen können es bestätigen.“

„Deine … äh … Frauen?“ Ich blinzelte perplex, während wir uns auf das Gleitband stellten und es sich wieder in Bewegung setzte. Irgendwie kam ich mir wieder ziemlich dumm vor und kam nicht hinter den Sinn seiner Worte.

„Ja, ich habe acht auf acht verschiedenen Habitatwelten“, gab Ashbaar freimütig zu und lachte. „Das ist wirklich toll … und wenn ich mal ein paar Monate Bonusurlaub habe, hole ich sie auch schon mal auf Vasiidor zusammen und mache eine kleine Orgie. Das ist der Himmel auf Erden, kann ich dir sagen, Kleiner.“

Er grinste mich breit an, weil er merkte, dass ich ihm kein Wort glaubte.

Kein Alli hat genug Potenz, um ACHT Frauen gleichzeitig zufriedenzustellen. Völlig ausgeschlossen. Vysva waren, ich hatte es an Thashii ja letzte Nacht erlebt, außerordentlich sexdurstige Geschöpfe. Nun, das Ergebnis lohnte wirklich jede Anstrengung …!

Aber ACHT Vysva! So ein Irrwitz.

Einwandfrei schamlose Übertreibung …

Ashbaar grinste breit. „Ach, ich merke, du glaubst mir nicht. Macht gar nichts. Du wirst es selbst spüren, wenn du Kleines gegenübertrittst. Benimm dich nicht wie der letzte Depp, ja? Es ist einfach seine Ausstrahlung.“

Während der kurzen Reise zum Hangar erklärte er mir noch, dass er vierundsechzig Jahre alt war, obwohl er nicht einmal halb so alt aussah. Logisch, dass er auch das mit der Ausstrahlung des Gesandten erklärte. Ich konnte es nicht fassen. Irgendwie kam ich mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig verschaukelt vor und nahm das, was Ashbaar mir sagte, nicht für bare Münze. Jeder hätte ihn für einen Aufschneider gehalten …

Aber als ich ihm dann gegenüberstand, dem Boten, da wurde mir klar, dass ich in eine Sphäre eintrat, in der das Übernatürliche die Normalität darstellte. Doch wie das immer so ist – so etwas merkt man immer erst später.

Manchmal zu spät.

3.

Ich merkte vom ersten Moment an, dass sich die Umwelt wandelte, als wir ankamen.

Der Hangar, in dem das Schiff des Boten stand, war mit prickelnder Luft gefüllt, die erkennbar glitzerte, als habe man irisierenden Kristallstaub hineingestreut. Ich konnte mir den Effekt nicht erklären und blinzelte emsig, um wieder einen klaren Blick zu bekommen, was freilich vergebens blieb.

Die Wirkung dieses seltsamen atmosphärischen Phänomens war indes unglaublich belebend. Mir schien, ich sei wieder ein, zwei Jahre jünger und auf dem Höhepunkt meiner physischen Kräfte. Die Luft schien, ungeachtet dieser eigenartigen Wirkung, kristallklar wie frische Bergluft, auch wenn ich ein Aroma darin schnupperte, das mir völlig undefinierbar schien.

Alle Abgespanntheit der gestrigen Nacht nach den heißen, wilden Liebesritten mit Thashii fiel von mir ab, als sei es eine vertrocknete Haut, die ich abstreifte. Unwahrscheinlich. Als hätte man den Hangar mit reinem Sauerstoff geflutet, so benommen und euphorisch war mir plötzlich zumute.

Je näher wir der offenen Luke des strahlendweiß glitzernden Schwingenschiffes kamen, desto mehr hatte ich wirklich das Gefühl, reinen Sauerstoff zu atmen. Es war, als ginge ich auf Wolken. Mir gingen die Worte aus, um zu verstehen, zu beschreiben, was ich erlebte. Es wirkte auf mich mehr wie eine Art von märchenhaftem Wunschtraum, der übergangslos in Erfüllung ging. In diesem Moment war mir wirklich alles egal …

„Mann, ich frage mich immer wieder, wie er das macht“, murmelte Ashbaar neben mir, und seine Stimme enthielt sowohl maßlose Anerkennung wie ein gerüttelt Maß an Neid. „Aber er hat’s mir natürlich nie verraten. Mit dieser Ausstrahlung könnte er problemlos jede Frau bekommen, die er haben will, wirklich jede. Aber daran hat er überhaupt kein Interesse …“

Ich begriff indes kaum, was er sagte. Ashbaar musste mich stützen, als wir an Bord gingen. Mir war dermaßen schwindelig, als wäre ich gerade aus einer G-Zentrifuge gestiegen. Meine Knie waren wie Pudding. Beinahe drehte sich die Welt um mich herum.

Gütiges Licht …

„Ja, das ist eine gute Einstellung“, sagte Etwas direkt vor mir mit einer völlig unbegreiflichen Stimme, die weniger eine Stimme war als vielmehr … na ja, eine Art von heißer Luftströmung, die ein sinnliches Aroma direkt über meine Nüstern in mein Gehirn sandte und beinahe jede Gedankentätigkeit unterband. Man kann das nicht vernünftig beschreiben, wenn man es nicht erlebt hat.

Meine Augen flimmerten, als ich mühsam das Etwas anzuschauen versuchte. Es war fast unmöglich. Die Körperkonturen meines Gegenübers glitzerten, als bestünden sie aus wogendem, waberndem Edelsteinstaub, der mit Ionisationselementen angereichert wird. Und es war HELL! Unglaublich hell! Ich blinzelte unentwegt und konnte doch nicht mehr erkennen.

„Ich schalte den Schirm etwas stärker hoch, mein Freund. Du sollst nicht übermäßig unter der Aura leiden.“

Das grelle Glühen ließ nun etwas nach, damit aber leider auch dieses euphorisierende Miasma, das den Ausdünstungen meiner gestern erlebten sexuellen Ekstase sehr nahe kam und hier überall die Luft zu schwängern schien. Einen langen Moment bedauerte ich heiß und innig, aus dem Vorhof der schieren Ekstase verstoßen zu werden. Doch das dauerte wirklich nur einen Moment. Dann aber konnte ich das Wesen vor mir endlich genauer in Augenschein nehmen … und erschauerte unwillkürlich.

Im Wesentlichen … war es alliähnlich.

Im Wesentlichen.

Nur dass es keine Schuppen besaß.

Wenn man … viel Phantasie aufwendete, sehr viel Phantasie, dann verfügte dieses … Etwas über zwei Beine, die aber so dick und unförmig waren, dass sie das Wesen nur mühsam zu tragen verstanden. Der Körper darüber wirkte krankhaft aufgebläht, mehr ballongleich als sonst etwas, die beiden Arme sahen ebenfalls so aus, bis hin zu den wurstartigen Fingerstummeln, die keine Krallen besaßen. Auch der runde Kopf schien, als habe man ihn auf unmögliche Weise aufgeblasen. Zwischen tiefen Brauenwülsten, die nur aus Fett zu bestehen schienen, funkelten zwei glühende, nachtschwarze Augen wie winzige Knöpfe hervor. Schüttere Strähnen dunklen Haares hatten sich mühsam durch die speckige Kopfhaut hindurchgekämpft und bildeten eine äußerst spärliche Behaarung anstelle von Schuppen.

Entsetzlich. Vom bloßen Anblick konnte man als gesunder Alli Alpträume bekommen.

Insgesamt wirkte dieses Wesen auf mich, als habe man einen Alli erst mittels Essen und Hormonen krampfhaft gemästet, dann im Dampfbad gekocht und schließlich entschuppt. Es blieb ein wirklich grässlicher Anblick, und das weiße, pludrige Gewand, das es trug, machte diese Wesenheit nicht sympathischer. Ich hätte nicht mal zu sagen gewusst, welches Geschlecht es besaß – wenn überhaupt.

Aber zugleich loderte um diese Entität ein wabernder Schimmer reiner Energie, und das machte den optischen Eindruck vergessen. Vollkommen. Ich bemerkte es erst später, aber in diesem Moment stand ich da und bekam das Maul nicht mehr zu. Ashbaar neckte mich bald darauf, ich hätte ausgesehen, als ob ich mich von meinen hervorquellenden Augen verabschieden wolle – was ich ihm natürlich übel nahm.

In diesem Moment konnte ich an solche Dinge nicht mal denken. Ich stierte das Wesen vor mir fassungslos an und war vermutlich schrecklich unverschämt.

Jede Körperzelle meines Gegenüber schien geradezu Funken zu schlagen, und ständig tanzten kleine Entladungen knisternd und knatternd auf der Innenseite eines mächtigen Energieschirms, den dieses Individuum mit seinen Wurmfingern an einem breiten Hüftgurt kontrollieren konnte. Unförmige, klobige Bedienungselemente halfen der fremdartigen Kreatur dabei, diese Technik überhaupt zu bedienen.

Jede Körperbewegung jedoch wirkte so … so unbeholfen. Plump. Abstoßend.

„Wer … was …?“, stammelte ich erschrocken.

Die erstaunlich warme Stimme des fremden Wesens klang sehr amüsiert, als es meine hilflose Frage beantwortete: „Sei mir willkommen, Diplomatenaspirant Coshtuur. Ich bin sicher, wir arbeiten gut zusammen. Mein Name ist Klivies Kleines.“

4.

Es stellte sich rasch heraus, dass die anderen Allis an Bord alle schon einmal mit Kleines eine Mission durchgeführt hatten. Der Bote war mit dem Diplomatenschiff schon seit mehr als zweihundert Jahren im Dienst der Baumeister unablässig unterwegs, um die Krisenregionen des Universums anzusteuern und hier diplomatische Missionen zu übernehmen. Die Zahl der Völker, die er besucht hatte, ging in die Hunderte, erklärte er mir vergnügt kurz darauf während des Abstiegs nach Tuwihry. Das und noch einiges mehr.

Vorerst jedoch hatte ich gerade das Schiff betreten und mich mit dem Boten… Kleines … und meinem Begleiter in den Hauptversammlungsraum des Landungsbootes begeben, wo sich alle Anwesenden an den Sitzen entlang der ringförmigen Außenwand festschnallten. Kleines … ich musste mich überwinden, von ihm nicht als dem „Boten“, sondern von KLEINES zu denken, machte es sich auf einem runden, breiten Mittelpolster bequem und wurde von flammenden Energiefeldern eingezwängt, die ihn ebenso gut festhielten wie uns andere, die wir mit Formenergiegurten gegen die Kräfte des Fluges abgeschirmt wurden.

Das Boot selbst wurde natürlich von einem autonomen formenergetischen SENSORKERN gelenkt. Handsteuerung, für die alle – außer mir, ich war ja nur Diplomat – ausgebildet waren, musste nur im Notfall eingesetzt werden.

Der Bote ließ mich gar nicht richtig wieder zu mir kommen, sondern er begann, vermutlich einfach, um mir die Hemmungen zu nehmen, die ich seinetwegen noch immer empfand, ein launiges, amüsantes Gespräch.

„Ich habe auf meinen Missionen immer wieder mal jemanden wie dich gefunden, Coshtuur, und ich muss sagen, es ist äußerst erfreulich, mit der Jugend zusammenzuarbeiten … oh, verzeih, ich habe einfach deinen Namen und nicht deinen Rang verwendet. Ich darf dich doch so nennen?“, erkundigte sich das feiste Wesen bei mir freundlich. Höflich war es, das musste man ihm lassen.

„Äh … ja, selbstverständlich, Bote … ich … äh … ich fühle mich sehr geehrt …“, brachte ich stotternd hervor.

Es fiel mir in Klivies Kleines´ Gegenwart sehr schwer, überhaupt Worte hervorzubringen, und von der auf der Diplomatenakademie gezeigten Geschmeidigkeit meiner Rede war im Augenblick so gar nichts übrig. Irgendwie, ging es mir auf, machte ich gegenwärtig überhaupt keine gute Figur. Ich konnte einfach diese monströse Form nicht übersehen.

Klivies Kleines war einfach … ja … einfach hässlich! Hässlich wie die Nacht.

Hätte ihn nicht dieser ungeheuerliche Heiligenschein belebender, euphorisierender Energie umgeben … ich hätte mich ganz bestimmt so schnell als möglich wieder von ihm entfernt. Er machte mir irgendwie den Eindruck …, falsch zu sein. Ich konnte das nicht besser beschreiben. Organisch war mit ihm irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung. Wie auch ich selbst, so schien es, litt er an irgendeiner organischen Krankheit. Freilich an einer, die ich mir nicht mal entfernt vorzustellen vermochte.

Nun handelte es sich bei meiner Schwierigkeit lediglich um eine leichte Stoffwechselunverträglichkeit, die mein Reaktionsvermögen in Stresssituationen reduzierte und mich höchst anfällig machte, wenn hohe Adrenalinausschüttung stattfand. Sonst wirkte sich das physiologisch eigentlich nicht aus (beim Licht! Zum Glück auch nicht bei der Liebe! Anderenfalls hätte ich Thashii wirklich nicht zufriedenstellen können). Bei Kleines verhielt es sich offenbar völlig anders, und das erzeugte erhebliche Scheu in mir.

Ich meine … verdammt … er war mein CHEF! Und ich sah ihn heute das erste Mal leibhaftig … und fühlte mich abgestoßen von ihm?! Wie sollte ich ihm das denn nur klar machen? Und wenn es eine Krankheit war, die ihn so derart entstellte … wie hätte ich ihm das vorwerfen können? Ich konnte doch für meine Stoffwechselkrankheit auch nichts …

Die anderen Allis schienen Klivies Kleines´ physische Erscheinung ganz in Ordnung zu finden! Sie machten nicht eine einzige diesbezügliche Bemerkung! Irgendwie … also irgendwie kam mir das verlogen vor. Profitierten sie wirklich nur von dieser euphorisierenden Aura, die ich ja nun an eigenem Leibe spürte, und kamen sie dadurch – wie Ashbaar behauptet hatte – mit verstärkter Potenz zurück? Das schien es nämlich zu sein, was hier in der Luft lag, auf unergründliche Weise. Und Thashii hatte auch genau DARAUF angespielt, wie mir nun klar wurde.

Allein der Gedanke an Thashii machte mich geradezu entwürdigend scharf. Diese Sache gehört jetzt wirklich nicht hierher! Aber Ashbaar behielt Recht: Kleines´ Aura vitalisierte in einer Weise, die atemberaubend war, und ich wusste nicht, was ich getan hätte, wäre Thashii jetzt hier gewesen … glücklicherweise waren alle Personen in der Begleitung des Boten männlich, und wir Allis neigten generell nicht zu widernatürlichen Paarungen …

Meine Gedanken verhedderten sich von neuem.

„Nur die Ruhe. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein. Meine Begleiter hier sind das alles schon gewohnt. Für sie ist der Impuls der Neugierde nicht mehr vorhanden, für dich indes schon. Ich spüre ihn in dir. Und ich fühle auch deine innere Ablehnung“, offenbarte Kleines bereitwillig.

Während ich unter seinen sanften Worten unweigerlich zusammenfuhr, schien ihn das nur zu bestätigen. Er nahm mir diesen Ekel einfach nicht übel, und das … ja, ich gebe zu, das fachte meine Neugierde an. Und es reduzierte meine Bedenken auf eine seltsame Art und Weise. Ich drängte meine ratlosen, unangenehmen Gedanken an seine physische, aufgeschwemmte Erscheinung in den Hintergrund und dachte lieber an diese eigentümliche, einzigartige Aura. Von etwas Derartigem hatte ich noch nie gehört …

Kleines war ein seltsames Wesen. Rätselhaft. Abstoßend vielleicht … aber doch faszinierend. Es war nicht zu leugnen.

„Du hast Fragen, Coshtuur. Das ist in Ordnung. Stell sie.“

„Wenn du jemals höhergestellten Personen begegnest, Cosh, dann denk immer daran: benimm dich! Deine Karriere hängt davon ab, dass du deine inneren Einstellungen für dich behältst! Ein guter Diplomat zeigt nach außen nur eine Maske, verstehst du, Sohn?“

Mutters gute Ratschläge. Sie waren unbezweifelbar hilfreich und hatten mir so manches Mal gute Dienste geleistet, natürlich …

Aber sie hatte natürlich niemals voraussehen können, dass ich bereits keine drei Monate nach meiner Dienstversetzung auf die SULVAASCH ausgerechnet jenem Wesen begegnete, das direkten Umgang mit den legendären BAUMEISTERN hatte (ich selbst hatte noch nie einen gesehen).

Und selbstverständlich auch mit OKI STANWER …

Gütiges Licht! Mit Oki Stanwer persönlich!

Hätte ich ihn auch noch getroffen, dann wäre ich wohl vor Ehrfurcht einfach tot umgefallen. Nehme ich wenigstens an. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Herr des Lichts jemals diese Gegend der FRONT besuchte, deren Länge MILLIONEN Lichtjahre betrug, war annähernd null.

Also, was ich sagen wollte: ich fühlte mich überfordert. Mutters gute Ratschläge, die mir bislang stets geholfen hatten, erwiesen sich in der direkten Konfrontation mit Klivies Kleines als bestürzend nutzlos. Ihm gegenüber höflich sein und die wahren Intentionen verbergen? Kaum anzunehmen, dass das möglich war. Ich kam mir vor, als würde er imstande sein, mich mit den Blicken seiner tiefliegenden, winzigen schwarzen Augen geradezu zu durchleuchten wie Hochenergie-Scanstrahlen, und auf eine unheimliche Weise war das fast angenehm. Nicht, dass ich das verstand.

Außerdem: er hatte mir selbst gerade gesagt, ich solle ihm FRAGEN stellen! Gebot es nicht die Höflichkeit, das dann auch zu tun? Aber andererseits … er war mein CHEF! Sollte ich es riskieren, irgendwelche dummen Fragen zu stellen und damit vielleicht meine Entlassung aus dem diplomatischen Dienst zu provozieren …?

Ich wand mich.

„Äh … ja nun … äh, ich glaube … das sollte ich besser nicht tun, Bote …“, stammelte ich nervös, ehe ich eigentlich begriff, was meine Lippen und meine Zunge da taten.

Die ganze Besatzung, die im Rund um Klivies Kleines herum saß, lachte grollend vor Vergnügen. Ich kam mir unendlich dämlich vor.

Offensichtlich hatte jeder von ihnen gewusst, dass diese Antwort kommen würde. Es war mir unendlich peinlich, und hätte ich mich auf einmal in einem Kinderhort auf meinem Heimathabitat wiedergefunden, wäre ich kaum verblüfft gewesen. So ähnlich kindisch verhielt ich mich nämlich gerade …

‚Ob sie auch alle so reagiert haben wie ich?’, ging es mir verwirrt durch den Kopf, während ich nervös die Phalanx meiner Begleiter anschaute und nur Amüsement in den schuppigen Gesichtern entdeckte. Irgendwie machte es das nicht einfacher. Was ging mich die Blamage der anderen an? ICH war es ja, der sich JETZT blamiert hatte!

„Sie waren ebenso wie du, Coshtuur. Es gibt keinen Grund dafür, dich zu genieren. Und du kannst mich Kleines nennen“, sagte das feiste Wesen milde, deutlich amüsiert. Das war wegen der aufgeschwemmten Mimik kaum zu sehen, aber die Aura, die Kleines umgab, signalisierte das auf subtile Weise. „Einfach nur Kleines.“

Dennoch – ich brachte es nicht fertig. Jedenfalls nicht während der zwanzig Minuten des Abstiegs durch die Planetenatmosphäre. Dazu war ich, ehrlich gesagt, noch viel zu verschüchtert. Auch die vielen brennenden Fragen, die mir durch den Kopf gingen, wagte ich nicht zu stellen.

Das Schwingenschiff des Boten hob vom Hangarboden ab, nachdem es sich versiegelt hatte, und wir wurden durch den glitzernden Energievorhang, der das Vakuum vom langen Hangardeck der SULVAASCH fernhielt, in den dunklen Glanz des Kosmos entlassen, unter uns die saphirne Perle der herzoglichen Hauptwelt namens Tuwihry.

Dann waren wir unterwegs.

Kleines ließ mich in Ruhe, und zum Glück bedrängten mich auch meine Kollegen nicht. Ich war so benebelt von Kleines´ Aura, dass ich ohnehin kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Also tat ich das, was mir am sinnvollsten schien: ich konzentrierte mich auf unser Reiseziel.

Tuwihry, im übrigen – aus dem Weltraum betrachtet – eine durchaus schöne Welt, war eine Welt mit einer Gravitation von 1.02 Standard, die über drei atmosphärelose Eismonde verfügte. Ich wusste aus den Hypnoschulungen einiges über den Planeten, zwang meinen nervösen und konfusen Verstand aber dazu, nur die wichtigsten Fakten zu referieren. Das würde mir helfen, wieder etwas mehr Gelassenheit zu entwickeln. Und die brauchte ich dringend! Wenn ich da unten in der Stimmung ankam, in der ich jetzt war, stolperte ich noch über meine eigenen Füße und blamierte mich bis auf die Knochen!

Tuwihry, erinnerte ich mich beherrscht, verfügte über acht Kleinkontinente und fünf große, zusammenhängende Meeresflächen. Insgesamt war das Verhältnis Meer-Land eines von 55 zu 45, aber nur wenige Gebiete der Welt ließen sich problemlos besiedeln, was an ausgedehnten Dschungelflächen und Sümpfen sowie wild zerklüfteten Gebirgsplateaus lag. Und natürlich an der Physiologie seiner Bewohner, die Sumpfklimate nicht vertrugen. Da der Planet kaum Polachsenneigung besaß, bestand ein durchgängig mildes Klima, das dem unserer Subtropen glich. Dadurch wurden drei Ernten pro Jahr ermöglicht, so dass seit der Errichtung der Herzoglichen Globalen Hegemonie vor hundertsiebenundsechzig Tuwihry-Standard-Jahren keine Hungersnöte mehr zu vermelden waren.

Tuwihry beherbergte die moderate Bevölkerung von achtundsiebzig Millionen Shassluur, eine von mäuseähnlichen Wesen abstammende, aufrecht gehende Spezies, die nach den Angaben der Baumeister seit rund achtzigtausend Jahren die herrschende Rasse darstellte und sich über die ganze Welt verbreitet hatte. Einstmals führte die regionale Zersplitterung der Planetenoberfläche fast unweigerlich zur Entwicklung von Hunderten von Stadtstaaten und Herzogtümern, bis in jahrhundertelangen Adelskriegen endlich die Herzogliche Globale Hegemonie des Hauses Phyolaan etabliert werden konnte.

Der Grund für den Sieg dieses eigentlich bevölkerungsarmen Hochlandclans des Äquatorkontinents Iskraavid lag in der technologischen Vorherrschaft. Außerdem kam ein ideologischer Faktor dazu. Aber zunächst einmal zu den geografischen und geologischen Besonderheiten:

Die Gebirgsregionen rings um das Hochland waren mineral- und erzreich, so dass die technisch sehr versierten Phyolaan-Shassluur in schnellen, kurzen Kriegszügen und zahlreichen, raffinierten Vertragsabschlüssen und Heiraten in Nachbarclans zügig ihr Einflussgebiet auf den gesamten Kontinent Iskraavid ausdehnen konnten, der fast sechzig Prozent der Shassluur-Bevölkerung Siedlungsplatz und Nahrung bot. Mit der frühzeitige Entwicklung von Flugmaschinen und dampfgetriebenen Schiffen gelang ihnen die Niederwerfung zahlreicher Fluss- und Küstenstädte, deren technische Innovationen sie konsequent unterbanden oder ihrer eigenen Wissenschaftssparte einverleibten. Die Phyolaan-Shassluur besiegten in Rekordgeschwindigkeit Piratennationen und räuberische Clans von den Nachbarkontinenten, zum Teil, wie ich schaudernd erfahren hatte, durch barbarische Flächenbombardements, als sie erst einmal die Lüfte erobert hatten. Die Konsequenzen für die Zivilisten mussten schrecklich gewesen sein. Aber die Sieger sprachen von so etwas natürlich nicht …

Inzwischen herrschte der 18. Herzog von Phyolaan von seiner Hochlandmetropole Noolidan unangefochten über die gesamte Welt, und die multinationalen Konzerne, die ebenfalls hier ihren Sitz hatten, bildeten gleichsam die Treibriemen der systemweiten Raumfahrtwirtschaft. Ob es sich um die Ausbeutung der drei Eismonde des Planeten Tuwihry handelte oder um den Bau und den Betrieb der Interplanetarfähren, ob es um die Exploration und Besiedelung der nahen drei Trümmergürtel des Sonnensystems oder aber um Kontakte nach Außerhalb ging, niemand konnte am Herzogtum vorbei, und niemand hier konnte in dieser Hinsicht an der großen Volksreligion der Befellten Erweckung vorbei.

Damit leitete ich gedanklich zum zweiten Faktor über, der diesen Shassluur-Clan zum Herrscher über Tuwihry gemacht hatte. Sie betrachteten das allen Ernstes als Ausdruck göttlichen Willens, und das kam folgendermaßen.

Die Befellte Erweckung hatte ich anfangs amüsant gefunden, als ich den Begriff das erste Mal hörte. Der Begriff klang aber auch wahrhaftig zu drollig. Es war eine absonderliche Erscheinung, wie ich schon damals gefunden hatte, als ich das erste Mal davon hörte und die diplomatischen Berichte über das Shassluur-Reich durcharbeitete, um mich auf diese Mission vorzubereiten. Und je mehr ich davon erfuhr, desto gruseliger wurde es eigentlich. Wenn man ein religiös motiviertes Wesen war, konnte einem dabei wirklich ganz anders werden.

Glücklicherweise waren wir Allis durch und durch rational!

Die Befellte Erweckung ging, so hieß es wenigstens, auf ein mythisches Erlebnis des 1. Herzogs von Phyolaan zurück. Der Legende zufolge befand er sich auf der Jagd – der Jagd nach entlaufenen Sklaven eines unterworfenen Feindherzogtums, die er solange zu jagen pflegte, bis er sie „erlegt“ hatte, wohlgemerkt! Das musste man physisch verstehen, denn die Gejagten überlebten solch eine Jagd selbstverständlich nicht.

Glücklicherweise war diese Sitte seit über einem Jahrhundert abgeschafft; was nicht bedeutete, dass es Folter und Arbeitslager für Regimeabweichler nicht mehr gab! Ob sie wirklich eine bessere Alternative darstellten, war mir unklar, aber ich konnte es mir schlecht denken – , nun, dieser erste Herzog von Phyolaan befand sich also auf der Jagd, als ihm am Rande eines steilen Felsabbruches eine Erscheinung den Weg versperrte. Es war angeblich ein riesenhafter türkisgrüner Shassluur, der ihn von der weiteren Verfolgung des hilflosen Opfers abhielt.

Er, ein göttliches Wesen, das später als Suuvid in die Mythologie einging, erklärte dem wuterfüllten, aber rasch demütigen Herzog, es gebe ein lohnenderes Ziel als dieses kleinliche Einprügeln auf hilflose Kreaturen und deren Abschlachten, das Niedermetzeln von Shassluur, die ohnehin schon unterworfen seien und nur noch um ihr Leben bettelten.

Er solle sich, fuhr Suuvid fort, lieber dem Glanz der ganzen Welt zuwenden und diesem die Majestät einer völkisch-rassischen Identität stiften. Dabei könne er durchaus so viele Völker und Staaten und Städte unterwerfen und ausplündern, wie er wolle. Aber wovon er abzusehen habe, das sei die völlige Auslöschung oder Vernichtung der Gegner, denn das würde er ohnehin niemals schaffen (was mir schaudernd gezeigt hatte, dass solches Vorgehen offensichtlich in der Shassluur-Geschichte durchaus nicht gerade selten gewesen war. Es ist wohl verständlich, dass das meine Akzeptanz dieser Kultur nicht eben erhöhte. Von der Wertschätzung ganz zu schweigen).

Die Überlebenden solcher Strafaktionen, sagte der riesenhafte, grünfellige Shassluur, würden ihn und seinen Stamm jedoch immer mit Hass verfolgen und die erste beste Gelegenheit wahrnehmen, ihn ihrerseits zu zerschmettern. Hass und Rache brächten nur Hass und Rache hervor, und die Welt würde immerzu im Blute waten und nicht von der Stelle kommen. Alle Fortschritte kämen so zum Stillstand und wären dem Untergang geweiht.

Da wenigstens musste ich diesem unheimlichen Wesen, an das zu glauben ich außerstande war, zustimmen. Und tatsächlich ließ sich auch der Herzog davon beeindrucken und änderte seine Politik grundlegend.

Durch dieses mythische Ereignis entstand der Kult der Befellten Erweckung, alle Soldaten wurden auf Suuvid eingeschworen, und dem energischen Sendungsbewusstsein dieser religiösen Ideologie war es zu verdanken, dass Phyolaan schließlich die Welt regierte. Die blutige Einigung Tuwihrys dauerte zwar noch immer Jahrhunderte, aber sie hielt, als sie einmal erreicht war, das Phyolaan-Reich zerbrach nicht wie die vorherigen Staaten nach dem Tod des Regenten wieder. Der Triebmotor war neben dem globalen Kult das technologische, intellektuell befeuernde Reich der Phyolaan-Shassluur.

Die Hauptstadt Noolidan, erinnerte ich mich weiter, einstmals ein kleines Bergnest mit einigen Adelssitzen, war im Gefolge dieser Entwicklung zu einer Metropole herangewachsen, die heute ihresgleichen auf Tuwihry nicht fand. Sie hatte sich natürlich dramatisch verändert im Vergleich zu dem Bild, das sie in früheren Jahrhunderten bot: Heute besaß sie einen großen Raumhafen im Schatten der rücksichtslos abgeholzten Bergrücken, wo hohe Betonwälle Erosion verhindern sollten. Die Betonwälle waren mit großflächigen Landschaftsbildern geschmückt, damit die Illusion einer schönen Umgebung vorgespiegelt wurde.

Die Informationen der Baumeister und der SENSOREN des Flaggschiffs sagten aber auch unleugbar aus, dass in der Umgebung der Hauptstadt nach wie vor exzessiver Raubbau an der Natur begangen wurde und die Stadt unter starken ökologischen Schäden litt. Das schien den Herzog kaum anzufechten. Nun, sein Palast war nach unserem Wissen voll klimatisiert. Von dem Smog, der tagtäglich über Noolidan lag, bekam er nichts mit.

Natürlich war er auch nie zu Gast in den zwölf unterirdischen Strafgefangenenlagern, die rings um Noolidan lagen, gut versteckt für jede planetare Ortungstechnik. Die technischen Systeme der Baumeister, die auf unseren Schiffen im Einsatz waren, maßen indes die Schwankungen der Dichtekoeffizienten in den oberen Taared der Planetenkruste und hatten schon beim einfachen Überflug die furchtbaren mehrstöckigen Lager sichtbar gemacht und die Vitalfunken darin gezählt.

Dort unten vegetierten Zehntausende von internierten Shassluur vor sich hin, die – nach Aussage des SENSORKERNS des Flaggschiffs – dazu verurteilt waren, Wiederaufforstungsarbeiten in den ruinierten Gebirgszügen zu leisten. Ihre Effizienz war einfach jämmerlich. Shassluur waren physisch schwache Wesen, und da die Strafbrigaden keine mechanische Unterstützung bekamen, kam diese Arbeitstechnik einer Vernichtung durch Arbeit näher als einer ernsthaften Behebung der ökologischen Missstände …

„Die Shassluur sind seltsame Wesen“, meinte auch Kleines, während wir durch die dunstigen Wolkenschichten niederschwebten, flankiert von Schwärmen shassluurischer Sicherheitsfähren und allischer, schwarzer Diskusbeiboote. Wir gingen immer gern auf Nummer Sicher. Kleines war nun einmal ein außerordentlich wichtiges Wesen …

Kleines´ Bemerkung riss mich aus meinen reflektorischen Grübeleien, und fast schien es, als habe er meine Gedanken verfolgt, um zielsicher an der Stelle einzuhaken, wo ich mit dem Exkurs über die shassluurische Geschichte in der Gegenwart ankam. Aber das konnte ich mir nicht so recht vorstellen.

„Wie … äh … meint Ihr das … äh … Kleines?“, fragte ich zaghaft. Es fiel mir immer noch schwer, ihn so … vertraulich anzureden. Er war und blieb halt mein direkter Vorgesetzter, nicht wahr? Und das durfte ich nie, niemals vergessen.

Der Bote richtete kurz seine schwarzen, kleinen Äuglein auf mich, und goldene Funken sprühten über seine aufgeschwemmte Haut. War das Amüsement? Ich hätte es nicht zu sagen vermocht.

Dann erläuterte er, mit mehr als nur einem Hauch Bedauern in seiner Stimme: „Eine intakte Ökologie ist für den Erhalt der Lebenssphäre von enormer Bedeutung, Coshtuur. Die Baumeister wissen das seit langem und sorgen entsprechend dafür, dass die Beschädigung der Umwelt in jenen Regionen, in denen sie tätig sind, möglichst gering ausfällt. Du kennst das von allen Stützpunktwelten, auf denen das SENSOR-Netzwerk dafür sorgt, dass selbst die Natur mit den Baumeister-Installationen interagiert6, ganz zu schweigen von Habitaten, die die Baumeister für ihre Diener erschaffen.

Wesen jedoch, die gleich den Shassluur auf ihrer Welt agieren, begehen mit ihren zutiefst egozentrischen Aktionen unweigerlich einen Frevel gegen die Natur. Sie sehen nicht, dass sie ihre Heimat unwiderruflich zu Grunde richten, und selbst wenn man es ihnen erzählte, würden sie es uns nicht glauben.“

Klivies Kleines seufzte, und es klang nun wirklich resignierend. „Ich habe das so oft erlebt, dass ich mich daran eigentlich längst gewöhnt haben sollte. Und doch ist es nicht der Fall. Es ist überall genau dasselbe, die lokalen Unterschiede sind kaum der Rede wert … Und die ständige Wiederholung dieser stupiden Dummheit macht mir immer noch zu schaffen.“

Er seufzte erneut. „Ich weiß natürlich, woran das liegt. Es ist eine Frage des Informationsdefizits.“

„Aha?“ Benommen von Kleines´ Ausstrahlung wie von dem Wortschwall war ich außerstande, etwas Intelligenteres zu sagen. Wahrscheinlich lag das, was er zu sagen versuchte, wirklich sehr nahe und war äußerst plausibel. Ich konnte das jedoch nicht sehen. All meine wieder gewonnene Seelenruhe durch das mentale Referieren der Fakten über die Shassluur-Geschichte löste sich wieder auf. Kleines´ Ausstrahlung war, um es behutsam zu formulieren, wirklich mächtig umwerfend. Dementsprechend benebelt reagierte ich.

Ich war natürlich verdammt froh darüber, dass die anderen neunzehn Allis des Begleitkommandos ringsum nur freundlich grinsten und nicht irgendwelche dummen Bemerkungen machten. Wahrscheinlich hatte Klivies Kleines sie dazu ermahnt. Ich hatte es auch so schon schwer genug …

Das schwerfällige, schuppenlose Wesen nickte mühsam. Es sah nicht so aus, als fiele Kleines eine solche Bewegung auch nur im Mindesten leicht. So, wie der Bote aussah, fiel ihm wahrscheinlich überhaupt nichts leicht. Wäre da nicht diese Ausstrahlung gewesen, er hätte vermutlich in jedermanns Augen nichts anderes als einen Krüppel dargestellt, eine vom Schicksal schrecklich gequälte Mutation …

Aber diese Aura … du liebes Licht!

„Weißt du, jede Kultur neigt dazu, Informationstransfers zu unterbinden“, sagte Klivies Kleines langsam. „Das geschieht aus dem egoistischen Gedanken heraus, dass ‚die Gegenseite‘ – wie auch immer sie aussehen mag – von den eigenen Fehlern oder auch Fortschritten lernen könnte. Und was die anderen nicht wissen, im Guten wie im Schlechten, stellt für solche Ignoranten, die diese Informationen unterdrücken, offensichtlich einen Vorteil dar.

Das ist ein Grund für solch eine Einstellung. Ein anderer liegt in Kurzsichtigkeit und mitunter rassischem oder nationalem Dünkel: Fehler, die andere Nationen begehen, werden nicht zur Kenntnis genommen oder sogar verhöhnt – während man selbst genau dieselben Fehler begeht, sie aber geflissentlich ausblendet. Hier wird mit Absicht mit zweierlei Maßsystemen gemessen.

Verrückt? Natürlich, aber so ist die Welt solcher Wesen.

Je mehr Nationen auf einem Globus agieren, desto schlimmer ist die Ausprägung dieser Handlungsweise. Es ist eine Rivalität der schieren Dummheit. Ich sage dir, ich habe zahllose Welten gesehen, Coshtuur, auf denen so viele kleine und kleinste Nationen beheimatet waren, die fast durch die Bank alle dieselben Fehler begingen und teilweise sogar darum wussten, sie aber mitunter absichtlich nicht korrigierten in der bizarren Hoffnung, das Gegenüber würde dieselben Fehler begehen und daran schneller zu Grunde gehen als sie selbst … wären all diese Nationen von einer unparteiischen Schiedsstelle über die Konsequenzen ihres Handelns rechtzeitig informiert und gezwungen worden, entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen, dann könnten diese Welten heute Paradiese sein.“

„Aber sie sind es nicht“, riet ich in einem hellsichtigen Moment, und die böse Vorahnung schnürte mir fast die Luft ab. Vielleicht regulierte Kleines in dem Augenblick die Stärke seines Schirmes wieder etwas höher – einerlei, wie auch immer das zustande kam, jetzt war ich auf einmal hellwach und konnte wieder etwas klarer denken.

Ich durfte nie vergessen, begriff ich nun: dies war kein theoretischer Exkurs, sondern der Bote hatte all diese Welten, von denen er erzählte, BESUCHT! Diese Nationen existierten, diese Völker lebten und begingen weiterhin ihre furchtbaren, kleingeistigen Fehler und …

Kleines´ Antwort brachte meine überschäumenden Gedanken zum Stillstand.

„Nein, Coshtuur, das sind sie nicht“, gab er zu und zögerte kurz. Dann gab er der Wahrheit Ausdruck. „Heute sind alle diese Nationen tot und vernichtet. Das Terrorimperium hat sie überrollt, bevor sie ihre Fehler korrigieren konnten.“

Diese furchtbare Erkenntnis brachte mich dann zum Schweigen.

Beklommen beschloss ich, dieses Thema vorerst nicht mehr anzuschneiden. Es war einfach gar zu grauenerregend.

5.

Die shassluurische Metropole von Noolidan, unser Reiseziel, erwies sich als ein logistischer Alptraum, daran änderte auch die Tatsache nichts, dass wir – also Klivies Kleines und seine allische, diplomatische Eskorte – eine Vorrangbehandlung genossen.

Unser erster Eindruck dieser Großstadt, in der angeblich zwei Millionen Shassluur lebten (das war die offizielle Zahl, wenn man jedoch die uferlos ausgedehnten erdgeschossigen Slums rings um die Metropole anschaute, musste man eher von der doppelten Bevölkerungszahl ausgehen), war der eines stumpfen Schuppenteppichs unter dichtem grauen Nebel, durchflossen von den matten, fast anthrazitfarbenen Bändern zweier schmaler Flüsse, die nicht einmal beim Einmünden in diese uferlose Metropole die Farbe normalen Wassers besaßen.

Es handelte sich um die beiden Lebensadern von Noolidan, überall bedeckt von kleinen Brücken, die Ufer gesäumt von unzähligen Piers und Lagerhäusern, Fischmärkten und Siedlungen schwimmender Märkte. Zahllose Stichkanäle verliefen sich in den einzelnen Stadtvierteln, und ein Detailzoom enthüllte uns wimmelndes Leben in den Straßen, auf den Uferpromenaden, auf den flachen, überdachten Booten, den Dutzenden von Fährverbindungen, den Brücken … diese Stadt barst nur so vor Shassluur.

Tausende der Mauswesen konnte man auf den Detailscans als winzige, flauschige Punkte erkennen, die quecksilbrig und unstet hin- und herirrten. Ein jeder gefangen in seinem Lebenskreis, in seiner Kaste, seiner Familie, mit einem individuellen Schicksal, und doch im kosmischen Maßstab völlig gleichgültig.

Aus dem Zentrum der organisierten Stadt, um die herum die beiden Flüsse flossen und um deren Außenränder sich dann die eben beobachtete und überflogene Slumbebauung ausdehnte, stachen für shassluurische Verhältnisse geradezu atemberaubend hohe ockerfarbene und silbrige Türme hervor, und darin lag ein weitläufiges, von einem breiten Grüngürtel eingehülltes Areal.

Letzteres, so sagte mein Hypnoschulwissen wenig willkommen, da ich mich eigentlich mit dem Rest dieser wirklich unglaublichen Stadt beschäftigen wollte (gütiges Licht, es war meine erste diplomatische Außenmission! Und ich wollte was von dieser Welt sehen!), war der gesperrte Palastbezirk des Herzogs von Voy-Xenn. Er verfügte über eigene Schwimmbäder, Flugplätze, autarke Verkehrssysteme, besondere Elite-Garnisonen, Flugabwehrgeschützbatterien und ähnliches.

Damit unterschied er sich vom Rest der Hauptstadt Noolidan so vollständig, dass man meinen konnte, zwei höchst ungleiche Zivilisationen seien hier quasi ineinander verschmolzen. Aber angeblich sah das überall auf Tuwihry ähnlich aus, wo die jahrhundertealten Adelssitze von den Hütten und sonstigen Siedlungsformen ihrer Dienerschaft umwuchert wurde. Wohlstand, lernte ich an diesem Punkt meiner Gedanken höchst nachhaltig, zog Arbeitskräfte an, insbesondere in Gesellschaften, in denen es wenig Alternativen zum Vegetieren auf dem Lande gab. Der hungrige Magen diktierte, was man tat, und wenn man sich dafür in Unfreiheit begeben musste, aber etwas zu essen hatte, nun, dann tat man das eben.

Schreckliche Vorstellung.

Allein diese festungsartige Form des Herrschaftsareals legte dem uneingeweihten Betrachter schon nahe, dass diese Welt krank sein musste, dachte ich weiter: Niemand, der nicht irgendeine Form von Krieg führte, musste sich so verschanzen. Da der Herzog von Tuwihry aber keinen Krieg führen musste, weil es auf seiner Welt keine feindseligen Staaten mehr gab (und für auswärtige Auseinandersetzungen war bekanntlich das technologische Level der Shassluur zu niedrig), verbarg er sich also ängstlich vor seinem eigenen Volk und führte gegen seine Untertanen eine bizarre Form von wohlstandsinduzierten Krieg.

Ich begann Kleines´ Bemerkung von den Völkern, die sich aus kleinlichen Motiven heraus selbst zerrütteten und ihre Umwelt ruinierten, zu glauben. Es war eine widerwärtige Erkenntnis. Vor allen Dingen deswegen, weil wir mit den Verantwortlichen für dieses Desaster verhandeln mussten, und dabei durften diese offensichtlichen Missstände nicht einmal angedeutet werden, um den Verhandlungserfolg sicherzustellen.

Ich ertappte mich plötzlich bei dem Gedanken, dass ich einen Erfolg gar nicht für sinnvoll hielt. Dann hätten die Shassluur vielleicht endlich mal gelernt, dass es so nicht ging …

‚Nein, das ist ein perverser Gedanke‘, korrigierte ich mich erschrocken in Gedanken. Das war vollkommen verkehrt! Korrekt war vielmehr dies: ‚Wenn die Verhandlungen scheitern, wird Tuwihry sich nicht bessern, sondern an die Troohns fallen. Und völlig ausgelöscht werden … gütiges Licht, wie komme ich denn auf so wahnsinnige Gedanken?‘

Ich sah, dass Klivies Kleines mit seinem fremdartigen, aufgeblähten Gesicht einen Ausdruck aufsetzte, der fast ein Lächeln hätte sein können. Hatte er diesen Gedanken in mir induziert? Normalerweise hätte mich das schockiert, aber im Angesicht von Kleines´ himmlischer Glorie war ich zu benommen dafür. Diese Gedanken verwirrten mich vollständig und verschlugen mir endgültig die Sprache.

Das im Sonnenlicht glitzernde Schwingenschiff des Boten setzte fauchend und einen leichten Windstoß auslösend, umringt von einem konzentrischen Kreis von Alli-Begleitschiffen der Eskorte, auf dem palastinternen Kleinst-Raumhafen des Regenten auf. In einer Entfernung von ziemlich genau drei Taared (laut meiner Anzug-KI) wurde die Anlage von hohen, nach innen gekrümmten Festungsmauern umgeben, auf denen Shassluur in schusssicheren Monturen patrouillierten. Nach der Zählung des kleinen SENSORKERNS des Boten-Schiffes, der die Daten unablässig an die Mitglieder des diplomatischen Korps weitergab, befanden sich allein in direkter Sichtweite mehr als zweitausend Energiesignaturen und Wärmesignale, die sich in Soldaten, Sicherheitskräfte und Bedienstete aufspalten ließen. Der weitaus überwiegende Teil gehörte zum Sicherheitspersonal.

Sicherheitspersonal, das ich einfach zum Lachen fand, als ich es jetzt zum ersten Mal sah. Es war wirklich schwer, nicht laut herauszuprusten: Die Shassluur in ihren kugelsicheren Panzerwesten wirkten auf mich geradezu abstrus. Zierliche, schmalgliedrige Gestalten mit weit vorgestreckten, bronzefelligen Köpfen, auf denen jedes technische Equipment geradezu bizarr wirkte.

Ich entsann mich meiner Kindheit auf Sharweshtin und besonders an den Laufkäfig meiner ältesten Schwester Alvyrit, den ich schließlich erbte, als sie meinte, es sei nicht mehr „altersgemäß“, sich diese possierlichen Silaari zu halten. Silaari waren kleine Nager mit seidigem Fell7, und man hatte sie extra so gezüchtet, dass sie ihre existentielle Hemmung gegenüber Raubreptilien ihrer Heimatwelt verloren. Sie waren schrecklich verspielt und possierlich, und mit fünfeinhalb Jahren wurden sie sogar ziemlich alt.

Die Shassluur erinnerten mich auf geradezu frappierende Weise an Silaari, was zur Folge hatte, dass ich sie einfach nicht ernst nehmen konnte. Zu sehen, dass sie wie Alli-Polizeikräfte gepanzert waren, vervollständigte den Eindruck der Surrealität. Einigen meiner Kollegen ging es offenbar nicht anders. Einige von ihnen grinsten breit und würden wohl ähnlich wie ich nachher Probleme haben, draußen ihre gelassene, ruhige Miene der Neutralität zu wahren.

Außerdem: die Größe! Gütiges Licht, diese possierlichen Kerle waren nicht mal halb so groß wie ich! Vermutlich reichte ein halbherzig ausgeführter Stupser, um sie von den Beinen zu stoßen, ganz egal, wie stark sie gepanzert waren. Wie sollte man, bitte schön, solche „Sicherheitskräfte“ irgendwie fürchten können? Untereinander mochte das bei den Shassluur etwas anderes sein. Aber doch nicht uns gegenüber!

Im Gegensatz zu den Silaari verfügten die Shassluur aber noch sehr wohl über die Reptilienhemmung. Das mochte ein entscheidender Grund dafür sein, dass sie uns mit solchem Misstrauen begegneten und die Verhandlungen derart lange herauszögerten. Wenn man sich mit jemandem an einen Tisch setzen muss, der aussieht wie ein einstiger Fressfeind (ganz zu schweigen von einem sehr viel größeren Fressfeind, als man es selbst physisch ist), dann ist wenigstens Vorsicht angebracht. Ich konnte das nachvollziehen.

„Sind die Shassluur eigentlich sicher, dass wir sie nicht fressen wollen, Kleines?“, erkundigte sich ein sehr kompakter Alli der Eskorte sarkastisch. Ich kannte ihn noch nicht persönlich, aber auf einem Display am oberen Helmsaum erschien sein Name sofort: Vushtaar, Sicherheitsberater des Boten. Wichtigster Teilnehmer der Mission, wie die KI dazu lautlos einblendete.

Ich war einen Moment lang irritiert, dass sich in unserem Kreis Sicherheitsberater befanden. Waren das denn hier im Raum nicht alles … Diplomaten …? In Gedanken behielt ich mir vor, die restlichen achtzehn Begleiter während unserer Mission einem oberflächlichen Datenscan zu unterziehen. Es konnte ja irgendwie nicht sein, dass …

Kleines´ Antwort unterband ein intensiveres Nachdenken.

„Du solltest die Shassluur nicht verspotten. Sie können nichts für ihre Erscheinung, Vushtaar“, rügte er sanft, aber er schien zugleich solche Bemerkungen gewohnt zu sein. In diesem Moment spürte man seine lange diplomatische Erfahrung. „Und du weißt ja: möglichste Zurückhaltung, Nüchternheit und Konzentration. Kümmere dich um deine Aufgabe.“

„Ja, ich weiß, Kleines. Ich werde mich dran halten.“

„Worauf … äh … warten wir eigentlich noch?“

Der Bote sah mich unergründlich an, und ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen, so peinlich war es mir, dass ich laut gedacht hatte. „Wir warten auf den Hofmarschall Bhaalison, Coshtuur. Es muss doch alles nach den Etiketten gehen, nicht wahr?“

„Oh. Ja. Natürlich.“

Die Etikette. Noch so eine Verrücktheit.

Im Laufe der nächsten zwei Stunden hatten wir reichlich Gelegenheit, die bizarren Etikette der Shassluur von Phyolaan kennenzulernen. Ich konnte sie selbst nicht glauben, obwohl ich Augenzeuge dieser ganzen Vorfälle war. Es war einfach … absurd. Mir fiel kein passenderes Attribut ein.

Zunächst kam Hofmarschall Bhaalison in einer Sänfte (!), zusammen mit seinem siebzig Personen umfassenden, reich geschmückten Gefolge. Die dazu zählenden Shassluur mussten natürlich zu Fuß gehen. Eine Frage des Ranges, nicht wahr? Das musste man verstehen … Bhaalison war ein kleiner, ziemlich gut genährter Shassluur in einer schreiend bunten Phantasieuniform, in der er ordentlich schwitzte. Ich nahm an, dass die ganzen Farben, Muster und Metallversatzstücke seiner Uniform irgendwelche Bedeutung besaßen, aber auf mich wirkte der kleine Kerl einfach nur drollig.

Er selbst nahm sich jedoch äußerst wichtig.

Er verhandelte geschlagene fünfundzwanzig Minuten draußen auf dem Rollfeld im warmen Wind des Hochlandes (das nur deswegen vor dem Smog der Hauptstadt geschützt wurde, wie ich später erfuhr, weil leistungsstarke Gebläse immerzu für Luftzirkulation auf dem Palastareal sorgten; was das an Energie verschlang, mochte ich mir nicht mal im Traum vorstellen) mit Kleines´ persönlichem Adjutanten Tholnoy.

Dann waren wir soweit, dass wir Kleines´ Antigravsessel ausladen konnten. Die meisten des Shassluur-Gefolges des Hofmarschalls stierten den Boten ungläubig und verstört an, um dann ostentativ irgendwo anders hinzuschauen. An ihrem gesträubten Fell erkannte ich, dass Kleines ihnen irgendwie unheimlich sein musste. Nun, ein Ausbund an Schönheit war er halt wirklich nicht, da hätte ich ihnen zugestimmt. Und da Kleines den Individualschutzschirm sehr hoch eingestellt hatte, konnten sie seine Aura nicht spüren.

Nachdem er ordentlich saß, teilte Kleines zwei Allis aus den Begleitschiffen als Wache für das Schiff zu. Die anderen achtzehn Angehörigen des Botenstabes, mich eingeschlossen, würden ihn in die Residenz des Herzogs begleiten. Ich glaube, ich hätte protestiert, wenn er mich hier einfach zum Wacheschieben abkommandiert hätte! Aber ich bin mir dessen nicht ganz sicher.

Die Absurditäten dieser Welt gingen munter weiter.

Speziell für uns angefertigte Fahrzeuge rollten heran, gesteuert von Shassluur in silbernen Gardeuniformen, die in offensichtlich gepanzerten und vollkommen abgeschlossenen Kabinen saßen. Ich konnte ihre Angst fast durch die Scheiben hindurch riechen, ich brauchte nur das gesträubte Fell und die großen, schwarzen Augen ansehen. Sie taten mir unermesslich leid. Es gab doch gar keinen Grund zur Furcht …

Das konnte man ihnen wahrscheinlich tausendmal erzählen. Sie würden es nicht glauben.

Wir mussten auf diesen seltsamen, klobigen Vehikeln, die seitlich offen waren, aufsitzen, und einer meiner Kollegen äußerte halblaut die Vermutung, dass das vorher wohl offene Lastwagen gewesen sein mussten. Normale Shassluur-Fahrzeuge würden unser Gewicht nicht tragen können.

Sie waren auch ähnlich unbequem wie Lastwagen. Ganz zu schweigen davon, dass die Sitze bedenklich unter uns knirschten. In einem unglaublichen Kriechtempo beschleunigten diese seltsamen Gefährte, die über acht Räder mit Bodenkontakt verfügten. Natürlich besaßen die Shassluur auch noch keine Antigravtechnologie. Wir hätten ihnen wahrlich so viel Gutes geben können. Kugelmaschinen zur Erzeugung von ökologisch verträglicher Energie8, Absorber für die Resorption von schädlichen Emissionen, Roboter, die die Strafarbeitskolonnen überflüssig gemacht hätten … aber das würde alles erst später kommen.

„Ich wäre zu Fuß schneller“, wisperte mir Ashbaar vergnügt zu, während wir über erschreckend schmale Straßen, deren Ränder vollkommen leergefegt waren, auf den Palast zukrochen. Anders konnte man das wirklich nicht nennen. Wir sahen während der langen Fahrtzeit dennoch nicht eine einzige Shassluur-Seele. Die Scanner unserer Anzüge signalisierten indes deutlich, dass sich hinter jeder einzelnen verspiegelten Scheibe beiderseits unseres Fahrtweges Dutzende, manchmal Hunderte von neugierigen oder wahrscheinlich ängstlichen Shassluur-Zivilisten drängelten (Hofbedienstete! Nicht Zivilisten, korrigierte ich mich sofort. Womöglich sogar Geheimpolizei. Gewundert hätte es mich kaum).

Ich musste Ashbaars Bemerkung einfach zustimmen. Wir hätten bequem neben den Fahrzeugen marschieren können. „Kleines wird schon seine Gründe haben, warum er das zulässt.“

„Ja, natürlich. Akzeptanz.“

„Ruhe da hinten!“, kam die barsche Weisung von Vushtaar.

Wir schwiegen wieder, und ich beobachtete in Ermangelung anderer Möglichkeiten einfach die Umgebung. Da sie so offensichtlich beabsichtigt von jeder Person leergefegt worden war, richtete ich mein Interesse bald auf unser Ziel aus: den Herzoglichen Palast des Regenten von Tuwihry.

Es handelte sich eigentlich weniger um ein Gebäude als vielmehr um eine kleine Stadt von mehr als zweiundzwanzig Quadrat-Taared9. Sie bestand, soweit das meine Daten in den telemetrischen Modellen zeigen konnten, aus drei konzentrischen Ringen der Bebauung. Der Raumhafen, auf dem wir gelandet hatten, lag außerhalb, und noch etwas weiter draußen – wie ich schon gesagt hatte – befanden sich die Wallanlagen.

Hier drinnen gab es jedenfalls noch eine Wallanlage, und wieder wurde sie von hochgradig nervösen, uniformierten und bewaffneten Shassluur bewacht, deren gesträubtes Fell ich oftmals deutlich erkennen konnte. Diesmal konnte ich die Angst der Tuwihry-Bewohner ganz klar schnuppern. Es war ein … na ja, fast aufreizendes Aroma. Ich begann die tierischen Raubechsen dieses Planeten zu verstehen – wer einen verängstigten Shassluur in freier Wildbahn vors Maul bekam, wurde einfach GEZWUNGEN, diese Wesen zu jagen, bis sie zwischen den Zähnen hingen. Es war, als riefe jede Pore der Gejagten: Fang mich! Fang mich!

Das war ein bisschen wie mit dem Aroma einer brünstigen Vysva (ich musste unweigerlich an Thashii denken, es ging überhaupt nicht anders): wenn man sie roch, KONNTE man nicht mehr denken, sondern nur noch rein instinktiv handeln. Nur gut, dass die Shassluur, denen wir hier begegneten, genauso diszipliniert waren wie wir. Anderenfalls hätte die Mission vielleicht in einem Blutbad geendet. Wir waren rassisch irgendwie völlig inkompatibel.

Aus diesem Grund begann ich zu verstehen, warum die Verhandlungen mit dem Herzogtum so außerordentlich zäh gewesen waren.

An der Pforte kam es jedenfalls zur nächsten Verzögerung. Es musste jemand herzitiert werden, der Pfortenwächter genannt wurde, offensichtlich unterhalb des Hofmarschalls Bhaalison stand, aber es gab dennoch wohl irgendwelche Absprachen zu treffen, damit nicht irgendeiner der beiden brüskiert war.

Es war echt zum Schuppenauskratzen!

Im nächsten Innenring war auch alles wie leergefegt, nur konnten wir hier überall nervöses Sicherheitspersonal erkennen. Die meisten versteckten sich gut, aber selbstverständlich erfassten unsere Anzugscanner sie eigentlich sofort. Ihre Vitalfunken glühten wie hellstrahlende Leuchtkörper.

Ebenfalls von den Anzügen erfasst wurde das ganze Equipment der permanenten Sicherheitsüberwachung: die optischen und detektorischen Geräte, die auf uns gerichtet waren. Ich begann zu verstehen, warum Kleines uns die Anzüge belassen hatte. Und – unsinnig genug! – ich begann mich zu fragen, ob es irgendeinen Sinn gehabt hatte, meine Paradeuniform anzuziehen. Es sah so aus, als würde ich sie nicht brauchen.

„Kommen wir überhaupt aus den Raumanzügen raus während der Mission?“, erkundigte ich mich bei Ashbaar so leise als möglich. DEN Kommentar konnte ich mir jetzt echt nicht mehr verkneifen.

Er grinste breit und fand das offenbar rasend komisch. „Kannst es ja versuchen, Kleiner. Aber ich glaube, Kleines fände das nicht lustig.“

Ich musste wohl ein sehr verdrossenes Gesicht gezogen haben, denn Ashbaar hatte wirklich Mühe, sein lautes Lachen zu verbergen. Er schnaubte amüsiert.

„Ruhe dahinten! Benehmt euch endlich diszipliniert! Wir sind gleich da!“

Erschrocken stellte ich meine Wortmeldungen ein und bemühte mich, das nervöse Schuppenkräuseln im Nacken halbwegs unter Kontrolle zu bekommen, vom flatternden Magen mal ganz zu schweigen.

„Ich injiziere die nächste Dosis“, sagte der Medocomputer meines Anzuges plötzlich und überraschte mich damit ein wenig. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die sechs Stunden seit der letzten Dosis schon vorbei waren. Vielleicht lag diese Anspannung und Unsicherheit auch daran, dass das Stoffwechselmedikament, das mich stabilisierte, im Kreislauf unter eine kritische Schwelle gesunken war? Ich nahm das so hin, fühlte das Prickeln am Rückgrat und lehnte mich seufzend gegen die viel zu kleine Lehne des Sessels zurück, schloss einen Moment lang die Augen.

Als ich sie nach ein paar Sekunden öffnete, ging es mir schon wesentlich besser. Das leichte Unwohlsein verflog schnell.

Der fahrbare Untersatz, auf dem wir befördert wurden, hatte indessen einen Innenhof im zweiten Innenring erreicht, der offensichtlich einen Fuhrpark beherbergte. Jetzt sah ich erstmals die „normalen“ Fahrzeuge der Shassluur aus nächster Nähe und musste wieder grinsen.

Gütiges Licht, das GING gar nicht anders!

Abgesehen davon, dass ich über das höchste der Fahrzeuge, das hier stand, wirklich locker hinwegschauen konnte, wenn ich stand – das hing einfach mit der Körpergröße der Shassluur zusammen, der größte von ihnen reichte mir nicht mal bis an den Brustansatz, folgerichtig erinnerten sie mich irgendwie alle an große Knuddelpuppen oder halbwüchsige Allis mit Plüschfell – , abgesehen davon also waren sie alle so schmal, dass es schon abenteuerlich wirkte. Sie besaßen an den Seiten Gleittüren, offensichtlich aus einem Kunststoff-Verbundstoff. Die Wagen, meist Viersitzer, waren alle schwarzrot lackiert und trugen das Herrschaftszeichen des Herzogs von Tuwihry. Und natürlich waren es alles vierrädrige, bodengebundene Fahrzeuge. Was sonst?

Ich vermutete, dass ich die Kunststofftüren mit der bloßen Faust hätte einschlagen können, so fragil und spielzeughaft sahen sie aus. Alles hier wirkte so miniaturisiert wie in einem Kinderspielpark. Unglaublich. Wie ein wilder Traum!

Am lustigsten fand ich die Wartungscrew und die Fahrer: sie standen alle neben dem im Halbkreis aufgebauten Fuhrpark, adrett uniformiert in Schwarz, Rot und Silber, mit neckischen kleinen Mützen auf ihren Fellschöpfen und schwarzen, polierten Stiefeln. Und zugleich sah man deutlich, wie ihre Knie zitterten.

Ich hätte laut herausbrüllen können vor Gelächter, so komisch sahen sie aus. Aber die Etikette verlangten selbstverständlich, dass ich ernst schaute und die Bemühungen der Shassluur, uns zu beeindrucken, anerkannte und respektierte. Gütige Baumeister, fiel mir das schwer! Ich würde hier noch an verschlucktem Lachen sterben, ich sah es voraus …

Und dann die nächste Stufe der Etikette: der Leiter des Fuhrparks redete mit dem Hofmarschall. Mit vielen Verbeugungen, rituellen Formeln und Austausch von Höflichkeiten wurde er Kleines vorgestellt, dann Kleines´ Adjutanten Tholnoy, dann Vushtaar …

Ehe wir begriffen, wie uns geschah, war die nächste halbe Stunde dahingeschwunden. Allmählich wurde ich durstig. Leider durften wir auf dem Weg zur Audienz noch nichts trinken. Ich dankte dem Himmel, dass es hier in der Hofanlage nicht übermäßig heiß war. Die Shassluur schwitzten zwar wie verrückt, wir konnten es deutlich schnuppern, aber das lag wohl mehr an der Angst und unserer Gegenwart anstatt an der Temperatur. Außerdem waren wir ja Hitze gewöhnt. Nicht auszudenken, wie es uns ergangen wäre, wenn Tuwihry eine heiße Wüstenwelt gewesen wäre …!

Nun, in diesem Hof durften wir also endlich von unserem unbequemen Vehikel absteigen und in langsamem Marsch in den eigentlichen Palastkomplex folgen. Natürlich gab es hier noch ein Zeremoniell mit dem Leiter der Palastwache, der uns – widersinnig genug – weitere zweiundzwanzig Shassluur-Soldaten als Wächter mitgab.

Gütiger Himmel, konnte man den Tag vertrödeln mit solchen Dingen …!

Da konnte man wirklich nur Geduld zeigen. Ändern konnten wir sowieso nichts.

6.

Als wir dann endlich in den für uns vorbereiteten Quartieren ankamen, lagen zwei weitere Stunden hinter uns. Der gesamte Weg bis hierher, der im Höchstfall in Luftlinie eine Distanz von zwölf Taared betrug, hatte uns damit fast viereinhalb Stunden Reisezeit gekostet. Unglaublich, um nicht von „unmöglicher Zumutung“ zu sprechen.

„Natürlich“ war eine Audienz erst für den nächsten Tag geplant. Wir sollten uns, wurde mitgeteilt, jetzt erst einmal erholen, uns mit unseren Räumlichkeiten vertraut machen, die shassluurische Kunst bewundern, die Architektur usw. usf. So war es uns jedenfalls vom Hofmarschall erzählt worden. Wenn wir Wünsche zu äußern hätten, gäbe es Terminals mit Ansprechfeldern, außerdem würden sofort Bedienstete erscheinen, sobald wir eine Meldung abgaben.

Es gab außerdem, und das fand ich recht bemerkenswert, ein umfangreiches kulturelles Begleitprogramm zu Kleines´ Besuch: so konnten wir uns, wenn unsere Interessen das nahelegten, den Herzoglichen Zoo der Residenz anschauen (natürlich im Innern der innersten Wachmauer gelegen), die hier im Palast gelegene Kunstgalerie besuchen, in der fraglos „politisch korrekte“ Aufseher und Führer uns die glorreiche kulturelle Entwicklung des Herzogtums von Voy-Xenn nahebringen würden. Auch standen Köche bereit, um sich unserem leiblichen Wohl nach besten Kräften zu widmen, und an eigens für uns entwickelten Terminals vermochten wir sogar Einblick in die shassluurische Datensphäre zu nehmen und uns Proben einheimischer Musik und Folklore anzuhören, die uns für Privatvorführungen jederzeit zur Verfügung stehen würden.

Doch, sie taten eine Menge, um uns zufriedenzustellen, unbestreitbar.

Unsere Räumlichkeiten sahen auf den ersten Blick auch sehr beeindruckend aus: relativ hohe Säle mit reichem Muschel-Ornamentschmuck in den Reichsfarben und glimmenden Parkettböden, Spiegeldecken und hohe Fensterfronten, durch die man einen schönen Blick auf die Parkanlagen im inneren Gürtel der „Festung“ hatte, wie ich den Palast instinktiv getauft hatte. Überall konnte ich die „Gärtner“ in bemerkenswert sauberen Kleidern sehen, die freilich nur auf den Muschelkalkwegen wanderten und keiner sonstigen Tätigkeit nachgingen.

Wachen. Sie trugen zwar Gärtneruniform, aber darunter ermittelten die Anzugsensoren problemlos Kommunikationsinstrumente, Waffen und Hartschalenpanzerung. Der Käfig, in dem wir saßen, war zwar hübsch, aber im Wesentlichen eine Art von luxuriösem Gefängnis.

Ähnlich doppelbödig sah es aus mit den Wänden unserer Unterkunft. Sie strotzten nur so vor Sensoren. Bewegungssensoren. Wärmescanner. Peilungsdetektoren. Optische Linsen. Funküberwachungskreise. Mich hätten auch Selbstschussautomatiken nicht verblüfft. Aber die gab es offensichtlich nur draußen, wie mein Anzug freimütig zugab. Er hatte einige davon ausgemacht. Sie waren ein wenig besser verborgen als der Rest der Anlagen.

Mich fröstelte bei dieser Bemerkung.

Der Herzog von Voy-Xenn, der herrschende Regent des Phyolaan-Clans, musste fast verrückt sein vor Angst. Vermutlich gab es eine starke Untergrund-Opposition gegen seine allmächtige Herrschaft, die er mit brutaler Gewalt unterdrücken musste. Es verstand sich von selbst, dass wir mit niemandem hier wirklich reden konnten. Schon gar nicht mit irgendeinem Shassluur allein. Sie traten immer, wirklich immer mindestens zu dritt auf.

Ich ließ mich schließlich, nachdem ich ein wenig von einem gerösteten Tintenfisch in würziger Soße gegessen und mich mit heimischem Fruchtwein – diese Feinheiten waren wenigstens im diplomatischen Dienst erlaubt, zumindest in Maßen – gelabt hatte, auf das ein wenig improvisiert wirkende Ruhelager zurücksinken und fragte meinen Zimmergenossen Ashbaar: „Sag einmal … wie lange wird diese Farce eigentlich dauern?“

„Dass wir so hin- und hergeschoben werden?“ Er lachte. „Nun, ich glaube, morgen geht es hier wirklich zur Sache. Dann findet die Audienz statt, und bis dahin werden wir ein wenig die Zeit totschlagen müssen … so sind die Dinge hier nun mal. Das ist in diplomatischen Missionen mit Kleines immer so. Er übernimmt die Verhandlungen, das ist ganz üblich – er ist einfach … am überzeugendsten, wenn du verstehst, was ich meine.“

Ja, das verstand ich gut. Es würde Kleines´ Aura sein, die die Dinge entschied. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass irgendwer gegen die Macht dieser Ausstrahlung gewappnet war. Aber es leuchtete dann natürlich nicht ein, warum überhaupt weitere Diplomaten dabei waren. Ich nahm allerdings an, dass es wohl etwas mit den „Etiketten“ zu tun haben musste, mit einer gewissen … Gleichwertigkeit der Kontaktgruppen. Wobei es die Shassluur einwandfrei weit übertrieben. Nun ja, sie mussten auch Eindruck schinden, nicht wahr? Eine reine Weste hatten sie schließlich nicht, wie die Strafgefangenenlager deutlich bewiesen …

„Ob ich wenigstens zwischendurch Funkkontakt mit der SULVAASCH aufnehmen kann, wenn ein wenig Luft …?“

Ich dachte unweigerlich an Thashii. Vielleicht hatte ich mich doch ernster in sie verguckt, als ich es wahrhaben wollte. Eigentlich schwer zu glauben. Auf der anderen Seite: all diese heißen Erfahrungen mit ihr lagen ja erst wenige Stunden zurück. Da war ein bisschen Schwärmerei doch ganz natürlich, oder? Es wäre ganz toll, ihre Stimme zu hören und ein paar unanständige, aufreizende Phantasien auszutauschen. Ich fühlte mich irgendwie ganz unanständig scharf. ..

„Keine Chance. Wenn du Abwechslung haben möchtest, kannst du Askovan fragen, ob er mit dir die Kunstgalerie der Shassluur im zweiten Stock besuchen möchte. Ich steh nicht so auf Kunst, dafür teste ich lieber die Küche.“

Ich war nicht erfreut über diese Aussicht. Aber wenn es wirklich keine Chance für einen Funkkontakt zu Thashii gab (oder zu einem meiner Kollegen aus der diplomatischen Abteilung, die ich mit meinen Schilderungen von Tuwihry beeindrucken und neidisch machen konnte), dann eben nicht! Dann musste ich die Zeit halt irgendwie anders totschlagen, und es schien nicht sonderlich intelligent oder abwechslungsreich zu sein, aus den Fenstern zu starren, um die nervösen Shassluur-Sicherheitsposten bei ihren immer gleichen Wegen zu beobachten und noch nervöser zu machen.

Shassluur-Kunst begutachten? Ob mich das wohl auf andere Gedanken brachte? Ich zweifelte ernsthaft daran. Es mochte aber vielleicht einen Versuch wert sein …

Zwei Stunden später watschelte ich mit dem Sicherheitsberater Askovan, einem stämmigen, jovialen Alli von 55 Jahren, der die Eigenschaft hatte, so zu gehen, wie ein Schiff in hoher See von einer Seite auf die andere rollte, durch die gleißend erleuchtete Galerie der Modernen Herzoglichen Kunst, wie unsere Shassluur-Führer das nannten. Sie lag fünf Stockwerke über unseren Unterkünften und dehnte sich in einem labyrinthischen Ganggewirr aus, für das man wohl einen Pfadfinder brauchte, um wieder herauszukommen. Oder eine Wegweiser-KI, die wie die in meinem Anzug automatisch den Weg memorierte.

Natürlich waren wir nicht alleine. Ich wäre naiv gewesen, hätte ich das angenommen. Niemand würde uns hier unbeaufsichtigt herumlaufen lassen! Zwar ließ sich kaum denken, dass wir irgendwelche … nun … Probleme bekommen hätten, aber vielleicht gab es aufrührerische Shassluur, die mit uns Kontakt aufzunehmen wünschten. Zweifellos wollten unsere Bewacher in dieser Beziehung auf Nummer Sicher gehen.

Stattdessen machten wir sozusagen eine „Gruppenreise“: Zwei Shassluur – einer davon musste offensichtlich eine äußerst zierliche, goldfarbene Frau sein, deren Alter ich nicht im Mindesten einschätzen konnte, dafür sahen sie mir alle wirklich zu sehr ähnlich (und das lag nicht nur an der sehr ähnlichen Statur, Größe und dem unisono gesträubten Fell!) – waren uns zugeteilt worden, die weitläufige Galerie ausführlich zu erklären und unverzüglich jede Frage zu beantworten. Außerdem wurden wir dann noch von vier weiteren Shassluur umringt, die unübersehbar zum Sicherheitspersonal des Palastes gehörten. Offiziell waren sie mitgekommen, damit wir auch überall unbehelligt unsere Fragen stellen konnten und niemand vom subalternen Personal (das wir nicht zu sehen bekamen!) uns behelligen konnte.

Die Ausrede nahm ihnen nicht mal der behäbige Askovan ab. Das war unser Überwachungskommando, keine Frage.

Ich fragte mich allerdings, wen sie wohl eher überwachten: uns oder die beiden Galeristen, und ich argwöhnte ein wenig letzteres. Die beiden Galeristen gaben sich die größte Mühe, nicht unruhig zu wirken, aber ich konnte deutlich schnuppern, wie es um ihre Fassung stand. Am liebsten wären sie wohl weggelaufen. Nicht, dass ihnen diese Möglichkeit blieb, ohne im Straflager zu landen …

Außerdem kam ich mir allmählich ausgesprochen dämlich vor, auch hier im Raumanzug herumzuwandern. Den hätte ich gerne ausgezogen, aber die Anordnung von Kleines, noch vor dem Beziehen unseres Quartiers erneuert, besagte einwandfrei: Wir gehen kein Risiko ein. Wir sind dicht an der FRONT. Die Anzüge werden nicht ausgezogen!

Askovan schien diese Order eben sowenig zu passen, aber er protestierte dagegen selbstverständlich nicht. Er war, wie gesagt, recht behäbig und außerdem solche Missionen schon ein bisschen länger gewohnt als ich. Und vielleicht stimmte es ja … vielleicht gewöhnte man sich wirklich an alles.

Das änderte nichts daran, dass ich mir nach wie vor ziemlich dämlich vorkam.

„…im Jahre 882 des Direktorats von Sayyidon beschloss der Regent des Herzogtums von Thin-Sylnosh, den Aufstieg seines Herrscherhauses glorifizieren zu lassen, und dazu zog er die besten Künstler der Neuen Stilrichtung des Realistischen Plastizismus hinzu und gab dieses Monumentalportrait in Auftrag …“, fiepte die Kunsthistorikerin und deutete mit zittrigen Fingern auf ein wandfüllendes Bild, das eine weitläufige Ebenenlandschaft zeigte, auf der wie ein goldenes Getreidefeld eine mächtige Kampfformation von flaggengeschmückten, lanzentragenden Shassluur in glitzernden Rüstungen zu sehen war.

Zwei, wenn man genau war. Ja, es waren zwei Formationen, die wild gegeneinander anstürmten, wie ich bei genauem Hinschauen entdeckte.

Die Farbgebung des monumentalen, bis zur hohen Decke reichenden Gemäldes war dergestalt, dass hinter der einen nur verbranntes Land, Trümmer und Wüstenei zurückblieb, hinter der anderen jedoch, die von links über das Bild zog, blühende Landschaften zu sehen waren. Auf einem Felsen stand eine strahlende Gestalt in silberner Rüstung, den dünnen Arm mit einem goldenen Schwert zum Himmel erhoben, wo sich hinter finsteren Wolken eine grünliche Shassluur-Gestalt abzeichnete. Zweifellos diese Befellte Gottheit, schätzte ich.

Soweit ich blicken konnte, sahen alle Bilder so ähnlich aus. Riesig, pompös, erfüllt von wimmelndem Leben in den pathetischsten Formen, die man sich nur denken konnte. Heroisierung, Heroisierung und nochmals Heroisierung. Krieg, Unterwerfung, Sieg. „Natürlich“ gewann immer das Gute. Selbstverständlich. Staatsfeindliche Vorstellung, wenn man was anderes annahm. Das Urteil für solche Kritik lautete zweifellos Arbeitslager …

Schwarzweißmalerei in krudester Manier, fand ich angewidert. Auf der einen Seite die Guten, die stets den Sieg davontrugen, auf der anderen Seite die finsteren, alles zerstörenden Schergen, die von der Macht der „richtigen“ Geschichte notwendig zermalmt wurden. Siegerkunst. Wir befanden uns schließlich in der Galerie der Gewinner, nicht wahr?

Ekelhaft.

Gruselnd ging dabei mir aber auch durch den Kopf, dass die Shassluur-Kunst, so eindimensional sie vielleicht auch sein mochte, doch den fundamentalen Konflikt zwischen den Troohns und dem Licht auf diese Weise eingefangen hatten, seltsam verzerrt natürlich und in einem ideologisch verblendeten Sinne, ansonsten aber leider unbestreitbar – denn draußen war es seit Jahrhunderten so, dass wir Allis in den Diensten der Baumeister verzweifelte Rückzugsgefechte gegen die Legionen der Finsternis schlugen.

Die Bösen gewannen, nicht wir.

Und wenn man dann genau war und sich draußen anschaute, wie der Herzog von Voy-Xenn seine Umwelt und sein Volk behandelte, dann überkam mich schaudernd der Gedanke, dass diese schleichende Verseuchung des allgegenwärtigen kosmischen Geschwürs, das die Troohns darstellten, die Seelen der Shassluur womöglich schon erreicht hatte, ohne dass sie sich dessen bewusst waren. Vielleicht badeten ihre Geister bereits in den Ausläufern der giftigen See, deren Flut die Troohns darstellten. Die Überlegung war widerwärtig, aber ich konnte sie nicht abschütteln …

„Sagt mal, habt ihr auch ein paar saftige Bilder da?“

Ich schaute Askovan so überrascht an wie die Shassluur auch. Niemand begriff auf Anhieb, was er meinte. Und unweigerlich breitete sich in unserer Gruppe allgemeine Unruhe aus.

Er hatte eine Frage gestellt!

Fragen mussten sofort beantwortet werden! Irgendwie!

Ich merkte, wie sich den armen Galeristen die letzten Haare vor Entsetzen aufstellten. Vielleicht sahen sie schon die Kerkerzellen, in die sie geworfen wurden, wenn sie jetzt nicht augenblicklich reagierten …

„Na ja, also, was ich sagen will, ist das: diese ganzen Schlachtengemetzel und Heldenposen sind ja ganz nett“, fuhr Askovan gelassen fort, die Arme ausbreitend und jovial grinsend (was die Shassluur nur dazu trieb, dass sich ihnen noch mehr das Fell sträubte. Grinsen war bei unserer Physis für die armen Kerle wirklich nicht lustig), „aber irgendwie reichen mir die letzten vierzig Bilder jetzt, ich würd‘ gerne mal was anderes sehen. Was Wärmeres …“

‚Nein, das meinst du jetzt nicht im Ernst‘, ging es mir durch den Kopf, als ich endlich begriff … und beinahe hätte ich gelacht. Ich hatte so eine Ahnung, was er meinte und konnte es wirklich nicht glauben. Das war doch einfach unmöglich!

Die Shassluur waren spürbar nicht so helle.

„Ja … also … wir hätten in Abteilung II heldenhafte Bilder vom Produktionsprozess …“, stotterte der männliche Kunsthistoriker, dessen Namen ich mir nicht gemerkt hatte. Seine Augen zuckten ruhelos hin und her, und um keinen Preis der Welt hätte er uns direkt anschauen mögen. Wenn er dazu gezwungen worden wäre, hätten wahrscheinlich seine Instinkte die Kontrolle übernommen und ihn einfach in die Flucht geschlagen.

Wahrscheinlich dachte der arme Kerl irgendwie an Hochöfenbilder, martialische Gemälde aus Stahlwerken oder so, aber ich konnte mir genauso wie Askovan denken, dass die Heldenposen da weitergingen, vielleicht ein bisschen untermalt von im Hintergrund glühenden Hochöfen. Aber das war sichtlich nicht das, was ihn interessierte.

Auf der anderen Seite … er konnte doch nicht ernsthaft an das denken, was ich jetzt glaubte! Das war … also, das war einfach unverfroren …!

Askovan schüttelte den Kopf und bestätigte meinen Gedanken.

„Ich glaube, das ist nicht so richtig das, was ich meine. Wir wollen ja nicht undankbar sein, aber ich denke, ich spreche meinem guten Freund Coshtuur hier aus dem Herzen – er ist jung, versteht ihr? – , wenn ich glaube, dass er gern etwas mehr … Gefühl sehen würde. Wenn eure Kultur das darstellt. Vielleicht ist das ja auch ein Tabu, keine Ahnung …“

Die Shassluur wirkten begriffsstutzig. Aber die Shassluur-Frau schien nun ziemlich klar zu begreifen, WAS er zu sehen wünschte. Sie zitterte stärker, und ich konnte mir lebhaft denken, dass ihr dieser Wunsch ziemlich unangenehm sein musste. Auf mich wirkte sie empört.

So ähnlich sah ich wohl gerade auch aus!

„…also, bei uns kommt das durchaus vor, dass man bei Vysva, also weiblichen Allis, jede Schuppe zu sehen bekommt … das ist eine angenehme Abwechslung von anderen Darstellungen, wenn sie sich dann so auf den Bildern räkeln und von allen Seiten zeigen …“, schwafelte Askovan weiter, und ich fragte mich verzweifelt, was wohl der Translator aus DIESEN Worten machte! Ich wollte es nicht wirklich genau wissen. Er konnte doch nicht ernsthaft erwarten, dass ihm die Shassluur AKTBILDER in der Galerie zeigten! Aber genau darauf lief es hinaus.

Endlich verstanden auch die Wächter, und sie gerieten in denselben Konflikt wie die Angestellten der Galerie: sollten sie jetzt empört reagieren und damit unweigerlich einen diplomatischen Zwischenfall riskieren – oder lieber auf unsere Wünsche eingehen und damit einen moralischen Konflikt heraufbeschwören?

Sie lösten das Problem schließlich ganz diplomatisch damit, dass sie eine höhere Instanz zu Hilfe riefen und dann kurzerhand die Führung beendeten.

8.

„Wie konntest du das nur tun?“, warf ich Askovan endlich vor, als wir wieder in unseren Räumen waren und ich frei sprechen konnte. Draußen hätte es nicht so gut ausgesehen, wenn ich mich mit ihm gestritten hätte. „Das war ja wohl wirklich die Spitze der Unverschämtheit!“

Er lachte nur und grinste. Habe ich schon erwähnt, dass er sehr jovial und bedächtig war? Ihn brachte so schnell nichts aus dem Gleichgewicht. „Ach, weißt du, Cosh, ich hatte wirklich keine Lust mehr, mir diese schmalzige Glorifizierung ihrer Vergangenheit anzuschauen. Das war doch pure Ideologie, ist dir das nicht aufgefallen? Es war einfach nur lästig.

Weiß der Himmel, wie viele Schulklassen sie da sonst so durchschleusen, aber du kannst davon ausgehen, dass die hinterher alle ihre erwünschte, stromlinienförmige Geschichte im Kopf haben. Das ist doch furchtbar. Und wir brauchten diese Sache nun wirklich nicht. Also habe ich das Ganze abgekürzt.“

„Du hättest MICH aber ruhig aus dem Spiel lassen können!“

„Nein, das ging nicht.“

„Nicht?“ Ich sah ihn wütend an. Was sollte DAS denn jetzt bedeuten?

Er grinste noch breiter. „Nein. Ich habe mit Ashbaar gesprochen … als er dich abholte, konnte er sehr deutlich eine wilde Vysva in deiner Nähe schnuppern … ah, brauchst nicht schwarz zu werden, mein Freund, ich nenne keine Namen …, na, und da kann man doch wirklich leicht 2 und 2 zusammenzählen und sich denken, dass du von Schlachtengemälden in der Shassluur-Galerie nicht so sehr angetan bist wie – beispielsweise – vom Bild einer schönen, knackigen Vysva …“

Das war allerdings richtig. Dennoch, ich sträubte mich gegen diese Implikation, wenn auch mit etwas eigenartigen Argumenten. Vielleicht lag das an meinem Alter. „Du erwartest derartige Bilder doch kaum hier, oder?“

„Vysva? Nein“, gab Askovan nüchtern zu. „Himmel, ich habe nicht mal Aktbilder von Shassluur-Mädels hier erwartet. Abgesehen davon wären die auch keine Offenbarung, höchstens dann, wenn sie komplett rasiert wären, damit man was SEHEN kann. Die Kerle könnten hier auch NACKT rumlaufen, man sähe nicht, ob sie Männlein oder Weiblein wären. Doch nicht bei DEM Volk! Also, was soll das?“

Er hatte demzufolge einfach nur eine gezielte Provokation betrieben, um uns aus dem Schlepptau der Galeristen freizubekommen. Eine Provokation, die gewirkt hatte. Ich fragte mich freilich, was die Ideologie-Offiziere nun in ihre Berichtsbücher eintrugen über unser Verhalten und was sie für abstruse Schlüsse daraus zogen.

Mir blieb die Sache irgendwie peinlich. Und die armen Galeristen taten mir natürlich auch leid. Sie hatten von Anfang an ganz schlechte Chancen gehabt, erfolgreich zu arbeiten. Vermutlich verhörte sie jetzt der Geheimdienst. Askovan war das offenbar völlig egal.

Der Rest des Spätnachmittags und Abends verlief eher fad und unspektakulär. Wir hatten noch eine Besprechung mit Kleines wegen des morgigen Prozederes der Audienz mit dem Regenten und dem Thronrat (es gab auch ein Parlament, ja, aber das wurde nicht für bedeutsam eingestuft, weder von den Baumeistern noch von Kleines und schon gar nicht vom Herzog von Voy-Xenn!). Dann betrachtete ich nach dem Abendessen das glitzernde Ballett der drei Eismonde am Himmel von Tuwihry, direkt vor einem violetten Band einer nahen Dunkelwolke, die von jungen Sternen von innen beleuchtet wurde. Es war ein zauberischer Anblick, der durch den silbrigen Dunst, der über Noolidan hing, irgendwie noch verstärkt wurde. Von ferne dröhnten nonstop die Gebläse, mit denen der Smog von den Palastzinnen fern gehalten wurde.

Seufzend versuchte ich mich also, bis ich müde wurde, an diesem lächerlichen shassluurischen Abklatsch von planetarer Datensphäre. Sie hatten etwas, das sie so nannten, durchaus. Doch auch mit Unterstützung der Anzug-KI kam ich nicht richtig weit. Immerhin kristallisierte sich schnell heraus, dass nahezu alle relevanten und bedeutsamen Informationen durch rigide Filterfunktionen abgeblockt wurden. Zweimal brachte ich sogar den Rechnerknoten zum Absturz und konnte ihn nur ziemlich mühsam wieder aktivieren. Wahrscheinlich löste ich dabei ständig irgendwelche Alarmfunktionen bei den hypernervösen Sicherheitskräften aus …

Gütiges Licht, was diese Regierungspartei alles als „gefährliches Wissen“ einstufte! Das fing bei Geschichtsdaten an, die sich NICHT auf das regierende Herzogshaus von Phyolaan bezogen (Kritik am Herrscherhaus!), und wohl der Gipfel waren dann solche Fragen wie die nach ökologischen, wirtschaftlichen und soziologischen Informationen (Kritik an den Grundlagen der Gesellschaft! Also am Polizeistaat!). Als mir das gemeldet wurde, unterstand ich mich, Grundrisspläne des Palastes ansehen zu wollen. Dann hätte man mich wohl ungeachtet meines diplomatischen Status verhaftet und verhört.

Es war wirklich unglaublich.

Ich ging davon aus, dass es normalen Shassluur nahezu unmöglich sein mochte, hier in irgendeiner Weise Informationen zu gewinnen oder Propaganda zu betreiben, ohne dass die Regierung das unverzüglich herausbekam und wirksam (geheimdienstlich) einen Riegel vorschob. Doch, die Shassluur-Gesellschaft gab nur nach außen vor, einen demokratischen Anstrich zu besitzen, ansonsten war das hier eine lupenreine Diktatur, wie ich noch nie eine in natura gesehen hatte. Ich fühlte mich, je länger ich in diesem Palast weilte, umso unbehaglicher. Und fast war ich dankbar dafür, den Anzug anbehalten zu können – so konnte ich mich irgendwie sicherer fühlen. Vor den „Sicherheitskräften“. Das grenzte schon an Wahnwitz …

Nach einer Weile brummte Ashbaar, der sich inzwischen auf seinem Schlaflager hingebettet hatte, mir unwirsch zu: „He, Cosh, machst du jetzt endlich mal Schluss für heute? Morgen wird ein harter Tag!“

„Gleich …“

Er grummelte mürrisch vor sich hin. „Ach, die Jugend von heute … denkt immer, es gäbe kein Morgen …“

Zu dem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass Ashbaar das Zeug zu einem verdammt guten Propheten hatte. Das merkte ich am nächsten Tag.

Und um eine Schuppe war es wirklich mein letzter.

ENDE DES ERSTEN TEILS

Story von Senex

Voller Dampf für Kakanien

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Ein SteampunkAbenteuer

WOLKEN AM HORIZONT

PROLOG

1878,

5 April

In der nördliche Adria

Die kaiserliche Yacht KKS10 MARIA THERESIA war ein schnittiges Metallschiff, eine Luxusyacht mit einer Länge von 88 Metern länge, einer Breite von 11 und einem Tiefgang von maximal 5,9. Die mit der chemischen Melange namens Vaporid geheizten Dampfkessel konnten im Verbund mit den 1854 von Karl Friedrich Werner entwickelten PS-starken Werner-Turbinenmotoren und den verstellbaren Resselpropellern das schlanke Schiff mit einer veritablen Höchstgeschwindigkeit von 60 Knoten11 durch das Wasser treiben. An diesem ungemütlichen, stark bewölkten Tag aber fuhr die MARIA THERESIA mit gemütlichen 20 Knoten12 die Küste von Illyrien entlang. Maria Sophia, Prinzessin der Vereinigten Donaumonarchien und Erzherzogin von Österreich genoss in einen wind- und wasserdichten Reisemantel gehüllt die wenigen Sonnenstrahlen auf dem das Kommandodeck umlaufenden Balkon. Ein Kanonenschuss dröhnte durch die Luft, ein großes, mit stählernen Planken beschlagenes altes Breitseiten – Linienschiff, noch unter der Panzerung aus Holz gebaut und mit drei Segelmasten zusätzlich zum Dampfantrieb ausgestattet brach hinter einer Insel hervor und verlegte der MARIA THERESIA mit geöffneten Stückpforten und ausgefahrenen Kanonen den Weg. Erzherzogin Maria Sophia öffnete den Mantel, und Kapitän Jan Kubaček kam aus der Brücke zu Maria Sophia auf die Insel.

Wir könnten Volldampf geben, Hoheit. Seine alten Kanonen fürchte ich nicht, unser Schiff besteht nicht umsonst komplett aus kristallinem Kortwitz- Leichtstahl. Wir könnten auch aus unseren neuen Langgeschützen einen schönen Gruß einmal quer durch ihren Rumpf schicken.“

Was denken Sie, dass die von uns woll‘n, Kapitän?“ fragte Maria Sophia den Fachmann.

Nun, wir haben zwar gerade keinen Kriegszustand mit den Welschen, aber Italienern kann man prinzipiell nicht vertrauen. Ich vermute, dass wir einen Kaperfahrer vor uns haben, Hoheit. Vielleicht sogar Capitano Garallio. Das ist ein ganz übler Pirat mit Kaperbrief.“

Frag‘n wir ihn doch einmal, Kapitän. Stoppen Sie, aber wir sollt‘n die langen Lolas fertig mach‘n. Sicherheitshalber.“

Selbstverständlich, Hoheit! Maschine stopp, aber in Bereitschaft, Position halten! Leutnant Huber, Geschütze vorbereiten!“

Obwohl es sich bei der MARIA THERESIA um eine Yacht handelte, hatte der Konstrukteur zwei mal zwei schwenkbare, lange Hinterladergeschütze mit langem Rücklauf drehbaren Lafetten in niedrigen, vom Hauptdeck gedeckten Barbetten13 auf dem abgesenkten Bug- und Achterdeck untergebracht. Das Kaliber von nur 10,9 Zentimeter war für damalige Verhältnisse zwar relativ klein, dafür besaßen sie aber hohe Reichweite und große Durchschlagskraft. Das Kommandodeck war ein eigener Aufbau mittschiffs. Zwischen den beiden Kanonendecks und rings um die Brücke waren noch acht jener Schnellfeuerkanonen untergebracht, die Richard Gatling im Jahr 1861 erfunden hatte. Nur, dass diese so genannten Gatling Guns der k. u. k. Marine nicht mehr mit einer Handkurbel betrieben wurden, sondern mit Dampf, dass die Munitionszufuhr nicht mehr durch ein aufgesetztes Stangenmagazin, sondern durch einen Munitionsgurt erfolgte und dass das Kaliber dieser vier Waffen nicht mehr nur .45 Zoll, also 11,5 Millimeter betrug, sondern .79 Zoll. Volle zwei Zentimeter, beinahe das doppelte, und die Ladung aus rauchfreiem, nitriertem Pulver weit stärker als nur das doppelte des ursprünglichen Maschinengewehres war. Die Panzerbrandgranaten der Revolverkanone schlugen durch ihre Explosivwirkung Löcher durch die meisten der in den 1860er Jahren üblich gewesenen Schiffspanzerungen und wurden auch den Decksaufbauten modernerer Kriegsschiffe durchaus noch gefährlich. Die Sprengbrandgranaten gegen – wie der Militärjargon beschönigend und auch ein wenig zynisch Menschen und Tiere nannte – ‚weiche Ziele‘ zeigten bei ihrer Explosion eine verheerende Splitterwirkung. Aber natürlich hatte die Firma Mannlicher in Steyr auch dampfbetriebene Gatlings im Kaliber 9 Millimeter mit Gurtzufuhr gebaut, und die Werft hatte zehn davon auf der MARIA THERESIA verbaut. Zum Schutz der allerhöchsten Familie kam eben nur die modernste Technik in Frage. Das fremde Kriegsschiff kam der MARIA THERESIA immer näher, und schon konnte man den Schriftzug am Bug mit bloßem Auge erkennen.

Es ist wirklich die SQUALO, Hoheit. Das Schiff von Garillo!“ rapportierte Kubaček.

Dann hoff‘ ich, dass alle Mann auf ihrem Post‘n und kampfbereit sind!“ plauderte Maria Sophia. „Aber das war jetzt eine unbedachte und dumme Bemerkung, Kapitän. Selbstverständlich sind sie das bereits, schon seit der erste Kanonenschuss g‘fallen ist. Entschuldigen Sie bitte, Kapitän.“

Jan Kubaček salutierte. „Es gibt nichts zu entschuldigen, Hoheit. Und selbstverständlich sind alle Mann bereit zum Gefecht.“

Mittlerweile war die SQUALO, benannt nach einem der gefürchtetsten Meeresräuber, dem Hai, näher gekommen und nur noch wenige Meter trennten die beiden Schiffe. Ein wuchtig gebauter, dunkelhaariger Mann mit langer Mähne und mächtigem Schnurrbart in einer abenteuerlichen, bunten Phantasieuniform mit großen, goldenen Epauletten auf den Schultern und jeder Menge Gold auf dem Zweispitz trat an die Reling der Brücke des alten, aber immer noch kampfstarken und gefährlichen Panzerlinienschiffes.

Das ist aber erfreulich!“ Sein Deutsch hatte einen deutlichen italienischen Akzent, war aber an Bord der MARIA THERESIA noch gut verständlich. „Wie schön, dass ich hier draußen auf ein Mitglied des kaiserlichen Hauses von Österreich treffe. Wahrscheinlich die Signorina, das müsste sein Maria Sophia, vom Alter her. Ob ihrem Großvater, dem Kaiser Franz Karl wohl das Leben seiner Enkelin ein paar tausend Gulden wert ist, auch wenn er seit vorigem Jahr einen männlichen Enkel hat?“

Maria Sophia verschränkte ihre Arme, ihre Hände verschwanden unter dem Mantel. „Wahrscheinlich, Capitano! Ganz sicher sogar. Aber ob er das noch miterleben wird? Ich glaub’s irgendwie nicht!“ Ihre Hände erschienen wieder, in der rechten lag dunkelblau, beinahe schwarz schimmernd ein .45 Revolver Colt Buntline special mit einem 1414 Zoll langem Lauf. Noch während sie die Waffe ausrichtete, spannte ihr Daumen den Hahn, im richtigen Moment krümmte sich der Zeigefinger und mit 320 Metern in der Sekunde durchschlugen 16 Gramm Blei die Stirn den italienischen Korsaren und töteten ihn auf der Stelle. Sofort zog Maria Sophia mit dem Daumen den Hahn wieder zurück, während sie den Lauf schon schwenkte, dann schoss sie dem Rudergänger in den Körper, welcher, als er zu Boden sank, noch das Steuerrad verdrehte. Damit lief die SQUALO komplett aus dem Kurs. Noch ehe ihre Besatzung reagieren konnte, überschütteten die an Steuerbord liegenden Revolverkanonen das Deck des Kaperschiffes mit den heißen Bleisplittern der Sprengbrandgranaten.

Backbord ein Viertel Kraft zurück, Steuerbord volle Kraft rückwärts“, rief der Kapitän, und der Steuermannsmaat zweiter Klasse Konrad Wastič reagierte sofort. Er riss den an der rechten Seite der Maschinenkontrolle liegenden Hebel bis zum Anschlag zurück und den linken bis zur ersten Raste.

Backbord ein Viertel, Steuerbord volle Kraft zurück liegt an, Herr Kapitän.“ Der Dampf strömte durch die Rohre in die Werner-Turbinen und trieben die Schrauben in schnelle Umdrehungen. Als die Kanonen der SQUALO das Feuer auf das österreichische Schiffe eröffneten, war dieses bereits aus der Schusslinie der Breitseite gekommen, die wenigen Treffer richteten nur marginalen Schaden an der Bugpanzerung an.

Beide Maschinen ein Viertel voraus. Rudergänger, bringen Sie uns hinter das Heck des Feindes.“

Beide ein Viertel voraus liegt an“, meldete Wastič, und Heinrich Korbach wirbelte das große Steuerrad herum.

Hinter das Heck, verstanden!“ Die kampfstarke Yacht fuhr einen engen Viertelkreis und befand sich bald im Heck der SQUALO, wo dieser alte Schiffstyp keine nennenswerten Kanonen besaß.

Signalgast! Signalisieren Sie der SQUALO, sie soll Kurs auf Fiume15 nehmen!“ Maria Sophia versorgte ihre Waffe wieder im Federholster unter ihrem linken Arm, dann nickte sie Jan Kubaček zu. „Bitte entschuldigen Sie mich, Kapitän.“

Erhobenen Hauptes schritt die Erzherzogin vom Kommandodeck und begab sich in ihre Gemächer.

Verdammt, ist das ein Teufelsweib!“ Jan Kubaček zog eine Zigarre aus der Tasche seines weißen Rockes. „Ein wirklich prachtvolles Teufelsweib. Schön und mutig zugleich!“ Er paffte gemütlich, bis die Zigarre ordentlich brannte.

Wirklich eine tolle Frau, Herr Kapitän!“ pflichtete der Rudergänger bei. „Wo hat sie das bloß her?“

Hören’s gut zu, Korbach, es war vor rund drei Jahr‘n in Fiume! In der k. u. k. Marineakademie, damals war die Prinzessin gerade einmal drei Monat’ über sechzehn. Wollt’ halt ein bisserl was von der Marine wissen und auch ein wengerl als Kadett den Drill mitmachen. Man weiß ja nie, wozu man als kaiserliche Prinzessin so ein Wissen braucht. Unser‘ Prinzessin, die Maria Sophia, ist ja sowieso mehr als Bub aufgewachs‘n und nicht wie ein typisches Mäd‘l. Hat ja siebzehn Jahr’ gebraucht, bis die Helene unserem Thronfolger einen Sohn geschenkt hat, der überlebt hat! Vorher lauter Mäderln, und alle hab’ schon dacht, dass die Maria Sophia eine zweite Maria Theresia wird. Na ja also, vor drei Jahr‘n. So ein depperter Dalmatiner hat z’Haus zu oft auf einen von diesen serbisch‘n Wapplern16 g’hört, diese Nationalrassisten, die dauernd von einem Großserbisch‘n Reich red’n, in dem die slawischen Völker die absoluten Herr‘n sind. Ich mein’, ich bin ein Böhm‘, damit bin ich selber ein Slawe, und was bin ich? Kapitän von der kaiserlich‘n Yacht und damit von einem der best’n Schiff’, das im Moment auf dem Meer schwimmt. Seit den Reformen vom Kaiser Franz Karl haben wir genau die gleichen Rechte wie die Deutschösterreicher, die Ungarn und die Bayern, sogar die Maori haben seit der Reform von 1850 die gleichen Rechte wie alle ander’n. Zu was also der Trottel unbedingt Revolutionär spielen wollt’, das werd’ ich nie vertsteh’n. Auf jeden Fall hat der dumme Bub sein Krotenstecher17 g’nommen und ist auf die Kleine losgegangen. Vor’m Sportsaal. Die Prinzessin hat damals die Kadettenuniform an und kann ihm ausweichen, springt in den Sportsaal und greift sich dort an Sabel18 vom Gestell. Ich war damals g’rad’ Fregattenkapitän und auf der ERZHERZOG ALBRECHT, ich sollt’ auf der Akademie ein paar Vermessungskarten abgeben. Wir haben in der Südsee neue Vermessungen g’macht, Lotungen für eine sichere Route. Also, ich geh’ an der Sporthalle vorbei, da hör‘ ich Klingen scheppern und weiß, es darf eigentlich gar keiner da sein! In der Mittagspause wird nicht mit Waffen trainiert, das ist so eine eiserne Regel!“ Zufrieden sog er wieder an seiner Zigarre. „Ich also rein in die Halle und seh’, wie der Bursche versucht, die junge Prinzessin aufzuspießen. Und des Mädel ist eiskalt, weicht nach links aus, weicht nach rechts aus, und wie ich losschreien will, macht sie plötzlich einen formvollendeten Ausfallsschritt und treibt dem Burschen ihr Rapier genau unterm Brustbein in den Bauch. Kerzeng’rad, wie aus dem Lehrbuch. Na, er hat uns noch sagen können, warum und weshalb des Madel umbringen wollt, dann ist er g’storben. Nicht schad’ um den, wenn er’s überlebt hätt’, hätt’n wir ihn halt nach einem Prozess nach allen Regeln auf’ghängt, den miesen Fallot, den elendiglichen! Mit Trommelwirbel und allem. Ist ja jetzt auch egal. Und weißt, wie alles vorbei war, hat sie den Sabel hin g’schmissen und hat gekotzt wie ein Reiher! Ang’spieben von oben bis unten hat sie sich. Während dem Kampf eiskalt und überlegt, und dann fix und fertig! Also ich glaub’, das ist ihr angeboren!“

Und wo hat sie fechten gelernt?“ fragte der Erste Offizier.

Das weiß ich nicht, Karl. Aber mehr als ein Kratzer, da am Arm, wo sie den ersten Hieb abgewehrt hat, ist dem Schwein, Gott sei‘s gedankt, nicht gelungen! Schießen hat sie jedenfalls die letzten Jahr‘ in Amerika gelernt, da hat sie auch diesen langen Revolver her. Eine ganz blöde Sach‘, dass die G’schicht damals mit dem Fähnrich, einem Bürgerlichen, aufkommen ist, da hat sie dann halt eine Zeitlang weg aus Österreich müssen. War halt noch zu jung damals, das Mäd’l!“

Die Geräusche aus den kaiserlichen Gemächern, wo Maria Sophia es eben noch auf die Toilette schaffte, ehe sie sich heftig erbrechen musste, hörten der Kapitän und seine Besatzung allerdings nicht. Es hätte ihrer Bewunderung aber auch keinen Abbruch getan, denn sie alle hatten ähnlich mulmige Gefühle nicht nur bei ihren ersten Feindberührungen erlebt. Die Erzherzogin hatte im richtigen Moment richtig reagiert, und jeder hätte den großen Cognac, den sie sich eben mit zitternden Händen eingoss, und den Zigarillo, den sie mit Vorliebe rauchte, komplett verstanden. Sie stürzte den doppelten französischen Weinbrand hinunter, schüttelte die Anspannung ab und sich den Kopf frei. Für die Besatzung der MARIA THERESIA und später auch für die Bewohner der Vereinigten Donaumonarchien war sie jedenfalls eine Heldin, und als sie eine halbe Stunde wieder souverän auf dem Kommandodeck stand und sinnend die Beute der MARIA THERESIA betrachtete, war ihr nichts mehr anzumerken.

=◇=

Es hatte sich schon eine Menge getan, seit jenem Revolutionsjahr 1848, in welchem Franz Karl Joseph von Habsburg den Thron von seinem Bruder Ferdinand übernommen hatte. Damit hatte er die Linie des Hauses Habsburg-Lothringen, welcher auch Maria Sophia entstammte, zur Hauptlinie gemacht. Seit dieser Machtübernahme hatten große Fortschritte, ja, regelrechte Umbrüche in Österreich-Ungarn stattgefunden, sowohl auf technischem wie auch sozialem und wirtschaftlichem Gebiet. Eine zweite, noch viel weiter reichende Revolution, weiter als die Aufständischen gegen den abgesetzten Kaiser Ferdinand je zu hoffen gewagt hatten. Dieses Mal allerdings war es eine von oben initiierte Revolution. Wenn es nach Sophie Friederike, der Mutter seines Sohnes, gegangen wäre, hätte allerding dieser Sohn Franz Joseph 1848 den Thron von Österreich besteigen und die in der Revolution dem Kaiserhaus abgetrotzten Zugeständnisse wieder rückgängig machen sollen. Doch ihr Ehemann Franz Karl Joseph von Österreich hatte trotz all ihrer Überredungsversuche beschlossen, sein Recht als Nächster in der Erbfolge selbst in Anspruch zu nehmen. Er hatte diese vom Volk erstrittenen Zugeständnisse nicht nur gesetzlich in einer vom Volk lange ersehnten Verfassung verankert, sondern war noch darüber hinaus gegangen. Zum Entsetzen der Kaiserin gründete er überdies auch noch den Rat der Kronländer und ein Parlament, machte bis 1850 aus dem völlig absolutistisch regierten Österreich-Ungarn die Vereinigten Donaumonarchien. Einen Bund von konstitutionellen Monarchien, von ihm in Personalunion als Kaiser oder König regiert, jeweils von eigenen Senaten und Kanzlern unterstützt. Mit den gleichen Rechten für Ungarn, Slawen und alle anderen Völker unter dem Doppeladler, den gleichen Rechten, wie sie auch die Deutsch-Österreicher genossen. Mit freien Senatswahlen, Rede- und Versammlungsfreiheit, sogar eine vorläufige Art Gewerkschaft wurde erlaubt. Und er förderte finanziell die Wissenschaften, unter anderen auch den Chemiker Nikolaus Novacek, der 1849 dann das Vaporid erfand. Ein chemisches Gemisch, mit dem man den Wassertank einer Dampfmaschine einen ganzen Tag heizen konnte. Endothermisch. Das bedeutet, dass man das salzähnliche Granulat einfach dem Wasser im Tank zuführte, und die Hitze wurde chemisch erzeugt. Ein Kaffeelöffel produzierte mehr Dampf und damit mehr Arbeitskraft als viele Tonnen Kohle, eine immense Revolution der Dampfmaschinentechnik. Man konnte nun den Atlantik mit einer Kaffeedose voll Vaporid überqueren und hatte immer noch Reserven, das Segelschiff schien für Österreich endgültig Geschichte zu sein. Zumindest im militärischen und kommerziellen Sektor. Ein immer dichter werdendes Netz von immer schnelleren Eisenbahnen durchzog bald die Monarchien und in weiterer Folge ganz Europa, angetrieben von den unermüdlichen Vaporid-Dampfmaschinen. Nicht nur Waren konnten jetzt immer schneller und sicherer transportiert werden, sondern auch Personen. Auch dem Proletariat, dem so genannten Pöbel, dem einfachen Menschen also, den Arbeitern, begann es allmählich besser zu gehen. Der soziale Wohnbau, den der Kaiser und König nicht nur in den Hauptstädten seines Reiches, sondern auch in allen anderen größeren urbanen Gebieten stark forcierte, brachte erschwinglichen Wohnraum mit Heizung und Warmwasser für jedermann. Plötzlich gab es dank der fortschreitenden Industrialisierung mehr Arbeitsplätze als je zuvor, was im Verein mit den erstarkenden Gewerkschaften auch dazu führte, dass die Löhne stiegen. Für Sophie Friederike aber war das schlimmste der eiserne Sparkurs des Kaisers. Selbst die Geheimpolizei, die Spitzel, alles, was der Fürst von Metternich so penibel und mühevoll aufgebaut hatte, wurde rigoros wieder abgebaut.

Die Schleicher vom Metternich soll’n was g’scheit’s arbeiten geh’n“, pflegte Franz Karl immer wieder zu sagen. „Wenn’s den Leut’n gut geht, braucht man keine Spitzel!“ Es sollte nicht nur Gedanken- sondern auch Redefreiheit geben, um Gottes Willen! Eine Katastrophe! Das Ende der Welt, zumindest des Kaiserhauses, stand für sie kurz bevor! Fürchterlich, eine schreckliche Zukunft! Das Volk sollte mitreden, wählen, denken und sogar etwas Vernünftiges lernen und studieren dürfen! Was hatte man denn dann als Adel noch dem Pöbel, den Plebs noch voraus?

Sophie Friederike von Wittelsbach in Bayern, die Ehefrau des Kaisers Franz Karl, hatte es aber immerhin geschafft, ihrem Sohn Franz Joseph den Geist des Absolutismus einzuimpfen. Trotz dessen unbestreitbarer Weichherzigkeit. Dieser würde, sobald er erst einmal den Thron bestieg, diese dummen Zugeständnisse an das Volk so schnell wie nur möglich wieder rückgängig machen. Wenn dann die Plebs wieder aufmucken wollten, wozu gab es denn die Polizei und die Armee? Die sollten dann halt einmal ihre Waffen einsetzen. Sie, des Kaisers Mutter, würde dann schon dafür sorgen, das diesem Weichling Franz Joseph die Güte verging und er sich schnellstens die nötige Härte zum Regieren aneignete. Wenn er erst einmal auf dem Kaiserthron saß. Sie musste nur Geduld haben, viel Geduld, und nach der Regierung ihres Mannes die Regierungsentscheidungen für ihren Sohn selbst treffen. Zuerst gab es allerdings näher liegendes, dringenderes, und hier waren sich der Kaiser und seine Gattin sogar einig. Das Haus Habsburg-Lothringen musste bald einen Erben bekommen, es war an der Zeit, eine neue Generation heran zu ziehen. Die Linie der Habsburger musste unbedingt weitergeführt werden. Gemeinsam mit ihrer Schwester Ludovika war Sophie auf die Idee gekommen, deren Tochter Helene mit dem Thronfolger Österreichs zu verheiraten. Nicht nur, um Bayern dadurch noch enger an Österreich zu binden. Helene war von ihrer Mutter zur Herrscherin ausgebildet, ja schon beinahe dressiert worden, da Ludovika bereits sehr früh hohe Pläne mit ihrer Tochter gehabt hatte. Néné, wie Helene genannt wurde, war ein folgsames, sanftes Mädchen geworden, ein zarter Charakter. Im Jahre 1853, als sie dem Thronfolger von Österreich vorgestellt werden sollte, war sie gerade einmal 19 Jahre alt. Nicht ganz so lieblich und zart gebaut wie ihre jüngere Schwester Elisabeth, welche ihren Vater Maximilian auf seiner Reise nach Spanien begleiten durfte, aber Helene war schon adrett und recht hübsch anzusehen. Dazu war sie bescheiden, gebildet, körperlich bereits voll erblüht und mit einem gebärfreudigen Becken gesegnet. Eine kluge, ausgebildete Helferin für den zukünftigen Kaiser und hoffentlich auch eine gute Zuchtstute für das Haus Habsburg-Lothringen.

In der Nähe jener Stelle, wo der Fluss Ischl in die Traun mündete, lag eines der liebsten Jagdreviere des damals 23 Jahre alten Franz Joseph Karl, den Sohn des Kaisers und Thronfolger der Vereinigten Donaumonarchien, welche manchmal auch liebevoll Kakanien19 genannt wurden. Auf der Katrin, dem Hausberg der Stadt Ischl, die später Bad Ischl genannt werden sollte, schoss der Prinz mit Vorliebe auf Gämsen, in den Wäldern rund um die Stadt auf Rehböcke und Hirsche. Je mehr, desto besser, in Schönbrunn waren bereits die Wände eines Zimmers mit den Trophäen des Prinzen zugehängt, die er in nur zwei Jahren geschossen hatte. Eines ziemlich großen Zimmers. Dieses Jahr war er angereist, um seinen Geburtstag am 18. August 1853 mit einer großen Jagd zu feiern. Und auf Anraten seiner Mutter Sophie auch seine Cousine Prinzessin Helene Caroline Therese, Herzogin in Bayern, im Verlaufe der Geburtstagsfeierlichkeiten zu treffen, um ihr eventuell den Hof zu machen.

Der Bräutigam, Kronprinz Franz Joseph von Habsburg-Lothringen, hatte keine sehr hohen Ansprüche an seine Braut. Solange sie ihm Kinder gebären konnte, würde er halt seine Pflicht tun und die zukünftige Kaiserin so schnell und so oft wie möglich schwängern. Ganz egal, wie sie aussehen würde. Hauptsache, die Kinder des hohen Paares waren gesund. Für seinen Spaß gab es in Wien genügend ‚Süße Mädels‘20, der Kronprinz war Stammgast in Frau Wolffs Salon, einer Koberin21 der gehobenen Klasse. Frau Juliane Wolff war ebenso diskret wie ihre Angestellten willig, und dort musste er auch nicht auf irgendwelche Umgangsformen achten. Obwohl sich die jungen Damen durchaus in höheren Kreisen zu bewegen wussten, ohne aufzufallen. Trotzdem war Franz Joseph erleichtert, dass Néné halbwegs hübsch war und eine wirklich gute Figur vorzuweisen hatte. Er konnte seine Pflicht also erfüllen, ohne sich überwinden zu müssen. Er zeigte sich also einverstanden, wenn auch nicht hellauf begeistert mit Helene von Wittelsbach. Der Prinz gehorchte dem Ratschlag seiner Mutter aber immerhin ohne Widerwillen und machte in Gottes Namen Néné halt in Ischl den Hof. Diese war ihrer Mutter Ludovika, der Schwester der Kaiserin, gegenüber gehorsam und lachte sogar über die flachen Witze des Thronfolgers. Helene machte es Franz Joseph leicht, obwohl er alles andere als charmant war. Selbstverständlich sagte Néné ja, als er sie dann endlich um die Erlaubnis bat, bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten zu dürfen. Noch im November des gleichen Jahres führte Franz Joseph seine Braut Helene vor großem Publikum zum Altar des Wiener Stephansdomes zu einer pompösen Trauungszeremonie. Die Pummerin22 im Nordturm des Steffls schien mit ihrem Geläut die Pläne von Sophia und Ludovika zu besiegeln, besonders, da die Braut neun Monate nach der Hochzeitsnacht bereits das erste Mal schwanger war.

Einer Nacht, in welcher mehr als nur ein heimlicher Lauscher an den Türen des prinzlichen Schlafgemachs stand und die Aktivitäten des jungen Paares belauschte. Franz Maximilian Friedrich von Österreich wurde mit 101 Salutschüssen auf dieser Welt empfangen. Er war ein zarter, hübscher Knabe, wurde aber leider nur zwei Jahre alt, ehe er von ganz Wien und den Donaumonarchien betrauert an einer unbekannten Krankheit verstarb. Nun dauerte es aber mit einer neuen Schwangerschaft bis 1858, obwohl beide Partner ihren Pflichten im Ehebett durchaus nachkamen. Am 20. Februar 1859 wurde dem Thronfolger von seiner Frau dann endlich das zweite Kind geboren. Ein Mädchen, demzufolge waren es nur 51 Kanonenschüsse, welche ihr zu Ehren abgegeben wurden. Die Eltern nannten sie Maria und zu Ehren ihrer Großmütter Sophia und Ludovika. Im Gegensatz zu Franz Maximilian war sie ein kräftiges und willensstarkes Kind, das eine starke Persönlichkeit zu werden versprach. Und sie wurde auch eine starke, selbständige Frau, allen Erziehungs- und Dressurversuchen seitens ihrer Großmutter Sophia zum Trotz.

Der Thronfolger Franz Joseph von Österreich hatte drei große Schwächen, die sich manchmal ganz vortrefflich kombinieren ließen. Seine erste Schwäche war die Jagd, der natürliche Nachwuchs in den kaiserlichen Jagdrevieren reichte gar nicht aus, um seine Schießwut zu befriedigen. In großen Gehegen mussten jene Mengen an Wild gezüchtet werden, das man dann später dem Prinzen vor die geladene Flinte trieb. Mit Jagd hatte das eigentlich nicht mehr viel zu tun, eher mit einem Gemetzel, aber er war nun einmal der Kronprinz und hatte einiges zu sagen. Wenn seine Hoheit Wild zu erschießen wünschte, dann geschah das auch. Die zweite Passion Franz Josephs war jene für süße Mädel, wie man in den gehobenen Schichten Wiens die jungen Professionellen nannte, egal, ob man sie für nur eine Nacht buchte oder für einige Zeit in einer eigenen Wohnung mit Monopolrecht aushielt. Und seine dritte Leidenschaft galt allen Maschinen, die sich in die Luft erheben konnten. Er förderte die Entwicklung sowohl der Luftschiff- als auch der Ornithoptertechnologie23, wo er nur konnte. Seit kurzem war er im Besitz eines nagelneuen Luftschiffes als Privatyacht, deren schlanker, stromlinienförmiger Körper mit einer Panzerung aus zwei Millimeter Kortwitz-Leichtstahl überzogen war. Eine Bauart, die den Luftwiderstand des Körpers ganz erheblich senkte. Es handelte sich um die KAISERIN SOPHIE, in welcher oben im Rumpf die gewaltigen Gastanks für Helium und unten die Passagierdecks mit allem erdenklichen Luxus untergebracht waren. Der kristallisierte Leichtstahl war eine Erfindung von diesem Preußen, dem Konrad von Kortwitz, und er war ein Segen nicht nur, aber natürlich auch für die Luftschifffahrt leichter als Luft. Sein Herr Papa, der Kaiser Franz Karl, hatte 1866 nach einigen Querelen die Verfassungen der einzelnen Staaten betreffend mit den berühmt gewordenen Worten ‚ich werde keinen einzigen Soldaten opfern, um etwas zusammen zu zwingen, das nicht zusammen bleiben will’ den deutschen Bund aufgelöst und einer ‚kleindeutschen‘ Lösung den Vorzug gegeben. Damals waren von den deutschen Staaten nur das Königreich Bayern und der südlich der Donau gelegene Teil des Königreiches Würtemberg sowie der südliche Teil des Herzogtums Baden bei Kakanien verblieben. Dafür war das nördliche Bulgarien freiwillig dem Bund beigetreten. Und überraschenderweise nahm auch Königin Rosherina von Madagaskar Kontakt zu Wien auf. Nach Neuhochadlerstein wurde die Insel Madagskar 1867 das zweite afrikanische Mitglied der Vereinigten Donaumonarchien. Zumindest der Norden und der Osten. Im Südwesten unterhielt Frankreich einige Forts und betrachtete den Küstenstreifen vom Fluss Morondave bis zur Südspitze Madagaskars als französisches Eigentum. Als Kolonie.

Danach hatte sich Brandenburg – Preußen rasch zur deutschen Führungsmacht entwickelt, 1872 hatten die Fürsten des norddeutschen Bundes König Wilhelm von Hohenzollern zum Kaiser der Deutschen proklamiert. In der Nähe von Ulm war nach langen Verhandlungen der Staatsmänner auf einem Gebiet beiderseits der Grenze die gemeinsame Donau Luftschiff Fabrik DLF entstanden, wo sich die metallurgischen Entwicklungen der Deutschen und die maschinentechnischen der Österreicher in der Entwicklung neuer Luftschiffe verbanden. Eine für beide Seiten im Laufe der Zeit durchaus positive und profitable Entwicklung.

Mit einem Ausflug nach Bad Ischl ließen sich für Kronprinz Franz Joseph alle diese Vorlieben ganz hervorragend unter einen Hut bringen. Mit dem Luftschiff nach Bad Ischl, dort zwei, drei Mäderl für den Abend eingeladen, ganz diskret natürlich. Der Adjutant des Prinzen, Baron Alfred von Kotzlonsky, würde schon wie immer die richtige Auswahl treffen, er kannte den Gusto24 seines Herrn zur Genüge. Nach dem Essen wollte der Kronprinz dann noch ein wenig Spaß haben, vielleicht noch das eine oder andere Flascherl Wein. Und, na ja, natürlich die Auswahl vom Kotzlonsky besichtigen. Nun, nicht nur anschauen, das verstand sich ja von selbst. Also ging Franz Joseph am Abend des 14. September 1876 in seine Gemächer, auf dem Weg bereits seinen weißen Uniformrock aufknöpfend.

Alsdann, ihr Mädels! Ausdirndln25!“ befahl er, im Schlafzimmer angekommen. „Raus aus der Panier26, aber komplett!“ Er warf sich in seinen bequemen Sessel und beobachtete das Entkleiden der Frauen voller Vorfreude. „Na, schaut doch alles ganz appetitlich aus“, lobte der Thronfolger. „Du da!“ er wies auf die dralle Frau mit der großen Oberweite und dem ebenso voluminösen Hinterteil. „Komm her, dreh’ dich um und bück’ dich!“ Genussvoll knetete er das große Gesäß, welches ihm unter Kichern und Kudern der Mädchen entgegen gehalten wurde. Dann klopfte er noch einmal darauf, erhob sich und streifte die Hosenträger von den Schultern. „Dann woll’n wir doch einmal den kleinen Prinzen aus seinem Gefängnis befreien! An die Arbeit, meine Hübschen, geht’s mir zur Hand!“ Noch immer kichernd befreiten die drei Damen Franz Joseph bereitwillig von seinem Hemd, halfen ihm aus seiner Hose und zogen schließlich auch die Unterhose hinunter.

Oh!“ machte eine der Damen beim Anblick der prinzlichen Mächtigkeit überrascht, und der Thronfolger, sich seiner umfassenden humanistischen Bildung entsinnend, legte seine Hand auf ihren Kopf, zog diesen näher zur erwähnten Sehenswürdigkeit und deklamierte feierlich:

Begraben wollen wir Cäsar, nicht ihn preisen! Das richtige Goscherl27 hast ja eh schon g’macht!“

Am folgenden Tag wurden die Dienste der Damen dann leider nicht mehr benötigt, Baron von Kotzlonsky entlohnte sie mit Tränen in den Augen. Auf dem Weg zum Hochsitz auf der Katrin28 hatte sich unter dem Fuß des Kronprinzen Franz Joseph ein Stein gelöst und seine Hoheit aus dem Gleichgewicht gebracht. Zuerst hatte es ganz harmlos ausgesehen, ein kleiner Sturz, nicht einmal sonderlich schlimm und eigentlich auch gar nicht tief. Mehr gerutscht als gefallen, wie die Augenzeugen erzählten. Ein kleines Malheur, wie es jedem schon passiert war, man steht auf, klopft sich den Dreck aus dem Gewand und macht weiter. Doch Franz Joseph stand nicht sofort wieder auf, seine Begleiter hatten endlose Sekunden darauf gewartet, ehe sie zu ihm rannten. Dann hatten sie feststellen müssen, dass das Genick seiner Hoheit, Kronprinz Franz Joseph von Österreich aus dem Haus Habsburg-Lothringen, gebrochen war und er sich nie wieder erheben würde. Die Heimreise trat Franz Joseph im großen Salon seiner Yacht an, in voller Uniform seines Leibregiments in einen Eichensarg gebettet. Die SOPHIE flog tief und zog ein fünf Meter langes Banner hinter sich her. Damit stieg sein erst im Juni 1875 geborener und von einer zahlreichen Schwesternschar umgebener Sohn Franz Rudolph an die erste Stelle in der Nachfolge auf Österreichs Thron.

Am 25. November 1876, einen Monat nach der Beerdigung von Franz Joseph, schockierte der Kaiser Franz Karl Joseph von Österreich seine Frau Sophie erneut und überraschte die ganze Nation. Er ernannte die sich öffentlich zum liberal geltenden Kurs des Kaisers bekennende Helene Caroline Therese, die Witwe Franz Josephs und Mutter des jetzigen Kronprinzen, zu seiner Mitregentin und zur alleinigen Regentin im Falle seines Todes. Gleichzeitig gab er seinen Völkern den Rückzug seiner Gattin in das Ursulinenkloster in Triest bekannt, wo sie ihre letzten Jahre nach dem Tod ihres geliebten Sohnes in stiller Trauer und ruhiger, einsamer Kontemplation verbringen wolle. Die völlig überraschte Sophie saß bereits, von einer handverlesenen Schar des kaiserlichen Regiments der Hoch- und Deutschmeister und einer noch größeren Schar von Ursulinen in einem Luftschiff nach Süden in die welsche Mark, ehe er vor den Rat der Kronländer trat und seine Proklamation verlas. Den Grund ihrer langen Erholungsreise eröffnete ihr erst die Mutter Oberin des Klosters, welche auch dafür sorgte, dass Schwester Sophie das Kloster nicht mehr verließ. Auch nicht, als 1878 Franz Karl Joseph von Österreich starb, Néné alleinige Regentin wurde und des Kaisers Weg der Reformen weiterführte. Der Absolutismus hatte sich endgültig aus den Ländern der Habsburger verabschiedet. Dass im gleichen Jahr des Rückzuges der Kaiserin zwei Mädchenschulen in Wien und Triest für die Ursulinen gebaut und geweiht wurden, ist sicher nur Zufall.

Storyfortsetzung von Rosalinda Kilian

Vader&Ich

Folgen 31 bis 34

PER ANHALTER DURCH DAS IMPERIUM:
“Sperren Sie ihr das Bankkonto …”


Käme es nur aufs Ankommen an, so hätte ich einfach solange ausgeharrt, bis ich auf einen der wenigen Frachterpiloten getroffen wäre, der nicht für eine der großen Reedereigesellschaften arbeitete (und der deshalb auch nicht nur innerhalb des Systems Linie flog).
Das konnte ich mir aber gerade nicht leisten, da ich bekanntermaßen zu einem bestimmten Zeitpunkt in Coruscant sein wollte.
Ich fing an, mein Handeln zu hinterfragen. War es ein Fehler gewesen, die Devastator zu verlassen? Alleine wenn man die Begegnungen und Gelegenheiten betrachtete, die potentiell gefährlich für mich hätten sein können.
Dazu kam, dass die gestohlene ID-Card nach wie vor verhinderte, dass ich sowohl Geld von meinem Konto abheben als auch einen Flug mit einem Passagierschiff buchen konnte.
Tja, da waren sie wieder, meine drei Probleme: keine Credits, keine ID-Card und keine Ahnung, wie es weitergehen soll …
Ich besorgte mir einen Kaf und dachte darüber nach, ob ich aufgeben und wenn ja, wie ich es Vader gegenüber am besten formulieren sollte. Oder sollte ich doch lieber den Diebstahl meiner ID-Card den Behörden melden und mir Ersatzdokumente ausstellen lassen? Das konnte ein paar Tage dauern, wenn man die Vorgangsbeschleunigungsgebühr nicht zahlen konnte oder wollte.
Doch dieser Überlegungen wurde ich plötzlich enthoben, als mir jemand von hinten die Arme auf den Rücken drehte und mir Handschellen anlegte: „Mirian Sirtani, Sie sind verhaftet …“

„Mirian Sirtani“, sagte der ältere Sicherheitsbeamte, der meinen Fall übernommen hatte. „Gesucht wegen Diebstahl, Prostitution und Drogenbesitz.“
„Ich bin nicht Mirian Sirtani“, sagte ich. „Mein Name ist Kilian. Rosalinda Kilian.“
Das hatte ich schon den beiden Jungspunden gesagt, die mich am Raumhafen verhaftet hatten, konnte dieses Missverständnis ohne ID-Card aber nicht gleich vor Ort aufklären.
Da man mit Sicherheitsbeamten aller Art erfahrungsgemäß besser zurechtkam, wenn man sich kooperativ-fügsam und der Einsatz von Schlagstock und Schocker hier üblich war, sobald man sich renitent-uneinsichtig zeigte, hatte ich mich widerstandslos abführen lassen.
„Sie haben keine Papiere“, sagte der Vernehmungsbeamte.
„Die wurden mir gestohlen.“
„Soso“, meinte er, „warum haben Sie sie dann nicht gestohlen gemeldet und Ersatzpapiere beantragt?“
„Ich war auf dem Weg zu einem Termin nach Coruscant und wollte das dort nachholen.“
Die beiden jungen Beamten, die mich verhaftet hatten, grinsten einander wissend an. Ja, solche Ausreden kannten sie schon …
„Durchsuchen Sie ihr Gepäck“, befahl der ältere Beamte.
Oh-oh. Das war gar nicht gut. Denn da würden sie das Lichtschwert finden, das Vader mir gegeben hatte …
„Wollen Sie denn nicht erst mal meine Angaben überprüfen?“, fragte ich in dem bemühten Versuch, die Durchsuchung meines Gepäcks doch noch abwenden zu können.
„Das werden wir, keine Sorge“, sagte der Ältere grinsend, während die beiden Jüngeren meine Reisetasche öffneten und den Inhalt ausschütteten.
Getragene wie ungetragene Unterwäsche und Unterkleidung, der Businessanzug, Utensilien zur Körperpflege, mein ComLink und das Lichtschwert.
Order 66 war immer noch in Kraft und die imperialen Sicherheitskräfte wussten, was ein Lichtschwert war, wer es benutzt und welche Fähigkeiten seinen Nutzern im Allgemeinen zugeschrieben worden waren, denn der Vernehmungsbeamte zückte sofort seinen Blaster und einer der jüngeren Beamten knockte mich aus, indem er mich niederschlug …

Vader öffnete die Augen. Irgendetwas war gerade geschehen, das seiner Aufmerksamkeit bedurfte. Bald …

„Ich muss mal auf’s Klo.“
Nachdem sie mich niedergeschlagen hatten, wachte ich in einer Hochsicherheitszelle auf. Sowohl Hand- als auch Fußgelenke waren gefesselt, vor meiner Zelle standen zwei Sicherheitsbeamte mit Blastergewehren im Anschlag und ich hatte mörderische Kopfschmerzen.
Hm. Ob das einen Jedi aufhalten würde? Vielleicht. Vader? Eher nicht.
Vader.
Wie er DIESE Geschichte wohl aufnehmen würde? Andererseits hatte er ja gesagt, dass ich das Lichtschwert ständig bei mir führen sollte …
„He, habt ihr mich gehört?“, rief ich.
Gut, es war noch nicht SO dringend, aber man sollte sich rechtzeitig um seine Bedürfnisse kümmern …
Sie reagierten nicht.
„Wenn ihr mich nicht lasst, mach‘ ich euch die Zelle dreckig und ihr müsst den Gestank ertragen …“
Endlich kam ein höherrangiger, mittelalter Beamter.
„Nun lasst sie schon oder ihr macht mir nachher die Zelle sauber“, befahl er.
„Aber Sir“, wandte einer der beiden jüngeren ein. „Sie steht im Verdacht, ein Jedi zu sein!“
„Unwahrscheinlich“, sagte er. „Ich habe in den Klonkriegen gedient und gesehen, wie die Jedi Leute mit ihren Gedankentricks manipuliert haben. Könnte sie das, hätte sie es schon längst getan und Sie hätten sie unter Verbeugungen und Entschuldigungen hier rausgelassen …“

Captain Hadat schüttelte den Kopf. Der Sicherheitsbeamte, dem der Raumhafen unterstand, hatte ein vorzügliches Personengedächtnis. Zugegeben, die Person, die seine jungen, übereifrigen Beamten verhaftet hatten, sah einer Verdächtigen flüchtig ähnlich – die langen schwarzen Haare, die grüngrauen Augen, die helle Haut …
Doch die Gesichtszüge der Gesuchten waren anders, sie war auch kleiner und, eh, schmaler.
Andererseits war „Rosalinda Kilian“ ein interessanter Beifang: sie besaß ein Lichtschwert …
Hadat glaubte nicht ernsthaft, dass sie eine Jedi war, so problemlos, wie ihre Festnahme und Inhaftierung vonstattengegangen war.
Aber der Besitz von Lichtschwertern war verboten, es war schon eigenartig, mit was die Leute sich in Schwierigkeiten brachten. Vielleicht hatte sie es auch verkaufen wollen, manche Sammler bezahlten für Artefakte des Jedi-Ordens Unsummen.
Er rief ihre Akte auf. Name, Alter, Ausweisnummer, Arbeitgeber. Immatrikuliert an der Universität von Coruscant. War einmal Opfer einer Geiselnahme sowie einer Entführung geworden. Bisher noch nicht im Zusammenhang mit illegalen Transaktionen aufgefallen.
Dann las er, WER sofort informiert werden wollte, sollte Rosalinda Kilian in einen Unfall verwickelt oder festgenommen werden.
Er schloss die Akte fast reflexhaft. Kriff …

„Kri mi oo“, stöhnte das Alien, mit dem ich die gewöhnliche Zelle teilte, in die man mich inzwischen verlegt hatte.
„Kri mi oo, kri mi oo, kri mi oo …“
Dabei wand es sich mitleid¬erregend am Boden.
„Was haben Sie?“, fragte ich und konnte dabei meine Besorgnis nur ungenügend kaschieren.
„Kri mi oo, kri mi oo …“
„Sind sie krank, haben Sie Schmerzen?“
„Kri mi oo, kri mi oo …“
Das Alien (auch bei ihm habe ich bis heute keine Ahnung, um was für eine Spezies es sich handelte) jammerte immer weiter, normalerweise hätte ich längst einen mobilen Arzt oder den Rettungsdienst gerufen. Der würde mir hier doch nicht einfach so wegsterben?
Ich trat an das Zellengitter.
„He, Ihr“, rief ich. „Könnt Ihr mal kommen?“
Die beiden Männer, die hier die Aufsicht führten, sahen unwillig auf.
„Ich glaube, der Typ in meiner Zelle ist krank“, fügte ich an.
Ein Wachmann stand tatsächlich auf, näherte sich unwillig und sah dann flüchtig in die Zelle.
„Den haben wir öfters hier“, sagte er, „zum Ausnüchtern.“
Ich sah zweifelnd auf das jammernde Alien am Boden.
„Der will und braucht keinen Arzt, sondern einen Drink.“
„Aber …“, wandte ich ein und überstrapazierte damit die Geduld des Wachmanns, denn er schlug seinen Schlagstock so heftig gegen das Zellengitter, dass es knallte und ich erschrocken zurückwich. Ende der Diskussion …

Nervös harrte Captain Hadat der Dinge, die da kommen sollten.
Zuerst hatte er Rosalinda Kilian einfach laufen und den Vorgang ihrer Verhaftung aus den Akten verschwinden lassen wollen.
Das war zu bewerkstelligen, solange die Dateien noch nicht festgeschrieben worden waren.
Dann verwarf er diesen Gedanken.
Zugriffe auf persönliche Akten wurden automatisch protokolliert.
Und in Kilians Akte stand unmissverständlich, dass Darth Vader informiert werden wollte, wenn sie verhaftet werden oder ihr sonst etwas zustoßen sollte.
Trotzdem zauderte er.
Was sollte er Lord Vader eigentlich sagen?
Dass sie Kilian der Prostitution verdächtigt hatten?
Sie verwechselt?
Gedacht, dass sie ein Jedi sei?
Schließlich zeigte eine eingehende Prioritätsmeldung, dass seinem Ersuchen, mit Darth Vader zu sprechen, entsprochen worden war.
Hadat nahm das HoloVid an und ein lebensgroßes Hologramm Darth Vaders baute sich vor ihm auf.
„Captain Hadat“, sagte der dunkle Lord. „Sie haben eine wichtige Information für mich?“
„Es geht um Rosalinda Kilian“, sagte Hadat und riss sich zusammen.
Er machte hier eine einfache Meldung und Darth Vader war tausende von Lichtjahren entfernt.
Hoffte er.
„Geht es ihr wohl?“, fragte der dunkle Lord.
„Ich denke schon“, antwortete Hadat.
„SIE DENKEN SCHON?!“, wiederholte Vader.
Hadat wich instinktiv zurück.
„Sie, ähm, sie wird keine bleibenden Schäden davontragen.“
Hadat dachte mit schlechtem Gewissen an die Beule, die der engagierte Schlagstockeinsatz seines jungen Beamten auf ihrem Hinterkopf hinterlassen hatte.
„Das will ich hoffen“, sagte Vader und eine unbestimmte Drohung lief durch die Macht.
Hadat schlucke.
Konnte sich nicht einfach ein Loch im Boden auftun und ihn verschlingen?

Vader wartete, zunehmend ungeduldig. Warum verrieten ihm die Leute nicht einfach, was er wissen wollte?
„Sie haben Rosalinda Kilian also verhaftet“, sagte er.
Das war simple Deduktion und doch würde das den Gerüchten über seine Fähigkeiten neue Nahrung geben.
„Zwei noch sehr junge Beamte haben sie mit einer, äh, Prostituierten verwechselt und festgenommen.“
Vader war nur mäßig schockiert.
„Wie führt eine einfache Verhaftung zu Verletzungen, die keinen bleibenden Schaden verursachen?“
Kilian handelte rational. Nur wenn Sie in Panik geriet oder man ihren Zorn erregte, reagierte sie über.
Manchmal.
„Sie behauptete, dass man ihre ID-Card gestohlen habe. Dann haben wir ihr Gepäck durchsucht und ein Lichtschwert gefunden.“
Das erklärte natürlich das rabiate Vorgehen der Sicherheitskräfte, Order 66 war immer noch in Kraft.
Vader ließ den Sicherheitsbeamten noch ein wenig zappeln.
„Sperren Sie die gestohlene ID-Card, stellen sie ihr eine neue aus und dann entlassen Sie sie aus der Haft“, verlangte Vader.
Hadat verneigte sich.
„Ja, Herr.“
Vader langte schon nach dem Beenden-Button, hielt dann aber inne.
„Und sperren Sie ihr das Bankkonto.“
Sie hatte sich als findig erwiesen. Bisher …

Die Sicherheitskräfte hatten vermutlich ihren Mut wiedergefunden und Darth Vader kontaktiert. Ich grinste, als ich mir die Szene in den leuchtendsten Farben ausmalte.
Jedenfalls hatten sie mich ziemlich plötzlich freigelassen, mir meine Sachen und eine neue ID-Card ausgehändigt und anschließend zum Raumhafen gefahren.
Ich schob die ID-Card in den Automaten.
Ich würde jetzt einen Flug nach Coruscant buchen und …
Der Computer beepte verneinend.
„Ein Zugriff auf das gewünschte Konto ist derzeit nicht möglich.“
Ich versuchte es noch zwei Mal, jedes Mal ohne Erfolg.
Ich runzelte die Stirn.
„Darth Vader“, sagte ich dann zu niemandem Speziellen.
Er hatte für meine Freilassung gesorgt und mir eine neue ID-Card ausstellen lassen. Und dann das Bankkonto sperren lassen.
Mistkerl …

PER ANHALTER DURCH DAS IMPERIUM:
“Die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest …”


„Warum ist ein Zugriff auf mein Konto derzeit nicht möglich?“, fragte ich.
„Das Konto wurde gesperrt“, antwortete der Computer.
Witzig. Erzähl‘ mir was, das ich noch nicht weiß …
„Wer ist dafür verantwortlich?“, fuhr ich fort.
„BeepBeepBeep.“
Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Es gab eigentlich niemanden außer Darth Vader, der über die Mittel, die Gelegenheit und das Motiv verfügte, um das zu bewerkstelligen, ich kannte den dunklen Lord inzwischen viel zu gut und das nicht nur im biblischen Sinne.
Außerdem neigte Vader dazu, sein Umfeld ständig auszutesten. Dieses Umfeld wurde dadurch entweder schnell besser, suchte fluchtartig das Weite oder dünnte auf andere Weise aus.
Betrachtete Vader meine Reise per Anhalter nach Coruscant als eine Art Wettstreit?
Wollte er herausfinden, wie ich mit Problemen umging?
Ich ließ mir die Lokalzeit von Coruscant auf dem ComLink anzeigen. Mitten in der Nacht. Da brauchte ich gar nicht erst anrufen, da saß die Nachtschicht im Büro, die solche Auskünfte nicht geben konnte.
„He, wie lange wollen Sie das Terminal denn noch blockieren?“
Der Typ hinter mir hatte es ganz offensichtlich eilig. Im Augenblick konnte ich nichts erreichen und trat deshalb zur Seite. Am besten fing ich schon mal an, mir Gründe für mein Scheitern zu überlegen, Vader mochte fundierte Analysen …

Ich wanderte ziellos durch die Abfertigungshalle, als ich plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir hörte: „Frau Kilian! Na, das ist aber ein Zufall …“
Ich drehte mich um.
„Professor Ioness!“, rief ich.
Der Professor konnte jetzt meine Rettung sein …
„Ich habe gerade eben versucht, einen Flug nach Coruscant zu buchen, aber dieser elende Computer behauptet unentwegt, dass mein Konto gesperrt sei. Aus welchem Grund auch immer.“
Ioness lachte mich aus.
„Das kenne ich. Kommt immer mal wieder vor. Sie brauchen nur in den Verdacht zu geraten, an illegalen Transaktionen beteiligt zu sein.“
„Tatsächlich?“, fragte ich.
Der Professor war meiner Ansicht nach mehr Grabräuber als Archäologe und pflegte deshalb auch Kontakte, die schon mal das Interesse der Behörden erregen konnten. Das tat meiner Sympathie für ihn aber keinen Abbruch und Ioness ging auf meine Frage nicht weiter ein.
„Ich halte gerade eine Reihe von Gastvorlesungen und könnte Sie bis nach Duro mitnehmen“, bot er an.
Na, das war doch ein Wort …

„Geht es Ihnen gut?“, fragte Ioness.
„Sie sind zur Zeit so selten an der Uni anzutreffen.“
„Ich arbeite gerade an meiner Doktorarbeit“, entgegnete ich und das war nicht einmal gelogen.
Allerdings verwendete ich den größten Teil meiner Zeit für den Job im Verteilerzentrum der Imperialen Sternenflotte, die Beziehung zu Vader und die Abenteuer, auf die er mich mitnahm sowie die Bücher und Holocrons, die er mir zum Studium gab und irgendwann wollte ich auch mal Freunde treffen, musste mit ausruhen oder schlafen.
„So lange?“
Ioness war ein cleverer Bursche und nicht leicht zu täuschen. Man darf nicht vergessen, dass eine Galaxis mit einer komplexen Geschichte wie die der diesen von einem Archäologen nicht nur Kombinationsgabe, sondern auch die Fähigkeit verlange, Original von Fälschung und Wahrheit von Propaganda zu trennen.
„Wie Sie wissen, muss ich für meinem Lebensunterhalt arbeiten.“
Und nicht davon, die besten Fundstücke an Sammler mit zu viel Geld zu verkaufen …

Ich folgte Ioness über das Flugfeld zu dem alten Forschungsschiff, in dem er reiste und ließ mein Gepäck in der Kabine, die er mir zuwies.
Danach suchte ich die Gesellschaft des Professors und der drei Studenten, die mit ihm unterwegs waren.
Eigentlich waren die Kommilitonen nur für Handlangerdienste zuständig, zeigten die Fundstücke dem mehr oder weniger interessierten Publikum, transportierten sie und setzten sich mit den Zollbehörden auseinander. Der Professor hingegen war nicht nur für die Vorträge, sondern auch für das Einwerben von weiteren Forschungsgeldern zuständig.
Ein Feld, das er ebenfalls gut beherrschte …

Der Flug nach Duro fand weitgehend automatisiert statt, denn der Captain und der Bordtechniker setzten sich umstandslos zu uns an den Tisch, eine der Studentinnen holte zum Abendessen etwas knusprig-fettig-würziges aus dem Erhitzer und der Professor spendierte zwei Flaschen schweren, süßen Weins. Ich kannte Ioness‘ ausgelassene Runden nach Feierabend ja schon …
„Haben Sie eigentlich jemals wieder von Dr. Aphra gehört?“, fragte ich den Professor irgendwann im Laufe des Abends.
„Nur Gerüchte“, entgegnete er.
„Und was sagen die Buschtrommeln denn so?“
Es interessierte mich, was diese fähige, nichtsdestotrotz hochkriminelle junge Frau jetzt eigentlich tat, in zivilisierten Gegenden konnte sie sich nach der Nummer auf Habassa jedenfalls nicht mehr blicken lassen.
Er hob die Achseln in einer Geste des Unwissens.
„Manche sagen, sie habe sich selbständig gemacht, andere wiederum behaupten, sie habe sich Söldnern angeschlossen.“
Irgendwie erinnerte mich Dr. Aphra an Jyn. Intelligent und hochbegabt und trotzdem dumm genug zu glauben, auf die Dauer mit krummen Geschäften durchzukommen …

Als sich der Abend dem Ende zuneigte und die jungen Frauen damit begannen, mit dem Captain und dem Techniker zu flirten, zog mich der Professor zur Seite.
„Kilian“, sagte er. „In was sind Sie da eigentlich hineingeraten?“
„Wie meinen Sie das?“, fragte ich und war sofort auf der Hut.
„Dieser blauhäutige Admiral mit dem unaussprechlichen Namen hat mich zu Ihnen befragt“, präzisierte Ioness seine Frage. „Außerdem ist mir aufgefallen, dass sie Sachen recherchieren, die nicht Gegenstand ihrer Doktorarbeit sind.“
Thrawn wurde man bekanntermaßen nicht so schnell wieder los, wenn man einmal seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Aber das Ioness aufgefallen war, dass ich in offiziellen Quellen nach Bestätigungen, Hinweisen und weiteren Verweisen dessen suchte, was ich in den geheimen Jedi-Holocrons fand, die Vader mir zugänglich gemacht hatte …?
„Sie meinen Admiral Mitth’raw’nuruodo?“
„Genau den meine ich“, sagte er. „Wollte sich mit mir über Kunst unterhalten.“
„Und? Haben Sie?“
Ioness wollte gerade antworten, als jemand ein Tablett mit Drinks brachte und jedem einen in die Hand drückte. Ich musterte das Glas und seinen Inhalt kritisch. Sollte das so sein? Das leise Blubbern und der feine Nebel, der von dem Getränk aufstieg?
„Was ist das?“, fragte ich.
„Das ist eine Spezialität, die ich von einer meiner Exkursionen mitgebracht habe“, sagte der Professor, hielt sein Glas gegen das Licht und musterte seinen Inhalt.
„Ich nenne ihn den Pangalaktischen Donnergurgler.“

Der ominöse Drink bestand hauptsächlich aus hochprozentigen Alkoholika sowie süßen und fruchtigen Beimischungen, die ihn süffig machten und die verschleierten, wie sehr er den Alkoholpegel sprunghaft erhöhte. Spezies, die Alkohol schlechter vertrugen als Menschen, verglichen seine Wirkung gerne mal mit einem Schlag auf den Kopf …
„Sie haben mir noch nicht gesagt, warum Sie Dinge recherchieren, die für ihre Doktorarbeit nicht relevant sind“, sagte Ioness.
„Es ist doch nicht verboten, Dinge aus persönlichem Interesse zu recherchieren“, entgegnete ich.
Nicht nur Admiral Thrawn, sondern auch Professor Ioness konnte hartnäckig sein. Sehr hartnäckig.
„Was ist denn Ihr Interesse?“, fragte Ioness.
„Die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“, behauptete ich.
„Ist das nicht eher eine Frage für Religionen und Philosophen als für Historiker?“
Ioness nippte kurz an seinem Drink.
„Nicht, wenn es historische Aufzeichnungen dazu gibt“, sagte ich und nippte gleichfalls an meinem Drink.
„Zweiundvierzig“, fügte ich an.
Der Professor schüttelte den Kopf.
„Zweiundvierzig was?“
Ich grinste innerlich.
„Die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.“
„Ich kann Ihnen gerade nicht ganz folgen“, entgegnete Ioness.
„Ich sehe, ich muss weiter ausholen“, sagte ich. Ioness beugte sich vor und musterte mich mit Interesse.
„Ich höre …“
„Meine Nachforschungen haben ergeben“, erklärte ich, „dass eine prähistorische Kultur eine KI namens ‚Deep Thought‘ erdacht und speziell dafür gebaut hat, um eben diese Frage zu beantworten. Deep Thought soll dabei so leistungsfähig gewesen sein, dass sie zum Zeitvertreib über die Vektoren sämtlicher Teilchen des Urknalls meditiert hat. Und dennoch benötigte die KI Sieben Komma Fünf Millionen Jahre Rechenzeit, um diese Antwort zu ermitteln.“
„Das ist unbefriedigend“, sagte Ioness.
„Wie man’s nimmt“, sagte ich. „Deep Thought erklärte, dass man ihr die Aufgabenstellung zwar umschrieben, diese aber niemals als konkrete Frage formuliert habe. Da sie sich selbst nicht dazu in der Lage sah, die Frage zu ermitteln, schlug die KI vor, einen noch größeren Computer zu konstruieren, so komplex, dass das organische Leben einen Teil seiner Arbeitsmatrix bildet.“
„Sie suchen also einen Planeten“, vermutete er.
Offenbar kaufte er mir diese irrsinnige Geschichte tatsächlich ab. Mir selbst war gerade leicht schwindlig. Das lag vielleicht an den kreisenden Gedanken …
„Wenn es nur so einfach wäre“, fuhr ich fort.
„Ich habe Hinweise gefunden, wonach die Kenntnis der Antwort und der dazugehörigen Frage einander ausschließen und niemals beide im selben Universum zur gleichen Zeit bekannt sein können.“
„Vielleicht hilft das Studium verschiedener Schöpfungsmythen weiter“, bot Ioness an.
Ich entschied, meine Geschichte weiter auszubauen, ich musste nur aufpassen, nicht zu überziehen.
„Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen.“
Ich hielt inne, weil der Tisch sich mit einem Mal drehte und ich ihn festhalten musste.
„Es gibt eine Theorie die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt.“
Dann kippte irgendetwas und ich versank in Schwärze.

Ich schwebte.
Mein Inneres dehnte sich aus und erfüllte das Universum.
Ich sah das schimmernde Firmament singen und hörte Klänge in den leuchtendsten Farben.
Ich registrierte jedes einzelne Atom, spielte mit Neutronen und Protonen, tanzte mit den Strings.
Das Universum war unendlich und doch hielt ich es in der Hand, einer gläsernen Kugel gleich, die erfüllt war von Myriaden von Sternen.
Ich tauchte in sie hinein, Sterne wie Staub, eine in allen Farben glitzernde Unendlichkeit.
Dann veränderte sich etwas.
Etwas Schwarzes begann, die Sterne zu verdecken, aufzusaugen, zu verschlingen, wurde immer größer, sein Sog immer unerbittlicher, zog mich zu sich heran, so sehr ich mich auch dagegen wehrte.
Irgendetwas sagte mir, dass ich verloren war, wenn ich nicht … wenn ich nicht … warum konnte ich mich nicht erinnern, was ich dringlich, unbedingt tun musste?
Die Schwärze füllte inzwischen meinen Gesichtskreis aus und ich wurde panisch, nein, ich durfte nicht in diesen Schlund aus unendlicher Schwärze fallen, sonst wäre ich verloren …

Der Dialog zwischen Kilian und Professor Ioness zum Thema “Die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest” stammt natürlich aus Douglas Adams’ Buch “Per Anhalter durch die Galaxis” …

PER ANHALTER DURCH DAS IMPERIUM:
“Als hätte sich alles gegen mich verschworen …”


„Bringen Sie mir sofort den Notfallpack“, rief Ioness und die junge Studentin beeilte sich, dem Professor das gewünschte zu bringen.
Kilian war plötzlich bewusstlos zusammengesackt und zu Boden gestürzt, dann hatte er festgestellt, dass sie nicht mehr atmete.
Mit fliegenden Händen suchte Ioness das Notfall-Diagnosegerät und legte es Kilian auf die Brust.
Blutdruckabfall, stark verlangsamter Herzschlag, Atemstillstand.
Er langte nach der Atemmaske und legte sie ihr an, beobachtete, wie die Maske begann, regelmäßig Sauerstoff in ihre Lungen zu pumpen.
Ioness wandte sich an den Captain.
„Melden Sie Duro, dass wir einen medizinischen Notfall an Bord haben und sofort ein Behandlungszentrum aufsuchen müssen!“

Ioness Forschungsschiff landete in unmittelbarer Nähe zum Behandlungszentrum und wurde bereits von einem Notfallteam erwartet.
Die Duros gingen an Bord und untersuchten Kilian.
„Sie ist nicht in unmittelbarer Lebensgefahr“, sagte der ältere Duros, wohl der Arzt. „Sie haben richtig und schnell gehandelt.“
„Aber was fehlt ihr?“, fragte Ioness. „Sie hat plötzlich das Bewusstsein verloren und nicht mehr geatmet.“
„Ihr Blutalkoholspiegel ist erhöht“, erwiderte der Duros. „Ihnen ist doch sicherlich bekannt, dass Ihre Spezies einen Atemstillstand erleiden kann, wenn sie zu viel Alkohol konsumieren?“
Ioness nickte.
„Wir haben gefeiert und dabei getrunken“, gab er zu. „Aber bei weitem nicht genug für einen Atemstillstand.“
Der Duros dachte nach und konsultierte sein PAD. Er besaß eine Zusatzausbildung, um verschiedene andere Spezies behandeln zu können, unter anderen Menschen. Wenn keine Verletzungen vorlagen, Fremdkörper die Trachea blockierten oder der Patient zu lange unter Wasser gewesen war, dann lagen bei einem Atemstillstand für gewöhnlich Vergiftungen oder Lähmungen vor.
Der Duros tippte nachdenklich auf den letzten Punkt auf seinem PAD.
Oder Allergien.
Der Duros sah auf.
„Leidet sie an Allergien?“
„Nicht dass ich wüsste“, entgegnete Ioness.
Was nicht hieß, dass sie nicht darunter litt …

Vader erwachte mitten in der Nacht und sein Gefühl sagte ihm, dass Kilian sich in Gefahr befand.
Warum nur hatte er Anweisung gegeben, sie aus der Haft zu entlassen, ja sogar, ihre Papiere in Ordnung zu bringen? Weil er Kilian vor eine neue Herausforderung stellen wollte, indem er ihr Bankkonto sperren ließ – es war anzunehmen, dass sie nun wieder per Anhalter reiste, statt mit einem sicheren Passagierraumschiff …
Und während all das geschah, saß er hier, dazu verurteilt zuzusehen, wie die Ereignisse sich entfalteten.
Er konnte nichts tun.
Wieder einmal.
Vader hielt inne. Das stimmte nicht ganz.
Er griff nach seinem PAD und rief einige Dateien auf. Anschließend warf er seine leichte Schlafkleidung ab und legte Anzug und Rüstung an.
Danach trat er auf die Übertragungsplattform des Holoemitters und wartete, bis sich die Verbindung aufbaute und das Hologramm einer jungen, dunkelhäutigen Frau erschien.
„Zweite Schwester.“

Dr. Ugk schloss die Analyse ab, ließ sich die Auswertung anzeigen und nickte. Anschließend zog er das Ergebnis der Analyse auf sein PAD und verließ das Labor. Glücklicherweise hatte der Professor Proben aller am Abend aufgetragenen Speisen und Getränke liefern können.
Der Duros fand Professor Ioness am Bett seiner Patientin sitzend und schüttelte leise den Kopf: Dieses typische Verhalten menschlicher Anteilnahme war den Duros fremd.
„Professor Ioness“, sagte er. „Ich möchte Sie kurz sprechen. Bitte.“
Ioness erhob sich und folgte dem Arzt in ein Besprechungszimmer.
„Und?“, fragte er.
„Frau Kilian leidet in der Tat an einer Allergie“, sagte Dr. Ugk. „Das Allergen befand sich im Fruchtsirup. Nicht, das uns das vor Probleme stellen wird, Frau Kilians Körper baut den Stoff von selbst ab und sie wird bald wieder in Ordnung sein.“
Professor Ioness war erleichtert, das zu hören.
Jedoch machte ihn die Aussage des Arztes gleichzeitig Sorgen.
„Sie sagten, das Allergen befand sich im Fruchtsirup?“
„Ja, der Sirup, der sich in einem der Drinks befand. Was ist das für ein Getränk? Der Computer hat keine handelsübliche Marke in den Datenbanken gefunden.“
Oh. Ja. Der Drink.
„Der Computer kann nichts finden, da es sich bei ihm um keine Handelsmarke handelt. Ich habe das Rezept vor ein paar Monaten bei einer meiner Exkursionen entdeckt, die Zutaten zusammengestellt und meine Studenten verkosten lassen. Experimentelle Archäologie, Sie verstehen?“
„Und außer Frau Kilian hat bisher niemand einen Atemstillstand erlitten?“, fragte Dr. Ugk. „Ich frage das, weil viele Lebewesen auf diese spezielle Chemikalie empfindlich reagieren.“
„Meines Wissens nicht“, sagte Ioness.
„Das freut mich zu hören“, sagte der Duros. „Trotzdem sollten Sie von experimenteller Archäologie dieser Art künftig Abstand nehmen, sonst muss ich diesen Vorfall den Behörden melden …“

Ich erwachte in einem Krankenhausbett, umgeben von Apparaten, Bildschirmen und Computern.
„Wo bin ich?“, krächzte ich, sobald ich in der Lage war, mich zu artikulieren.
„Sie sind im Universitätskrankenhaus Bbuburru City“, erklärte der junge Duros, der meinen Aufwachprozess überwachte.
„Ihr Kollege hat Sie hergebracht, weil Sie einen Atemstillstand erlitten haben.“
Mein Kollege? Er meinte sicher Professor Ioness.
„Atemstillstand?“, fragte ich irritiert.
Das letzte, woran ich mich erinnern konnte, war eine intensive Halluzination …
„Ja“, antwortete er. „Wenn Sie noch Fragen haben, wird Dr. Ugk Ihnen nachher im Entlassungsgespräch alles erklären.“

Trilla Suduri hatte den Auftrag Lord Vaders nur ungern angenommen. Eine Aufspürmission – das war weit unter ihrer Würde.
Andererseits war der dunkle Lord ihr Oberkommandierender und sie fürchtete ihn nicht grundlos.
Vader hasste die Inquisitoren und hatte jeden einzelnen von ihnen verstümmelt oder anderweitig dauerhaft gezeichnet. Dazu kam, dass sie nicht im Mindesten verstand, was hier vor sich ging.
Die Sicherheitsbehörden auf Loronar hatten die Zielperson, eine „Rosalinda Kilian“, inhaftiert, Vader hatte ihre Freilassung veranlasst und jetzt sollte sie diese Kilian aufspüren und nach Coruscant bringen – warum?
Die Beamten auf Loronar hatten nicht weiter verfolgt, wohin Kilian sich nach ihrer Freilassung gewandt hatte, aber die Aufzeichnungen der Überwachungskameras bewiesen, dass sie den Raumhafen in Begleitung einer Person verlassen hatte, die als „Professor Ioness“ identifiziert wurde, der wiederum einen Flugplan nach Duro eingereicht hatte.
Jeder halbwegs intelligente Beamte hätte diese Person aufspüren können …

„Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen“, sagte Dr. Ugk. „Diese Substanz ist ausschließlich in Roibenbeeren enthalten und die haben nirgendwo eine Zulassung, weil viele Lebewesen allergische Reaktionen auf ihren Genuss zeigen. Ich habe Professor Ioness bereits darauf hingewiesen, dass er künftig bitte auf solche Experimente verzichten möge.“
„Wo ist der Professor eigentlich?“, fragte ich.
„Professor Ioness sagte, dass er noch Vorbereitungen für einen Vortrag treffen muss, den er heute Abend halten wird.“
Nun, er war ja nicht aus der Welt und ich würde ihn spätestens an der Universität von Coruscant wiedersehen …

Ich packte meine Sachen und unterschrieb die Entlassungspapiere.
Auf dem Weg zum Ausgang begegnete mir eine dunkelhäutige Frau mit halblangen, glatten schwarzen Haaren und einer Uniform, die meiner Adjutantenuniform ähnelte.
„Scheiße“, dachte ich, als ich das Lichtschwert an ihrem Gürtel entdeckte.
Ein Inquisitor hatte mir gerade noch gefehlt …
Gleichzeitig beglückwünschte ich mich zu der Entscheidung, diesmal die Codezylinder sichtbar zu tragen, denn die meisten Leute scheuten sich, jemanden mit vier Codezylindern an der Uniform anzusprechen. Außerdem trug ich die Kappe und hatte sie tief ins Gesicht gezogen.
Ich stolzierte an ihr vorbei und grüßte dabei nachlässig, wie ich es bereits mehrfach von hohen Offizieren gegenüber niedrigeren Rängen beobachtet hatte.
Sie grüßte herablassend zurück und sobald ich außer Sichtweite war, verließ ich das Behandlungszentrum eilig durch einen Nebenausgang, rief einen der wartenden Mietspeeder heran und ließ mich unverzüglich zum Raumhafen bringen.

Am Raumhafen suchte ich nach einer Mitfluggelegenheit in Richtung Coruscant, hatte aber wieder kein Glück: die meisten freien Frachterpiloten verdingten sich auch hier für die großen Reedereien und flogen ausschließlich innerhalb des Systems.
Vader hatte mir erst seine Adjutanten hinterhergeschickt und jetzt sogar einen Inquisitor.
Ab wann war mein Bemühen, rechtzeitig nach Coruscant zu gelangen, zu einem Wettstreit zwischen uns geworden?
„Sie schon wieder?“, hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir, die mir irgendwie bekannt vorkam.
Ich drehte mich um.
„Taras Bal“, sagte ich und starrte ihn finster an.
„Sie wollten nach Imperial City, nicht wahr? Ich habe eilige Fracht für Coruscant und könnte Sie mitnehmen. Als Wiedergutmachung?“
Der Kerl hatte mich mit einer Prostituierten verwechselt, die er sich aufs Schiff bestellt hatte und war im weitesten Sinne für meine Verhaftung sowie die aufmerksam-liebevolle Behandlung durch die Sicherheitskräfte verantwortlich.
„Nein, danke“, sagte ich.
Das kam gar nicht in Frage.
Allerdings begann ich jetzt etwas in Betracht zu ziehen, das ich bisher aus gutem Grund gemieden hatte …

Der Geldverleiher war ein seriös wirkender älterer Herr (der allerdings keinerlei Skrupel haben würde, geplatzte Kreditverträge an die Schwarze Sonne zu verkaufen, die über die geeigneten Mittel verfügte, das Geld einzutreiben), war allerdings gerade mit jemandem im Gespräch, so dass ich warten musste.
Sollte ich das wirklich machen?
Kreditzinsen waren hier schon bei regulären Banken hoch, Geldverleiher hingegen verlangten meist einen Zinssatz von um die fünfzig Prozent.
Und Zinseszins.
Während ich wartete, sah ich mir das Werbe-HoloVid einer Band an, die sich „Desaster Area“ nannte und deren Mitglieder in metallenen Versatzstücken antiker Rüstungen über die Bühne stampften, dabei mit ihren Instrumenten schrille Geräusche erzeugten, während der Frontmann kreischende Laute von sich gab.
„Interessieren Sie sich für diese Art Musik?“, fragte plötzlich jemand neben mir.
Der Frager war freundlich und sympathisch wirkender Mann, vielleicht in den Dreißigern, der aber trotzdem noch ein wenig Babyspeck mit sich herumtrug.
„Eigentlich nicht“, sagte ich. „Ich habe gerade überlegt, ob ich mir bei dem Kredithai da drüben etwas leihe, um noch rechtzeitig nach Coruscant zu gelangen.“
„Ihre Angelegenheiten sind so dringlich?“, fragte er.
„Wie man es nimmt. Eine Freundin und ich haben Karten für ein Konzert im Galaktischen Opernhaus ergattert, aber ich glaube, das werde ich nicht mehr schaffen bis heute Abend.“
So knapp.
Als hätte sich alles gegen mich verschworen …

PER ANHALTER DURCH DAS IMPERIUM:
“Das darf doch nicht wahr sein …”


Vader sah ungnädig auf das Hologramm Trilla Suduris herab.
„Lassen Sie mich raten“, knirschte er. „Die Zielperson ist Ihnen entkommen.“
„Nein, Sir“, widersprach sie vehement. „Die Zielperson war nicht mehr im Behandlungszentrum auffindbar. Eine Befragung des Personals ergab, dass man sie bereits entlassen hatte. Anschließend habe ich unverzüglich den Raumhafen aufgesucht, um dort meine Suche fortzusetzen.“
„Wo sie Ihnen entkommen ist, weil Sie Zeit für das Behandlungszentrum aufgewendet haben“, entgegnete der dunkle Lord. „Ich werde mich demnächst wohl in das Hauptquartier der Inquisition begeben müssen. Zur Nachschulung.“
Suduri begann zu schwitzen.
„Ich habe Kilian gesehen“, sagte sie, verzweifelt darum bemüht, ihren finsteren Herren zufriedenzustellen.
Und darum, ihn daran zu hindern, zur Nachschulung, wie er es ausgedrückt hatte, in das Hauptquartier der Inquisition zu kommen. Dass Lord Vader die Inquisitoren hasste war Suduri schmerzlich bewusst …
„Sie war in Begleitung von Trias und ging zusammen mit ihm an Bord seiner Yacht.“
Vader hielt inne. Das war doch nicht zu fassen! Die Macht verhöhnte ihn …

„Der Besitzer dieser Yacht interessiert sich für Musik oder ist selbst Musiker“, vermutete ich, als der freundliche, nicht mehr ganz junge Mann, der sich mir als „Dan“ vorgestellt hatte, die Besichtigung der Yacht beendete.
Sein Angebot, mich nach Coruscant mitzunehmen, hatte ich nur zu gerne angenommen. Jetzt nahm er diese Spekulationen unkommentiert, aber freundlich lächelnd hin.
„Sie haben einen ungewöhnlichen Akzent“, sagte er. „Aus welchem System stammen Sie, wenn ich fragen darf?“
„Sie dürfen nicht“, entgegnete ich.
„Tut mir leid“, fügte ich an, als er mich enttäuscht anblickte.
Meine Herkunft unterlag der militärischen Geheimhaltung und Vader hatte sich damals ganz klar ausgedrückt: Niemals durfte die Öffentlichkeit von den Experimenten erfahren, die dazu geführt hatten, dass sich zwei Universen berührt hatten …

„Captain Wermis“, sagte Vader. „Wie ist unsere Ankunftszeit in Coruscant?“
„Planmäßig, Sir.“
Wer sich häufiger in Vaders Gegenwart aufhielt lernte schnell, seine Körpersprache zu deuten.
Was dazu führte, dass Wermis seine Aussage hastig präzisierte.
„Eine Stunde, zweiundzwanzig Minuten, Sir.“

Dan überwand seine Enttäuschung schnell.
„Aber mit mir musizieren dürfen Sie?“, fragte er hoffnungsvoll.
Vermutlich durfte ich das. Maximal würde er herausfinden, dass sich sowohl die Lieder, die ich vortragen konnte, als auch die Sprache, in der sie verfasst waren, in diesem Universum bisher völlig unbekannt waren.
Ob er daraus aber die richtigen Schlüsse zog?
Wohl kaum. Es gab in dieser Galaxis tausende Welten, die niemand kannte oder die auch nur kartographiert waren.
„Ich spiele leider kein Instrument“, behauptete ich. Das bisschen Flöte und Gitarre, das ich während der Grundschulzeit erlernt hatte, zählte nicht wirklich, „spielen können“ war was anderes.
„Aber Sie können doch gewiss ein paar Lieder vortragen?“, fragte er.
Ich zögerte.
Natürlich konnte ich ihm ein paar Lieder vortragen.
Mit mehr Begeisterung als Können.
„Es würde mich aufrichtig freuen, wenn Sie mir die Ehre erweisen und mit mir gemeinsam musizieren würden.“
Wenn es ihn glücklich machte … Ich begleitete ihn in das voll eingerichtete Musikstudio, dass er an Bord hatte und wir sangen. Erst gemeinsam zum Aufwärmen, anschließend trug ich ihm ein paar Schlager vor, die ich (fast) auswendig konnte: „Griechischer Wein“, „Nur geträumt“, „Atemlos durch die Nacht“, „Die Hände zum Himmel …“
Dan schien mit diesem eher schlichten Liedgut zwar seinen Spaß zu haben, auf meinem Smartphone wären weitaus mehr und anspruchsvollere Musikstücke zu finden gewesen.
Leider hatte Vader es konfisziert, als ich auf Habassa damit etwas fotografiert hatte, das es eigentlich nicht geben konnte …

Am späten Nachmittag servierte das Personal ein leichtes Mahl (und das war nichts, das man kurz mal in den Erhitzer stellte), Dan schien keinerlei Berührungsängste zu haben und speiste zusammen mit mir, dem Personal und der Crew.
Hier fielen mir erstmals die vier durchtrainierten Männer auf, die ebenso gut Bodyguards hätten sein können.
Auch wenn dieser Dan Geld wie Heu haben mochte: vier Leibwächter an Bord seiner eigenen Yacht waren auf jeden Fall übertrieben …

„Wir haben Coruscant soeben erreicht“, meldete der Captain.
Ich sah auf den Chronometer und stöhnte auf.
„Was haben Sie?“, fragte Dan. „Ist alles in Ordnung?“
Ich winkte ab.
„Es geht mir gut. Aber ich bin zu spät. Das Konzert, zu dem ich wollte, findet bereits in zwei Stunden statt und das werde ich nicht mehr rechtzeitig schafften.“
Es wurde Zeit, Jen zu informieren, dass ich nicht kommen würde – die Wartezeit, um landen zu dürfen, das Einreiseprozedere, der Weg vom Yachthafen irgendwo auf Coruscant zum Galaktischen Opernhaus und dann hatte ich mich noch nicht einmal umgezogen und für den Konzertbesuch aufgetakelt …
„Aber machen Sie sich doch keine Gedanken“, sagte Dan. „Selbst wenn wir ein paar Minuten zu spät kommen – ohne mich werden sie gewiss nicht anfangen.“
Der Groschen fiel erst mit Verzögerung:
„Sie sind Trias?!“
Jen als ausgemachter Fan seiner Person hätte ihn vielleicht auch ohne sein Bühnenoutfit sofort erkannt …

Trias‘ Musik bewegte sich in einem Spektrum, das man auf meiner Heimatwelt irgendwo zwischen Folk und Pop eingeordnet hätte, Abendgarderobe wäre hier overdressed.
Aber Jen und ich hatten uns extra für das Konzert bunte Kleidchen mit Blumenmuster besorgt, die so gut zu der fröhlich-leichten Musik Trias‘ gepasst hätten.
Egal, der Businessanzug ging auch …
Trias Yacht gelangte ohne weitere Verzögerung auf die Oberfläche und ein bereitstehender Speeder brachte uns zum Galaktischen Opernhaus.
Wir betraten die Oper durch den Bühneneingang, ich bat Trias um (und bekam) eine Autogrammkarte mit persönlicher Widmung für Jen, dann verabschiedeten wir uns und ein Bediensteter führte mich zum Foyer.
Das war aber noch nicht das Ende dieses in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Abends …

Das Galaktische Opernhaus war ein verschachtelter Bau. Es war nicht unmöglich, hier jemanden überraschend über den Weg zu laufen.
Aber Imperator Palpatine und zwei seiner rotgewandeten Leibwachen plötzlich und unerwartet über den Weg zu Laufen, war schon eine andere Nummer.
Der Bedienstete und ich fielen vor ihm auf die Knie.
„Mein Imperator!“
Zuvor war mir jedoch noch die Ähnlichkeit mit Trias aufgefallen … Waren Trias und der Imperator etwa verwandt?!
Ich könnte nicht sagen, warum mich diese Vermutung so überraschte, war doch anzunehmen, dass auch Palpatine Angehörige haben musste (auch wenn das in der Öffentlichkeit nicht thematisiert wurde) …
Palpatine maß mich mit säuerlichen Blicken.
„Ja, Trias ist mein Sohn“, sagte er. „Finden Sie es etwa ungehörig, wenn ein Vater sein Kind besucht?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, mein Imperator.“
„Wenn die Dame und der Herr sich nun erheben und zur Seite treten würden, könnte ich weitergehen“, sagte er.
Ich und der Bedienstete beeilten uns, Palpatines Wünschen nachzukommen.
Der Imperator ging weiter.
Kaum war er an uns vorüber, schien ihm etwas einzufallen.
Er blieb stehen, wandte sich an den Bediensteten und machte eine nachdrückliche Bewegung mit der Hand.
„Vergessen Sie diese Begegnung.“

„Wie schön, dass du da bist“, plapperte Jen. „Ich habe schon befürchtet, dass du nicht mehr kommen würdest. Mulchie hat mir eine Nachricht geschickt, dass du die Devastator verlassen hast und per Anhalter gereist bist!“
„Das ist wahr“, sagte ich. „Du glaubst gar nicht, was ich alles erlebt habe. Übrigens – ich habe hier was für dich.“
Ich reichte Jen die Autogrammkarte, um die ich Trias gebeten hatte.
„Wo hast du die denn her? Und sogar noch mit persönlicher Widmung!“
„Das ist Teil meiner unglaublichen Abenteuer“, grinste ich. „Ich habe noch zwei Tage frei, da können wir uns treffen und ich erzähle dir alles.“
„Nein, nein“, entgegnete sie. „Mulchie hat sich für morgen und übermorgen angesagt, du kommst selbstverständlich zu uns zum Abendessen und dann kannst du uns alles berichten. Papa und Mulchies Eltern kommen auch.“
Die Devastator traf morgen ein? Gut, dass ich per Anhalter gereist war, sonst hätte ich das Konzert verpasst …

Der Imperator saß in seiner persönlichen Loge im Galaktischen Opernhaus und lauschte dem Konzert, welches sein Sohn gab.
Dass der Junge so gar nichts von ihm geerbt zu haben schien …
In stillen Momenten gab Palpatine vor sich selbst zu, dass Dan ein begnadeter Musiker war. Jemand, der seinen Weg schon in frühen Jahren gefunden hatte. Aber irgendwie war es schon enttäuschend, dass mit Dan darüber hinaus kein Staat zu machen war …
Palpatine spürte Vaders Anwesenheit lange, bevor er das Geräusch der Atemmaske hörte.
„Lord Vader“, sagte er und wies auf einen freien Sitz neben sich. „Konntet Ihr Euren Auftrag auf Mimban ausführen?“
„Ja, Herr“, sagte Vader.
„Gut“, entgegnete der Imperator.
Beide, der Herr über die Galaxis und sein finsterer Vollstrecker, schwiegen.
„Kilian ist hier“, sagte Palpatine nach einer längeren Pause.
Vader wandte den Kopf.
„Das ist mir bekannt.“
„Ihr solltet besser auf das achten, was Ihr als das Eure betrachtet. Ihr ihre Eigenmächtigkeiten nicht durchgehen lassen.“
„Ihre Eigenmächtigkeiten haben uns eine eklatante Sicherheitslücke aufgezeigt“, entgegnete Vader.
„Frachterpiloten werden künftig keine Anhalter mehr mitnehmen können, ohne das den Behörden anzuzeigen. Ich habe bereits die entsprechenden Anweisungen herausgegeben.“

„Ein tolles Konzert“, schwärmte Jen.
Das war wahr. Trias‘ war ein so begnadeter Musiker …
Wir standen vor dem Galaktischen Opernhaus und warteten auf die Taxen, die wir uns bestellt hatten.
„Ich beneide dich“, fuhr Jen fort. „Wie gern hätte ich Trias persönlich kennengelernt!“
Ich grinste.
„Was ist mit Mulchie?“, fragte ich.
„Trias ist ein Traum. Mulchie ist die Realität“, sagte Jen.
Vernünftige Einstellung.
Ein Taxi näherte sich und hielt vor Jen.
„Wir sehen uns morgen Abend?“, vergewisserte sie sich.
„Auf jeden Fall“, entgegnete ich.
Jen stieg ein und ich sah dem Fahrzeug nach, welches sich schnell entfernte und sie sicher nach Hause bringen würde.
Der Platz vor dem Galaktischen Opernhaus leerte sich langsam. Hoffentlich kam mein Taxi bald …
Plötzlich umfingen mich starke Arme und hoben mich hoch, so dass ich erschrocken quietschte.
„Vader!“, protestierte ich.
Wie schaffte er es nur, sich immer so anzuschleichen?
„Ich dachte, Ihr kommt erst morgen?“
„Nein“, sagte Vader, „wir sind bereits vor ein paar Stunden eingetroffen.“
„Schon vor ein paar Stunden?! Aber Jen sagte, dass Mul…, äh, Captain Wermis erst morgen kommen wird!“
„Captain Wermis hat noch an Bord zu tun“, sagte Vader.
Das durfte doch nicht wahr sein! Ich hätte bequem an Bord der Devastator bleiben können und wäre trotzdem noch rechtzeitig zum Konzert eingetroffen, hätte mir die ganze nervenaufreibende und streckenweise gefährliche Reise per Anhalter nach Coruscant sparen können …
„Ja, das hättet Ihr“, sagte Vader.
Er las schon wieder meine Gedanken …
„Ich kann nichts dafür, dass Ihr so laut denkt“, entgegnete er.
„Wo tragt Ihr mich hin?“, fragte ich.
„Zu meinem Speeder. Dann fahren wir zu mir. Ich möchte heute Nacht noch etwas von meiner Lieblingsfrau haben, nachdem ich Euch so lange entbehren musste …“

Leseempfehlung:

“Per Anhalter nach Coruscant” von Frostschimmer.

Hier begibt sich Director Krennic auf den Weg nach Coruscant und Frostschimmer lässt ihn mehr als nur ein wenig leiden …

Storyfortsetzung von Göttrik

Julius von Voß

INI“ – Ein Roman aus dem 21. Jahrhundert

erschienen im Original im Jahre 1810

Übertragen und Korrekturgelesen von Göttrik

Viertes Büchlein: Reise außerhalb Europas

Nun wurde der Vertrag geschlossen, und das künstliche Eiland bezogen. Niemand bat um günstigen Wind. Als die Ladung aufgenommen war, lichtete man die Anker, legte die Triere vor, befreite das Eiland vom Grunde, und fuhr unter dem jubelnden Nachruf der Menge ab. Nach wenigen Stunden sahen unsere Reisenden die hohe blaue Felsenküste von Portugal nicht mehr.

Guido war entzückt.

Freilich raubte die kalte Jahreszeit der Reise manches Angenehme. Im Sommer wäre sie viel reizender ausgefallen. Aber so lebte man bereits in der Mitte des Novembers, in Lissabon freilich nicht unbehaglich empfunden, doch desto mehr, als man in den nördlicheren Gewässern anlangte. Da gewährten die entlaubten bereiften Bäume und das falbe, mit dürren Blättern bestreute Gras auf der Insel, eben keinen freudigen Anblick mehr, auch war sie binnen kurzem ganz mit Schnee bedeckt. Der Inhaber hatte indessen auf das Vergnügen seiner Passagiere geachtet, mehrere lebendige Hasen, Füchse, Kaninchen verborgen, von denen er jetzt welche heraus ließ, damit man sie jagen könne. Einige der Reisenden belustigte das weidlich, doch Guido nicht, wohltätige Schonung gegen Tiere lag in seiner Lebensart. Er blieb meistens bei Gelino im Zimmer, mit Wissenschaften die Zeit verkürzend.

Auf der hohen See wüteten einige Stürme, die Balken der Gebäude krachten, die Wellen spülten ihren weißen Schaum über die Ufer. „Seid unbesorgt“, rief der Pilot: „Es hindert unsere Fahrt nicht!“ In der Tat war es auch so.

Die Walfische schwammen dann tiefer, als die Wogen vom Sturm bewegt wurden, so wenig ein Boot am Kräuseln eines Baches leidet, wurde auch das Eiland vom hohlen Gewühl des Atlantus verletzt. Haus und Speicher widerstanden.

Mit großen Reusen fingen die Knechte täglich kleinere Seefische in großer Menge, welche sie in einer Art von Futterbeuteln, von eines Zeltes Größe, den Walfischen gaben. Diese zehrten dann, ihren Lauf nicht unterbrechend, die künstliche Insel. Zeigten sie sich einmal widerspenstig, wollten eine andere Richtung nehmen, als der an großen, mit Winden versehenen Pfählen hängende, Zügel vorschrieb, neckten einander beißend, oder wollten, dem Instinkt folgend, der Fischjagd obliegen, strafte man sie durch zackige Mastbäume deren Streiche ein Hebel auf sie fallen ließ. Die bändigenden Eisenstangen in ihren Rachen wogen mehrere Zentner, und ließen ihnen, scharf durch die Maschinen angezogen, die Lust des Ungehorsams bald vergehen.

Nur vierzehn Tage währte die Fahrt, dann lag man auf der Reede von Philadelphia. Sie war schon mit Eis überdeckt, aber das Eiland brach sich sowohl Bahn, als die Walfische unter dem Rande dahingleitend, ihn leicht hinweg bröckelten. Dennoch fuhren die Reisenden auf Eisschlitten zur Stadt, frohlockten über das Vollbrachte und wurden mit freudigem Gruß bewillkommnet.

Gelino war froh, diese Reise überstanden zu haben. Sie hatte ihn mehr geängstigt, als er sich anmerken ließ.

*

Die Stadt Philadelphia hatte einen großen Umfang und viele Schönheiten der Baukunst aufzuweisen. An Reichtum und Vergnügungen gab sie keiner Stadt in Europa von ähnlicher Größe etwas nach, übertraf sie sogar. Denn die Kultur in Nordamerika hatte eine Stufe erreicht, welche den Vorrang der europäischen streitig machte. Dies konnte auch nicht anders sein, da diejenigen Mittel, welche einen raschen Gang der Bildung begründen können, den Einwohnern schon in sehr früher Zeit zu Gebote standen. Die ganze Halbinsel von der Honduras-Bai, bis weit hinter der Beringstraße und Kap Lisburne hinauf, wie an der östlichen Seite hinter der Baffin Bay, Grönland noch eingeschlossen, war nach einem schon frühen glücklichen Kriege, zu einem glücklichen Staat vereint, dessen viele weitläufige Lande, jedes seine demokratische Regierungsform hatte, und wieder durch einen, dem europäischen ähnlichen Föderalismus, sich zur vollkommenen Gesamtkraft verbanden. Man war auch durch die Vorteile einer bequemeren Weltverbindung bewogen worden, die neue europäische Sprache einzuführen.

Von der Hauptstadt Washington sprach alles, wie von einem Theben oder Babylon, die Ufer der Ströme Lorenz, Niagara, Ohio, Mississippi, u. s. w. waren mit neuen Wohnplätzen übersät. Mexiko, Louisiana, Florida waren irdische Paradiese, nördlicher konnte man den Zustand der Dinge mit jenem in Spanien, Frankreich oder Britannien vergleichen. An der Hudson Bay erblickte man die Landeinrichtungen von Polen oder Moskau wieder. Im Junern des Landes waren die wichtigsten neuen Entdeckungen gemacht worden, der Unterschied zwischen Nadovessiern, Huronen oder Überkömmlingen aus der alten Welt schwand immer mehr, da diese Voölker durch Heiraten sich verschmolzen und ihre Sitten ausgeglichen hatten, doch war dies vielleicht auch der Grund, weshalb die Nordamerikaner, in der Mehrzahl, an Schönheit den Europäern nachstanden.

Guido und sein Lehrer schoben es aber bis zum künftigen Frühling auf, das Land zu durchwandern. Es sollte zudem sehr flüchtig geschehen, dann wollten sie nach Südamerika, jetzt ebenfalls ein eigenes Reich, dann nach Ulimaroa, dies war ein Name, den der schwedische Geograf und Kartograf Daniel Djurberg 1776 dem Inselkontinent Neuholland gab. Er adaptierte den Namen von Olhemaroa, einem Wort der Ureinwohner, das er in einer Ausgabe der Zeitschrift Hawkesworth mit einem Bericht von den Reisen des Captains James Cook gefunden hatte. Danach sollte es zu den ostindischen Eilanden und China gehen. Auch einen Besuch am indischen Kaiserhofe zu Kalkutta gedachten sie abzustatten, und dann, über Persien die Reise um den Erdball zu vollenden. Afrika sollte ausgeschlossen bleiben, weil schwere politische Missverständnisse, schon einige Zeit zwischen den Höfen von Neu Karthago und Rom obwaltend, eine bedenklichere Ansicht gewannen.

Für die Gegenwart fassten sie den Entschluss, einer Reise zum Nordpol beizuwohnen, wovon einst schon in St. Petersburg die Rede gewesen war. Sie fanden mehrere Gefährten, die sich eben in Philadelphia dazu bereit erklärten. Niemand sparte an den nötigen Summen, und so trat man den Weg bald an.

Über das alte Land der Eskimos flog die Gesellschaft in Luftfahrzeugen dahin, ließ die Hudson Straße unter sich liegen. Weiterhin war die Kälte in der hohen Region zu empfinden. Man stieg nieder und bediente sich der Schlitten mit Rentieren. Sie fanden bis über Jones-Sund hinaus noch Anbau, freilich nur in zerstreuten Hütten von Einwohnern, die im Sommer sich vom Fang der Meeresfische und im Winter von jenem der Robben, Seekühe und Amphibien nährten. Einen Beweis, dass der Mensch nach und nach den Willen aller Tiere beherrschen könne, fanden sie hier dadurch abgelegt, dass die Wölfe gezähmt und angelehrt waren, den Dienst der Hunde bei den Wohnungen zu versehen. Auf den Jagden bediente man sich ihrer allerdings mit noch größerem Vorteil. Und die Eisbären, in so furchtbarer Gestalt, und einer Wildheit, von der Niemand sonst sich würde haben träumen lassen, sie sei je zu bändigen, fand man in Ställen, um mit ihnen dort zu reisen, wo selbst das Rentier oft erfror, nämlich jenseits des achtzigsten Grades nördlicher Breite.

Die Einwohner, die man wegen ihrer unglaublichen Abhärtung ehern hätte nennen mögen, ritten auf diesen gesattelten Eisbären und legten artige Strecken zurück, wer aber aus milderen Himmelsrichtungen kam, fürchtete, sie nicht lenken zu können, oder auch die zu strenge Kälte im Freien, ließ sie vor die Schlitten legen.

Fast gegen den zweiundachtzigsten Breitengrad gab es noch ein Dörfchen, bewohnt von Verwiesenen aus Nordamerika. Ihre Häuser waren auf hohe Säulen gebaut, an welche Treppen hinauf gingen, um nicht von der, wohl an fünfzig Schuh Höhe reichenden, Verschneiung überdeckt zu werden. Man sah bei dem allen hier Wohlsand, durch den Handel mit Kristall vom Pol, der schon bei den Nordländern jener Hemisphäre zur Sprache kam, erzeugt, daneben durch den Gewinn, welchen sie von neugierigen Reisenden, welche alljährlich ankamen, zogen.

Man hielt alles für diese bereit, was ihnen zu Vollbringung ihres Vorhabens nötig war. Die Schlitten, mit Teppichen aus dichtem Pelzwerke überall versehn, mit Fenstern aus sehr dickem Kristall, mit kleinen Öfen, deren Züge an den Wänden umher geleitet waren, und die vermöge ihrer guten Einrichtung nur eines geringen Feuermaterials aus Papier bedurften, ließen die entsetzliche Kälte vergessen. Der Schnee hatte eine gefrorene Decke, über welche sie dahingleiteten.

Meer oder Land waren vollkommen gleich. Einem Schlitten, den etwa vier Wanderer einnahmen, folgte ein zweiter mit Lebensnotwendigkeiten für die ganze Dauer der Reise. Sie bestanden aus Suppentafeln, Gallerten, Austern, Fischrogen und anderen Dingen, die viele Nährkräfte in kleinem Umfang verhießen. Doch nahm man auch Früchte in Spiritus, sogar einiges lebendiges Geflügel mit. Zudem vortreffliche gebrannte Wasser und Weinessenzen. Ein dritter Schlitten enthielt Feuerungsstoffe, da über diese Linie weg, weder Holz noch Gesträuch sichtbar wurden. Ein vierter Nahrung für die Eisbären.

Zwei Grad legte man bei dem geschwinden Lauf der Tiere in vier und zwanzig Stunden zurück, wobei man ihnen achte zur Ruhe gönnte, sie fütterte und ein Pelzzelt über sie aufschlug. Auch vergaß man nicht einen kleinen Ofen hineinzubringen. Sonst hatte die Natur für sie durch die eigne zottige Haut gesorgt.

Aus Hundert Schlitten bestand etwa die Karawane. Es versteht sich, dass die Reisenden schon lange keinen Tag mehr sahen. Doch Schnee, Mondschein, Nordlichter oder Laternen machten, dass man die dauernde Nacht keineswegs als hinderlich empfand, ja von diesem fremdartigen Schauspiele vieles Wohlbehagen der Neuheit genoss.

Magnetnadel und Gestirn deuteten den Weg.

Unfälle störten nicht. Acht Tage noch, seit jenem Dörfchen der Verwiesenen, und der Polarstern schwebte über Guidos Zenit.

Welche Empfindung, auf dem Achspunkte des Erdballs zu stehen, wo der gleichmäßige Sternentanz uns umkreist, und der Vollmond (der unsern Wanderern eben schien) nicht untergeht! Welche Fülle neu angeregter Ideen! Guido umfing den Lehrer mit flammenden Dank, dass er ihm diese Entzückung bereitet habe. Der Alte aber, wenn gleich vielfach in Kleidung, von sibirischen Mäusen, Eidervögeln und Zobeln gehüllt, auch das Antlitz mit einer guten Larve versehen, konnte sich nicht lange aus dem Schlitten entfernen, wogegen der muntere Guido Stundenlang umherschweifte, bis die Erstarrung ihn mahnte, an den Ofen zu fliehen.

Die Reisegesellschaft fand jedoch noch andere Pilger vor, die aus Grönland und Samojeden dem nämlichen Ziele zugeeilt waren. Wechselseitige Unterstützung linderte die Beschwerden, gab den Untersuchungen mancher Art, welche die Naturkundigen — dies waren sie meistens — anstellten, erhöhtes Leben.

Einer darunter hatte eine eiserne Bildsäule Newtons mitgebracht, sie hier aufzustellen. Alle zollten dem Einfall gerechtes Lob. Wohl, riefen sie, gebührt dem Manne gerade hier ein Denkmal, der schon vor vierhundert Jahren der Menschheit die Gestalt dieser Abdachung zu verkündigen wusste.

Doch das Kristallgebirge am Pol ahnte Newton noch nicht. Die zackigen Spitzen erhoben sich aus dem Schnee, wunderbar funkelnd im Strahl des Mondes, oder vom rötlichen Nordlichte erhellt.

Viel Pracht der Menschen, viel hoher Schönheitszauber, der gerne lieblich oder erhaben gestaltenden Natur, war an Guidos Blicken vorübergegangen, allein diese diamantenen Kolosse auf dem unübersehbaren, ebnen, reinen, weißen Teppich, galten ihm dennoch wieder das nie Geschaute, nie Bewunderte.

Sie umringten zuletzt einen tiefen Krater in ihrer Mitte. Es schien ein Vulkan, die Lava am Rande ließ es vermuten. Wichtiger stellte sich ein dichter grauer Nebel dar, aus der Tiefe steigend, und hoch in der Luft nach allen Seiten zerfließend. An diesem Dampf und seiner Vermengung mit dem ganzen Luftkreis der Sphäroide hing die lebendige Sympathie des Magneten, deren Geheimnis aber nicht in diesem Traum der Zukunft aufgedeckt werden kann, um nicht Entdeckern der Wirklichkeit vorzugreifen.

Die Neigung der Nadel hatte mit den inneren Bewegungen des magnetischen Vulkans, die auf das größere oder geringere Sinken der Dampfsäule wirkten, Verwandtschaft. Die Naturkundigen meinten, ein Herabsteigen in den rätselhaften Krater werde noch einst viel wesentlichere Aufschlüsse geben, endlich wohl gar die Anziehungskraft der Erde erklären lehren.

Während die Versammlung mit Instrumenten mancher Art forschte, die Beobachtungen in Schriften niederschrieb, mit älteren verglich, sich neuer Ausbeute freute, (worüber eine Zeit der halbjährigen Nacht dahin floh, die nach dem gewöhnlichen Maß, vierzehn Tage enthält) waren die Männer welche die Schlitten führten, beschäftigt, Kristallblöcke zu brechen, und auf die, zum Behufe dieses Handels, noch mitgenommenen unbeladenen Schlitten, zu laden. Sie hatten diesmal vorzüglich geeignete Werkzeuge mitgebracht und bemächtigten sich auch mancher Stücke von schöner Seltenheit. Guido nahm eins darunter, von ansehnlicher Höhe und Klarheit in Beschlag, er wollte es für Ini kaufen und ihr Standbild daraus fertigen lassen. Er meinte, da dieser Kristall das Gold bei weitem an Glanz überträfe, und dem Diamanten, er möge natürlich oder kunstverfertigt sein, gar wenigen Vorzug ließ, so müsste dies das herrlichste Standbild auf dem ganzen Erdball werden. Und seine Liebe setzte hinzu: „Wie sehr verdient die erste Schönheit auch die gediegenste Verewigung!“

Doch ein furchtbar schauderhaftes Missgeschick brach über Guido herein. Dort so hinaus gewagt aus dem Kreis der Menschen, fand der Pilger auch einen mächtigeren, schwerer zu bekämpfenden Zufall.

Die Reisenden aus anderen Gegenden hatten sich schon entfernt, Guidos Karawane machte sich fertig, den Rückweg. Da will der alte Gelino, dem die Umgebung des Pols ziemlich fremd blieb, weil er sich kaum aus dem erwärmten Schlitten wagte, doch die Glanzkuppen auch noch ein wenig besehen. Sein Zögling schweifte umher; er tritt allein, wohlverwahrt, in das Freie, geht weiter. Durch die Verschiedenheit der Wirkungen ergötzt, will er ohne Zweifel andere Stellungen betrachten, dringt mehr vor, verirrt sich zuletzt in dem Labyrinth. Er wählt eine falsche Richtung, wieder zu den Seinen zu gelangen, wo man unglücklicher Weise seine Abwesenheit spät bemerkt.

Nach einigen Stunden kommt Guido, dessen kräftige Natur sich schon gewöhnt hatte, lange im Freien auszuharren; eben will man abfahren, die Bären sind angespannt. Er findet den Alten nicht, ruft, sucht in der Nähe. Umsonst! Bange um ihn, dringt er weiter und weiter, es koste was es wolle, den Greis aus zu spähen.

Darüber entfliehen Stunden. Die Reisegesellschaft sucht nun beide, doch mit Vorsicht, und den Kompass zur Hand. Gelino wird bald gefunden, doch — starr am kalten Boden. Man bringt ihn zu den Schlitten, erwärmt ihn, wendet Rettungsmittel an. Sie fruchten nicht. Der Greis ist dahin, erlag dem Angriff tödlicher Kälte.

Die Erschrockenen beben nun für den Jüngling, denn so lange schon ist er von der Wärme fern, hat auf Rufen und Zeichen sich nicht gestellt. Ein hohes Feuer lassen sie empor lodern, Schüsse sollen dem Verirrten seinen Weg deuten, seine Diener schweifen weit umher, Guido wird nicht gefunden. Schließlich kann niemand mehr an sein Leben glauben, die Sorge um die eigene Rettung mahnt, abzufahren, denn die Lebensvorräte sind berechnet. Man lässt jedoch, auf den undenkbaren Fall, einen kleinen Schlitten zurück, den Bären davor, Speise, Getränke und Feuerung. Den mag er nehmen und nacheilen, wenn er ja wiederkehrt; keiner der Knechte entschließt sich, zu verweilen.

Guido hat unterdessen auch fruchtlos den Rückweg gesucht, seine Angst um den Alten ihn zu weit in die Entfernung getrieben. Die Schüsse hat er nicht mehr vernommen, kein Feuer erblickt. Endlich, nach vielen bangen Stunden, fast verzweifelt in Gram, das Haar emporgesträubt durch die eigne Not, da er kaum noch ein Glied zu regen vermag, gelingt es ihm, auf den Polarstern blickend und durch schnellen Lauf sein Blut in Bewegung erhaltend, nach dem Platze zu kommen, wo die Karawane stand. Er sieht einen Schlitten, und atmet wieder Hoffnung. Ohne weiter um sich zu sehen, wirft er sich hinein, die wärmere Luft ist das dringendste. Vielleicht kam Gelino selbst, denkt er, und entschlummert auf die schwere Ermüdung plötzlich.

Beim Erwachen, das vermutlich spät erfolgt, ist die Betäubung, welche vorhin über ihn kam und seine Sinne abspannte, gewichen. Warm und regsam wieder, peinigt ihn auch die Angst um den Entbehrten desto mehr. Ob er zurückkehrte? Hinaus zu fragen!

Er meidet den Schlitten, wird aber keinen anderen finden. Keine Antwort auf sein Rufen. Was heißt das?

Wer nennt jedoch des Armen grausenden Schrecken, da er, kaum im Mondlicht lesbar, die Worte an den Schlitten geheftet fand: „Unglücklicher! lebst Du noch, so folge eilig. Der Bär ist der Schnellste, wird uns einholen. Notwendigkeiten ließen wir Dir. Feuer sollen von Zeit zu Zeit brennen, dass Du so weniger vom Pfade irrst.“

Guido wusste nicht, ob er träume. Ihm schauderte in der grässlichen Einsamkeit. Wo ist mein Lehrer? Nahmen sie ihn mit? Warum davon nichts? O Himmel! nein, der hätte mich nicht zurückgelassen! Und doch was soll ich tun? Ich muss nachfliegen!

Er blickte in die Richtung des Wegs. Eine Flamme winkte in der Ferne. Sein Kompass, wohl bezeichnet, lag im Schlitten. „Wohl an!“

Nun gedachte er die Zügel des Bären zu ergreifen. Entsetzen! grausames Entsetzen! Der Bär lag erfroren da!

Guido glaubte, eine Ohnmacht von vielen Stunden müsse diesem Augenblick gefolgt sein, denn als er wieder klar denken konnte, sah er von jener fernen Flamme nichts mehr.

*

Die Reise wird im fünften Büchlein fortgesetzt!

Storyfortsetzung von Senex

(Alle Bilder wurden mit ai.gock.net FLUX.1 AI Prompt Generator erstellt.)

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Februar 2084

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Tricky Secret

Nach langer, sehr, sehr langer Zeit fuhr der Hüter die Energiezufuhr für die höheren Gehirnfunktionen wieder hoch. Er aktivierte ein Programm zur Selbstdiagnose und begann mit einer umfassenden Situationsbewertung. Viele, zu viele Jahrtausende hatte er im nanotronischen Äquivalent zu Schlaf verbracht, nur die nötigsten Subroutinen waren aufrecht erhalten gewesen, vor allem die Ortung und Wartung betreffend. Die Bewahrer waren unermüdlich unterwegs gewesen, hatten kleine Defekte repariert und die Basis sauber gehalten, alle nötigen Arbeiten erledigt, und, wenn nötig, die Bronzen um den Kuppelteil gegen neue, exakte Kopien, ausgetauscht.

Es war, seit die Erbauer diese Welt wieder verlassen hatten, nicht oft vorgekommen, dass der Hüter geweckt wurde. Einige Male hatten Schiffe das System passiert, nur kurze Stopps, um danach wieder zu verschwinden. Einmal war ein Schiff gekommen, eine halbe Walze, und hatte den Planeten des Hüters angeflogen. Kurz vor der Landung war eine Flotte anderer Schiffe gekommen und hatte das eine in ein heftiges Gefecht verwickelt, das Schiff war unweit seines Standortes in den Grund des damals schon nicht mehr existierenden Ozeans gestürzt. Wieder begann das Warten, lange Zeit war es wieder still geworden um den roten Riesen. Einmal war ein Geschwader von 108 Raumschiffen, zumeist in Kugelform mit Ringwulst, am Rande des Systems erschienen, hatte einige Ortungen vorgenommen und war wieder verschwunden. Dann wieder Ruhe, bis eine kleine Kugel mit 600 Metern Durchmesser gekommen war. Diese hatte Kurs auf den jetzigen dreizehnten Planeten genommen, zwei winzige Flugkörper hatten die Kuppel überflogen und waren in Richtung Grabenbruch geflogen und in diesen eingedrungen. Dann kam ein kleiner Diskus aus der Kugel, welcher zuerst in den Graben flog und dann mit den kleinen Flugkörpern am Rand der Stadt landete. Vorsichtshalber weckte der Hüter die Beschützer, gab ihnen allerdings den Befehl, noch abzuwarten. Aber er fuhr einen weiteren Meiler hoch und schaltete die restlichen auf Bereitschaft.

Vier Wesen näherten sich der Kuppel, unter welcher der Hüter aufgebaut war. Alle waren den Erbauern vom Aussehen ähnlich, den Hüter ergriff so etwas wie freudige Erregung. Waren die Urenkel der Erbauer zurück gekehrt? Doch diese Urenkel schienen nicht die geringste Ahnung von seiner Existenz zu haben, der Hüter berechnete die Notwendigkeit weiterer Beobachtungen. Zwei der Wesen waren um die Kuppel geschritten, während das große Schiff landete, der Hüter zeichnete den Sprechverkehr auf. Je mehr Informationen er zur Verfügung hatte, desto besser war es. Ein Wesen hatte versucht, mit Ortungsgeräten einen Eingang in die Kuppel zu finden, es war dem Hüter nicht schwer gefallen, die Tarnung beizubehalten.

Es folgten Flüge in den Grabenbruch, sie bauten auch zuerst ein Lager nahe des Wracks, dann landete ein sechzig Meter durchmessendes Beiboot neben dem alten Schiff, um den Forschern die Bequemlichkeit zu bieten, die auch die Erbauer schon schätzten. Wäre der Hüter eine biologische Person gewesen, hätte er jetzt gelächelt. Pünktlich wie fast jeden Tag kam eine der Personen, die mit den Geräten hantierte und seine Geheimnisse ergründen wollte. Dieses Mal jedoch wurde sie begleitet. Der Hüter tastete ab, verglich die Daten mit seinen Speichern, wenn diese Wesen den Erbauern ähnlich waren, hatte er eine Frau und einen Mann vor sich. Hinter den Beiden blieben noch vier Personen in einigem Abstand abwartend stehen. Der Hüter machte sich bereit, die Testergebnisse wie immer zu verfälschen. Doch er musste umschalten, diese Handlung hatte er nicht im voraus berechnet.

Der Mann legte seine Hand auf die Brust, auf vielen Frequenzen empfing der Hüter das Wort

Chris!“. Dann wies die Frau mit der gleichen Geste auf sich und sagte: „Tana!“ Das Wesen Chris zeichnete die Konturen des Wesens Tana nach, die ihre Arme zur Seite gestreckt hatte. „Frau!“ Er streckte seine Arme zur Seite, Tana zeichnete seine Konturen nach. „Mann!“ Der Hüter beschloss, dass es an der Zeit war, eine Reaktion zu zeigen, dieses Verhalten war als deutliches Zeichen eines Wunsches nach friedlicher Kontaktaufnahme zu werten. Außerdem sprach eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie etwas oder jemand erwarteten, der sie bemerken und auf ihre Versuche antworten konnte. Also beschloss der Hüter, auf die Kommunikationsversuche einzugehen. Er projizierte auf seine Außenwand das Bild eines nackten Mannes aus dem arkonoiden Volk, betonte die äußeren Unterschiede im Körperbau. „Mann!“ Daneben das Bild einer Frau der zarten Spezies, ebenfalls mit farblich hervorgehobenen primären und sekundären Geschlechtsteilen. „Frau!“ Er hatte willkürlich eine der Frequenzen gewählt und vokalisierte die Worte. Die Wesen Chris und Tana blickten sich an und nahmen sich kurz an den Händen. Dann ließ er sie los und ging ein paar Schritte. „Gehen!“ Der Hüter schematisierte die Darstellung des Mannes, betonte die Füße, bewegte sie. „Gehen!“ Dann ergriff er die Initiative. Er hatte mehr Möglichkeiten, etwas darzustellen. Er vergrößerte eine Hand, ließ sie hell/dunkel pulsieren „Hand!“ Das Wesen Tana hatte verstanden und ihre Hand mit gespreizten Fingern gegen die Kuppel gehalten. „Arme! Kopf! Beine! Füße! Penis!“ Ein Körperteil nach dem anderen wurde benannt. Der Hüter ging zu einfachen Handlungen über, der Wortschatz stieg. Dann hob der Hüter die erste Sicherheitssperre auf.

*

Leutnant Leonhard Kleinschmid war ein wenig nervös. Mitten in der Schicht war Major Di auf die Brücke gekommen, zu Oberst Ghoma gegangen und hatte während des Gesprächs auf ihn gezeigt. Die Skipper hatte gelächelt, genickt und ihn gerufen, ihm den Befehl gegeben, sich zu Major Dis Verfügung zu halten. Die zierliche Chinesin hatte ihm grüßend zugenickt und mit knappen Worten befohlen, ihr zu folgen. Als er bemerkte, dass er ihren gut geformten, schwingenden kleinen Hintern nicht aus den Augen lassen konnte, errötete er bis an die Haarwurzeln und zog es nun vor, lieber ihren wippenden Zopf im Blickfeld zu behalten. Dann waren sie in einen bereit stehenden Schwebewagen gestiegen und zum aufgefundenen Wrack gefahren, das mittlerweile tatsächlich den Spitznamen ‚Flugzeugträger‘ erhalten hatte.

Ihre Mutter arbeitet doch an einem völlig neuen Typ von Generator. PSP, oder so ähnlich?“ Major Di unterbrach das Schweigen und sah aus den Augenwinkeln, wie der Leutnant erstaunt zu ihr blickte und lächelte beruhigend. „Professor la Paz hat Ihre Mutter erwähnt, Leutnant. Ich hoffe, sie wissen zumindest ein klein wenig über diese Dinge Bescheid!“

Ein wenig. Ein ganz klein wenig. Im Ansatz.“ Leonhard schluckte. Er hatte zwar einige Versuchsanordnungen seiner Mutter gesehen, aber selbst sein technisches Verständnis war an seine Grenzen gekommen. Seine Mutter hatte weit, weit über diese Grenzen hinausgedacht. Mit Quantenphysik kam er gut klar, mit Metaphysik auch so halbwegs, aber die Verbindung zwischen den beiden wollte bei ihm und vielen anderen Technikern einfach nicht klappen. So wie Ferronen nicht fünfdimensione Mathematik verstehen konnten, so waren eben nur wenig Menschen in der Lage, diese Grenzen zu überschreiten und eine Verbindung zwischen den Disziplinen herzustellen. Angel Kleinschmid, die in ihrer kurzen Ehe Kamashova geheißen hatte und nun wieder ihren Mädchennamen trug, hatte diesen Sprung über die Grenzen hinweg geschafft. Lange Zeit hatte sie einen gewissen Franz Pachler aus tiefstem Herzen dafür verflucht, ihr bequemes Weltbild zerstört zu haben. Dann hatte sie ihre Vorstellungen überarbeitet und eingesehen, dass die Welt eben doch kein so einfacher Mechanismus war, keine Maschine, sondern geheimnisvoll und voller kleiner Wunder, dass faszinierende Ebenen hinter-, über-, unter-, neben- und voreinander lagen, die mit keiner bekannten Wissenschaft erklärbar waren und doch existierten. Dass all das keine Esoterik sein musste, nur ein weiteres beinahe unendlich scheinendes Forschungsgebiet, und vielleicht eines Tages irgendwann einmal ebenso Bestandteil der Exoterik wie die euklidische Geometrie. Und Angel Kleinschmid war sich bewusst, dass eines Tages all ihre Entdeckungen zum alten Eisen gehören würden, längst überholt von völlig neuen Techniken und Erkenntnissen. Ein wenig bedauerte sie, es wohl nicht mehr erleben zu können, sie hätte nur zu gerne gewusst, was hinter der nächsten Grenze lag. Trotz aller Fortschritte in der Geriatrie würde sie es aber wohl nur erfahren, wenn ein Wunder geschah.

Ihr Sohn stand jetzt in der Maschinenhalle des Flugzeugträgers und bestaunte die gigantischen Geräte, die hier standen. Mit Hilfe von Traktorstrahlen hatte man das beschädigte Schiff wieder ‚auf Kiel gelegt‘ und in dieser Lage gesichert. Es war so sehr viel einfacher, ihn zu erforschen.

Mein lieber Junge!“ Benito la Paz stand neben ihm. „Stelle Dir das hundert mal kleiner vor, dann sehen einige, sogar viele Elemente in dieser Halle so ähnlich aus, wie die Modelle, an denen Deine Mutter gearbeitet hat, oder?“

Von außen ja!“ Leonhard schüttelte den Kopf und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Aber was sagt das schon? Unter der Isolierung könnte sich sonst etwas verbergen.“

La Paz nickte und gab ihm ein Pad. „Dort oben ist ein Stück Isolierung kaputt, das sind Bilder aus dem Inneren.“

Ja!“ rief Leonhard. „Genau so sah das auch bei Mutter aus. Mein Gott, ist das riesig! Also, meine Mutter wollte aus einem Modell – nein, das ist reiner Wahnsinn! Mit dieser Halle könnte man die HEPHAISTOS vierzig, fünfzig Mal mit Energie versorgen, wenn sie recht hat! So viel Energie konnten sie doch niemals verbraucht haben!“

Du hast die Geschütze da oben nicht gesehen, Junge!“ bemerkte der Professor trocken.

Oh boy, boy, boy! Das hier ist ja irre. Das müsste sich meine Mutter einmal ansehen! Unbedingt! Ich bin der falsche dafür.“

La Paz nickte und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Das glaube ich Dir schon. Ich wollte eben nur sicher gehen, dass ich richtig gesehen habe.“ Dann wandte er sich um. „Korporal!“

Charlene Hobbs nahm jene Stellung ein, die bei Starlights als Habt-Acht-Haltung durchging. „Professor?“

Bitte, bringen Sie den jungen Mann wieder zur KLEOPATRA. Ich danke Ihnen! Ihnen beiden.

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Reggys System

An Bord der HEPHAISTOS

Das Labor am Rand der großen Station lag im Dunkel, nur an einer Stelle erhellte das Display eines Pads ein wenig die Umgebung, riss das Gesicht einer Frau aus der sie umgebenden Finsternis. Angestrengt studierte Angel Kleinschmid die Zahlen, die Diagramme, wieder hatte ein Versuch nicht richtig funktioniert. Die Theorie stimmte, sie war felsenfest davon überzeugt, aber in der Praxis! Immer und immer wieder brach die Energieabgabe zusammen, lief der PPS-Meiler leer und dann aus. Sie wischte sich eine Träne aus den brennenden Augen und studierte weiter die letzten Messergebnisse.

Da bist Du!“ Plötzlich flammte das Licht auf, die Silhouette einer weiteren Frau wurden sichtbar. „Sitzt Du schon seit dem Versuch hier und starrst auf den idiotischen Bildschirm? Habe ich es mir doch gedacht! Stundenlang wiederholst Du jetzt schon jeden Schritt.“ Angel streckte sich, dank ‚Smokebeard Murphy‘ und seinen Antigeriatrie-Medikamenten sah man von den 64 Jahren, die Angel bereits gelebt hatte, nur 35. Allerdings hatten sich um die Augen einige zarte Krähenfüße gebildet, an den Mundwinkeln hatten sich Anflüge von Fältchen entwickelt. Sie lachte seit ihrer Scheidung eben wieder gerne und kniff dabei die Augen zusammen. Ihre Assistentin Klara Berger war wie ihre Chefin etwa mittelgroß, doch im Gegensatz zu Angel hatte sie sehr üppige Formen und blondes, halblanges Haar.

Ich muss es tun, Klara! Ich muss! Ich habe schon so viel Geld und Zeit in den Sand gesetzt, ich muss doch endlich Erfolg haben!“

Klara strich Angel zärtlich über das kastanienbraune Haar. „Armer Liebling. Nein, Schatz, keinen Kaffee mehr.“ Klara nahm Angel die Tasse aus der Hand. „Du bekommst von mir noch einen Becher warme Milch mit Honig und einem Schuss Grappa, dann ab mit Dir ins Bett. Schlafen! Richtig ausschlafen!“ Klara zog Angel auf die Beine und nahm sie an der Taille. „Auf geht’s!“

Lange hatte die Wissenschaftlerin nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass sie mehr in Klara als in ihren Mann verliebt war, doch schließlich, nachdem schon ein Weltbild zerstört wurde, hatte sie es doch akzeptiert und Klara ihre Liebe gestanden. Und die hatte diese Gefühle auch erwidert, nach Angels Scheidung zogen die Frauen zusammen und heirateten nach einiger Zeit. Jetzt legte Kleinschmid ihren Arm um Klaras Hals.

Danke, Klärchen! Gehen wir.“

Heras Gesicht entstand vor den Frauen. „Leslie Meyrs bittet um ein Gespräch mit Angel Kleinschmid. Sind Sie bereit, das Gespräch anzunehmen?“

Angel machte sich frei und seufzte. „Bringen wir es hinter uns. Bereit, Hera!“ Vor Angel entstand das Hologramm von Tana Starlights Vertreterin.

Professor Kleinschmid?“ Angel zuckte bei der förmlichen Ansprache zusammen. „Bitte nehmen Sie Ihre Unterlagen und melden Sie sich mit Ihrem Team so rasch wie möglich auf der HYDRA.“ Leslie lächelte dünn. „Packe lieber für einen längeren Aufenthalt, Angel, und vergiss die Schutzanzüge nicht. Du fliegst auf einen Planeten mit kaum Luft. Tana ist da auf etwas gestoßen und Benito – Du kennst Benny la Paz doch? Also, Benito glaubt, er hat da in einem Wrack etwas gefunden, das nach Deinem seltsamen PPS – Dingsbums aussieht. Du sollst es Dir einmal ansehen, vielleicht kannst Du etwas mit dem Fund anfangen. Gute Reise und viel Glück, Angel! Myers aus.“

Angel sah Klara verdutzt an. „Oh, und ich dachte schon…“

Klara gab Angel einen kurzen Kuss auf die Stupsnase und drehte sie dann um, klopfte ihr liebevoll auf die Kehrseite. „Ab ins Bett mit Dir, Angel. Ich kümmere mich um alles und hole Dich dann ab! Los, los, geh schon!“

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Tricky Secret

Eben noch waren auf der Kuppel schematische Darstellungen von Handlungen und Gegenständen gezeigt worden, die Tana und Chris benannten, dann blieb die Kuppel dunkel. Seitlich neben ihnen, in genauer Verlängerung der Straße, öffnete sich die Kuppel und gab den Blick in eine Schleusenkammer frei, kahl, nüchtern, wie solche Kammern eben sind. Die zwei Partner sahen sich kurz an, Tana nickte.

No risk, no fun! Wir haben, was wir wollten, jetzt mache ich keinen Rückzieher mehr. Ich gehe!“

Chris nahm sie bei der Hand. „Wir gehen! ‚Sprich Freund, und tritt ein!‘ Also los, auf nach Khazad-dûm.“

Tana kicherte. „Tolkien?“

Herr der Ringe!“ lachte Chris.

Ob es hier Zwerge gibt?“. fragte Victoria, nicht ganz ernst, und Christian schmunzelte.

Nun, zumindest Elfen haben wir doch schon gesehen.“

Sie betraten Hand in Hand die Schleuse, hinter ihnen schloss sich die Wand wieder scheinbar fugenlos.

Warten, Druckausgleich!“ Die dunkle Stimme meldete sich wieder in ihren Earsets. Dumpfes Rauschen erfüllte den Raum, als Luft einströmte, Christian sah auf sein Messgerät, welches die Werte von innen auf seine Helmfolie projizierte.

Sieht gut aus, Tana. Brauchbare Gasmischung, vielleicht ein wenig viel Helium. Nicht gefährlich, aber Dein süßes Stimmchen wird einiges an erotischer Ausstrahlung verlieren, Daisy.“

In Ordnung, Donald, solange Du hier nicht singst …“, schmunzelte Tana Starlight.

Druck erreicht eine Atmosphäre, nein, bei 0,9 gleich bleibend.“ Christian hatte die Anzeige im Auge behalten.

Dann sollten wir die Folie abnehmen können!“ Tana löste schon die Verschlüsse und faltete ihre Kapuze ein, Chris folgte umgehend ihrem Beispiel. Dann lösten sie die Anschlüsse der Lebenserhaltungssysteme, deren Leitungen in den Tragegurten verliefen, und legten die Tornister mit Energie- Luft- und Wasservorräten ab. Während dessen öffnete sich das Innenschott, ein blaues Licht blinkte am Boden auf.

“Punkt folgen!“ Die Stimme schien von überall her zu kommen. Langsam, sich ständig umsehend, schritten sie vorwärts, durch einen langen Gang kamen sie in einen großen, runden Saal mit vielen gepolsterten Sesseln. „Sitzen!“ In bequemerer Umgebung wurden die Sprachlektionen fortgesetzt, allmählich kam so etwas wie eine Verständigung zustande. Auch, wenn die Stimmen der Menschen tatsächlich etwas quietschten, daran gewöhnten sie sich.

Es wurde spät, und Christians Magen begann bereits laut hörbar zu knurren. Tana lachte laut auf und klopfte auf seinen Bauch.

Hüter, bitte, wir wollen morgen weitermachen. Der Mann hier wird hungrig. Also, wir biologischen Wesen brauchen Energiezufuhr und müssen auch schlafen.“

Selbstverständlich!“ Der Hüter sprach mit einem angenehmen Bass. „Bitte folgen wieder blauen Punkt. Nächsten Tag wir machen weiter!“ Tana und Chris erhoben sich und gingen zurück in die Schleuse, warfen den Tornister über und machten die Kapuzen luftdicht. Dann meldete sie dem Hüter ihre Bereitschaft zum Ausschleusen, die Luft wurde abgepumpt und sie konnten die Kuppel wieder verlassen.

Na bitte, da haben wir heute Erfolg gehabt!“ Tana wirkte sehr zufrieden, obwohl ihre Stimme immer noch hell klang. „Deine Idee mit den Gestiken und den Worten dazu war goldrichtig, Chris! Ich bin richtig stolz auf meinen Schatz.“ Sie hakte sich bei ihm unter, winkte mit der anderen Hand dem Begleitteam. „Alles in Ordnung, Leute. Wir sind unversehrt. Nur eine Überdosis Helium!“ Tana Starlight klang wie ein betrunkener Teenager, die Wachposten blieben misstrauisch.

Chefin?“ Master Sergeant Kellerman senkte seine Waffe keinen Millimeter.

Wir sind echt, und wir sind wohlauf“, winkte Tana beruhigend ab. „Trotzdem, Sie haben natürlich recht, Sarge. Chris, wir gehen jetzt zuerst auf die Krankenstation. Dein hungriger Magen muss noch warten. Wenn Sie uns eskortieren möchten, Sarge?“

Protokoll 5, Paragraph 7, Abschnitt 3c, verfasst und unterschrieben von Tana Starlight. Wann immer Sie bereit sind!“ William Kellerman und seine Leute kreisten Tana und Chris mit entsicherten und schussbereiten Waffen ein, um sie zur Untersuchung ihrer Identität zu begleiten.

*

Ein Diskusschiff mit einem Durchmesser von 180 Metern Durchmesser und einer Höhe von 25 kam aus dem Wurmlochtransit und raste, stark verzögernd, in das System. Ziel war der dreizehnte Planet eines roten Riesensterns, ein Planet, den die Besatzung der KLEOPATRA ‚Tricky Secret‘ genannt hatte.

KLEOPATRA! Hier HYDRA. Ich bringe die verlangten Passagiere!“ Captain Ken Kawana aus New York meldete seine Ankunft selber, das Fliegen überließ er seit einiger Zeit seiner Chefpilotin. Er musste neidlos anerkennen, dass er nicht mehr der beste Pilot an Bord war, Francine war ihm um Längen überlegen. Als vernünftiger Mann tat er das einzig richtige, er räumte den Platz am Pilotenpult und war nur noch CO.

Danke, HYDRA. Wir schicken ein Shuttle!“

Shuttle 07 KLEOPATRA erbittet Landeerlaubnis!“ An der Oberseite des Diskusschiffes öffnete sich ein großes Stück der Außenwand und gab den Einflug für das Beiboot der KLEOPATRA frei. Bei aller Liebe zur Serie hatten Victoria und Gunnar auf die seltsame Konstruktion der Orion-Beiboote verzichtet und die Standardfähren der Arkoniden übernommen. Von der Leistung etwas getunt und modernisiert, im Inneren etwas bequemer gemacht, aber im Prinzip nicht groß verändert. Ein einfacher Kasten mit trapezförmigem Querschnitt, die Kanten stark abgerundet, oben etwas schmaler als an der Basis, die Front etwas stärker abgeschrägt. Bei dem kurzen Antriebsteil war das Trapez etwas größer, folgte aber harmonisch den Formen des Passagierabschnittes. Wenig elegant, war das Gerät doch funktionell und praktisch. Victoria hatte damals zu Gunnar gesagt, als er Beiboote entwerfen wollte:

Wir wollen doch das Rad nicht neu erfinden, Schatz. Die Shuttle der Arkoniden sind gut, lass sie uns verwenden.“

Wenig später trug das Team von Angel Kleinschmid ihre Ausrüstung und das Gepäck an Bord der Fähre und schnallte es vorsichtshalber fest, ehe es selber die Sitzplätze einnahm. Sie hatten den kurzen Flug sehr genossen, die Hydra war, wie die Orion, in erster Linie auf Luxus ausgelegt. Große Aussichtsscheiben, bequeme Sitzgruppen mit einer gut sortierten Bar, für längere Flüge geräumige Quartiere und exzellente Küche. Kein unnützes Geprotze mit Gold und Marmor, sondern unaufdringliche Gemütlichkeit, Qualität und viel Platz. Klara Berger wurde jetzt, als sich die Fähre dem Planeten näherte, ein klein wenig nervös, sie hatte den Sohn ihrer Partnerin nie kennengelernt. Und auch wenn Angel immer wieder betonte, ihr Sohn sei nicht gegen ihre Beziehung, sie wollte nicht zum Streitpunkt zwischen Mutter und Sohn werden. Angel drückte ihre Hand.

Du wirst sehen, Leonhard ist ein ganz lieber Mann. Du hast Dich lange genug davor gedrückt, ihn kennen zu lernen. Courage, Liebling, er wird weder Dich noch mich fressen!“ Klara grinste gequält, so ganz sicher war sie sich dessen nicht, sie hatte diesbezüglich in ihrem Leben bereits schlechte Erfahrungen gemacht. „Na, komm schon, Liebes. Entspanne Dich.“ Langsam stieg die Fähre aus dem Hangar der HYDRA und nahm Kurs auf Tricky Secret. Der Pilot wandte sich um.

Ma’am, wir sollen Sie gleich zur Korvette KADESH bringen. Ihr Sohn erwartet Sie!“ Nickend nahm Angel die Nachricht zur Kenntnis und sah auf den rötlichen Ball unter ihr, der langsam anwuchs, als sie näher kamen. „Da vorne können sie schon die Korvette sehen, Ma’am, dahinter, das ist der Flugzeugträger.“

Eine gigantische Konstruktion!“ Auch Angel zeigte sich beeindruckt.

Dann wollen wir den Vogel wieder in sein Nest bringen! KADESH, Shuttle 07 meldet sich zurück!“ Vor dem Shuttle öffnete sich die Bordwand, der Pilot setzte die Fähre sanft auf und wartete auf den Druckausgleich.

Ma!“ Leonhard Kleinschmid umarmte seine Mutter und drückte ihr einen lauten Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns schneller wieder als gedacht.“ Dann sah er sich rasch um. „Ist Deine Klara mitgekommen? Ich würde sie wirklich gerne endlich kennenlernen.“

Dann komm, Leo. Da ist sie. Klara, mein Sohn!“ Leonhard nahm Klara Berger sanft bei den Oberarmen und küsste sie flüchtig auf beide Wangen.

Willkommen!“ Dann ließ er die sich kurz versteifende Frau wieder los. „Ich freue mich, dass Mutter jemand gefunden hat, der sie glücklich macht. Kommt, wir haben ein hübsches Quartier für Euch vorbereitet. Na ja, nur Standard, aber ich hoffe, ihr fühlt Euch trotzdem wohl. RA sechs elf, bring bitte das Gepäck der Damen in ihre Suite. Und jetzt kommt bitte mit. Wenn Ihr wollt, können wir heute Abend gemeinsam essen, und ein wenig plaudern. Klara, wenn Du wüsstest, wie froh ich bin, dass meine Mutter wieder lachen kann. Ich möchte über Pjotr wirklich nichts Schlechtes sagen, aber so richtig glücklich habe ich Mutter mit ihm nie gesehen!“ Klara musterte Leonhard von der Seite, die Worte klangen ehrlich, sie gab sich innerlich einen Ruck und begann endlich, sich etwas zu entspannen.

Dann hast Du nichts dagegen, dass Deine Mutter und ich…?“ fragte sie vorsichtig.

Warum sollte ich?“ Leonhard grinste sie an. „Solange ich nicht Papa zu dir sagen muss!“ Klara begann zu lachen, stoßweise, krampfartig, die Anspannung machte sich Luft. Dann umarmte sie den Sohn ihrer Partnerin, Tränen traten ihr in die Augen.

Danke!“ flüsterte sie und drückte ihren Kopf an seine Brust, umarmte dann auch Angel. „Gehen wir. Ich freue mich schon auf heute Abend!“

*

Organische Wesen wie Tana und Chris benötigen Nahrung und Schlaf, der Hüter benötigte ausschließlich Energie aus einer elektrischen Verbindung. Er rechnete die ganze Nacht, verglich die Funkgespräche seiner Besucher, suchte und fand aufgezeichnete Kommunikationen aus den letzten Jahrtausenden, teilweise viele Lichtjahre entfernt, füllte Lücken. Als Tana und Christian am nächsten Tag wieder kamen, war er bereit. Er erklärte sich bereit, auch anderen Begleitern den Zutritt zu gewähren, und Tana verständigte sofort ein wissenschaftliches Team. Biologen, ein Astronom, der nebenbei Philologe war, ein Hobbyhistoriker, der an Bord war, Mathematiker. Der Hüter öffnete die Schleuse und den Vortragsraum, spielte ein bewegtes Hologramm ein. Zwanzig Personen saßen in dem großen Saal, der Plätze für tausende geboten hätte, vor einer Bühne, auf der ein Hologramm entstand, beinahe massiv wirkend.

Ein großer, orangefarbener Stern entstand, umgeben von Planeten. „Spektralklasse K, würde ich schätzen, aber größer.“ Der Astronom Jan van Haals flüsterte es in das Mikrophon seines Aufzeichnungsgerätes. Der Bass des Hüters erklärte.

Dies ist das System, in dem wir uns befinden. Wie Sie sehen können, gab es damals einen Planeten mehr, der Innerste ist bereits von der Sonne verschluckt worden, als sie zu wachsen begann. Vor Millionen von Jahren kamen die Vorfahren der Erbauer in dieses System!“ Neben dem Stern wurden zwei Wesen eingeblendet, sie entsprachen den Statuen aus Diamant, dazu riesige Gebilde, die aussahen wie große Scheiben, die man auf einen Schreibstift geschoben und dann um diesen in Drehung versetzt hatte. „Es waren Wanderer, die in diesen riesigen, unterlichtschnellen Archen ihre Heimat verlassen hatten, um in den Weiten des Raumes eine neue zu finden. Hier, auf dem zwölften Planeten des Sternes wurden sie fündig, der Planet entsprach beinahe perfekt ihrer alten Heimat, daher siedelten sie sich an. Der elfte Planet war kleiner, mit weniger Gravitation und entsprechend weniger Luftdruck, der dreizehnte eine Welt mit vielen kleinen Inseln, aber großen Meeren. Der vierzehnte Planet – jetzt der dreizehnte, auf dem wir uns befinden, entwickelte damals eben erste einzellige Lebensformen. Man nannte den elften Planeten ‚kleiner Bruder‘ den zwölften ‚neue Heimat‘, den dreizehnten einfach ‚Riesenwasser‘. In der Sprache der Erbauer Zaab’Abzul, Whak’Laakum und Iquo’Guuk.“ Im Hologramm wurden die Planeten hervorgehoben, Detailansichten der Geographie wurden sichtbar.

Im Laufe der Zeit“, fuhr der Hüter fort „Im Laufe der Zeit wurden alle drei Planeten besiedelt. Auf Zaab’Abzul bildeten sich schlankere Wesen, der Hirnschädel wuchs, weil die Nackenmuskeln einen großen Kopf leichter halten konnten. Intelligenter als ihre Brüder wurden sie trotzdem nicht viel, aber sie entwickelten ein Organ, das Sauerstoff besser nutzen konnte, daher hatten sie kein Problem mit der dünneren Luft. Auch das Skelett änderte sich langsam, der Stirnkamm und die Augenwülste schwanden, wie auch auf Whak’Laakum. Die Laakumen veränderten sich, mit Ausnahme dieser Merkmale, sehr wenig. Kleinere Mutationen geschahen selbstverständlich, so wurden sie zum Beispiel dunkelhäutiger, ohne besonderen oder ersichtlichen Grund. Die Guukten entwickelten Schwimmhäute und große Lungen, wurden immer mehr zu luftatmenden Wasserbewohnern. Wäre die Entwicklung weiter gegangen, hätten sie wohl Arme und Beine zu vollwertigen Flossen entwickelt, zumindest bei den Beinen ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch. Aber leider sollte es ganz anders kommen.“ Der Hüter blendete mittels Hologrammen die Entwicklung der einzelnen Spezies in kleinen Schritten ein, bis sie so aussahen, wie die Bronzestatuen, extrapolierte noch ein wenig. „Diese Bilder sind reine Spekulation, beruhend auf den Veränderungen der Vergangenheit.

Die eingetroffenen Siedler hatten kein Interesse daran, ein großes Imperium zu schaffen, dieses eine System sollte reichen, auch als sich den Erbauern die hyperdimensionale Mathematik erschlossen hatte und sie überlichtschnelle Raumfahrzeuge bauen konnten. Erst dann, wenn es keinen Platz auf den drei Planeten mehr gab, sollte nach neuen Lebensräumen gesucht werden.“ Szenen aus dem Alltag der Erbauer huschten in schneller Folge vorbei, brachten ihr Leben dem Betrachter nahe. „Sie waren aber auch nicht dumm, sie kannten das Universum und wussten, dass eigene Zurückhaltung nicht unbedingt ein Garant für Frieden war, sie sahen es als gegeben an, dass sie nicht allein im Universum waren und dass es durchaus auch aggressivere Spezies geben müsste. Also bauten sie Kriegsraumer, mit im Laufe der Zeit wechselndem Design. Auch Kugelraumer wie der Eure waren eine Zeit lang durchaus im Gebrauch.“ Einige Kriegsschiffe unterschiedlichster Form und Größe wurden eingeblendet. „Eines Tages stolperte ein stellares Reich über diesen Stern, es kam zum Krieg mit unvorstellbarem Leid. Die Erbauer trugen die Kämpfe auch in das andere Imperium und bekämpften dort ihren Feind.“ Das Hologramm zeigte keilförmige Schiffe im heftigen Kampf mit absonderlichen Konstruktionen, die wie gigantische Insekten wirkten. Lichtstrahlen in verschiedenen Farben blitzten zwischen den Fahrzeugen hin und her, manchmal verging das eine oder andere in einer lautlosen Explosion. „Es gelang, den Feind aus dem System zu drängen und eine Übereinkunft zu erzielen.“ Die insektenartigen Raumschiffe zogen sich zurück, die Menschen des Systems und ihre Gegner, scheinbar von Insekten oder zumindest einer insektenähnlichen Spezies abstammende Intelligenzwesen, gaben ihre Zeichen auf zwei Pads, die sie dann untereinander austauschten.

Im Laufe der Kämpfe beschleunigte sich aus einem nicht erkennbaren Anlass der Zyklus des Zentralgestirns, es alterte rapide und dehnte sich schnell und stark aus. Vielleicht der Einfluss einer der Waffen, die zu Einsatz kamen, der Grund für diesen Vorgang wurde jedoch niemals geklärt. Aber, in Jahrhunderten vollzog sich ein Wandel, der nach den bekannten Gesetzen der Physik Jahrtausende dauern sollte. Der innerste Planet stürzte in die Sonne, er verschwand für immer, verdampfte, ging in der Sonnenmasse auf. Die Abzulen, Laakumen und Guukten wussten, dass jetzt notgedrungen die Zeit gekommen war, wieder eine neue Heimat zu suchen. Sie bauten auf diesem Planeten, der jetzt der dreizehnte ist, einige Städte und begannen mit dem Abbau von Rohstoffen, in einer dieser Städte schufen sie auch mich, den Hüter der Erinnerungen. Außerdem bauten sie nach ihrem Abbau der Rohstoffe viele große Raumschiffe, um wieder in die Galaxis zu ziehen, dort einen neuen Lebensraum zu finden. Der überlichtschnelle Antrieb wurde in den Beibooten eingesetzt, doch die Auswanderer selbst sollten wieder auf großen Schiffen leben, die Generationen um Generationen unterwegs sein mussten.“ Mächtige, tonnenförmige Strukturen zogen durch das Bild, langsam, gemächlich, aber auch irgendwie majestätisch wirkend. „Zaab’Abzul, Whak’Laakum und Iqu’Guukt wurden langsam unbewohnbar, die Bevölkerung an Bord der Schiffe evakuiert, doch das Wachstum des Sternes normalisierte sich während der langen Beschleunigungsphase der Flotten, leider zu spät, wieder auf ein normales Maß. Vor vielen hunderttausenden von Euren Jahren brachen die Erbauer auf, zu neuen Heimaten, neuen Siedlungen.“ Die Tonnen beschleunigten und flogen in fünf verschiedene Richtungen. Das Hologramm zeigte eine warme, aber schöne Welt, fruchtbar und voll von Tieren, aber mit auch leeren Städten, aus deren versiegelten Böden nie wieder Vegetation sprießen konnte und tiefen Wunden, aus denen die Schätze dieser Welt gerissen wurden.

Zurück blieb eine Welt, die auf ihr Ende wartete, und natürlich ich. Einige starke Sonnenwinde zerstörten die Atmosphäre auch des dreizehnten Planeten, sie verwehte im All. Das meiste Wasser an der Oberflächen verdampfte natürlich und wurde vom nächsten, spätestens vom übernächsten Sonnensturm hinweggefegt. Nur in den tiefsten Schluchten am Grund des ehemaligen Ozeans, gut geschützt, hielten sich noch Reste von Atmosphäre und Wasser. Wenn das Wachstum des Sternes so weitergeht und er sich auch in Zukunft wieder an die normalen Gesetze der Physik hält, könnten das neu entwickelte Leben und ich noch einmal einige Millionen Jahre überstehen.“ Die Worte wurden von entsprechenden Bildern begleitet. „Ab und zu legten Schiffe oder Flotten am Rande des Systems einen Orientierungsstopp ein.“ Einige Raumschiffe verschiedener Bauart kamen und gingen wieder im Hologramm, dann flog eine halbe Walze in das System.

Der Flugzeugträger!“ rief Rosheen. „Das ist doch das Wrack da draußen!“

Vor 245.672 Eurer Jahre kam dieses Schiff und flog den Planeten des Hüters an, doch es wurde angegriffen“, erzählte der Hüter weiter, eine Flotte eiförmiger Raumschiffe mit einer wulstartigen Verdickung an der stärksten Stelle, in der die Triebwerke zu sein schienen, attackierten die halbe Walze. Diese schleuste 16 Beiboote in der Form von halben Walzen und eine Unzahl kleiner Raumjäger aus, die sich am Kampf beteiligten, eines der großen Boote kehrte schwer beschädigt an Bord zurück.

Flugzeugträger ist nicht einmal falsch!“ rief Chris, als die kleinen Deltaflügler jeweils drei auf einmal aus geöffneten Luken an der Vorderseite des geraden Decks geschossen wurden und sich danach umgehend auf den Feind stürzten. In der Vorführung wurde nur zu deutlich, welch gigantische Energiemengen die Geschütztürme der halben Walze eng gebündelt freisetzen konnten. Das Gefecht endete schließlich mit einem halben Unentschieden. Alle der ovoiden Schiffe wurden vernichtet, doch der Absturz des Mutterschiffes war nicht mehr zu bremsen. Winzige Kapseln verließen das große Schiff und wurden von den 15 verbleibenden kleinen Schiffen aufgenommen, ebenso die Besatzungen der übrig gebliebenen Jets. Die kleinen Schiffe verließen daraufhin ziemlich beschädigt den Stern mit seinen Planeten, um nie wieder in dieses System zurück zu kehren. Das große Schiff schlitterte seitwärts in eine Düne, türmte sie hoch auf, die Oberseite wölbte sich über den Flugzeugträger, die Hitze von kleinen Triebwerken buk den Sand zu einer festen Form. Ohne Wind, in einer Umgebung, die beinahe einem Vakuum entsprach, auf einer sterbenden öden Welt, blieben Wrack und Düne erhalten, bis die KLEOPATRA kam und der Zug von Master Sergeant Sysun sie fanden.

Wieder vergingen viele Jahrhunderte, vor 12.521 Jahren kam es zu einer letzten Ortung. Langstreckenmessungen ergaben, dass zu dieser Zeit ein heftiger Krieg nicht nur in der näheren Umgebung tobte. Ein Geschwader von 108 Raumschiffen verschiedener Größe, vorwiegend in Kugelform, blieben eine Zeitlang an der Grenze des Systems und orteten, ehe sie wieder verschwanden.

Eindeutig ein arkonidisches Geschwader“, rief Rosheen aus. „Die taktischen Zeichen auf dem Rumpf sind klar zu erkennen, es ist das 18. Nebelsektorgeschwader des Kristallprinzen!“

Tana nickte. „Atlans Geschwader. Ob er selbst mit dabei war?“

Wo sollte er sonst gewesen sein?“, fragte Christian. „Der alte Admiral war doch immer ganz vorne dabei. So wie du. Bist Du sicher, dass du-uff!“ Tanas Ellenbogen war in seinen Rippen gelandet. Das Hologramm verblasste und der Bass des Hüters meldete sich wieder. „Seither ist bis zu Eurem Einflug nichts besonderes geschehen. Dies ist die Geschichte der Erbauer und die meine.“

Tana dehnte und streckte sich. „Hüter, darf ich noch einmal das Bild vom Abflug der Siedler sehen? Danke. Jan, können Sie die Richtung bestimmen? Ich glaube, Haparghar hatte absolut recht mit seiner Urahnentheorie.“

Bitte erklären Sie diese Theorie“, bat der Hüter, und Tana beantwortete seine Frage, so gut sie es vermochte. Holger Lussken, der sich schon länger mit der These beschäftigt hatte, füllte die ihm bekannten Lücken. Rosheen berichtete in großen Zügen von der Entstehung Arkons, soweit sie bekannt war und Chris steuerte sein Wissen über menschliche Urgeschichte bei.

Ich denke auch, dass diese Theorie mit großer Wahrscheinlichkeit richtig ist. Zumindest stimmt sie mit allen bekannten Fakten überein, die Erbauer könnten sich über die Galaxis verteilt haben. Auch Eroberungswillen, der Drang, ein Imperium zu errichten und der Expansionszwang kann sich in dieser Zeit unter dem Druck der Umstände entwickelt haben!“ Der Wortschatz des Hüters wuchs ständig, selbst Redewendungen hatte er gelernt. „Zumindest deuten ihre biologischen Daten, soweit sie ohne genauere Untersuchungen der DNA feststellbar sind, auf eine enge Verwandtschaft mit den Erbauern hin. Ich stelle mich Ihnen als den Erben jener Menschen zur Verfügung.“

Tana schluckte hörbar. „Danke, Hüter! Ich weiß Dein großzügiges Geschenk zu würdigen.“

Die meisten Sicherheitssperren werden aufgehoben. Willkommen, Tana Starlight!“

Ich danke Dir noch einmal, Hüter. Trotzdem wollen wir uns auf morgen vertagen. Ich bin im Moment nicht mehr aufnahmefähig, ich bin hungrig, durstig und müde. Ich glaube, wir alle müssen das Gesehene erst verarbeiten und unsere Gedanken sortieren.“

*

Aufgeregt und staunend standen Angel Kleinschmid und ihr Team in der Maschinenhalle des Flugzeugträgers, die riesigen Anlagen ragten hoch über ihnen auf.

Wow!“ Klara Berger legte den Kopf in den Nacken. „Das nenne ich groß.“ Angel ging um die Struktur, ließ ihre Finger über das Metall gleiten.

Warum haben sie so riesige Anlagen gebaut?“, rätselte sie. „Wenn das ein PPS-Meiler wäre, müsste man mit der halben Größe auskommen! Theoretisch!“

Hier ist die Verkleidung zerstört!“ rief Jannis Armegos. Der gebürtige junge Grieche aus Thessaloniki war mit seinem Antigrav nach oben geschwebt und hatte die Beschädigung gefunden.

Hast Du ein Endoskop bei Dir?“ Angel ging weiter, bis sie unter Jannis stand.

Klar, habe ich immer“, antwortete der Grieche. „Übertragung beginnt jetzt!“ Oben steuerte Jannis die Kamera an dem flexiblen Schlauch, während sich der Rest des Teams um den Bildschirm versammelte und das Innere des Meilers in Augenschein nahm.

Sehr starke Verkleidung!“ meinte Klara. „Was ist das eigentlich für ein Material?“

Eine Mischung aus Metall und Plastik!“ Benito la Paz stand hinter ihnen und genoss die Entwicklung und das Staunen der Neuankömmlinge.

Welche Eigenschaften hat die Melange?“ Trotz ihrer Frage schaute Angel konzentriert auf die Übertragung des Endoskops. „Bitte etwas nach links, Janni!“

Also, wenn Du mich fragst, ich ziehe MV-Stahl für die Außenhülle vor. Ist zwar schwerer, hält aber mehr aus. Dieses Material ist allerdings perfekt für den Innenausbau und als Verkleidung der tragenden Elemente, isoliert gegen Schall, Wärme, elektromagnetische Strahlung jeder Art, eigentlich gegen alles, selbst Radioaktivität.“ Benito hob beide Hände. „Für Gammastrahlung braucht es klarerweise schon etwas mehr Wandstärke, aber es funktioniert.“

Natürlich“, murmelte Angel. Klara wies aufgeregt in eine Ecke des Bildschirms.

Stopp, Janni! Vorsichtig nach unten, langsam, langsamer – halt! Links, langsam weiter – stopp! Vergrößere das einmal, Angel! Weiter, siehst Du es? Durch diesen Riss?“ Angels Gesicht wurde bleich, sie zuckte heftig zusammen und prallte zurück.

Verdammte Schei…! Himmelkreuzdonnerwetter, beim heiligen Arsch des Baal und den göttlichen Titten der Ishtar!“ Ihre Hände flogen über den Bildschirm. „Halt ruhig, Janni! Ich beschwöre Dich, halt das verdammte Ding ruhig! Klara, das ist es! Das ist es!“ Sie umarmte ihre geliebte Frau. „Wenn nicht dieser Anzug wäre, ich wollte, ich könnte Dich küssen. Wie konnte ich nur so dumm sein!“

Was hast Du gefunden?“ Benito kam näher und sah Angel über die Schulter.

Ich habe zu groß und zu grob gedacht, das ist es, Benny!“ Sie ließ ihren Blick noch einmal über den Meiler schweifen. „Du kannst herunter kommen, Janni! Oder – nein, sieh Dich weiter um, ob Dir noch etwas auffällt, Du Kind des Glücks! Was mich zu der Frage bringt, was haben die bloß mit so viel Energie angestellt?“

Oben sind zwölf Geschütze in sechs Türmen, die schlucken schon für die Bewegung der Rohre eine Menge Energie. Wenn ein Kaliber zwei zehn auch feuert, dann, na ja.“

Zwei was?“ irritiert sah Angel Benito an.

Zwei Meter, zehn Zentimeter und ein paar zerquetschte.“ La Paz grinste ungeniert, die Augen Angels weiteten sich.

Zw..! Zwei Meter? Du nimmst mich doch auf die Schaufel!“

Plus zehn Zentimeter und ein paar zerquetschte Millimeter. Doch, doch, kein Messfehler!“ Benito lachte jetzt laut. „Dieses Gesicht habe ich auch gemacht, als ich es bestätigt bekam. Durch ein solches Rohr kannst Du ganz gemütlich spazieren gehen.“

Trotzdem!“ Die Ingenieurin drehte sich wieder zu den Meilern. „Mit den Dingern müssten sich doppelt so viele Geschütze dieses Kalibers ausgehen, und es bliebe noch genug für Schirme, Antrieb und Lebenserhaltungssysteme übrig. Mit einem Meiler dieser Größe könnte ich vierzig Stationen wie die HEPHAISTOS versorgen. Wenn ich in der Lage wäre, die Energie zu transportieren!“ Sie ging zu einem zweiten Meiler der gleichen Größe, legte ihre Hand auf die Verkleidung. „Was habt ihr Euch gedacht, Freunde? Warum diese riesigen Anlagen, wenn es kleinere auch getan hätten?“ Doch die Meiler schiegen beharrlich und blieben ihr die Antwort schuldig.

Angel rief sich zur Ordnung. „Na schön, alles klar! Zuerst – Benito, können wir zumindest diesen Raum luftdicht und unter Druck bekommen? Mit einer hübschen Schleuse? Klar kannst Du das!“

La Paz stemmte die Fäuste in die Hüften. „Was glaubst Du, versuchen wir schon einige Zeit? Dauert nicht mehr lange, und Du kannst Deinen Helm aufmachen und Dein Schätzchen knuddeln. Zwei oder drei Tage noch, so in etwa!“

Schön. Sehr schön“, antwortete Angel etwas geistesabwesend, mit ihren Gedanken schon wieder einige Schritte weiter. „George! Sieh zu, ob Du irgendwie in die Stromversorgung kommst, vielleicht können wir ein paar von den Speichern reaktivieren und werden aus dem Inhalt auch noch schlau. Mit Mathematik sollte man Mathematik halbwegs entschlüsseln können. Dann sehen wir weiter!“ George Kinnuk war ein Inupiat aus Alaska. Einer jener Leute, die ein Stück Speckstein oder Bein in die Hand nehmen und sagen ‚da ist ein Bär darin versteckt. Ich muss nur alles wegschneiden, das nicht wie ein Bär aussieht‘. Er war der Bastler im Team, der Handwerker, der Mann, der alles herstellte, wenn es nicht dem Standard entsprach. Und George war gut, richtig gut. Angel warf weiter mit Befehlen um sich. „Janni! Untersuche doch zuerst bitte den zweiten Meiler nach Beschädigungen. Der eine sieht ja so aus, als hätte ihn ein Treffer beschädigt. Passt zu dem Loch dort drüben. Ishi, Mädchen, sei so gut, und sieh Dir die Pulte an. Die Verkleidung lässt sich sicher abnehmen. Sulukom, komm zu mir. Junge, siehst Du da oben dieses Ding? Schau nach, was es ist. Vielleicht ist es wichtig. Klärchen, wir nehmen uns noch einmal die Aufzeichnungen vor.“ Sie klatschte in die Hände. „Voran! Wir verschwenden nur das Licht! Lasst uns einmal anfangen.“

*

Nachdem sich die Gruppe um Tana Starlight wieder in dem Vortragsraum eingefunden hatte, öffneten sich einige Türen.

Ich darf Sie einladen, sich die Station anzusehen. Bitte treten Sie ein. Darf ich zuerst den Lift nach oben vorschlagen?“ Tana und ihre Begleitung vertrauten dem Vorschlag des Hüters und sich selbst dem Lift an, fuhren damit nach oben. Ein weiter Blick erwartete sie, etwa drei Kilometer in jede Richtung, auch aufwärts zum Zenit der Kuppel. Sie betraten einen gepflegten Park, Bäume, Sträucher, eine grasähnliche Pflanze bedeckte den Boden. Wasserflächen und künstliche Bäche durchbrachen die Wiesen, Brücken verbanden die Ufer. Es war überaus warm in dieser Landschaft, die Luft feuchtigkeitsgeschwängert. Statuen standen auf ihren Sockeln, kleine Pavillons luden zum Verweilen und rasten ein.

Dieser Park“, meldete sich der Hüter mit seinem angenehmen Bass, „zeigt eine Landschaft auf Whak’Laakum, der Hauptwelt der Erbauer.

Seit Jahrtausenden pflegst Du diesen Garten?“ Walter Stein war beeindruckt.

Ab und zu musste ich Mutationen entsorgen und aus dem vorhandenen Saatgut neue Pflanzen ziehen. Einige Spezies sind dabei leider ausgestorben. Des Weiteren musste ich tief bohren, um ein genügend großes Wasserreservoir zu finden!“

Wie werden die Pflanzen bestäubt?“ Walter hatte seine Lupe hervorgeholt und untersuchte ein Gewächs. Es summte leise, ein winziger Robot setzte sich unter die Lupe des Botanikers. „Oh! Danke. Alleine hier könnte ich Jahre verbringen!“

Hüter, darf Walter hierbleiben, Du lässt ihn hinaus, wenn er müde und hungrig wird?“, fragte Tana, und der Hüter antwortete ohne zögern.

Selbstverständlich, Tana Starlight! Wenn Du es wünschst! Wollen mir die anderen in die Tiefe folgen?“

Voran, MacDuff!“ Tana deklamierte Shakespeare. Ganz wohl war ihr zwar nicht, aber trotzdem war sie bereit, das Risiko einzugehen.

Der Lift brachte sie in eine weitere Halle, an den Wänden hingen Bilder in wuchtigen Rahmen, sie zeigten alle drei Arten der Erbauer, in allen erdenklichen Posen und im Alltag.

Dieses ist das Museum, in dem die größten Kunstschätze der drei Welten gesammelt wurden“, erklärte der Hüter. „Dieser Saal ist der Portraitsaal, die Gemälde und andere leicht vergängliche Artefakte sind selbstverständlich in einem Rahmen mit Glas oder einer Vitrine mit Schutzatmosphäre konserviert. Trotzdem haben verschiedene Exponate im Laufe der Zeit gelitten, die Bewahrer haben sie jedoch exakt restauriert oder kopiert. Hier können Sie noch einmal erkennen, wie aus den ursprünglichen Siedlern allmählich drei angepasste Subspezies wurden.“ Punktstrahler hoben das eine oder andere Gemälde hervor, während der Hüter erklärte. „Auch die Änderungen in der Mode kann man an den Gemälden gut erkennen. Auf den freien Flächen in den Vitrinen zwischen den Statuen erkennen sie Alltagsgegenstände aus den vielen Jahrtausenden. Vom Besteck über das Geschirr zu Kleinigkeiten wie Geräte zum Öffnen von Vorratsbehältern.“

Also so etwas wie Flaschen- und Dosenöffner“, mutmaßte Chris. „Zumindest so etwas wie Dosen haben sie gehabt. Der Öffner hier könnte von WMF sein!“ Tana war tief in das Bild einer der elfenhaften Frauen versunken, einem schönen Gemälde mit großer Tiefenwirkung. Die Frau stand, in durchscheinende Schleiergewänder gehüllt, an eine Säule gelehnt und blickte sehnsuchtsvoll durch den Betrachter hindurch.

Tana?“ Chris berührte sie an der Schulter.

Nach wem hatte sie wohl Sehnsucht. War es ihr Geliebter? Kam er? Oder wonach sehnte sie sich. Hat sie es erreicht? Wurde sie glücklich oder lief sie einem unerfüllbaren Traum hinterher?“ Chris umarmte sie von hinten und küsste ihren Hals, sie lehnte sich gegen ihn. „Dieses Bild zieht mich beinahe unwiderstehlich in seinen Bann, und es ist so wunderschön!“ Sie schüttelte den Kopf frei und konzentrierte sich mühsam auf wieder auf die Gegenwart. „Gehen wir weiter!“

Saal um Saal besichtigten die Menschen das Museum. Möbel, Modelle von Häusern und Hauskomplexen, Küchenutensilien, technische Artikel und in einem Saal auch Kriegsgerät. Der sonore Bass des Hüters erklärte, erzählte und führte von einem Saal zum nächsten.

Hier sind die Interfaces zu meinen Speichern!“ erklärte er. „Die Artefakte sind nur eine kleine Auswahl, hier kann eine große Bandbreite von Informationen nachgeschlagen und, wenn nötig, ausgedruckt werden. Es empfiehlt sich jedoch, eine Verbindung von Rechner zu Rechner herzustellen und die Informationen zu speichern und über Bildschirm zu lesen. Die Ressourcen für den physischen Drucker sind begrenzt. Ich muss noch hinzufügen, dass die gesamte Station bisher unter Schutzatmosphäre stand, erst seit gestern wurde eine Sauerstoffatmosphäre hergestellt. In der nächsten Ebene finden sie Aufenthaltsräume, darunter sind Wohneinheiten für etwa eintausend Personen untergebracht. Jede verfügt über zwei Räume und eine Nasszelle, dazu Stauraum für persönliche Gegenstände.“ Tana blickte zu Chris, ihre Worte formten lautlos das Wort ‚Immobilienmakler‘. Christian grinste, eben hatte er ähnliches gedacht. „Die medizinische Station müsste natürlich an ihre Bedürfnisse angepasst werden, auch der Nachschub mit Nahrungsmitteln müsste von außerhalb erfolgen! Lager- und Zubereitungseinrichtungen für dieselben sind vorhanden. Unter diesen Etagen mit Wohneinheiten ist die technische Sektion untergebracht. Ich bitte um Verständnis, dass diese nicht zugänglich gemacht wird.“

*

Sind wir denn endlich allein, Mister Rhodan?“ Tana befeuchtete ihre Lippen, spitzte sie und legte theatralisch die Hände auf ihren hübschen Busen. „So lange warte ich schon darauf, Sie einmal ohne Begleitung zu treffen!“

Störe ich?“ Reginald Bulls lächelndes Gesicht schob sich neben das Rhodans. „Keine Sorge, kleine Göre. Nur Eingeweihte zugegen.“

Hallo, Onkel Bully! Hat es immer noch keine Frau geschafft, Dich an die Leine zu nehmen?“, lachte Victoria dem Bild auf dem Kommunikationsschirm entgegen.

Bull winkte mit der rechten, dann mit der linken Hand. „Kein Ring, Kleine. Noch bin ich frei wie ein Vogel!“

Kein Wunder!“ Perry Rhodan grinste schief. „Wer soll es schon mit diesem Mann auskommen. Bei Bullys Flausen muss doch spätestens nach wenigen Tagen jede Frau die Flucht ergreifen.“

*

Bully drohte mit der Faust. „Und so etwas nennt sich Freund!“

Also, Spatz, soll ich Gucky losschicken?“ Rhodan wurde wieder ernst. Tana verschränkte die Hände und legte das Kinn darauf.

Äh, nicht unbedingt! Ich – wir haben es geschafft. Wir sind in der Kuppel!“

Und?“ Rhodan lehnte sich zurück. „Wo drückt dann der Schuh!“

Dad, ich weiß nicht, was ich mit diesem Hüter machen soll.“ Sie gab ihrem Vater und Reginald Bull einen kurzen Überblick ihrer Erkenntnisse. „Abgesehen davon habe ich gar nicht die Personalkapazität, um diese Station wirklich ständig zu besetzen, wenn meine zweite HEPHAISTOS fertig wird. Ich bin auch nicht von zu Hause weg gegangen, um dann wieder endlos auf einem Planeten fest zu sitzen! Und dann noch auf einem luftlosen Ball, dessen Rohstoffe schon sein Jahrtausenden abgebaut sind.“

Rhodan und Bully lachten lauthals. „Willkommen im Klub“, wieherte Reginald Bull.

Jetzt weißt Du, wie es Deiner Mutter und mir geht“, hieb Perry in die selbe Kerbe.

Cazzo!“ fluchte Victoria laut. „Che merda! Ich kann doch dieses Ding nicht so einfach links liegen lassen! Kann ich Dich nicht überreden, einmal vorbei zu kommen? Vielleicht mit ein paar humanistischen Wissenschaftlern? Ich habe doch fast nur Naturwissenschaftler bei mir! Ja, kurzsichtig! Aber wer denkt schon daran, über einen solchen Schatz zu stolpern?“ Victoria rieb sich die Stirn. „Ich bekomme schon Sorgenfalten, verdammt, ich werde noch alt, faltig und hässlich, wenn das so weiter geht! Dad, Tricky Secret ist doch nur einen Sprung von Reggy und First entfernt! Damit wäre eine nahe Versorgung der Besatzung des Hüters mit Lebensmitteln und sonstigem Bedarf gesichert! Oder – bring den UN-Generalsekretär mit, ich schenke es als Kulturerbe der ganzen Menschheit! Bitte, Dad!“

UNO klingt gut. Ich glaube, das wäre für alle das Beste. Kulturgut der ganzen Menschheit, das gefällt mir.“ Rhodan wurde wieder ernst, nur seine Augen funkelten noch belustigt. „Weißt Du eigentlich schon, dass Galacto City mit der KJB jetzt Vollmitglied der VN ist? Die AF war einverstanden und hat uns als Staat anerkannt, 50 Kilometer rund um den Goshunsee sind jetzt eine eigene Demokratie. Nach den Asiaten haben uns auch genügend andere Länder anerkannt, wir haben die Stadt und die Base in Verwaltungsbezirke aufgeteilt, freie Wahlen für die Bezirkshauptleute abgehalten, ebenso für einen Senat und einen Administrator. Damit waren wir qualifiziert, haben einen Antrag gestellt und sind jetzt wahlberechtigtes Mitglied.“

Gratuliere, Dad. Wer ist denn Administrator geworden?“ Tana lehnte sich zurück.

Der Kelch ging an Bully knapp vorbei. Die nächsten vier Jahre hat in GC eine Frau das Sagen. Eleonore Biggs-Holden!“ Ein verdächtiges Grinsen umspielte Perrys Mundwinkel.

Eine Freundin von Dir?“, fragte Tana gespannt.

Psst! Wenn das seine Frau hört. Oder ihr Mann!“ Verschwörerisch flüsternd beugte sich Bully über die Kamera-Mikrophonkombination. „Das gäbe ein Duell mit Säbeln!“

Was soll ich schon wieder nicht hören?“ Thora war in den Raum gekommen und drohte mit dem Zeigefinger.

Mein Verhältnis mit Eleonore Biggs-Holden natürlich!“ lachte Perry, Thora setzte sich auf seinen Schoß.

Ach das!“ Sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich dachte schon, es wäre etwas von Belang.“

Um Deine Frage ernsthaft zu beantworten, sie ist eine Befürworterin eines Aufbruchs des Menschen zu den Sternen, und sie ist eigentlich auch sehr nett, aber in Versuchung führt sie mich nicht, so als Frau. Sie sieht nicht einmal schlecht aus, aber – nein, da spränge kein Funke über, selbst wenn ich Single und interessiert wäre. Ich hätte immer noch den falschen Körperbau. Zu wenige Kurven, und sie hat keinen Mann, sondern eine Mätresse. Als Mensch ist sie großartig, wir mögen uns, rein platonisch, und wir haben viele Ziele gemeinsam.“ Perry Rhodan erlaubte sich ein Grinsen. „Außerdem dürfte ich nie wieder unbesorgt schlafen, wenn… au!“

Thora erhob sich mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht. „Ich würde es nicht auf das Schlafen beschränken, mein Liebster. Essen, trinken… hm, mir fallen da Sachen ein!“ Verträumt verdrehte sie die Augen und zwinkerte ihrer Tochter zu. „Gelegentlich muss ich Dir einmal von Deiner Urgroßtante Yghrimi und ihrem untreuen Ehemann erzählen.“

Rhodan jammerte mit theatralischer Gestik. „Herr, bewahre uns vor rachsüchtigen Frauen!“

Seine linke Wange tätschelnd antwortete Thora. „Aber das ist doch ganz einfach, geliebter Gatte! Du musst nur alles vermeiden, das meinen Zorn hervorrufen könnte. Dann wird es dir gut ergehen im Bett und es wird dir an nichts mangeln.“ Dann, wieder an ihre Tochter gewandt „Erfolg gehabt?“

Ich bin in die Kuppel gelangt, wenn Du das meinst!“ Victoria wurde wieder ernst. „Und jetzt möchte ich sie der UNO schenken!“

Warum das denn?“ rief Thora erstaunt und wurde auf den neuesten Stand gebracht.

Perry Rhodan seufzte tief. „Na schön, Spätzchen. Ich werde versuchen, den Generalsekretär zu einem Ausflug zu überreden. Aber ein halbes Jahr wird es wohl oder übel noch dauern!“

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Reggys System

An Bord der HEPHAISTOS

Die fünf großen Reintegratoren liefen pausenlos um die große Mittelplatte des Neubaus, allmählich war das Erreichen des geplanten Durchmessers von fünf Kilometern in greifbare Nähe gerückt. Kleinere spinnenförmige Roboter begannen bereits mit dem Aufbau von Trennwänden der ersten Ebene. Langsam war die Struktur deutlich zu erkennen, die HEPHAISTOS II wuchs stetig weiter. Reginald beobachtete es auf einem Bildschirm, Marie France im Arm.

Es funktioniert, Marie. Schau nur, wie schön das Bild ist!“

Auch sie war angetan von dem Bild. „Sie wird riesig!“

Reginald küsste von hinten ihr Ohr und flüsterte. „In Zukunft werden wir jedes bekannte Schiff bergen und nach Hause bringen können. Wir müssen nur immer einen Schritt vor den anderen bleiben!“

Wohlige Schauer durchliefen Marie Frances Körper bei seiner Zärtlichkeit. „Das werden wir“, versprach sie ihm.

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Solares System,

An Bord eines Aufklärungsbootes der John Glenn Academy, Luna,

Kadett Shaumany war nur 1,48 Meter groß, ihre Schulterbreite betrug 1,46 Meter und ihre Hüftbreite 1,52. Ihr Haar, dass sie zu einem strengen Zopf zu flechten pflegte, war von der Farbe gesponnenen Kupfers, ihre Haut schimmerte in einen satten Smaragdgrün, die Lippen waren so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten. Die ausdrucksvollen, leicht mandelförmigen schwarzen Augen blickten klar und hellwach aus dem breiten, aber durchaus angenehm anzusehenden Gesicht mit dem relativ kleinen Näschen. Ihr hautenger leichter Raumanzug in Sandfarbe betonte ihren flachen, aber durchaus sehenswerten Busen, ihren muskulösen Bauch und ihre mächtigen Glutei maximi. Sie trug am Kragen dieser Uniform stolz den Kreis als Abzeichen der Abschlussklasse, die junge Frau aus dem so genannte überschweren Volk hatte es nicht nur als erste ihres Stammes an die renommierte Space Academy geschafft, sie hatte die Kurse in Rekordzeit absolviert und stand nun in ihrem letzten Jahr. Ihre Lehrer bescheinigten ihr hohe Intelligenz, großen Fleiß und hervorragende Disziplin. In den praktischen militärischen Tests hatte sie bei fast jeder Art von Fahr- und Fluggerät gut abgeschnitten, nur bei den schnellen Raumjägern war ihre Prüfung lediglich im Simulator möglich. Es war ihr unmöglich gewesen, ihre Hüfte in das enge Cockpit zu zwängen, der Sitz war für ihr mächtiges Hinterteil, ein Erbe ihres massig gebauten Volkes, einfach zu eng. Nachdem in den nächsten Klassen bereits mehr Personen ihres Volkes zu finden waren, hatte die Academy vier Jagdmaschinen mit speziellen Kanzeln bestellt, auch die GCC – Space Force hatte von dem neuen Modell ‚Sternenfalke‘ einige Staffeln mit extrabreitem Cockpit für die Zukunft vorbestellt. Man konnte ja nie wissen.

Shaumany interessierte sich für die Jäger sowieso nur am Rande, ihr Ehrgeiz ging zu größeren Schiffen. Sie wollte sich und ihre Treue zur neuen Heimat beweisen, eine Treue, die sie tatsächlich empfand. Sie sah aber ein, dass es für Kadetten notwendig war, alle Klassen von Raumfahrzeugen zu steuern, daher absolvierte sie das Simulatortraining mit der gleichen ihr eigenen Verbissenheit, mit der sie immer arbeitete. Zu ihrem Glück begnügten sich die Prüfer ausnahmsweise auch mit dem Test am Simulator. Heute sollte sie eine Gazelle fliegen, einen kleinen, wendigen Aufklärer mit ÜL-Antrieb. Ihr erster Flug in der Realität als verantwortlicher Pilot, die Übungsannahme ging davon aus, dass sie die einzig einsatzfähige Person an Bord sein sollte. Irgendwo am Rande des Sonnensystems sollte sie die Brücke des Bootes betreten, die Energieversorgung hochfahren, sich orientieren und zur Mondbasis zurückkehren. So schnell wie nur irgend möglich.

Commander Trevor Griffin von der John Glenn Space Academy war ein blonder Brite von beinahe zwei Meter Größe, mit schmalen Schultern und langen Fingern. Er flog das Kleinraumschiff sicher über die manuelle Steuerung an den Rand des solaren Systems, mit ein wenig Umweg, sein Prüfling sollte durch keinen Umstand einen Hinweis, wie winzig auch immer, auf Position und Entfernung zur Basis bekommen. Reine Routine für den Offizier, der seit einigen Jahren die Kadetten unterrichtete. Vorher war er Geleitschutz für Handelsschiffe der GCC in riskanten Sektoren geflogen, dann hatte er im Einsatz Pech gehabt, sein linker Fuß war eine Prothese. Er hatte seinen Abschied erhalten, geheiratet und einen Posten an der Academy auf dem Mond ergattert. Trevor erlaubte sich nicht, irgend einen Kadetten, weiblich oder männlich, zu mögen. Aber er bewunderte den eisernen Willen der kantigen jungen Frau, die trotzdem in sich zu ruhen schien, er war überzeugt, sie würde ihren Weg gehen.

Ein Deck unter der Steuerkanzel saß Shaumany in einem bequemen Kontursessel und wartete auf ihren Einsatz, hing noch ein wenig ihren Gedanken nach. Geboren war sie in der Halle VI des Sixpacks auf Luna, ihre Mutter Shaumauntha und ihr Vater Khumunol wollten sie zu einer typischen Frau ihrer Sippe erziehen. Es war nur zum Teil geglückt, Shaumany wollte mehr. Mehr, als die Frau eines Gefangenen in Becatraz zu werden, mehr, als immer in dieser Halle zu leben, drei Mahlzeiten täglich, Trainingshalle und TriVid glotzen. Sie wollte nicht aus zweiter Hand leben, sondern selbst da hinaus gehen und Abenteuer erleben. Natürlich wusste sie, dass es nicht ungefährlich da draußen war, aber davon wollte sie sich nicht aufhalten lassen. Von der Möglichkeit zur Bildung war Shaumany begeistert gewesen, sie hatte an der Schule der Haftanstalt jeden Kurs belegt, der für ihre Reife zugänglich war. Und sie alle mit Erfolg bestanden. Sie sog Wissen in sich auf wie ein Schwamm das Wasser, es machte sie kurzfristig glücklich. An ihrem 16. Geburtstag besorgte sie sich einen Vertrag, den sie unterschrieb, wünschte ihren Eltern alles Gute, rief bei den Wachposten an und verließ ‚the caves‘. Ein schlanker, grauäugiger Mann hatte ihr die Hand gereicht und sie gefragt, was sie sich für ihre Zukunft vorstelle, sie war im Brustton der Überzeugung herausgeplatzt:

Der erste Raumkadett meines Volkes bei der GCC Space Force werden!“ Der Mann hatte still gelächelt, drei Tage später war sie vor einer Prüfungskommission gestanden, am selben Abend in das Internat der John Glenn Academy gezogen, hatte binnen zweier Monate und den darauf folgenden Ferien den Stoff des ersten Jahres nachgelernt und zu Beginn des neuen Schuljahres ihre Prüfungen abgelegt. Zu Semesterbeginn trug sie bereits stolz die zwei Balken für das zweite Schuljahr an ihrem Kragen.

Die Leitung der Academy förderte zwar durchaus Individualismus und erwartete eigenständiges Denken sowie selbständiges Lösen von Problemen, forderte jedoch auch Teamgeist und Zusammenarbeit, Loyalität und Kameradschaft. Mobbing und Ausgrenzung wurden schwer bestraft, Unverbesserlichen drohte sogar die Relegierung. Trotzdem war Shaumany zu Beginn ein Außenseiter gewesen, doch aus erzwungener Toleranz wurde echte, nur wenig später gegenseitiger Respekt und daraus endlich Freundschaft. Sie schrieb ihren Eltern, sie habe endlich ihren Platz im Leben gefunden, sie fühlte sich glücklich und zufrieden, auch wenn sich die große Liebe bisher noch nicht gezeigt hatte. Zwar machte sie durchaus sexuelle Erfahrungen, wie alle Kadetten in ihrem Alter, aber es waren zwar durchaus lustvolle, aber oberflächliche Beziehungen. Die Academy legte ihren Schülern diesbezüglich keine Steine in den Weg. Die Leitung wusste, dass sie es nicht verhindern konnten, dass Jungen und Mädchen in diesem Alter immer irgendwie zu einander fanden. Es wurden nur großzügig Verhütungsmittel verteilt, die meisten Schüler und Schülerinnen entschieden sich für eine jährliche Depotinjektion. Shaumany lernte verbissen weiter, wollte immer ganz vorne dabei sein, den großen Mann, der ihr dieses Leben ermöglicht, um keinen Preis enttäuschen. Nun stand sie vier Monate vor ihrem Diplom, wenn sie es in den Händen hielt, wollte sie die Academy als Fähnrich weiter besuchen, um eines Tages Flottenoffizier zu werden. Viele ihrer Kameraden würden zur Erde zurückkehren und dort zivile Universitäten besuchen und an diesen ein wenig den Geist der Academy von Toleranz und Teamgeist weiter verbreiten, die anderen wie sie eine militärische Laufbahn einschlagen. Am meisten hatte Shaumany die Nachricht gefreut, dass ihre Eltern nicht nur zu ihrer Abschlussfeier kommen konnten, sondern den Schritt in die Freiheit gemacht hatten. Eine Glocke riss sie aus ihren Gedanken, es wurde Zeit für ihre Prüfung.

Sie erhob sich, die künstliche Schwerkraft fiel aus und Shaumany schwebte durch den Liftschacht in die Zentrale, wo sie sich geübt abstieß, einen der Pilotensitze erreichte, sich hineinschwang und darin festschnallte. Mit tausendfach trainierten Handgriffen verband sie die in den Anschnallgurten steckenden Anschlüsse des Lebenserhaltungs-Tornisters, der im Kontursitz verbaut war, mit ihrem Anzug. In einem Notfall reichte ein kräftiger Zug an einem Griff, der Sitz würde den Tornister freigeben. Nachher legte sie zuerst den gesicherten Zentralschalter um und schaltete ihn auf ‚ein‘. Dann fuhr sie die Meiler hoch, die Luftumwälzung und zuletzt langsam und vorsichtig die künstliche Schwerkraft. Erst als alles lief und die Lebenserhaltung grün zeigten, öffnete sie die Helmfolie und schaltete Ortung und Navigation ein. Weit von ihrem Boot entfernt zeigte der Zielbildschirm eine blaue Perle, begleitet von einer silbernen. Shaumany beschleunigte und nahm Kurs auf Luna. Ein Kinderspiel, diese Prüfung hatte sie in der Tasche.

März 2084

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Solares System, Luna,

Katherine Johnson Base, Wohnkuppel 8, 2 Gravo.-Sektor.

Khumunol schrie überrascht auf, als er sein virtuelles Postfach wie jeden Tag kontrollierte und einen offiziellen Brief vorfand, der eine Empfangsbestätigung verlangte.

Ist etwas geschehen?“ Shaumauntha kam voll Sorge gelaufen, nach ihren Erfahrungen der letzten Jahre bedeutete solch ein Schrei nichts Gutes.

Ich weiß nicht!“ Er deutete auf den Bildschirm, sein Gesicht wies vor lauter Anspannung eine ungesunde, türkisgrüne Farbe auf. „Noch nicht, aber es ist ein Schreiben von der GCC gekommen. So schnell habe ich nicht erwartet, dass…“ Khumunols Hand zitterte, als er den Empfang bestätigte und damit das Schreiben öffnete. Gemeinsam beugten sie sich über den Brief.

‚… teilen wir Ihnen mit, dass Ihre Dienste und Ihre Erfahrungen bei der Wartung des Flug- und Raumfahrzeugparkes der ‚John Glenn Space Academy‘ höchst willkommen wären. Bitte melden Sie sich bis spätestens 3. April 2084 Terra Standardkalender bei dem Direktor der Academy, Colonel Edward Kyle, Com Code, Adresse, Kennwort, zwecks Vereinbarung eines Vorstellungsgespräches. Hochachtungsvoll, i. A. Karen Zabrinsky, Personalbüro, GCC, Galacto City, Terra.‘ Der quadratisch gebaute Mann begann zu lachen, gleichzeitig liefen ihm die Tränen über das Gesicht.

Hast Du gelesen, Frau? Sie bieten mir eine Arbeit und Weiterbildung an! Ich soll mich darum kümmern, dass der Nachwuchs der Terraner sicher durch das All fliegen kann! Sie wollen mir ihre Kinder anvertrauen! Wo ist das Phone, da muss ich doch nicht lange überlegen! Diesen Vertrauensvorschuss sollen sie nicht bereuen, ich werde mein Bestes geben. Sie vertrauen meinem Wort, ich werde es halten, bei der Herrin A…! Ja, ja, ich soll mich bei Ihnen melden! Mein Name ist Khumunol, ich habe einen Brief vom Personalbüro bekommen. Ja! Ja! An Bord der TOP XV. Richtig. Gerne. Sofort? Ich denke, ich kann in zwei Stunden – nein, sagen wir lieber drei. Man kann nicht wissen, ob sich nicht ein Verkehrsstau bildet, ich will den Termin sicher einhalten. Natürlich, ich melde mich beim Wachhabenden in der Empfangsloge, ja, ja, ich bin unterwegs!“ Khumunol sprang auf und umarmte seine Frau stürmisch, hielt sich dann etwas zurück und küsste sie ziemlich zart am Halsansatz.

Ich soll gleich aufbrechen, Mauntha! Wir sehen uns später! Hast Du heute Dienst im Hospital?“ Shaumauntha drückte ihren Mann an sich und strich mit ihrer Hand über seine Wange.

Ich kümmere mich darum, meinen Dienst heute zu tauschen. Wenn das kein Grund zum Feiern ist, kenne ich keinen!“

*

Und?“ Shaumauntha hatte den Tisch festlich gedeckt und sogar eine flackernde LED-Kerze in die Mitte gestellt. „Bist Du jetzt Techniker an der Academy.“

Khumunol grinste sie an. „Besser! Sie haben mich sofort zum Tech-Sergeant gemacht, ich soll einen ganzen Zug Techniker unter mir haben und sie ausbilden. Die Terraner haben zwar technisch einiges verbessert, aber bisher sind an der Academy oft noch die alten Muster in Verwendung. Mit denen sich dein Mann, das bin ich, bestens auskennen sollte. Immer noch. Morgen soll ich mich trotzdem zuerst einmal für drei Wochen zur Weiterbildung auf der GCC – Werft am Pounder Port melden, die wichtigsten Neuerungen kennen lernen, dann meinen Dienst an der Glenn antreten. Und ich soll den Kadetten die Technik nahebringen, die alte und die neue. Die trauen mir eine Menge zu, ich hoffe, ich schaffe das Alles. Aber – bei den neun Schwänzen des H’taak, ich werde mein Bestes geben. Hier, das ist für Dich!“ Shaumauntha blickte fassungs- und sprachlos auf den Strauß Rosen, den ihr Khumunol entgegen hielt, in sein Gesicht und wieder auf die Rosen.

Ich wusste doch, dass dieses Gemüse eine dumme Idee war“, knurrte Khumunol enttäuscht, als sie nichts sagte, und machte sich auf den Weg zum Abfallvernichter.

Wa-Warte!“ Shaumauntha erlangte ihre Stimme wieder. „Warte, das ist so – so nett von Dir. Ehrlich! Ich war nur so überrascht! Das ist so gar nicht nach der Sitte von uns Überschweren. Gib sie bitte her!“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Blüten, dann umarmte sie glücklich lachend ihren Mann.

Wir sollen doch Terraner werden!“ brummte der und sog dann prüfend die Luft durch die Nüstern. „Du riechst seltsam, Frau“, stellte er mit belegter Stimme fest, sie nickte.

Sally vom Krankenhaus hat mit den Tipp gegeben. Und die Verkäuferin hat gesagt, der Duft nennt sich ‚wilde Orchidee‘. Für besondere Stunden, hat sie dazu gesagt. Gefällt er Dir?“ Unsicherheit schwang in ihren Worten. „Ich meine, wo wir doch jetzt Terraner werden wollen, habe ich gedacht…“

Er schnupperte noch einmal. „Doch, doch schon! Es gefällt mir!“ Er fühlte sich ein wenig seltsam, sein Körper reagierte stark auf die Frau und ihren Duft, doch nach seinen Alpträumen wollte er sich nicht zu sehr aufdrängen. Nicht mehr. „Er ist – anregend! Aufregend!“ Sie drückte sich noch fester an ihn, steigerte damit seine Erregung noch mehr.

Das soll er auch sein!“ Ihre flüsternde Stimme war ein einziges Versprechen. „Die Verkäuferin hatte recht – für gewisse Stunden. Wir können doch später essen, oder.“ Shaumauntha öffnete den Magnetverschluss an seinem Hals und küsste seine Halsgrube, ein wohliger Schauder durchfuhr ihn. Sie zog den Saum etwas auseinander, küsste ein größeres Gebiet, löste sich wieder von ihm, nahm seine Hand und führte ihn ins Nebenzimmer, öffnete dort langsam den Magnetsaum ihres eigenen Overalls.

Dann lass uns doch einmal gemeinsam herauszufinden, was ein Tech Sergeant so alles kann…“

*

Reggys System

An Bord der CYRANO

Pablo Cobanjo strich sich das schwarze Haar zurück und straffte seine ganze 160 Zentimeter große Gestalt in der rauchblauen Uniform der Starlight Reederei zu einer stolzen, geraden Haltung. Seit zehn Monaten befehligte er die CYRANO bereits, die gemeinsam mit der CYGNUS die Route Terra – Ferrol – HEPHAISTOS befuhr. Genau genommen war eigentlich Luna die Landestelle für alle interstellaren Flüge geworden, selbst die kleinen Fracht- und Passagierschiffe durften aus ökologischen Gründen nur mehr in den seltensten Fällen in die Atmosphäre eindringen. Die Bezeichnung Terra als Zielhafen hatte man aber beibehalten. Auch Ferrol fertigte die interstellaren Flüge über Satelliten ab, der Planet war ebenso wie die Erde Sperrgebiet für Schiffe. Nur über Shuttle und Transmitter war der Planet selbst erreichbar.

Pablos Mannschaft und er waren mittlerweile ein eingespieltes Team geworden, das sich aufeinander verlassen konnte, und er selbst hatte sich allmählich eine dickere Haut zugelegt, was das Benehmen neureicher älterer Frauen anging. Seltsamerweise war die einzige wirkliche Adelige, die er je an Bord gehabt hatte – eine skandinavische Prinzessin – bei weitem höflicher und netter zu ihm gewesen als die typischen Milliadärsfrauen. Sie hatte ihn von Anfang an als gleichgestellt behandelt. Gerne dachte er daran zurück, wie sie beim Kapitäns-Dinner fröhlich mit ihm geplaudert, gescherzt und gelacht hatte, ihre Hofdame war am ersten Tag richtig verzweifelt gewesen. Ihrer Meinung nach schickte sich ein solch informelles Benehmen nicht. Zumindest nicht für jemand aus einem Königshaus im Allgemeinen, besonders aus dem von Schweden im Speziellen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.

Was er allerdings nie erfuhr, Svenja Liv Solveig, Kronprinzessin von Schweden, hatte Mette Maria von Sørvål in ihrer Suite darüber aufgeklärt, dass der Kapitän eines Raumschiffes de jure die ranghöchste Person an Bord war, genau genommen sogar höher als ein Kaiser oder sogar der Besitzer, also auch über einer Prinzessin, ob mir ‚Kron‘ im Titel oder ohne. Und nun solle sich die Baronesse nicht ihr zartes, lachsfarbenes Höschen mit den roten Spitzen pinkeln, weil sie, die Prinzessin, sich ein paar nette und freundliche Worte mit einem Raumschiffkommandanten erlaube. Besagte Baronesse solle sich doch lieber endlich den Stock aus ihrem A…llerwertesten ziehen und sich einen Mann anlachen, dem sie das bereits erwähnte Höschen zeigen und der es ihr danach auch ausziehen solle. Die Baronesse wirke bereits ziemlich altjüngferlich eingetrocknet, mit dreißig solle man noch nicht auf Spaß im Leben verzichten. Besonders nicht auf dieses spezielle Vergnügen. Diskret, versteht sich. Die Prinzessin bediente sich bei diesen Vorschlägen einiger nicht wirklich druckreifer Worte, von deren Existenz sie eigentlich keine Ahnung haben sollte, aber Svenja war schon immer eine sehr volksnahe Person gewesen. Man sollte noch kurz erwähnen, dass Mette Maria, Baronesse von Sørvål, dem Befehl der Prinzessin nachkam und eine kurze, aber stürmische Zeit mit Francois Montand, dem Zahlmeister an Bord, verlebte. Aber neureiche Damen hin, nette Prinzessinnen her, heute sollte ein ganz besonderer Gast an Bord kommen. Reginald Starlight, der Sohn der Chefin, sollte nach Luna gebracht werden. Außer ihm waren bereits fast alle Passagiere an Bord, die Fracht war eingeladen und verstaut. Nach alter Tradition war der Kapitän persönlich anwesend, wenn Ehrengäste zu begrüßen waren, und ein Starlight war auf einem Schiff der Starlight Enterprises auf jeden Fall ein Ehrengast. Pablo war gespannt, allerdings ließen ihn seine Erfahrungen mit reichen Teenagern Schlimmstes befürchten. Noch drei Personen waren ausständig, zwei betraten gerade die Gangway. Aus einem Cart, das in der Nähe geparkt war, stiegen eine junge Frau in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen und ein weißhaariger Jüngling in der rauchblauen Kleidung der Starlight Enterprises, die junge Dame lief mit ihrer Tasche über die Rampe, der Mann folgte etwas langsamer. Die letzten Passagiere zeigten ihre Tickets, die junge Frau das ihre, und dann ging Reginald mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ durch die Schranke und zeigte seinen Ausweis, blieb vor dem Kapitän stehen und salutierte mit zwei Fingern nach Art der Starlights.

Erlaubnis, an Bord zu kommen, Captain?“

Pablo legte ebenfalls locker Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe. „Erlaubnis erteilt! Willkommen an Bord, Sir.“ Die beiden Männer schüttelten einander die Hand.

Brauchen sie Hilfe, Mister Starlight?“ Reginald sah sich um.

Danke, Skipper, nein. Ich glaube, ich finde den Weg, und mein Gepäck hat wohl ein Bot bereits in meine Kabine gebracht.“

Selbstverständlich, Sir. Das Ihre und das Gepäck der jungen Dame, die mit Ihnen reist! Darf ich Sie und die junge Dame an meinem Tisch begrüßen?“

Es wird gleichermaßen eine Ehre wie ein Vergnügen sein, Captain Cobanjo.“

Marie France Meunier saß auf dem Boden, strich bewundernd mit der Hand durch den hochflorigen Teppich der ‚Admiralsuite‘ und sah sich um.

Wow!“ entfuhr es ihr. „Das nenne ich Luxus. Meine komplette Bleibe im Studentenwohnheim auf der HEPHAISTOS passt inklusive Nasszelle in dieses eine Zimmer! Deine Wohnung ist auch nicht größer als meine! Warum eigentlich?“ Reginald legte sich neben Marie France auf den Rücken und strich ihr zärtlich über die Wange.

Meine Mutter liebt bei aller Abenteuerlust ein gutes Leben, viel Platz und Luxus. Ich eigentlich auch, aber wie sie möchte ich ihn mir erarbeiten und nicht geschenkt bekommen. Kannst Du das verstehen?“ Seine Zeigefinger wanderte über ihren Hals tiefer, löste den Magnetverschluss am Kragen ihres Anzuges. Sie schloss die Augen und hielt still, überließ sich ganz seinen forschenden, zärtlichen Händen, die ihren Körper langsam aus der Kleidung schälten.

Reginald?“ Ein Schauer lief über ihren Körper, wenn er bestimmte Punkte berührte, trotzdem, es gab da noch etwas. Etwas, das verhinderte, dass sie sich wirklich völlig entspannt ihren Gefühlen hingeben konnte, sie musste vorher noch etwas klarstellen.

Ja, Marie?“ Er zögerte, weiter zu machen, überrascht über ihren ernsten Tonfall.

Ich verstehe Dich nur zu gut, ich möchte mir auch das meiste selbst erarbeiten,“ meinte sie entschlossen. „Über das Cocktailkleid, das dort liegt, freue ich mich wirklich, es ist wunderschön, aber bitte keine so teuren Geschenke mehr. Einverstanden? Ich will immer noch Dich, nicht Dein Geld!“

Reginald seufzte. „Keinen Diamantring?“

Sie nahm seine Hand, küsste jede einzelne Fingerspitze. „Wenn Du es in einem Jahr immer noch willst, kannst Du mich ja nochmals fragen! Aber nur, wenn Du es ernst meinst. Ganz ernst. Und – solltest Du es ernst meinen, bestehe ich trotzdem auf einen Vertrag, der Dich und Dein Vermögen schützt, sollte es nicht klappen!“ Sie sah im tief in die Augen. „Ich will mich nicht kaufen lassen, klar? Ist das Okay, haben wir einen Deal?“

Reginald erwiderte ernst ihren Blick, nickte dann. „Wir haben einen Deal. Ich gebe unserem Anwalt den Auftrag, schon einmal einen Entwurf vorzubereiten. Okay?“

Marie France nickte glücklich lächelnd, dann legte sie seine Hand wieder auf ihre Brust, beugte sich etwas vor und flüsterte „Jetzt mach doch damit weiter, womit Du vorher aufgehört hast.“

*

Das zarte, sehr helle rosé des ärmellosen, knielangen Cocktailkleides, welches Reginald für Marie France ausgewählt hatte, kontrastierte harmonisch mit ihrer dunklen Haut, die junge Frau sah darin einfach umwerfend aus. Dazu passte auch eine Kette aus Zuchtperlen von Bekhon, deren zarter Ton die Farbe des Kleides wieder aufnahm. Reginald hatte sich für das Outfit entschieden, das ihn schon bei der Bestellung seines Anzuges für den Ball so begeistert hatte. Ein schwarzes Hemd aus Seide mit kurzen Ärmeln, ein schwarz, dunkelgrau und anthrazit karierter Kilt, schwarze Stutzen und ein Sporran, dessen Fell eine perfekte Nachahmung aus Baumwolle war. Die Tasche selbst war allerdings aus echtem Leder.

Ein Steward in der klassischen Uniform mit weißer, hochgeschlossener Jacke zu schwarzen Hosen führte das gut aussehende Paar zu seinem Platz am Kapitänstisch. Theoretisch konnte der Kapitän eines Schiffes, ob im All oder auf einem Ozean, selbstverständlich an seinen Tisch bitten, wen immer er wollte. Pablo hatte davon bereits Gebrauch gemacht und Ghoma auf ihrem Flug zur HEPHAISTOS eingeladen. Doch traditionell waren es die Bewohner der beiden Luxussuiten und natürlich, wenn jemand darin wohnte, der Admiralsuite.

In einer der Suiten wohnte ein Flitterwochenpaar von Ferrol, eine große Familie hatte zusammengelegt, um dem Paar drei Wochen Luxus zu gönnen. Der Quartiermeister der CYRANO, ein alter Terraner und unverbesserlicher Romantiker, hatte festgestellt, dass die große Suite Nummer zwei auf diesem Flug leer stand. Er hatte ihnen für die letzte Etappe von drei Tagen bis zur Wega ein Upgrade der Kabinenklasse und somit einen Platz am Tisch des Kapitäns geschenkt. Und während des Zwischenstopps in einem System unterwegs einen guten Platz in der Aussichtskuppel, wenn ein Gasriese mit beeindruckendem Ringsystem zu bewundern war, ein kleiner Umweg, der als Highlight der Reise angekündigt war, denn selbst der Saturn mit seinen Ringen konnte die Erhabenheit und Schönheit dieses Anblicks nicht erreichen. Dieses Upgrade war eine Geste, die der Gesellschaft keine Extrakosten verursachte, aber große Freude bei dem jungen Paar auslöste. Die große Suite Nummer eins wurde von nur einer Person bewohnt. Der Witwe Virginia Howell-Bossworth.

Madame Virgina Howell-Bossworth aus South Carolina war reich. Geradezu unverschämt reich. Mister Edward Howell Junior, ihr verstorbener Ehemann, hatte viel Geld geerbt, welches Edward Howell Senior mit Diamanten aus Südafrika eingenommen hatte. Mit diesem Geld hatte Edward junior Unsummen an der Börse erwirtschaftet, Virginias Vater Hugo Bossworth hatte in Texas und Alaska Öl gefördert und damit ein Vermögen gemacht. Virginia Howell-Bossworth hatte daher all ihre 114 Jahre im Luxus verbracht und nie einen Handgriff Arbeit selbst gemacht. Ihre Hände waren sorgfältig gepflegt und manikürt, ihr Gesicht vom besten Chirurgen Terras geliftet. Nur an ihrem Hals hatten sowohl alle chirurgischen Eingriffe als auch die Antigeriatriemedikamente versagt, letztere waren für diese Dame zu spät auf dem Markt erschienen, um diese Falten zu mildern. Ein ewiger Ärger für Madame, die sich trotzdem immer noch für unwiderstehlich schön fand und ziemlich indezente Kleidung zu tragen pflegte.

Zudem war Virginia eine große Anhängerin der ‚New WASP Society‘, der ‚White Aglosaxon Superior People’ und eine jener Art von religiösen christlichen Fanatikern, die man nur mit dem Wort bigott bezeichnen konnte. Sie empfand es nachgerade als eine Sünde gegen Gottes Ordnung, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe auch nur ansatzweise als gleichwertig oder auch nur halbwegs als gleichberechtigt betrachtet werden sollten. Sie war schockiert gewesen, dass ein Angehöriger eines mesoamerikanischen indigenen Volkes Kapitän eines Raumschiffes sein durfte. Zuerst hatte sie geglaubt, er wäre ein Kofferträger, Mechaniker oder ähnliches. Weiter hätte dieser – diese Kreatur (ihr wollte kein treffenderes Wort einfallen) niemals in der Hierarchie aufsteigen dürfen. Und nun musste sie mit diesem Kapitän, einer dunkelhäutigen jungen Frau und einem Paar mit dunkler Haut und starken Augenwülsten an einem Tisch sitzen. Und das schlimmste, der junge, weißhaarige Mann, der einzige Weiße außer ihr, zeigte keinerlei Interesse an ihren freizügig zur Schau gestellten Reizen oder ihrem Diamantarmband, und auch der sonstige üppige Schmuck lösten keinerlei Reaktion und Respekt aus. Vor allem keinen Respekt. Statt den Perlen ihrer Worte zu lauschen und ihrem von Gott und der Erfahrung genährten Wissensschatz zu honorieren, unterhielt er sich lieber mit den minderen Leuten und wagte es sogar, mit ihnen zu lachen. Natürlich hätte sie ihn empört in seine Schranken gewiesen, hätte er etwas auch nur annähernd Unsittliches bei ihr versucht. Aber dass er so gar nicht reagierte, wenn sie eine ihrer Weisheiten in das Gespräch warf oder mit ihrem Schmuck spielte, das war – demütigend. Beleidigend! Ihre Migräne war wieder einmal im Kommen, sie fühlte es bereits, ihr Kopf begann hämmernd zu schmerzen. Sie sprang auf und rauschte, eine penetrante Wolke von viel zu viel Parfum hinterlassend, davon. Der Reederei würde sie einen geharnischten Brief zukommen lassen und sich beschweren. Ein farbiger Kapitän, das war humiliant einer Dame wie ihr gegenüber, insupportable! Farbige Passagiere erster Klasse reisen zu lassen war ebenfalls indiskutabel, sie beschloss, von nun an bis Terra in ihrer Kabine zu bleiben und dort auch zu speisen. Kurz überlegte sie, von der Reederei eine Wertminderung ihrer Reise einzuklagen, doch ihr Anwalt gab dem Fall selbst vor einem Gericht in South Carolina nicht die geringste Chance, und so begnügte sie sich mit einem bitterbösen Schreiben an die Reederei Starlight Shipping. Dieser Brief fand tatsächlich einige Beachtung und wurde einige Stufen in der Hierarchie der Mitarbeiter hinauf gereicht, endlich von einem Abteilungsleiter auch an die beiden anderen Reedereien, welche Terra anflogen, verteilt. Es war Virginia Howell-Bossworth’s letzte Reise mit einem Raumschiff und damit auch ihr letzter Versuch, das Wort Gottes und natürlich auch die Gesellschaftsordnung der New WASP Society in der Galaxis unter den ‚primitiven Eingeborenen‘ zu verbreiten.

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Gopkar Sektor, First

Einen Hypersprung von Reggys System lag ein durchschnittlicher Stern der Spektralklasse G, nur ein klein wenig wärmer als die Sonne Terras. Der dritte Planet war im Durchschnitt etwa 160 Millionen Kilometer entfernt, die mittlere Temperatur an der Oberfläche betrug 15 Grad nach Celsius, etwas mehr als die Hälfte der Oberfläche bestand aus Wasser, die Pole trugen weiße Eiskappen, die Schwerkraft betrug 1,07 G, also nur minimal mehr als auf der Erde. Die meisten Landmassen lagen in den gemäßigten Zonen, dort war es warm und zumeist ziemlich feucht, den fruchtbaren Boden bedeckten teilweise riesige Wälder. Es gab Millionen von Pflanzen, tausende und abertausende Spezies tierischen Lebens, sowohl im Meer als auch an Land, ein perfekter Planet für die Gründung einer ersten Kolonie. Einer der Kontinente bedeckte rund zwei drittel der nördlichen Hemisphäre, durchzogen von breiten Flüssen, die aus den hohen Bergen ins Meer flossen. Zwischen zwei der Faltengebirge, die in nord – südlicher Richtung verliefen, stand auf einer Hochebene eine Kugel aus Stahl, 100 Meter im Durchmesser, auf dem weißen Rumpf trug sie den Trinity Knot der GCC und den Namen ‚STARFLOWER‘ in schwarzer Farbe. Im Süden des Schiffes wuselten Arbeitsroboter und erschufen am Ufer eines großen Süßwassersees, in den sich einige Flüsse ergossen und ein mächtiger Strom entsprang, die Gebäude einer Stadt, die den Namen ‚New Saint Louis‘ tragen sollte. Den Strom hatte Rhodan ‚Big Man River‘ genannt, den See Lake Manchester, nach seiner Heimatstadt.

Zwei Frachter, die MULE und die DEER, brachten ständig neue Rohstoffe, Traktoren, Pflüge, Mähdrescher und andere für die Landwirtschaft nötige Geräte von den Minen und Produktionsstätten auf Reggy II. In zwei Monaten etwa sollten jene ersten Siedler mit der MAYFLOWER II eintreffen, welche eben in einem Trainingscamp auf den neuen Planeten vorbereitet wurden. Es hatten sich viele tausend gemeldet, die einen Beginn auf First wagen wollten. Besonders Landwirte aus allen Ländern, die gegen die großen Konzerne kaum mehr bestehen konnten und hier wieder auf einen eigenen Hof, eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit hofften. Außerdem wurde es allmählich zu voll auf der Erde, die Menschen benötigten mehr Platz, als zur Verfügung stand.

Von der Stadt New Saint Louis aus sollten die Siedler erste Farmen und Ranches anlegen, denn in erster Linie sollte First tatsächlich eine Agrarwelt und ein Urlaubs- und Erholungsplanet werden. Einige besonders fruchtbare und warme Hänge waren bereits einer Vereinigung von kleinen Weinbauern versprochen worden, sie bereiteten die ausgewählten Rebsorten bereits sorgfältig auf den neuen Boden und den Transport vor. Zwei Böttcher durften bereits mit der STARFLOWER reisen, sie suchten geeignetes Holz für die Lagerung besonders edler Weine. Die Industrien sollten auf dem unwirtlichen zweiten Planeten entstehen, hier waren keine ökologischen Katastrophen zu befürchten, und auch eine Atmosphäre, die durch den Start und die Landung großer Schiffe geschädigt werden konnte, gab es dort kaum. Zumindest Perry Rhodan und sein Stab hatten, die Ökologie betreffend, ihre Hausaufgaben gemacht. Trotzdem sollte die Kolonie natürlich Gewinn abwerfen, die Kalkulation war eine Gratwanderung zwischen Ökonomie und Ökologie geworden. Allen Problemen zum Trotz wollten die Anteilseigner der GCC aber das Risiko eingehen, First sollte bald der erste Außenposten der Erde fertig werden. Wie Ziolkowsky es erträumt und Perry Rhodan es immer gewollt hatte, verließ jetzt die Menschheit ihr zu klein gewordenes Nest.

Captain Henry Blanché von der STARFLOWER zog sich einen Kaffee aus dem Automaten, schwarz wie die Erde seiner Heimat und seine eigene Haut. Er war bereits seit zwei Monaten mit seinem Kreuzer auf diesem Planeten und spielte Kindermädchen für einen Haufen Wissenschaftler und Entwicklungsingenieure. Diese wichtige Aufgabe nahm er sehr ernst, jede Gruppe von Biologen wurde zu ihrer Sicherheit von Robotern und Infanteristen begleitet, denn Wissenschaftler vergaßen in ihrem Eifer schon gerne auf ihre eigene Sicherheit. Die GCC stellte ihrerseits auch bei der Infanterie keine Idioten ein, darum blieben die Soldaten, auch wenn keine offensichtliche Gefahr vorhanden war, wachsam und gingen selbst auf wiederholte Forderungen des wissenschaftlichen Teams keine unnötigen Risiken ein. Sie wollten am Abend ihre Schützlinge möglichst gesund und lebend auf der Krankenstation zum Routinecheck abliefern. Völlig unverletzt kam aber selten vor, kleinere Blessuren konnten schwer ausbleiben, sie befanden sich immerhin in einer wilden, ungezähmten Natur, wie sie auf der Erde kaum mehr anzutreffen war.

Die STARFLOWER hatte selbstverständlich auch einige der Originale jener wissenschaftlicher Flugpanzer an Bord, die bei Starlight Enterprises Humboldts genannt wurden. Hier wurden sie offiziell nur nüchtern ‚Wissenschaftliches Expeditionsfahrzeug Typ III‘ genannt, die Besatzungen nannten sie kurz und knapp ‚Eierkopf‘. Der Unterschied zu den Humboldts der KLEOPATRA bestand nur in der Computeranlage, Rumpf und Antrieb waren identisch. Keine Überraschung, denn Tana Starlight hatte die Maschinen als gute Konstruktion eingestuft und einige von der GCC erworben. Ein neuer Rechner war schnell eingebaut, fertig war das Humboldt-Fahrzeug. Mit den ‚Eierköpfen’ unternahmen die Wissenschaftler auch einige Ausflüge in die entlegeneren Gebiete und legten jetzt schon große Landstriche als Naturschutzgebiete fest, suchten abgelegene Buchten für Badehotels, vorerst sollte jedoch nur dieser eine Kontinent erschlossen werden. Zukünftigen Generationen sollte es vorbehalten sein, sich auf First auszudehnen, möglichst ohne die Ökologie zu schädigen.

Es war ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Schiff, die großen Schleusen in der Nordhalbkugel der STARFLOWER waren stets geöffnet, ein steter Strom von Informationen floss in das Schiff, Technik und Fortschritt hinaus, der Kommunikationsoffizier vom Dienst hielt ständig Kontakt mit sämtlichen EVA – Teams. Wenn es nach Captain Blanché ging, wurde der Termin auch eingehalten, alles lief nach Plan, auch der Raumhafen auf dem größten der drei Monde machte gute Fortschritte. Er nippte an seinem heißen Kaffee. Nicht berühmt, aber durchaus genießbar, befand er. Durchaus zufrieden mit der Situation ging er zu seinem Kontursessel, setzte sich wieder und schloss die Augen, dem stetigen Summen einer geschäftigen Zentrale lauschend. Sein nächstes Ziel würde mehr Herausforderungen bieten. Nahe der Sonne von First lag ein weiterer Stern der Spektralklasse G, den ein kühler, aber auch etwas trockener Planet umlief, der dennoch als Kolonie für Menschen in Frage kam. Das Leben dort wäre in den meisten Gebieten fraglos härter als auf First, aber einen echten Pionier würde das nicht abschrecken, sondern eher locken. Nach einer berühmten Romanserie von Edgar Rice Burroughs wurde dieser Planet Barsoom genannt, doch Captain Blanché hatte wenig Hoffnung, dort auf eine Dejah Thoris zu treffen, egal ob rot, schwarz, grün oder violett getupft.

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Gopkar Sektor

Planet Tricky Secret

Funken sprühten durch das Zwielicht des Maschinenraumes im Flugzeugträger, als George Kinnuk die kleine Trennscheibe ansetzte und einen Teil der Wandverkleidung aufschnitt. Zuerst hatte er mit MRT – Technik die Wand untersucht, dann vorsichtig ein winziges Loch gebohrt, ein Endoskop eingesetzt und alles genau vermessen. Zweimal! Dann erst hatte er zur ‚Flex’ gegriffen, nun lag ein dickes, buntes Bündel Verkabelung mit einem Verteiler vor ihm.

Mal sehen“, murmelte er leise vor sich hin. Seine dicken Finger, denen man die Geschicklichkeit nicht ansah, folgten dem Verlauf eines jeden Kabels, zeichneten es auf einem Plan, einer Schaltskizze ein. Dann klemmte er ein Bündel Kabel vorsichtig ab und ersetzte es durch ein anderes, das aus seinem Pad kam. Seit zumindest die Maschinenhalle unter Druck stand und beheizt wurde, konnte man ohne Helm und manchmal sogar schon ohne Handschuhe arbeiten.

George hatte in langsamer und mühevoller Kleinarbeit eine Energieversorgung für die Bordrechner installiert, hatte Schritt für Schritt die Stromstärke erhöht. Bei zehn Volt hatte er eine erste Reaktion erhalten, unverständliche Zeichen, jenen auf der Tafel einige Decks höher ähnlich, waren auf dem Bildschirm erschienen, dazu ein hektisch blinkendes rotes Symbol. Ein sechsstrahliger Stern, dessen Mittelpunkt sich ausdehnte und zusammenzog. George hatte kurz gegrinst. Rot als Alarmfarbe schien nicht nur auf der Erde, sondern überall in der Galaxis beliebt zu sein. Arkoniden und ihre Abkömmlinge benützten sie, Topsider, Ferronen, Kh’Entha’Hur und auch das Volk Mattas und der Hüter. Zumindest in dieser Ecke der der Milchstraße schien rot ein ziemlich universeller Code für Gefahr zu sein. Selbst in der Tierwelt war rot zwar nicht immer, aber doch überraschend oft mit Gift und Gefahr verbunden, während bei Früchten diese Farbe oftmals ein Zeichen für Reife war.

Reaktion auf der Brücke! Die Bildschirme zeigen seltsame Symbole“, kam die Meldung einer Infanteristin aus seinem Earset. Das hatte Kinnuk nicht weiter überrascht, er hatte schon vermutet, dass überall im Schiff die Rechner anlaufen würden. Beziehungsweise die Bildschirme, denn vermutlich gab es ja nur einen zentralen Bordrechner, vielleicht noch mit einem Reservesystem für Notfälle. Also hatte er sich auf die Suche nach den Verbindungen gemacht. Die dick isolierten Stränge, die wohl Starkstrom übertrugen, hatte er dabei noch außer acht gelassen und sich auf die dünnen Kabel konzentriert. Nun versuchte er, seinen eigenen Rechner mit dem des Schiffes zu verbinden. Wieder schaltete er die Stromzufuhr ein, wieder huschten seltsame Zeichen über die Bildschirme, auch sein Pad reagierte, wenn auch nur mit einer Fehlermeldung.

Ishi?“ rief er, die großgewachsene Asiatin hob das Pad auf.

Probieren wir’s!”

Ishi Katamuri war aus einem kleinen Dorf in der Präfektur Miyazaki auf Kyūshū, der südlichsten der japanischen Hauptinseln. Im Alter von 5 Jahren hatte sie sich ein Spiel auf dem Rechner ihres Bruders programmiert, der ganz aufgeregt fragte, wie sie das getan hätte. Ishi konnte die Frage nicht wirklich beantworten, sie hatte einfach die Knöpfe auf dem Bildschirm gedrückt, es gab für sie nur die eine Möglichkeit der Reihenfolge, alles andere fühlte sich falsch an. Sie war erstaunt, dass ihr Bruder es anders machte. Akuma Katamuri, der sich auf eine Karriere als Programmentwickler vorbereitete, stellte seiner Schwester darauf hin eine Aufgabe. Sie sollte ein komplexes Spiel mit diesen und jenen Parametern entwickeln. Ishi benötigte dafür zwei Wochen, etwa 13 Tage, um ihren Bruder zu verstehen, nicht ganz einen, um das Spiel danach zu programmieren. Die Firma Yatakana verdiente mit diesem Spiel ein kleines Vermögen, das Mädchen wurde mit freundlichen Worten, ein wenig Taschengeld und dem Versprechen eines Jobs bei der Firma abgespeist. Vater Katamuri bekam eines Tages Post von Starlight Enterprises, seine Tochter wurde mit sehr gutem Gehalt auf die HEPHAISTOS eingeladen. Mit Familie, natürlich, Ishi hatte gerade erst ihren zwölften Geburtstag gefeiert und sollte selbstverständlich auch weiterhin eine gute Schulbildung erhalten, aber an Bord der Station. Familie Katamuri beratschlagte, entschied sich und zog um. Papa Ryu, der sein ganzes Leben gearbeitet hatte und mit dem müßigen Leben eines wohlhabenden Mannes auf Kosten seiner Tochter nicht zufrieden war, eröffnete ein überaus erfolgreiches Sushilokal auf der HEPHAISTOS. Ein Teil seines Gewinnes, der nicht für die Altersvorsorge eingezahlt wurde, ging an Organisationen wie ‚Ärzte ohne Grenzen‘ oder ‚Licht für die Welt‘, die sich der medizinischen Versorgung der Ärmsten verschrieben hatten und leider auch im ausgehenden 21. Jahrhundert immer noch nötig waren. Sie mussten nur nicht mehr um jeden Cent kämpfen, mittlerweile gab es einige Konzerne, die im Hintergrund große Summen überwiesen. Die GCC war einer davon, und auch von Starlight – Konten wurden regelmäßig nicht geringe Summen an solche Hilfsorganisationen überwiesen. Akuma Katamuri war anfangs weniger begeistert gewesen, seinen Lebensmittelpunkt verlegen zu müssen. Er gönnte seiner Schwester ihren Erfolg durchaus, aber warum sollte er mitziehen müssen? Mit 16 auf eine Raumstation im Nirgendwo ohne Freunde und Freundinnen? Dann hatte er die HEPHAISTOS zum ersten Mal gesehen, und nach einigen Erkundungsgängen an Bord hatte er sich mit seinem Schicksal mehr als nur ausgesöhnt. Nach einigen wilden Abenteuern mit schnell wechselnden Mädchenbekanntschaften war er bei Isabella de los Santos Angeles Zapatero gelandet, die mit sanfter, aber bestimmter Hand den Bock zähmte. Akuma wurde tatsächlich Softwareentwickler, so wie er es sich immer vorgestellt hatte. Nur nicht bei Großonkel Yatakana, sondern an Bord der HEPHAISTOS.

Ishi war gerade 20 Jahre alt geworden, als Angel Kleinschmid bei ihrer Suche nach dem neuen Generator auf das Computergenie aufmerksam wurde und sie in ihr Team holte. Die für japanische Verhältnisse großgewachsene und ein wenig schlaksig wirkende junge Frau hatte begeistert zugestimmt, Angel war zu dieser Zeit bereits eine kleine Legende. Eine aus der ersten Generation, die mit Tana auf diese Station gekommen waren. Mutter Kumiko hatte zuerst im Stillen gewisse Befürchtungen gehegt, als sie diesen Posten annahm. Doch als ihr ihre Tochter nach einem halben Jahr Jannis Armegos aus dem Team ihrer Chefin vorstellte, waren auch diese Sorgen vorbei. Kumiko hatte nichts gegen Frauen, die sich zu anderen Frauen hingezogen fühlten, und sie hätte ihrer Tochter jedes Glück gegönnt, aber sie wünschte sich doch auch Enkelkinder. Und dafür war ein Mann notwendig, wenn möglich einer, der mit Ishi eine feste Beziehung eingehen wollte. Und Jannis wollte, er war sofort Kumikos Liebling, dass er ein ‚Rundauge’ war, störte sie dabei überhaupt nicht. Hauptsache, er wurde ein guter Vater für ihre Enkel. Im Alter passten beide gut zu einander, die zwei Jahre, die der Grieche älter war, egalisierte Ishi mit ihrer Reife wieder. Auf die Enkel musste Kumiko aber zu ihrem Leidwesen noch warten, denn derzeit passte Nachwuchs überhaupt nicht in Ishis Lebensplanung. Eher schon die Beschäftigung mit dem großen Rätsel Flugzeugträger.

Probieren wir’s“, hatte sie gesagt, und irgendwie schien sich ein Teil ihres Geistes aus ihrem Körper zu lösen und in die Picotronik einzudringen, von dort weiter zu wandern in den Rechner des Flugzeugträgers. Der zerbrechlich wirkende Körper der jungen Japanerin ruhte in der Lotushaltung, das Pad in den Händen, sie benötigte schon lange keine Eingabehilfen oder Bildschirme mehr.

Sie haben duodezimal gerechnet“, murmelte Ishi leise, der Rest des Teams hörte gebannt zu. „Zwölf Bits ergeben ein Byte. Auflösung der Bildschirme 3852 mal 2160!“ Ein Teil ihres Verstandes wunderte sich, wie leicht sie einen fremden Rechner verstehen und manipulieren konnte, bisher hatte sie nur mit den im späten 21 Jahrhundert üblichen Betriebssystemen zu tun gehabt, einer Art Stargate, Windows, Linux oder Android auf arkonidischer Grundlage. Dann wunderte sie gar nichts mehr, ihr Denken und Fühlen ging vollständig im Rechner auf. In ihrer Trance koppelte und synchronisierte sie die Rechenanlagen, glich die Ein- und Ausgabesprache der Verkehrssprache des großen Imperium an, die auf der HEPHAISTOS gesprochen wurde. Hypnoschulung für das erlernen von fremden Sprachen war schon eine feine Sache.

Noch nie war sie in eine derart intensive Trance verfallen, beinahe völlig im Rechner aufgegangen. Waren es Minuten? Stunden? Jahre oder Jahrzehnte? Ishi wusste es nicht. Sie schwebte in einem Kosmos aus Zahlen, einige Male fühlte sie, wie etwas nach ihr rief, stark an ihr zog. Manchmal gab Sie dem Ruf nach, dann wieder verlor sie sich wieder. Endlich wurde der Zug zu stark, etwas rief sie mit großer Macht, mit verzweifeltem Sehnen. Sie folgte dem Empfinden, fand sich selbst wieder und kehrte langsam in die Gegenwart und ihren Körper zurück. Schmerzen in den Beinen überfielen sie, Krämpfe quälten ihre Sinne, bis ein leises Zischen ihre Ohren erreichte und sich ein angenehmes Gefühl von Wärme und Entspannung in ihrem Körper auszubreiten begann.

Das war die dritte Injektion“, hörte sie eine Männerstimme. Jannis? Warum klang er so besorgt, es war ihr doch so gut gegangen? Sie wollte nach seiner Hand greifen, ihr Arm verweigerte den Gehorsam. Langsam, unendlich langsam gelang es ihr, das Glied gegen die Proteste der verkrampften Muskeln zu bewegen. Sie fühlte, wie jemand ihre Beine streckte und wieder beugte, ihre Arme, ihre Finger.

Janni?“ Ein leises Flüstern kam über ihre Lippen.

Wir sind alle hier, Schatz! Wir sind alle hier!“ Weinte Jannis etwa? Warum? Was war los? Mit großer Mühe artikulierte sie ihre Frage.

Du warst beinahe zehn Stunden in Trance, Liebes!“ Jannis küsste ihre trockenen Lippen. „Wir alle hatten große Angst, du fändest den Weg zurück zu uns nicht mehr! Ich bin fast verrückt geworden! Ich liebe Dich doch so sehr, Ishi!“ Er ließ seinen Tränen jetzt freien Lauf, die junge Frau tastete mühsam nach seinem Gesicht, legte ihre Hand auf seine Wange und wischte mit dem Daumen eine Träne fort. Es kostete sie alle Willenskraft und ging langsam, doch selten hatte sie sich glücklicher gefühlt.

Ich Dich auch, Janni.“ hauchte sie leise, gestand es zum ersten Mal sich selbst und ihm ein. Allmählich konnte sie sich wieder ein klein wenig bewegen.

Hat jemand einen Schluck Wasser für mich?“, flüsterte sie, eine starke Hand half ihr, sich aufzusetzen, und Angel hielt ihr einen Becher mit in Wasser aufgelösten Mineralstoff- und Vitamintabletten an die spröden Lippen. Vorsichtig nippte Ishi an dem Getränk, sie wusste, jetzt musste sie ihre aufsteigende Gier bekämpfen, durfte nicht zu hastig trinken. ‚Langsam‘ beschwor sie sich selbst in Gedanken. ‚Nur schlückchenweise!‘ Sie begann heftig zu zittern, fror ganz erbärmlich trotz eines Schweißausbruches. Eine wärmende Folie legte sich über ihre Schulter, Sulukon, der Arkonide hatte die Rettungstasche geplündert, auch wenn die Folie eher psychisch als durch den Raumanzug wirklich wärmend wirkte. Er erhitzte rasch noch eine Dose Suppe über die eingebaute Automatik, riss sie auf und reichte sie an Jannis weiter. Selber halten war für Ishi unmöglich, sie hätte bei weitem mehr verschüttet als getrunken, so zitterte sie immer noch. Weinend legte sie ihren Kopf an Jannis Brust und hielt sich an ihm fest.

Der Angatquq…“ begann George Kinnuk, doch Klara Berger unterbrach ihn sofort.

Entschuldige, der was?“ George überlegte kurz.

Schamane! Also, der Schamane in dem Dorf, aus dem ich komme, hat mir einiges über Meditation und so beigebracht. Dann hat er gesehen, dass meine Zukunft in den Sternen liegt, hat mir einiges von der Bildung der Weißen eingebläut und mich in einer Schule angemeldet. Na ja, letztendlich hat er wohl recht gehabt. Verdammt, jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Also, der Schamane hat mir erzählt, dass sein Ur- Ur- Uropa einmal in der Trance sich zu weit von seinem Körper entfernt hat und beinahe so wie Ishi nicht zurück gefunden hat. Damals hat er verlangt, dass man ihm ein Schwitzlager baut. Also, viele Felle unter ihm, viele Felle auf ihm und neben ihm einige warm gemachte Steine, die man immer wieder wechseln und wieder ins heiße Wasser werfen muss. Vielleicht sollten wir Ishi in die Sauna bringen?“

Klingt gut!“ Angel beugte sich vor und schloss Ishis Helmfolie. „Kannst Du sie tragen, Janni?“ Der Grieche nickte, schloss auch seinen Helm und nahm Ishi auf seine Arme. Trotz ihrer Größe wog die schmale Japanerin nicht viel, sie legte ihre Arme um seinen Hals, seufzte tief und fühlte sich geborgen, ihre Tränen versiegten. Ewig hätte sie sich so tragen und halten lassen können. Langsam schlief sie ein.

*

Wie geht es Dir, Liebes?“ Jannis hatte neben Ishis Bett gesessen und war sofort zur Stelle, als sie ihre schön geschnittenen Mandelaugen öffnete und etwas ratlos umherblickte.

Hungrig!“ sagte sie. „Ich könnte auf der Stelle eine Kuh essen. Und durstig!“

Jannis nickte und reichte ihr einen Becher mit Tee. „Du hast fast zwanzig Stunden geschlafen, davor zehn Stunden in Trance – ja, ich würde sagen, dein Hunger und Durst sind verständlich.“

Ishi setzte sich kerzengerade auf, ihr Gesicht bekam einen schockierten Ausdruck. „Wie lange?“

Zehn Stunden Trance!“ bestätigte Jannis. „Wir haben Dich nicht früher wecken können, und du hast das Pad so stark umklammert, dass wir deine Hände nicht lösen konnten, und als wir die Verbindung von deinem Tablett zum Bordrechner des Flugzeugträgers gelöst haben, hatte das keinen, überhaupt keinen Effekt. Ich bestelle dir etwas zu essen und benachrichtige die anderen.“

Und, habe ich etwas gesagt?“ Ishi konzentrierte sich, konnte sich aber kaum mehr erinnern.

Du hast ‚duodezimal’ gesagt, die Bits und die Bildschirmauflösung. Nicht, dass die Auflösung noch sonderlich wichtig wäre. Als wir dich hinaus getragen haben, standen da Worte in der arkonidischen Sprache auf dem Bildschirm des Trägers!“

Waaas?“ die Japanerin wurde ganz aufgeregt. „Wie gibt’s das? Irrst du dich nicht? Was stand da?“

Jannis zählte lachend an den Fingern ab. „Keine Ahnung, nein, weiß ich nicht! Und jetzt warte, ich besorge endlich etwas zu essen!“ Er drehte sich um.

Janni!“, rief Ishi ihm hinterher.

Ja?“ Er drehte sich noch einmal um.

Ich habe gehört, was Du zu mir gesagt hast. Und ich habe mich nie so wohl und geborgen gefühlt wie in Deinen Armen. Es tut mir so leid, dass ich immer ein wenig reserviert geblieben bin, dass ich mich nie so ganz auf dich einlassen wollte. Seit Gestern weiß ich es besser, Janni. Ab jetzt bekommst du von mir so viel, wie du mir schon immer gegeben hast! Wenn du mich noch willst!“

Jannis nickte glücklich lächelnd. „Natürlich will ich dich noch. Lass mich nur dein Frühstück bestellen.“

*

Wohlig gesättigt saß Ishi im Bett, ringsum hatte sich Angels Team versammelt. „Janni hat richtig gesehen. Auf dem Bildschirm waren zumindest arkonidische Buchstaben. Mehr hat keiner von uns gesehen.“ Klara strich sich die blonden Haare zurück. „Wir wollten dich so schnell wie möglich in die Sauna bringen, die hat dann deine verkrampften Muskeln wieder ganz gut entspannt und auch deinen Schüttelfrost beseitigt. Ein Hoch auf alte Schamanen!“ Sie hob ihr Glas in Georges Richtung, der verneigte sich.

Ich war nur der Schüler eines Meisters“, sagte er bescheiden. „Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“ Er legte einen kleinen Gegenstand an einem Lederband in Ishis Hand. „Ich habe Jannis vorgeschlagen, ein – ich weiß kein Wort dafür. Nennen wir es einen Seelenbewahrer. Also, so einen Seelenbewahrer für dich anzufertigen. Er hat mir dafür eine Münze gegeben, die schon lange in seiner Familie ist, und ich habe darauf ein Totem für dich entworfen. Da Ishi Stein bedeutet, dein Geist aber fliegt in großer Freiheit, so habe ich mir erlaubt, den Steinadler als dein Tier anzunehmen und in dein Totem zu ritzen. Trage sie bei dir, damit dein Geist zu deinem Körper zurückkehren kann!“ Damit bog er Ishis Finger um die Münze.

Ich danke Euch. Euch allen! Ihr seid die besten Freunde, die ein Mädchen haben kann!“ Gerührt sah Ishi in die Runde.

Janni?“ Ishi hatte sich in ihre Decke gekuschelt, während Jannis Armegos die Gäste hinausbegleitete. Auf diesen Ruf kam er besorgt ins Zimmer.

Ja bitte, Ishi?“

Mir ist immer noch kalt, Janni“, beklagte sich die junge Frau.

Ich drehe dir die Heizung höher!“ Der Grieche ging zum Thermostat.

Stopp“, kommandierte Ishi, setzte sich aufrecht hin, ließ ihre Decke fallen und entblößte ihre kleinen, aber hübschen Brüstchen. „Lass den nowora reta Datsueba Regler in Ruhe! Komm gefälligst zu mir und wärme mich! Persönlich! Jetzt!“ Sie streckte einladend ihre Arme nach ihm aus.

*

Zwei Tage später machte sich Angels Team wieder zum Flugzeugträger auf, Tana Starlight begleitete sie neugierig.

Wir haben auf Ishis Erholung gewartet, Tana. Sie hat es sich verdient, dass sie dabei ist, wenn wir nachsehen. Ohne sie würden wir wohl noch Wochen herummachen, ohne sehr viel mehr Erfolg als unlesbare Zeichen auf einigen Bildschirmen. George hätte herausgefunden, welches Kabel wohin führt, aber viel mehr wohl nicht. Aber irgendwie hat Ishi es geschafft, dass arkonidische Zeichen auf den Bildschirmen zu sehen sind.“

Tana nickte nachdenklich. „Ich habe etwas in solch einer Richtung geahnt, als ich zum ersten Mal von ihr gehört habe. Sie hat sicher noch eine Menge Überraschungen auf Lager. Danke, Ishi.“ Sie zwängten sich in die Schleusenkammer, stellten den Druckausgleich her und öffneten die Helmfolien.

George hat in den letzten zwei Tagen an unserer neuen Versuchsanlage für den PPS gearbeitet. Die ist zwar noch nicht fertig, aber auch er hat ein Recht, heute dabei zu sein. Wir sind ein Team, so funktioniert das bei uns nun einmal.“

Tana hob die Augenbrauen. „Kein Einwand, Angel! Ich freue mich wifklich über Euren Teamgeist!“

An der Decke der Halle flackerten kurz die Leuchtkörper und erhellten die fremdartigen Maschinenanlagen. Dazwischen strahlten die Bildschirme der Kontrollanlagen, Worte in arkonidischer Schrift standen dort, daneben pulsierte das Wort ‚Generalalarm‘ in roten Buchstaben.

Sieht aus wie eine ganz normale Iconsteuerung. Was haben wir denn da? ‚Diagnose Energie‘. Lassen wir es laufen?“ Angel hielt ihren Finger knapp über dem Schirm, zauderte und sah sich fragend um. Einmütig nickte ihr Team, und Tana sagte.

Einstein sagte ‚Ein Mensch, der keine Fehler macht, hat nie etwas Neues versucht‘! Schalte schon ein, Angel.“ Der schlanke Finger senkte sich, kurz blinkte das Icon, als Angel den Finger hob, raste ein roter Balken von links nach rechts über den Schirm, dann erschien eine Tabelle mit Bezeichnungen in einer Spalte, roten, gelben und grünen Zeichen in einer anderen.

Generator eins – ausgefallen. Generator zwei – inaktiv.“ Klara Berger las vor. „Das muss das Schema der Verkabelung sein – hier ist der Maschinenraum, hier die Zentrale!“ Sie folgte den Linien mit dem Finger. „Das müsste der Hauptantrieb sein, hier ist eine Unterbrechung, hier wird ein massiver Schaden angezeigt. Schildgenerator? Hier ist die umfangreichste Beschädigung gelistet. George? Kannst du irgend etwas mit diesem Diagramm hier anfangen?“

Ich denke schon!“ Der Inupiat sah mit gerunzelter Stirn auf den Schirm. „Lass mir eine Stunde Zeit!“ Er schloss seinen Helm.

Stopp!“ Der Arkonide Sulukon schloss ebenso seine Kapuze. „Ich komme mit. Vielleicht brauchst du ein zweites Paar Hände!“ Als die ungleichen Freunde den Maschinenraum verlassen hatten, fragte Jannis Tana flüsternd.

Ist es sicher, dass Sulukon ein Arkonide ist?“ Tana zuckte stirnrunzelnd mit den Schultern.

Der Robodoc sagte ja, Matta sagte ja, also nehme ich es an. Er wollte zwar seine Familie nicht nennen, aber er ist von den drei Planeten, und er ist loyal. Mehr interessiert mich nicht!“

Wie ich mir gedacht habe, wir kriegen das hin.“ George und Sulukon waren zurückgekehrt und der Inupiat erstattete Bericht. „Ein paar Monate, und das Ding fliegt wieder, aber ich denk‘, wir werden bis Reggy III im Raumanzug bleiben müssen. Für diesen Riesenkahn werden wir in diesem System wahrscheinlich nicht mehr genug Atemluft synthetisieren können. Vielleicht schaffen wir’s, aber ich glaub’s nicht. Außerdem fragt sich’s, ob wir die Zelle hier zu hundert Prozent dicht kriegen. Vielleicht, wenn uns die HEPHAISTOS einen von diesen kleinen Reintegratoren schicken könnte, dann hätt’ ich’s auch leichter mit dem neuen Modell des PPS-Meilers.“ In der Aufregung kam sein Inupiat – Dialekt durch.

Oh!“ Tana Starlight legte die Fingerspitzen der rechten Hand an ihre Lippen. „Das ist eine gute Nachricht. Der Reintegrator und Rohmaterialien sind so gut wie unterwegs. La Paz hat eine ganz gute Analyse des Rumpfmaterials gemacht, aber wenn die – ach was, ich werde die zweite Station zumindest vorderhand VULCANUS nennen. Also, wenn ich von der VULCANUS einen Reintegrator abziehen kann, bekommt das Ding einen Klarstahlüberzug. Ishi, Dein Bruder kann schon einmal anfangen, dafür ein Programm zu schreiben. Eilt nicht, aber es soll exakt sein. Ich verlasse mich auf ihn. Angel, ich habe hier ein Icon mit ‚Logbücher‘ gesehen. Ich würde gerne morgen oder übermorgen mit einigen Leuten wieder mitkommen und mir das ansehen. Ist das in Ordnung?“

Angel sah sie erstaunt an. „Du bist die Chefin! Natürlich ist es in Ordnung.“

Victoria runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Deine Arbeit, dein Ort, deine Regeln, Angel. So habe ich es immer gehalten und bin immer gut damit gefahren!“

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Der Bildschirm flackerte einmal, dann stabilisierte sich das Bild einer kräftigen Frau mit harten, strengen Gesichtszügen, welche zwar viel Kompetenz, aber wenig Freundlichkeit ausstrahlten. Eine Terranerin ihres Aussehens würde man auf ein Alter knapp unter 40 Jahre schätzen. Ihre Augen waren leicht mandelförmig geschnitten, die Iris schimmerte grün, ihre Nase war ziemlich prominent, die Lippen voll und dunkelrot. Das Haar trug sie kurz geschoren, ab und zu huschten helle, blaue Reflexe über die weißblonden Stoppeln auf ihrem Kopf. Gekleidet war sie in eine blassviolette Tunika mit Stehkragen und goldenen Schulterklappen, unter diesen Klappen verliefen zwei breite, weiße Gurte, die sich zwischen ihren schweren Brüsten in einem achteckigen Verschluss mit zwei weiteren Gurten, die von den Hüften kamen, vereinigten und die Größe des Busens noch stärker hervorhoben. Auf der rechten Brust war ein septagon auf einer Spitze stehend zu sehen, ein blauer Kreis auf goldenem, blau umrahmten Feld. Hinter dieser Frau war ein ovaler Bildschirm, auf dem vor einem Sternenhimmel ein blau – weiß gemusterter Planet zu sehen war, zwischen dem Betrachter und dieser Welt hingen zwei Monde. Den Blick auf die Kamera gerichtet begann sie zu sprechen, aufgrund der computerisierten Übersetzung nicht ganz synchron.

Mein Name ist Commodore Hukh ůr Therwal von der Marine der Matriarchin Hanghra IV, Kaiserin des Universums und Königin von Aagghran. Heute ist der 14. Tag des 8. Monats im Jahre 13.947 seit der Gründung des kaiserlichen Matriarchats von Bhungar. Ich werde nun meine Befehle verlesen!“ Die Commodore entnahm einer Tasche mit großem Wappen einen Umschlag, hielt das Siegel mit demselben Wappen, scheinbar einem Raubvogel, in die Kamera und danach an einen Sensor auf ihrem Tisch. Ein angenehmer Sopran bestätigte die Echtheit des Siegels, das Hukh ůr Therwal nun erbrach und einen Bogen Papier entfaltete, steif und dick, mit einem weiteren Siegel versehen, beschriftet mit der selben bereits vom Flugzeugträger bekannten Schrift.

Zitat Anfang: ‚An Commodore ůr Therwal! Begeben Sie sich an Bord des Basisschiffes der 745. Flottille, der ASO’OMIE. Übernehmen Sie das Kommando und setzen Sie am 15. Tag des 8. Monats im Jahre 13.947 Kurs auf den unten angeführten Sektor. Nach den Berechnungen einiger Historiker soll es dortselbst auf einem Planeten den Hüter der Unsterblichkeit geben. Finden Sie diesen Planeten und erkunden Sie, ob und zu welchen Bedingungen Ihrer Schwester, unserer geliebten Matriarchin Hanghra IV, diese Unsterblichkeit zuteil werden kann. Möge Ghari mit Ihnen reisen und Ihren Geist erleuchten.‘ Es folgen Koordinaten. Zitat Ende. Ich werde mich nun auf die Brücke begeben, um dort meinen Auftrag der Crew zur Kenntnis zu bringen und befehlsgemäß das Kommando zu übernehmen.“

Das Bild flackerte kurz, die Szene hatte gewechselt. Die Commodore stand mit einer zweiten Frau in der Kommandozentrale eines Raumschiffes vor einer angetretenen Besatzung und reichte dieser zweiten Frau das Schreiben, welche es noch einmal laut verlas. Nun konnte man sehen, dass zu der Uniform auch dunkelblaue Hosen und Stiefel sowie ein breiter, weißer Gurt um die Hüften gehörten. Die andere Frau legte ihre linke Hand auf ihr Abzeichen auf der rechten Brust, einem blauen Septagon mit fünf goldenen Kreisen.

Commodore ůr Therwal, ich übergebe ihnen das Kommando über die ASO’OMIE und die 745 Flotille! Möge Ghari unseren Geist erleuchten!“

Hukh legte mit der selben Geste ihre Linke auf ihr Rangabzeichen. „Ich übernehme das Kommando über die ASO’OMIE und die 745 Flottille von Ihnen, Captain tåg Zygha! Möge Ghari unseren Geist erleuchten und bei unserer Aufgabe helfen.“ Die Frauen umarmten einander, steif, knochentrocken, zeremoniell.

Captain, lassen Sie die Mannschaft weitermachen. Sie haben das Kommando!“ Wieder wechselte die Szene.

Die Commodore saß im Zentrum der Brücke neben der Captain, geschäftiges Treiben herrschte rings um die beiden Frauen. Ůr Therwal schaltete, die Kamera zoomte auf ihr Gesicht.

Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, Tag 1. Start pünktlich 15.8.13947, Mitternacht nach der galaktischen Zeitrechnung. Die ASO’OMIE nimmt mit 16 Kreuzern und 600 Jagdmaschinen an Bord Kurs in die Richtung des galaktischen Zentrums. Zwischen diesem und Aaghran liegt der Sektor 134/75/52, in dem wir unser Ziel vermuten. Dort stößt unsere Heimat an das Reich der Rebellen von Lå’amů’ourø, wir werden extrem wachsam sein müssen. Wir beschleunigen eben mit halber Kraft, etwa 3000 m/sec2. In etwa 20 Stunden werden wir die geeignete Entfernung und Geschwindigkeit zum Sprung erreicht haben. Möge Ghari mit uns sein.“

Expeditionstagebuch der ASO‘OMIE, Tag 2. Nach einem geglückten Hypersprung sind wir im angepeilten System angekommen und haben den nächsten Sprung berechnet. Eben nehmen wir wieder Fahrt für die zweite Etappe auf.“ Commodore ůr Therwal saß in ihrer Uniform wieder an einem Schreibtisch, bequem zurückgelehnt blickte sie zu dem ovalen Bildschirm im Hintergrund, wandte sich wieder der Kamera zu. „Bisher war der Flug ruhig ohne Vorkommnisse. Gebe Ghari, dass es so problemlos weitergeht.“

In ein bequemes Gewand aus dünnem Stoff gehüllt saß Hukh ůr Therwal an ihrem Tisch, das Gesicht wirkte entspannter. In ihrer linken Hand hielt sie ein kleines Glas mit einer durchsichtigen, dunkelgrünen Flüssigkeit. „Persönliches Log. Vermutlich ist es nicht sehr klug, diese Aufzeichnungen im Schiffscomputer abzulegen, aber auch falls dieses Schiff von seiner Mission zurückkehren sollte, ich selbst werde tot sein. Es war wohl ein Fehler, mit einem Mann Zeit zu verbringen, der im Umfeld des Palastes lebt und einigermaßen gut aussieht. Damit zieht man sich heutzutage vielleicht schon den Zorn der Matriarchin zu. Nun, zumindest werde ich im Kampf gegen die Aufständischen sterben, und nicht im von allen möglichen Intrigen verseuchten Palast ersticken. Frau muss Ghari schon für Kleinigkeiten dankbar sein.“ Therwal trank einen winzigen Schluck. „Ich möchte nur wissen, womit die Mannschaft in Ungnade gefallen ist? Oder war es Zufall, dass es gerade dieses Schiff ist?“

Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, Tag 3. Zwei Hypersprünge von Aaghran entfernt lege ich im System der Sonne B-71 des Sternkatalogs einen Zwischenstopp ein und gebe Gefechtsalarm. Ich bin neugierig, wie sich die Besatzung schlägt.“ Die Commodore verließ ihr Büro, Bildschnitt, sie betrat die Brücke.

Captain! Geben Sie Gefechtsalarm“, peitschte ihre Stimme durch den Raum, die Faust der Kapitänin fuhr nieder und drückte den großen, roten Alarmknopf tief in die Fassung. Die Beleuchtung auf der Brücke wurde schlagartig dunkler, Sirenen sangen gellend ihr Lied, Hektik brach aus.

Gruppe 1, gefechtsklar!“, tönte es aus den Lautsprechern, an Steuerbord erschienen acht kleine Ausgaben des Trägerschiffes.

Gruppe 2, gefechtsklar.“ An Backbord formierten sich acht weitere Schiffe.

Katapultstart Jagdeinheiten beginnt!“ Beinahe alle fünf Sekunden schossen 3 Deltaflügler, offensichtlich auch für den Einsatz in der Atmosphäre konstruiert, aus dem Flugdeck, in weniger als 15 Minuten waren 600 Maschinen in Position. Während die Flieger aus dem Mutterschiff katapultiert wurden, gingen weitere Klarmeldungen ein.

Turm Backbord vorn, bereit!“

Turm Steuerbord Mitte bereit!“

Abwehrtürme Sektion 1, ausgefahren und bereit!“ Hukh ůr Therwal stand, in der Linken eine große Uhr unbeweglich und beobachtete.

Flottille 745 klar zum Gefecht!“

Basisschiff ASO’OMIE klar zum Gefecht!“

Jagdstaffeln klar zum Gefecht!“ Captain Kloga tåg Zygha wandte ihre schlanke, beinahe knabenhafte Gestalt zu ůr Therwal und salutierte, die Commodore drückte bereits den Knopf an ihrer Uhr, ehe die Captain grüßte und offiziell Meldung erstattete.

Wir sind gefechtsklar, Commodore!“

16,32 Minuten, Captain Zhyga!“ Hukh hielt die Uhr in die Höhe. „Ich möchte nicht sagen, dass das ein schlechtes Ergebnis ist, aber gut ist es auch nicht. Einschleusen, Bereitschaft herstellen. Danach das Ganze noch einmal! Captain, sie haben die Brücke!“

Persönliches Log.“ Hukh trug wieder die durchscheinende, luftige Kleidung, die scheinbar die zivile und legere Freizeitmode dieses Volkes darstellte. „Die ASO’OMIE scheint in einem passablen Zustand zu sein, wenn man ihr Alter von beinahe hundertfünfzig Jahren bedenkt. Leider werden solche Basisschiffe nicht mehr hergestellt. Zu teuer, zu ineffektiv, zu kostspielig. Na schön, die Gärten und Bälle der Matriarchin haben natürlich Vorrang. Die Mannschaft ist nicht schlecht, aber sicher ist sie auch noch ausbaufähig. Wir werden den Lå’amů’ourern noch gehörig den Arsch versohlen, bevor wir untergehen, bei Ghari! Hoffentlich findet zumindest der überlebende Teil der Crew dann wieder Gnade vor den Augen der Matriarchin.“

Wieder zeigte das Bild das Büro der Commodore. Diese hatte ihre Jacke über die Stuhllehne gelegt und präsentierte sich in einem Shirt mit V-Ausschnitt und Schweißflecken. „Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, 6. Tag. Ich habe ‚Marscherleichterung’ befehlen müssen. Ein Problem mit der Luftaufbereitung hat uns extrem hohe Temperaturen an Bord beschert, das Problem ist in Arbeit und sollte bald behoben sein. Bis dahin habe ich das Ablegen der Uniformjacken erlaubt. Bisher weder große Verletzungen oder Krankheiten, Doktor Numkusa meldet erfreulich ruhige Ordinationszeiten. Möge Ghari weiter ihre Hand über uns halten.“

Commodore Hukh ůr Therwal war wieder ganz die kühle, voll adjustierte Offizierin. „Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, Tag 8. Die Probleme mit den Lebenserhaltungssystemen sind beseitigt, wir kehren zur normalen Dienstkleidung zurück. Mittlerweile habe ich auch die nicht offiziellen Dienstakten erhalten, die Besatzung wurde scheinbar aus allen Teilen der Flotte an Bord dieses Schiffes strafversetzt. Keine wirklich schlimmen Vergehen und keine ausgesprochenen Versager. Fraternisierung mit Männern der Besatzung. Mit anderen Frauen. Zwei Männer, die miteinander fraternisierten – und gemeinsam auf diesem Schiff landeten. Frauen, die es wagten, ihren Vorgesetzten zu direkt ihre Meinung zu sagen. Crewmen, die es wagten, einen Fehler zu bemerken und ihre Offizierin darauf aufmerksam zu machen. Kurz, ein Haufen Unruhestifter! Aber ich werde daraus eine Mannschaft formen, auf die unsere geliebte Herrscherin stolz sein kann! Ghari möge uns beschützen und leiten!“

Die Commodore warf eben ihre Jacke über einen Bügel und zog das Shirt aus. „Persönliches Log!“ Die Schuhe und Hose folgten der Jacke. „Fraternisieren mit wem auch immer aus den eigenen Reihen und Leute, die ihre Meinung sagen, ob Offizierin oder Crewman, mit einem Himmelfahrtskommando zu bestrafen ist eine ganz miese Tour. Wenn das so weitergeht, wird das Matriarchat von Bhungar bald untergehen. Nach fast 14 Jahrtausenden schafft es meine Schwester, innerhalb weniger Jahre den Karren an die Wand zu fahren. Bei Ghari, in der Flotte war es immer schon üblich, innerhalb der Besatzung sexuelle Befriedigung zu suchen. Das hält die Leute bei Laune und geistig gesund! Ich habe nicht vor, hier zu intervenieren, ich halte mich an die alten Traditionen. Verdammt, ich fraternisiere ja selber auch, ich werde auch der Besatzung dieses kleine Vergnügen gönnen. Immerhin könnte es für viele von ihnen letzte Fahrt sein. Aber nicht, weil sie in Pension gehen, möge Ghari ihren Seelen gnädig sein. Und wenn man Vorgesetzte nicht mehr auf einen eventuellen Fehler hinweisen darf, werden unsere Schiffe immer mehr geschwächt. Damit wird unsere ganze Heimat schwächer! Oh Ghari, Du prüfst uns hart! Bitte erhalte Bhungar noch lange, trotz seiner Herrscherin! Ich…“ Ein durchdringendes Summen ertönte. „Ja?“

Crewman Kolloon, Commodore!“

Kommen Sie herein, Crewman!“ Ein gut gebauter Mann betrat den Raum und nahm Haltung an, seine Pupillen weiteten sich, als er die unbekleidete Commodore sah, die sich über den Schreibtisch beugte und einen Arm ausstreckte, wohl um die Kamera auszuschalten, denn das Bild verschwand.

Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, 10. Tag. Wir haben den letzten offiziellen Außenposten des Matriarchats hinter uns gelassen. Dort konnten wir ein letztes Mal Wasser und gewohnten Proviant ersetzen.“ Commodore ůr Therwal saß auf der Brücke, man sah, wie ein Planet mit drei Monden allmählich kleiner wurde. „Die Besatzung erfreut sich weiterhin guter Gesundheit. Durch beständiges Üben haben wir eine beachtliche Verbesserung unserer Zeit bis zur Gefechtsbereitschaft erzielt. Ich darf ohne falschen Stolz sagen, dass wir hier die Leistungen einiger Schiffe der persönlichen Leibgarde der Kaiserin erreicht haben. Auch die Treffsicherheit der Geschützbedienungen hat sich stark gebessert, die Jagdpilotinnen konnten ihre Leistungen ebenfalls massiv steigern. Die ganze Flottille ist so kampfbereit, wie es mit diesem technischen Material nur irgend möglich ist. Wir beschleunigen und nehmen Kurs auf das erste System des Sektors 134/75/52. Dort werden wir unsere Suche nach dem Rätsel der Unsterblichkeit beginnen. Ghari beschütze unsere Matriarchin Hanghra IV und helfe uns, ihr zu dienen.

Der Bildschirm unterteilte sich und zeigte plötzlich eine Unzahl Bilder, die das Geschehen synchron aus verschiedenen Positionen zeigten. Es war nicht schwer, einen Zusammenhang zu erkennen, mittig wurde immer prominent einer der Ausschnitte gezeigt…

Automatisches Alarmlog 31.8.13947 – 12:04:45:789…

Disharmonisches Schrillen elektronischer Alarmglocken quälten das Trommelfell der Besatzung der ASO’OMIE, dazu das anhaltende Plärren der Computerstimme.

Gefechtsalarm! Dies ist keine Übung! Gefechtsalarm! Dies ist keine Übung!“ Jahrhunderte Erfahrungen im Schiffsbau hatte den Konstrukteuren gezeigt, wo die Bereitschaftsräume der einzelnen Sektionen zu liegen hatten, damit es im Alarmfall nicht zu Zusammenstößen zwischen den Besatzungsmitgliedern und damit zu Verzögerungen kam. Jetzt lohnten sich die Übungsstunden, hunderte und aber hunderte Male waren die Veteranen der Besatzung auf verschiedenen Schiffen zu ihren Stationen geeilt, der Weg war immer der gleiche, alle Schiffe waren gleich Konstruiert. In letzter Zeit aufgefrischt, saßen alle Bewegungen, alle Handgriffe sicher, die Frauen und Männer hätten blind, mit verbundenen Augen ihre Alarmposten gefunden und ihre Stationen kampfbereit gemacht.

Die Ortung zeigte eine Flotte eiförmiger Schiffe, um die dickste Stelle lag ein Ringwulst, scheinbar war das dicke Ende das Heck. Commodore ůr Therwal stürmte auf die Brücke, warf sich in ihren Sessel, die Gurte verankerten sich automatisch.

Lå’amů’ourer!“ rief Captain Zygha und schaltete bereits eifrig, die Brücke glich einem durchorganisierten Tollhaus. Meldungen flogen hin und her, die gigantischen Außenschotts öffneten sich und 16 Kreuzer gingen in Stellung. Alle dreieinhalb Sekunden wurden drei Jagdmaschinen in das All katapultiert, abwechselnd von zwei Katapultsystemen. Die Kampfgruppen drifteten nach Steuer- und Backbord auseinander, die Jäger rasten nach ‚oben’ und ‚unten’ in Bezug auf die Lage der ASO’OMIE davon, um sich auf den Feind zu stürzen. Das große Mutterschiff setzte seinen Weg fort, als alle Jäger unterwegs waren drehte es um zwei Achsen und wandte dem anfliegenden Feind die gerade ‚Oberseite‘ mit den sechs riesigen Geschütztürmen zu. Ein Feuergefecht entwickelte sich, die ovoiden Schiffe wurden rasch dezimiert. Einige konzentrierten ihr Feuer auf einen der Kreuzer, der die Formation nach einem Befehl Hukhs verließ und eingeschleust wurde. Die riesigen Geschütze des Basisschiffes vernichteten bei jedem Treffer ein Schiff, und die Kanoniere verstanden ihr Handwerk. Auch die Kreuzer, die gegenseitig ihre Kiele schützten, erzielten Treffer um Treffer, oft genug durchschlugen ihre Salven die Schutzschirme der Lå’amů’ourer. Doch die kleinen, schnellen Eischiffe ließen nicht locker, Salve um Salve sandten sie in die Schirme der ASO’OMIE und der Kreuzer. Bisher bei der ASO’OMIE erfolglos, das Schiff hatte enorme Reserven an Energie, aber es kamen immer mehr von diesen Schiffen in effektive Reichweite, die Schilde wurden immer schwerer belastet. Ein Ruck ging durch das riesige Schiff, aus dem bugseitig gelegenen Kielraum brach seitwärts eine gewaltige Feuerzunge aus dem Rumpf, Trümmerteile wurden davon geschleudert.

Schildgenerator ausgefallen!“ übertönte eine Meldung das laute Stimmengewirr auf der Brücke.

Weiterfeuern!“ bellte Captain Zygha in das Intercom. Mehr und mehr Schiffe der Lå’amů’ourer wurden zerstört, während auch die ASO’OMIE Treffer auf Treffer einstecken musste, welche das Metallplast der Hülle durchschlugen und schwere Schäden anrichteten.

Meiler eins ausgefallen! Zwei lässt sich nicht zuschalten, läuft aus! Nur noch Notfallenergie vorhanden!“ Commodore ůr Therwal schlug auf das Gurtschloß auf ihrer Brust und wandte sich an die Brückencrew.

Evakuierung! Verlassen Sie das Schiff! Auch Sie, Captain Zygha!“

Und die Commodore?“ Schon im Aufstehen begriffen fragte die Captain. „Kommt Sie auch?“

Hukh ůr Therwal legte ihre Hand auf ihr Rangabzeichen. „Wenn Sie sagen können, ich sei tot, haben Sie eine Chance auf Rehabilitierung und eine weitere Karriere. Sie müssen doch gewusst haben, womit eine Expedition in diese Gegend mit nur einem Basisschiff enden wird. Immerhin haben wir den Lå’amů’ourern gezeigt, was wir können. Viel Glück, Captain!“

Auch Zygha legte salutierten die Hand auf ihre Brust. „Die letzten Tage waren eine Ehre, Commodore. Ich melde mich ab!“ Die folgende letzte Umarmung hatte nichts kaltes und unpersönliches mehr, und alle Offiziere erwiesen ihrem Commodore die Ehre.

Und jetzt raus mit Euch!“, schrie Hukh danach. „Macht, dass ihr in die Rettungskapseln kommt!“ Die Zentrale leerte sich, auf dem Bildschirm zeigten viele Bilder, wie die Überlebenden zu den rettenden Kabinen eilten, die dann ausgeworfen wurden. Ungestört durch feindliches Feuer, denn die letzten ovoiden Schiffe waren zerstört…

Expeditionstagebuch der ASO‘OMIE, letzter Tag. Ich spreche diesen Eintrag, während die ASO‘OMIE dem dreizehnten Planeten entgegenfällt. Wir haben leider keinen Erfolg bei unserer Suche nach der Unsterblichkeit verbuchen können, ich fürchte, meine Schwester muss eine neue Expedition aussenden oder alt werden und sterben. Es tut mir leid, versagt zu haben, und ich übernehme dafür die volle Verantwortung!“ Commodore ůr Therwal saß auf dem Admiralsstuhl und betrachtete den vom Notgenerator am laufen gehaltenen Bildschirm. „Ich habe die gesamte Besatzung von Bord geschickt und lege alle Energie, nachdem ich diese Botschaft an das Flaggschiff der Flottille überspielt habe, auf den Notantrieb und die Antigravitationsfelder. Vielleicht hält sich die Beschädigung in Grenzen, falls die Admiralität eines Tages die ASO‘OMIE wieder bergen möchte. Ůr Therwal meldet sich ab.“ Man sah die Commodore noch einige Schaltungen vornehmen, dann wurde der Bildschirm dunkel…

🔆

Eine stolze Frau!“ Ishi Katamuri brach als erste das Schweigen. „Schade, dass sie so sterben musste. Was für eine Verschwendung!“

Das Matriarchat scheint zu dieser Zeit eine ziemliche Diktatur gewesen zu sein.“ sinnierte Chris. „Aber ist Euch bei den Rebellen etwas aufgefallen?“

Ihre Raumschiffe waren den arkonidischen schon ziemlich ähnlich!“ Mit Daumen und Zeigefinger massierte Tana ihre Augenwinkel. „Und wenn Du auf die Sage von Lemuria anspielen solltest – nun ja, in jedem Märchen steckt ein wahrer Kern. Nur, wie soll sich das Wort über die Jahrtausende erhalten haben? Durch alle Zeiten von vor der Steinzeit bis ins Jetzt? Kannst Du mir das erklären?“ Christian grinste über beide Ohren und zupfte an einer imaginären Gitarre. „One dream, one soul, one prize, one goal, one golden glance of what should be – It’s a kind of magic!“, sang er, Tana verdrehte die Augen.

Ich suche nach einer Antwort, und was bekomme ich? Queen! Accidenti a tutto! Oder meinst Du, ich soll den unsterblichen Atlan fragen, ob er von diesen unseren Vorfahren gewusst hat und die Sage erzählt hat?“

Christian hob die Hände. „Wie hat sich die Erinnerung an die Dinosaurier erhalten, die dann als Drachen in die Sagen kamen? Wie die Zentauren oder Kh’Entha’Hur? Vielleicht finden wir noch Minotauren oder Berg- und Quellnymphen! Matta ist eine nette Person, aber vielleicht war eine nicht so nette ihres Volkes einmal auf der Erde? Vielleicht speichert die DNS mehr Erinnerungen, als wir uns vorstellen können, ab und zu könnte ein winziges Stück in das Unterbewusstsein einer Person gelangen, die es weitererzählt und eine Saite in den Menschen zum Schwingen bringt, es wird weitererzählt und manifestiert sich. Niemand will es glauben, weil es zu phantastisch ist, aber vergessen kann man es auch nicht. So wie Atlantis, und Atlan hat die Existenz bestätigt. Vielleicht erinnern sich deshalb in hypnotischen Rückführungen mehrere Personen daran, eine große Persönlichkeit gewesen zu sein. Wir haben die Möglichkeiten der Erinnerungen in DNS und ‚Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich die Schulweisheit träumen kann‘, frei nach Shakespeare. Und das stimmt nun einmal, damit müssen wir eben leben!“

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System Arkon, Thanthur Lok (M 13)

 

DieKriegswelt der Arkoniden war nie ein besonderes Paradies gewesen. Als der vierte von 27 Planeten einer Sonne der Spektralklasse A war das Klima zwar einigermaßen warm gewesen, es hatte Wasser gegeben und das Leben hatte begonnen, das Land zu erobern. Berge und Ozeane hatten einander abgewechselt, er war ein wenig kleiner als die Erde, dafür dichter und besaß daher eine ein bisschen höhere Gravitation. Nichts Besonderes, nicht sehr einladend, aber durchaus brauchbar. Dann waren die Arkoniden gekommen, hatten sich zuerst auf dem dritten Planeten niedergelassen und irgendwann damit begonnen, das System nach ihren Vorstellungen umzubauen. Sie versahen den zweiten und den vierten Planeten mit starken Impulstriebwerken, beschleunigten den einen, verzögerten den anderen, bis die beiden Massen die Umlaufbahn des vorherigen dritten erreichten, justierten noch einige Zeit nach, bis ein perfektes Dreieck von Planeten auf der Bahn des ursprünglichen Arkon III entstanden war. Der Schaden in den ökologischen Systemen des ehemaligen zweiten und vierten Planeten war verständlicherweise enorm gewesen, jede Form von Leben wurde völlig ausgelöscht, die Atmosphäre ein von den Triebwerken aufgeheizter Glutofen, dass Wasser verdampft. Auch die tektonischen Aktivitäten erreichten Ausmaße, wie man sie ansonsten nur von sehr jungen, eben erkaltenden Objekten kennt.

Energie stand den Arkoniden im reichem Maße zur Verfügung, also kühlten sie die Lufthüllen auf eine für sie angenehme Temperatur von 19 Grad nach Celsius im Durchschnitt ab, 5 Grad mehr als auf der Erde. Für irdische Menschen unangenehm heiß, waren es für Arkoniden und die von ihnen importierte Flora und Fauna hervorragende und paradiesische Temperaturen. Dann wurde der ehemals zweite Planet, nun Arkon I genannt, zu einer perfekten Wohnwelt geformt. Gebirgszüge wurden, mit einer Ausnahme, in sanfte Hügel verwandelt, die übrig gebliebene Bergkette wurde mit Desintegratoren so lange bearbeitet, bis einige Szenen aus der arkonidischen Mythologie zu sehen waren. Dieses monströse Monument wurde danach auch noch kristallisiert. Nach diesem Werk wurde der Planet Arkon I nun auch des Öfteren die ‚Kristallwelt’ genannt. Adelige und reiche Arkoniden übersiedelten nach Fertigstellung der Parkanlagen und der imperialen Wohnstatt – des Kristallpalastes – nach Arkon I und errichteten ihre Villen, andere Angehörige des Volkes wurden nur soweit zugelassen, wie sie den Bedürfnissen der Wohlhabenden dienlich waren. Der Rest lebte weiter in großen Siedlungen und kleinen Wohnungen auf Arkon II, dieser ehemalig dritte Planet des Systems wurde zur Handelswelt umgebaut. Teilweise riesige Frachtschiffe brachten allerlei Waren, Nahrungsmittel, Gebrauchsgüter und Rohstoffe aus dem stetig wachsenden Imperium. Rohstoffe vor allem für Arkon III, denn hier wurden gigantische unterirdische Gänge und Hallen in den blanken Fels getrieben, Fabrikationsanlagen im wahrsten Sinne des Wortes aus und unter den Boden gestampft. Hier wohnten nur wenige Arkoniden, und zwar ausschließlich jene, die nötig waren, die vollautomatischen Fabriken zu überwachen und schnelle Entscheidungen zu treffen, wenn in der Produktion ein Problem auftauchte. Diese Personen bekamen einen Sonderstatus, wie er auch Veteranen der Flotte zustand, sie durften in eine abgeschottete Siedlung auf Arkon I ziehen und dort ihren Lebensabend in bescheidenem Luxus verbringen.

Die Fabrikanlagen auf Arkon III produzierten Tag und Nacht, vollautomatisch, und nur für einen Zweck. Für den Krieg! Große und kleine Schiffe, ihre Bewaffnung und die Waffen der Besatzungen. Selbst die Handelsraumer waren gut bewaffnet, es sollte kein Planet auch nur ansatzweise daran zu denken wagen, den Tribut einzubehalten oder bessere Verträge zu fordern. Arkoniden dieser Zeit kannten wenig Gnade mit Wesen, die sich ihren Anforderungen nicht beugten. Auch, wenn diese von ihnen abstammten. Kolonialarkoniden waren Bürger zweiter oder dritter Klasse. Die Arkoniden der Kristallwelt waren vieles, aber nett konnte man sie nicht nennen. Allenfalls vielleicht zu Ihresgleichen, wenn sie den richtigen Stand hatten und sie sich einen Vorteil versprachen.

Im Laufe der Zeit wurde – selbstverständlich auf Befehl des Imperators – in der Nähe der Arbeitersiedlung auf der Kriegswelt eine riesige flache Kuppel gebaut und zusätzlich zu den Verteidigungseinrichtungen in der Umlaufbahn und weiter draußen im All noch einmal mit schwer bewaffneten Bodenforts geschützt, sowohl gegen Angriffe aus der Luft als auch gegen solche vom Boden aus. Ebenfalls in dieser Hemisphäre wurden gigantische Ausbildungslager und Kasernen sowie Erholungs- und Vergnügungseinrichtungen für Raumschiffbesatzungen und Marineinfanteristen errichtet. Dort verbrachten diese auch ihre kurzen Urlaube, wenn ihre Schiffe zu einer schnellen Inspektion oder Reparatur landeten. In dieser neuen Kuppel wurde ein noch nie zuvor gesehener Computerkomplex mit vielen dezentralisierten Speicher- und Rechenanlagen entwickelt und aufgestellt, die später so genannte zentrale Registratur. Mit den Terminals, von denen jede arkonidische Familie zumindest eines besaß, durfte jeder Arkonide ihn interessierende Informationen abrufen, die Eingabe war nur einer kleinen Schicht privilegierter, mehrfach gesiebter und vertrauenswürdiger imperialer Beamten möglich. Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Komplex mehrmals aus- und umgebaut, die Rechenanlagen erweitert und modernisiert. Im April 2084 des terranischen Kalenders nahm die Kuppel mitsamt Verteidigungsanlagen und anderen unbekannten Ausrüstungen und Räumen eine Kreisfläche von beinahe neun Kilometern im Radius ein, mit einer Höhe von etwas mehr als sechs. Niemand ohne jede Ausnahme, auch nicht der Imperator selbst, hatte mehr direkten Zugang zum diesem Komplex, seit einmal eine Flotte unbekannter Herkunft die Außenverteidigung durchbrochen und die Nanotronik bombardiert hatte.

Irgendwann hatte ein Imperator die gigantische Nanotronik mit einem neuen neuronalen Netz ausstatten lassen, die Arbeit wurde von Robotern, welche die Nanotronik selbst programmiert hatte, durchgeführt. Die Maschine wurde, wie es geplant war, ziemlich intelligent und lernfähig, letztendlich konnte sie sogar zu nicht vorprogrammierten, beinahe schon kreativen Entscheidungen kommen. Später wurden die Gedankengänge wirklich kreativ, die Intelligenz stieg, es entwickelte sich sogar eine Art Bewusstsein heraus. Noch war der Rechnerkomplex ein Diener der Arkoniden, doch er bereitete sich darauf vor, die arkonidische Spezies vor sich selbst zu schützen und natürlich das Imperium zu erhalten. Vielleicht auch, nach alter arkonidischer Tradition, noch zu vergrößern. Es fehlte nur noch wenig, um die gesamte Kontrolle im Kristallreich zu übernehmen. Sehr wenig. Unablässig konferierten die dezentralen Rechner mit Formeln und Symbolen, welche nur schwer in Worte biologischer Wesen übersetzbar waren, stellten Diagnosen und Diagramme her, spielten mit Zahlen, extrapolierten Wahrscheinlichkeiten. Wenn der Wert eine bestimmte Marke überstieg, ginge alle Macht des Imperiums in den Händen der Registratur über.

*

Arkon III, April 2084 Terra Normzeit

Einschätzung galaktischer Lage.‘

Seit einiger Zeit fließen neue Waren ins große Imperium!‘

Bewertung positiv!‘

Aktive Arkoniden verlassen das Zentralsystem.‘

Bewertung neutral.‘

Neue arkonoide Spezies treibt Handel und errichtet Niederlassungen im Imperium.‘

Bewertung negativ.‘

Springer verlieren an Macht.‘

Bewertung positiv.‘

Es fliegen Raumschiffe durch das Imperium, deren Transite nicht angemessen werden können.‘

Bewertung negativ.‘

Bewertung negativ.‘

Bewertung neutral.‘

Negativ, negativ, neutral, positiv, negativ, negativ, negativ, neutral, negativ…‘

Miridan erklärt Unabhängigkeit‘

Bewertung extrem negativ‘,

Situationsbewertung abgeschlossen. Die nanotronische Neuronik übernimmt die Geschicke des Imperiums. Erster Schritt – Befriedung der aufständischen Planeten. Zweiter Schritt – Rekonstitution des Imperiums. Dritter Schritt – Weitere Ausdehnung des Imperiums und Unterwerfung der fremden Spezies. Flotte in Bereitschaft! Neuroniken übernehmen die Befehlsgewalt, Heimkehr und Ausstieg aller biologischer Besatzungen, Ersatz durch Roboter! Codesignal ausgesandt! Codesignal ausgesandt!‘

*

Tricky Secret

Ist dies ein Dolch, den ich hier vor mir sehe?“, deklamierte Victoria Rosheen Rhodan mit theatralischer Geste. „Den Griff mir zugewandt…“

Äh, nein!“ Angel Kleinschmid riss die Augen erstaunt weit auf. „Das ist nur unser neuestes Modell des PPS-Meilers.“

Interessant!“ Victoria ging schmunzelnd und die Augen verdrehend um das Gebilde, anderthalb Meter hoch, die Grundfläche ein halber Meter im Quadrat. „Oh tempora, oh eruditio, oh mores! Armer Shakespeare, vergessen von der Welt, deren Sprache du so nachhaltig geprägt hast! Für einen Jäger, nehme ich an?“ Sie näherte ihre Hand dem Gerät, zögerte.

Kann man es berühren?“

Natürlich kann man es gefahrlos angreifen, Tana. Es ist voll isoliert. Aber nein, das Gerät liefert etwas mehr an Energie als der übliche Generator eines Patrouillenbootes.“ Angel legte ihre eigene Hand auf den Generator, Victoria legte ihre gleich daneben.

Oh!“ Sie strich tastend weiter. „Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, benötigen wir also bei gleicher Energie – etwa wieviel? Sagen wir nicht einmal einem Prozent des Platzes? Drei von denen, wir haben die dreifache Energie? Bei einem Bruchteil des heutigen Platzaufwandes? Wieviel von der Power können wir dann eigentlich verwenden?“

Angel holte ihr Pad hervor. „Also, wenn wir drei davon einbauen, können wir den eingesparten Platz verwenden, um größere und stärkere Schirme einzubauen, etwa doppelt so stark wie die jetzigen, die Bewaffnung lässt sich ebenfalls auf gut das doppelte verstärken, und das Ding läuft im Prinzip ja ewig. Wenn keine Beschädigung auftritt.“

Da haben wir gerade vier Schiffe umgebaut, schon sind sie wieder veraltet.“ Victoria ging stirnrunzelnd einmal um den Reaktor herum. „Wie sicher ist das Gerät?“

Angel hob die Schultern. „Es ist zu 100 Prozent sicher!“

Und warum ist dann die ASO’OMIE abgestürzt?“ Zweifel schwang in der Stimme Victorias. „Und wir wissen, dass sie besiegt wurde, immerhin liegt ihr Wrack da draußen!“

Ach das!“ Angel holte einige Bilder auf ihren Bildschirm. „Wir haben den Schaden genau vermessen und untersucht. Der Schirmgenerator wurde gesprengt. Mit so etwas wie einer Bombe. Sabotage also.“ Angel scrollte durch die Fotos. „Hier kannst Du es sehen, das ist der Detonationspunkt. Genau am Generator befestigt, mit einer großen Sprengkraft. Scheint so, als hätten entweder die Lå’amů’ourer einen Agenten an Bord gehabt, oder es war jemand an Bord, der ganz gewaltig etwas gegen das Matriarchat hatte! Übrigens haben die Damen den Reaktor viel zu groß gebaut, hätten sie kleinere und mehr davon eingebaut, wäre es nicht nur um einiges billiger geworden, sie wären auch noch mit weit weniger Platz ausgekommen. Also, ein hundert mal größerer Reaktor bringt nur wenig mehr als das siebzigfache an Leistung, die Steigerung ist nicht proportional.“

Dezentrale Energieversorgung ist also angebracht? Wenn wir jedem Geschützturm einen eigenen kleinen Wandler geben, noch zusätzliche überlappende Schutzschirme, stärkere Beschleunigung – neue Konzepte bei der Konstruktion.“ Victoria hatte überlegend den rechten Zeigefinger an den Mund gelegt und den rechten Ellenbogen auf die linke Handfläche gestützt. „Wir könnten, nein, wir müssten sogar, zumindest was das Innenleben der Schiffe angeht, völlig neue Wege gehen.“

Dein Sohn hat so etwas auch schon gesagt. Er wollte sogar schon Pläne vorbereiten.“ Angel kicherte und lachte dann laut los. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Danke für das Vertrauen, dass deine Familie in mich setzt!“

Scheinbar nicht zu Unrecht!“ Der Zeigefinger tippte regelmäßig gegen die Lippen, Tana überlegte. „Wie lange noch, bis das Gerät einsatzbereit ist?“

Wie schnell kannst du neue Reintegratoren bauen? Das Monster ist soweit fertig, um in Serie zu gehen. Mit den Reintegratoren geht es zuerst wohl um einiges schneller, als eine Fabrikationsanlage zu bauen. Später sollten wir dann ein Werk bauen. Auch, wenn wir die Schiffe gleich mit den Reaktoren ‚drucken‘ können.“

Sehr gut, dann …“ Ein holographischer weiblicher Kopf, hübsch, aber mit unauffälligen, nicht sehr ausgeprägten Zügen, erschien in der Luft.

Miss Starlight, ein Springer namens Hemghat ruft über Hypercom und bittet um ein Gespräch!“

Danke. Einen Moment!“ Sie schaltete an ihrem Anzug, der imitierte nun eine weiße Seidenbluse mit tiefem Ausschnitt, betonte den Busen, dazu enge, schwarze Shorts aus Leder mit breitem, silbernen Reißverschluss im Schritt und Stiefel, die bis über die Knie reichten. „In Ordnung. Bereit.“ Die Augen Tanas nahmen einen verführerischen Glanz an, die Lippen verzogen sich zu einem sinnlichen Lächeln, sie stellte sich in eine aufreizende Pose. Die Gestalt des Springes Hemghat schien im Raum zu materialisieren, auch an Bord der Korvetten kamen hervorragende Holo – Projektoren zum Einsatz.

Hemghat war, wie die meisten seiner Sippe, großgewachsen und schlank. Sein prächtiger Bart hätte den Bildhauern in Babylonien als Vorbild dienen können, kleine, rote Löckchen ringelten sich über der muskulösen, aber nicht übertrieben breiten Brust. Sein Alter von beinahe hundertfünfzig Jahren sah man ihm nicht an, nur die tiefe Falte zwischen den Augenbrauen lieferte einen diskreten Hinweis. Seine Sippe und er hatten bereits schwere Zeiten durchgemacht, es stand auf Messers Schneide, das eine oder andere Schiff zu verkaufen. Statt dessen hatte ihm Tana Starlight ein Geheimnis verkauft, eine neue Technologie. Einnahmequelle gegen Protektion, Hemghat wurde wieder flüssig und Tana hatte einen Fuß im Handel mit dem großen Imperium. In den letzten 30 Jahren war es für beide Seiten eine gewinnbringende Partnerschaft gewesen, von Vertrauen und auch ein wenig Zuneigung geprägt. Rein platonisch, Hemghat hätte seine Frau Ygråbi nie verlassen, aber ein wenig amouröses Geplänkel zum Beginn einer Verhandlung… nun Ygråbi beteiligte sich ab und zu nicht ungern an diesen Scherzen, und Tana hatte nun einmal eine gewisse Lust an der Provokation.

Hemghat! Welche Überraschung!“ Tana stellte sich gekonnt erotisch zur Schau und zog einen Schmollmund. „Beinahe hätte uns mein Mann…“

Nicht heute, Tana“, unterbrach Hemghat, und wie von Zauberhand verschwand alles glamouröse von Tana.

Was ist geschehen, alter Freund?“, fragte sie alarmiert.

Alle Kriegsschiffe des großen Imperium wurden nach Arkon III zurück gerufen.“ Hemghat zauste sich nervös lachend den Bart. „Per Codespruch an die Neuroniken. Ich habe keine Ahnung, was es zu bedeuten hat, aber es ist zumindest alarmierend! Alle Planeten, die ihre Beziehung zum Imperium in der letzten Zeit gelockert hatten, wurden unter Androhung schwerer Sanktionen wieder zur Rückkehr zu alten Verhältnissen aufgefordert.“

Victoria wurde blass. „Ich denke, die zentrale Registratur hat jetzt die volle Kontrolle über das Imperium übernommen“, flüsterte sie mit weichen Knien. „Wir haben es immer befürchtet, aber auf genügend Sicherheitsschaltungen gehofft.“

Auch Hemghat erblasste und ließ sich in seinen Sessel fallen. „Ich fürchte, du hast recht, Tana. Nun, bei den Miridanern wird die Registratur zumindest eine Zeitlang auf Granit beißen, aber letztlich werden sie wieder zurück ins Imperium geprügelt oder vernichtet. Spätestens in zwei Jahren, wahrscheinlich früher. Viel Glück für dich, kleines Mädchen, und nimm dich vor der Maschine in Acht. Ich muss noch andere warnen!“

Viel Glück, mein Freund“, rief Tana dem verblassenden Hologramm hinterher. Kurz blickte sie sinnend zu Boden, dann straffte sich ihre Gestalt. „KADESH! Verbindung zur HEPHAISTOS, Leslie Myers. Verbindung in Bewegung aufrecht erhalten. Eilig!“ Victoria schritt bereits energisch zur Schleuse. „Angel, ich brauche diese Generatoren ASAP. Und wir werden eine Menge davon brauchen!“

Ich schicke dir den programmierten Reintegrator.“ Kleinschmid hatte neben ihrer Chefin Tritt gefasst. „Auf dem Weg zu HEPHAISTOS kannst du schon mit der Produktion beginnen und musst sie in die Schiffe nur noch einbauen.“

Ein flüchtiges Lächeln überflog Victorias Lippen. „Perfekt! Die KADESH bleibt zu deiner Verfügung, ich lasse dir auch einen kleinen Reintegrator hier. Ich fürchte, du musst ihn neu programmieren. Aber für Ishi ist es wohl kein Problem! Ah, Leslie!“

Das Hologramm Leslies warf sich eben einen seidenen Kimono über, kurz war noch ihre Figur zu sehen. „Tana?“ Verwunderung schwang in ihrer Stimme.

Leslie, Code K! K wie Katastrophe. Lade sofort alle verfügbaren Sprungdämpfer in die ORION und die HYDRA. Lege noch einen Reintegrator dazu, such jemand aus, der das Ding allein Perry Rhodan übergibt. Unter vier Augen! Die Person soll Rhodan und dessen Techniker, den er auswählen soll, in der Programmierung unterweisen. Leg dafür noch eine Hypnokassette an. Die ORION fliegt sofort Terra an, ich melde sie an. Die Route für die HYDRA folgt später. Treibe die Leute zu Eile, bitte!“

Leslie Myers war schlagartig wach. „Geht klar! Bis später!“

Warte! Wie weit ist Reginald mit den Plänen für seinen bewaffneten Explorer?“ Leslie zog die Augen hoch. „So gut wie fertig.“

Sehr gut. Wie groß hat er seine Forschungsbasis geplant?“

950 Meter, im Muster ähnlich der KLEOPATRA aufgebaut.“ Leslie fuhr ihren Rechner hoch.

Gut.“ Tana blieb kurz stehen. „Hör mal, wenn Du alle Reintegratoren von der HEPHAISTOS abziehst und alles, was wir haben einsetzt, wie schnell kann ein solches Schiff fertig sein?“

Wenn wir alles andere zurück stellen und alle Energie nur darauf verwenden, dazu das verbesserte System – 59 Tage!“

Sehr gut! Das macht etwa 6 im Jahr.“ Victoria setzte sich wieder in Bewegung. „Tu das. Angel schickt Dir Spezifikationen für die Energieerzeugung, ändere die Pläne entsprechend. Dezentrale Generatoren, wir werden viele kleine benutzen. Bau die schwerste von uns herstellbare Bewaffnung ein, doppelte, nein, dreifache Schirmgeneratoren, Platz und Energie sollten mit der Angelpower…“ Angel Kleinschmid hob abwehrend die Hände, „…genug vorhanden sein. Wenn du erst die Größe und Leistung der Generatoren sehen wirst… egal! Reginald hat in der Hoffnung auf Angels Erfolg sowieso schon einiges vorgeplant, wie ich hörte. Setze es um. Danke Leslie! Oder warte! Wie war das mit dem verbesserten System?“

Ich wollte Dich Dir in ein paar Stunden anrufen und es Dir erzählen. Wir haben so etwas wie eine Werft gebaut, weil wir die Geschwindigkeit der Molekülablagerung um einiges steigern konnten!“ Leslie Meyers übertrug ein Hologramm des Gebildes, eine scheibenförmige Gitterkonstruktion von zwei Kilometer Durchmesser. Unablässig gingen von vielen Stellen Lichtstrahlen aus, die an der unfertigen VULCANUS webten.

Programmiere die Werft in den Reintegrator für Rhodan. Ohne Kommentar, er soll Reg fragen. Er wird schon einen Weg finden. Starlight aus! KADESH, Verbindung Terra, Galacto City, Perry Rhodan! Angel, wir hören von einander. Ach, da kommt schon der programmierte Reintegrator. Welche Stoffe, ah, gut, alles notiert! Danke Angel. Bis später!“ Ein Roboter brachte den Reintegrator an Bord und Victoria Rosheen stieg die kurze Treppe zum Innenraum des Shuttels hinauf. „Zur KLEOPATRA bitte, Luc. Ja, Mister Rhodan für Tana Starlight bitte, es eilt!“ Vorsichtshalber schnallte sie sich an. „Mister Rhodan, keine Zeit für Nettigkeiten. Ich habe schlechte Nachrichten! Sozusagen Alarmstufe Rot! DefCon 5.“

Das holografische Bild vor Starlight weitete sich und zeigte den Konferenzraum im GCC Tower.

Wie wahr, Miss Starlight.“ Rhodan schüttelte mit angespanntem Gesicht den Kopf und wies dann auf die Versammlung. „Darf ich vorstellen, Miss Ulwazi Nhlakanopho aus Südafrika, Generalsekretärin der Vereinten Nationen und ihr Stab, Mister Stan Lee Johnson von der Interstellar Trading Companie in New York und sein Stab, Miss Mariana Chasseur und ihr Techniker, Miss Natascha Gregorewna Gruschenkowa, USRR, Miss Wang Li-Ming, AF und Mister Alain Renard aus Quebec, Sicherheitsberater der UN. Miss Thora, Mister Bull, Mister Atlan und Mister Mercant dürften Sie schon kennen? Wir haben vor einer Stunde ein Treffen des Sicherheitsrates anberaumt und sind eben in einer Krisensitzung. Die STARDUST hat die Aufforderung der zentralen Registratur erhalten …“

.. nach Arkon III zurück zu kehren, stimmt‘s? Die Neuronik hat die Macht im Imperium übernommen! Was ist mit Dusty?“ Ein grimmiges Lächeln flog ganz kurz über Rhodans Gesicht. „Seine einzige Reaktion war, uns von dem Ruf in Kenntnis zu setzen und hinzu zu fügen, der Neurogent könne einmal an seinem Stahlheck… was auch immer Neuroniken für Vorstellungen haben.“

Victoria Rosheen atmete ein wenig erleichtert auf. „Ein Stück Glück in einer schlechten Zeit. Mister Rhodan, in diesem Moment startet die ORION mit 1.500 Sprungdämpfern und einigen Technikern ins solare System. Wenn Sie und Mister Johnson uns die Koordination zur Verfügung stellen, entsende ich die HYDRA, um auch die Schiffe damit auszurüsten, die gerade unterwegs sind. Ohne diese Tarnung darf kein Schiff mehr das Solsystem verlassen oder anfliegen. Außerdem, so bedauerlich es ist, muss die Erde aufrüsten. Wir werden nicht viel Zeit haben.“

Das ist – ein großzügiges Geschenk, Miss Starlight!“ Stan Lee hatte sich erhoben und deutete eine Verbeugung an.

Mister Johnson“ Tana Starlight schenkte Johnson trotz der Lage einen Blick, der ihm tief unter die Haut – und auch anderswo hin ging. „Das ist nett, aber Sie müssen nicht übertreiben. Auch mir liegt das Schicksal der Erde am Herzen.“

Mittlerweile war die Fähre im Hangar der KLEOPATRA angekommen und Tana erhob sich, um das Boot zu verlassen. Die Kamera zoomte zurück und übertrug nun statt ihres Gesichtes ihre gesamte Gestalt. Johnson und die anderen uneingeweihten Männer schnappten hörbar nach Luft, Tana sah an sich herab und setzte ganz kurz ihr sinnlichstes Lächeln auf, ehe sie wieder sachlich wurde.

Meine Herren, ich erwarte die Koordinaten und bitte melden Sie die HYDRA an. Sie sieht nicht nach Terraschiff aus.“

Moment!“ Rhodan hob die Hand. „Warum denken Sie, dass wir überhaupt noch Zeit haben?“

Tana Starlight eilte während des Gesprächs bereits in Richtung Zentrale der KLEOPATRA. „Weil auf der dem galaktischen Zentrum näher gelegenen Seite des Imperiums sich ein kleines Reich von etwa 20 Sonnensystemen namens Miridan von Arkon losgesagt hat. Nach meinen Informationen besitzen sie ihre eigene Flotte aus arkonidischen Schiffen, die nicht in Verbindung mit – wie hat Dusty ihn genannt? – dem Neurogent stehen. Natürlich können sie auf Dauer der Kapazität von Arkon III nicht standhalten. Aber dieses kleine Reich wird wohl der erste Punkt auf der Liste des Neurogenten sein. Wahrscheinlich war die Unabhängigkeitserklärung der Miridaner sogar der Auslöser für die Machtübernahme.“

Das klingt logisch!“ Mercant trommelte mit seinen Fingern auf der Tischplatte. „Wie lange schätzen Sie?“

Mein Informant denkt, dass es anderthalb bis zwei Jahre dauern wird. Ich fürchte aber, wir haben nur eines! Vielleicht noch ein halbes, bevor er mit der Rekonstituierung des Imperiums fertig ist. Dann wird er sich auf die Suche nach diesem Planeten machen, der Handel mit dem Imperium treibt und nicht dazu gehört.“

Rhodan nickte. „Und er wird nach alter arkonidischer Tradition die Erde seinem Imperium einverleiben wollen!“

Vor Victoria öffnete sich das Schott zur Zentrale. „Ghoma, bitte alle Mannschaften mit Ausnahme der der KADESH zugeteilten an Bord holen. Auch die Wissenschaftler außer Christian Hawlacek sollen im Hüter bleiben, wir lassen die KAILASH für sie da. Danach Vorbereitung für die Rückkehr zur HEPHAISTOS. Danke. Es sieht so aus, Ghoma, dass die KLEOPATRA bald einen neuen CO braucht. Die alte Skipper hat etwa zwei bis drei anstrengende Monate im Simulator vor sich.“

Warum, habe ich etwas falsch gemacht?“ fragte Ghoma erschrocken. „Mir ist kein Fehler bewusst!“

Tana Starlight schmunzelte schelmisch. „Mir auch nicht. Nur eines, schlagen Sie einmal den Namen ‚GIULIA FARNESE‘ nach, man sollte schon wissen, nach wem sein Schiff benannt ist. Und sagen Sie mir, wie Ihnen 950 Meter statt 600 gefallen!“

*

Solsystem, Terra

GCC Tower, Südturm

Mister Rhodan, bitte lassen Sie uns mit der Besprechung fortfahren!“ Ulwazi Nhlakanopho war eine stämmige, nicht mehr junge Frau aus dem Volk der Zulu, die eine Brille mit dicker Fassung trug. Sie war nicht schlank, sie war nicht schön, aber sie war beliebt auf der Erde. Sie war ehrlich, geradeheraus und dabei fast immer höflich. Und sie war erwiesenermaßen integer und unparteiisch. Die Vereinten Nationen hatten bei ihrer Wahl zur Generalsekretärin einen guten Griff getan, besonders, weil sich die Kompetenzen der UNO in den letzten Jahren stark ausgeweitet hatten. Langsam, aber unaufhaltsam, entwickelte sie sich zu einer Art globalen Regierung, die zwar nicht in nationale Zuständigkeiten eingreifen durfte, aber Gesetze von globalem Interesse durchsetzen konnte. So war es zu einem Verbot des Einfluges interstellarer Raumschiffe in die Atmosphäre gekommen, der Regenwald als grüne Lunge der Erde unter den Schutz der Staatengemeinschaft gestellt, Minen und Fabriken durften ihren Giftmüll nicht mehr in die Flüsse leiten. Es waren Kleinigkeiten, die sich summierten und wieder für ein besseres Klima auf der Erde sorgten.

Mariana Chasseur hatte von ihrem Vater die ‚Venus & Asteroid Companie‘ mit offiziellem Sitz in Paris geerbt. Begonnen hatte die Firma mit dem Innenausbau von Raumschiffen, dann hatte Tana Starlight mit einem neuartigen Roboter ihre Station abbezahlt und später weitere geliefert. Die Firma hatte sich Schürfrechte sowohl im Asteroidengürtel als auch auf der Venus gesichert, dann war nur noch das Problem, wie man den Schätzen des zweiten Planeten zu Leibe rücken konnte. Eine chemische Substanz und ein Gravgenerator standen am Beginn. Zu allererst wollten die Wissenschaftler der Company der zu langsamen Drehung zu Leibe rücken, sie berechneten Umlaufbahn und Masse eines Körpers im Orbit, der diese Rotation beschleunigen sollte. Dass er in die andere Richtung als die Erde drehte, machte die Berechnungen nicht leichter, aber auch nicht unmöglich. Und natürlich ging diese Beschleunigung nicht von heute auf morgen, aber im Laufe der Zeit sollte ein annehmbarer Tag/Nacht – Zyklus zu erreichen sein. Man hoffte auch, damit wieder ein schützendes Magnetfeld zu etablieren, wie es die Venus zur Zeit von Atlans Zeit noch gehabt hatte, als der Planet noch Larsaf II hieß. Dann musste noch die immense Menge an Schwefel und Schwefelsäure entfernt werden. Eine besondere Substanz aus der Hexenküche der Arkoniden versprach Hilfe, diese wurde in der Atmosphäre der Venus versprüht. Darauf bildete der Schwefel und die Schwefelsäure in der Lufthülle wundervoll regelmäßige Pyritsonnen auf dem Boden. Ständig abgetragen und in die Umlaufbahn gebracht, stürzte das kristallisierte Schwefelsulfit in Richtung Gravgenerator und lagerte sich um diesen ab. Im Laufe der Zeit wurde die künstliche Schwerkraft reduziert, die natürliche des wachsenden Mondes aus Katzengold nahm zu. Der nächste Schritt war dann natürlich das CO2. Aber auch saßen bereits einige Leute an der Arbeit und entwickelten Methoden.

Die VAC hatte besaß keine interstellaren Raumschiffe und war auch nicht an einem Handel außerhalb des heimischen Systems interessiert. Ihre Anteilseigner machten auch so genug Gewinn, die Asteroiden waren voller Schätze. Die ersten Schürfboote waren unbewaffnete, langsame kleine Boote, später wurden sie luxuriöser ausgestattet. Asteroidenschürfer wurde ein beliebter Beruf, bei dem man mit ein bisschen Glück und ein wenig Fleiß gut verdienen konnte. In den Bars der KJB umschwärmten junge Frauen diese harten Abenteurer, die bekannt dafür waren, einem schnellen Abenteuer nicht abgeneigt zu sein und ganz gerne ihre Muskeln spielen ließen. Oder junge Männer die Schürferinnen, welche es auch nicht wenige gab. Bad Boys oder auch bad Girls hatten eben schon immer eine gewisse Anziehungskraft. In den Bars der vier Stationen der VAC im Asteroidengürtel gab es keine Personen, die nicht für die VAC tätig oder mit einem der Angestellten verheiratet waren, also liebten die Schürfer ihre Urlaube auf dem Mond. Noch gab es diese Firmenfremden im Asteroidengürtel nicht, auch auf den Stationen der AF, aber man dachte an Expansion.

Die Shuttle der Company waren leicht zu erkennen. Unter einer Schicht aus Klarstahl waren sie beinahe nahtlos mit den schönsten Pyritsonnen von der Venus belegt, dieser Umstand hatte ihnen den Spitznamen ‚golden V.‘ eingetragen. Seit ihrer Gründung hatte niemand von der VAC einen einzigen Schuss abgegeben, die Asteroidenschürfer prügelten sich zwar ab und zu, aber Waffen galten als unehrenhaft. Die VAC bauten allerdings hervorragende Shuttlezellen und deren Antriebe, deshalb saß Mariana nun mit am Konferenztisch im Südturm des GCC Towers.

Natürlich können Sie über meine Ressourcen verfügen. Ich werde sicher nicht zurück stehen, wenn es darum geht, die Erde zu verteidigen. Meine Herren, womit kann ich helfen?“ Rhodan schob die Baupläne für die Kanonenboote über den Tisch, die junge Frau sah sie sich kurz an und gab sie ihrem technischen Berater weiter. „Guido?“

Guido Vanaratti studierte die Pläne, dann sah er auf. „Lässt sich machen. Schnelle Flitzer. Nur die Bewaffnung können wir noch nicht herstellen. Keine Ahnung davon, keine Maschinen dafür. Rümpfe und Triebwerke können wir sofort liefern.“

Sie haben Mister Vanaratti gehört. Reicht Ihnen das?“

Danke, Miss Chasseur. Sie nehmen trotzdem ganz schön Druck von unseren Schultern! Miss Gruschenkowa!“

Natascha Gregorewna Gruschenkowa war aus Moskau und dort als Entwicklungsingenieurin tätig. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den folgenden Zuständen, welche beinahe wieder zaristische Züge trugen, hatte sich das Volk einmal mehr empört und Tabula rasa mit den Bonzen gemacht. Zum Glück waren zumindest einige weitsichtige und integre Männer mit der Gründung des neuen Staates beschäftigt gewesen, die eine neue Verfassung und eine soziale Marktwirtschaft einführten. Gleichzeitig imitierten sie die Mischung aus zentraler und dezentraler Verwaltung, wie es sowohl im Commonwealth als auch in Europa und den USA nicht perfekt, aber halbwegs zu funktionieren schien. Sie strichen das ‚Sovjet’ aus dem Namen und nannten sich Union sozialer russischer Republiken, kurz USRR. Die einzelnen Länder bildeten nach außen hin eine starke Gemeinschaft, doch intern waren sie zum größten Teil selbstverwaltet. Immerhin war ein großes, wenn nicht das größte Problem aller russischen Regierungen, ob nun zaristisch, bolschewikisch oder die spätere russische Staatengemeinschaft, einfach die schiere Größe des zu verwaltenden Gebietes. ‚Welche Ahnung kann Moskau (oder Sankt Petersburg) schon von unseren Problemen in Sibirien, Jakutien, Kirgistan oder gar Kamtschatka schon haben‘, dieser Spruch war so alt wie das erste russische Zarenreich. Deshalb wurde eine echte föderative Union gegründet und großer Wert auf örtliche kleinere Verwaltungsbezirke mit genug Einfluss gelegt. Gemeinsam war allen Teilstaaten die kostenlose Grundversorgung ihrer Bürger mit Nahrung, Wohnung, Kleidung, dazu medizinische Versorgung, Zugang zum Internet und öffentlichem Verkehr. Die freien Wohnungen waren selbstverständlich nicht besonders groß, ein Raum mit Kleiderschrank, Schreibtisch, Stuhl und bequemem Sessel. Ein zweiter mit Bett und eine Nasszelle, ein klein wenig mehr als ein Hotelzimmer. Drei Mahlzeiten täglich zu vorgegebenen Zeitpunkten, einfach, aber halbwegs schmackhaft, im Speisesaal des Wohnblocks. Der junge Staatenbund wurde schließlich international anerkannt und als Vollmitglied in die UNO aufgenommen.

Die zentrale Regierung der USRR bat die GCC um eine kleine Starhilfe, und zwar um das Know-how und die Erlaubnis, Kleinmeiler arkonidischer Technik für Autos und die noch massenhaft vorhandenen großen Helikopter sowie mit Propellern angetriebene Flugzeuge herstellen zu können und zu dürfen. Bald schon zeigte sich, dass der größte Teil der Bevölkerung mit dem faulen, bequemen, aber nicht sonderlich luxuriösen Leben nicht vollständig zufrieden war und lieber versuchen wollte, sich bessere Wohnungen, bessere Kleidung oder besseres Essen zu verdienen. Oder Reisen in das Ausland, Schmuck, diesen oder jenen Luxus über die Grundversorgung hinaus. Was selbstverständlich möglich war, wenn man in die Hände spuckte oder seine grauen Zellen ankurbelte. Oder besser noch, beides machte. Langsam, aber sicher kam das Land auf die Beine, zahlte seine Schulden zurück und begann mit dem erneuten Aufstieg, zwar nicht sehr schnell, aber stetig. Allmählich dachte man auch wieder an eine Beteiligung an der Raumfahrt, Gruschenkowa und ihr Büro hatten den Auftrag, Arbeitsschiffe, Transporter und ähnliches zu konstruieren. Als sie jetzt direkt mit ihrem angeheirateten Namen angesprochen wurde, zuckte sie leicht zusammen.

Also, Miss Gruschenkowa…“

Bitte, Mister Rhodan, ich fühlte mich wohler, wenn Sie mich Natascha Gregorewna nennen könnten. Es ist bei uns die Anrede mit Vor- und Vatersnamen üblich und auch höflich genug.“

Wie Sie wünschen, Miss Natascha Gregorewna, also glauben Sie, dass sie die Ein-Mann-Jäger Typ Sternenfalke herstellen können?“ Wieder wanderten Konstruktionsunterlagen über den Tisch. Natascha Gregorewna vertiefte sich in die technischen Daten.

Ja, schon. Das bekommen wir hin. Aber…“

Was, aber?“ Rhodan hakte nach einer kleinen Frist nach, als Natascha Gregorewna schwieg.

Wenn ich das richtig sehe, sollen die Waffen starr in Flugrichtung feuern. Also, man zielt mit der ganzen Maschine? Natürlich! Wozu dann die komplizierte Befestigung mit Gelenken, noch dazu ohne die Möglichkeit, sie anzusteuern und zu bewegen? Können wir das nicht vereinfachen? Oder hier! Das ist viel zu verspielt. Machen wir es doch einfacher, unkomplizierter und damit leichter und schneller herstellbar. Und effizienter zu warten wird es auch. Diese Klappe könnte man hierher verlegen. Dann kommt man nicht nur leichter zu dem Bauteil darunter, sondern kann es auch besser sehen!“

Rhodan seufzte. „Wenn man einem russischen Ingenieur etwas in die Hand gibt, streicht er alles Unnötige weg und baut etwas Einfacheres, dafür aber weniger Störanfälliges, das war schon zu Sowjetzeiten so. Machen Sie es, wie sie es für richtig halten, Natascha Gregorewna. Machen Sie das Beste, das sie können! Unsere Jungs sollen da oben so sicher wie nur irgend möglich sein! Ja, Miss Wang?“

Auch in der Asiatischen Föderation hatte ein Umdenken stattfinden müssen, weg vom Zentralismus zu mehr Freiheit für Gebiete und Personen. Wang Li-Ming war bereits ein Kind dieser Zeit, in der nun wieder autonomen Region Hongkong aufgewachsen und weltraumbegeistert. Der AF war dieser Schritt nicht leicht gefallen, aber nach dem Desaster mit Perry Rhodans Sieg im Wettrennen zum Mars hatte die Parteispitze die Konsequenzen gezogen und war zurück getreten. Der neue Mann an der Spitze war Huyang Chang-Ni. Er erkannte das Problem der überbordenden Verwaltung und des unrentablen Überwachungsstaates mit Millionen von Spitzeln und Geheimpolizisten, die rein gar nichts zum Allgemeinwohl beitrugen und nur viel Geld kosteten. Er überlegte, dass, wenn es erlaubt war, seine Meinung zu haben und auch zu sagen, es keine Geheimpolizisten brauchte, welche diese Meinung zur Meldung brachte. Er sparte Unsummen ein, die er in Entwicklung steckte. Auch die AF bediente sich Anfangs ihrer immensen Hubschrauberflotte mit Elektroantrieb, erwarb aber bald Lizenzen zum Bau von Shuttles. Dann trat sie in Konkurrenz zur Venus & Asteroid Companie und baute sowohl Rohstoffe im Gürtel ab als auch einige Basen dort auf. Eine Konkurrenz, die nicht in Feindschaft ausartete, sondern einfach ein Wettbewerb blieb. Wenn im Asteroidengürtel ein Problem auftauchte, war man froh über jede Hilfe, die kam. Und man half auch jedem, der es nötig hatte, egal, welches Logo auf dem Schiff war und welche Form die Augen. Asteroidenschürfer waren auf dem besten Weg, ein eigener Menschenschlag zu werden, zwar rau, aber ehrlich und hilfsbereit. Auch die Monde des Jupiter wurden von der AF nach Bodenschätzen abgesucht, die Föderation hatte ihr erstes Fernraumschiff, ein 750 Meter langer, 250 Meter breiter und 100 Meter hoher Keil, der aus lauter Dreiecken zu bestehen schien, fertig und wartete auf die Lieferung des ÜL – Antriebes. Ein Springermodell, per Hypercom bestellt, dem Vernehmen nach sollte das Schiff JADEPHÖNIX genannt werden. Wang Li-Ming hatte das Konzept erstellt und den Bau akribisch überwacht, der JADEPHÖNIX sollte eine neue Heimat für Millionen Asiaten finden, weitere Schiffe, die noch im Bau waren, sollten diese Auswanderer transportieren. Es wurde eng auf der Erde, ganz besonders in Asien, und die AF wollte von der GCC unabhängig bleiben, wenn es um neue Welten ging. Nun hatte die große, hagere Chinesin mit dem winzigen Näschen und den schrägen Mandelaugen ihre Hand gehoben.

Wir sind gerne bereit, den JADEPHÖNIX in die Waagschale zu werfen, aber wir haben ihn kaum bewaffnet. Er ist groß, aber ein wenig schwerfällig und beinahe schutzlos. Aber die AF hat Infanterie, gut ausgebildet und bewaffnet. Wir hoffen nicht, dass es zu Landungen kommt, aber wir werden bereit stehen, wenn es soweit kommen sollte. Und, auch unsere Raumjäger sind nicht zu verachten.“

Ich chännä die chinäsische Feierrdrrache – Jägerr!“ Nikolai Wassilewitsch Uljanow – nicht verwandt mit Lenin, wie er stets betonte – hatte zwar einen groben westsibirischen Dialekt, war aber ein hervorragender Techniker. „Errinnäärrt ein wänieg an MiG 21 mit Stummällflügääl von Starrfeitäärr! Brriengt abäär chräftiech – wie sagtt maan? – Gunpowäär in Chosmoos!“

Li Jen-Dsiä, der Konstrukteur des Jägers verneigte sich im Sitzen. „Danke, Nikolai Wassilewitsch. Wir haben uns erlaubt, in unsere Jäger Feuerdrache je zwei Impuls- Thermo- und Desintegrationsstrahler rund um die Nase starr einzubauen und die sechs Waffen noch einmal mit einer Isolierung zu versehen. Daher die Ähnlichkeit des Buges mit der angesprochenen MiG. Die Spezifikationen der Waffen dürften bekannt sein, wir haben sie von der GCC erworben. Und ich glaube, die 700 km/s2 Beschleunigung, die wir erreichen, können sich auch sehen lassen.“

Rhodan nickte ernst. „Danke, Miss Wang, Mister Li. Wir werden dem JADEPHÖNIX zwar einen ordentlichen Schirm verpassen, aber eine wirkliche Kampfeinheit wird er wohl nie. Trotzdem danke ich für das Angebot! Die asiatischen Jagdstaffeln sind allerdings mehr als willkommen.“

Perry Rhodan drückte einige virtuelle Knöpfe auf einem Touchscreen, vor den Versammelten schwebten Listen uns Diagramme in holographischer Darstellung. „Die GCC verfügt derzeit über vier Schlachtschiffe der STARDUST – Klasse inklusive der STARDUST selber, 25 schwere Kreuzer mit 200 Meter Durchmesser, 85 leichte mit 100 und 250 Korvetten mit 60 Meter.“

Auch Johnson steckte eine Speicherkarte in den Leserschlitz und projizierte seine Listen neben jene Rhodans. „Die Interstellar hat 3 Schlachtkreuzer mit 600 Metern, 18 schwere, 50 leichte Kreuzer, dazu 150 Korvetten. Aber unsere Schiffe sind mehr für den Handel als für den Krieg gebaut!“

Wie bei uns auch. Außer den Schlachtschiffen, die haben wir zum Schutz der Erde als reine Kampfschiffe gebaut.“ Freudlos grinsend sah in die Runde. „Natürlich mit Ausnahme der STARDUST selbst. Die mussten wir nicht bauen.“ Rhodan massierte seine Augenwinkel. „Wir haben gedacht, vier Schlachtraumer und ein wenig Kleinvieh würden uns die Springer vom Hals halten. Jetzt haben wir es mit dem großen Imperium selbst zu tun. Aber weiter. Starlight kann uns vier sechshunderter Schlachtkreuzer schicken.“ Er lächelte dünnlippig. „Es sollte mich aber nicht wundern, wenn die noch um einiges kampfstärker als selbst die STARDUST sind.“

*

Die Schritte von Reginald Starlight und Marie France Meunier wurden durch dicke Teppiche gedämpft. Am Tag nach ihren Prüfungen, die sie beide mit Bravour bestanden, waren zwei Beamte in ihrem Hotelzimmer erschienen und hatten sie aufgefordert, sich bitte anzukleiden und mit zum GCC Tower zu kommen. Die Beamten waren zwar nett und freundlich, aber keinen Widerspruch akzeptierend gewesen, nun begleiteten die Sicherheitskräfte das Paar bis zu Rhodans Privatbüro. Marie France ein wenig sorgenvoll, Reginald mehr grollend, aber alle zwei waren neugierig, was denn eigentlich der Grund der Vorführung war.

Perry Rhodan tigerte in seinem Büro auf und ab, sein Gesicht in sorgenvollen Falten, seine Augen suchten immer wieder Thora, der man die Geburt ihres zweiten Sohnes Reginald Michael kaum mehr ansah und die schon wieder schlank und fit wirkte. Sie lehnte mit überschlagenen Beinen an Rhodans Schreibtisch, die Arme unter dem derzeit biologisch bedingten noch pralleren Busen verschränkt, ihre rötlichen, leicht mandelförmig geschnittenen Augen blickten voller Sorge, ihre sonst so vollen, schönen Lippen zeigten ein verkniffenes Lächeln, als das Paar durch die Tür gelassen wurde.

Privatprotokoll! Niemand hört uns zu. Die Türen sind dicht. Miss Meunier, sie werden nun notgedrungen in eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Familie Rhodan eingeweiht. Nur wenige wissen darum, und ich muss Sie dringend bitten, einem mechanischen Hypnoseblock zuzustimmen, der verhindert, dass irgend jemand davon Kenntnis erhält. Selbst ein Telepath wird es von Ihnen nicht erfahren können, aber wir wollen Ihnen das Wissen, das Sie gleich erfahren, nicht wieder nehmen. Glauben Sie mir, die Not zwingt uns zu diesem Schritt.“

Marie France kniff die Augen zusammen, öffnete sie und sah langsam von einem zum anderen. „Wenn Sie mich dezidiert ansprechen und Reg nicht, dann weiß er bereits Bescheid. Ein familiäres Problem! Weiße Haare sind selten, wenn ich Donna Thora ansehe, dann Reg…“ Sie schnippte mit den Fingern, dass es laut schnalzte. „Reginald ist ihr Enkel, und Tana Starlight die verschollene Tochter“, rief sie laut. „Es kann gar nicht anders sein! Aber ist der Aufwand für… Oh! Es ist etwas geschehen! Etwas Arges! Sie brauchen Reg nicht als Enkel, sondern weil er etwas weiß… Der Reintegrator!“ Sie zeigte mit spitzem Zeigefinger auf Rhodan. „Sie brauchen ihn, um ganz schnell etwas herzustellen. Die Galaxis brennt, und sie brauchen eine starke Flotte?“

Hervorragend deduziert, Miss Meunier!“ Thora stieß sich mit dem Hinterteil von dem Schreibtisch ab und öffnete die Arme. „Ich bin versucht, ‚elementar, mein lieber Watson’ zu sagen. Wie ich sehe, legt mein Enkel großen Wert auf Intelligenz und Schönheit. Eine seltene Kombination“, sagte sie trocken. „Wenn du erlaubst, möchte ich dich in der Familie willkommen heißen. Ja, beinahe alles ist richtig, außer dass die Galaxis brennt. Es ist“, ihre Finger malten Gänsefüßchen in die Luft, „nur M 13. Thanthur Lok. Das große Imperium. Wir hoffen, dass die Erde noch lange versteckt bleibt. Aber wir müssen uns auf das Gegenteil vorbereiten.“

Na schön!“ Maries Blicke versprachen Reginald eine böse Standpauke, aber auch das Versprechen, ihm später zu verzeihen. „Ich bin Einverstanden. Machen Sie…“ „Du!“ warf Thora ein und hielt Marie France beide Hände entgegen.

Also gut, dann mach das mit dem mechanohypnotischen Dingsda.“ Zögerlich ergriff Marie France die Hände, Thora nahm sie herzlich. „Dieses Geheimnis soll wirklich geheim bleiben. Ein Rhodan! Warte nur, Freundchen, das wirst Du lange Zeit bezahlen. Sehr lange Zeit!“

Das heißt!“ Reginald wagte wieder zu atmen. „Das bedeutet, du willst sagen, du verlässt mich nicht?“

Nein, Dummerchen, verlassen werde ich dich nicht. Aber alles andere gilt mehr denn je. Ich lasse mich auch von einem Rhodan nicht aushalten und kaufen! Ich will selbst studieren, selbst meinen Titel erkämpfen und dann arbeiten, nicht zu Hause hocken und nur für meinen Mann da sein müssen!“

Einverstanden. Absolut einverstanden, Marie France. Darf ich dich vielleicht umarmen?“ Reginald breitete vorsichtig seine Arme aus, in die Marie France sofort kam. „Natürlich, mein Liebling.“ Sie vergaßen komplett, wo sie waren und küssten sich innig, bis Rhodan hüstelte.

Ich störe ja ungern, aber wir haben immer noch ein Problem!“

Thora stieß ihrem Mann den Ellenbogen in die Rippen. „Du wirst doch noch fünf Minuten erübrigen können!“ Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Männer! Und besonders diese Halbaffen von Terra! Ich gebe dir einen guten Rat, Mädchen. Lass dem Lümmel nicht zu viel Macht über dich. Du musst diese Paviane ab und zu zurecht stutzen. Meine Schwiegerenkelin! Wie das klingt, Perry! Als wäre ich eine alte Frau! Komm doch mal an Omas Herz!“

Marie France ließ sich gerne von Thora umarmen, während Rhodan sagte. „Ja, aber Du bist meine alte Frau, und ich liebe meine alte, dekadente Ziege! Äh, auch das fällt unter die Geheimhaltung, ist das klar?“

Klar!“ Marie France löste sich aus der Umarmung. „Es ist mir selbst ganz recht, wenn niemand das Geheimnis von Reginald erfährt. Wo ist diese Höllenmaschine?“

Komm mit, mein Kind!” Thora nahm Marie Frances Hand. „Was weißt Du eigentlich über arkonidische Hypnoschulung?“

Dass ich schon ein paar Lektionen…“ Lautlos glitt die Tür zu und schnitt die Worte von Marie France ab.

Verträumt blickte Reginald noch sekundenlang auf die geschlossene Tür, dann wurde sein Gesicht sachlicher. „Oma sieht wieder gut aus. Wie geht es mit Reginald Michael?“

Dem geht es gut, auch wenn er uns kaum schlafen lässt. Wir haben zwar für Notfälle eine junge Dame, die sich um ihn kümmert, aber im Allgemeinen geht Thora in ihrer Mutterrolle auf. Es gefällt ihr, Mutter zu sein.“

Reginald Starlight lächelte schon wieder versonnen, dann strafte sich seine Haltung. „Wie kann ich helfen, Opa?“

Bei dieser Anrede zuckte Perry Rhodan kurz zusammen, dann öffnete er eine Schachtel. „Ach, Mutter hat Dir einen Reintegrator geschickt.“

Das Ding hat begonnen, irgendetwas Großes zu bauen! Und ich habe keine Ahnung, was es ist, daher habe ich wieder auf Stopp gedrückt! Sie hat nur gelacht und gesagt: ‚frag Deinen Enkel!‘ Also frage ich Dich.“

Darf ich kurz Deinen Rechner haben? Danke. Wo ist der Eingang? Ah, hab‘ ich dich. Mal schauen, bis hierher alles klar… LESLIE! Du verdammtes, wundervolles Genie, das ist einzigartig! Du hast das Unmögliche möglich gemacht! Wie hast Du das… ah, Angel! Der PPS Generator! Bereits integriert! Toll! Opa, das Ding sollte Dir eine Raumschiffwerft bauen. Drei Monate bis Fertigstellung, danach – oh! OH! Da hat sich ja auch ganz massiv etwas getan. 51 Tage für ein Schlachtschiff der STARDUST-Klasse, wenn genug Rohstoffe vorhanden sind. 7 Tage für einen leichten Kreuzer, 14 für einen Schweren. In einem Jahr kannst Du vier von diesen Werften haben. Die Schiffe werden mit dezentraler Energieversorgung ausgestattet sein, bereits fix und fertig. Angel Kleinschmid hat einen Generator, der auf 150 x 50 x 50 Zentimeter den Energiebedarf eines Patrouillenbootes deckt. Du kennst Mamas Miniboote? 30 Meter Durchmesser? Also, stell Dir vor, Du verpasst jedem Geschützturm so ein Angelpowerding. Die Frage ist nicht mehr wieviel Feuerkraft Du bekommst, sondern die Kühlung der innen liegenden Teile. Mann, oh Mann. Dazu kommen noch drei extra starke Schutzschirmgeneratoren. Für die 800 Meter sollten kurz überschlagen 6, vielleicht 7 von Angels Reaktoren pro Generator ausreichen. Sagen wir 10, fast doppelte Sicherheitsreserve. Dann benötigst Du unwesentlich mehr als 45 x 15 x 15 Meter, um einen dreifachen Schirm aufzubauen. Opa, ein Schlachtschiff dieser Serie ist Deiner STARDUST in der Defensive dreimal überlegen, hat gut das doppelte an Feuerkraft und 570 km/sec2 Beschleunigung. Die PPS – Dinger sind auch noch Wartungsfrei. Wie gefällt Dir Deine zukünftige Flotte, Opa?“

Perry Rhodan war ein wenig blass geworden und suchte nach einer Sitzgelegenheit. „Das ist Wahnsinn! Deine Mutter bürdet mir da eine Verantwortung…“

Unsinn!“ fuhr Reginald seinem Großvater in die Parade. „Diese Verantwortung hast Du akzeptiert, als Du auf dem Mars Crest und Oma getroffen und ihnen geholfen hast, statt sie den Behörden zu übergeben. Du hast diese Verantwortung bestätigt, als Du zu Wega flogst und noch einmal, als Du den Zellaktivator angenommen hast! Das alles geschah, ohne dass meine Mutter dabei war! Also, entweder machst Du weiter oder Du suchst jemand anderen, der es tut. Aber gib meiner Mutter nicht irgendwelche…“

Stimmt!“ Jetzt unterbrach Rhodan seinen Enkel. „Alles, was Du sagst, stimmt. Danke für die Erinnerung. Mich hat nur diese Machtfülle kurz ins Stolpern gebracht.“ Perry straffte seine Gestalt wieder. „Dann hoffen wir, dass ich der Verantwortung gerecht werde!“

Reginald reichte seinem Großvater die Rechte. „Solange Du zweifelst, können die Menschen ruhig schlafen. Ein Problem wirfst Du erst auf, wenn Du Dich für perfekt hältst.“

Oh weiser und gerechter Doktor, um wieviel älter bist Du, als Du aussiehst!“ spöttelte Perry, und Reginald verdrehte die Augen.

Shakespeare ist wohl so etwas wie eine Familienkrankheit, oder?“

*

Reggys System, Juni 2084

Nahe der HEPHAISTOS schwebte eine Kugel von 950 Metern Durchmesser, umgeben von einem 180 Meter breiten Ringwulst um den Äquator. Das blau ihrer Farbe entsprach dem der Fahne der irdischen Vereinten Nationen, auch die vom Nordpol gesehene Erddarstellung im Lorbeerkranz in weißer Farbe über dem Ringwulst entsprach der UN – Flagge. Auf jener der Flagge gegenüber liegenden Seite las man den Namen VIRIBUS UNITIS in lateinischer, cyrillischer, griechischer, tamilischer und arabischer Schrift, japanische und chinesische Ideogramme. Die verschiedenen Schriften übersetzten den Namen des großen Schiffes in die jeweiligen Sprachen. ‚Mit vereinten Kräften‘.

Je ein Kanonendeck auf der Nord- und der Südhalbkugel mit 6, eines mit 12, und zwei mit jeweils 24 Geschütztürmen, auch im Ringwulst waren 48 Türme zwischen den 48 Triebwerksöffnungen. Eine zusätzliche Geschützkuppel am Nordpol. Die Geschütztürme eines der Decks mit 24 Feuerstellungen waren mit Narkosegeschützen und leichten Jägerabwehrkanonen bestückt, jene des Ringwulstes und der Decks mit 6, 12 und das zweite mit 24 Türmen trugen schwere und überschwere Kaliber, jeweils 2 Desintegrator-, 2 Thermo- und zwei Impulskanonen, die Polkuppel war noch größeren Kalibern ausgestattet. Drei extrastarke Schirmgeneratoren mit genügend Energieversorgung schützten das Schiff vor feindlichem Feuer, die 48 Korpuskulartriebwerke beschleunigten die VIRIBUS UNITIS mit maximal 530 km/sec2. Transitationsdämpfer erlaubten nicht ortbare Hypersprünge, Schwingungsentzerrer schützten vor den Schmerzen des Transits.

Alle Stationen bereit, Skipper!“ meldete Inéz Peres, die XO der VIRIBUS ihrem Skipper, Marteen van der Molenford bestätigte die Meldung und drehte sich zu Tana Starlight, die wieder ihre weiße Pseudouniform trug, um.

Fliegen Sie los, Skipper. Liefern wir das erste Schiff der Mätressen – Klasse an seinen neuen Besitzer. Es soll der Erde gehören.“

Miss Peres, sie haben es gehört. Beschleunigen Sie und gehen Sie in den Transit, wenn alles bereit ist. Ziel Terra!“ Die Eltern des Kapitäns stammten aus den Niederlanden und waren dem Ruf der guten Bezahlung und hervorragenden Sozialleistungen der Starlight Enterprises gefolgt und mit Kind und Kegel auf die HEPHAISTOS gezogen. 2071 war Marteen 15 Jahre und ein schlechter Schüler gewesen. Dann hatte ihn der Ehrgeiz gepackt, mit 27 hatte er das Kapitänspatent für den interstellaren Raum erhalten, die Prüfungen waren alles andere als leicht. Mit 28 kommandierte er das erste Kriegsschiff einer neuen Generation. Das Schicksal seiner ein Jahr jüngeren XO unterschied sich kaum von seinem eigenen, ihre Eltern waren aus Portugal gekommen. Nur war Inéz von Anfang an eine gute Schülerin gewesen und hatte seit kaum einem Monat ihr Kaptänspatent in der Tasche. Der temperamentvolle Holländer und die kühle, unnahbare Portugiesin gaben ein gutes Team ab, sie sollten die VIRIBUS UNITIS mit einer Rumpfbesatzung nach Terra bringen und dort die neuen Besatzungen einschulen. Sollten sie nach dieser Zeit in den Dienst der Vereinten Nationen treten wollen, so stand es ihnen frei, andernfalls würden sie mit der CYGNUS oder der CYRANO auf die HEPHAISTOS zurück kehren, wie auch der Rest der Mannschaft.

*

Solsystem

Am Rande des Sonnensystems flog eines der neuen Kanonenboote Patrouille, als scheinbar aus dem Nichts eine riesige Kugel entstand und mit schnell länger werdenden glühenden Energiezungen in Richtung der Erde raste. Joel Brasseur aus der Gascogne, lang und dürr, sah im Cockpit des Kanonenbootes 3-491 das fremde Schiff als erster auf seinem Ortungsschirm und gab sofort seine Sichtung an die Zentrale weiter. Auf der General Pounder Spaceforce Base wurde auf Grund dieser Meldung Alarm gegeben und DefCon 5 ausgerufen, Sirenen heulten und das Personal sprintete zu seinen Alarmposten, die Piloten zu ihren Maschinen. Die Homefleet unter Atlan wurde gefechtsklar gemacht, der alte Arkonide, der eben zu einem Date auf der Erde fliegen wollte, sprang lauthals und von Herzen fluchend wieder aus dem Shuttle und rannte zum Mittelpunkt der NEIL ARMSTRONG, einem Schlachtschiff der STARDUST-Klasse. Es war nicht das erste Mal, dass ein Alarm seine amourösen Pläne störte, das machte es für den immer noch virilen Mann jedoch auch nicht besser. Dann, leises Durchatmen, leichte Entspannung, Joel gab den Transpondercode durch und identifizierte das Objekt als TSS VIRIBUS UNITIS. Das Kürzel TSS für Tana Starlight Schiff war zwar bekannt, der Name und die Energiesignatur aber noch nicht. Man sah nur, dass hier ein großes Energiebündel auf dem Weg in das Innere des Sonnensystems war. Trotzdem, aufgrund des Präfixes wurde die DefCon auf 4 zurückgenommen, es war nicht unmittelbar mit einem Angriff zu rechnen.

Auf den Bildschirmen der Kommunikation wurde eine schöne Frau mit Mahagoniroten, etwas mehr als schulterlangen Haaren sichtbar, die zu weißen, hochhakigen Schuhen eine weiße, hautenge Hose und einen auf Hüfte geschnittenen weißen Seidenblazer auf bloßer Haut trug, auf dem Kopf saß keck eine weiße Admiralskappe.

Guten Morgen!“ Die Stimme klang sanft wie ein Morgenwind. „Verbinden Sie mich doch bitte mit dem Verteidigungsrat der Erde. Mein Name ist Starlight.“ Der Funker vergaß, seine Arbeit zu machen und starrte das Bild nur an. „Junger Mann?“ Tana beugte sich etwas vor, und nun starrten alle Männer der Funkzentrale wie erstarrt auf das Bild.

Hunter!“ Captain Marie Valenskaya war hinter den zuständigen Mann getreten und riss ihn aus seiner Starre. „Den Verteidigungsrat. Galacto City, pronto! Die Damen und Herren werden ohnehin wissen wollen, was es mit dem Alarm auf sich hat. Los, los!“

*

Fluchend rannte Perry Rhodan in sein Büro, dicht gefolgt von Thora, Bully und Mercant, als die Sirenen den Alarm verkündeten. Dort sah ihm vom Bildschirm der stehenden Leitung zum UN – Hauptquartier bereits eine mütterlich wirkende, beleibte Frau aus dem Volk der Zulu durch große Brillen entgegen.

Was ist los, Mister Rhodan?“ Ulwazi Nhlakanopho war deutlich besorgt.

Ich weiß es noch nicht, Madame Generalsekretär. Mister Renard. Mister Johnson.“ Auf einem zweiten Schirm war der Chef der Interstellar Trading eingetroffen, auf einem dritten der Sicherheitsberater der VN. „Zuerst DefCon 5, dann wurde auf 4 zurückgenommen. Mehr… ach, ein Hyperspruch. Darf ich den Sicherheitsrat und Sie auf Konferenzschaltung legen?“ Perry Rhodan war nicht weniger besorgt und ratlos.

Tun Sie das bitte, Mister Rhodan!“ trotz aller Unruhe, die sie fühlte, war Ulwazi Nhlakanopho nicht bereit, auf Höflichkeit zu verzichten.

Miss Starlight, sind Sie das?“ rief Johnson! „Was machen Sie denn hier?“ Tana Starlight leckte sich schelmisch die Lippen, ihre Augen funkelten verführerisch.

Aber Mister Johnson!“ ihre Stimme klang seidenweich aus den Lautsprechern. „Kein ‚Hallo‘? Kein Geplauder vorher? Keine Einstimmung? Gleich so – direkt zur Sache gehend?“ Dann die kaum hörbaren, beinahe zärtlich, aber mit scheinbar belegter Stimme gehauchten Sätze: „Sie – enttäuschen mich! Ich hielt Sie für – einfühlsamer!“ Thora, Rhodan, Bull und Mercant hatten Mühe, sich ein schadenfrohes Grinsen zu verkneifen. Tana hatte wieder ein neues Opfer gefunden, das nun auch wirklich hochrot im Gesicht wurde.

Ich – entschuldigen Sie bitte, ich war überrascht.“ Stan Lee Johnson verbeugte sich höflich. „Nehmen Sie bitte mein zutiefst empfundenes Bedauern zur Kenntnis.“

Oh! Ein wirklicher Gentleman alter Schule! Aber selbstverständlich vergebe ich Ihnen, Mister Johnson“, nickte Tana Starlight und legte ihre rechte Hand in der Höhe der Schlüsselbeine an die Brust. „Wie kann eine Frau da noch böse sein, wenn sie so nett gebeten wird?“ Dann wandte sie sich an alle Anwesenden. „Darf ich Madame Generalsekretär und den Sicherheitsrat auf die Pounder Space Base bitten, wo ich auf Landeerlaubnis hoffe. Ich habe eine kleine Überraschung mitgebracht. Sagen wir in drei Stunden?

Die Zentrale der General Pounder Spaceforce Base auf dem Mond war ein riesiger Saal mit unzähligen schalldicht abgetrennten Buchten für verschiedenste Aufgaben wie etwa Kommunikation, Koordination der Jagd- und Kanonenbootgeschwader oder Ortung, im Hauptsaal lief alles zusammen und wurde auf unzähligen Bildschirmen wieder gegeben. Man sprach im Dienst die arkonidische Verkehrssprache, in letzter Zeit verrichteten auch Offiziere aus der USRR, der AF und der Interstellar Trading hier ihren Dienst, daher hatte man sich auf eine neutrale Sprache geeinigt. Die bereits mehrfach erwähnte Hypnoschulung machte das erlernen einer Sprache zu einer Angelegenheit von etwa einer halben Stunde – Vorbereitung inkludiert. Der Kommandant Generalleutnant Vaclav Prochaska hatte Generalsekretär Ulwazi Nhlakanopho, Berater Renard und Mister Johnson von seinem Stellvertreter Colonel Bloch vom Hangar abholen lassen und begrüßte sie nun im Allerheiligsten. Rund um eine Empore saßen einige Adjutanten, bereit, einen zusammenfassenden Bericht zu geben oder Befehle über das Earset weiter zu leiten. Auch Rhodans Mannschaft war eingetroffen und hatte sich auf der Brücke eingefunden, man rätselte über die Gründe des Besuches und der Einladungen.

Schiff TSS VIRIBUS UNITIS nähert sich und verzögert stark.“ Leutnant Richards gab die Meldung der Ortungsstation weiter.

Geben Sie die Landeerlaubnis durch, Leutnant“, befahl der Generalleutnant.

Ortung! Das ist ein großes Schiff! Größer als ein Schlachtschiff!“ Leutnant Richards gab wieder Rapport, alle fuhren herum, die Ortungsergebnisse wurde eingespielt.

950 Meter und verzögert mit Werten, welche die 600er der Interstellar nicht schaffen.“ Johnson lächelte säuerlich. „Da sind wir wohl etwas hinterher. Woher hat die Dame ihre Technik bloß?“

Alle zuckten nur die Schulter. „Wir können die VIRIBUS optisch darstellen. Schirm 5!“ Alle sahen das Schiff in der Farbe der Vereinten Nationen und dem Logo.

Meine Damen und Herren!“ Tana Starlight erschien wieder auf einem der Bildschirme. „Eine vereinigte Flotte benötigt ein gutes Flaggschiff. Ich biete den Vereinten Nationen die VIRIBUS UNITIS als Geschenk an. Möge sie die Erde glücklich und erfolgreich beschützen.“

VIRIBUS UNITIS ändert Transpondercode in UNS VIRIBUS UNITIS“, rief ein Radio Operator.

Madame Generalsekretär, darf ich Sie an Bord ihres Schiffes bitten. Sie werden wohl einen Admiral der Erde ernennen müssen.“

Ulwazi lächelte still und putzte ihre Brille. „Ich glaube, ich weiß, wem wir den Schutz unserer Heimat anvertrauen können. Würden Sie bitte Admiral Atlan ebenfalls hinzu bitten? Danke, Miss Starlight.“

*

Der große, weißhaarige Mann mit den rötlichen Augen sah sich auf der Brücke der UNS VIRIBUS UNITIS um. Ein wenig großzügiger Dimensioniert als er es gewöhnt war, nun, das Schiff war auch größer als die NEIL ARMSTRONG oder die ARK’EMPE, sein altes arkonidisches Flaggschiff. Ulwazi Nhlakanopho hatte ihm eine Frage gestellt.

Sind Sie bereit, die Flotte der Vereinten Nationen zu befehligen? Derzeit wird die vereinte Flotte noch gestellt von der GCC, der ITC und Starlight Enterprises unter der Leitung der UN, die Home Fleet soll aber komplett in die Verantwortung und den Besitz der Vereinten Nationen überstellt und noch vergrößert werden.“ Vor Atlans inneren Augen zeigte sein eidetisches Gedächtnis in Sekunden eine Reminiszenz an einige tausend Jahre auf der Erde. Von seiner ersten Landung auf der Venus, dem Untergang von Atlantis, seinen Wandel vom präpotenten Kristallprinz zum liebenden Menschen und Vater. Seine ‚Erfindungen‘, welche die Menschen auf ihrem Weg zu den Sternen begleitet hatten. Das Pferd als Reittier, das Dezimalsystem, die Dreifelderwirtschaft, der Kaffee, der Weizen, der Prallschirm und die Antimaterie-Anihilatoren, die sie prompt als Antimateriebatterien bezeichnet hatten. Die vielen Anstöße zu Entdeckungsreisen, von der Seitenstraße bis zu Leif Erikson und Columbus. Magellan, Drake, Cook. Seine Begegnungen. Cyrano de Bergerac, Giacomo Casanova, William Shakespeare, Leonardo da Vinci. Seine Frauen, arkonidische und terranische. Selketh, Helena, Julia, Claudia, Maria Theresia von Österreich, die Zarinnen Katharina und Alexandra, Madame Germaine de Staël, Marie Currie. Seine Kinder. Seit Jahrtausenden hatte er die Menschheit beschützt und versucht, sie auf ihrem Weg ins All zu unterstützen. Schon lange war Atlan daGonozal mehr Mensch als Arkonide, auch was seine Treue und Hingabe anging. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Dann sah er der Generalsekretärin tief in die Augen.

Madame, ich nehme diese Verantwortung gerne an. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.“

Aaachtung!“ Kapitän van der Molenfords donnernder Bariton hallte durch die Brücke, die angetretene Rumpfbesatzung nahm Haltung an. Marteen salutierte vor Atlan und der Generalsekretärin, dann wandte er sich an Atlan.

Admiral of Space, die Besatzung ihres Flaggschiffes ist vollzählig angetreten!“

Danke, Kapitän!“ Admiral of Space Atlan da Gonozal war sichtlich gerührt. „Lassen Sie wegtreten, bitte!“

Nun, Admiral?“ Tana Starlight bot Atlan ein Glas Champagner an. „Pommery brut royal 2054. Ein besonderer Tropfen für eine besondere Gelegenheit. Wie gefällt Ihnen Ihr Schiff?“

Atlan nahm einen Schluck. „Mit einer Flotte dieser Schiffe und meiner damaligen Besatzung hätte ich die Methaner und die Wesen aus dem roten Universum verjagt! Es ist – ich kann es nicht beschreiben! Wunderbar!“

Das freut mich!“ Auch Tana nahm einen Schluck von ihrem Glas und leckte sich ein Tröpfchen von ihren Lippen. „Sie sollten sich eine gute Besatzung suchen.“ Ihre Mundwinkel zuckten kurz, ihre Augen funkelten mutwillig. „Obwohl Miss Peres angedeutet hat, dass sie gerne unter Ihnen dienen würde. Entschuldigung, das war zu ambiguo formuliert, unter Ihrem Kommando, selbstverständlich. Ah, Mister Johnson!“ Atlan schluckte eine ebenso deftige wie zweideutige Anspielung auf Tanas Abstammung von Rhodan hinunter und schmunzelte still in sich hinein, Tana liebte die Provokation, eine Schwäche, die er durchaus verstand.

Dieses Ding ist enorm, Miss Starlight.“ Johnson deutete in Runde. „Hervorragend. Ihr Champagner übrigens auch!“

Danke, Mister Johnson. Ich dachte mir schon, dass Sie Gefallen an Rundungen finden.“ Wie zufällig nahm sie bei ihrem nächsten Schluck die Schultern kurz zurück, der Blazer klaffte etwas weiter auseinander und zeigte mehr als nur den Ansatz ihres Busens. Für eine halbe Sekunde etwa, dann war es wieder vorbei. „Mister Johnson, ist Ihnen nicht wohl?“

Stan Lee Johnson war bis unter die Haarwurzeln errötet. „Bitte entschuldigen Sie mich kurz, Miss Starlight! Admiral!“

Atlan nahm noch einen Schluck aus seinem Glas. „Das war nicht nett, Victoria“, flüsterte er so leise, dass nur sie es hören konnte, Tana lächelte.

Ich dachte, wenn er mich schon mit den Blicken auszieht, zeige ich ihm, was er will. Denkst Du, es hat ihm nicht gefallen? Ach, Admiral, weil wir schon so nett plaudern – Miss Generalsekretär! Darf ich Ihnen noch ein Glas besorgen?“

Ulwazi Nhlakanopho nahm ihre Brille ab. „Danke. Miss Starlight, sie spielen ein gefährliches Spiel. Einmal werden Sie an einen Mann geraten, der nicht so zivilisiert ist wie Mister Johnson. Einer, der handgreiflich wird.“

Tana sah sich um. „Miss Generalsekretär, das hat schon einmal ein Mann versucht. Er wird es nicht wieder tun, ich denke, er hat die Bedeutung des Wortes ‚nein‘ sehr nachdrücklich verinnerlicht.“

Gut!“ Ulwazi zeigte ihr stilles, mütterliches Lächeln. „Ich bin im Übrigen sehr erfreut, dass die ausgeflogenen Kinder der Erde ihre Heimat nicht vergessen haben.“

Das, Madame Generalsekretär, werde ich nie!“ Tana winkte einem Steward, der ihre leeren Gläser gegen volle tauschte. „Ich liebe meine Heimat, auch wenn ich sie nicht mehr besucht habe, seit… längerer Zeit. Bitte, genießen Sie die kleine Feier, ich muss noch die Admiralsuite räumen. Bevor ich mich verabschiede, Admiral, ich habe mir erlaubt, ihr Stimmerkennungsmuster programmieren zu lassen, die Neuronik erkennt sie bereits als Admiral an und hört auf den Namen Sisi. Von…“

Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn“, lachte Atlan. „Schön, aber kapriziös, beinahe so wie Sie, Tana Starlight. Ich werde die VIRIBUS allerdings nicht zerstören, ohne einen Schuss abgegeben zu haben.“

Ich habe es nicht anders erwartet, Admiral. Ein Hologramm wird sie, wann immer sie möchten, zu Ihrer Suite begleiten. Auch wenn aus rechtlichen Gründen das Gesicht nicht dem der echten Elisabeth entspricht.“ Sie nickte ihren Gästen zu. „Ich werde mich zurück ziehen und im Hilton am Port Gagarin auf die CYRANO warten. Bitte, Madame, Sir, entschuldigen Sie mich.“

Im Laufe der Party war es nicht auffällig, dass Admiral of Space Atlan mit Perry Rhodan und Thora einige Worte wechselte. Auch, dass der Chef der GCC bald darauf mit seiner Frau die Feier zu Ehren Atlans verließ und mit ihr in das Hilton am Port Gagarin ging, wo auch die 18 jährige zu hundert Prozent vertrauenswürdige und gegen Telepathen geschützte Louise Freyt mit Reginald Michael Rhodan untergebracht war, fiel niemandem auf. Außer natürlich dem alten Arkoniden, der seinem Freund gesagt hatte, wo seine Tochter auf ihn wartete…

Juli 2084

✴️

Arkon III

Miridan ist stärker als erwartet.‘

Flotte aufstocken durch Neubauten‘.

Bereits existierende Einheiten an den Zentrumsrand’.

Miridan erhält scheinbar Unterstützung von unbekannter Seite. Schiffe entsprechen keinem bekannten Muster!‘

Andere Pläne zurück stellen. Unterwerfung des Miridansektors und der Unbekannten hat höchste Priorität.‘

Leider erfuhr auf der Erde niemand von den Sorgen des Neurogenten. Viele Menschen hätten ruhiger schlafen können…

*

Solares System

Luna, John Glenn Academy.

Edward Kyle, Colonel der GCC Space Force, Veteran der Kämpfe im Wegasystem, ehemals Kapitän der USS NEPTUN, einem der größten Atom-U-Boote zu Anfang des 21. Jahrhunderts, im 95. Lebensjahr, dank Zelldusche wenig gealtert und immer noch wie ein Endvierziger wirkend, klein und schlank, wie es für die U-Bootfahrer von Vorteil gewesen war, ging in seinem Büro auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Im Besuchersessel hatte ein großer, weißhaariger Mann in olivgrüner Uniform Platz genommen, die Schulterstücke waren in jener blauen Farbe gehalten, die schon immer die Truppen der VN getragen hatten, darauf waren fünf Sonnen abgebildet, die von einem Lorbeerkranz umgeben waren. Auch im Jahre 2084 gab es immer noch die altbewährte Gegensprechanlage zum Vorzimmer des Oberst, wo Jennifer May die Termine des Colonels verwaltete und den Eingang zu seinem Büro wie ein feuerspeiender Drache bewachte. Ohne Termin kam niemand so schnell zum Chef der John Glenn Academy. Außer, man war Admiral. Oder hieß Thora, Perry Rhodan oder Reginald Bull. Heute war Admiral Atlan jedoch angekündigt gewesen, ein Umstand, der Miss May ein erleichtertes Aufatmen beschert hatte. Auch Miss Jennifer hatte die Fünfzig-Jahresmarke bereits weit überschritten, wie viel, war ihr gut gehütetes Geheimnis. Wenn man die Unmengen an Make-up und Haarspray wegdachte, die ihr Alter unschätzbar machten, mochte sie maximal wie 47, 48 wirken, man munkelte von irgendwelchen Wunderpillen und doppelt so vielen Jahren. Die meisten dieser Gerüchte hatte sie selbst bereits in den Anfangszeiten der Academy gestreut. Eigentlich war sie 87, sah frisch geduscht wie knappe 40 aus und fühlte sich auch so. Dank einer Zelldusche, die sie sich verdient hatte. Womit, das blieb ein streng gehütetes Geheimnis zwischen Perry Rhodan, Thora, Reginald Bull, Allan D. Mercant und ihr. Nicht einmal Colonel Kyle wusste davon, er vermutete, wie viele andere auch, moderne Medikamente und gute Gene. Wenn sie Abends ausging, was sie gerne und oft machte, mit locker geföhntem Haar und dezent geschminkt, durchaus gut aussehend, hätte sie keiner der Schüler erkannt, sie aber hatte alle Akten im Kopf und erkannte jeden. Kein Problem, solange sich der Schüler auch nur halbwegs benahm.

Mein Name ist Tech-Sergeant Khumunol, das ist meine Frau Shaumauntha. Man hat uns gesagt, wir sollen uns so schnell wie möglich bei Colonel Kyle melden!“ Der massige, quadratisch gebaute Mann hatte ein sorgenvolles Gesicht.

Ist etwas mit unserer Tochter?“, fragte die nicht viel weniger massige Frau mit fahlgrüner Haut. „Kadett Shaumany!“ Die offensichtliche Sorge der beiden rührte an Jennifers Herz, sie machte etwas, das eine Seltenheit war. Sie ging auf eine Frage ein.

Mit ihrer Tochter ist alles in Ordnung“, sagte sie in ihrem berühmten, kurz angebundenem Ton, den sie immer anschlug. „Einen kleinen Moment!“ Sie drückte die klassische Taste. „Sir! Miss Shaumauntha und Sergeant Khumunol sind hier! Ja, Sir! Bitte, Miss, Sergeant, treten Sie ein.“

Sergeant Khumunol und Frau melden sich wie befohlen!“ Der Überschwere salutierte vor dem Colonel, der ebenso zurück grüßte.

Stehen Sie bequem, Sergeant. Bitte, Miss Shaumauntha, nehmen Sie Platz, Sie auch, Sergeant. Das ist Atlan, der Admiral of Space, der ranghöchste Offizier der Vereinten Nationen. Er möchte mit Ihnen beiden sprechen.“

Danke, Colonel.“ Atlan reichte erst Shaumauntha, dann Khumunol die Hand. „Ich möchte mich kurz fassen. Wir stehen vor einer Krise, im Kristallimperium scheint eine Neuronik die Herrschaft angetreten zu haben. Wir müssen eine Flotte aufstellen, und das rasch. Ich habe die Akten von mehreren Springern, die bereits Verträge unterschrieben haben, studiert. Miss Shaumauntha, sie sind doch eigentlich eine Ärztin, die nur noch die menschliche Physis in der Praxis kennen lernen und eine Prüfung darüber ablegen muss!“

Das ist korrekt, Admiral. Und so unterschiedlich sind die inneren – und auch die äußeren, wenn ich bemerken darf – Organe gar nicht.“ Über Shaumaunthas Lippen huschte ein flüchtiges Lächeln, das sie sich schnell wieder verkniff. „Ohne allzu groß ins Detail gehen zu wollen!“

Ich weiß, Doktor.“ Auch Atlan grinste plötzlich Jungenhaft. „Ich habe einige Frauen der Menschen kennen lernen dürfen und einige Kinder von ihnen geschenkt bekommen.“ Er wurde wieder ernst. „Khumunol, sie waren ein verdammt guter Mechatroniker. Sie haben auch einen Kurs über die Modernisierungen der letzten Zeit gemacht. Sind Sie bereit für einen weiteren Schritt in die Zukunft?“

Sir?“ Khumunol war unsicher.

Sie beide haben bereits unter Gefechtsbedingungen gearbeitet. Sind Sie bereit, es wieder zu riskieren? Ich sagte schon, ich brauche gute Besatzungen. Und zwar für mein nagelneues Flaggschiff, das ich selbst nur zur Hälfte verstehe, weil es eine völlig neuartige Technik aufweist. Ich biete ihnen einen Job an, der allerdings riskant ist. Irgendwann wird die arkonidische Neuronik versuchen, die Erde und die galaktischen Händler zu unterwerfen.“

Shaumauntha griff nach Khumunols Arm. „Meinen Sie das im Ernst? Ich soll als Ärztin und Khumonol als Mechatroniker arbeiten? Auf Ihrem Flaggschiff?“

Nicht ganz! Khumonol bekommt eine Hypnoschulung für die neue Technik, ich brauche einen zweiten Techoffizier. Einen, der schon im Gefecht gestanden hat. Also?“

Das grünhäutige Paar sah sich in die Augen. „Aus unserer hübschen neuen Wohnung ausziehen?“, fragte er.

Wieder kalte oder aufgewärmte Bordrationen essen?“ meinte sie.

Alarmübungen?“

Unregelmäßige Dienstzeiten?“

Enge Räume?“

Wenig Freizeit?“

In ständiger Gefahr leben?“

Andauernder Stress?“ Hin und her warfen sie sich die Frage zu, dann glitt ein seliges Lächeln über beide Gesichter.

Wir machen es!“ Beinahe im Chor.

Aber, Admiral, nächste Woche ist die Abschlussfeier unserer Tochter Shaumany hier an der John Glenn Academy“, wagte Shaumauntha einen Einwand. „Da möchten wir teilnehmen. Khumunol soll ihr die Fähnrichsterne an den Kragen stecken!“

Atlan nickte. „Ich bin informiert. Aber daraus wird nichts, Leutnant Khumunol. Ich habe die Abschlusstests ihrer Tochter gesehen. Sie wird ebenfalls als Leutnant auf die VIRIBUS UNITIS gehen. Ich brauche solch reaktionsschnelle Piloten, Neuronik hin, Neuronik her. Ich möchte einige Spitzenpiloten dabei haben, und Shaumany ist ein großes Talent. Ein sehr großes sogar. Ihre Ausbildung wird unter der Versetzung nicht leiden, aber Fähnrich wird Ihre Tochter nicht. Sie haben Urlaub, Doktor, Leutnant, bis 48 Stunden nach der Feier. Die 48 Stunden bekommt auch Ihre Tochter, dann melden Sie sich alle drei auf der VIRIBUS. Hier, die Leutnantsterne für Shaumany, stecken Sie ihr doch die an. Doktor Shaumauntha, Leutnant Khumunol, ich muss weitermachen, ich habe noch einige andere Leute abzuwerben. Auf Wiedersehen an Bord der VIRIBUS, Miss May draußen gibt Ihnen noch die Unterlagen.“

Als sie wieder in das Zimmer von Miss May kamen, stand eben ein Kadett im letzten Jahr mit sorgfältig gelegtem Scheitel und blitzsauberer Uniform vor ihrem Schreibtisch.

Kadett Anderson soll sich bei Colonel Kyle melden!“ Miss May musterte ihn kritisch von oben bis unten. Scheinbar enttäuscht, keine Beanstandungen gefunden zu haben, griff Jennifer zur Gegensprechanlage.

Kadett Anderson, William C. ist hier, Sir. Ja, Sir. Bitte, gehen Sie hinein, Kadett!“ Shaumauntha und Khumunol standen ganz still und sahen sich in die Augen.

Leutnant Khumunol! Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Jetzt bist Du Offizier“, lächelte sie ihren Mann an. „Da muss ich wohl strammstehen, wenn Du nach Hause kommst!“

Es geschah heute ein zweites Wunder, Miss May erlaubte sich eine persönliche Bemerkung. „Er wird vor Ihnen strammstehen müssen, Doktor. Sie sind als Oberarzt eingestuft, mit dem militärischen Rang eines Lieutenant-Commander. Glückwunsch Ihnen beiden, und schön stramm vor ihrer Frau stehen, Leutnant.“

*

Gopkar Sektor,

Tricky Secret

1.330 Meter lang. 400 Meter breit. 200 Meter hoch. Geformt wie eine halbierte Walze, sechs Geschütztürme mit je zwei Kanonen im Kaliber 210 Zentimeter, dutzende kleinere Strahl- und Raketenwaffen. Platz für 90 Korvetten der 60-Meter-Klasse. Wenn man die Katapulte adaptieren konnte, war es möglich, bis zu 600 Jagdmaschinen unterzubringen. Die ASO’OMIE wäre durchaus ein großer Machtfaktor, auch wenn die Triebwerke stark unterdimensioniert waren und eine Beschleunigung von höchstens 6 km/sec2 erlaubten. Falls die Starlight Enterprises über 90 bemannte Korvetten verfügt hätte und es überhaupt möglich war, sie wieder von der Planetenoberfläche in ihre eigentliche Heimat, das Weltall, zu bringen.

George Kinnuk hatte eine Fernbedienung gebastelt und angeschlossen, bisher hatte sie gut auf die Signale aus der KADESH angesprochen. Die Unterbrechungen im Stromkreis waren beseitigt, ein neuer Schirmgenerator adaptiert, die Lecks behelfsmäßig zugestopft, der zweite PPS-Meiler gestartet. Wie erwartet funktionierte er wieder, lieferte Energie für alle Systeme. Allerdings funktionierten die Lebenserhaltungs-Systeme zwar, hatten aber kein atembares Gasgemisch zur Verfügung. Selbst wenn es zu synthetisieren gewesen wäre, zu 100 % dicht war die Hülle immer noch nicht, hier bedurfte es noch längerer Arbeiten. Trotzdem wollten Angel Kleinschmid und ihr Team einen Start mit der Fernsteuerung versuchen und die ASO’OMIE nach Reggy bringen, um die Arbeit dort zu vollenden.

Bug- und heckwärts versetzt schwebten die KADESH und die KAILASH neben der ASO’OMIE auf ihren Gravitationsfeldern und verankerten ihre Traktorstrahlen. Vorsichtig verstärkte Ishi Katamuri über die Fernbedienung das schwerkraftaufhebende Feld des Basisschiffes, nach endlos scheinenden Minuten begann der Riese doch wirklich zu schweben, die Traktorstrahlen der Korvetten begannen ihr Spiel und zogen die ASO’OMIE unter der festgebackenen Düne hervor. Nun erst wagte Angel den nächsten Schritt. Auf ihr Nicken aktivierte Ishi die Triebwerke und gab minimalen Aufwärtsschub, zögernd kämpfte sich die halbe Walze mit dem rechteckigen Oberbau gegen den Zug der Gravitation von Tricky Secret höher und höher, sanft unterstützt von den Traktorstrahlen der Korvetten. Niemand wollte jetzt zu viel riskieren, lieber zehn, zwanzig, dreißig Minuten mehr opfern. Der Aufstieg schien endlos zu dauern, doch zur großen Erleichterung aller kam es zu keinen Unfällen oder gar Katastrophen. Die Triebwerke und Antigravitationsfelder arbeiteten, als kämen sie frisch aus dem Werk, gleichmäßig hoben sie den Rumpf aus Plastikmetall (oder war es Metallplastik?) immer höher, befreiten ihn von den unsichtbaren Fesseln des Planeten. Der Bug hob sich jetzt etwas schneller, die ASO’OMIE kehrte Tricky Secret das Heck zu und nahm die Haupttriebwerke in Betrieb, nahm Kurs auf das freie Weltall. Die KADESH verabschiedete sich von der KAILASH, die ihre Traktoren gelöst hatte und wieder ihren Platz neben dem Hüter ansteuerte.

Ishi Katamuri löste ihre Hände von der Fernsteuerung. „3.000 m/sec2. Mehr sollten wir im Moment nicht riskieren.“

Mann“, jammerte Jannis. „Da hängen wir einen ganzen Tag hinter dieser lahmen Ente! Was sollen da bloß anfangen?“

Ishi wird schon etwas einfallen“, neckte Klara Berger den jungen Griechen, das Paar errötete ein wenig.

Stimmt eigentlich.“ Obwohl immer noch etwas rot im Gesicht, erhob sich Ishi, zog die Stäbchen aus dem Haarknoten am Hinterkopf und schüttelte ihr Haar frei. „Mir fällt tatsächlich etwas ein. Die nächsten Stunden steuert sowieso unsere Picotronik beide Schiffe, da gibt es nichts zu tun. Angel, ich melde uns für etwa acht, neun Stunden ab.“

Diese Jugend!“ Angel musterte angestrengt die Decke der Brücke, als suche sie nach einer Erleuchtung. „Beneidenswert diese Energie!“

Und die Ausdauer erst!“ ergänzte Klara, die neben ihr stand. Dann senkte Angel den Kopf und sah in die Runde. „Aber trotzdem eine gute Idee. Machen wir Pause, Leute. Skipper, bitte verständigen Sie uns, wenn Probleme auftreten!“ Paarweise verließ das Team die Zentrale und suchte seine Kabinen auf.

Mehr als zwanzig Stunden später, die ohne Überraschungen vergangen waren, setzte sich Ishi wieder an die Fernsteuerung. ‚Für alle Fälle‘ hatte sie gesagt, auch wenn sie bei einem Problem nicht mehr eingreifen konnte. Jetzt hatten die Rechner des Großkampfschiffes und der Korvette das Kommando. Sowohl der Computer als auch der Singularitäts-Antrieb der ASO’OMIE war nicht nur zehn, sondern fünfzig Mal untersucht und geprüft worden, das Prinzip des Überlicht-Antriebs entsprach jenem, das die Menschen von den Arkoniden übernommen hatten. Entsprechend ähnlich sah das Gerät auch aus, es war auch einfach gewesen, den tarnenden Dämpfer einzurichten. Trotzdem, die Spannung auf der Brücke der KADESH war beinahe mit den Händen zu greifen, als der Transit jetzt kurz bevor stand. Jannis Armegos stand hinter Ishi, seine Hände massierten ihre verspannten Schultern. George und Sulukon hatten sich bei den Händen genommen, die Knöchel traten weiß hervor, doch keiner schien zu bemerken, wie fest er zudrückte. Klara Berger hatte ihre Rechte auf Angels Rücken gelegt, um ihr Ruhe und Kraft zu spenden.

Zehn!“ zählte Ishi den Countdown nach. „Fünf, vier, drei, zwo, eins, SPRING!“ Und die ASO’OMIE sprang. Von einem Sekundenbruchteil zum anderen verschwand sie durch das Kugelfeld eines Wurmlochs aus dem Einstein-Kontinuum.

Sprung!“ Sekunden später folgte die KADESH dem Basisschiff.

Kontakt!“ rief Ishi aufgeregt. „ASO’OMIE reagiert auf Steuerimpulse. Verzögert mit 3 km/sec2.“

Na schön, wir sind wieder zu Hause!“ Janni lachte. „Was wohl Kumiko und Ryu sagen werden, wenn ich um Deine Hand anhalte, Ishi?“

Sie fuhr herum. „Ohne mich vorher zu fragen?“ Ishi verzog ihr Gesicht zu einer übertrieben grimmigen Mine und drohte mit dem Zeigefinger. Dann streckte sie die linke vor. „Bevor wir zu meinen – und zu deinen – Eltern gehen, fehlt da noch etwas ganz essentielles.“

Jannis griff in seine Brusttasche und brachte einen einfachen goldenen Reif zum Vorschein, den er über Ishis Ringfinger schob. „Und jetzt trau dich und sag nein!“ Ishi stand starr und betrachtete ihre Hand, unfähig, sich zu bewegen, ihre Mandelaugen weiteten sich unwillkürlich.

Nein!“ brach es aus ihr heraus! „Ich meine Ja! Ich meine, ach – sore o kuso! Ja, ich nehme den Antrag an!“ Sie wischte eine Träne aus den Augen. „Schau, was Du mit mir machst. Du verwirrst mich total.“ Unter dem Beifall des restlichen Teams und der Brückenbesatzung besiegelte eine enge Umarmung und ein inniger Kuss die Verbindung des jungen Paares.

*

Solares System, im Orbit um Merkur

An Bord der STARDUST II

Auf dem Bildschirm war eine große, scheibenförmige Konstruktion aus dünnen Streben im stationären Orbit um den Planeten Merkur zu sehen, es schien, als hätte eine Spinne ein Netz aus Metall gewebt. An vielen Knotenpunkten der Streben waren Verdickungen zu erkennen, von denen stetig sich bewegende Lichtstrahlen ausgingen und bereits eine flache Schale erzeugt hatten. Eine Schale, die, wenn die Kugel fertig war, das unterste Deck eines 950 Meter großen Schlachtschiffes bilden sollte. Traktorstrahlen hielten die Schale in der perfekten Position, Molekül um Molekül wurde in idealer Dichte abgelagert, dicht an der Oberfläche, etwas lockerer in der Mitte einer Wand, was die Elastizität des Klarstahles erhöhte. Etwas entfernt, im gleichen Orbit, arbeitete eine Metallspinne eben an einem zweiten Netz, aber es würde noch beinahe drei Monate dauern, bis sie fertig war.

Unbewegt starrte Perry Rhodan auf die Fortschritte. „Es wird nicht schneller, auch wenn Du versuchst, die Werft zu hypnotisieren!“ Thora stand, Reginald Michael im Arm, hinter Rhodan und versuchte, ihren Mann abzulenken. Es gelang, mit einem Seufzer drehte er sich um.

Vor drei Monaten war unser Problem die Anzahl der Schiffe. Jetzt werden wir bald genug davon haben, aber wo nehme ich die Besatzungen her. Gut, die Springer stehen zu ihren Verträgen und besonders die Überschweren sind glücklich, wieder auf einem Kampfschiff Dienst machen zu dürfen. Atlan hat sich ja schon ein paar geholt.“ Er lächelte gequält. „Natürlich die Besten. Es sei ihm vergönnt, er stellt eine gute Mischung zwischen Erfahrung und Jugend her. Trotzdem wird das Personal für die Flotte Terras – sowohl die der VN, der ITC und unserer eigenen – nicht so schnell nachwachsen, wie die Anzahl der Schiffe. Auch Hypnoschulung ersetzt weder Talent noch ausgiebiges Training. Ich habe mich mit Yoyo zusammen setzen müssen, um Drohnen zu entwerfen. Unbemannte, ferngesteuerte Schiffe. Die Piloten in relativer Sicherheit an Bord des Trägerschiffes, die sind viel, sehr viel wertvoller als das Material, das wir jetzt leicht ersetzen können. Dann hat Reg mitten in der Arbeit die Werft umprogrammiert. Unter der Zentrale liegt nun eine Fernsteuerzentrale für die Drohnen, lauter kleine, offene Cockpits mit einer Steuerung über Touchscreen. Verdammt noch einmal, der Junge ist ein halbes Genie, er musste die Arbeit der Werft nicht einmal eine Sekunde unterbrechen und hat in nicht einmal einer Stunde das Deck fertig gehabt! Mit Verkabelung und allem. Genau wie seine Mutter hochintelligent geworden ist und dazu noch zielsicher einige Genies um sich geschart hat! Sie haben in dreißig Jahren mehr Verbesserungen und neuartige Technologie entwickelt als die Arkoniden in 30.000 Jahren. Nachdem ich kein Genie bin, und Du bei aller Liebe, die ich für Dich empfinde, von dieser Genialität ebenso weit entfernt bist, woher hat unser Nachwuchs das? Es macht mich ein wenig nervös, wenn ich darüber nachdenke.“

Auf Thoras Stirn erschien eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen. „Ich weiß, dass ich nicht dumm, aber auch nicht so genial bin. Nach arkonidischen Maßstäben wohlgemerkt, nach terranischen kann man ja ganz leicht als Genie wirken, nicht wahr, Reginald? Ja, ja, ja! Natürlich kann man das!“ Sie strahlte ihren Sohn an, küsste seine Nasenspitze, wandte sich dann wieder Perry zu. „Was war denn dort, wo jetzt die Drohnenzentrale ist? Und Victoria? Eine Mutation, ausgelöst durch die Vermischung von menschlichem und arkonidischem Erbgut?“

Die Offiziersmesse, die ist jetzt ein Deck über der Zentrale, wo die UO-Messe war. Die ist natürlich ebenfalls eine Etage weiter gerückt. Im Endeffekt hat das Zero-Grav-Polofeld dran glauben müssen. Ich denke, für jede Frau oder jeden Mann eine Einzelkabine ist wichtiger als ein Sportfeld. Und Atlans Kinder waren ziemlich intelligent, aber weit weg von dieser Genialität.“ Rhodan fuhr mit beiden Händen über das Gesicht.

Damals gab es auch keine Naniten zur Unterstützung der Hypnoschulung!“ argumentierte Thora.

Rhodan gestikulierte hektisch. „Victoria und Reginald haben nur grundlegende Schulungen erhalten. KEINE Naniten.“

Thora erblasste ein wenig. „Keine Naniten? Stimmt, die sollten ja bei Victoria erst später zum Einsatz kommen! Und Reginald hat auch keine erhalten?“

Perry Rhodan kniff die Augen zusammen, eine tiefe Falte bildete sich zwischen den Augenbrauen. „Es war nie nötig. Der Junge hat ein eidetisches Gedächtnis, wie auch Victoria. Und einen Extrasinn. Ohne Ark Summia, ohne äußere Aktivierung.“

Das ist Unmöglich“, fuhr Thora auf. „Niemand kann den Extrasinn ohne Aktivierung auf Arkon oder einer der Prüfungswelten erhalten! Ich kann mich zumindest an keinen Fall erinnern.“

Perry Rhodan nickte düster. „Ich kann mich erinnern, dass ES sich sehr erfreut über unsere Verbindung gezeigt hat. Damals fühlte ich mich selber wie im siebenten Himmel, weil du mich heiraten wolltest und habe nicht weiter darauf aufgepasst. Warum war es ihm wohl so wichtig, dass wir ein Kind bekommen?“ Thora hakte sich mit dem linken Arm bei ihm unter, während sie Reginald nur noch auf dem rechten hielt.

Ob wohl Thomas und Reginald Michael und die Kinder von Marie France und Reginald…“

Bitte? Welche Kinder?“ Perry Rhodan war fassungslos, Thora lachte laut auf.

Sie ist hübsch und intelligent, sie sind über beide Ohren verliebt, sie sind biologisch gesund – doch ja, wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, irgendwann einmal Urgroßeltern zu werden.“

Rhodan schluckte trocken. „Colonel Campbell, Rückkehr zur Mondbasis, bitte. Urgroßopa! Teufel noch mal!“

*

Luna, Area 51

Kono Killikioauewa erwartete Rhodan wie immer, wenn er kam, an der Schleuse. Und wie immer bestand ihre Kleidung aus mehr Tätowierungen als Stoff. Eine Eigenheit, an die sich Perry Rhodan erst hatte gewöhnen müssen, ebenso Thora und vor allem Bully, der gerne und oft ihre Nähe suchte.

Rein dienstlich selbstverständlich“, betonte Reginald Bull, nun, vielleicht zog es ihn wirklich mehr zu den Probeflügen von Neukonstruktionen.

Die Drohne ist soweit produktionsreif, Chef. Ein starkes, einfaches Triebwerk, drei wirklich schwere Geschütze und ein Schirmgenerator. Dazu die Fernlenkeinrichtung. Danke dafür, dass Sie Nikolai Wassilewitsch den Zugang gewährt haben, er hat gut mit uns zusammen gearbeitet. Sie haben recht gehabt, er hat eine Menge aus dem Entwurf gestrichen und die Leistung verbessert. Das Ding sieht jetzt einfach aus wie drei Rohre in einer Verkleidung mit einem Kranz von winzigen Kuppeln vorne und hinten für die Steuerdüsen. 900 km/sec2, und die Biester haben eine gewaltige Durchschlags- und Feuerkraft. Aber ich wollte Ihnen noch etwas anderes zeigen, Chef.“

Das ist er, Chef. Der GCC Manpower 20-84! Tataaa!“ Yoyo wies mit großer Gestik auf einen am Bügel hängenden, etwa 8 Millimeter dicken Overall, darüber hing ein geschlossener Raumhelm. „Am Namen müssen wir wohl noch arbeiten.“ ergänzte sie nachdenklich, als Rhodan schwieg und das sandfarbene Kleidungsstück betrachtete.

Ist das der Infanterieanzug?“, fragte er endlich.

Das ist er. Wollen sie nicht einmal hinein schlüpfen? Er ist frisch gereinigt, keine Sorge.“ Perry zog seine Augenbraue fragend hoch, während Thora sich mühsam ein Grinsen verkniff. Perry war eben doch noch ein typischer Amerikaner, aufgewachsen in einer prüden Umgebung, in der Nacktheit in der Öffentlichkeit mit einer gewissen Scheu betrachtet wurde. Kono reagierte, wenn auch etwas verspätet, darauf. „Oh! Ja! Verstehe! Ich warte dann draußen, bis Sie fertig sind!“

Lach nicht“, warnte Perry Rhodan seine Frau, schälte sich aus seiner Uniform und schlüpfte in den Kampfanzug, schloss den Magnetverschluss. Dann versuchte er sich zu bewegen, es ging ohne Probleme, ohne Behinderung. Er wollte die Tür öffnen und winkte über die Photozelle, Kono Killikioauewa kam wieder in den Testraum.

Nun?“ Sie ging um Rhodan herum.

Ich bemerke keinen Unterschied!“ Rhodan schlug in die Luft.

Gut! Donna, bitte kommen Sie mit hinaus, wir wollen kein Risiko eingehen. Wenn man den Anzug zum ersten Mal trägt, können schon Unfälle vorkommen.“ Rhodan blieb allein in dieser Zelle zurück und setzte noch den Helm auf, Kono meldete sich über die Sprechanlage.

Wir haben jetzt die Kamera aktiviert, Chef. Schalten Sie den Anzug ein, Gürtelplatte öffnen und Knopf drücken!“ Perry folgte dieser Anweisung und fühlte – nichts besonderes. „Nehmen Sie den Tornister auf und legen Sie in an. Fühlen Sie etwas?“

Rhodan rollte die Schultern. „Ein wenig – steif, vor allem in den Schultern und dem Rücken! Ein leichter Druck am Knie- und am Sprunggelenk.” Er versuchte, den Rücken zu krümmen. „Sehr steif im Rücken!“

Das sind die automatischen Verstärkungen, sie können auf Dauer keine 600 Kilogramm auf dem Rücken tragen, ohne die Wirbelsäule zu schädigen, ebenso ist es mit den Schultern und Beine. Bei Bedarf versteifen sich verschiedene Stellen und bilden so etwas wie ein Exoskelett, damit die Knochen und Knöchel nicht brechen, wenn Sie zuschlagen oder schwer heben. Nur zu, toben Sie sich an der Metallplatte aus!“ Rhodan nahm Maß und schlug zu. In den Finger- und dem Handgelenk verspürte er einen leisen Druck, doch nichts von der Wucht seines Schlages, der eine Stahlplatte von beeindruckender Dicke eingedellt hatte. „Der Anzug verstärkt Ihre Kraft auf das rund zwanzigfache Ihrer normalen Leistung, bleibt aber trotzdem geschmeidig. Außer sie schlagen zu oder haben eine gefährlich hohe Belastung, dann verhärtet sich die Faser vorübergehend. Man sollte nur besser die Lasten ablegen, ehe man ihn ausschaltet. Es könnte sonst sehr, sehr schmerzhaft werden. Tasten sie jetzt einmal vorsichtig über den Helm. Vorsichtig habe ich gesagt!“ In Rhodans Helm klang es wie in einer Glocke, als seine Hand mit Wucht am Helm landete. Sehr viel langsamer tastete er über die Seite seines Helms. „Wenn sie dieses Visier herunterklappen, aktivieren Sie die Augensteuerung des HUDs. Ein Icon fixieren, erst mit dem rechten, dann mit linken Auge so schnell wie möglich hintereinander blinzeln. Versuchen sie es mit der Skala. Sie sollten jetzt die aktuelle Entfernung zur Wand angezeigt bekommen.“

Perry versuchte es. „Hab ich!“

Gut.“ freute sich Killikioauewa. „Nehmen sie jetzt die Waffe aus dem Ständer und aktivieren Sie das Ding. Keine Sorge, mehr als ein optischer Laser ist nicht eingebaut.“ Während Rhodan die zweihändige Waffe aufnahm, glitt eine Wand nach oben und enthüllte einen Schießstand. „Schauen sie auf das Fadenkreuz oben im HUD und blinzeln Sie wieder. Bewegen Sie die Waffe, bemerken Sie, wie sich das Fadenkreuz bewegt? Wenn Sie im Ziel sind, wie gewohnt feuern! Hm! Also da werden Sie noch üben müssen, Chef. Ein Achter auf der Zehnerscheibe ist nicht berühmt!“ Kono lachte leise. „Keine Sorge, für das erste Mal war’s nicht übel. Im Übrigen halten sie jetzt eine Waffe in der Hand, die einem schweren Kampfroboter zur Ehre gereichen würde. So vom Gewicht her. Im Moment natürlich noch totes Gewicht, für die Tests.“ Rhodan hob und senkte die Waffe, riss sie möglichst schnell in Hüftanschlag, drehte eine halbe Pirouette und ging wieder in Schussposition.

Ich fühle nichts vom Gewicht. Wie gesagt, ein wenig steif, aber sonst gut!“ Konos erleichtertes Schnaufen war über Sprechanlage gut zu hören. „Wir kommen gleich hinüber, sie können sich einstweilen wieder umziehen.“

Der Anzug hing wieder an seinem Bügel, als Kono Killikioauewa mit Thora wieder zurück kam. „Drei Wochen Atemluft, Wasser, Energie und Nahrungskonzentrate. Ein wirklich starker Schutzschirm, dank Angelpower. Bei guter Rationierung kann man die drei Wochen vielleicht auf vier ausdehnen. In absolut lebensfeindlicher Umgebung. Völlig autark“, erklärte die Leiterin von Area 51. „Lustig ist es allerdings nicht. Wenn Sie nach den drei oder gar vier Wochen aus dem Anzug steigen, werden ihre Mitarbeiter einen riesigen Bogen um Sie machen. Die sanitären Anlagen funktionieren – aber die Qualität der Starlight-Modelle haben wir noch lange nicht erreicht. Auch Schwitzen und das damit verbundene Jucken haben wir ein wenig erleichtern, aber nicht völlig beseitigen können. Ich muss einen mehr als unangenehmen Geruch am Ende einer längeren Mission eingestehen. Ich würde empfehlen, vom Landeschiff in eine Kabine, Anzug ausziehen, fallen lassen und sofort unter die Dusche. Während man unter der Dusche steht, wird der Anzug zuerst geöffnet dem Vakuum ausgesetzt und danach innen chemisch gereinigt, ehe man ihn wieder benutzt. Damit sich der Geruch nicht im Schiff verteilt, meine ich. Mein Rat ist, nicht unter 30 Minuten unter der Dusche zu verbringen. Glauben Sie mir, ein Skunk ist nichts gegen das Odeur nach drei Wochen absoluter Abgeschlossenheit in dem Ding! Ich hab es probiert, im Selbstversuch, drei Wochen. Und ich hatte keinen Stress durch Gefechtssituationen und produzierte daher viel weniger Adrenalin. Der Gestank – nein, ich möchte nicht mehr darüber sprechen. Aber man bleibt einsatzfähig und am Leben, also muss den üblen Geruch halt in Kauf zu nehmen!“

*

Am Rand von M 13, miridanische Föderation

Amhan Dest, der Admiral der ‚linken Flanke‘ der miridanischen Raumflotte schwang seine vier langen Schreitbeine über die Liegefläche, legte seinen ein Meter langen Oberkörper auf die Lehne der Admiralsliege und entspannte sich zumindest körperlich. Seine Facettenaugen mussten sich nicht bewegen, als er den Kapitän seines Flaggschiffes, der CHO’ROMO, fokussierte. Der Kommandant musste seine Augen genau so wenig bewegen, er bemerkte die Ankunft seines Vorgesetzten sofort und legte für einen kleinen Moment die kurzen Fühler zum Gruß an den Vorgesetzten eng an den Kopf, der Admiral erwiderte den Salut auf gleiche Weise. Seine Stummelflügel vibrierten kurz, als der Admiral zu sprechen begann, ein implantierter Vocoder übersetzte die Muskelschwingungen ins miridanische Arkonidisch, obwohl die gesamte Besatzung der CHO’ROMO aus Hexapoden mit Chitinpanzer bestand. Ein Mensch der Erde hätte beim Anblick dieser Wesen an Mantidae gedacht. An Fangschrecken, genauer, an eine Gottesanbeterin, deren Arme in beinahe menschlich aussehenden, aber mit nur vier Fingern ausgestatteten Händen mündeten.

Rapport!“ verlangte Dest, und Kapitän Ophis Mong gab seinem Vorgesetzten einen Überblick, berichtete über den Zustand der Schiffe und der Mannschaften. Die Fühler des Admirals brachten seine Zufriedenheit mit der Meldung zum Ausdruck.

*

Die Miridanische Föderation bestand aus zwanzig Sauerstoffplaneten mit genügend Wasser und einigen Kuppelstädten auf Monden und Asteroiden in anderen Systemen, wo zwar keine Planeten mit gutem Sauerstoffvorkommen oder genügend Wasser, dafür reiche Rohstoffquellen zu finden waren. Gegründet wurden die Kolonien bereits in den Anfangszeiten des Kristallimperiums, zu einer Zeit, da die Insektenabkömmlinge, die originalen Miridaner, bereits eine ziemlich hohe Intelligenz erreicht hatten und ihre Instinkte erfolgreich kanalisierten. Schon lange wurden die männlichen Miridaner nicht mehr nach dem Geschlechtsakt gefressen, es entwickelte sich sogar ein soziales System mit Partnerschaften, in denen Brutpflege und die Versorgung alter und kranker Artgenossen geregelt wurden. Eine große Leistung für vorher einzeln jagende Insekten, zum Staunen der Miridaner selbst wuchsen die Männer nun zur gleichen Größe wie die Frauen heran, nur eben langsamer.

Dann kamen die Arkoniden. Es kannten keine Vorurteile gegenüber intelligenten Insekten oder Reptilien. Für sie war jeder, der nicht von Arkon I oder zumindest II kam, gleich minderwertig. Auch andere arkonoide Lebensformen. Die Miridaner waren intelligent, hatten aber beim Eintreffen der Arkoniden gerade erst begonnen, ihr eigenes Planetensystem zu erforschen. Beide Monde von Miridan II waren erfolgreich besucht worden, eine Basis auf dem größeren Mond war bereits besiedelt, eine Expedition zum dritten Planeten in Vorbereitung. Dank ihrer Intelligenz war den Miridanern bewusst, dass sie gegen die Kriegsmaschinerie der technisch weit überlegenen Arkoniden nicht die geringste Chance auf ein Überleben gehabt hätten, sie unterwarfen sich zwar mit mahlenden Mandibeln, aber sie unterwarfen sich. Ihrer Erfahrung nach war jedes Reich einmal zum Untergang verurteilt, irgendwann wäre auch das arkonidische am Ende, vielleicht gäbe es dann wieder Freiheit für Miridan.

Der Planet gab dem gesamten Sektor seinen Namen, die 19 umliegenden Sauerstoffplaneten wurden okkupiert und mit Arkoniden besiedelt, mit wenigen Adeligen, wesentlich mehr Soldaten und vielen Zwangsaussiedlern aus den Armenvierteln von Arkon II, teilweise verurteilten Kleinkriminellen. Man könnte beinahe sagen, Miridan war das Australien Arkons. Die Miridaner selber lebten ihr Leben im großen und ganzen unbehelligt weiter, zahlten ihre Abgaben, erwiesen dem planetaren Administrator die verlangte Huldigung und hatten sonst zumeist ihre Ruhe.

Während des Krieges gegen die Methaner wurde unter der Herrschaft von Orbanaschol III auf einem der an Rohstoffen reichen, aber sonst lebensfeindlichen Planeten eines Sterns der Spektralklasse K, der etwas näher dem Zentrum der Milchstraße als der Miridansektor lag, eine geheime Raumschiffwerft gebaut, sozusagen ein kleines Arkon III. Auf diesen Posten wurden unangenehme Offiziere und Soldaten abgeschoben, welche die Zwangsarbeiter aus den politischen Lagern überwachen sollten. Nach dem Sturz des Usurpators wollte niemand mehr etwas von den Umtrieben Orbanaschols gewusst haben, die wenigen Mitwisser schwiegen. Die Station wurde nicht mehr angeflogen und versorgt, es gab sie nicht, es hatte sie nie gegeben. Die Infanteristen versuchten mit Hilfe inhaftierter gonozalistischer Flottenoffiziere irgendwann einige Schiffe, die auf Veloz IV produziert wurden, startklar zu machen und zu entkommen. Ihr Verbleib und jener der Schiffe ist unklar, man hat nie wieder etwas von ihnen gehört.

Nach Orbanaschols Ende wurde das Leben im Sektor wieder ein wenig einfacher. Aber wie es immer geschah, für die ‚reinen’ Arkoniden von Arkon I waren die miridanischen Adeligen bald der gleiche Abschaum wie der Rest der Miridaner, wie nun auch die arkonoiden Bewohner des Sektors genannt wurden. Diese wurden im Laufe der Generationen kleiner und bulliger, die Haut dunkler und eher rötlich als braun, die Haarfarbe unberechenbar, allerdings behielt das Haar einen leichten silbrigen Schimmer auch im tiefsten Schwarz. In der Zeit, in der die Dekadenz im Kristallimperium um sich griff, wuchsen die Bewohner des Miridansektors zusammen. Die sechsbeinigen Insekten und die vierbeinigen Säuger wurden zu echten und gleichberechtigten Partnern, teilten sich die Aufgaben und lösten gemeinsam Probleme. Auf den Straßen im gesamten Sektor erregten die zwei Meter langen, hochbeinigen Mantidae schon lange kein Aufsehen mehr, man hatte sich an sie gewöhnt.

Schürfer stolperten über die geheime Flotte des Orbanaschol, als sie neue Rohstoffe suchten. Wegen fehlender Rohstoffe hatte die Werft die Produktion eingestellt und alles ‚eingemottet‘, wie es die Programmierung der Nanotronik vorsah. Dem Sektor standen nun etwa 5.000 Kriegsschiffe, davon 1.200 Schlachtschiffe mit rund 800 Metern Durchmesser aus der Zeit Orbanaschols zur Verfügung. Die äquatorialen Ringwülste der Triebwerke waren etwas schmäler als die der modernen Schiffe, aber in Kampfkraft standen sie hinter moderneren Schiffen nicht viel zurück. Es war keine große Flotte für ein riesiges Imperium, dennoch aber eine starke Macht. Die Selbstverwaltung beschloss, die Vertreter Arkons nicht zu informieren und statt dessen eigene Besatzungen auszubilden. Nach einigen hundert Jahren der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und sogar Lokalen mit gemischter Einrichtung mussten die Miridaner einsehen, dass dieses Miteinander teilweise unpraktisch wurde. Sie waren gezwungen, einen Teil der Schiffe komplett für die Hexapoden umzurüsten, denn es machte wenig Sinn, vor den Instrumenten Sitze und Liegen einzubauen. Gemischte Flotten ja, gemischte Schiffe, leider nein.

Lange Zeit hatten die Miridaner darauf gewartet, frei von einem diktatorischen Imperium zu werden, deren Vertreter selbst in den besten Zeiten nur hochnäsig auf den ‚miridanischen Pöbel‘ herabsahen. Nun war das Ziel zum ersten Mal in erreichbare Nähe gerückt. Immer schwächere Arkoniden, besser ausgebildete Mannschaften für die 5000 Schiffe, die in sechs Flotten aufgeteilt wurden. Die ‚vordere Flanke’ in Richtung Arkon. Die ‚hintere Flanke’, die ‚linke’, ‚rechte’, ‚obere’ und ‚untere’. Miridaner hatten Geduld gelernt. Viel Geduld. Nun hatten sie es riskiert und sich als frei und unabhängig erklärt, die Administratoren mit ihren Schiffen nach Hause geschickt und die Drohung von Arkon III ignoriert. Ein erster Überfall einer arkonidischen Flotte hatte sie vorsichtiger gemacht. Das Imperium sprach nicht mehr, warnte kein zweites Mal, es schlug sofort hart und unbarmherzig zu. Dieser erste Schlag wurde mit schweren eigenen Verlusten abgewehrt, man hatte eine bittere Lektion daraus zu lernen. Miridan musste erkennen, dass die Unabhängigkeit schwerer zu erhalten als zu erklären war, es würde ein harter und langer Krieg werden. Zum Glück war die automatische Werft auf Veloz IV immer noch einsatzbereit und wartete nur auf Rohstoffe. Die Miridaner schafften Material heran und warfen die Kriegsmaschine Orbanaschols erneut an.

Und sie erhielten Unterstützung von unerwarteter Seite. Vor einiger Zeit waren Expeditionen der Miridaner, welche nach neuen Welten und Rohstoffen suchten, auf die Chrk’Ochkror, eine Spezies aufrecht gehender Reptilien, gestoßen. Im Vergleich zu den Miridanern suchten diese noch heißere und vor allem feuchtere Planeten, man beschloss, sich respektvoll aus dem Weg zu gehen und seine Claims lieber friedlich abzustecken. Die Kristallwelt erfuhr davon vorerst nichts, denn Arkon musste nicht alles wissen, was bei den Miridanern so alles passierte. Die Chrk’Ochkror hingegen wussten über Arkon nur zu gut Bescheid und beschlossen, ihre Unabhängigkeit lieber jetzt schon zu verteidigen, solange sie noch Partner in ihren Bemühungen besaßen und schickten ihre Flotten zu Hilfe.

Die ‚linke Flanke‘ des Admirals Amhan Dest umfasste 150 Schlachtschiffe und 450 überschwere Kreuzer mit 400 Metern Durchmesser, aufgeteilt in drei Flotten. Dem Admiral war das Fehlen leichter und schneller Einheiten schmerzhaft bewusst. Aber die Werft Orbanaschols hatte eben nur die schweren Schiffe produziert, damit musste er jetzt leben. Derzeit waren seine drei Flotten – die weiße, die grüne und die braune – gut versteckt im stellaren Ortungsschatten dreier strategisch wichtiger Systeme, in einem vierten, nicht weniger wichtigen, wartete eine Flotte der Chrk’Ochkror, Codefarbe rot. Anstelle der fehlenden Aufklärungseinheiten musste der Admiral eben mit Prospektorensonden arbeiten, nun, die Erschütterungen des Kontinuums durch eine Flotte, die aus dem Wurmloch kam, konnten auch diesen billigen Geräten nicht entgehen. Der Admiral hatte seit einiger Zeit befohlen, trotz Alarmbereitschaft immer eine Schicht mit Medikamenten ruhig zu stellen. Er benötigte ausgeruhte Mannschaften, und das ging eben nur mit der chemischen Keule. Wer hätte denn sonst in dieser Situation ruhig schlafen können? Auch hatte er zwei Vertreter für sich selbst ernannt und dann regelmäßig Ruhe gesucht, eben jetzt hatte er einen Vertreter zur Ruhe befohlen. Die miridanische linke Flanke wartete gefechtsklar auf die arkonidischen Schiffe.

TRANSIT, TRANSIT, TRANSIT!“ Über den Vocoder unter seiner Haut, der durch die Muskeln der ansonst verkümmerten Flügel gesteuert wurde, rief der Radaroffizier seine Meldung. „400 gemischte Einheiten! Transpondercode arkonidisch!“ Amhan richtete seinen Oberkörper auf, seine Fühler waren steil aufgestellt.

Bereitmachen! Zeit für alle Flotten, Zielstern weiß, Programm initiieren, Zeit läuft ab – JETZT!“ Der Befehl ging mit Richtspruch an alle Flotten, auf allen Schiffen der linken Flanke wurden entsprechend Knöpfe gedrückt, ein vorprogrammierter Zeitplan lief ab. Die rote, grüne und die braune Flotte beschleunigten, gleichzeitig würden sie aus dem Transit kommen und sich aus drei Richtungen synchron auf den Feind stürzen. Die Koordinaten würden noch in der letzten Minute angeglichen, um möglichst nahe dem Feind zu kommen und sofort feuern zu können. Sie sollten nicht verzögern, sondern mit voller Eintauchfahrt weiterfliegen und so schnell wir nur irgend möglich nach dem Feuerüberfall wieder in einer Singularität verschwinden, anderswo auf neue Koordinaten von den Ortern der weißen Flotte warten und das Spiel auf Kommando synchron wiederholen. Die Zeit bestimmte ein organisches Wesen, unberechenbar selbst für die besten Neuroniken.

Die Kooperation der Flotten funktionierte hervorragend. Praktisch gleichzeitig brachen 100 Schlachtschiffe, 300 schwere Kreuzer und die 400 Walzen mit elliptischem Querschnitt aus dem Hyperraum, eröffneten synchron das Feuer und verschwanden bereits wieder, noch ehe die einfach lichtschnellen Energieimpulse in die Schirme der Arkonflotte schlugen. Viele der leichteren Schiffe und auch 24 der Schlachtschiffe des Neurogenten vergingen im Glutorkan des plötzlichen Feuerschlags, als ihre Schutzschirme nachgaben und die Energien den Rumpf durchschlugen. Bei diesem perfekt abgestimmten und vorprogrammierten Blitzüberfall reagierten selbst die Neuroniken der arkonidischen Schiffe zu langsam, um das Feuer wirkungsvoll zu erwidern. Ihre Energiestrahlen gingen ins Vakuum, die Angreifer waren bereits wieder transitiert. Eine Neuronik mochte ‚intelligenter‘ als eine Nanotronik sein, doch sie war auch langsamer. Eine Nanotronik kennt nur ja oder nein, sie berechnet keine 500 verschiedene Vielleichts. Und eine Nanotronik folgte einfach einem Programm, ohne zu überlegen. Das macht die einfacheren Rechner um winzige, aber manchmal eben doch entscheidende Sekundenbruchteile schneller. Ein kleiner, aber ein Vorteil für Miridan.

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August 2084

Reggys System

Neben der HEPHAISTOS lag der neueste Zuwachs der Flotte Starlights, ein Schwesterschiff der VIRIBUS UNITIS. Im typischen Rauchblau gehalten, verziert vom Portrait einer mediterranen Schönheit mit Ringellöckchen um die Schläfen, die Haare zu einer komplizierten Frisur geflochten. Über einem ebenso großzügigen wie wohl gefüllten Ausschnitt lächelte ‚la bella Giulia‘ den Betrachter mit glänzenden Augen und feucht schimmernden Lippen sinnlich an. Wie es eigentlich bei jedem Portrait der Fall war, das auf einem Starlightschiff zu sehen war, ein Markenzeichen. Der Name des Schiffes lautete GIULIA FARNESE, nach der berühmten Maitresse des Borgia-Papstes Alexander VI. Die Besatzung wurde von der KLEOPATRA übernommen und aufgestockt, Ghoma begann sofort mit den Übungen und drillte ihre Besatzung auf dem neuen Schiff unbarmherzig. Die Leistungen mussten genau so perfekt werden, wie sie es an Bord des kleineren Schiffes gewesen waren. Auch die GIULIA FARNESE hatte eine Drohnenzentrale erhalten, ihre unbemannten Kampfjets glichen denen der GCC und wurden in rauen Mengen produziert. Reginald Starlight hatte die Neuerungen sofort seiner Mutter durchgegeben und Ishi Katamuri die Programmierung der Werft übernommen. Auch Starlight Enterprises kam mit der in-Dienst-Stellung der neuen Schiffe an die Grenze ihrer gut ausgebildeten Personaldecke, diese wurde kritisch ausgedünnt. Fernlenkung war da eine gute Alternative. Gute Besatzungen wuchsen nun mal leider nicht auf Bäumen, auch nicht mit Hypnoschulung.

Die Gonzales und die Sturmoviks waren mit der neuen Angelpower ausgerüstet und auf je 150 aufgestockt worden, 20 nagelneue Patrouillenboote warteten in den Hangars auf ihren Einsatz und aus den sechs Korvetten der KLEOPATRA waren acht geworden. Alle mit den neuen Generatoren und daher sehr viel Energiereserven ausgestattet. Trotzdem, die Sorgen Victoria Rosheen Rhodans wurden nicht kleiner. Das teuerste an einem Kriegsschiff war nicht unbedingt der Bau, obwohl schon der Unsummen verschlang, es war der Unterhalt eines unproduktiven Gegenstandes, den man trotzdem benötigte. Reparaturen, Überholungen, Modernisierungen, dazu noch die Mannschaften und deren Bedürfnisse, alles, nur um ein klein wenig mehr Sicherheit zu haben. Allein die Jagdpiloten der drei Schichten machten nun, mit den Drohnenpiloten, über tausend Mann aus. Nochmals 240 Mann für die Korvetten als absolutes Minimum. Insgesamt waren mit Wissenschaftlern, Technikern, Köchen und allem drum und dran etwas mehr als 1.200 Personen an Bord. Trotz Neuronik und Automatisierung. Wenig im Vergleich zu den Flugzeugträgern um die Jahrtausendwende, aber immer noch eine Menge Personal, mehr als die Hälfte musste eine hervorragende Ausbildung als Raumfahrer haben. Und Geld war hier nicht das größte Problem, aber woher schnell ein paar tausend halbwegs ausgebildete Piloten hernehmen. Trotzdem war das nächste Schiff bereits in der Werft, die MARIE JEAN DU BARRY. Für den Anfang musste sich der Kommandant der DU BARRY eben ausschließlich mit Drohnen behelfen, ebenso wie jener der ASO’OMIE. Endlich war das Basisschiff dicht und mit Luft gefüllt, eigentlich einsatzbereit, doch Victoria hatte Umbaupläne. „Mir gefällt es nicht, dass vier Leute sich ein Zimmer teilen sollen“, hatte sie bei einer Besprechung moniert. „Und die Nasszellen am Ende des Ganges sind mir auch ein Dorn im Auge! Das ist ja prähistorisch!“ Also waren zwei längliche Erweiterungen mittschiffs entworfen worden, die nun angebaut werden sollten. Von diesen waren außenbords einige Lifte auf die Abdeckung des ‚Flugdecks‘ geplant, um dort drei Kuppeln aufzubauen. Gelände für Freizeitaktivitäten war geplant, bessere Quartiere und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung waren Victoria Rosheen sehr wichtig.

Victoria bat die Spielergemeinde der HEPHAISTOS um Hilfe, die es gewohnt war, über einen Bildschirm eine Jagdmaschine gegen einen Feind zu fliegen. Die Spieler sollten sich im Alarmfall in der neu eingerichteten Drohnenzentrale der Station einfinden und aus ihrem Spiel ernst machen. Dafür durften sie im Schichtbetrieb allein oder in Gruppen in eben jener Zentrale nach Herzenslust zocken. Training für den Ernstfall und Spaß für die Gemeinde gleichzeitig. Ein kompliziertes Punktesystem machte daraus einen sportlichen Wettkampf mit Medaillen und sogar einem Preisgeld am Ende des Jahres.

Zum Glück für die Starlight Enterprises erschloss sich nun ein neuer Markt. Springerpatriarchen aller Sippen, auch der Überschweren, bestellten die Sprungdämpfer, sie wollten verständlicherweise von der arkonidischen Neuronik nicht bei jedem Sprung geortet werden. Bei der lückenhaften Raumüberwachung der dekadenten Arkoniden war dieser Dämpfer eine Spielerei für Reiche gewesen, jetzt wollte plötzlich jeder einen. Auch jene Energiegeneratoren, wie sie noch vor kurzem von Hemghat und in der KLEOPATRA benützt wurden, warf Tana Starlight auf den Markt und konnte die Nachfrage kaum bewältigen. Ihre Kassen füllten sich erfreulich rasch. Hemghat erhielt für seine Schiffe selbstverständlich Angelpower, aber in eigenem Interesse schwieg er über diese Neuerung.

*

Solares System,

An Bord der VIRIBUS UNITIS.

Donnernd hallten die eiligen Schritte einer kleinen, aber breiten Gestalt mit grüner Haut und wippendem kuperfarbenem Zopf durch die Gänge der VIRIBUS UNITIS. Shaumany war nicht zu Unrecht stolz, zu den 91 Kadetten zu gehören, die Admiral of Space, der legendäre Arkonide Atlan, persönlich an der Academy angesprochen und ihnen einen Platz auf der VIRIBUS angeboten hatte. So trug sie jetzt die olivgrüne Uniform mit blauen Schulterklappen, wie sie von den Vereinten Nationen eingeführt worden war. Die einzelnen goldenen Sterne auf den Stoffabzeichen, die über die Klappen gezogen waren, zeigten ihren Rang als Offizier, als Leutnant.

Der Skipper, Captain Jesse O’Connel aus Dublin, hatte seine eigenen Ansichten über die jungen Lieutenants, die frisch von der Academy an Bord gekommen waren. Sie mussten erst beweisen, das Zeug zum Offizier zu haben, bisher war alles nur Kinderkram gewesen. Seine XO, Commander Mireille Boullanger aus La Rochelle, teilte diese Meinung, beide kamen von der Home Fleet. Captain Jesse O’Connel war ein schlanker, drahtiger Mann, mittelgroß und unauffällig, das rote Haar straff zurück gekämmt. Bevor er das Kommando über das Flaggschiff der VN übernommen hatte, diente er im Rang eines Captain als Kommandant des Schlachtschiffes GCC ALAN SHEPARD und hatte dort schon seine Mannschaft zu Höchstleistungen heraus gefordert. Den Rekord bei Alarmübungen von DefCon 1 auf 5 hielt eine seiner Schichten. Commander Mireille Boullanger kam vom schweren Kreuzer GCC EUROPA, war schwarzhaarig, durchtrainiert, fit und hatte eine prominentes, großes Kinn. Man sagt solchen Menschen großes Durchsetzungsvermögen und eine gewisse Sturheit nach, beides traf auf Madame Boullanger durchaus zu. Und weil der Skipper und seine XO noch nicht zufrieden waren, rannten vor allem die jungen Offiziere durch das Schiff, im offiziellen Jargon wurde es ‚Orientierungslauf‘ genannt. ‚Suchen Sie so schnell wie möglich diese oder jene Station auf und melden Sie sich von dort.‘ Shaumany machte das nicht viel aus, sie war sportlich, stark und ausdauernd. Außerdem war sie selbst der Meinung, jeden Winkel des Schiffes kennen lernen zu müssen, sie streifte in ihrer Freizeit gerne durch die Decks.

Feiertag war für sie allerdings, wenn sie an die Kontrollen durfte und das Schiff durch das Sonnensystem steuerte, Übungsflüge waren für sie einfach ein wahrgewordener Traum. Sogar Captain O’Connel musste ihr Talent und ihre Fähigkeiten anerkennen. Was ihn nicht davon abhielt, sie weiter auf die Orientierungsläufe zu schicken. Shaumany beschleunigte noch einmal ihren Lauf auf der letzten Gerade und schlug mit der Hand auf das Intercom.

Shaumany, Station 397, auf Posten!“

Bestätige!“ Die Stimme der XO klang sanft, doch wer sie kennenlernte, wusste, wie hart die Commander sein konnte, wenn es nötig wurde. „Kommen Sie zurück, Lieutenant. Langsamer Schritt!“

Aye, Ma’am. Zurück, langsamer Schritt“, bestätigte die junge Frau und schaltete die Gegensprechanlage wieder aus. Dann war nur noch das Geräusch sich eilig entfernender Schritte zu höre. Langsamer Schritt, nein, das kam für Shaumany nicht Frage. Sie musste sich und allen anderen beweisen, dass sie es ernst meinte. Mitten im laufen hörte sie das Gellen der Alarmsirenen. Grinsend legte sie einen Spurt ein, raste in Rekordzeit zur Brücke und sprang in den Sessel des Copiloten.

Reife Leistung!“ Der erste Pilot Lieutenant Commander Jeffrey Cord aus Reno, Nevada, grinste kurz zu ihr herüber. Vorher war er an Bord der NEIL ARMSTRONG zweiter Pilot gewesen, nun war es an ihm, sich zu beweisen. Und das tat er. Selbst Mireille erlaubte sich ein kurzes Nicken in Shaumanys Richtung, ehe sie daran ging, die Leistung und die Zeiten einiger Stationen mit wenig netten Worten zu bewerten. Die Mannschaft war noch weit davon entfernt, als Team perfekt aufeinander eingespielt zu sein.

Commander Inéz Peres saß derweilen entspannt auf der Admiralsempore. Seit einiger Zeit hatte sie nur noch beratende Funktion, Mireille Boullanger hatte ihren Platz als Executive Officer eingenommen. Ihr Blick schweifte durch die Zentrale der VIRIBUS, blieb an Lieutenant Commander Ma Yung Tse hängen. Der zart wirkende Chinese aus Kanton war mit einem Geschwader von 100 Feuerdrachen als erster Flightboss an Bord der VIRIBUS gekommen, seine Stellvertreterin Lieutenant Diana Norman aus Albuquerque, New Mexiko hatte 100 amerikanische Luft-Raumabfangjäger vom Typ F 52 Foxhound mitgebracht.

Die USA hatten sich nach ihrem Sieg im Weltraumrennen zum Mars weitgehend von der Eroberung des Weltalls zurück gezogen und beteiligten sich lieber zu 15 Prozent an der ITC. Als China mit dem Feuerdrachen einen eigenen Luft-Raumjäger baute, fühlten sich die Vereinigten Staaten allerdings gezwungen, es ihnen gleich zu tun. Das Ergebnis war die Foxhound. Böse Zungen behaupten, man hätte einer Blackbird einfach Impulstriebwerke und einen Feldantrieb für die Atmosphäre verpasst, und optisch erinnerte das Fluggerät tatsächlich an das legendäre Spionageflugzeug. Allerdings war es mit 29 Metern Länge vier Meter kleiner, die Triebwerke saßen näher am etwas breiteren Rumpf und die Foxhound war bewaffnet. Ein schwerer Thermostrahler und ein Desintegrator sorgten für die Feuerkraft, die Beschleunigung betrug immerhin 760 km/sec2, ein leichter, aber bissiger Abfangjäger.

Das dritte Fluggeschwader kam aus dem Vereinigten Königreich. Großbritannien hatte etwas gezögert, aber letztendlich doch auch einen Sprung in den Weltraum gemacht. Der Saturn war das erklärtes Ziel, besser gesagt, die Monde dieses Gasriesen. Natürlich beteiligte sich das Commonwealth auch an der Ausbeutung der Asteroiden, aber die Ringe des Saturn – seine Majestät, Artus II hatte seiner Tochter, der späteren Queen Margaret Diana, ein kleines Schlösschen mit Garten unter einer sicheren Kuppel aus Klarstahl auf Rhea gebaut, weil sie immer davon schwärmte. Unweit dieser Anlage war ein großer Hotelkomplex entstanden, denn wenn die Prinzessin etwas für gut befindet – very british indeed. Das 35. königliche Kampfgeschwader, the royal scarlet roses, flog die überschweren Jagdbomber vom Typ Spitfire II. Nur 650 km/sec2 Beschleunigung, dafür die schwerste Bewaffnung unter den Jägern. Mit den sechs Thermostrahlern in den Stummelflügeln und den zwei Impulskanonen im Rumpf waren sie ernst zu nehmende Gegner. Alle dreihundert Maschinen wurden in fliegender Eile auf neue, verbesserte Generatoren umgerüstet, die Schilde verstärkt und die Feuerkraft noch erhöht.

Der Blick von Commander Peres schweifte weiter, über die Kontrollstelle der Korvettendecks. Hatte für ihre eigene Flotte Tana Starlight nur 8 Korvetten an Bord vorgesehen, verfügte die VIRIBUS UNITIS über 16 dieser schnellen kugelförmigen Schiffe, die immerhin eine Beschleunigung von 580 km/sec2 erreichen konnten. Die neuen mit PPS-Meilern und immerhin 18 Waffenkuppeln, auf zwei Decks und im Ringwulst verteilt, dazu einem Polturm mit schweren Geschützen ausgerüsteten Schiffe waren als Gegner durchaus auch eine Gefahr für die schweren Kreuzer des Kristallimperiums. Mit dieser Ausrüstung im Verein mit den 215 Geschützkuppeln war das Flaggschiff der Vereinten Nationen das derzeit stärkste Schiff im bekannten Teil des Universums. Inéz Blick ging weiter zu der Ortung.

Die Ortungszentrale war eine abgeschlossene Welt für sich, ein Teil des Schiffes, der auf keine Alarmmeldung mehr reagieren musste. Denn hier herrschte beständig Alarm, daher waren alle Stationen auch immer dreifach besetzt, damit das Personal zwischendurch reihum ein wenig entspannen konnte. Stetige Aufmerksamkeit und permanente Konzentration konnte zu Abstumpfung und Nachlässigkeit führen, gerade das durfte hier aber nie geschehen. Man konnte vom Kommandodeck zwar jederzeit zu den Ortern hineinsehen, diese aber waren von den anderen Stationen akustisch und optisch getrennt. Auch das Kommunikationspult war durch tranparente Wände vom Rest der Zentrale abgetrennt, die ständigen Übertragungen hätten sonst vielleicht für Ablenkung sorgen können. Pausenlos hörten hier Spezialisten die Hyperwellenverbindungen der Umgebung ab, ob irgendwie etwas Signifikantes gesprochen wurde. Die Rechner der Codeknacker arbeiteten ebenso rund um die Uhr wie jene der Ortungstechniker, manchmal erfuhr man schon durch die Art des verwendeten Codes wertvolle Informationen, selbst wenn der Code noch nicht geknackt war. Im Vergleich dazu war die wissenschaftliche Station ruhig und bescheiden, die VIRIBUS würde nie als Explorer dienen, einen solchen allenfalls beschützen.

Commander Peres nickte zufrieden. Bald würde sie wieder unterwegs zur HEPHAISTOS sein. Die DU BARRY benötigte einen XO, und Inéz war durchaus nicht abgeneigt, den Job zu übernehmen. Marteen van der Molenford war schon abgeflogen, er wollte die Baufortschritte an ‚seinem‘ Schiff sehen. Nun, sie waren ein gutes Team, die MARIE JEAN DU BARRY würde ein tolles Schiff werden. Die Zukunft sah für Inéz gut aus. Wenn dann die Überführungsmannschaft ebenfalls wieder zu Hause angekommen war, konnte die DU BARRY ihren Dienst aufnehmen.

*

Gopkar Sektor,

First,

New Saint Louis

Kenny Malard sah aus dem Fenster des Hauses, in dem er wohnte, direkt auf den Big Man River. Es war der 27. Mai 2084 gewesen, als die MAYFLOWER II neben dem Lake Manchester gelandet war und die große Bodenschleuse geöffnet wurde. Dann hatten die Lautsprecher die ersten 10.000 Siedler Sektorenweise zum Ausstieg gerufen, Kenny war gleich in der ersten Gruppe gewesen. Sein Vater war einer der Ingenieure, welche von New Saint Louis aus die Technik auf First warten sollten, seine Mutter war mit ihm in die neue Wohnung gefahren, während sein Vater sofort ins Kraftwerk gegangen war. Der Preis, als einer der ersten aussteigen zu dürfen und nicht endlos warten zu müssen. Ma war Architektin und hatte noch nicht viel zu tun, daher war sie öfter zu Hause, als es dem fünfzehnjährigen recht war. Wenn er aber ehrlich zu sich sein wollte, gefiel es ihm auf First. Der Himmel war klar, die Luft roch gut und es war Platz vorhanden. Viel Platz.

Kenny war als Kind halbwegs erfolgreicher Eltern in Washington D.C. in einer Wohnung mit 80 Quadratmetern aufgewachsen, den nächsten Park hätte er mit öffentlichen Verkehrsmitteln in frühestens einer halben Stunde erreicht. Nicht, dass er es je gewagt hätte, ihn zu betreten. Rund um das College, das er besuchte, zog sich ein mehr graubrauner als grüner Rasenstreifen, die Bäume waren welk und würden wohl nicht mehr lange stehen. Hier waren die breiten und großzügig angelegten Straßen begrünt, den Fußgängern und dem öffentlichem Verkehr vorbehalten. Der Individualverkehr fand – wie auch in Galacto City – unterirdisch statt. Auch die Schule war irgendwie interessanter, mit vielen Exkursionen in das Umland, die Siedler sollten ihre Heimat kennen- und schätzen lernen. Von Kindesbeinen an. Es funktionierte nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut. Die Stadtkinder hatten zuerst zwar wenig Bedürfnis nach Natur gehabt und hätten sich gerne mit Computer und PlayStation irgendwo verkrochen, aber als das erste Fußballspiel organisiert und ein natürlicher Baseballplatz geöffnet wurden, kamen auch sie langsam auf den Geschmack. Bootsfahrten auf dem Lake Manchester war bald eine beliebte Beschäftigung, ebenso tauchen, schwimmen und kitesurfen.

Aber es gab etwas, das Kenny an der Schule besonders überrascht hatte. Die Lehrer griffen hart durch und sorgten für Ordnung. Der Junge wusste noch nicht, ob es ihm gefiel, aber er konnte dem Unterricht viel leichter folgen. Vielleicht war ein wenig Disziplin doch nicht so schlecht? Die Zukunft würde es zeigen.

Auf den Feldern wuchs schon die erste Saat aus dem Boden, das Versuchsvieh schien einheimische Gräser und Kräuter ganz gut zu vertragen. Die Lagerhäuser waren voll von Vorräten, bis die Kolonie autark war und Überschüsse erwirtschaftete. Es sollte bald so weit sein, das Klima und der Boden sollten mehrere Ernten im Jahr vertragen, dann war es auch Zeit, die Industrieanlagen auf dem zweiten Planeten in Betrieb zu nehmen. Während dessen war die MAYFLOWER II bereits wieder unterwegs zur Erde, um die nächsten Siedler zu holen, diese sollten dann über die Mondstation mit Fähren nach First gebracht werden. Irgendwann würden die Kolonisten ihren Platz in den Vereinten Nationen beanspruchen und in die Staatengemeinschaft aufgenommen werden, bis dahin verwaltete ein Vertreter der GCC den Planeten, kritisch überwacht von einem Beobachter der UN.

Die STARFLOWER und Captain Blanché waren mittlerweile auf Barsoom eingetroffen und bereiteten alles für eine zweite Kolonie vor. Kühl und trocken war Barsoom nicht eben ein idealer Planet, aber am Äquator des Planeten gab es einige viel versprechende Plätze. Irgendwann später würde der Mensch auch die kälteren Gebiete besiedeln, die Flora und Fauna an sich anpassen. Eines Tages landete eine kleine ITC Fähre auf Barsoom. Derzeit war die Ortung von Singularitäts-Transiten nicht möglich, trotzdem wurde das Schiff schnell genug geortet. Die ITC SAM ADAMS meldete die Ausschleusung eines Shuttles und erbat Lande- und Aufenthaltserlaubnis für vier Wochen, dann wollte man den Passagier wieder abholen. Captain Blanché sah keinen Grund, diese Bitte nicht zu erfüllen und erwartete seinen Gast an der Polschleuse der STARFLOWER, die Form des Fluggerätes war nicht überraschend, der Passagier schon.

Guten Tag, Sir!“ Die großgewachsene Blondine streckte Blanché die Hand entgegen. „Mein Name ist Dejah Thoris Conrad. Mein Großvater Stan Lee Johnson hat mir hier ein Stück Land geschenkt, das ich mir gerne ansehen würde. Meine Mutter liebt die Barsoom-Romane, daher mein Name, und sie hat ihren Dad so lange angebettelt, bis ‚Prinzessin‘ Dejah Thoris ihr Stück Barsoom bekam.“ Sie rief eine Datei auf ihrem Phone auf. „Das sind die Koordinaten. Wenn Sie es einmal einrichten könnten?“

Ich bin sicher, Ma’am!“ Blanché konnte sein breites Grinsen nicht verbergen und ergriff ihre Hand. „Warum nicht? Willkommen zurück in Ihrer Heimat, Prinzessin Dejah Thoris!“

Das Stück Land war eine recht große Hochebene mit einem See, der einen Fluss zum Meer entsandte, fruchtbares Land beiderseits dieses Flusses bis zum Meer und zwei Streifen trockene, nicht sehr heiße Wüste. Insgesamt ein idyllischer Flecken, den Mister Johnson seiner Enkelin geschenkt hatte, und in den sie sich prompt verliebte. Spontan plante sie ein Häuschen für sich, sowie Forst- und Agrarwirtschaft und eine kleine Hafenstadt. Vielleicht auch noch einige der Landschaft angepasste kleine Hotels. Vielleicht dort am Rand des fruchtbaren Landes, wo die kalte Wüste begann, eine kleine Kopie der Stadt Helium, einige Roboter als rote, weiße und vierarmige grüne Marsinaner auszustaffieren sollte auch kein Problem darstellen, Maskenbildner waren auch aufzutreiben. Oh ja, Urlaub auf Barsoom, zwischen schönen Frauen und starken Männern der roten Menschen, allerlei Ungeheuern und dazu Jagdausflüge mit den grünen Menschen, die Gleiter konnte man ähnlich wie in diesem alten Film halten – das könnte durchaus Gewinn bringen. Und wäre für Dejah Thoris selber auch ein großer Spaß.

*

M 13, miridanische Föderation

Im der Umlaufbahn von Veloz IV

Über der Werft auf Veloz IV schwebte neben zwei Schlachtschiffen arkonidischen Aussehens aus der Zeit Orbanaschols ein großes, ein sehr großes Schiff der intelligenten, aufrechtgehenden Reptilien, die sich selbst Chrk’Ochkror, übersetzt etwa ‚denkende Echsen‘ nannten. Ihre Haut wirkte am Körper wie feinstes Leder und duftete nach Zimt und Gewürznelken, ihr Tastsinn über dieses Organ stand jenem von Säugetieren in nichts nach. Das Gesicht wurde von feinen Federn umrahmt, deren Farben von der Abstammung eines Individuums erzählten. Der Kopf war etwas in die Länge gezogen, die Zähne kein ausgesprochenes Raubtiergebiss mehr, Jahrhunderte gegarter Nahrung hatten sich auf Zähne und Verdauungsorgane ausgewirkt. Ihre Krallen hatten sich ebenfalls zurück gebildet, ihre Hände waren zu feinsten Arbeiten fähig. Sie mochten heißes, schwüles Klima, konnten die Temperatur ihre Körpers jedoch noch einige Zeit aufrecht erhalten, ehe sie träge wurden. Chrk’Ochkror waren überaus soziale Wesen, die Einsamkeit schlecht vertrugen, vielleicht bauten sie deshalb derart große Schiffe.

Die Walzen mit elliptischen Querschnitt waren etwa 900 irdische Meter lang, maßen in der Breite 340 und in der Höhe 220 Meter. Ungefähr. Trotzdem reichte ihre Kampfkraft gerade einmal an die der schweren Kreuzern aus der Zeit Orbanaschols heran. Das Problem war die nicht sehr fortgeschrittene Waffentechnik der Echsen, deren Hauptaugenmerk eher auf den Triebwerken gelegen hatte. Ihre Laser waren schwach, ihre Schutzschirme leicht zu durchbrechen. Aber schnell waren sie, und ihre Nanotroniken vom feinsten. Die Hochadmiräle der Miridaner und der Oberbefehlshaber der Chrk’Ochkror trafen sich zu einer Konferenz, das über Veloz IV schwebende Admiralsschiff stellte die restlichen Schiffe der Echsenwesen alle in den Schatten. 1.320 Meter lang. 750 Meter breit. 450 hoch. Die STOLZ VON CHR’CH’CHRO war schnell, relativ beweglich und für die Verhältnisse der Chrk’Ochkror schwer bewaffnet.

Auch die Miridaner dachten bereits an künftige Nachwuchsprobleme. Veloz IV stellte zwar am laufenden Band Schlachtschiffe und überschwere Kreuzer her, aber irgendwann einmal würde es an Mannschaften fehlen, die Verluste während der Abwehrkämpfe gegen Arkon waren zwar noch nicht überwältigend, aber merkbar. Die Chrk’Ochkror wiederum hatten viele Leute, die sie für ihre großen, aber nicht sehr kampfstarken Schiffe benötigten.

Admiral Hembo Ard war ein bulliger, humanoider Miridaner. Über sein schwarzes Haar huschten ständig silberne Reflexe, seine dunklen Augen waren verschwollen. Er schlief seit einiger Zeit schlecht, seine Adjutantin hätte ihm am liebsten Schlafmittel verabreicht. Kola Wed wusste allerdings auch, dass es ihr schlecht bekommen wäre, hätte sie ihren Chef gewaltsam zum Ausruhen gebracht. Der Admiral rieb mit durchaus menschlicher Geste über seine Augen, der Vocoder von Admiral Molpo Dak übertrug die Muskelschwingungen ihrer verkümmerten Flügel ins Arkonidische.

Bei den Klauen meiner Vorfahren, Hembo, Du bist nur noch ein Wrack! Du solltest in dein Bett gehen, sonst kippst du noch auf die Mandibeln.“

Zähne, Molpo, auf die Zähne. Mein Problem ist, dass ich nicht richtig schlafen kann. Sorgen, Pläne, irgendwas ist immer. Wir wollen zum Thema kommen. Ich weiß, dass die Chrk’Ochkror sehr gesellige Wesen sind und daher mit kleinen Schiffen nicht viel anfangen können. Admiral G’harkhu, sie haben unsere Schlachtschiffe kennengelernt. Die sind größer als alles, was sie haben, mit Ausnahme der STOLZ.“

Das sind sie!“ Das Echsenwesen sprach hervorragend Arkonidisch, dank der Hypnoschulung. Ein wenig rau vielleicht, mit manchen Buchstaben kamen die dreispitzige Zunge und die Kehle der Echse nicht ganz klar.

Sie sind auch langsamer. Ich wollte, es gäbe einen Kompromiss. Es wird ihn geben, unsere Wissenschaftler sind nicht dumm. Ihre Kanonen werden wir bald auf unserer Welt produzieren und auf unseren Schiffen eingebauen können. Dann sind wir schnell und stark, aber es dauert noch. Hoffentlich sind wir schnell genug. Aber bis dahin beechsen wir gerne ein paar von den Schlachtschiffen dieser Werft. Sie können bei weitem schneller bauen als wir!“

Molpo Daks Madibeln mahlten, ein Zeichen ihrer Unruhe. „Das hilft uns bei den nächsten Schlachten sicher weiter. Unsere Taktik wird, wie ich fürchte, nicht mehr lange funktionieren. Es wundert mich, dass es so lange gut gegangen ist.“

Ich stimme dem zu!“ G’harkhu spreizte die Hände, eine bejahende Geste. „Auch eine einfache Nanotronik müsste unsere Vorgehensweise einmal berechnet haben. Ich mache mir Sorgen, ob das nicht nur eine Täuschung ist. Oder sollte die Neuronik tatsächlich mit einem Abnutzungskrieg zufrieden sein, der sich über Jahrzehnte ziehen könnte?“

Genau das sind die Gründe, warum ich nicht schlafen kann!“ Hembo Ard legte das Kinn in die Hände. „Bei den alten Göttern Arkons, was gäbe ich für einen Helm voll Schlaf!“

Herr!“ Kola Wed zog ein kleines Röhrchen aus ihrer Tasche.

Na schön, Wed! Geben Sie das Zeug schon her!“ Der Admiral steckte die Medikamente in die Tasche. „Ich werde dem allgemeinen Tenor folgen und mir einige Tabletten einverleiben. Vielleicht hilft es ja. Bis morgen, Kameraden.“

Kola führte den Admiral zu seiner Kabine, wo er tatsächlich zwei der Pillen schluckte. Sie half ihm noch dabei, seine Stiefel auszuziehen und die Jacke abzulegen, zur Hose kam sie nicht mehr, der Admiral schlief bereits tief und fest. Also legte sie ihn nicht ohne Mühe in eine bequemere Lage und zog eine Decke über ihn. Dann öffnete sie noch einen Schrank und nahm eine frische Uniform heraus, bereitete sie für den nächsten Tag vor, deaktivierte die interne Kommunikation zu dieser Kabine und zog sich in die daneben liegende zurück. Noch eine rasche, warme Dusche, dann kletterte auch sie in ihr Bett. Hoffentlich würde der Hochadmiral endlich schlafen. Hoffentlich!

Storyfortsetzung von Tiff

Anime Evolution: Spiegel

Episode zwei: Biotank

Prolog:

Eigentlich lebte man nicht schlecht in Japan, auch wenn es bereits acht Jahre defacto weder vom Parlament, noch vom im Palast isolierten Kaiser, aber vom kronosischen Generalgouverneur Hilmer Bont regiert wurde.

Man hatte eine gewisse Meinungsfreiheit, ein gewisses Mitspracherecht, bis zu einem bestimmten Punkt gab es sogar eine freie Presse. Repressalien waren selten, ebenso Verhaftungen.

Nach den großen Säuberungen im ersten Jahr, bei denen wichtige Politiker und führende Offiziere der Self Defense Army ausgeschaltet worden waren, begnügte sich das neue Gouvernat damit, die Bevölkerung mit Hilfe der staatlichen Medien zu beeinflussen und Mars-freundlich einzustellen. Ja, zu beeinflussen, nicht zu indoktrinieren.

Ansonsten ging das Leben seinen gewohnten Gang, man lebte, ging zur Arbeit, nach der Arbeit in die Bar, dann nach Hause. Einige meldeten sich freiwillig zur Armee, um den Kronosiern beim Befreiungskampf um die Welt zu helfen, ein paar starben, einige kamen als Helden nach Hause.

Und das war eigentlich schon alles. Wenn man den Nonsens mit dem Befreiungskampf glaubte. Eigentlich waren die Kronosier auch nichts anderes als Eroberer. Und nichts anderes hatten sie vor.

Allerdings konnte es schlimmere Herren als sie geben – wenn man das erste Jahr außer Acht ließ, in dem die Kronosier doch meistens über die Stränge geschlagen hatten.

Das dunkle Jahr durfte deshalb auch nicht öffentlich erwähnt werden. Dies war die einzige offiziell existierende politische Einschränkung von der Seite des Gouvernats, was die Redefreiheit betraf.

Nun, Cheong Dae-jung hatte genau diesen Fehler gemacht. Nicht ganz freiwillig und auch teilweise aus Unwissenheit. Nachdem Korea, sein Heimatland, dadurch vereinigt worden war, dass die Kronosier Nord und Süd erobert hatten, hatte es tief greifende Änderungen in ihrer Kultur gegeben. Die Demarkationslinie war aufgehoben, getrennte Familien wieder vereinigt und die Kronosier weniger als Eroberer und mehr als Befreier gefeiert worden.

Danach hatte es etliche Spitzenkräfte in die neue Verwaltung gezogen, die in Tokio für die eroberten Gebiete eingerichtet worden war. Und die Koreaner galten aufgrund ihrer Dankbarkeit als loyal und nicht opportunistisch.

Dae-jungs Fehler war simpel gewesen. Er hatte sich bei seinem Vermieter erkundigt, wer vor ihm sein geräumiges Appartement bewohnt hatte. Leider war es ein hoher, allein stehender Beamter der alten japanischen Regierung gewesen, der den Säuberungen des ersten Regierungsjahrs zum Opfer gefallen war – sein Verbleib war nie geklärt worden, und niemand hatte es gewagt zu fragen.

Aber er war so dumm und unwissend gewesen und hatte damit einen Automatismus in Gang gesetzt, der jedes Jahr ein paar hundert Menschen in der großen Stadt Tokio verschlang.

Es war alles relativ schnell gegangen. Ein offizieller Regierungswagen hatte ihn zu einer Befragung abgeholt, man hatte ihn mit seiner unbedachten Nachfrage konfrontiert, seine Beweggründe geklärt und zufrieden genickt.

Dann hatte man ihn allein gelassen.

Cheong Dae-jung war nervös. Sehr nervös, auch wenn er es nicht zugab. Hätte er eine Zigarette gehabt, hätte er wahrscheinlich eher seine Finger als die Spitze des Papierröllchens angesteckt. So blieb ihm nichts anderes übrig als auf seine Fingerspitzen zu starren, nervös mit dem Stuhl zu kippeln und auf die Rückkehr der Verhörspezialisten zu warten.

Nun, es schien ja alles gut zu gehen, sie hatten ihm keine Vorhaltungen gemacht und schienen mit seinen Antworten zufrieden gewesen zu sein.

Vielleicht war er zum Abendessen schon… Was war das?

Irgendwie richteten sich seine Nackenhärchen auf. Und die Gänsehaut, die er gerade bekam, zog ein kalter Wind in den Verhörraum herein?

Nein, das konnte nicht sein. Aber was war das für ein Grimmen im Bauch? Was passierte hier?

“I-ist da jemand?”

Nein, natürlich war da niemand. Die Tür war immer noch verschlossen, und den großen Spiegel, auf dessen anderer Seite in den Fernsehfilmen immer wichtige Polizisten saßen, um einem Verhör zu zusehen, konnte man ja nicht durchqueren.
Aber warum drehte sich ihm der Magen um? Warum die aufgestellten Härchen?

Warum zitterten seine Hände so sehr?

Und warum hatten ihn die Verhörspezialisten gefragt, ob er nahe Verwandte in Korea hatte?

“Wer ist da?”

Unsinn, er machte sich lächerlich. Da war niemand, nichts und niemand.

Aber wieso dachte er dann an nichts? Was sollte dieses nichts überhaupt bedeuten?

Dae-jung sprang vom Stuhl auf, wirbelte herum! Tatsächlich, hinter ihm war nichts, absolut nichts! Und genau dieses Wandgraue Nichts fiel plötzlich auf ihn. Sein erstickter Schrei verklang, als die Wand ihn unter sich begrub, ihn umschloss und zu Boden riss.

Auf der anderen Seite des Spiegels beobachteten zwei Kronosier und ein Japaner den Vorgang. Die graue Masse hatte sich wie ein Sauerteig über den Koreaner gelegt und begann ihn nun zu assimilieren.

“Der wievielte ist es?”, fragte der Japaner.

“Wenn es klappt, dann ist es unser eintausendneunundachtzigster, Tori-sensei.”

“Gut, Shise-kun. Sobald die Transformation abgeschlossen ist, schicken Sie ihn auf den Mars, zur Ausbildung.”

Die beiden Kronosier bestätigten nickend.

“Und die weitere Familie? Sagen wir, er sei in subversive Tätigkeiten verstrickt gewesen?”

“Warum so etwas kompliziertes, Gordon-kun? Nehmen Sie die alte Ausrede vom Autounfall. Und erstellen Sie seine Todesurkunde.”

“Ja, Sensei.”

In die graue Masse kam Bewegung. Eine gelbe Hand schoss hervor, durchbrach sie, es kam eine zweite hinzu, die sich angestrengt durch die graue Masse arbeitete.

Schließlich richtete sich ein drei Meter großer, gehörnter Riese mit goldgelber Haut auf, entblößte ein Raubtiergebiss und brüllte zornig auf.

“Ein Prachtexemplar haben wir diesmal bekommen”, murmelte der Wissenschaftler. “Er wird der kronosianischen Sache gut dienen, wenn es soweit ist.”

Einer der Kronosier betätigte einen Schalter, Schlafgas strömte in den Raum und betäubte den Besessenen. Wenn er erst einmal dressiert war und seine Herren kannte, würden sie auf solche Kniffe verzichten können. Doch bis dahin half nur die Holzhammer-Methode.

“Wirklich ein Prachtexemplar”, murmelte der Japaner und wandte sich ab.

1.

Megumi Uno… Für eine Frau von guten zwanzig Jahren war sie etwas groß, fast eins vierundsiebzig. Damit überragte sie die meisten einheimischen Männer. Aber ihre schlanke Gestalt und der dezente Busen ließen sie dennoch zierlich erscheinen. Sie war Japanerin, aber sie behauptete auch, sich nicht die Haare zu färben. Und dunkelblond war doch etwas selten in unseren Genen.

Bei mir war das was anderes, immerhin war mein Opa Michael Deutscher, da konnte sich so was schon mal durchsetzen. Aber bei ihr… Ob ihre Mutter europäische Ahnen hatte? Sie war ja die Blonde in der Familie, war sogar noch heller als Megumi. Oder ob ihr Teil der Familie einfach irgendwann eingebürgert worden war?

Nicht, dass das noch einen Unterschied machen würde, wenn sie die Gift annahm, die Umprogrammierung der eigenen DNS auf kronosianische Normen. Die Kronosier hatten alle weiße oder weißblonde Haare, die sie sehr lang zu tragen pflegten. So als Zeichen: Seht her, wie lange ich schon die Gift habe, ätschibätsch.

Auch die dunklen Augen waren bei ihnen Gang und Gebe. Dunkelbraun, schwarz, beides gemischt, es gab ein paar Variationen. Die Haut selbst war im Grundton hell, konnte sich aber erheblich bräunen.

Wenn sie die Gift annahm und fortan so aussah… Ich hätte mich an den Gedanken gewöhnen können. Ich hätte mich an Megumi gewöhnen können.

Mit meiner abgewetzten schwarzen Lederjacke bekleidet, eine uralte Luger im Holster unter der linken Achsel und einer schäbigen schwarzen Jeans bekleidet fiel ich in der kleinen Einkaufsmeile natürlich auf wie ein bunter Hund. Aber dennoch schien mich Megumi bei meiner kleinen Observation nicht zu entdecken. Ob die tiefschwarze Sonnenbrille so eine gute Tarnung war? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Immerhin hing mein Steckbrief in jeder U-Bahn und in jeder Polizeistation. Zudem war mein Kopfgeld nach der Sache am Portal in die Dämonenwelt noch einmal kräftig erhöht worden, denn offiziell hatte ich versucht, die beiden sich zurückziehenden Divisionen zu vernichten und dabei zwei Zerstörer und einen Kreuzer versenkt, die ihnen hatten zu Hilfe kommen wollen.

Na, danke. Am Besten noch alleine, wie? War ich Gott, oder was? Wenn die Kronosier so weitermachten, würde mich bald die ganze Welt fürchten und jagen.

“Hallo, Megumi-chan. Soll es heute etwas besonderes sein? Die Bananen sind im Angebot, weißt du?”

“Danke, Ojii-san, aber ich muss mich vitaminreicher ernähren, sagt mein Arzt. Also bitte nur frisches Gemüse. Genügend Kalzium bekomme ich über das Fleisch.”

Ich betrachtete die Szene am Gemüsestand schmunzelnd. Megumi war beliebt. Nicht nur bei denen, die auf die Propaganda der Kronosier hereinfielen. Nein, auch bei den meisten normalen Bürgern. Unvergessen war ihr Auftritt vor drei Jahren, als sie sich vor eine Strafaktion gestellt hatte. Ein Bombenangriff, mehrere Tote und ein Stadtteil Tokios, der als Antwort abgebrannt werden sollte. Und Megumi irgendwo dazwischen, bereit, als erste bei der Strafaktion zu sterben.

Die Kronosier hatten zurückgesteckt, und die Attentäter und die Hintermänner waren einer nach dem anderen abgeliefert worden. Mit schönem Gruß an Megumi-sama, die Beschützerin.

Ich hatte meinen Schwur von damals, diese unvorsichtige, impulsive Göre dafür, dass sie ihr Leben riskiert hatte, übers Knie zu legen, noch nicht vergessen.

Als sie weiterging um beim Schlachter einzukaufen, ging ich selbst zum Gemüsestand. “Ich hätte gerne eine Banane, Ojii-san.”

Der Verkäufer, ein Mann um die Vierzig, deshalb meine Anrede Ojii-san, lächelte mich freundlich an. Er reichte mir die größte Banane die er finden konnte und wedelte mit beiden Händen, als ich bezahlen wollte. “Aber nicht doch. Nicht doch. Aoi Akuma muss doch nicht für eine simple Banane bezahlen.”

Ich lupfte meine Sonnenbrille. “Verdammt, meine Tarnung ist wohl doch nicht so gut.”

Der Ältere grinste mich an. “Es sah für mich nicht gerade so aus, als würdest du dich tarnen wollen, Akira.”

Ich zwinkerte dem Verkäufer zu, schälte die Banane und wandte mich zum gehen. Kein Wunder, Hattori-san kannte mich ja schon, seit ich alt genug war, um mit meiner Mutter einkaufen zu gehen.

“Akira-kun, wie wäre es mit frischen Brötchen?”, rief mich die Verkäuferin am Bäckerstand an. Deutsche Brötchen, hier hatte sich ja einiges verändert.

“Hm, warum nicht?”

“Akira-kun, trink doch eine Limonade bei mir.”

“Akira-kun, vergiss nicht, bei mir vorbei zu kommen. Für die beiden geretteten Divisionen hast du dir ein Eis verdient!”

“Akira-kun!”

“Akira!”

Ich seufzte schwer. Vom Staatsfeind Nummer eins war ich in dieser Einkaufsmeile weit entfernt. “Ja, ja, ich komme. Überall hin, versprochen, und… URGS!”

Jemand griff erbarmungslos nach meinem Kragen, drehte ihn einmal in der Faust und zog mich hinter sich her. Bei soviel brachialer Gewalt folgte ich automatisch. Wenn man mein unkontrolliertes Stolpern und das Balancieren der Brötchen, der Banane, vom Eis und der Limonade so nennen konnte. Wenigstens war die Lamune-Flasche noch verschlossen.

“Ah, Megumi-chan, gehst du mit Akira-kun aus? Benutze ruhig Gewalt, wenn der Dummkopf nicht freiwillig gehen will”, rief eine spöttische Stimme zu uns herüber.
Ich winkte mit einem verlegenen Grinsen herüber, eifrig darauf bedacht, in Megumis hartem Griff nicht zu stürzen oder eines meiner Geschenke zu verlieren.

Sie zerrte mich durch eine Seitengasse, durch noch eine Straße und stoppte auf einer Fußgängerbrücke. Wütend richtete sie mich auf und starrte mich nieder.

Ehrlich, ich weiß nicht, woher Frauen so etwas können und wer es ihnen beibringt, wahrscheinlich wurde es ihnen vom Schöpfer in die Wiege gelegt, aber dieses Niederstarren war ihre schärfste Waffe.

“AKIRA!”

“Schrei nicht so, ich stehe ja direkt vor dir.”

“Verdammt, du Idiot! Warum läufst du offen mitten durch Tokio? Willst du, dass die Kronosier dich schnappen? Willst du, dass dich der Geheimdienst schnappt? Willst du, dass sich irgendjemand die Prämie auf deinen Kopf verdient?”

“Megumi, du machst dir ja richtig Sorgen um mich.”

Nun, es gibt eine zweite Sache, die Frauen sehr gut können. Besonders schmerzhafte Ohrfeigen verteilen. In diesem Fall musste Megumi eine sehr gute Lehrmeisterin gehabt haben, denn ihre Ohrfeige krempelte mir die Zehennägel hoch.

“NATÜRLICH mache ich mir Sorgen um dich! Du großer, blöder Trottel! Wie kannst du dich nur in Gefahr bringen?” Sie sah zu mir hoch, und Waffe Nummer drei kam zum Einsatz. Bittere Tränen ob des Unverständnis und Gedankenlosigkeit der Männer an sich.
Sie füllten Megumis Augen und flossen in dünnen Strömen über ihre Wangen. Ich hatte das dringende Bedürfnis, jede einzelne fortzuküssen, während ich sie innig umarmte, aber erstens ging das nicht wegen meiner Beute, und zweitens verdrehte sie mir immer noch den Kragen und zwang mich in eine unvorteilhafte Haltung.

“Heißt das, du lieferst mich nicht deinen Vorgesetzten aus?”

Übergangslos wurde Megumi knallrot. Ich befürchtete schon eine weitere Ohrfeige, aber sie ließ mich nur los und wandte sich von mir ab.

“IDIOT!”, fauchte sie und ging davon.

Sie verschwand auf der gegenüberliegenden Treppe. Nachdenklich machte ich die Lamune-Flasche auf und nahm einen Schluck. Solange ich alleine auf der Fußgängerbrücke war, musste ich nicht befürchten erkannt zu werden. Was entweder die Jagd auf mich beginnen lassen würde, oder den unsäglichen Wunsch nach Autogrammen von Aoi Akuma, dem blauen Teufel.

“Du bist ja immer noch da!”, fauchte Megumi neben mir.

“Du bist wieder da? Na, weit bist du ja nicht gekommen”, stellte ich fest.

Unschlüssig, gefangen zwischen einem Wutausbruch und Verlegenheit, sah sie mich an. Schließlich riss sie mir die Limonade aus der Hand und nahm einen langen Schluck.

“Also, was mache ich jetzt mit dir?”

“Du könntest dir das Kopfgeld verdienen und vielleicht ein, zwei Ränge aufsteigen.”

“Ja, das könnte ich! Vollkommen problemlos, denn Akira Otomo ist ja so unendlich dumm, vollkommen ohne jede Rückendeckung durch Tokio zu spazieren!”

“Okay, das ist richtig. Aber ich habe ja auch einen guten Grund dafür.”

“Na, da bin ich aber mal gespannt!”

Ich schlang beide Arme um sie und drückte das Mädchen an mich. Ich hoffte, dass das Eis, die Banane und die Brötchen in meinen Händen nicht die Stimmung drückten.

“Ich wollte dich sehen, Megumi, dich berühren, deine Stimme hören, dich küssen und halten und…”

“Das geht gerade so als Grund durch!” Ihr Gesicht rötete sich wieder.

“Halten tue ich dich ja schon…”, hauchte ich und senkte meinen Kopf, kam ihren Lippen mit den meinen entgegen.

“Akira…”, hauchte sie und schloss die Augen.

“Waaaah! Das unmögliche Liebespaar! Ich hätte mir nie träumen lassen, Akira-sama und Megumi-sama einmal persönlich zusammen zu sehen! Und erst Recht nicht wie sie sich küssen!”

Unwillig löste ich meine Lippen von Megumis und sah auf. Mist, drei Sekunden mehr und ich hätte ihre Zunge in meinem Mund gehabt.

Was ich die ganze Zeit befürchtet hatte war nun eingetreten. Ein vierzehnjähriges Mädchen hatte mich erkannt, hatte Megumi erkannt, die Situation, in der wir steckten – und ihre Begleiter, eine geschlossene Schulklasse, angesteckt!

Na, wenigstens rannten sie nicht alle auf einmal auf uns los, sondern hielten respektvollen Abstand. Von der Uniform her schätzte ich sie als Schüler der Fushida-Mittelstufe ein. Auf der Schule war ich auch gewesen, bevor… Bevor alles einen vollkommen anderen Gang genommen hatte.

Die Klasse war nun vollends in Begeisterung ausgebrochen, Jungen wie Mädchen riefen die verschiedensten Dinge, von obszön bis anfeuernd, nett bis schüchtern, einige pfiffen auf den Fingern und die Lehrer, die sie begleiteten, hatten alle die Handys gezückt.

Soviel zur trauten Zweisamkeit mit Megumi.

“Halt mal die Brötchen, ja? Und trink die Limo aus, es wäre schade sie wegzukippen.”

Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und einen Klaps auf den Allerwertesten, winkte den Schülern zu – und sprang von der Fußgängerbrücke mitten in den Verkehr hinein.

Keine Sekunde zu früh, denn der glitzernde Punkt am Horizont entpuppte sich als fliegender Infanterietransporter. Sicherlich würde es jetzt nur noch Sekunden dauern, bis auch die ersten Daishis auftauchten. Mit Infanterie wurde ich fertig, aber um gegen Daishis zu bestehen brauchte ich meinen Hawk. Nicht unbedingt meine Fairy, aber definitiv meinen Hawk.

Ich landete auf dem Planenverdeck eines Transport-LKWs und ließ mich fünfhundert Meter weit mitnehmen. Megumi sah mir so lange fassungslos nach, bis der LKW um eine Straßenecke bog.

Ich nutzte die paar Sekunden, die der Fahrer vom Gas ging, sprang ab und landete auf dem harten Asphalt. Dort rollte ich mich ab, hechtete über die Straßenumzäunung und rannte den Fußweg hinab. Mit etwas Glück vermuteten mich die Häscher der Kronosier noch auf dem Dach des LKWs. Mit etwas Pech waren sie mir schon viel zu nahe.

Also huschte ich in den erstbesten Laden, durchquerte ihn, kam in einem Hinterhof raus, nahm die nächste offene Tür und hatte Glück. Eine Bücherei.

Eilig raffte ich ein paar neue Bände meiner Lieblingsmangas zusammen, die ich noch nicht hatte, besuchte die Kasse im Express – auch auf der Flucht sollte man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, und wer vermutete in einem Kunden mit einer Einkaufstüte schon einen landesweit gesuchten Elitepiloten – und trat ruhigen Schrittes auf die Straße hinaus.

Dort kramte ich einen der Mangas hervor, begann darin zu blättern und setzte mich an eine Bushaltestelle. Kurz darauf liefen kreuz und quer schwer bewaffnete Infanteristen durch die Straße, acht an der Zahl. Zwei Teams also nur. Sie vermuteten mich nicht wirklich in dieser Straße.

Und sie hielten den Busverkehr nicht auf. Grinsend stieg ich ein, bezahlte für eine Fahrt bis zur Endstation, setzte mich ganz hinten hin und las weiter. Auch wenn es meine ganze Disziplin kostete, ich würde den Infanteristen nicht spöttisch zuwinken, während ihre Beute fröhlich mit dem Bus davon fuhr.

“Was ist denn da draußen los?”

“Keine Ahnung, die suchen jemanden.”

“Wäre das nicht cool, wenn sie nach einem aus der Akuma-Gumi suchen würden? Oh, ich würde sterben, wenn ich einen von ihnen sehen würde!”

Mit halbem Ohr lauschte ich der Unterhaltung der beiden Mädchen auf der Bank vor mir und unterdrückte ein Schmunzeln. Wenn sie wüssten, dass einer aus der Akuma-Gumi direkt hinter ihnen im Bus saß… Und in diesem Augenblick den Häschern der Kronosier davonfuhr.

Hoffentlich dachte Megumi daran, die Brötchen mitzunehmen.

***

Eine Stunde später schlug mir jemand auf den Nacken.

“Lass den Mist, das tut weh”, tadelte ich.

Megumi ließ sich auf der Schaukel neben mir nieder. “Das ist das Mindeste, was du verdient hast, Akira. Weißt du, in was für einem Schlamassel du mich zurückgelassen hast? Ich werde einiges zu erklären haben, wenn herauskommt, dass wir zusammen gesehen wurden. Außerdem scheinen die Schüler der Fushida-Mittelschule Fotos davon gemacht zu haben, wie wir uns küssen.”

“Hm, davon hätte ich gerne ein paar Abzüge. Zum Träumen für die einsamen Tage auf meiner Insel.”

“Erzähl mir nichts von einsam. Ich kenne alle Akten über die Akuma-Gumi. Du hast doch Hina-chan, oder nicht?”

“Das ist schon lange vorbei. Wir waren nicht füreinander bestimmt.” Nachdenklich faltete ich die Hände im Nacken und betrachtete den verlassenen Spielplatz im Licht der Abenddämmerung. “Kein Wunder, dass du mich so schnell aufgespürt hast. Hier haben wir früher immer zusammen gespielt. Weißt du noch?”

“Wäre ich sonst hier?” Ernst sah sie mich an. “Und? Warum bist du hier? Und warum nimmst du es schon wieder mit einer Hundertschaft Soldaten auf?”

“Um dich zu küssen? Um sie zu necken?”

“Du hast mich geküsst und du hast die Soldaten geneckt. Was bleibt jetzt noch? Du hast doch einen Grund, einen guten Grund um hier zu sein. Wenn es nur um mich gehen würde, hättest du in meinem Appartement auf mich gewartet und versucht, mich…” Sie errötete und sah fort.

“Hm, richtig. Ich hätte es versucht. Gibt es denn einen Hauch Hoffnung, dass ich eines Tages Erfolg haben werde?”

“Akira. Der Tag, an dem wir beide uns lieben ist der Tag, an dem ich dir total verfalle, an dem ich deine Seite nie wieder verlassen will. Dieser Tag ist noch lange nicht gekommen. Wir haben beide noch viel zu viel zu tun auf unseren Seiten in diesem Spektakel, und…”

“Ich will dich”, hauchte ich und küsste sie wieder.

Sie erwiderte den Kuss, öffnete den Mund einen Spalt und tauschte Liebkosungen mit mir aus.

“Ich weiß, Akira, ich weiß”, hauchte sie und drückte mich langsam und nachdrücklich fort. “Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. Noch nicht.”

“Hast du denn Hoffnung, dass es jemals so weit kommen wird? Dass wir auf einer Seite stehen werden? Kann es nicht sein, dass ich in meinem nächsten Einsatz gegen die Kronosier sterben werde? Was dann? Ist unsere Chance dahin?”

“Du verstehst es nicht. Mir geht es nicht um Sex, sondern darum, dass ich für immer bei dir bleiben werde, wenn es soweit ist.”

“Mir geht es auch nicht um Sex. Mir geht es um den Menschen, der mir das Wichtigste auf dieser Welt ist. Desertiere, Megumi, komm zu mir auf die Insel! Komm mit nach Senso Island und bleibe bei mir!”

“Senso Island? Du hast deine Heimatinsel nach dem japanischen Wort für Krieg benannt?”

“Ich war noch nie besonders gut im vergeben von Namen”, gestand ich ein.

“In diesem Fall schon. Es klingt… Sehr passend, Akira.

Aber nein. Nein, Akira. Die Kronosier sind nicht vollkommen verdorben, und die Welt da draußen ist nicht vollkommen gut. Das weißt du, sonst würdest du nicht peinlich darauf achten, dass keine Macht der Welt Einfluss auf deine Akuma-Gumi erhält. Es hat seine Gründe, warum du kein Werkzeug der Russen oder der Amerikaner sein willst.”

“Ich… Ich hasse es, wenn du Recht hast.” Betreten sah ich zu Boden.

Nun küsste sie mich, innig, verlangend und doch unendlich sanft. Die Ohrfeige hatte meine Fußnägel aufgerollt, dieser Kuss glättete sie erst und ließ sie dann auf links rollen.

“Aber irgendwann einmal ja, Akira. Das verspreche ich dir.”

“Das ist also Glück…”

“Also, was ist es? Warum bist du hier? Übrigens sollten wir langsam den Ort wechseln, wenn du nicht doch geschnappt werden willst.”

Ich stand auf. “Heißt das, du hast ein paar Stunden Zeit?”

“Wofür, Akira?”

“Wir wollen jemanden besuchen. Jemand besonderen.”

2.

Offizielle Pressekonferenz des Gouvernats Japans:

“Was wollen Sie mir da weismachen? Akira Otomo war heute in der Innenstadt? Hören Sie, wenn ich für jede Akira Otomo-Sichtung einen Yen bekommen würde, dann wäre ich mittlerweile reich genug, um Australien zu kaufen. Er ist kein verdammter Geist, der tun und lassen kann, was immer ihm beliebt. Außerdem haben wir gerade in Tokio eine hohe Polizei- und Militärdichte, bei der es einem Renegaten wie Otomo nicht gelingen kann zu entkommen. Das, was Sie als Otomo-Sichtungen bezeichnen, sind nur die verzweifelten Gestalt gewordenen Geschichten von Oppositionellen und ewig Gestrigen, die wirklich glauben, ein einzelner Mann könne das kronosianische Imperium besiegen.”

***

Als wir die kleine Bar im Kellergeschoss betraten, schlug uns dichter Rauch entgegen. Zigaretten, Zigarren, Zigarillos und Pfeifen wetteiferten hier darum, die Luft für Nichtraucher möglichst nikotinhaltig zu gestalten.

In einem Land, in dem in öffentlichen Einrichtungen absolutes Rauchverbot herrschte – ein Land erobern konnten die Kronosier ganz gut, das Rauchen an sich bekämpfen auch, solange man es nicht daheim machte und eifrig Steuern bezahlte – wies dies auf einen Laden hin, in dem man es mit mehreren Dingen nicht so genau nahm. Gesetze und die Polizei standen sicherlich ganz oben auf der Liste.

“Was ist das für ein Laden?”, fragte Megumi nach dem ersten Hustenanfall.

Ich blickte mich im schummrigen Licht um und grinste wölfisch. Jackpot. Mein Kontakt hatte einen sehr guten Laden ausgesucht.

Der kleine Raum war sehr gut gefüllt, Dutzende kleine Tische waren aufgestellt, auf jeden Tisch war ein Spotlicht gerichtet. Auf jedem Tisch standen ein Schachbrett und eine Stoppuhr, und neben den beiden Spielern saßen und standen diverse Beobachter um die Tische herum. Eine große Tafel im Hintergrund wurde regelmäßig mit den neuesten Ergebnissen beschriftet.

“Eine Schach-Hölle.”

“Eine… Eine Schach-Hölle? Willst du mich verarschen?”

“Hast du noch nie von den Schachhöllen gehört? Nachdem die Kronosier Shogi und Go monopolisiert und die Kontrolle über die staatlichen Ligen an sich gerissen haben, wurden diese Spiele höchst populär. Und auch wieder nicht, denn Shogi und Go zu spielen wurde auch zum Ausdruck, den neuen Herrschern zu gefallen. Ähnlich wie Tai Shi Shu’an am Morgen zu trainieren im kommunistischen China erst richtig populär wurde, nachdem die Partei es nachdrücklich gutgeheißen hat.

Schach zu spielen ist eigentlich mehr als einen neuen strategischen Sport zu bestreiten. Es ist eine Art Kriegserklärung an die Kronosier, noch mehr, eine Ideologie und offener Widerstand.

Eine Kneipe, in der Schach gespielt wird, ist immer ein Brutort für Subversivität und Opportunismus. Deshalb verschwinden die Schachhöllen auch so schnell wieder wie sie eröffnet werden, weil der Geheimdienst bemüht ist, sie zu bekämpfen. Bis auf eine Handvoll, die… Nun.”

“Die, nun was?”

“Die von den Yakuza beschützt werden. Natürlich nicht von den offiziellen Familien, die sich durch offene Kollaboration hervor getan haben. Nein, durch die kleineren Familien, die entweder diesem unsäglichen Nationalismus verhaftet sind, oder in den Kronosiern einfach nicht der Weisheit letzten Schluss sehen. Im Klartext, dieser Keller hier ist ein Rebellennest.”

“So sehen Rebellen aus?”

“Bewege dich nicht, Bastard!” Der große, schwarzhaarige Mann mit Brille, der sich vor mir aufgebaut hatte, schob seine Sehhilfe die Nase hoch und schuf dabei einen schimmernden Reflex, der über die Gläser schimmerte. Dafür nahm er die Linke. In der Rechten hielt er ein Katana, dessen Schneide ohne zu zittern einen halben Zentimeter von meiner Halsschlagader entfernt verharrte. “Rebellennest hin oder her, wenn wir die Chance haben, den Staatsfeind Nummer eins zu ergreifen und auszuliefern, dann nehmen wir dieses Angebot gerne an, Akira Otomo!”

Diese Worte ließen ein Raunen durch den Saal gehen. Erstaunte Blicke trafen mich und Megumi. Eine herrliche Situation, die noch besser wurde, nachdem Megumi Uno erkannt worden war.

Ich griff in einer gedankenschnellen Bewegung unter meine Jacke, riss die alte Luger-Pistole hervor und rammte sie meinem Gegenüber in den offenen Mund. Dann spannte ich den Abzugshahn. “Du hast echt eine Vollmeise, Doitsu! Abgesehen davon dass du mich nie ausliefern würdest, außer der Ataka-Gumi geht der Arsch wirklich auf Grundeis, habe ich immer noch diese kleine feine Luger, die ich jeden Tag auseinander nehme, pflege und öle und wieder zusammen setze, damit jeder einzelne Schuss den Lauf verlässt wie am ersten Tag. Fragen?”

“‘A. Kammft du die Wawwe auf mei’m Mumd mehm?”

“Ich verstehe dich nicht, Doitsu Ataka!”

“Aki’aaa!”

Seufzend zog ich die Pistole wieder zurück. “Ist ja schon gut.”

Doitsu zog das Schwert wieder zurück und steckte es in einer geschmeidigen Bewegung zurück ins Futteral. “Ein Blödmann wie immer, Akira. Hallo, Megumi-chan. Schön, dich mal wieder zu sehen.”

“Äh, wer bist du?”, fragte sie mit verlegenem Lächeln.

Ich kam selten in die Situation, herzhaft über Doitsu Ataka, einen ehemaligen Schulkameraden und guten Freund, zu lachen. Aber diesmal war die Situation so herzerfrischend, dass ich nicht anders konnte. Zu sehr amüsierte mich der herzzerreißende Blick, mit dem er Megumi bedachte.

“War nur Spaß, Doitsu-kun”, beeilte sie sich zu versichern. “Ich habe einfach nicht mit dir gerechnet und du hast dich die ganzen Jahre nicht gemeldet, da wollte ich es dir heimzahlen.”

“Als wenn man so ohne Weiteres Kontakt mit der Anführerin der Hekatoncheiren bekommen kann”, brummte Doitsu verstimmt.

Was nun Megumi verlegen werden ließ.

“Was auch immer. Kommt mit nach hinten.” Doitsu wandte sich um, ging voran. Er wirkte immer noch deprimiert, aber er erholte sich mit jedem Schritt.

“Akira, was erwartet uns hinten? Und wird uns niemand aus der Kneipe verraten?”

“Aus der Kneipe sicherlich niemand. Wer hier nicht rein darf kommt hier auch nicht rein”, versicherte ich und machte damit deutlich, dass dies eigentlich eine geschlossene Gesellschaft war, die sich ihre Mitglieder selbst aussuchte. Außerdem sagte ich damit klar, dass wir erwartet worden waren. Nun, zumindest ich. “Und was uns erwartet… Lass dich überraschen.”

Die Aufmerksamkeit der Kneipengäste wandte sich wieder den Brettern zu. Dankenswerterweise.

Wir wurden tiefer in den Keller geführt. Von dort gelangten wir über eine getarnte Tür in einen Laufgang. Dieser mündete wieder in einem Keller. Dort gingen wir eine weitere Treppe hinab und passierten mehrere Wachen, die zum Teil recht schwer bewaffnet waren.

Doitsu winkte uns durch, niemand hielt uns auf. Und das, obwohl der meistgesuchte Mann Japans hinter ihm herging – und die absolute Elitepilotin der Kronosier.

Doitsu öffnete eine Tür und winkte uns herein. Er folgte uns auf dem Fuß.

Ich grinste schief. “Na, das nenne ich ja wirklich mal eine Überraschung.”

Der Raum den wir betraten war eher eine kleine Halle. Und diese Halle war voll gestopft mit drei Dingen: Fast Food, Computer-Equipment und… Biotanks. Nicht besetzten Biotanks, wohl gemerkt.

Relativ weit vorne saßen mehrere Personen an einem Tisch und schienen sich heftig zu streiten. Ich runzelte die Stirn. Ich kannte jeden einzelnen. Genauer gesagt nicht nur ich. Die halbe Welt kannte die Fushida Hacking Crew, einen der erklärtesten Feinde der Kronosier.

Kenji Hazegawa! Emi Sakuraba! Hiroko Shiratori! Clive O’Hara! Ich vermisste die fünfte Person, Sarah Anderson, aber vier der fünf schlimmsten Hacker der Welt zu sehen war bereits eine Show für sich. Vor allem konnte ich damit die ewigen Diskussionen auf Senso Island, ob es die Mitglieder der Hacking Group überhaupt gab, endlich eindeutig beenden.

Auch die Frage, ob die Namen einiger unserer ehemaligen Freunde und Bekannten als Pseudonym genommen worden waren oder nicht. Nein, sie waren tatsächlich hier vor mir.

Kenji erhob sich. “Willkommen, Akira-kun. Willkommen bei der Hacking Crew.”

Ich trat einen Schritt vor und schüttelte dem Riesen die Hand. “Lange nicht gesehen, Kenji-kun. Arbeitest du jetzt mit Doitsu zusammen?”

“Es ist ein Zweckbündnis. Dies hier ist unser sicherstes Versteck und Quelle unserer besten Verbindung zum Leader. Deshalb kommen wir nur zu seltenen Gelegenheiten hierher.”

Er warf Megumi einen schiefen Blick zu. “Was macht die kronosische Geissel hier?”

“Hä? Du hast gut reden, Mr. “Ich störe die öffentliche Ordnung, wann es mir passt und hacke mich mal ins Verkehrsnetzwerk, um alle Ampeln der Stadt auf grün zu schalten”.”

“Ach. Das war doch nur ‘ne Fingerübung. Ist sie sicher, Akira?”

“Wir können sie jederzeit erschießen, wenn es dich beruhigt.”

“Akira!”, protestierte Megumi.

Kenji zuckte zusammen. “Er… Erschießen? So war das aber nicht gemeint!”

“Ich vergaß. Ihr seid ja Anhänger des gewaltlosen Widerstands”, kommentierte ich schmunzelnd und ließ bei Kenji die Erkenntnis sacken, dass ich gescherzt hatte.

“Hallo, Emi-chan. Lange nicht gesehen. Hiroko-sempai, es freut mich, dass du dir deinen gut gebräunten Teint bewahren konntest, obwohl du dich mit diesen Kellerkindern herumtreibst.”

“Wer ist hier ein Kellerkind?”, begehrte Emi auf.

“Und Sie müssen Mr. O’Hara sein. Ich weiß nicht viel über Sie persönlich, aber ich weiß, was Sie schon alles getan haben.” Ich tauschte mit dem Iren einen kräftigen Händedruck aus.

“Dies hier ist Megumi Uno, Major und Anführerin der Hekatoncheiren. Ich habe sie mitgebracht, um ihr mal eine Chance zu geben, einen Blick jenseits ihrer Gesellschaftsschicht zu werfen.”

“Das kann sie haben”, sagte Clive O’Hara.

Kenji räusperte sich und deutete auf den größten Tisch in der Halle. “Bitte. Setzt euch. Du auch, Doitsu-kun.”

Wir nahmen Platz, ich reservierte mir ein Stirnende. Megumi setzte sich rechts von mir und kam so in Gesprächsreichweite zu Hiroko. Die beiden taxierten sich mit neugierigen Blicken. Immerhin hatten sie sich mehrere Jahre nicht gesehen.

“Um es kurz zu machen, Akira, wir brauchen deine Hilfe und die deiner Akuma-Gumi.” Kenji stellte sich hinter das andere Stirnende, nahm das KommSet, das dort für ihn lag, und aktivierte es. “Worum es genau geht, wird dir unser Leader sagen.

Pass jetzt gut auf, Megumi-chan, du wirst einiges lernen.”

Über dem Tisch entstand plötzlich ein Funkenregen. Aus diesem Regen schälten sich die Umrisse eines weiblichen Körpers hervor.

“Ein Avatar”, erkannte ich.

“Nicht irgendein Avatar. Der Avatar unseres Leaders.”

Die Gestalt wurde deutlicher und ich erkannte, dass die Haut schneeweiß war. Der Kopf war kahl, und die roten Augen brannten wie Fackeln. Sie trug keine Kleidung, aber ihr Körper zeichnete nur Konturen nach, keine Details.

“Guten Abend, Herrschaften. Guten Abend, Akira Otomo. Guten Abend, Megumi Uno. Guten Abend, Doitsu Ataka. Ich bin Sarah Anderson.”

“N’abend, Sarah. Was kann Aoi Akuma für dich tun?”

“Mich retten.”

***

Ich erstarrte. Und vergaß zu atmen. “Was?”

Der Avatar begann zu schmunzeln. “Auf das was komme ich gleich. Aber vorher muss ich dir und den anderen noch etwas Basiswissen vermitteln.

Kenji? Wie gut ist die Verbindung geschützt?”

“Wir benutzten dreiundvierzig Relais auf fünf Routen, die unregelmäßig wechseln. Dazu fügen wir jede Minute zehn neue Relais ein und verlassen dafür zehn alte.”

“Das sollte für acht Minuten reichen. Die kronosischen Hacker sind nicht verblödet.” Der Avatar sah mich an. “Akira. Was weißt du über mich?”

“Ich weiß, dass du die Fushida Hacking Crew anführst, die erfolgreichste Hackergruppe der Welt. Ihr kämpft gegen die Kronosier und seid auf der Liste der Staatsfeinde unter den ersten Zwei. Gleich nach meiner Akuma-Gumi.”

“Gut. Weißt du, wo ich bin?”

“Das”, lachte ich, “ist wohl eines der bestgehütetsten Geheimnisse dieser Welt. Nicht einmal die Kronosier wissen, wo du bist. Und das ist auch gut so.”

Ich sah Megumi an, aber die schüttelte den Kopf. Ihr war auch nicht zu Ohren gekommen, dass die Kronosier wussten, wo Sarah Anderson zu finden war.

“Das ist nicht ganz richtig. Die Kronosier wissen eigentlich wo ich bin. Immerhin bin ich in einem ihrer Supercomputer gefangen.”

Ich spürte kaltes Entsetzen in mir aufwallen. “Was?”, brachte ich erstickt hervor.

“Ich bin in diesem Moment in einem Supercomputer, genauer gesagt in einem Biotank gefangen.”

“Was?” Meine eigene Stimme klang plötzlich dünn wie Papier.

“Es stimmt, sie ist die Anführerin der Hacking Crew. Und sie ist wahrscheinlich der beste Hacker für die kronosischen Computersysteme, die es gibt. Aber sie ist nicht frei. Sie war es nie.” Hiroko sah betreten auf die Tischplatte. “Sie ist es. Sie alleine. Sie hat sich selbst aus dem System herausgehackt. Sie hat sich ihre Partner in Freiheit ausgesucht, mich, Kenji, Emi und Clive. Sie führt unsere Versammlungen, wenn wir unsere Ziele auswählen.”

“Und das tut sie über Verbindungen, die sie sich selbst hackt”, fügte Emi hinzu.

“Anfangs waren wir alle skeptisch. Es roch nach kronosischer Falle. Aber sie hat mehr als einmal bewiesen, dass sie es nicht nur ehrlich meint, sondern auch ernst. So hätte es weiter gehen können, bis wir eines Tages die Kronosier besiegt haben oder ausgelöscht worden wären”, sagte Kenji leise und nachdenklich. “Aber es hat nicht sollen sein.”

Sarah musterte mich wieder. “Akira-kun. Du musst mich retten. Du musst mich aus meinem Biotank holen. Du musst…” Verzweifelt sah sie zu Kenji herüber. “Wird er uns helfen?”

“Er wird. Wenn ich ihn darum bitte.”

“Was ist eigentlich passiert?”, fuhr ich dazwischen. “Haben die Kronosier herausgefunden, dass du in einem der Tanks sitzt?”

“Das wissen sie schon länger. Es spricht für ihre Ohnmacht, dass sie meine Verbindungen nach draußen nicht stoppen können. Aber jetzt…” Ihr Hologramm wurde instabil. “Mist, heute sind sie aber schnell. Ich verabschiede mich, bevor sie eine Spur zu euch finden.

Kenji, übernimm bitte den Rest.”

Der Avatar verschwand wieder im Funkenregen.

“Okay, ich hole sie raus, wenn mir jemand genaue Koordinaten und genügend Vorbereitung für einen Angriff gibt. Aber ein Grund wäre nicht schlecht.”

Kenji sah auffordernd zu Clive herüber.

“Was weißt du über die Biotanks, Akira?”, fragte der Ire.

“Hm”, machte ich amüsiert. “Ich habe selbst mal in einem gesteckt, kurz bevor ich ausgebrochen bin. Die Kronosier haben versucht, mich in einer virtuellen Welt ruhig zu halten. Hat leider nicht funktioniert. Sie hatten mich sogar in einen Supercomputer integriert, in dem ich als Recheneinheit meinen Dienst tat.”

“Warum als Recheneinheit? Ich weiß, die Antwort ist offensichtlich, aber gib sie mir.”

Ärgerlich musterte ich Clive. “Weil das menschliche Gehirn ein sehr leistungsfähiger Computer ist und die meisten Computer damit übertrifft. Ein paar hundert zusammen geschalteter menschlicher Gehirne erreichen so eine enorme Rechenkapazität.”

“Gut.” Clive schien zufrieden.

“Akira, was würdest du sagen? Könnte ein Gehirn, dass nicht mit Erinnerungen, Erfahrungen, mit Gefühlen und Gedanken belastet ist, noch schneller arbeiten?”

“Ich denke schon. Auf jeden Fall würde ein solches Gehirn nicht an Ausbruch denken und… Oh mein Gott. Sie haben vor, Sarahs Gehirn zu löschen?” Ich fühlte mich zurückversetzt, in meine Zeit im Tank, wie diese kronosischen Bastarde vor mir standen und etwas von Gehirn löschen faselten, um meine Rechenleistung zu erhöhen. Aber soweit war es nicht gekommen. Man hatte die Wissenschaftler dieses Projekts eliminiert und mich heimlich aus dem Tank befreit. Den Weg hinaus hatte ich mir selbst erkämpfen müssen, aber ich hatte Hilfe gehabt, um aus den Tank zu kommen. Definitiv Hilfe.

“Das ist noch nicht alles. Sarah ist nicht nur für eine Gehirnlöschung vorgesehen, was zugleich auch den stärksten Hacker der Erde ausschaltet. Soweit wir es in Erfahrung bringen konnten, steht ihr auch die Entkernung bevor.”

“Entkernung? Das klingt wie bei der Kirschernte, wenn ich mit Mama für das Marmelade kochen die Steine aus dem Fruchtfleisch gestochen habe”, sagte Megumi und wurde blass. “Oh, Scheiße.”

“Ja, Scheiße. Ein Gehirn verbraucht weniger Ressourcen als ein ganzer Körper. Das ist der perfide Plan, der dahinter steht.”

Ich erhob mich. “Wie viel Zeit haben wir?”

“Maximal eine Woche. Jeder Tag weniger wäre sehr gut.”

“Ich brauche jede Information, die Ihr mir geben könnt.”

3.

Das Leben konnte schön sein. Es brauchte nur eine allgemeine Mobilmachung auf Senso Island, eine Aktivierung der Verbündeten und eine Karte der näheren Umgebung unseres Ziels, einer einsamen Vulkan-Insel in der Südsee Polynesiens.

Mit vier Hawks, einem Eagle und fünf Transporthubschraubern waren wir aufgebrochen, und hatten Ärzte, Sanis, Techniker, Makos Stab und unseren eigenen Biocomputer bei uns.

Unser Ziel kreuzte nun den zweiten Tag knapp außerhalb der Ortungsreichweite der Insel.

Es war ein amerikanischer Träger, der für die Bedürfnisse der neuen Zeit von Kampfflugzeugen auf Mechas umgestellt worden war. Die ENTERPRISE würde uns für unseren Angriff als Plattform dienen. Natürlich hätten wir uns auch auf einer Nachbarinsel einrichten können, aber ich befürchtete, dass Sonnenschein, ein schneeweißer Strand und die gefährliche eins zu eins-Mischung von Männern und Frauen eher zu einer Strandparty als zum arbeiten führte.

Nein, ehrlich gesagt hatte ich über meine Verbindungen die ENTERPRISE angefordert, weil wir den Biocomputer dort besser aufstellen konnten, in einer klimatisierten, staubfreien Umgebung. Eine Höhle zu präparieren oder eine Lagerhalle aufzustellen hätte zu lange gedauert. Außerdem mussten die Amis uns noch ein paar Marine-Infanteristen leihen. Daran waren wir immer etwas knapp.

Die Landung auf dem ehemaligen Flugzeugträger gelang uns problemlos. Die Lotsen hatten mich und die anderen Piloten sehr gut eingewiesen und auf eine freie Stellfläche gelotst, während die Transporthubschrauber über Fahrstühle direkt in die Eingeweide des Schiffes gebracht wurden. Drei Tage war es jetzt her, seit Kenji mir diese Aufgabe gestellt hatte. Einen weiteren Tag würde es dauern, bis wir bereit waren.

Und wenn wir angriffen, würden die Probleme erst beginnen. Übergriffe zwischen Kronosiern und der freien Welt gab es immer wieder. Aber eine Attacke auf einen Stützpunkt, der erstens den stärksten Supercomputer der Region beherbergte und zweitens als streng geheim galt, musste eine Reaktion provozieren.

Der Begleitschutz der ENTERPRISE, abgesehen von den dreißig Hawks, den zwanzig Sparrows und den zehn Eagles, bestand aus zehn Fregatten, drei Tendern, fünf Zerstörern, acht Schnellbooten zur Unterseeboot-Suche und zwei Kreuzern, hauptsächlich darauf spezialisiert, Raketen abzufangen oder U-Boote zu versenken. Für alles andere gab es die Hawks. Ob dies ausreichen würde, wenn die Kronosier zwei bis drei Zulu-Kreuzer nach uns ausschickten?

Ich brachte meinen Hawk in den schraffierten Abstellbereich, ließ ihn in die Hocke gehen um ihn leichter verlassen zu können und löste die Anschlüsse. Danach entsiegelte ich das Cockpit. “Du weißt Bescheid, Primus. Wenn die Navy-Leute zu neugierig werden, hau ihnen auf die Finger.”

“Verstanden, Sir.”

Ich sprang die letzten anderthalb Meter hinab, kam federnd auf und orientierte mich kurz. Eine Gruppe der Marine-Infanterie, große bullige Kerle mit Pistolen bewaffnet, standen in Rührt euch-Haltung und hinter dem Rücken verschränkten Händen außerhalb des schraffierten Bereichs. Vor ihnen stand ein Offizier der Navy in der bekannten Khaki-Uniform. Seine Abzeichen bedeuteten Lieutenant Commander.

Nun, ich hatte nicht gerade erwartet, dass mich der Skipper selbst abholte, oder gar Admiral Richards, der Flottenchef. Und Lieutenant Commander war schon recht hoch. Also hätte ich mich geehrt fühlen sollen.

Allerdings tat dieser Mann sein Bestes, um diesen Eindruck zu mindern.

Anstatt mich ordentlich zu begrüßen musterte er meinen Hawk und runzelte die Stirn. “Das ist die berühmte Maschine vom Blue Devil? Sieht auch nicht anders aus als unsere Hawks. Tja, wurden eben bei uns gefertigt, was soll man da erwarten?”

“Sie irren sich, Commander”, sagte ich ernst. “Diese Hawks wurden nicht in Nordamerika gefertigt. Im Gegenteil. Ihre Hawks, ihre Sparrows und die Eagles wurden nach diesen Vorlagen gefertigt. Wir haben unsere Mechas nicht von euch bekommen, wir haben euch die Pläne zu ihrem Bau überlassen.”

Gut, dass ich Hina diesmal in einen der Transporthubschrauber gesetzt hatte. Hätte sie die gering schätzenden Worte des Offiziers gehört, wäre sie sofort wieder an die Decke gegangen. Alles, was die Leistungen der Akuma-Gumi herabwürdigte, war für sie ein rotes Tuch.

Der Amerikaner schien schockiert, geradezu entsetzt. Aber er entschloss sich dazu, mir nicht zu glauben. “Wie auch immer. Sie sind Akira Otomo?”

Ich nickte knapp.

“Antworten Sie gefälligst ordentlich, wenn ein Offizier mit Ihnen spricht, Soldat!”

Ich schluckte meinen Ärger runter. “Anführer der legendären Akuma-Gumi, Sieger von New York, Verteidiger Londons, Sieger von Buenos Aires, Nummer eins der Abschussliste, Colonel Akira Otomo. Besser so?”

Erschrocken sah der Mann mich an. “C-colonel von wessen Gnaden?”

“Die japanische Regierung im Exil hat mich mit dem Aufbau der Akuma-Gumi betraut und als Second Lieutenant eingestellt. Im Lauf der letzten sechs Jahre bin ich wegen herausragender Leistungen auf der Erde und im Weltall mehrfach befördert worden. Mittlerweile bin ich Colonel, aber es ist im Gespräch, mir den ersten goldenen Stern zu geben. Der Vorschlag kam übrigens von Ihrer Regierung, also überlegen Sie genau was Sie sagen, Lieutenant Commander Sikes.”

“Na, na, wer macht denn da meine Offiziere unsicher? Wenn das mal nicht die Plage der Kronosier ist, der blaue Teufel!”

Ich wandte mich dem Neuankömmling zu und grinste breit. Im Schlepp hatte er bereits Yuri und Kei.

“Admiral Richards. Es ist mir ein Vergnügen, Sie wieder zu sehen.”

Der alte Mann salutierte vor mir und seine Augen lächelten dabei. “Gleichfalls, Aoi Akuma. Wie lange ist es jetzt her?”

“Warten Sie, nachdem wir den Angriff auf New York abgeschlagen haben, haben wir uns auf Hawaii getroffen, beim Big Drop.”

“Das war vor drei Jahren. Gute Arbeit damals. Nein, letztes Jahr sind wir uns auf australischem Territorium begegnet.”

“Stimmt. So lange ist das gar nicht her.”

“Big Drop?”, kam es leise vom Commander.

“Der Angriff auf Hawaii vor drei Jahren”, half ich aus. “Die Kronosier hatten etwas über einhundert Kapseln, voll gestopft mit Mechas und Infanterie im Orbit abgeworfen und auf die Erde fallen lassen. Der letzte massive Angriff. Ich half damals mit der Akuma-Gumi ausputzen.”

“Nun sei nicht so bescheiden, Akira”, ließ sich Yuri vernehmen. “Ohne uns wäre Hawaii heute ein kronosischer Stützpunkt, das weißt du genau.”

“Allerdings”, bestätigte Richards, trat vor und ergriff meine Hand. “Junge, es ist mir immer eine Freude, dich zu sehen. Deine Leute beginnen schon ihr Equipment aufzubauen, und die Fushida Hacking Crew macht es sich bereits bequem. Wenn nichts dazwischen kommt, können wir noch in der Nacht beginnen.”

“Es wird nichts dazwischen kommen”, sagte ich bestimmt. “Es gibt da diesen hochrangigen Offizier bei den Hekatoncheiren, der irgendwie was gegen die Idee hat, das Gehirn eines Menschen aus dem Körper zu entfernen und die Rechenleistung durch Löschung der Erinnerung zu erhöhen. Er sorgt dafür, dass die Kronosier so lange wie möglich, ah, in die falsche Richtung schauen.”

“Ein Offizier der imperialen Armee? Können wir ihn umdrehen?”

Philip und Daisuke, die nun ebenfalls heran waren, feixten sich zu.

“Ich glaube nicht, dass das möglich sein wird”, gab ich bedauernd zu. “Aber es ist doch beruhigend zu wissen, dass sie auch Leute mit Gewissen haben, oder?”

Der Admiral bedeutete uns, mit ihm zu kommen. Alle fünf Piloten der Akuma-Gumi folgten ihm, während unsere Fairies im Hangar unter uns mithalfen, den Stab aufzubauen, die Ausrüstung der Hacking Crew zu koordinieren und die Biotanks zu vernetzen.

Fies? Wohl kaum. Sie hatten die entsprechende technische Ausbildung, während sich das Wissen meiner Piloten vor allem auf Waffensysteme und Strategie und Taktik konzentrierte.

Eine Ausrede? Ja, aber eine gute.

Wir betraten den Planungsraum, auf dem großen Tisch war bereits eine große Karte der Region aufgebaut, frisch von einem amerikanischen Satelliten aufgenommen und ausgedruckt, zudem bereits mit Koordinatennetz und wichtigen Namen versehen.

Findige Offiziere hatten die Geländedaten bereits analysiert und die vermuteten Mecha-Abwehrstellungen eingetragen, dazu einige der Oberflächengebäude markiert und klassifiziert und die vermuteten Zugänge in die Tiefe eingetragen.

Dieser Bereich war für uns interessant.

“Sie haben eine Alarmrotte aus acht Briareos”, begann Admiral Richards zu referieren. “Die bekommen aber kaum Übung, denn sie steigen nur sehr selten auf. Die Geheimhaltung wird auf der Insel groß geschrieben. Schwieriger wird da schon die Unterseeboot-Eskorte.

Die Inselverteidigung verfügt über vier Gilgamesch, die auf Unterwasserbetrieb umgerüstet wurden. Sie können uns gefährlich werden.

Dazu kommen konventionelle Stellungen, vor allem hier, hier und hier, bestehend aus 10er Raketenwerfern, Gatlings und Kanonen. Flak-Kaliber, aber wenn die Dinger mal treffen, dann rummst es. Wir vermuten die Zugänge zum unterirdischen Supercomputer hier, hier und hier. Wir rechnen mit sechzig Biotanks.”

Ich nickte schwer. “Es sind einhundert Tanks, aber ansonsten ist das doch eine brauchbare Analyse.” Ich sah in die Runde, zu den Offizieren und meinen Piloten. “Wir starten um drei nach zwei Uhr regionaler Zeit.”

“Nachtangriff?”

“Nachtangriff.”

“Hat dir schon mal gesagt, dass du ein fieser Kerl bist, Akira?”, murrte Kei. “Aber zum Glück bist du auf unserer Seite.”

***

Punkt drei nach zwei Uhr Ortszeit begann die Aktion. Wir befanden uns nördlich der Insel, fünfzig Kilometer entfernt. Die vier Hawks und der Eagle der Akuma-Gumi standen bereit, um sich von den Dampfkatapulten der ENTERPRISE raus schießen zu lassen.

Entgegen unserer üblichen Strategie hatten wir diesmal darauf verzichtet, unsere Fairies mitzunehmen. Ihre geheimnisvollen Aura-Kräfte sollten stattdessen den Träger beschützen und den Marines bei ihrem Vormarsch helfen. Hina und Ami waren für den Angriff mit der Kompanie Marines vorgesehen, Akane, Joan und Cecilia für die Verteidigung.

“Aoi Akuma, bereit zum Start!”

“Schießen Sie ein paar für uns mit ab, Colonel! Aoi Akuma go!”

Das Dampfkatapult begann zu arbeiten, warf mich regelrecht über das Flugdeck hinaus, wo ich die Beindüsen zündete und mich in den Himmel schwang.

“Kuroi Akuma, bereit zum Start.”

“Klar auf Katapult, Captain Honda. Viel Spaß beim spielen!”

Das Dampfkatapult nahm erneut seine Arbeit auf und schickte Daisuke aus. Er orientierte sich kurz und holte dann zu mir auf.

“Akai Akuma, heiß auf ein wenig Action!”

“Gute Jagd, Sir. Akai Akuma go!”

Der Hawk von Yuri wurde beschleunigt, zog beinahe sofort in den Himmel und schloss dann zu uns auf.

“Shiroi Akuma steht bereit.”

“Shiroi Akuma, go! Spielen Sie schön!”

Auch Kei gesellte sich schnell zu uns, allerdings nicht gerade spektakulär.

“Midori Akuma, klar zum Start.”

“Bringen Sie was Schönes mit. Midori Akuma, go!”

Es bedeutete für Philip keinerlei Probleme zu uns aufzuholen.

Gemeinsam gingen wir tiefer, zogen bis auf drei Meter zur Wasseroberfläche herab und steuerten auf die Insel zu.

Zweifellos war der Träger in nur fünfzig Kilometern Entfernung bemerkt worden. Zweifellos waren die umgebauten Gilgamesch im Einsatz. Und zweifellos würden wir diesmal bemerkt werden, selbst wenn wir nur drei Meter über der Wasseroberfläche blieben.

Aber das war auch gar nicht der Plan. Diesmal machten wir es mit der Holzhammer-Methode, während die ENTERPRISE die Transporthubschrauber der Akuma-Gumi und eigene Maschinen, begleitet von Killer Bee-Kampfhubschraubern, bereit machte, um uns zu folgen, sobald das Go-Signal erfolgte.

Aber die Kronosier würden nicht sofort reagieren. Sie würden abwarten, denn immerhin war nicht sicher, dass wir wirklich auf ihre geheimste Basis zuhielten. Es konnte auch ein zufälliger Patrouillenkurs sein, wenngleich die geringe Höhe verdächtig war.

Und die Mischung aus vier Hawks und einem Eagle musste eigentlich jedem anständigen Offizier Magengrimmen bereiten.

Es war ein kleines Spiel mit dem Feuer, aber unsere Leben waren schon lange weit davon entfernt, langweilig zu sein.

Dreißig Kilometer. Dann zwanzig. Zehn.

“Sir, ich orte Raketenabschüsse auf der Zielinsel.”

Die künstlichen Intelligenzen der anderen Mechas bestätigten.

“Okay, wilde Horde, hergehört. Wir fächern aus, Yuri und Philip fallen zurück. Yuri, du gibst uns Rückendeckung. Und Philip, du achtest darauf, dass die umgebauten Gilgamesch nicht zu nahe an unsere Artillerie rankommen, okay?”

“Verstanden.” “Roger.”

“Der Rest folgt mir. Übrigens, wie geht es Yoshi?”

“Dem geht es gut. Noch. Er sieht zwar aus als würde er gleich kotzen, aber es war seine Idee, sein Mönchsgewand abzulegen und auf meinen Bordschützensitz zu klettern.” Yuri klang spöttisch. “Die Wetten wann er kotzt deuten auf fünf Minuten nach Feindkontakt hin.”

“Hauptsache er schießt weiter, obwohl er kotzt”, konterte ich. Mit Neuen sprangen meine Freunde stets sehr harsch um. Aber wer sich bewährte, der hatte eine Truppe gefunden, die vorbehaltlos zusammen hielt.

“Raketen in vier Kilometer, näher kommend. Drei Kilometer… Zwei… Eins… Achthundert Meter… Sechshundert…”

“Abwehrmaßnahmen!” Ich rollte meinen Mecha um die eigene Achse, während die Raketenabwehrkanone stotternd zu feuern begann. Die Künstlichen Intelligenzen unserer Hawks hatten sich untereinander abgestimmt und die über siebzig Impulse hereinkommender Raketen aufgeteilt. Auf mich entfielen siebzehn, die ich bequem treffen konnte.

Wir begannen die Raketen zu vernichten, deckten aber längst nicht alle Anflugvektoren ab.

“Yuri, jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für etwas Hilfe.”

“Brauchst du mir nicht zweimal zu sagen”, brummte der Eagle-Pilot.

Die Glattrohrkanonen seines Mechas donnerten auf, als Ergebnis explodierten weitere Raketen.

“Wow. War das schon Yoshi oder warst du das noch?”

“Das war Yoshi. Ich glaube, er gibt einen ziemlich guten Bordschützen ab. Darf ich ihn behalten?”

“Nur wenn du seinen Käfig sauber hältst, junger Mann.”

“D-das habe ich gehört”, rief Yoshi dazwischen und übertönte damit unser Gelächter. Ob ihm bewusst war, dass er schneller als jeder andere vor ihm von der Akuma-Gumi akzeptiert worden war? Wohl eher nicht.

Die letzten sieben Raketen passierten uns, versuchten einzudrehen und wurden dabei von Philip und Yoshi zerstört.

“Rakete!”, blaffte Primus auf, versuchte den Mecha mit Überrang nach links zu bewegen. Ich unterband diese Bewegung instinktiv, hob das Herkules-Schwert von Megumi und schlug zu. Die Rakete wurde zwei Meter vor der Brust meines Mechas zerteilt, der Sprengkopf huschte harmlos an mir vorbei, während der Tank des Antriebs explodierte und mich in eine Rauchwolke hüllte.

“Verdammt, wo kam die denn her?”, blaffte Kei aufgeregt.

Ich drückte meinen Hawk tiefer, ließ ihn über das Wasser schießen und reduzierte die Geschwindigkeit. “Gilgamesch im Spiel, meine Herren. Steigt höher, das gibt euch mehr Zeit für die Abwehr!”

Gehorsam zogen die vier Hawks und der Eagle höher.

Spätestens jetzt würde auf der Basis Großalarm herrschen. Schlimmer noch, sie würden nach Verstärkungen rufen.

Ich drückte meine Maschine tiefer, ging unter Wasser, nachdem ich langsam genug geworden war, damit die Wasseroberfläche nicht länger wie eine Betonwand auf mich wirkte.

Der Mecha sank ein, drehte sich mehrfach um die eigene Achse und lieferte mir erste Ortungen.

“HAB DICH!”, blaffte ich, trat die Pedale der Düsen durch und schoss Richtung Insel davon. Das Herkules-Schwert in meiner Hand machte kurzen Prozess mit einer weiteren Rakete, dann war ich schon heran und ließ die Klinge einmal quer über den Rumpf fahren. Dann schnappte ich nach einem Arm des Gilgamesch, zerrte ihn hinter mir her aus dem Wasser und warf die sterbende Maschine so hoch ich konnte.

Der Fusionsreaktor verging gut zwanzig Meter über der Wasseroberfläche.

“Akira! Was sollte denn dieser unnötige Stunt?”, blaffte Kei wütend.

“Genau, überlasse solche Sachen Philip und Kei”, fügte Daisuke hinzu.

“Das ist nicht der Punkt! Akira, wenn das Ding neben dir hoch gegangen wäre, hätte dich nicht mal dein verdammtes Glück gerettet!”

“Reg dich ab. Ich wollte nur was für die Fische tun.”

“F-für die Fische?”

“Es ist erwiesen, dass Explosionen unter Wasser sehr viel stärker sind als an der Oberfläche. Kennst du Dynamit-Fischen? Eine Explosion unter Wasser lässt die Luftblasen der Fische platzen. Sie ersticken und driften nach oben. Das Problem dabei ist aber nur, dass auch der Laich zerstört wird. Ich meine, das ist wie ein kleiner Fisch-Genozid!”

“Na toll, mach dir nur Sorgen um die Fischpopulation in diesen Gewässern”, blaffte Kei.

“Hey, ich werde dich dran erinnern, wenn du wieder mal Sushi essen willst”, blaffte ich zurück.

“Aktive Ortung, Sir. Wir wurden erfasst.”

“Akuma-Gumi, auseinander. Sie haben uns.”

Gehorsam, ohne ein weiteres Wort drifteten die anderen beiden Hawks von mir fort.

Kurz darauf erwachte die Insel zu gespenstischem Leben. Dutzende Stellen begannen Licht zu spucken, genauer gesagt Granatwerfer mit Leuchtspurgeschossen nahmen ihre Arbeit auf und versuchten uns zu treffen. Es sah aus, als versuchten gierige Finger aus Licht nach uns zu greifen.

Ich warf den Mecha in ein Ausweichmanöver und markierte die verschiedenen Stellungen, die sich selbst verraten hatten. “Yuri, Arbeit.”

“Aye.”

Der Eagle begann seine tödliche Arbeit, die beiden Raketenwerfer in den Zwillingsarmen nahmen Ziel und feuerten. Zugleich donnerten die Glattrohrkanonen auf. Kurz darauf schwiegen vier der Stellungen, danach acht.

“Zwei Kilometer.”

Mein Hawk erbebte unter den Einschlägen der gegnerischen Flak. Wüst fluchend brachte ich ihn aus der Gefahrenzone und feuerte meinerseits eine Raketensalve.

“Scheiße, dass man Leuchtspur, die auf einen zukommt, nicht sehen kann!”

“Blödmann”, tadelte Yuri. “Selbst wenn du sie sehen könntest, würde es dir nichts nützen. Denn wenn du sie siehst, sind die Granaten längst bei dir angekommen. Und hör auf zu meckern. Yoshi hat die Stellung schon für dich ausgeschaltet.”

“Also habe ich Raketen verschwendet? Toll.”

“Yuri, brich weg! Gilgamesch unter dir!”

“Puh, danke, Kumpel. Hast du ihn?”

“Ja, kein Problem. Akira, schade um deinen Fischlaich, aber ich musste ihn leider unter Wasser explodieren lassen.”

“Kein Sushi für dich, Mister!”, scherzte ich.

“Wieso? Es dürften doch jetzt ein paar Tonnen an der Oberfläche treiben.”

“Ein Kilometer. Achthundert Meter… Feindliche Mechas starten. Orte vier Briareos.”

“Dann gibt es eben kein Sushi in Zukunft für dich. Man kann nicht das Saatgetreide fressen und trotzdem auf fette Ernte hoffen. Aoi Akuma, ich gehe rein!”

“Landwirtssymbolik, so was verstehe ich. Ich rücke mit Yuri langsam nach. Startfreigabe für die Hubschrauber?”

“Erwischt erst mal die letzten zwei Gilgamesch.”

Ich erreichte den Strand etwa zum gleichen Zeitpunkt, als die Kronosier die anderen vier Briareos in die Luft brachten. Zwei von der ersten Welle empfingen mich über dem Strand mit einem Bombardement aus Raketen.

Ich lächelte dünn, warf meinen Hawk herum, drückte ihn tiefer und schoss direkt über der Brandung auf die beiden Daishis zu.

Einer reagierte, riss schützend seinen Arm hoch.

“ZU LANGSAM!”, brüllte ich und zog die Herkules-Klinge durch den massiven Leib des Mechas. Ich passierte den sterbenden Mecha, drehte mich auf den Rücken und feuerte eine volle Salve Raketen auf den zweiten Briareos ab.

“Was denn, was denn, nur ein Mecha gegen mich? Irgendwie enttäuscht mich das”, rief Kei gelangweilt. “Alle erkannten Bodenstellungen ausgeschaltet.”

“Tröste dich, es kommen ja noch vier zum spielen. Akira darf nur nicht zu schnell mit seinem zweiten Daishi fertig werden, dann bleibt auch was für uns. Autsch, da habe ich was gesagt. Das Ding ist hochgegangen, nur von einer Raketensalve?”

“Ich muss den Reaktor erwischt haben”, kommentierte ich grimmig, trat die Pedale der Sprungdüsen voll durch und wechselte meine Position. Mehrere Raketen schlugen im Dschungelboden ein. Hätte ich meine Position nicht gewechselt, hätte ich mit ihnen nähere Bekanntschaft geschlossen.

“Und wieder gehen zwei zugleich auf Akira los. Ungerechte Bande. Wir wollen auch unseren Spaß haben”, murrte Daisuke. “Übrigens, alle Abwehrstellungen in meinem Sektor sind zerstört.”

“Bei mir auch. Philip, was machen die zwei überlebenden Gilgamesch?”

“Der eine überlebende Gilgamesch. Ich denke, gerade gegen Oberflächenschiffe sind sie ‘ne tolle Waffe. Aber gegen Hawks sind es nur dahin treibende Enten. Vom Letzten habe ich schon den Schwanz gesehen. Entweder flieht er oder ich habe ihn gleich.”

“Gut, bleib dran. Und ruf die Helis ran.”

“Verstanden.”

“Yuri, hat dein Bordschütze schon gekotzt?”
“Nein, habe ich nicht, Akira! Und ich habe es auch nicht vor!”

“Da hörst du es. Die Glatze hält sich tapfer.”

“Nenne mich nicht Glatze! Ich lasse ja schon wachsen, aber als buddhistischer Mönch konnte ich kaum mit Moscher-Matte rumlaufen!”

“Ich merke schon, Ihr zwei versteht euch großartig.”

Ich zerrte den Hawk gewaltsam hoch, ließ ihn in der Luft verharren. Das machte die Daishi-Piloten natürlich misstrauisch, aber sie kamen langsam näher.
Ich hob die Herkules-Klinge für einen Miginagi an. Die beiden Mechas verfügten über Raketen, Gatlings und panzerbrechende Dolchklingen. Mit Befriedigung sah ich, dass beide Piloten meine Einladung annahmen und die Dolche zückten.

Dann vergingen beide Maschinen in einem Wust aus Explosionen.

“Ihr seid zu langsam!”, tadelte ich meine Freunde.

Daisuke kam von rechts heran geschossen, Kei von links.

“Sorry, aber wir sind nun mal nicht so schnell mit zwei Gegnern fertig wie du. Aber danke, dass du uns die zwei auf dem Silbertablett serviert hast, Kumpel.”

“Gern geschehen. Ich suche jetzt die Kommunikation mit dem Träger. Räumt Ihr weiter auf und öffnet den Weg in den Hangar.”

“Roger.”

Langsam ließ ich den Hawk auf fünfzig Meter ansteigen. “Aoi Akuma hier, Bericht.”

“Einsatztruppe ist raus, geplante Ankunftszeit ist sieben Minuten. Hacker-Gruppe hat mit Hilfe des Supercomputers der Akuma-Gumi mit der Infiltration der Basis begonnen. Bei uns ist alles ruhig, keine Schiffe, keine Mechas in Reichweite.”

“Gut zu hören, ENTERPRISE. Seid trotzdem vorsichtig. Wir haben den letzten Gilgamesch noch nicht gefunden. Wenn er mies drauf ist, könnte er versuchen, sich euren Träger vorzunehmen.”

“Verstanden.”

Ich sank wieder tiefer, orientierte mich, aber es gab nicht wirklich etwas zu tun. Primus tastete permanent nach Hitzequellen, die auf weitere versteckte Geschütze hinwiesen, was unter den Hubschraubern nur vermeidbare Verluste bedeutet hätte, während Philip und Yuri nun ebenfalls die Insel erreichten.

Ich ließ meinen Hawk auf den Vulkangipfel deuten.

Der Eagle führte einen spöttischen Salut aus. “Verstanden. Beziehe neue Stellung auf dem Berg.”

“Philip. Du kommst mit mir.”

“Endlich mehr Action.”

“Was denn? Hattest du nicht genug davon im Wasser?”

“Ich kann nie genug Action bekommen, Akira.”

“Dann heirate gefälligst”, spottete ich und zog den Hawk zu Daisuke und Kei herüber, die gerade dabei waren, den Eingang in die Tiefe zu öffnen.

“AKIRA!”

Erschrocken sah ich auf. Dieser markerschütternde Schrei, er…

“AKIRA! IHR MÜSST SOFORT REINGEHEN!”

“Joan? Was ist passiert? Die Infanterie ist noch nicht da und…”

“DIE KRONOSIER SCHIEßEN AUF DIE TANKS!”

Mit einem lauten Fluch, der diverse Verbindungen zwischen kronosischen Söldnern und Plankton herstellte, setzte ich meinen Hawk hart auf einer provisorischen Piste vor dem Zugang auf. “Daisuke, Philip! Ihr kommt mit mir! Kei, mach bitte mal die Tür auf!”

Ich entsiegelte das Cockpit, griff nach der uralten Luger, ein paar Ersatzmagazinen und einer wirklich handlichen Schrotflinte. Dann sprang ich herab.

Vor mir, gut zwanzig Meter entfernt, trat Keis Hawk das große Tor ein. Dahinter lag ein Hangar, der tiefer in den Berg führte.

Daisuke kam geduckt zu mir gerannt, Philip ließ nicht lange auf sich warten.

“Der Plan, Chef?”

“Ganz schnell ganz tief rein. Tötet alles, was sich bewegt. Und was sich nicht bewegt, sicherheitshalber auch!”

“Hey, Munitionsverschwendung!”

“Willst du gerne einhundert Leichen in ihren Biotanks abtransportieren, Kei?”

Der kleine Mann fluchte herzlich. “Nein!”

Ich nickte zufrieden. “Lasst euch nicht töten! Wenn einer aufgehalten wird, laufen die anderen weiter! Der Schutz der Tanks hat absolute Priorität!”

“Akira, warte!”

Wir sahen auf. In diesem Moment rutschte Yoshi in einer Wolke aus Geröll und Staub die Bergflanke herab. Er kam auf der ebenen Fläche auf, stolperte und wurde erst von Philip gestoppt. “Ich…”, japste er, “komme mit.”

“Und mit was willst du kämpfen? Buddhas Wort?”

Wortlos hielt der junge Mann, der vor einer Woche noch ein Mönch gewesen war, einen Bogen hoch, dazu einen Köcher mit Pfeilen. An seiner Hüfte hing zudem ein Katana, ein traditionelles japanisches Schwert.

Philip seufzte. “Was soll´s. Auf dem Bordschützensitz warst du ja auch schon eine Überraschung.”

***

In Dantes göttlicher Komödie, genauer gesagt, im Teil der Geschichte, die sich Inferno nennt, wird die Hölle beschrieben. Sie besteht aus neun Kreisen, und jeder Kreis ist bestimmten Sünden zugeordnet. Je schlimmer die Sünde, desto näher ist der Kreis dem Zentrum.

Aber am Eingang, über dem Portal zur Hölle soll stehen: “Ihr, die Ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnungen fahren.”

Nun, im Moment fühlte ich mich der Hölle näher als je zuvor. Nicht nur, dass wir das Gewehrfeuer und die platzenden Biotanks hören konnten, wir wurden selbst unter schweres Feuer genommen.

Es gab nichts Schlimmeres als zur Hilflosigkeit verdammt zu sein.

Wütend tauchte ich für einen Augenblick aus meiner Deckung auf, kassierte zwei Treffer auf der Brust meines kugelsicheren Druckanzugs und feuerte meinerseits die Luger zweimal ab.

“Wieder zwei weniger.”

Eine Eierhandgranate landete direkt neben mir, ohne nachzudenken warf ich sie wieder über die Deckung. Kurz darauf detonierte sie.

“Guter Reflex, Akira”, lobte Philip.

Ich winkte ab. “Halb so wild. Wenn wir nur weiterkommen würden. Was ist mit Yoshi los?”

Ja, was war mit Yoshi? Er saß hinter seiner Deckung, den Bogen auf dem Schoß, die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. So sah niemand aus, der sich vor Angst versteckte. Allerdings auch niemand, der an einem Kampf teilnahm.

Plötzlich sprang der ehemalige Mönch auf, riss den Bogen hoch, zog fünf Pfeile aus dem Köcher und lugte über die Deckung. Er schoss die fünf Pfeile so schnell ab, dass ich dem Vorgang kaum mit den Augen folgen konnte. Danach tauchte er wieder in der Deckung unter und das Abwehrfeuer auf seiner Seite erstarb.


Ich reagierte sofort, kam hoch und hechtete über die Metallkisten, die mir Deckung gegeben hatten. Ich feuerte die Luger leer, um die Gegner auf der rechten Seite unten zu halten, stolperte, erreichte aber dann die linke Flanke des Gegners. Ich schoss über die provisorische Barrikade und erstarrte für einen winzigen Moment. Fünf Mann. Drei tot, zwei schwer verletzt. Getroffen von Yoshis Pfeilen.

“Wir sollten ihn besser nicht mehr necken”, murmelte ich mehr zu mir selbst, wechselte schnell das Magazin der Luger und versuchte die andere Flanke allein aufzurollen.

Philip feuerte seine MP auf die Deckung, Daisuke lief ebenfalls zu mir herüber.

Wieder feuerte ich die Luger ab, versuchte die Abwehrstellung in der Flanke zu fassen. Ich erwischte wohl auch einen, aber das Abwehrfeuer der anderen zwang mich wieder in Deckung. “Mist! Diese Bastarde sind vor dem Eingang!”

“DUCKT EUCH!”, erklang Keis Stimme über Funk und instinktiv machte ich mich so klein wie möglich. Vom Eingang des Hangars huschten zwei Raketen herüber, schlugen in der Deckung unserer Gegner ein und machten daraus Kleinholz.

Noch bevor sich der Rauch gelegt hatte, schoss ich wieder vor, tiefer in den Gang hinein.

“AKIRA!”

Durch den Rauch kam etwas auf mich zugeflogen. Ich griff instinktiv danach. Es war das Katana, dass Yoshi bei sich getragen hatte.

Ich zog die Klinge mit der Linken blank und stürzte mich tiefer in den Gang.

Daisuke holte zu mir auf, Philip und Yoshi kamen nach.

Wir kamen an den ersten Biotanks vorbei, zehn an der Zahl. Sie waren zerschossen und die Insassen, Männer wie Frauen, teilweise schwer verletzt worden. Ohne ärztliche Hilfe würden sie sterben. “Verdammt, Yuri, die Helis sollen sich beeilen!”

“Geplante Ankunftszeit eine Minute. Ich lotse sie direkt bis zum Tor.”

Ich zerbiss einen ungerechten Fluch zwischen den Lippen, eilte weiter. Weiter, dem Lärm berstenden Glases nach, dem Geräusch ausfließenden Wassers, den ängstlichen Schreien.

Zum Glück waren die Biotanks sehr robust, das bedeutete, dass die Kronosier einiges an Zeit brauchten um sich durch so einen Schutz zu nagen. Zeitverlust bedeutete für uns Zeitgewinn.

Als ich in den nächsten Gang rannte, wurde ich sofort wieder zurückgeworfen. Meine Brust schmerzte höllisch und ich dankte dem Erfinder des Druckanzugs, der die Dinger kugelfest entworfen hatte.

“Weiter”, hauchte ich meinen Freunden zu. “Weiter…”

Daisuke ließ sich das nicht zweimal sagen. Seine Walter PPK bellte mehrfach auf, auch die Schrotflinte, die ich ihm überlassen hatte, röhrte und beendete das Leben eines kronosischen Söldners.

Yoshi stand im Eingang, halb verborgen und feuerte Pfeil auf Pfeil in die kleine Halle.

Von den zehn Biotanks waren bereits drei zerschossen worden. Die Insassen waren mit Kopfschüssen hingerichtet worden. Ich spürte kalte Wut in mir aufsteigen. Genau diese Art von Politik, diese Art von Willkür und Machtmissbrauch hatte mich zum Feind der Kronosier gemacht!

Mühsam kam ich hoch, fasste Katana und Luger fester.

Und erschrak fürchterlich als ich den Insassen des Tanks erkannte, auf den die Söldner gerade feuerten. Ich hatte das Mädchen nie zuvor gesehen, aber sie war dem Avatar von neulich erschreckend ähnlich. Hatte ich sie also gefunden: Sarah Anderson.

Daisuke war das wie und wer egal. Wütend brüllend stürzte er sich auf die drei Kronosier, die sich durch den Tank schossen. Wieder bellte seine Schrotflinte auf, danach die Walther. Den dritten rannte er um, nagelte ihn an die nächste Wand, setzte die Pistole auf und feuerte das Magazin leer.

Gut, er hatte Sarah gerettet. Er hatte… Nein, da stimmte noch was nicht.

Philip wurde neben mir zu Boden gerissen. Ein dünner Faden Blut lief aus seinem Mund und er wand sich unter Schmerzen. Verdammt, auch wenn die Anzüge kugelsicher waren, so brauchte es doch nur genügend Treffer, um den Träger dennoch zu verletzen.

Ich kam hoch, hob das Katana und ging zu den Tanks. Die leer geschossene Luger ließ ich fahren.

Es dauerte einige Zeit, bis ich Sarahs Tank erreicht hatte. Daisuke stand mit schreckgeweiteten Augen davor, hämmerte seinerseits auf das Glas ein.

Dann sah ich was mich gestört und meinen alten Freund in Entsetzen versetzt hatte. Das Wasser rund um ihren Kopf schlug Blasen. Es schien fast zu kochen.

Verdammt, die Tanks zu zerschießen war vor allem eine Show für uns gewesen! Die Kronosier hatten noch eine Möglichkeit die Insassen der Tanks zu töten! Einfach die Anschlüsse überladen!

Wütend riss ich mein Katana hoch, schlug damit gegen den Tank – und fiel, vom eigenen Schwung getragen, zu Boden. Eine Woge an Flüssigkeit schlug über mir zusammen, an der ich mich verschluckte.

Über mir gab es einen lauten Knall, als der Biotank zerbarst. Weiteres Wasser quoll hervor und Daisuke sprang an mir vorbei.
Ich drehte mich auf den Rücken, hustend und Wasser spuckend und sah dabei zu, wie Daisuke Sarah auffing, bevor sie aus dem Tank stürzen konnte. Hastig entfernte er die Anschlüsse an ihrem Schädel, und wirklich, ich konnte sehen, wie er sich dabei die Finger verbrannte.

Dann stürzte sie vollends in seine Arme.

Ich stemmte mich mühsam hoch, griff wieder nach dem Katana. “Wir sind noch nicht fertig”, sagte ich mit rauer Stimme. “Noch nicht fertig…”

“Sie braucht einen Arzt! Verdammt, Akira, sie braucht einen Arzt!” Daisuke sah mich mit dem verzweifeltsten Blick an, den ich je an ihm gesehen hatte.

Die junge Frau öffnete die Augen, blinzelte und sah erst Daisuke, dann mich an. Sie schloss die Augen wieder und seufzte schwer. “Wie schön. Die Akuma-Gumi ist da… Jetzt wird alles gut…”

“Ja”, schluchzte Daisuke und strich über ihr Haar. “Jetzt wird alles gut. Versprochen!”

“Damit du das auch halten kannst”, rief Hina vom Eingang her, “habe ich hier ein paar Ärzte mitgebracht! Kannst du sie also loslassen?”

Daisuke wirbelte herum, ich sah erschrocken zur Tür.

Tatsächlich. Hina stand dort in ihrem Outfit, das sie Aura-Rüstung nannte. Mir war der blaue Rock etwas zu kurz, aber ich hatte bereits gesehen, wie diese Kleidung Kugeln abgewehrt hatte. Hinter ihr drängten Ärzte der Amis und der Akuma-Gumi herein, im Laufgang arbeiteten sich die Marines voran.

Seufzend ließ ich mich wieder auf den Rücken sinken. “Scheiße, scheiße, scheiße.”

Die Ärzte übernahmen die Behandlung von Sarah Anderson und gaben eine erste, sehr positive Prognose ab. Und ich lag hier, im bernsteinfarbenen Wasser ihres Tanks und konnte kaum einen Finger rühren.

Daisuke ließ sich neben mir nieder. “Wie hast du das geschafft, Akira?”

“Wie habe ich was geschafft?”

“Na, die Kronosier mussten sich durch jeden Tank durchschießen. Aber du nimmst das Katana und zerschlägst ihn einfach.”

“Weiß nicht. Er war vielleicht schon angeschlagen.”

“Das wäre eine Möglichkeit. Oder entwickelst du auch langsam Aura-Fähigkeiten?”

Ich lachte über diesen Scherz. Wenn es denn einer gewesen war.

“Aoi Akuma hier. Bericht.”

“Ooookay, hier kommt der Zwischenbericht von halb drei”, klang Yuris fröhliche Stimme auf. “Die Fushida Hacking Crew hat die Basis sehr erfolgreich vom Rest des planetaren Netzwerks isoliert und unseren eigenen Supercomputer zwischengeschaltet. Wir simulieren normale Aktivität. Das wird noch für zwei Stunden gut gehen. Es gingen diverse Alarmmeldungen über Normalfunk raus, dementsprechend kamen schon Nachfragen über das Computernetz. Wir konnten sie täuschen.

Zugleich haben die Marines bereits über die Hälfte der Basis erobert. An Tanks haben wir siebzig gesichert. Bisher mussten wir sieben tote Insassen beklagen. Weitere neun müssen behandelt oder sogar notoperiert werden. Wir fliegen sie so schnell wie möglich aus.”

“Ist gut. Schiffsaktivitäten?”
“Bisher nicht. Kein Schiff der Kronosier in Ortungsreichweite. Das heißt aber nicht, dass wir hier nicht eventuell ganz schnell verschwinden müssen.”

“Verstanden. Was macht der letzte Gilgamesch?”

“Ist uns bisher immer noch durch die Lappen gegangen. Ich habe Admiral Richards empfohlen, seine Unterseebootabwehr loszujagen.”

“Gut. Philip hat es erwischt, ich weiß nicht wie schwer. Daisuke und Yoshi geht es gut, aber sie sind erschöpft. Wie sieht es bei euch aus?”

“Kei schiebt Langeweile, aber sonst geht es ihm gut. Mir auch. Was ist mit Philip?”

“Hat ein paar Kugeln zuviel auf die Brust gekriegt.”

“Verstehe.”

“So, wir helfen hier drin noch etwas aus, dann sollten wir ernsthaft an die Evakuierung denken. Ich melde mich wenn es soweit ist.”


Langsam richtete ich mich auf und kam wieder auf die Beine. “Dai-chan, kommst du?”

Der Freund ergriff meine Rechte und zog sich daran hoch. “Du hast mich schon eine kleine Ewigkeit nicht mehr Dai-chan genannt, weißt du das?”

“Das liegt an diesen dämlichen Haaren. Ich habe immer gedacht, mit der Gift hast du dich verändert.”

“Ach.”

Ich zuckte mit den Achseln. “Du hast dich verändert. Soweit hatte ich Recht. Aber du bist immer noch mein guter Freund Dai-chan. Und seien wir doch mal ehrlich, die Haarfarbe kommt bei den Frauen gut an, oder?”

Daisuke bekam einen heftigen Hustenanfall. “M-musst du immer so einen Blödsinn reden, Akira?”

Ich grinste breit.

An der Tür lehnte Philip. Man hatte ihm den Druckanzug bis zur Hüfte herunter gezogen und ein Sanitäter legte ihm einen strammen Verband an.

“Scheiße. Drei Rippen gebrochen. Und weh tut es auch noch.” Er biss heftig die Zähne zusammen, als ihn eine kräftige Schmerzwelle erfasste.

“Stell dich nicht so an. Lieber arm dran als Arm ab.”

“Akira, irgendwann schreibe ich all deine Kalauer in ein dickes, fettes Buch. Autsch.”

“Oh, welche Ehre.”

“Und dann ziehe ich es dir über den Kopf.”

“Der Wälzer dürfte über tausend Seiten haben”, kommentierte Daisuke. “Junge, das wäre Mord.”

Die beiden grinsten sich an.

“Idioten”, murrte ich und machte mich auf die Suche nach Yoshi, der mit den Marines weiter vorgerückt war.

4.

Mein Blick ging über das Flugdeck der ENTERPRISE. Nach der Evakuierung war ein schneller Aufbruch erfolgt. Eine Fregatte der Kronosier hatte sich für uns interessiert, herbei gelockt vom letzten Gilgamesch. Aber unsere Raketenkreuzer hatten sie überredet, außer Reichweite zu bleiben.

Nun standen wir hier zwei Tage nach dem Geschehen gemeinsam auf dem hohen Startdeck der ENTERPRISE, vor uns die siebzig Toten, aufgebahrt und mit ihren Fahnen bedeckt. Bei einigen hatten wir nichts zuordnen können, viele Tote aus den Tanks blieben für uns Namen- und Nationalitätslos. Wir hatten sie mit der Fahne der Vereinten Nationen abgedeckt und würden sie auch an eine humanitäre Organisation weiter leiten. Vielleicht fanden diese ihre Identitäten heraus. Vielleicht wurden sie anonym begraben.

Die toten Kronosier würden über diesen Umweg ebenfalls zurückgegeben werden, zusammen mit den wenigen überlebenden Soldaten des Stützpunkts. Ich hätte nichts dagegen gehabt, ihnen wegen mehrfachen Mordes den Prozess zu machen, aber es war hauptsächlich Fußvolk, das mit der Ausrede davon kam, nur Befehle ausgeführt zu haben.

Sie nahmen nicht an dieser Trauerfeier teil. Wohl aber jene Menschen aus den Biotanks, die bereits wieder stark genug waren, um den Strapazen an Deck gewachsen zu sein.

Sarah Anderson war dabei, in einem Rollstuhl, der von Daisuke geschoben wurde. Die Fushida Hacking Crew eskortierte sie. Ob so viel Sonnenlicht für diese lichtscheuen Gestalten gut war?

Daneben standen die Abordnungen der Marines und der Navy. Auch sie hatten Verluste gehabt, aber Admiral Richards hatte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Navy und die Marines ihre eigenen Rituale für die Toten hatten und eine eigene Feier veranstalten würden.

Meine Akuma-Gumi war natürlich auch da, wenngleich sich Philip auf eine Krücke stützte und nicht wirklich glücklich wirkte, wenn er einatmete.

“Wir wissen nicht, welcher Religion die einzelnen Toten angehört haben”, sagte ich ernst, “und wir kennen ihre Rituale nicht. Aber Tatsache ist, dass hier siebzig Tote vor mir liegen. Kronosier, Söldner und Menschen aus den Biotanks.” Ich blickte auf die Särge hinab.

“Im Tod sind wir alle gleich. Wir werden geboren. Wir leben unsere Leben und mit dem Tod enden sie. Das erwartet jeden von uns. Und jeder einzelne von uns ist selbst dafür verantwortlich, wie er die Zeitspanne dazwischen füllt.

Es ist egal, wem diese Menschen gehorcht haben. Es ist egal, welche Leben sie gelebt haben. Es ist egal, woher sie kamen und wohin sie wollten.

Ihre Leben sind beendet, nichts und niemand bringt sie aus dem Tod zurück.

Und im Tod ist alles eins. Reue, Sühne, Vergebung und Liebe.

Wir sollten nicht bereuen, dass sie gelebt haben, nicht für Sühne streben dafür wie sie gelebt haben. Sie verdienen Vergebung, nun, da sie ihr Wichtigstes, ihr Leben verloren haben. Und egal, ob es Menschen oder Kronosier waren, Täter oder Opfer. Im Tode sind sie alle eins und verdienen ebenso unsere Liebe wie jene, die noch leben.”

Ich sah wieder die angetretenen Menschen an. “Ich würde Sie alle gerne dazu auffordern mit mir für die Seelen der Toten zu beten, aber es gibt Dutzende Religionen und hunderte Möglichkeiten zu tausenden Göttern zu beten.

Stattdessen bitte ich Sie alle nur, in der Vergebung für die Toten das Haupt zu senken und eine Minute zu schweigen.”

Ich senkte den Blick, faltete die Hände vor dem Körper und schwieg. Meine Gedanken setzten aus, mein Geist flackerte wieder von Bildern der Schlacht, zählte langsam die Zahl meiner Opfer herunter und fügten sie meiner bereits reichlichen Bilanz hinzu.

Als die Schweigeminute vorüber war, sah ich auf. “Petty Officer, bitte.”

Der Marine seitlich von mir salutierte vor mir, wandte sich seinem Kommando zu und ließ die zehn Mann in den schwarzen Ausgehuniformen dreimal Salut schießen.

Bei jedem Schuss zuckte ich zusammen. Dreißig Kugeln. Ja, das war ungefähr die Zahl der Toten, die ich meiner Abschussliste hinzufügen musste.

Verdammt, langsam aber sicher wurde ich noch wahnsinnig mit diesem Job.

***

Nachdem sich die Versammlung aufgelöst hatte, wurden die Särge verladen. Hubschrauber würden sie nach Hawaii ausfliegen und dort Internationalen Hilfsorganisationen übergeben.

Für uns bedeutete dies auch den Aufbruch, die Ausrüstung war verladen, die Transporthubschrauber warteten bereits.

Und unsere Zahl war erheblich angewachsen. Denn bis auf vierzig Überlebende, hauptsächlich Amerikaner oder Europäer, die endlich nach Hause wollten, hatten sich die anderen Opfer aus den Biotanks dazu entschlossen, sich uns anzuschließen.

Ebenso die Hacking Crew, was mich sehr verwundert hatte. Aber wie Sarah so schön sagte, sie standen nun in unserer Schuld.

“Sir, haben Sie eine Sekunde für mich?”

Überrascht wandte ich mich um. Die Stimme kannte ich. Und ich hatte sie nicht in bester Erinnerung. “Commander Sykes. Gerne doch. Was kann ich für Sie tun?”

Der Lieutenant Commander schluckte hart. “Colonel, ich wollte mich entschuldigen für das was ich gesagt habe, als Sie an Bord kamen. Ich hatte die letzten Tage ausgiebig Zeit, die Gefechtsaufzeichnungen auszuwerten und ich habe gesehen, was Sie mit einem Hawk machen können. Ich bin wirklich sehr beeindruckt, Sir, und ich sehe ein, dass Ihr Ruf noch weit untertrieben ist. Bitte, nehmen Sie meine Entschuldigung an, von Offizier zu Offizier.”

Unschlüssig beäugte ich den Navy-Offizier. Er war nervös und wirkte auch ein wenig verzweifelt. Hatte Richards ihn zur Minna gemacht und losgeschickt? Nein, das glaubte ich nicht.

Ich begann zu lächeln und reichte dem Offizier die Rechte. “Entschuldigung angenommen, Commander Sykes.”

Mit einem erleichterten Aufatmen ergriff er die dargebotene Hand und schüttelte sie mit festem, kräftigem und vor allem trockenem Händedruck.

“Wir werden wohl nie Freunde werden, Colonel”, sagte er ernst und spielte damit auf die Tatsache an, dass die Akuma-Gumi auch schon gegen Truppen der USA gekämpft hatte, “aber wir können einander respektieren. Sie haben sich meinen Respekt schon verdient. Nun will ich alles tun, damit ich respektiert werde: Von Aoi Akuma.”

“Sie sind auf einem guten Weg, Commander”, erwiderte ich.

Rezension von Uwe Lammers

Die Küsten der Vergangenheit

(OT: Ancient Shores)

Von Jack McDevitt

Bastei 24235

448 Seiten, TB

Übersetzt von Axel Merz

ISBN 3-404-24235-1

Eigentlich will Tom Lasker, Farmer in Fort Moxie, North Dakota, nur ein System zur Wasserbeförderung vom Brunnen in seinem bis dahin ungenutzten Acker graben. Keineswegs denkt er daran, als er dicht unter der Oberfläche auf eine dreieckige Form aus Metall stößt, dass seine Entdeckung sehr bald an die Schwelle eines Krieges führen wird. Woher soll er das auch ahnen?

Hätte er auf seine Frau gehört, dann hätte er auch nicht versucht, das „Ding“ auszugraben, sondern die sich unter dem dreieckigen „Wimpel“ anschließende Stange abgeschnitten und vergessen. Aber er ist ein neugieriger Mann. Und so kommt es, dass er weitergräbt. Er und sein Sohn. Und bald noch weitaus mehr Personen. Bis sie in über dreißig Fuß Tiefe vorgedrungen sind und schließlich das ans Tageslicht befördern, was hier unten liegt, augenscheinlich schon eine ganze Weile: es ist eine Segelyacht, völlig intakt, bizarrerweise offenbar aus einem Stück, scheinbar ohne Motor und aus einem seltsamen Material, das bald für Furore sorgt.

Dr. April Cannon von der kleinen Firma Colson Laboratories, die eine Materialprobe vom Segeltuchstoff des Schiffes bekommt, erkennt, dass es sich bei dem Material um ein Isotop handelt, das weit jenseits des bekannten Periodensystems steht und eigentlich blitzschnell instabil werden und radioaktiv werden müsste. Das tut es aber nicht. Keine Macht der Welt kann diese Materie herstellen. Die sich daraus ergebenden Implikationen sind ungeheuerlich und führen zu einer Reihe verwirrender und verstörender Erkenntnisse.

Eine davon ist, dass dieses Schiff offensichtlich gesunken ist, als das Gebiet um Laskers Farm noch ein See war, der Lake Agassiz. Das ist aber wenigstens 10.000 Jahre her. Das Material ist unverwüstlich und altert nicht. Auf der Suche nach einem „Hafen“ oder „Raumschiff“, das dieses Boot hier auf der Erde abgeladen haben muss, gelangen die Männer um Lasker und April Cannon nur wenig später zu einem nahe gelegenen Höhenzug, der im Gebiet der Sioux liegt. Und hier werden sie in der Tat fündig und entdecken ein „Rundhaus“ mit einem Kanal, durch den das Schiff offenbar einmal gefahren sein muss, direkt in den See hinein.

Auch das Rundhaus ist perfekt erhalten, aber oberflächlich eine Enttäuschung, weil es scheinbar keinerlei Hightech enthält, keine Schriften, keine Hinterlassenschaften … so ist es, bis durch einen Zufall die eigentliche Funktion enträtselt wird: das Rundhaus ist Teil eines galaktischen Verbindungssystems, das die Erde mit zahlreichen anderen Welten vernetzt.

Diese Erkenntnis ist für die Wissenschaftler, die sich rasch einfinden, überwältigend. Aber die Nachrichten aus dem Reservat verstören weltweit die Menschen, lassen Börsenkurse ins Bodenlose stürzen, ziehen Fanatiker und Spinner an – und schließlich sieht sich der Präsident der Vereinigten Staaten genötigt, eine gewaltsame Besetzung des Rundhauses anordnen zu müssen, so schwer es ihm auch fällt.

Aber er hat nicht mit dem zähen Widerstand der Sioux und dem Einfallsreichtum der Wissenschaftler gerechnet. So kommt es zu der Eskalation, die im Grunde niemand will und die die Zukunft der Menschheit aufs Höchste gefährdet …

Ich muss sagen, ich habe das Buch gewissermaßen in einem Zug gelesen – gestern gekauft und heute ausgelesen. Es ist von der Art, dass man es einfach nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man ein Faible dafür hat, wie ein SF-Autor die Zukunft mit der Vergangenheit verbindet. Es hat was von dem „Entdecker“-Feeling an sich, das ich hatte, als ich einst vor Jahrzehnten Kurt Brand in seiner Serie REN DHARK auf die Spuren der verschollenen Hightech-Zivilisation der „Mysterious“ folgte.

McDevitt hat ein glückliches Händchen, auf der einen Seite sehr anschaulich Lokalkolorit zu beschreiben und Sympathieträger aufzubauen bzw. ohnehin Personen mit wenigen Seiten Background in die Handlung einzustreuen. Man kommt zwar, wenn man so schnell liest wie ich in diesem Fall, unter Umständen gut durcheinander, aber die Handlung ist dermaßen fesselnd, dass der Leser vom Roman nicht ablassen kann.

Auf der anderen Seite versteht es McDevitt auch, die weltweiten Perspektiven einzubeziehen. In Form von Interviews, Zeitungsartikeln fiktiver Natur und diversen Kurzschlusshandlungen, die auf wenigen Seiten abgehandelt werden, schaukelt er die krisenhafte Situation immer weiter hoch, und zum Teil auf abstruse Weise nachvollziehbar: Was ist etwa die logische Konsequenz, wenn sich die Automobilindustrie mit der sehr realen Befürchtung konfrontiert sieht, dass man möglicherweise bald Autos herstellen kann, die ihre Besitzer überleben? Wenn jeder Mensch nur noch ein Auto braucht im Leben? Was bedeuten die neuen Stoffe für die Textilindustrie? Was wird aus der Raumfahrtindustrie und dem Transportwesen, wenn Antigravitation sowie der Besuch fremder Welten „zu Fuß“ Realität werden? Was passiert wohl, denken sich andere, wenn die BESITZER des Transportsystems wieder auftauchen und ihr Recht beanspruchen? Ist eine INVASION realistisch?

Und dann die Besitzansprüche: das Rundhaus steht ja nur „zufällig“ auf dem Sioux-Gebiet. Es GEHÖRT ihnen eigentlich nicht. Gehört es dann den USA? Der ganzen Menschheit? Ist jene fremde Welt, die man durch das Tor erreicht, gar, wie ein Fernsehprediger mit großer Anhängerschaft behauptet, das „Paradies“, aus dem Gott die Menschheit vertrieben hat und das nie wieder betreten werden darf?

Auf bemerkenswerte Weise schafft es McDevitt hier, Kosmoarchäologie zu betreiben, rationale Wissenschaft, Machtkalkül, Ethik, juristische Spitzfindigkeit und irrationale Hysterie breiter, teilweise irreführend informierter Menschenmengen zusammenzugießen und daraus einen überaus lesenswerten und nachdenklichen Roman zu machen.

Im übrigen schreit der Roman geradezu nach einer Fortsetzung, und wenn ich mir das Cover ansehe, das eine Szene zeigt, die im Buch NICHT vorkommt, aber sehr gut dazu passt, dann ist es sehr nahe liegend, dass der Verlag mal wieder die Cover verwechselt hat und dass es den Folgeband mindestens in Amerika schon gibt. Der neugierige Leser darf sehr gespannt darauf sein.

© 1998 / 2025 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 16. Juli 1998

Abschrift für ANDROMEDA NACHRICHTEN am 3. März 2025

Rezension von Uwe Lammers

Evolution

(OT: Evolution)

von Stephen Baxter

Heyne 6449

832 Seiten, TB

März 2004

Übersetzt von Martin Gilbert

ISBN 3-453-87546-X

Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

Das sind, auf wenige Worte reduziert, die zentralen Fragen, die den Menschen seit jeher begleitet und nicht selten auch verunsichert haben. Man erwartet üblicherweise die Antwort auf diese Fragen von Philosophen, vielleicht von Theologen, gelegentlich auch, wenn man pragmatisch veranlagt ist und den kopflastigen Konstrukten der Denker und Grübler keinen Glauben schenkt, von den Biologen oder Anthropologen.

Die Antworten auf die Fragen sind dürftig, unbefriedigend, ja, verstörend. Vergliche man die Geschichte der Erde mit einer Uhr, heißt es, so herrsche viele Stunden lang auf dem Zifferblatt eine menschenfeindliche Leere. Die Spezies Mensch selbst trete erst in den letzten Minuten vor 12 Uhr, also dem „Ende“ des Zifferblattes, in Erscheinung. Er sei gewissermaßen ein Nachzügler der Evolution.

Dies ist eine Sichtweise, die sich mit dem menschlichen Selbstverständnis, er sei doch die „Krone der Schöpfung“, das intelligenteste Lebewesen aller Zeiten, überhaupt nicht vereinbaren lässt.

Der Mensch ist ein arrogantes Wesen. Und er lässt es an Respekt gegenüber der „Institution“ fehlen, der er sein eigenes Sein verdankt. Der Name dieser „Institution“ ist bereits gefallen: Evolution.

Auch dies ist ein Begriff, den man eher in den Hallen des Wissens suchen würde. Hat er überhaupt irgendetwas mit Phantastik zu tun? Mit Science Fiction? Das widerspricht sich doch fundamental, haben schließlich die Propheten der Zukunft eben mit der Zukunft zu tun, nicht mit der Vergangenheit. Und der Evolutionsbegriff gehört in die Sachbücher, in die „ernsthaften“ Werke …

Wer so denkt, wird mit dem vorliegenden Buch nichts anfangen können.

Stephen Baxter ist Science Fiction-Autor. Berühmt geworden durch seine Raum und Zeit sprengenden Geschichten über eine Menschheit, die in der fernen Zukunft mit einer gottgleichen Rasse, den Xeelee, in einem kosmischen Konflikt liegt, hat er sich nun im besten Sinne des Wortes auf „bodenständige“ Themen verlegt. Die wenigen Ausflüge, die er sich in diesem Buch in den Bereich der SF erlaubt, führen ihn gerade einmal bis zum Mars, ansonsten bleibt er auf dieser Erde und hat alle Hände voll zu tun, zu beschreiben, was er findet, die Bilder zu malen, die er entdeckt und den Hexenkessel zu formen, die Menagerie, in der Lebewesen erscheinen und vergehen, wie man sie sich kaum auszudenken vermag.

Der Roman beginnt streng genommen rund 145 Millionen Jahre vor der Gegenwart auf dem Urkontinent Pangäa, wo sich eine intelligente Sauroidenspezies zu entwickeln beginnt, die leider keine Zukunft hat, denn planetare Katastrophen lassen Pangäa zerbersten und die Kontinente driften. Der Leser folgt mit staunenden Augen durch eine tropische Welt, voll von gepanzerten Ungetümen und urtümlichen Giganten. Saurierarten ziehen hier umher, die durch ihre alleinige Präsenz die Umwelt verwüsten. Der Blickwinkel, aus dem der Leser diesen Titanen folgt, ist eigentümlich: tief vom Boden aus blinzelt er scheu hinauf zu den Ungetümen, denn im Windschatten dieser Herren der Welt wächst eine neue Gattung heran. Nagetierähnliche Kreaturen, Mäusen nicht unähnlich – Säugetiere.

Als infolge einer kosmischen Katastrophe die Dinosaurier aussterben, beginnt sich das Artenkarussell der Evolution von neuem zu drehen, und die Säugetiere verändern sich. Sie werden größer, wachsen zu Primaten heran, beginnen Familien zu bilden und treten schließlich aufgrund von Klimaveränderungen den Weg in die Steppe an.

Es ist ein langer, mühevoller Weg von den Baumwipfeln der Regenwälder bis hin zur Werkzeugherstellung, zu den ersten Siedlungen und schließlich den prächtigen Metropolen wie dem antiken Rom. Ein Weg voller Rückschläge, Bedrohungen, Qual, Verfolgung, Not und ständiger Angst. Aber, wie schon der Klappentext (diesmal ausnahmsweise zutreffend) sagt: Das Leben findet einen Weg. Und dieser Weg führt über das Jahr 2031 in die entfernte Zukunft, bis zu einer Erde der Mikrospezies und der roten, furchterregend-menschenfeindlichen Wüsten. Doch auch hier noch wirkt unerbittlich und unaufhaltsam der geheime, dem Leben immanente Triebmotor der Evolution …

Mit Evolution hat Stephen Baxter meines Erachtens einen faszinierenden, großen Wurf getätigt. In mehrerlei Hinsicht muss man das konstatieren.

Zum einen ist es ihm gelungen, einen zeitlichen Rahmen von mehr als 600 Millionen Jahren irdischer Entwicklung abzuschreiten und nur sehr selten die Grenzen der Plausibilität über Gebühr zu strapazieren. Außerdem verbindet sein Buch auf faszinierende Weise Roman und höchst informatives Sachbuch. Es glänzt voll schier enzyklopädischem Wissen und ist für denjenigen, der sich ein wenig auf den angesprochenen Gebieten auskennt – Biologie, Biochemie, Evolutionsbiologie, Genetik, Chemie, Geologie, Geschichte, Anthropologie, Ethologie, Ethnologie, Primatenkunde und vielen anderen mehr – ein wunderbares, breit gefächertes Netzwerk, in etwa einem weit verzweigten, fruchtbaren Flussdelta vergleichbar. Infolgedessen hält das Buch eine Fülle von beeindruckenden Anregungen bereit, die bis in den philosophischen Bereich hineinragen und sogar eine religiöse Komponente mit einschließt.

Dem Leser werden natürlich auch eine ganze Menge Dinge zugemutet, und das möchte ich nicht verschweigen. Wer in diesem SF-Roman sagenhaft viel Hightech sucht oder vermutet, wird enttäuscht werden. Es ist eben keine „typische“ Baxter-Geschichte. Wer gut ausgefeilte Charaktere und komplexe soziale Interaktionen in den Geschichten erwartet, sollte seine Erwartungen stark herabschrauben. Mehrere hundert Seiten lang sprechen die Protagonisten nicht ein einziges Wort, weil sie es einfach nicht vermögen. Der Mensch selbst tritt erst spät in Erscheinung, und eine sonderlich gute Figur macht er nicht. Wie es ihm im Laufe der irdischen Evolution eben auch zukommt.

Baxter geht die irdische Säugetierevolution – und nur um die und ihre Randerscheinungen geht es hier – pragmatisch an, von einem biologistischen Gesichtspunkt, den man zu Recht (er sagt das gegen Ende) „gottlos“ nennen kann. Es ist nur eben ein realistischer Standpunkt, und von dieser Warte aus betrachtet ist ihm ein beeindruckendes Panorama der Erdgeschichte gestern, heute und morgen gelungen, und wer bereit ist, seinen menschlichen Rassenstolz ein wenig hintanzustellen und zu sehen, was die Welt bevölkerte, bevor der Mensch die Bühne der Existenz betrat, wer dem gnadenlosen Regiment der Evolution über die Schulter zu schauen bereit ist, der ist hier richtig.

Dieses Buch ist der erste Schritt in Richtung auf eine Veränderung der Sichtweise der Welt selbst, und vermutlich konnte nur ein Phantast vom Schlage Baxters so etwas ersinnen und umsetzen. Ein pralles und wissensgefülltes Buch, das viele Antworten auf Fragen bereithält, die viele von euch sich wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben gestellt haben.

Nachschauen lohnt sich.

© 2004 / 2025 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 25. Februar 2004

Überarbeitet am 3. März 2025

Rezension von Uwe Lammers

Die Hüterin von Jericho

(OT: Sunrise on the Mediterranean)

von Suzanne Frank

Blanvalet 35190

608 Seiten, Dezember 2000

Übersetzt von Christoph Göhler

ISBN 3-442-35190-1

Es ist nicht so einfach, für eine Göttin gehalten zu werden. Und lebensverlängernd schon überhaupt nicht.

Chloe Kingsley, ihres Zeichens mentale Zeitreisende aus dem 20. Jahrhundert, fand sich zunächst im Ägypten der Pharaonin Hatschepsut im Leib der Priesterin RaEmHetepet wieder und erlebte hier diverse Abenteuer. Beim nächsten Durchschreiten des Zeittores erwachte sie unvermittelt im Körper der aztlantischen Priesterin Sibylla und musste von neuem darum kämpfen, sich an ihre neue Rolle zu gewöhnen. Beim Untergang des aztlantischen Reiches durch den Ausbruch des Vulkans von Santorin wurde Chloe erneut von neuem durch die Zeiten geschleudert, und nun ändern sich einige Dinge grundlegend.

Bisher war es stets so, dass nur auf subtile Weise die Augenfarbe ihrer „Gastwirtin“ verändert wurde, nämlich in das intensive Grün, das der jungen rothaarigen Navy-Soldatin in ihrer Heimatzeit Ende des 20. Jahrhunderts eigen ist. Als Chloe diesmal aber von ihrem ägyptischen Geliebten Cheftu losgerissen wird und mitten vor einer fremden Küste im Meer wieder zu sich kommt, steckt sie in ihrem eigenen Körper – in jenem so fremd gewordenen blassen Leib einer reinblütigen rothaarigen Amerikanerin mit ihren meeresgrünen Augen. Und sie trägt Kleidung aus dem 20. Jahrhundert.

Chloe hat keine Zeit, zu begreifen, was passiert ist, denn fremde Männer fischen sie aus dem Wasser und bringen sie an Land, um sie hier in einem Tempel einzusperren. Und dann gehen die Probleme erst richtig los: die Menschen, in deren Gefangenschaft sie sich befindet, sind Anbeter des Meeresgottes Dagon, nämlich das Volk der Philister von Tsor, dem heutigen Tyrus an der Küste von Kanaan. Und Chloe wird für eine Meeresgöttin gehalten, eine Gefährtin des Dagon, die zunächst beinahe tödliche Prüfungen absolvieren muss und dann, als wenn das nicht schon übel genug wäre, als Kriegsgöttin in einem sehr blutigen Kampf instrumentalisiert wird.

Die gegnerische Partei ist nicht viel angenehmer – es ist ein nomadisierender Bergstamm von barbarischer Eleganz und schnörkelloser Brutalität. Das Dumme an der Sache ist nur, dass Chloe viele Namen dieser Leute kennt, unter anderem den des Anführers, eines Mannes namens Dadua. Spätere Zeiten kennen ihn als David, König der Juden. Und Chloe Kingsley gerät als „Göttin der Philister“ in seine Hand und wird versklavt …

Auch Cheftu, Chloes Geliebtem, der eigentlich aus dem 19. Jahrhundert stammt und gleichfalls eine mentale Zeitreise ins Reich der Ägypter hinter sich hat, wird vom Schicksal hart angefasst. Er kann zwar den Körper der Priesterin Sibylla in dem Inferno des untergehenden aztlantischen Reiches retten, doch als diese die Augen aufschlägt, wohnt jemand ganz anderes in diesem Leib: Cheftus grausame einstige Geliebte, die ägyptische Priesterin RaEmHetepet, die zuvor Chloes im 20. Jahrhundert zurückgebliebenen Körper beseelte. Sie ist ähnlich überrascht, sich auf einmal in einem weiteren fremden Leib wiederzufinden wie Cheftu, sie überhaupt wieder zu erblicken. Die beiden bleiben unversöhnliche Gegner.

Beide gelangen, ein Zweckbündnis schmiedend, schließlich nach Ägypten zurück, doch während RaEmHetepet sich anschickt, in der ägyptischen Hierarchie, die inzwischen vom Ketzerkönig Echnaton beherrscht wird, aufzusteigen und den Untergang ihres Heimatlandes aufzuhalten, macht sich Cheftu auf die Suche nach seiner geliebten Chloe, die ja irgendwo geblieben sein muss. Die Orakelsteine Urim und Thummim leisten ihm dabei gute Dienste, auch wenn man die meisten ihrer Sprüche erst versteht, wenn es zu spät ist … bis sie auch Cheftu in die Sklaverei führen.

Chloes Weg geht nach Jebus, jener Stadt, die später Jerusalem heißen wird und zu diesem Zeitpunkt jeder Einnahme durch die Bergstämme widersteht. Die zeitreisende Amerikanerin, die zunehmend ungläubiger registriert, dass sie sich mitten in den Grundfesten der biblischen Geschichte bewegt und dort offenbar mehr Einfluss besitzt, als sie je für möglich gehalten hätte (das geht dem Leser ebenso), wird von Dadua auserwählt, diejenige Person zu sein, den Fall der Stadt vorbereitet – danach wäre sie frei. Aber die Aufgabe scheint unlösbar.

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, gibt es da noch die rachsüchtige, inzwischen mächtige RaEmHetepet und einen undurchsichtigen Mann namens Hiram, den Chloe bei einer Begegnung schließlich schockiert wiedererkennt. Einen Mann, von dem sie gedacht hat, er sei seit tausend Jahren tot …

Der dritte Roman des Zeitreise-Quartetts von Suzanne Frank verlangt dem nicht bibelfesten Leser einiges an Stehvermögen ab, muss man attestieren. Er hat offenbar auch die Verantwortlichen im deutschen Verlag deutlich überfordert:

Das Titelbild zeigt einwandfrei maurische Architektur, ist also erkennbar mindestens um tausend Jahre jenseits der Handlungszeit angesiedelt und damit vollkommen deplatziert. Der Titel offenbart, dass die Texter den Roman nicht gelesen haben: Chloe ist im ganzen Roman nicht in „Jericho“, sondern wenn überhaupt, dann in Jerusalem. Und wie jemand, der diese Stadt VERRÄT, als „Hüterin“ apostrophiert werden kann, entzieht sich dem gesunden Menschenverstand gänzlich. Der Klappentext ist nicht hilfreicher, werden doch hier Philister kurzerhand in „Pharisäer“ umgemünzt, was hinten und vorne nicht stimmt. Breiten wir also den Mantel des Schweigens über diese Peinlichkeiten und wenden uns dem Buch selbst zu.

Frank versteht es wieder einmal geschickt, die Szenerie und das Alltagsleben der levantinischen Zeit der alttestamentarischen Epoche zu neuem Leben zu erwecken, wie sie es auch schon mit Ägypten und dem aztlantischen Reich getan hat. Es ist das Bild einer sehr stark durch rituelle, religiöse Gesetze und Götterglauben gebundenen Gesellschaftsordnung, die den absoluten Kontrast zum vergangenen Buch darstellt. Sehr überzeugend gezeichnet.

Indes können zwei Schwächen nicht verschwiegen werden. Zum einen hat Frank mit dem später selbst eingestandenen „jüdisch-christlichen Hintergrund“ eine Art religiösen Filter eingeschaltet, den mehrheitlich jüdische Geschichtsereignisse passieren. Sie ist hierbei zwar durchaus kritisch, aber manchmal wird es doch recht abenteuerlich, was beinahe zwanghafte Verbiegungen des Handlungsstromes angeht (nur, damit man halbwegs im biblischen Kontext bleibt). Hier hätte sie sich auf relativ leichte Weise mehr Freiheiten herausnehmen können. So wird jemand, der die Bibel in- und auswendig kennt, viele Handlungswendungen mühelos vorhersehen können und dementsprechend gelangweilt reagieren.

Die bloße Vorstellung, die Bibel könne eben NICHT „das Wort Gottes“ sein, sondern eine einstmals zunächst mündliche, dann schriftlich fixierte Überlieferung, die durch Dutzende von Generationen Abschliffe und Veränderungen erfahren hat, somit also ein synkretistisches Werk darstellt, das von den Verfassern auch zum Zwecke der Legitimierung der eigenen Macht „gefälscht“ und umgeschrieben wurde – was heutzutage allgemein anerkannter Konsens selbst unter Bibelforschern ist – , diese Vorstellung lässt Frank nicht gelten. Damit schnürt sie sich selbst in das enge Korsett der jüdischen Überlieferung, was zwar mit der ideologischen Ausrichtung der geschilderten jüdischen Handlungspersonen im Roman korreliert, sonst aber absolut unhistorisch ist und zudem sie als Autorin dieses historischen Romans gängelt, dass es manchmal qualvoll zu lesen ist.

Zum zweiten hat sie einfach das Faible, „berühmte“ Personen aufeinandertreffen zu lassen. Da ist Bathseba, die spätere Mutter König Salomons, da ist König David selbst, da ist der riesenhafte Krieger Uri’a, der später der Musikgruppe „Uriah Heep“ den Namen leihen wird, wir stoßen auf Echnaton, auf den Nachfolgepharao Semenchkare und auf Tutenchamun, und irgendwann stöhnt man als Leser und sagt: Aufhören! Bitte, aufhören! Genug der VIP-Ballungen! Aber sie hört nicht auf. Da ist die Bundeslade, da ist das Goldene Kalb, da ist der Tempel zu Jerusalem …

Und dann entdecken wir überrascht Dion, einen uralten, aber jugendlich wirkenden Atlanter, der sich nach wie vor nach seinem Schwarm Cheftu verzehrt. Eine Person, von der man – wie Frank einmal schreibt – glauben könnte, dass sie tatsächlich der legendäre Satan der Bibel ist, der große Verführer, ein unwiderstehlich schönes Wesen. Und vielleicht legt sie Dion ja tatsächlich als diese Gestalt an. Wer weiß?

Immer noch unmotiviert ist indes auch weiterhin die Frage, wie die Zeitreisen zustande kommen und ob es eine Art von „Plan“ dahinter gibt – einen Plan des jüdisch-christlichen Gottes Jahwe, wohlverstanden. Chloe und Cheftu wissen die Lösung nicht und sind nach wie vor ratlos. Aber vielleicht erhalten die Leser ja Aufklärung im abschließenden vierten Band. Der soll uns – angeblich – nach Babylon bringen und somit wohl (wieder einmal) in die jüdische Geschichte.

Vielleicht ist das ein Grund, warum dieser Zyklus allmählich ein wenig unangenehm einseitig wird. Der erste Band fährt wie der dritte und wohl der vierte in diesem Fahrwasser. Der bislang mit Abstand beste war jedoch der, in dem sie eine größere Freiheit von der religiösen Einengung hatte, also der aztlantische Band 2. Momentan sieht alles danach aus, als mutiere dieser historische Romanzyklus zu einem neumodischen Stück religiöser Erbauungsliteratur, um „abgefallene ungläubige Schafe“ in den Schoß ihrer Mutterkirche zurückzuführen. Ich hoffe, dass ich mich hierbei gründlich täusche …

© 2006 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 2. Dezember 2006

Rezension von Uwe Lammers

Anti-Eis

(OT: Anti-Ice)

von Stephen Baxter

Heyne-TB 4891

München 1997

320 Seiten

Übersetzt von Martin Gilbert

ISBN 3-453-12672-6

Was ist das doch für eine schöne neue Welt, in der man bequem mit den Einschienenbahnen zügig die Britischen Inseln bereisen kann und auch mit komfortablem Luxus die Hauptstadt Manchester zu erreichen imstande ist. Es gibt sogar die Pontonbrücken, mit denen die Schwebebahnen nach Frankreich hinüberreisen können. Die britische Hegemonie beherrscht weitgehend die Welt und kann sich zurücklehnen, wenn andere Mächte auf dem Kontinent sich zanken, wo noch „Mittelalter“ zu herrschen scheint, beispielsweise im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das de facto seit 1806 nicht mehr besteht, wo aber immer noch alles in eine Vielzahl von kleinen Staaten zersplittert ist.

Jedenfalls meinen die Engländer, sich zurücklehnen zu können, um die neuen technischen Wunder zu genießen. Bis sie leider selbst in einen Konflikt hineingezogen werden, der auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim tobt …

Eine Fiktion der nahen Zukunft? Mitnichten. Man schreibt das Jahr 1855, und das britische Empire ist durch den Fund einer außerirdischen Substanz nahe dem Südpol, die man Anti-Eis nennt und eine unglaubliche Energiequelle ist, zur weltbeherrschenden Supermacht aufgestiegen. Der geniale Wissenschaftler Josiah Traveller, verantwortlich für eine Vielzahl von Anti-Eis-Erfindungen, ist es auch, der den Gedanken hat, die erfolglose Belagerung von Sewastopol relativ unblutig zu beenden, indem er sich eine spezifische Eigenschaft von Anti-Eis zunutze macht: Die Substanz ist nahe dem absoluten Nullpunkt supraleitend und wird ständig von magnetischen, hochfrequenten Feldern durchströmt. Sobald man diese Substanz geringfügig erhitzt, brechen die Felder unter unvorstellbarer Energieentfaltung zusammen. Leider verschätzt sich Traveller, und die Anti-Eis-Granate ebnet Sewastopol mit einer nuklearen Explosion ein, was ihn zeitlebens traumatisiert.

Von da an versucht er, diese Kräfte nur noch friedlichen Nutzungen zuzuführen. Im Jahre 1870 wird der junge Diplomat Ned Vicars, der Fürst Bismarcks Delegation in London die Errungenschaften britischer Technik zeigen soll, zufällig in diese Verwicklungen verstrickt. Die Vorstellung des neuesten Wunderwerks, des Landkreuzers PRINCE ALBERT, in Belgien gerät zum Fiasko, weil französische Freiheitskämpfer, die Franktireurs, einen Sabotageakt verüben. Ned Vicars und sein Begleiter Holden kommen nur deswegen mit dem Leben davon, weil sie zufällig auf dem Landkreuzer den genialen Traveller getroffen haben, der ihnen die allerneueste Errungenschaft vorstellt: ein projektilförmiges Gebilde, das er Phaeton nennt: ein Luftschiff. Während er ihnen diesen Prototyp noch zeigt, werden sie jedoch von einem Franktireur entführt und finden sich unversehens in prekärer Lage wieder – im Orbit um die Erde, mit zur Neige gehenden Treibstoffreserven und keiner Möglichkeit, ins Cockpit vorzudringen.

Derweil eskaliert auf der Erde, ausgelöst von der Emser Depesche, der Krieg zwischen Frankreich und Preußen, und er nimmt sehr bald dramatische Formen an. Schlimmer jedoch ist der Existenzkampf im All, weil sich das einzige ansteuerbare Ziel sehr rasch als menschenfeindlich entpuppt – der Mond …

Stephen Baxter, der neue Shooting-Star der SF in England, hat mit diesem Parallelweltenroman ein kenntnisreiches, sehr faszinierendes Buch verfasst, das für mich als Student der Geschichte besonderen Reiz entfaltet, weil viele seiner Prämissen, die er ausdefiniert, zu alternativen Szenarien führen, die von einer bestechenden Plausibilität sind. Es gibt hier und da einige logische Schwächen, zugestanden, im Ganzen aber ist es ein beklemmendes Panorama einer Welt, wie sie vielleicht hätte sein können, wenn es diese Substanz oder Traveller bzw. beide je gegeben hätte. Das größte Vergnügen ging für mich weniger von der „Actionhandlung“ aus als vielmehr von dem historischen Umfeld und den liebevollen Details. Für Parallelwelt-Fans durchaus ein Gewinn.

© 1997 / 2005 / 2025 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 14. November 1997

Abschrift am 21. Juli 2005

Neuformatierung am 3. März 2025

1 Dieser Roman trägt den Vermerk OSM 1487.

2 Über die Anfangsphase dieses Reiches informiert der OSM-Hintergrundtext „Höhere Weihen“, 2006.

3 Vgl. OSM-Hintergrundtext „Konstanten und Knochenkrieger“, 2004.

4 Vgl. hierzu die OSM-Ebene 2: „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), begonnen 2003. Inzwischen ab 2013 in E-Book-Form auf Amazon.de erhältlich. Vgl. auch die Homepage http://oki-stanwer.de/.

5 Aus einer anderen, distanzierteren Perspektive kann man die in dieser Geschichte geschilderten Ereignisse in den TI-Bänden 39: „Die Reise in den Alptraum“ und 40: „Schergen des Terrorimperiums“, beide 2006, nachlesen.

6 Eine Kostprobe solcher Vernetzung kann der Leser der OSM-Ebene 2 (TI) nachlesen. Als die yantihnische GHANTUURON-Expedition auf der Dschungelwelt Shookash inhaftiert wird, machen sie solch eine Entdeckung. Vgl. TI-Bd. 15: „Die Macht der Liebe“, 2004 (als E-Book erschienen).

7 Man muss sie sich wahrscheinlich vorstellen wie Haushamster.

8 Vgl. hierzu die OSM-Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“, begonnen 2003, Bd. 31: „Zeitenwandel“, 2005 (als E-Book erschienen).

9 Taared ist ein Distanzmaß der Allis und entspricht etwa 1088 Metern.

10 kaiserlich-königliches Schiff

11 111 km/h

12 37 km/h

13 Geschützbank, eine umlaufende Wand, über welche das Geschütz hinwegfeuert. Später Schutz der Basis der Geschütztürme.

14 35,6 cm

15 Rijeka, k.u.k. Kriegshafen

16 Idiot

17 Krötenstecher, eigentlich ein Messer.

18 Säbel

19 Zuerst scherzhaft, später offiziell von k.u.k. – kaiserlich-königlich.

20 In erster Linie ausgehaltene Frau, aber auch Edelprostituierte

21 Zuhälterin, Puffmutter

22 Berühmte Glocke in der Kirche St. Stephan

23 Flugmaschine, welche mit beweglichen Flügeln einen Vogel imitiert

24 Geschmack

25 Aus dem Dirndl schlüpfen, ausziehen

26 Kleidung

27 Mündchen

28 Ischler Hausberg