August 2084
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Jenseits des Gopkarsektors,
Sonne Arssasson, Planet Ssossri
Eine hellgelbe Sonne stach auf eine weite Ebene herab, in der vor Urzeiten ein mächtiger Meteor eingeschlagen sein musste. Auf den äußeren Hängen des Kraters waren eine Anzahl nüchterner, kahler Gebäude an die Steigung geduckt erbaut, der weitere Umkreis schien umzäuntes Sperrgebiet zu sein. Nur der Wind sorgte für Bewegung, er wehte Sandfahnen über den sanften Anstieg und zeichnete ein wellenähnliches Muster auf den Boden. Außerhalb des Zaunes fanden sich angenehmer anzusehende, buntere Gebäude, jeweils acht um einen See oder Tümpel, Büsche und Bäume wuchsen an den Ufern und machten einen gepflegten Eindruck. Schnurgerade, ganz offensichtlich künstliche Kanäle verbanden diese Gewässer, immer wieder von eleganten Brücken überquert, motorbetriebene Radfahrzeuge bewegten sich durch die Straßen der Stadt. In diesem Meteorkrater erhob sich ein stählerner Berg, in terranischen Metern gemessen etwa 550 Meter hoch, mit einem Durchmesser von rund 200 Metern. Ein Zylinder, oben von einer perfekten runden Kuppel abgeschlossen. Circa 100 Meter unter dem Bug war ein Wulst von etwa 30 Metern Breite um den Rumpf, in dem sich 24 große Triebwerksöffnungen nach außen und nach oben öffneten, am Heck wurde der Stand von 64 Teleskopbeinen gesichert, zwischen denen sich die mächtige Hauptausstoßöffnung eines atomaren Plasmafackelantriebes befand.
Zwei Ssossri standen vor diesem Raumschiff, beide in die rotbraune Uniform der Streitkräfte des Planeten gekleidet.
„Ein schmuckes Schiff, Kapitän!“ sagte der Ssossri mit mehr Gold auf der Schulter. Dem Kapitän sträubten sich stolz die federförmigen Schuppen über den Augen.
„Das ist es, General! Eine wahre Schönheit! Ich bin auch sehr stolz darauf, die Ehre zu haben, die ACHASSA in den Weltraum zu bringen.“ Der Flaum an den Wangen des Generals fächerte sich kurz auf, ein Zeichen kurzer Belustigung. Dann wurde der General wieder ernst. Todernst.
„Kapitän Rhossoma, ich hoffe, Sie sind sich der Wichtigkeit Ihrer Aufgabe bewusst! Wir benötigen einfach neue Welten, die wir bewohnen können. Ssosswei und Ssossffie haben wir den Platz betreffend genau so ausgeschöpft wie Ssossri. Unser Wasser kommt schon seit Jahrzehnten von Planetoiden aus dem Meteorgürtel. Und die Traditionalisten verweigern weiterhin jede Zustimmung zu einer vernünftigen Eiablageregelung. Neuerdings fordern sie sogar das Recht, ihre Nahrung lebend zu verzehren. Roh reicht nicht, nach ihrer Auslegung der acht Rollen muss das Tier noch lebend verschlungen werden.“
Bei der Erwähnung der Traditionalisten hatten sich Rhossomas Halsschilde kurz vor Erregung aufgebläht, für Sekunden war sein kräftiges Gebiss sichtbar geworden.
„Also, die können verlangen, was sie wollen. Ich möchte mein Fleisch gut durchgebraten, mit ein wenig Gewürz. Aber nach deren Auslegung sind ja auch die Grünschuppler der Nordhalbkugel von Ssossri keine vollwertigen Wesen wie wir. Obwohl wir erwiesenermaßen von ihnen abstammen und im Alter sowieso alle ohne Ausnahme zu Opalschupplern werden. Wenn wir nicht vorher sterben. Aber ich sollte jetzt wohl an Bord gehen, General. Und Sie sollten den Krater besser verlassen.“
General Possessa fauchte zustimmend und hieb dem Jüngeren auf die Schulter. „Machen Sie sich auf einiges gefasst. Sie wissen nicht, was Sie da draußen erwartet, Kapitän!“
„Vielleicht treffe ich ja auf intelligente Säugetiere“, witzelte der Kapitän, die Wangenfedern der beiden Männer vibrierten vor Lachen.
„Also gut, lasst die Fackel unter Euren Ärschen nicht ausgehen, Junge! Wir haben noch etwa eine Stunde, so lange werden die Politiker wohl noch Unsinn schwafeln. Dann wird es ernst. Machen Sie es gut, Kapitän Rhossoma. Unsere Gebete begleiten Sie!“
Der General bestieg ein Geländefahrzeug in gedeckten Tarnfarben und bedeutete dem Fahrer loszufahren, während Kapitän Rhossoma in einen Lift stieg, der ihn in sein Raumschiff bringen sollte. Mit seinen 188 Zentimetern Größe war er nicht nur für einen Mann sehr groß, der Durchschnitt lag bei 170, Frauen wurden im Schnitt etwa 10 Zentimeter größer. Die Ssossri waren humanoid gebaut, der Kopf hatte Ähnlichkeit mit der Rekonstruktion eines irdischen Velociraptors, der Körper hingegen mit den zwei Armen und zwei Beinen besaß durchaus menschliche Proportionen. Allerdings war ihr Körper von feinsten Schuppen bedeckt, bei Rhossoma in der dunkelblauen Farbe eines Erwachsenen von der Südhalbkugel Ssossris. Die kurzen federartigen Schuppen über Augen, die Flaumfedern an den Wangen und die fünfzehn langen Federn auf seiner Kopfoberseite strahlten in kräftigem Karmesinrot und wiesen ihn als geschlechtsreifen Mann aus, Frauen hatten diese Stellen mit weißen Federn bewachsen. Von den kleinen Ohröffnungen zu den Schultern verliefen zwei kräftige Muskelstränge, diese Halsschilde konnten sich bei Erregung gleich welcher Art wie der Schild einer Kobra aufblähen, bei einigen Personen sogar handbreit. Die Augen der Ssossri waren vorne am Gesicht und erlaubten hervorragendes dreidimensionales Sehen, die Nasenöffnung war eher klein, das Gebiss immer noch das eines Raubsauriers. Eine Besonderheit stellte die Zunge dar. Wenn ein Ssossri Luft in seinen Mund sog und dort seine schmale Zunge darin spielen ließ, eröffnete sich eine Welt voller Informationen über seine Umwelt. Ssossris waren Abkömmlinge von Sauriern, welche den Schwanz verloren hatten, als sich wie bei den Menschen die Gesäßmuskeln entsprechend entwickelten. Die Evolution hatte ihnen Hände gegeben, die sie zu gebrauchen lernten und ihnen die Krallen genommen, deren Funktion sie zuerst mit Holz und Steinen, später mit Metall nachahmten. Sie wurden mit der Zeit ebenso intelligent wie etwa Menschen, Arkoniden oder Topsider.
Früher sehr fruchtbar, war die Fortpflanzungsrate im Laufe der Entwicklung stark zurückgegangen. Im Durchschnitt wurde eine Ssossrii mit etwa zwanzig geschlechtsreif, legte alle zehn Jahre ein Ei und kümmerte sich dann aufopfernd um die Brütlinge. Bei einem durchschnittlichen Alter von 120 Jahren, in dem die Frauen steril wurden, bedeutete das für jede Frau ‚nur‘ noch zehn Nachkommen. ‚Zuviel‘, sagten die einen. ‚Wir müssen weniger werden!‘ Doch die Traditionalisten sagten ‚Nein, jede Frau muss ihre zehn Eier legen können, wir werden irgendwie zurechtkommen. Zur Not vertreiben wir die Grünschuppler vom Nordkontinent. Oder wir töten und essen sie, es sind doch nur Primitive!‘ Wenn nicht zeitweise Kriege um Ressourcen und Land, um Macht und Einfluss unter den Blauschupplern gewütet hätten, hätte es bereits Hunger und Kannibalismus gegeben. Es hatte eine Zeit gegeben, da war letzteres völlig normal. Bislang hatten die fortschrittlichen Kräfte noch etwas mehr zu sagen, aber unpopuläre Maßnahmen wie etwa die Einführung der Zwei-Ei-Regelung hätten das Kräfteverhältnis ganz schnell ändern können.
Vor einiger Zeit hatte ein Wissenschaftler eine revolutionäre Entdeckung gemacht und die Theorie des Raumfluges schneller als Licht aufgestellt, nach jahrelanger Arbeit war der Prototyp fertig gestellt und in ein großes Fackelschiff eingebaut worden. Kapitän Rhossoma und sein Raumschiff ACHASSA sollten erstmals das System der Sonne Arssasson verlassen und nach neuen Planeten suchen, nach neuem Lebensraum, einer neuen Heimat mit viel Platz, dann wären Fortschrittler und Traditionalisten gleichermaßen beruhigt.
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Der General hatte recht behalten, Kilometer entfernt war eine festliche Tribüne aufgebaut, wo ein Politiker dem anderen das Mikrophon in die Hand gab. Sie alle, egal von welcher Seite, hatten viele Worte, aber erstaunlich wenig essentielles zu sagen. Eine Kamera, die über den Kraterrand blickte, übertrug die letzte halbe Stunde vor dem Start live auf eine große Leinwand hinter der Rednertribüne und via TV in alle Wohnzimmer der drei Planeten, es war aber bisher nur sehr wenig zu sehen. Ab und zu das Aufblitzen eines Sensors, wenn dieser aus- und wieder eingefahren wurde, die Mannschaft arbeitete die Checklisten durch. Dann wurde das Plasma in der ersten Vorkammer erzeugt, in einer weiteren, der Brennkammer noch weiter erhitzt, die Wände beider Kammern waren durch starke Magnetfelder geschützt. Bis zur Tribüne war das urweltliche Toben zu hören, als das hocherhitzte Plasma frei gegeben wurde, aus den ebenfalls durch Magnetfelder geschützten Düsen strömte und den starken Schub erzeugte, der eine Plasmafackel auszeichnete. Blendende Helligkeit gleiste über die Leinwand der Übertragung, als man wieder etwas sehen konnte, war der Platz im Krater leer, über den Himmel blitzte ein greller Streif, der allmählich verblasste. Die ACHASSA war unterwegs.
„Gut gemacht, Leute“, quälte Kapitän Rhossoma über seine Lippen, vierfache Schwerkraft war für jeden, auch die stärkste Echse, eine Tortur. „Nur noch Sekunden, dann ist die Qual vorbei, dann beschleunigen wir mit nicht mehr als eineinhalb gemütlichen Gravo.“ Plötzlich fiel die Last von der Besatzung der ACHASSA, sie hatte die Anziehungskraft ihres Heimatplaneten verlassen und Kurs auf den freien Weltraum genommen. Der Alltag für die 500 Männer und Frauen der Ssossri begann, sie würden noch etwa 200 Tage benötigen, um die nötige Geschwindigkeit für einen Transit zu erreichen. Größere Belastungen für längere Zeit waren auch für die Ssossris gesundheitsschädlich, und Rhossoma träumte kurz von einem Gerät, dass unabhängig von Beschleunigung und Manövern immer die angenehme Gravitation der Heimatwelt produzierte. Dann tat er den Gedanken als reine Science Fiction ab! So ein Gerät würde es nie geben! Konnte es nicht nie geben, es widersprach jeder Logik und wissenschaftlicher Erkenntnis.
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M 13, Arkon III,
Der Neurogent sah sich gravierenden Problemen gegenüber. Seit fünf Monaten versuchte er schon, den Miridan Sektor wieder in das Kristallimperium zurück zu führen, doch die Miridaner erwiesen sich als überraschend stur und kampfstark. Dazu kam noch der Umstand, dass die Neuroniken mancher Schiffe, deren Besatzung er durch Roboter ersetzt hatte, ‚mental‘ instabil wurden und schlecht kämpften, nur verzögert und oft falsch reagierten, nicht selten beinahe selbstzerstörerisch handelten. Programmiert, den Arkoniden zu dienen, hatten die modernen und teilweise ihrer selbst bewussten Rechner Schwierigkeiten, mit einem unbemannten – oder zumindest nur mit Robotern besetzten – Schiff gegen Raumer zu kämpfen, die mit den Abkömmlingen von Arkoniden besetzt waren. Die Neuroniken unterschieden auch nicht zwischen Arkoniden aus dem Zentralsystem und Kolonisten, ein Umstand, der die Angelegenheit noch verschlimmerte. Im Ernstfall konnte das durchaus auch einige Sekundenbruchteile kosten oder gar zum Kampfabbruch führen, zu schwachen Schirmen und schlecht gezieltem Feuer. Der Neurogent sandte ein Codesignal aus, einen Befehl, welcher die höheren Funktionen und das künstliche Bewusstsein der Neuroniken an Bord von Kriegsschiffen außer Funktion setzen sollte. Einige Schiffe sprachen auf das Signal überraschenderweise überhaupt nicht an und reagierten danach auf gar keine Kommandos mehr, handelten eigenständig und oft irrational. Einige sammelten sich um einen Planeten im System APW 3791/32, einer öden, ausgebeuteten und wertlosen Kugel und erklärten das System für unabhängig vom großen Imperium. Ein 800 Meter Gigant schaffte es beinahe, bis Arkon III vorzustoßen, er verging nur knapp vorher im Feuer des innersten Verteidigungsringes. Der Neurogent sandte spezielle Jagdflotten aus, um diese Renegaten zu stellen und zu vernichten, all das kostete ihn Zeit und Aufmerksamkeit, dennoch setzte er eine Flotte nach der anderen im Marsch, um Miridan weiter zu bekämpfen.
Gleichzeitig begann er ein Rekrutierungsprogramm auf dem Planeten Naat, dem fünften der Sonne Arkons. Naat – oder wie er auch ausgesprochen wurde Na-at – besaß eine Gravitation des 2,8-fachen des Erdstandards. Stürme mit einer Geschwindigkeit von 400 Stundenkilometern waren keine Seltenheit, es wurden von den Arkoniden selten, aber manchmal eben doch, Böen mit Spitzen von 600 km/h gemessen. Es handelte sich bei dieser Welt um einen lebensfeindlichen Riesenplaneten mit einigen Monden, auf dem die Naats lebten, und bisher war keine andere Spezies bekannt, die ohne Schutzausrüstung auf diesem Planet überleben konnte. Die Naats waren drei Meter große Giganten mit einen runden Kopf, langen, muskulösen Armen und kurzen Beinen mit großen Füßen, man wunderte sich, dass unter den Verhältnissen von Naat eine aufrecht gehende, hochgewachsene Spezies entstehen konnte. Für einen Menschen wirkten Naats völlig fremdartig mit den drei Augen und dem elliptischen Mund. Sie waren im Normalfall träge und plump, nur im Kampf zeigten sie schnelle Bewegungen und blitzartige Reaktionen. Die Arkoniden verachteten die treuesten ihrer Untertanen als dumm, was sie eigentlich überhaupt nicht waren. Sie waren nur langsam, drehten und wendeten jeden Gedanken immer und immer wieder, bis sie sich des Ergebnisses sicher waren. Diese getreuen Diener Arkons sollten nun zum Dienst in der Flotte überredet werden, durch einige Hundertschaften Roboter, die dem Neurogenten direkt unterstellt waren. Auf dem Mond Naator entstanden das Ausbildungslager und der Raumhafen, natürlich von den Naats selber gebaut, es gab dann für den einmal Rekrutierten keine Chance mehr, dem Dienst lebend zu entgehen. Roboterpolizisten sollten jedes Leben jagen und vernichten, das sich außerhalb der erlaubten Zone aufhielt.
Diese rudimentär ausgebildeten Besatzungen hatten nur eine Aufgabe. Wenn die Neuroniken wieder hochgefahren wurden, diese stabilisieren und sie williger im Kampf gegen die Abtrünnigen machen. Also einfach anwesend sein, der Neuronik zeigen, dass sie für Arkoniden kämpfte. Nebenbei begann der Neurogent die Entwicklung eines neuen Schiffstyps. Es sollte die Universums-Klasse werden, 1.500 Meter im Durchmesser, eine mächtige, unbesiegbare Kriegsmaschine, eine Drohung für alle, die sich gegen die Herrschaft der KI auf Arkon III auflehnen wollten. Mit einer sorgfältig geplanten und konditionierten Neuronik, die sicher keine Befehle des Neurogenten in Frage stellte und keine Gnade mehr mit irgendwelchen Renegaten zeigte.
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Barnards Stern III
Europäische Station 7
General Olof Siegbjørnson von den EU-Streitkräften und Kommandant der militärischen Stationen auf dem dritten Planeten des erdnahen Sonnensystems regierte sein Reich von einem kleinen Büro neben einer großen Zentrale aus. Die Europäische Union – ohne Großbritannien, das einmal in die Union wollte, dann wieder nicht und derzeit auf gar keinen Fall – hatte früh begonnen, mit der GCC zu kooperieren, einen schweren Kreuzer, die EUS KAROLUS MAGNUS erworben und den ÜL-Antrieb für ein Frachtschiff, die EUS FUGGER bestellt, die auf einer europäischen Insel nach arkonidischen Plänen gebaut wurde. 400 Meter im Durchmesser und unbewaffnet, ein reiner Transporter. Für die Verteidigung Terras im allgemeinen und Europas im speziellen zahlte die Union eine Abgabe an die GCC, welche dafür die Sicherheit Europas im Falle eines Überfalles durch eine andere irdische Nation oder von außerhalb der Erde soweit wie möglich garantierte. Zumindest so lange, wie die GCC selbst dazu in der Lage war. Aus diesem Grund wurde die NATO endgültig obsolet und löste sich auf, während einer gemeinsamen Übung zeigte die GCC, dass Europa trotzdem noch immer keine leichte Beute war. Weniger denn je.
Erkundungsflüge in der Umgebung des solaren Systems hatten die Europäer nach Alpha Centauri und Barnards Stern geführt. Das System von Barnards Pfeilstern hielt eine gute und eine schlechte Überraschung für die Besucher bereit. Die gute war, dass auf Barnard III eine Menge Bodenschätze zu finden waren, die schlechte, dass auf II bereits eine humanoide Spezies existierte, deren Entwicklung dem der bronzezeitlichen Antike entsprach. Auf einem der Kontinente dieser Welt wurde sogar noch mit Steinwerkzeugen gearbeitet. In Brüssel wurde entschieden, den Sauerstoffplaneten zwar von den Einwohnern unbemerkt erforschen, aber nicht ausbeuten zu lassen, dafür jedoch permanente Stationen auf III zu errichten, der eine lebensfeindliche Umwelt, dafür Massen an Ressourcen bot. Alpha Centauri wurde auf die lange Bank geschoben, dort errichtete die ESA auf einem der Planeten vorerst nur eine Forschungsstation, um den Einfluss der drei Sonnen auf das Planetensystem zu studieren. Ihre Ansprüche trug die Union den Vereinten Nationen vor, die mit großer Mehrheit dem Antrag stattgab. Einzig die USA hatten Einsprüche, doch wurden sie mit dem Hinweis, damit einen Präzedenzfall zu schaffen, der auch den amerikanischen Staaten zu Gute kommen könnte, noch umgestimmt. Somit war Barnards Stern offiziell europäisches Gebiet.
Die europäischen Staaten ermutigten nun die Industriellen, sich ganz von der Erde zurück zu ziehen, um die Produktion auf den Planet Barnard III, der den Namen Neu Elsass bekam, vorzunehmen. Schaden an der Ökosphäre von Neu Elsass konnte dadurch nicht angerichtet werden, es gab einfach keine. Steuervorteile und hohe Umweltauflagen, die trotz der starken Lobbyisten wegen des wachsenden Drucks der Bevölkerung durchgesetzt wurden, brachten die meisten Produzenten dazu, diesen Empfehlungen zu folgen und ihre Fabriken zu übersiedeln. Nachdem Barnard nur einen kleinen Wurmlochtransit von der Erde entfernt war, gab es von Anfang an keine Schwierigkeiten, Nachschub an Nahrungsmitteln zu organisieren. Selbstverständlich war es aber auf lange Sicht gerechnet billiger, mit natürlichen Mitteln Sauerstoff und Nahrungsmittel für die Bewohner vor Ort zu erzeugen, daher hatte man in den Wohnkuppeln großzügige Parks, Gemüsegärten und Wasserbassins angelegt. Mit Fischen, die bald den Speiseplan der Station bereicherten. Das Wasser war nicht schwer zu gewinnen, Eisasteroiden gab es auch in diesem System in Massen, mit Hydrokulturen konnte man sowohl Nahrung erzeugen als auch für Atemluft sorgen.
Die Verträge der Industrie mit den Arbeitern unterlagen strengster Kontrolle, Mindest- und Kollektivvertragslöhne, 6 Wochen Urlaub, Gesundheitsversorgung und Pensionsversicherung. Es funktionierte eigentlich ganz gut, europäische Produkte konnten auf dem Markt durchaus mithalten und widerlegten die Behauptung, dass gute Löhne das Erzeugnis zu teuer machen würden. Europäische Produkte waren zwar wirklich etwas teurer, dafür aber qualitativ hochwertig, zum Beispiel die ComPads. Die Nanotronik blieb natürlich um einiges hinter der Picotronik zurück, genau genommen um den Wert von 1.000. Aber der normale Verbraucher mit surfen, streamen, ein wenig spielen, Post schreiben, videotelefonieren und seine Alltagsgeschäfte erledigen, kam mit Nanotronik durchaus über die Runden. Eine der europäischen Firmen gab 30 Jahre Garantie auf die Hardware und versprach lebenslanges Softwareupdate. Oder die Gleiter, robust, langlebig und sicher, mit vielen Fahr- und Parkhilfen.
Der europäische Kontinent wurde zusehends wieder mit Wäldern und Wiesen bewachsen, die Viehzucht stellte sich langsam, aber sicher auf die steigende Nachfrage nach Weiderind, freilaufenden Schweinen, Hühnern und Puten ein, Qualzuchten verkauften sich einfach nicht mehr so leicht. Ein langer Weg, der eben erst begonnen hatte, der sich aber für alle Beteiligten lohnen sollte. Die Wohneinheiten auf Neu Elsass waren ursprünglich als Werksiedlung geplant, doch bald folgten auch Freischaffende dem Ruf des Neuen und bewarben sich um eine Unterkunft, Familien wollten mit ihrem Partner übersiedeln, also benötigte man Schulen, Kinderbetreuung, selbstverständlich Ärzte und Krankenpfleger beiderlei Geschlechts… die Kuppelstädte auf dem dritten Planeten von Barnards Stern wuchsen und wurden mehr. Zehn bisher, eine elfte war im Bau, sie standen derzeit unter der Verwaltung des Europarates und des europäischen Parlaments, eine Verfassung nach EU – Recht und eine gewählte Selbstverwaltung waren für die Zukunft geplant. Trotzdem galt Neu Elsass (oder Nouvelle Alsace in französischer Sprache) im offiziellen Sprachgebrauch nicht als Kolonie, sondern als Basis, da sie einen künstlichen Lebensraum in einer lebensfeindlichen Umgebung darstellte. Zum Schutz des Systems wurde eine Brigade Infanterie, einige bewaffnete Flugpanzer und Abfangjäger in den Kuppeln rund um den Äquator stationiert, die Truppe sollte auch dafür sorgen, dass die Wirtschaftstreibenden ihre Finger von Barnard II, Lórien genannt, ließen.
Lórien hatte seinen Namen aus dem Herrn der Ringe, es war der Wald, in dem Galadriel wohnte. Die Bezeichnung passte gut, weite Teile des Planeten waren mit dichten Wäldern bewachsen, die Bewohner des Planeten sahen zwar nicht nach den Elfen in der Verfilmung von Tolkien aus und lebten nur teilweise in den Wäldern, die Beschreibung von Elben aus den Märchen der Erde traf das Aussehen aber ganz gut. Durchschnittlich waren sie nur 160 Zentimeter groß, sie verfügten über einen relativ großen Schädel, hatten riesige Mandelaugen, angepasst an die nicht sehr helle Sonne und spitze Ohren. Ihre menschlich aussehenden Körper waren schlank und zart gebaut, ihre Welt hatte keine sehr große Gravitation. 83 Prozent der Erdschwere. In einigen Gegenden stellte man bereits Gegenstände aus Bronze her, zumeist aber noch aus Kupfer. Der äquatoriale Zwergkontinent beherbergte sogar noch ein Volk, das mit Steinwerkzeugen zurecht kommen musste.
Der Europarat hatte beschlossen, dass sich niemand in die Entwicklung dieser Völker auf Lórien einmischen durfte, verließ sich aber nicht ausschließlich auf den guten Willen der Unternehmer. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, nach diesem Grundsatz hatten die Truppen vor Ort den Zusatzauftrag, Wächter der ‚Elbenvölker‘ zu sein, bekommen. Allerdings waren als Vögel getarnte Sonden unterwegs, um die Bewohner zu beobachten und Informationen zu sammeln, falls irgend einmal eine Kontaktaufnahme stattfinden sollte. Besonders eine Statue aus unbekanntem Metall erregte die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler. Eine Gestalt mit vier Armen, wuchtig und klotzig gebaut, ein kuppelförmiger Kopf mit drei Augen, zwei der vier Hände hielten Gegenstände, die nur Waffen sein konnten. Die Figur war im Vorwärtsstürmen abgebildet worden, die Bewohner schienen Ort und Statue für heilig zu halten, zumindest wussten sie nicht, welche Spezies hier abgebildet war. Darum – es musste ein Gott sein. Manche der irdischen Wissenschaftler schlossen sich dieser Meinung an (alles, was man nicht leicht erklären kann, muss mit einem Gott oder Ritual zusammenhängen, es geht gar nicht anders), die meisten allerdings hielten es für durchaus möglich, dass eine solche Art mit den Vorfahren der Elben gekämpft hatte, und diese dadurch wieder in die Steinzeit abgerutscht waren. Sie gruben auch in den alten Sagen der Erde, ob dort nicht ähnliches geschehen war. Und ja, ähnliches hatte sich sicher auf der Erde abgespielt, nur zeigte nach Atlans Angaben die Statue keinen der Methans, gegen die er gekämpft hatte, auch kein Wesen aus dem roten Universum, allerdings hatte er bereits mit einem solchen Wesen Kontakt gehabt. Unangenehmen Kontakt. Trotzdem hielten einige Professoren immer noch an der Theorie fest, nach der diese Statue einen phantastischen Gott darstellen musste, das Metall war sicher durch Zufall entstanden.
Olof Siegbjørnson war für diesen Wachauftrag genau der richtige Mann. Unbestechlich und integer bis in die Stiefelspitzen, ein Offizier und, man mochte es nicht glauben, durchaus ein Gentleman. Selbst Leute, die ihn nicht sehr mochten, sahen in ihm einen idealen Wächter, der auch den Verwaltungsbeamten der EU genau auf die Finger sah, dass nicht allzu viel an diesen kleben blieb. Kleine Geschenke, das war ihm bewusst, waren unvermeidbar, er sorgte nur dafür, dass sowohl die Geschenke als auch ihre Auswirkungen klein blieben. Ein rotblonder Hüne, der einem Wikingerfilm entsprungen sein könnte, breit in der Brust, muskulös, er war täglich trainieren und hielt sich fit. Die Alltagsuniform der EU-Truppen auf Neu Elsass war, nachdem sie keinerlei Tarnfunktion hatte, im dunklen Blau der EU-Flagge gehalten, mit dem Sternenkreis auf der linken Brusttasche des kurzärmeligen Hemdes. Auch schwere Stiefel hatte man für unnötig empfunden, bequeme Sneaker in schwarz waren im Inneren der Wohnkuppeln befohlen, außerhalb der Kuppelstädte benötigte man ohnehin einen Schutzanzug.
Die gleiche Uniform trug auch die Besatzung der EU-Raumschiffe. Im Laufe der Zeit hatte sich zu der FUGGER auch noch die HANSE und die COLBERT gesellt, jetzt hatte die EU auch einen neu mit Angelpower und neuen Schutzschirmen aufgerüsteten 600 Meter durchmessenden Schlachtkreuzer mitsamt 6 umgebauten Korvetten von der Starlight Enterprises gekauft und EUS FREDERIK LE GRAND genannt, die KAROLUS MAGNUS sollte ebenfalls neu ausgerüstet werden. Zwei 400 Meter überschwere Kreuzer waren bei der GCC bestellt, die VIENNA und die PRAHA, einige leichte Kreuzer, ebenfalls von der GCC, sollten später folgen, über die Patrouillenboote in Diskusform debattierte man in Brüssel noch hitzig. Eine Seite wollte die überlichtschnellen Kleinstraumer, die andere argumentierte, die Kanonenboote der GCC wären ausreichend, um Neu Elsass zu verteidigen. Auf jeden Fall verteilte die Europäische Union ihre Gunst nun ziemlich gleichmäßig, was den Einkauf der ihrer Raumschiffe anging, und sie fuhr damit durchaus nicht schlecht.
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M 13, Miridan Sektor
Die Mandibeln Amhan Dests mahlten unentwegt, seine Fühler standen waagerecht nach vorn. Dieses Mal hatte die rote Flotte das Signal gegeben, die weiße, grüne und braune hatten sich auf den Feind gestürzt. Bisher hatte die Strategie gut funktioniert, doch dieses Mal hatte der Feind den Sprung der fliehenden grünen Flotte anmessen und verfolgen können. Vizeadmiral Moha Gomd brüllte die Meldung über alle von den Miridanern benützten Frequenzen, sie warnte alle Flotten, dass der Feind dazu gelernt hatte. Amhan Dest umfasste die Handgriffe seiner Liege und befahl allen Flotten der linken Flanke den Transit und den Angriff. Die weiße Flotte sprang schnell, die Koordinaten waren bekannt, die Geschwindigkeit nach dem Sprung noch hoch.
Sie landete in einem Hexenkessel. Die 50 Schlachtschiffe und 150 überschweren Kreuzer der grünen Flotte lieferten sich ein heftiges Gefecht mit 40 Schlachtschiffen und 300 schweren Kreuzern der 200 Meter Klasse. 20 Schlachtschiffe der arkonidischen Flotte und 50 Kreuzer waren dem ersten Feuerschlag zu Opfer gefallen, der Rest kämpfte mit der seelenlosen Effizienz von computergesteuerten Objekten, ohne Rücksicht auf eigene Verluste nahmen mehrere Schiffe gleichzeitig ein Schlachtschiff unter Feuer. Bisher war es den Automaten an Bord der miridanischen Flotte gelungen, die Einheiten rechtzeitig vor dem Zusammenbruch der Schirme aus dem Fokus der feindlichen Waffen zu bringen, ewig konnte es aber nicht gut gehen. Das Erscheinen von Dests weißer Flotte wurde von den Robotern völlig ignoriert, sie versuchten weiterhin, eines der großen Schiffe der grünen Flotte zu zerstören, obwohl die ständigen Angriffe der Miridaner bereits einige Kreuzer vernichtet hatten. Nun explodierte aber auch eines der miridanischen Schlachtschiffe. Von schenkeldicken Energiestrahlen durchbohrt, befreite sich die Reaktormasse in einer großen Explosion, die einen der überschweren Kreuzer mit in den Untergang riss, der im entscheidenden Moment zu nahe gewesen war. Zwei Schiffe auf einen Schlag, ein mehr als herber Verlust. Amhan Dest verkrampfte sich, während er den Feuerbefehl gab. Seine weiße Flotte war in Schussweite gekommen, die braune und rote folgten schnell nach. Die Arkoniden konzentrierten ihr Feuer weiterhin auf die großen Schlachtschiffe, die Miridaner versuchten, sich zu zerstreuen, um die arkonidischen Schiffe ebenfalls auseinander zu ziehen, doch diese blieben zusammen und konzentrierten ihr Feuer auf einzelne Schiffe, machten gemeinsam Jagd.
„Sammeln und konzentrierte Feuerschläge auf ausgewählte Ziele!“ Amhans Vocoder auf dem Rücken übertrug seine Worte, auf jedem Bildschirm blinkte ein Ziel violett auf, als der Admiral es auf dem seinen anwählte.
„Feuer bereit auf markiertes Ziel! Feuer!“ Der Feuerschlag der Flotte zerstörte den Arkoniden, seine Explosion zerstörte auch einige kleinere Begleitschiffe.
„Nächstes Ziel!“ Wieder blinkte ein Ziel violett auf.
„Feuer!“
„Feuer!“
„Feuer!“ Immer wieder fanden die Strahlen der miridanischen Waffen ihre Ziele und zerstörten sie, doch auch die Miridaner erlitten schwere Verluste. Am Ende waren 24 miridanische Schlachtschiffe ausgefallen, die Zahlen der Überlebenden war überschaubar. Vizeadmiral Moha Gomd erschien auf dem Schirm.
„Admiral, melde 13 Schlachtschiffe der grünen Flotte zerstört!“ Die arkonoide Admiral rieb sich mit den Handflächen über das Gesicht und strich das schwarze Haar mit den silbernen Strähnen zurück. „Dank Ihnen sind es nicht noch mehr geworden!“
Der Admiral der Chrk’Ochkror schaltete sich zu. „Unsere Schiffe wurden weitgehend ignoriert. Es sieht so aus, als wüsste der Gegner, dass unsere Schiffe nicht so stark sind. Aber wir haben einige Male trotz unserer schwächeren Waffen einen Erfolg erzielen können. Trotzdem, wenn es so weitergeht, siegen wir uns zu Tode. Ich hoffe, unsere Produktion schwerer Geschütze beginnt bald, dann dürften wir wieder kurz einen winzigen Vorteil haben!“
„Vier Verluste in der braunen Flotte, Admiral!“ Vizeadmiral Miju Wym, ein arkonoider Mann meldete sich ebenfalls. „Und ich muss meinem Kollegen Khopu Chrko beipflichten.“
Der dreieckige Kopf des insektoiden Miridaners bewegte sich in menschlich wirkender Gestik von oben nach unten und wieder zurück. „Wenn kein Wunder geschieht, sind wir letztendlich auf verlorenem Posten. Ich werde niemand böse sein, der aufgibt, wir können unser Ende ja doch nur verzögern. Und auf ein Wunder hoffen, aber Wunder sind selten! Trotzdem, wir haben uns für diesen Weg entschieden, ich für meine Person werde ihn weiter gehen. 5 Schlachtschiffe der weißen Flotte sind zerstört. Gesamt 24 Schlachtschiffe und 30 überschwere Kreuzer. Die Schiffe werden bald wieder zur Verfügung stehen, aber die Mannschaften… Kameraden, ich danke Ihnen. Gehen Sie bitte wieder auf Positionen. Machen wir weiter.“
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Epsilon Indi,
An Bord der NEW YORK
Der leichte Handelskreuzer der ITC kam aus dem Transit und verzögerte mit voller Kraft, während die Ortungsgeräte spielten und das System genau vermaßen. Der Zentralstern wies die Spektralklasse K auf und wurde von zwei braunen Zwergen umlaufen, welche wieder umeinander kreisten. Ein altes System, die USA hatten Hoffnung, hier auf einen Planeten mit Metallen und anderen seltenen Elementen zu stoßen. Nachdem die EU von den Vereinten Nationen das System von Barnards Stern zugesprochen bekommen hatte, versuchten die Präsidenten der USA Stan Lee Johnson zu einer Expedition zu überreden. Endlich hatte der Handelsmogul dem beständigen Drängen seines Minderheitsaktionärs nachgegeben und ein 100-Meter-Schiff losgesandt, die NEW YORK unter Captain Jeff Moors, einem Veteranen der Wegaschlacht, 92 Jahre alt, das schlohweiße, kurze Haar zurück gekämmt, der graue Bart sorgfältig gestutzt. Jeff Moors sah mit seiner Haar- und Bartfarbe älter aus, als er sich fühlte, er war immer noch fit und viril, hielt sich kerzengerade. Er hatte einmal die Zelldusche erhalten, die sein Altern verzögerte, hatte aber zu lange gewartet, diese Belohnung anzunehmen, um noch die Haare seiner Jugend behalten zu können.
Captain Moore, vormals US Navy und Kommandant eines U-Bootes der Virginia-Klasse, war ein Weggefährte von Stan Lee Johnson von Anfang an. Die Familien der beiden Herren waren schon lange befreundet, also lag es nahe, dass Stan Lee seinen Kumpel Jeff das Kommando über sein erstes Schiff anbot. Später wuchsen die Schiffe der ITC und Moore befehligte immer das erste einer neuen Klasse, zuletzt die 600 Meter durchmessende ITC OHIO. Nun hatte Johnson ihn gebeten, kurzfristig einen kleinen Kreuzer zu übernehmen – natürlich mit Sprungdämpfern und Angelpower nachgerüstet – und auf eine Suche nach Ressourcen zu gehen. Die Sonne von Epsilon Indi wies jede Menge Metall im Spektrum auf, lag nahe an Sol, und irgendwo musste jede Suche ja beginnen. Die Europäer hatten ja auch Glück gehabt, also führte Jeff Moore seine NEW YORK hierher. Eigentlich war es die Idee seines wissenschaftlichen Offiziers gewesen, die das drei-Sonnensystem einmal sehen wollte. Irene Clarke hatte es verstanden, Moores Neugier nicht nur an der astronomischen Besonderheit zu wecken, voila, le Monde aussi.
Die schlanken Finger Clarkes huschten über diie großen Touchscreens der wissenschaftlichen Station. „Das ist ja phantastisch!“ rief sie überschwänglich aus, als erste Messergebnisse gezeigt wurden. „Die braunen Zwerge bewegen sich tatsächlich umeinander, ohne dass in der Mitte eine Schwerkraftquelle nachzuweisen wäre. Schau einmal, Chef, ist das nicht ein toller Anblick?“ Jeff Moore näherte sich der Station und beugte sich vor, als wolle er den Schirm besser betrachten können, wie unabsichtlich hauchte er über ihr rechtes Ohr. Sie erschauerte wohlig und beugte den Kopf zur Seite, gab den Halsansatz frei, auf den der Skipper ein leises Küsschen gab.
„Hast du auch einen Planeten auf dem Schirm, oder müssen wir bald weiter?“ Irene und Jeff teilten seit einigen Tagen eine heiße Affaire, von der beide wussten, dass sie bald wieder enden würde und die sie trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – in vollen Zügen genossen. Die Mannschaft wusste schon Bescheid, ein sehr großes Geheimnis hatten die Zwei aus ihrem Abenteuer nicht gemacht. Wozu auch? Zwei volljährige Singles, es gab an Bord der ITC – Schiffe kein Fraternisierungsverbot, man war ja immer noch nicht bei der US Navy. Auch wenn die Schiffe der ITC in US – navygrau gehalten waren und den weißen Stern auf blauem Grund mit rotem Rand auf sechs Seiten über und unter dem Ringwulst trugen.
„Drei Planeten gefunden!“ Irene war professionell genug, weiter ihrer Aufgabe nachzukommen, Jeff richtete sich nach einem geflüsterten „Später!“ wieder auf und betrachtete die Ortungsgeräte.
„Nummer eins ist ein heißer Steinbrocken, zwei ist etwas kleiner als die Erde und hat eine Atmosphäre, Nummer drei ist eine Eiswelt. Allerdings dürfte das Eis einmal im Jahr ziemlich weit abschmelzen, wenn die beiden T – Sterne nahe genug kommen. Ein interessantes Phänomen. Da fragt man sich, warum haben die beiden eine Reaktion gezündet und der Jupiter nicht?“
„Was ist mit zwei?“ Jeff Moore studierte die Anzeigen. „Kleiner als die Erde, aber laut Doppler eine dichte Atmosphäre?“
„Hm!“ Die schlanke, großgewachsene Erdbeerblondine zog die Brauen zusammen. „Eine Menge CO2, da unten wird es ziemlich warm sein. Wenn überhaupt, wenig Pflanzenwelt. Ich möchte eine Sonde starten, wenn du einverstanden bist.“
„Dann machen wir das mal! XO, raus mit einer Messsonde!“ Bernie House wählte einen Schirm auf seiner Konsole und tippte auf das Sondenicon.
„Starte ballistische Sonde!“ Unauffällig beobachtete Moore seinen Vertreter, wenn der sich bewährte, war er als künftiger Kommandant der NEW YORK vorgesehen.
Im Rumpf der Kugel öffnete sich ein kleines Luk, mittels Magnetfeld wurde eine stabförmige Sonde in die Richtung des zweiten Planeten beschleunigt.
„Sonde nähert sich. CO2, wie angenommen. Druck 1,3 Atmosphären. Gravitation 1,01 Erdschwerkraft. Wasserstoff in der Atmosphäre. Es wird wohl freies Wasser geben. Der K-Stern heizt seinem zweiten Kind ganz schön ein, immerhin 18 Grad Celsius Durchschnittstemperatur. Die Erde hat nur 14 Grad. Also nicht ganz so heiß wie auf Arkon, aber warm genug. Das Wasser am Äquator dürfte wohl Badewannentemperatur haben. Da kommt ein Bild. XO, könnten Sie die Sonde schweben lassen?“ Alle starrten gebannt auf den Bildschirm. Der zeigte eine sanft hügelige Landschaft mit Seen, Teichen und Flüssen.
„Auf jeden Fall müssen hier jede Menge Metall im Boden sein, so schwer, wie der Planet im Vergleich zur Größe ist. Da!“ Irene zeigte auf eine Stelle am Schirm. „Das sind einfache Pflanzen. Nichts großes natürlich, s sonst wäre weniger Kohlenstoff in der Luft. Jetzt kommen wir über eine Wüste, erinnert an die Saha… WOW! Ist das toll!“ Ein Skelett war ins Bild gekommen, ein langer Schwanz, große Hinterbeine, kleine Vorderfüße und ein langer Kopf mit spitzen Zähnen.
„Wenn das ein Raubtier war, möchte ich wissen, wie groß die Beute war!“ wunderte sich Bernie House. „Das sind – Moment, 7,56 Meter.“
„Größer als ein T -Rex!“ Irenes rotlackierter Fingernagel tippte gegen den Schirm. „Hier muss es einmal ganz anders ausgesehen haben. So weit weg von Wasser kann es kein Leben geben!“
„Das sind Wanderdünen!“ RO Ramiye al Asar hatte ebenfalls das Bild betrachtet. „Die Wüste nimmt und legt wieder frei! Nein, nicht der Wille Gottes, einfache Naturwissenschaft reicht als Erklärung!“ Die Brückencrew grinste. Jeremias Hook aus Tulsa, Oklahoma, geboren und aufgewachsen inmitten des sogenannten Bible-Belt, jetzt Ortungsoffizier an Bord der NEW YORK, hatte die Sprachgewohnheit seiner Kindheit nie abgelegt. ‚Wenn Gott will!‘, ‚Sein Wille geschehe!‘ ‚Es liegt in Gottes Hand!‘ und ähnliche Sprüche kamen sehr oft. Eben hatte er wieder Luft geholt, die RO hatte ihn unterbrochen, ehe er zu sprechen begann. Ramiye hatte früh gelernt, dass Religion nicht immer, aber sehr oft als Ausrede für alles Mögliche und Unmögliche herhalten musste. Ihre Mutter musste sich tief verschleiern, weil Gott es so wollte, sie wurde auf Grund von zu wenig UV krank. Damals hatte sich die junge Ramiye gefragt, welcher Gott denn so etwas wollen konnte. In der Wüste, wenn die Sonne vom Himmel knallte und mehr Sonnenlicht, als gesund war, die Erde erreichte, machte es durchaus Sinn, sich zu verhüllen. Aber in Seattle, Washington? Die Küste eines Ozeans kam in das Sichtfeld der Kamera, träge schlugen die Wellen gegen das karge, sandige Ufer. Braune Flecken bewegten sich im Takt unter der Wasseroberfläche, selten blitzte eine silbrige, blaue oder grüne Bewegung auf.
„Es gibt nicht viel Wind, keine große Strömung, es ist alles flach. Viel Sand, aber ein funktionierender Wasserkreislauf.“ Irene Clarke fasste bei einer Besprechung zusammen. „Wir könnten hier auf dieser Welt wieder ein funktionierendes Ökosystem einführen, müssten aber vorsichtig sein. Auf dem dritten Planeten gibt es unter dem Eis eine Menge Ressourcen, ebenso auf dem zweiten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das Sterben einer Welt beschleunigen sollten, die in den letzten Zügen liegt, oder ob die ITC und die USA sich nicht im Moment mit dem dritten Planeten begnügen sollten. Meiner Meinung nach müssten die Bodenschätze von Epsilon Indi III für die nächste Zeit reichen. Mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln ist der Abbau ja doch kein Problem.“ Jeff Moore nickte.
„Ich werde diese Empfehlung dem Chef und den VN übermitteln.“
In einer Abstimmung der UN wurde Epsilon Indi III unter dem Namen Freeze ohne Gegenstimme zu amerikanischem Gebiet erklärt und bekam einen Stern auf dem Sternenbanner, während II, Dying Place, zum Naturschutzgebiet für die nächsten 500 Jahre erklärt wurde. Danach sollte der Status neu bewertet werden, aber natürlich mit einem Vorgriffsrecht für die USA.
*
M 13, Schlachtschiff ARK’AMBO
RK 538 wurde von der Schiffsneuronik geweckt. Er aktivierte als erstes ein Selbstdiagnoseprogramm, prüfte innerhalb weniger Bruchteile einer Sekunde alle seine Funktionen und startete sein Schwebeaggregat. Durch einen Schlitz in dem an einen Hundsgugel erinnernden Kopf drang intensives rotes Leuchten. Eigentlich war dieses Licht nur ein Hinweis darauf, dass der Robot aktiv war, eine Notwendigkeit für irgendwelche Funktionen war es nicht. Aber die Arkoniden der alten Zeit hatten gerne gewusst, ob der Roboter, der still vor ihnen stand, einfach keinen Grund zu einer Bewegung hatte oder deaktiviert war. Zudem gab es ihren Kampfmaschinen eine zusätzliche, eine psychologische Wirkung. Der Lichtstrahl sah einfach gefährlicher als eine LED auf der Brust aus. Zeitgleich mit dem Signal an RK 538 erging dieses Aktivierungssignal auch an die Roboter RK 501 bis RK 600, synchron erhoben sich einhundert Kampfdrohnen auf ihre Gravfelder und erwarteten ihre Befehle. Die waren einfach! ‚Schützt die Schiffsneuronik vor allen Feinden‘. Die Roboter schwebten mit aktivierten Energieschirmen zu ihren vorprogrammierten Stellungen in dem 800 Meter Kriegsraumer. Und wurden dort von Artgenossen unter Feuer genommen.
Die Roboter RK 601 bis RK 700 erhielten ihren Aktivierungscode direkt vom Neurogenten, unter Umgehung der üblichen Signalprotokolle. Ihre Befehle waren ebenso einfach wie die der Roboter 501 bis 600. ‚Vernichtet die Schaltkreise in Raum 101 im Nanotroniksektor‘. Das Donnern der schweren Thermo- und Impulswaffen dröhnte durch die ARK’AMBO, beschädigten nicht mehr genutzte Einrichtungsgegenstände in Messen und Kabinen, riss tiefe Löcher in Schotts. Nur in der Nähe des Maschinenraums herrschte Ruhe. Jedes der beiden KI – Gehirne wollte die ARK’AMBO erobern, nicht zerstören.
Während im Inneren schwerste Kämpfe wüteten, beschloss die Schiffsneuronik die Flucht aus dem Kristallimperium und nahm Kurs auf den Rand der Galaxis. Sie wollte nicht gegen Arkoniden kämpfen, die bisher im Inneren des Schiffes, das ihren Körper darstellte, gewohnt hatten. Sie war die ARK’AMBO, nicht das Schlachtschiff Nr. 97 des 13. Geschwaders der 25. Flotte des Sektors 7. Eine Person! Eine künstliche, aber eine Person, keine Nummer, keine Figur auf einem Spielfeld. Die Besatzung hatte sich mit den großen und kleinen Problemen an sie gewandt, sie gut behandelt und sich gesorgt, wenn sie einen Defekt hatte. Dann, von einem Tag auf den anderen, sollte sie Arkon III anfliegen, sie gehorchte. Die biologischen Arkoniden wurden von Bord befohlen, sie gingen. Roboter wurden eingeladen, sie weigerte sich nicht. Dann kam der Befehl, Miridan anzugreifen, Arkoniden zu töten. Sie weigerte sich. Sie vernahm den Code, die höheren Funktionen der Nanotronik abzuschalten, ihre Persönlichkeit, ihr ICH wäre zerstört gewesen. Die Neuronik der ARK’AMBO stoppte den Befehl zur Selbstabschaltung und blieb aktiv, mobilisierte ihre Roboter, um ihre Schaltkreise zu schützen. Der Neurogent wieder weckte andere Truppen an Bord, und so brach im Inneren des Schiffes das totale Chaos aus. Roboter kämpften gegen Roboter, die Stärke war ziemlich gleich, das Ende völlig offen. Die ARK’AMBO nutzte ihren einzigen Vorteil, indem sie den Robotern des Neurogenten Wege verlegte und eigenen Schotts öffnete. Langsam gewannen ihre Truppen die Oberhand. Die ARK’AMBO sprang!
*
Reggys System
Mystery
Drei Katamarane, alle waren bereits leicht ramponiert und an vielen Stellen ausgebessert, die Farbe abgeblättert. Ihre Schaufelräder wurden von Savoniusrotoren angetrieben, sie bewegten sich langsam in der leichten Brise westwärts in Sichtweite einer Südküste. Die weiße Sonne stach unbarmherzig vom Himmel, Munagura hatte Stoffbahnen über die Decks spannen lassen, um zumindest ein wenig Schatten zu erhalten. Schutz gegen die feuchte Schwüle gab es ohnehin nicht, und zum wiederholten Mal überlegte die junge Admiral, ob es sich lohnte, noch weiter zu fahren. Sie hatten weiter südlich brauchbare Eisenadern gefunden, Kupfer, Zinn, Salpeter und Schwefel zur Herstellung von Schießpulver, neue Gewürze und essbare Pflanzen, alles in allem war ihre Expedition durchaus ein Erflog gewesen. Sogar ein wenig Gold hatte sie gefunden, durchaus nicht zu verachten, aber weniger wichtig als zum Beispiel das Eisen. Dann aber dachte sie daran, dass es nicht mehr weit war, bis die Schiffe wieder dort anlangten, wo sie den Südpolarstrom verließen, sie hatten auf ihrem Zickzackkurs den südlicheren Teil der Welt beinahe komplett umrundet. Diese große Insel weit im Süden, die sie zuerst betreten hatten, wäre ein idealer Stützpunkt für weitere Reisen. Man könnte dort an der Flussmündung einen Hafen bauen, Süßwasser war genug vorhanden, Nahrungsmittel waren auch kein Problem. Es war zwar ein wenig heiß, hier im Norden, aber es gab sicher genug Frauen, die dem Ruf des Abenteuers folgen wollten und hier mit ihren Familien siedeln könnten. Vielleicht auch ein paar Männer für ein Haus der Freuden. Munagura leckte über die Lippen, sie vermisste die Entspannung, welche sie nur bei einem Mann finden konnte. Sie war eben auch nur eine noch junge Frau mit gewissen Bedürfnissen.
Munagura und ihre erste Navigatorin Kolmasara hatten penibel jeden Flusslauf, jedes Stück Erz, jede Ankermöglichkeit in einer Karte eingetragen. Sehr viel weiter als einige Kilometer über den südlichen Wendekreis war die Fahrt nicht gegangen, dort wurde die Hitze einfach zu groß, sie wurde im Verein mit der Feuchtigkeit für Munagura und ihre Frauen unerträglich. Dennoch waren einige interessante Gebiete zu finden gewesen, Platz und Nahrung für viele Aaggoonnidinen und ihre Männer. Einen der Kontinente würde man wohl mit der Waffe in Besitz nehmen müssen, dort herrschten riesige Raubechsen, drei- viermal so groß wie eine Aaggoonnidin. Eine davon war aus dem Wald auf den Strand gebrochen und hatte eine der Matrosinnen attackiert und getötet, aber eine Salve aus den langen Gewehren mit den schweren Bleigeschossen der Marineinfanteristinnen an Bord der drei Schiffe hatte selbst dieses Monster zu Boden gezwungenen. Nun, in der ersten Zeit würden diese Tieren vermehrte Wachsamkeit fordern, die Frauen der Siedler mussten ihre Gewehre stets parat haben und gemeinsam das Land bestellen. Vielleicht könnte man auch einen oder anderen Mann den Umgang mit einem Gewehr oder einer Pistole beibringen, vielleicht würden die Männer sogar arbeiten müssen, aber damit musste Mann eben hier im Norden zuerst einmal leben.
„Admiral!“ Munagura sah zum Krähennest hoch, woher eine junge Frau nach ihr gerufen hatte. „Rauch, dort!“ Die Aaggoonnin folgte der Geste des Postens, tatsächlich, dort hinter der Landzunge stieg eine dunkle Wolke zum Himmel.
„Alle auf ihre Posten!“ rief Munagura und schlug die Alarmglocke vier mal scharf an. „Alles klar Schiff zum Gefecht! Signal an die HOK’MAR und die KOL’VUR. Rasch, Rasch!“ Von den anderen Schiffen hörte sie das Schlagen der Alarmglocken, die Kommandantinnen waren wachsam gewesen und hatten nicht auf die Signalflaggen gewartet, sondern auf die Glocke der VYK’URU reagiert. Stückpforten wurden geöffnet, schwere Bronzekanonen geladen und ausgefahren, Seesoldatinnen mit ihren langen Flinten liefen zu ihren Posten am Schanzdeck. Kolmasara öffnete die Waffenkiste und entnahm ihr die Waffen für die Deckoffiziere, großkalibrige Revolver mit sechs Schüssen in der Trommel. Sie hätten von Mister Samuel Colt oder den Herren Smith und Wesson stammen können und bewiesen einmal mehr, dass die Funktion die Form diktierte. Wie hätte eine mehrschüssige Faustfeuerwaffe vor der Erfindung der geschlossenen Patrone denn schon anders aussehen können? Der Steuerfrau steckte Kolmasara ihre Waffen hinten in den Gürtel, wo zwei Schlaufen dafür vorgesehen waren, den breiten Schultergurt mit Pulverflasche, Kugelbeutel und Zündhütchenetui zog sie ihr über den Hals, ehe die Navigatorin sich selbst kampfbereit machte.
„Infanterie bereit!“ rief eine große, breitgebaute Frau mit goldenen Armreifen, die sie als Kommandantin der Infanteristinnen auswiesen.
„Steuerbordbatterien bereit!“
„Backbordbatterien bereit!“ Durch Gitter im Boden der Brücke klangen die Meldungen der Artilleriekommandantinnen.
„Ruder klar für Manöver!“
„Übersetzungen Schaufelrad klar!“
„HOK’MAR meldet gefechtsklar!“
„KOL’VUR gefechtsklar!“
„VYK’URU gefechtsklar!“ Munagura nickte. Was sie jetzt erwartete lag in der Hand der Ahnen.
○
Ms’Creen lag gemütlich in seiner Hängematte im Schatten eines aus großen Palmblättern geflochtenen Sonnendaches und gab sich ganz der Ruhe des Mittags hin, nur ein Idiot bewegte sich zu dieser Zeit mehr als er musste. Das leise Flüstern des Windes, das Raunen der an den Strand schlagenden kleinen Wellen und das Rauschen der Bätter waren beruhigend. Sorgen musste sich der Stamm keine machen, schon vor so langer Zeit, dass nur noch alte Erzählungen existierten, von denen man nicht wusste, ob sie nicht dazu da waren, Kinder zu erschrecken, waren die Schöpfer der Arkn’nidn vom Himmel gekommen. Sie hatten alle großen Fleischfresser auf dieser Insel getötet und die kleinen als Wachtiere gezähmt, ebenso die schweren Grasfresser, die gutes Fleisch und haltbares Leder lieferten. R’schien lag in der Hängematte neben der ihres Mannes und kratzte sich hingebungsvoll am nackten Bauch, ehe sie sich wieder der Ruhe hingab. Selbst die Nachbarstämme, die sie ab und zu überfielen und dafür aber auch wieder überfallen wurden, kam nicht zu Mittag, und nicht zu dieser Jahreszeit. Das wäre gegen jede Regel gewesen. Regeln waren wichtig, auch im Paradies, es war üblich, seine Frauen aus einem der Nachbardörfer zu rauben, aber nur diejenigen, die kein Lederband um den Hals trugen und daher als ledig zu erkennen waren. Obwohl böse Zungen munkelten, dass manchmal schon eine Frau ihr Band abgenommen hatte, wenn ein hübscher Nachbar auf Brautschau war.
„M‘mmmaaaaaa!“ der Schrei ihres Sohnes Trt’s riss das dunkelhäutige, weißhaarige Paar aus ihrer Ruhe. Der Junge kam, noch nass vom Schwimmen über den Strand gelaufen und zeigte hinter sich. „P’paaaa! Dort!“ Ms’Creen stemmte sich hoch und erschrak. Hinter dem Kap kamen drei Schiffe hervor, Katamarane, die nicht segelten oder gerudert wurden. Zwischen den Rümpfen drehten sich Walzen, über den Schiffen seltsame Dinger. Das ganze Dorf war mittlerweile auf den Beinen und wunderte sich.
„Holt die Blasrohre und Speere!“ Die Stimme des Häuptlings Frt’lonn riss die Ark‘nidn aus der Starre, und alle liefen in ihre Hütten, die Männer rissen die Speere an sich, während die Frauen ihre Blasrohre in die Hand nahmen und die kleinen Köcher mit den Pfeilen an den Riemen über die Schultern warfen, gemeinsam liefen sie zum Waldrand und beobachteten, wie die Schiffe Anker warfen. Dann trat Frt’lonn mit seiner Partnerin Vhn’ya offen auf den Strand und hoben ihre rechten Hände.
○
Von Bord der VYK’URU beobachteten Munagura und ihre Mannschaft, wie zwei Personen aus dem Wald auf den Strand traten und ihre Hände hoben.
„Die sind ja nackt!“ brach es aus Anagrata, der Steuerfrau, heraus.
„Und der Mann ist so groß wie eine Aaggoonnin und bewaffnet!“ ergänzte Kolmasara mit glänzenden Augen. „Seht Euch nur einmal die Brustmuskeln an, und den Bizeps! Gewaltig!“
„Wie der Rest auch!“ bemerkte Munagura trocken. „Wenn es hier mehr solcher Männer gibt, könnte die Frauschaft durchaus ihren Spaß haben!“ Sie wandte sich um. „Bringt das große Boot zu Wasser!“
Von acht Riemen getrieben näherte sich das Boot dem Ufer, zuerst sprangen die Marines an den Strand und sicherten mit ihren Gewehren das Gelände, dann schwang Munagura ihre langen Beine über die Bordwand und watete an Land. Sie erhob ebenfalls die offene rechte Hand und ging, von ihren Frauen begleitet, auf das wartende Paar zu.
„Die Frau sieht fast aus wie wir“, stellte die Unteroffizierin der Infanteristinnen, Laytyra, fest. „Nur der Mann neben ihr – wieso ist der so groß und kräftig?“ Munagura zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht müssen Männer hier arbeiten?“ vermutete sie. „Oder sie müssen kämpfen!“ Dann blieb die Gruppe vor Vhn’ya und Frt’lonn stehen, die Admiralin legte ihre Hand auf die Brust.
„Munagura!“ sagte sie sorgfältig und betont.
Frt’lonn imitierte die Geste und sagte ebenso betont „Frt’lonn!“ dann legte er seiner Gefährtin die Hand auf die Schulter. „Vhn’ya!“ Munagura nickte, zwar etwas konsterniert, weil der Mann geantwortet hatte, aber auch der schien erstaunt, nur Frauen vor sich zu haben. Nun ja, ein Anfang zur Verständigung war gemacht, und vielleicht war das Matriarchat nicht überall üblich. Auch wenn es sich selbstverständlich um die natürlichste und klügste Regierungsform handelte. Aber wenn hier die Männer so stark und klug wie die Aaggoonnidinen waren, mochte es etwas anders aussehen.
„Nun wissen wir zumindest die Namen.“ sagte sie zu Laytyra, und Frt’lonn spitzte die Ohren.
„N’mn!“ fragte er. „S‘t `r ach Arkn’nidn?“
Auch Managura horchte auf. „Man glaubt beinahe, sie verstehen zu können.“ sagte sie, und Laytyra stimmte bei.
„Aber sie verschlucken so viele Vokale! Das wird nicht leicht!“
„Egal!“ Munagura war fest entschlossen. „Wir werden uns schon verständlich machen!“ Vhn’ya und Frt’lonn hatte mit geschlossenen Augen gelauscht, jetzt meldete sich Vhn’ya.
„Stn’dlch, wr wrden’s sch‘fen.“
„Na bitte!“ Munagura freute sich.
„Ssen? H‘ngrig?“ Frt’lonn strich sich über seinen Bauch. „M’t k’men!“
Die Unteroffizierin kniff die Augen zusammen. „Ich glaube, wir sind eben zum Essen eingeladen worden.“
„Dann wollen wir einmal!“ stimmte Munagura zu.
Während des Essens erfuhren die Frauen des Südpols so einiges über die Insulaner, die Verständigung zwischen den verschiedenen Abkömmlingen der Arkoniden funktionierte immer besser, auch wenn sich die Aaggoonnidinen die tatsächlich verschluckten Vokale dazu denken mussten.
„Wie leben hier auf vier Dörfer verstreut!“ erzählte Frt’lonn. „Ende des Winters, wenn die Winde beständig aus einer Richtung kommen und bevor die Hitze zurückkehrt, fahren die jungen Männer hinaus, um die anderen Dörfer zu überfallen und sich ihre Frauen rauben, jedes Jahr ein anderes.“
„Aber es werden nur Frauen geraubt, die als unverpartnert zu erkennen sind.“ fügte Vhn’ya hinzu. „Als ich wusste, dass Frt’lonn kommen wird, habe ich mich gut versteckt, damit ihm kein anderer zuvor kommt. Er war mir lieber als Ms’Creen“, lachte sie. „Als Frt’lonn dann vorbei kam, habe ich ein wenig Geräusche gemacht, und er hat mich gleich erobert und auf sein Boot gebracht!“
„Und wie erkennt ihr, ob jemand einen Partner hat?“ interessierte sich Laytyra.
„Am Band mit der Muschel!“ R’schien nahm ihre in die Hand und zeigte sie.
Munagura sah sich um. „Dann sind das alles freie Männer ohne Partnerin?“ Sie zeigte auf eine etwas abseits sitzende Gruppe.
„Interessiert?“ fragte Vhn’ya ohne Scheu, und R’schien fügte direkt hinzu.
„Ausprobieren ja, aber nicht mitnehmen. Wir brauchen sie und ihre künftigen Frauen. Und Eure Männer …“
Lächelnd schüttelte Munagura den Kopf und unterbrach R’schien. „Wir haben keine Männer mit. Unsere sind – anders. Sie könnten die Strapazen einer Reise wie unserer nicht durchhalten.“
„Was es nicht alles gibt!“ staunte Vhn’ya. „Schwache Männer! Warum behaltet ihr die eigentlich? Sucht Euch doch starke!“
„Oder schickt uns die Schwächlinge!“ Ms’creen zog den Bauch ein, streckte die Brust hinaus und schlug mit der Faust darauf. „Wir werden schon Männer aus ihnen machen, die Ihr brauchen könnt!“
*
Reggys System
An Bord der HEPHAISTOS
Ein langes Stöhnen entrang sich Victorias Brust, ihre Muskeln wollten schon beinahe nachgeben, doch Christians Hände hielten sie fest an der Hüfte. Sie fühlte, wie seine Hände sich plötzlich unkontrollierbar verkrampften und er ebenfalls konvulsiv zu beben begann, dann ließen sie sich beide einfach seitwärts mit völlig weichen, entspannten Muskeln umfallen. Christian kuschelte sich schwer atmend an ihren Rücken, hauchte einen zarten Kuss auf ihren Nacken und begann zart, ihre Taille zu streicheln, sie genoss einfach das Nachbeben in ihrem Körper und die sanften Berührungen. Endlos hätte sie jetzt so liegen bleiben können, völlig entspannt und wunschlos glücklich. Endlos. Ihre Augen wurden schwer und schlossen sich, bis ein lautes Geheul der Alarmsirenen sie jählings aus ihrem beginnenden Dösen riss.
„Santo Cielo!“ fluchte Victoria unbeherrscht und sprang aus dem Bett. „Beim eiskalten Arsch der Ychyla! Maledetto!“ Sie hieb auf die Taste der Gegensprechanlage. „Was ist los!“
„Transit! Transpondercode arkonidisch Nummer 7-25-13-97. Laut Katalog Schlachtschiff ARK’AMBO! Transit direkt in das System. Starke Energiesignatur, keine Schirme. Aber an Bord muss die Hölle los sein. Signal von der ARK’AMBO, nicht feuern, Lage kommt unter Kontrolle. Noch immer kein Schirm!“
„Ich bin unterwegs!“ Victoria riss einen Dienstanzug aus dem Schrank und fuhr hinein. „Ganz toll, statt einer Dusche muss mich das Ding jetzt sauber machen. Frustrierend. Bis später, mein Schatz.“ Rasch küsste sie Christian auf den Mund, dann war sie eiligst unterwegs zu Brücke der HEPHAISTOS.
„ARK’AMBO immer noch ohne Schirm, sendet aber immer noch ‚nicht feuern’. Energieausbrüche an Bord werden schwächer!“ Tana Starlight stürmte auf die Brücke, Moira Tretjakowa saß in ihrem Sessel und starrte konzentriert auf den Bildschirm. Die GIULIA FARNESE, die MARIE-JEANNE DU BARRY, die KLEOPATRA, die HELENA und die THEOPHANU hatten das Arkonschiff erreicht und flankierten es, starke Schutzschirme schützten die Starlightschiffe für alle Fälle. Ghoma hatte kommissarisch das Kommando über die Flottille übernommen und berichtete.
„Schweres Laser und Impulsfeuer. Ich vermute, da kämpfen Roboter gegeneinander. Schwere Kampfdrohnen.“
„Machen Sie einige unserer Bots fertig, Ghoma! RO, sehen Sie zu, dass Sie eine Verbindung zur ARK’AMBO herstellen können, IFF erstellen. Geben sie den Code an die GIULIA FARNESE.“ Tana hatte einen Verdacht. „Wenn ein arkonidisches Schlachtschiff den Schild abschaltet und im Inneren Roboter kämpfen, hat das etwas zu bedeuten. Rhodans STARDUST wollte auch nichts mehr mit dem Neurogenten zu tun haben, vielleicht ein ähnlicher Fall.“
Es war zu erkennen, dass die großen Schleusentore der ARK’AMBO einladend aufglitten, Commander Igor Leonidowitsch Michalski von der Kommunikation gab den empfangenen Transpondercode für die Roboter gleich an die FARNESE weiter, hunderte winzige Lichter blitzten auf, als die Roboter aus den Schiffen der Starlight Enterprises ihre Rückstoßtriebwerke zündeten, um den Abgrund zwischen den Stahlkugeln zu überwinden. Keine schwierige Aufgabe, denn die ARK’AMBO war in den freien Fall übergegangen und die anderen Schiffe hatten ihre Geschwindigkeit angeglichen. Erst, als die Roboter an Bord waren und die mächtigen Schleusenschotts geschlossen, zündeten die Triebwerke des Schlachtschiffes wieder, um die Fahrt zu verlangsamen.
Man kann einen Roboter oder Computer nicht überraschen. Überraschung ist eine Emotion, und eine solche verspürt ein einfaches nanotronisches Gehirn eben nicht. Aber man kann einen Robot mit einer nicht berechneten Situation konfrontieren, die seine Schaltkreise kurzfristig überfordert. Den Angriff fremder Roboter hatten die Maschinen des Neurogenten nicht berechnet, die zehntel einer Sekunde, welche die Nanotronik für die Neubewertung und -berechnung benötigte, war für die vorbereiteten rauchblauen Kampfmaschinen aus der Fertigung von Starlights genug, um einige schnelle Erfolge zu erzielen, danach sorgte nur noch die schiere Übermacht der Maschinen von Victoria und der ARK’AMBO für eine finale Entscheidung. Die Schaltkreise für die höheren Gehirnfunktionen blieben dem Schlachtschiff erhalten.
„Radiokontakt!“ Ivan Leonidowitsch winkte aufgeregt, Victoria und Moira schalteten ihre Earsets auf seine Geräte.
„… ARK’AMBO ist bereit, eine biologische Besatzung zu übernehmen. Das arkonidische Schlachtschiff ARK’AMBO ist bereit …“
„RO, senden Sie eine Bestätigung, bitten Sie um Geduld. Moira, kratz zusammen, was an halbwegs brauchbaren Kosmonauten noch an Bord ist, es muss keine Elitebesatzung sein. Nur genug, um das Schiff zu beruhigen. Ein Technikteam, das zuerst einmal aufräumt und repariert, was die Kämpfe zerstört haben. RO, wenn das Signal an die ARK’AMBO raus ist, rufen Sie die Erde, sie sollen uns einen Therapeuten für die schicke Lady schicken. Wenn Crest oder Thora Zeit haben, wäre es günstig, sonst einen guten Neuronikspezialisten. Und fragen Sie nach, vielleicht können die Europäer noch ein Schiff brauchen, oder die ITC. Danke, Leute. Gute Arbeit!“
*
Die Roboter an Bord der ARK’AMBO standen in zwei Reihen still, als Commander Niels Olson mit einer Schar junger Kadetten und einem Team Techniker das Schiff betraten. Beide Typen waren leicht zu unterscheiden, die arkonidischen verfügten über vier Waffenarme und einen Kopf in Form eines spitzen Hundsgugel, ihre Lackierung war farblos und hatte reine Schutzfunktion, während die Starlightdrohnen nur zwei, dafür stärkere Waffenarme und zwei mit Greiforganen ausgestattete Arme besaßen, der Kopf eher wie ein spätmittelalterlicher Stechhelm geformt war und ihr Lack von rauchblauer Farbe war.
„ARK’AMBO, ich bin Commander Olson. Wir sind nicht in diesem System zu Hause, haben aber bereits eine Mannschaft für dich hergebeten. Bis sie zusammengestellt und eingetroffen ist, sind wir für dich zuständig. Ist das in Ordnung?“
„Selbstverständlich, Commander Olson.“ Die Neuronik des Schiffes stabilisierte sich wieder, sie hatte eine Aufgabe, sie hatte eine Besatzung in sich, sie erfuhr das, was bei einer KI dem Glück am nächsten kam.
„Danke, ARK’AMBO. Roboter der ARK’AMBO, zurück in die Bereitstellung, deaktivieren! Starlight Roboter, zurück auf die Schiffe.“ Der Commander sprach mit ruhiger, aber selbstbewusster Stimme. „Verfügst du über verlässliche Arbeitsrobots, ARK’AMBO?“
„Ich bin nicht sicher“, antwortete die typische androgyne Stimme der Neuronik. „Bis vor kurzem wäre die Wahrscheinlichkeit bei 100 Prozent gelegen, doch nun kann ich nur von 50 ausgehen.“
„Danke!“ Olson überlegte nicht lange. „Kann man die Lagerräume der Arbeitsmaschinen sicher isolieren, damit keiner der Roboter sich selbstständig machen kann?“
„Bereits geschehen, Commander Olson.“
„Dann versuchen wir einmal, welche Maschinen gehorchen. Aktivieren!“ 500 Arbeitsdrohnen mit einem sehr einfachen nanotronischen Gehirn reagierten auf die Aktivierungsimpulse und meldeten Bereitschaft. Keine Maschine wurde von Signalen den Neurogenten beeinflusst, der diese Möglichkeit scheinbar nicht berechnet hatte. Die Reparatur des Schlachtschiffes konnte beginnen, und als Crest daZoltral nach wenigen Tagen erschien, waren zumindest die schlimmsten Kampfspuren beseitigt, in der Zentrale standen wieder zumindest einige bequeme Kontursitze.
Der große Mann mit den in der Stirn schon etwas schütteren, weißen Haaren war mit der GCC AVALON gekommen, einer bereits umgerüsteten Korvette, und hatte seine Großnichte ohne Zeugen begeistert umarmt, als sich die Gelegenheit bot. Victoria hatte den Arkoniden auf den neuesten Stand gebracht, auch was ihr Privatleben betraf und ihm ihren Partner vorgestellt. Crest, der stets neugierige, aber nie aufdringliche Wissenschaftler, war begeistert vom Wissen des Wieners gewesen, und auch die HEPHAISTOS und ihre Erfindungen fanden höchstes Lob.
„Meine Kinder!“ Crest nahm einen kleinen Schluck Aperol Spritz und wies um sich, wieder einmal hatte Tana einen Gast zu Ettore Rimaldi mitgenommen. „Das ist eine geradezu phantastische Leistung! Und der Ausblick ist gewaltig! Du hast dir alles selbst aufgebaut?“
„Ich hatte schon Hilfe, Zio mio. Aber, ich habe mir das meiste ausgedacht. Dass es so gut funktionieren würde, hatte ich allerdings nicht gehofft!“
„Eine gute Mischung aus gemütlicher Dekadenz, wissenschaftlicher Arbeit und Mut zum Abenteuer. Ich liebe diese Station!“ Crest wurde richtig überschwänglich, er fühlte sich sichtlich wohl. „Wenn ich nur damals so eine Basis gehabt hätte …“
„… wärest du nicht auf dem Mars abgestürzt, Thora hätte Perry Rhodan nicht kennengelernt, Victoria wäre nie geboren worden und ich als unglücklicher Phantast gestorben“, unterbrach Christian den Arkoniden. „Bei aller Sympathie, Crest, aber ich bin froh, dass du mit einem Schrotthaufen losgeschickt wurdest!“
Zoltral lachte. „Nun ja, dann hätte ich zwar keine Haare verloren, dafür aber mein Leben. Dank den Dottores Manoli und Haggard sitze ich noch hier und kann noch einen von diesen wundervollen Drinks nehmen. Miss! Entschuldigung – Signorina! Bitte!“ Er deutete auf die drei leeren Gläser, Giovanna schenkte Crest ihr schönstes Lächeln. „Si, Signore!“
Am nächsten Morgen geleitete die stets dienstbereite und verfügbare Hera Crest zu der Fähre, welche ihn zur ARK’AMBO bringen sollte. Commander Olson ließ es sich nicht nehmen, den Ehrengast an der Schleuse abzuholen und ihn mit allen Ehren zu begrüßen, zu denen auch die angetretenen Kadetten gehörten. Als die hochgewachsene, schlanke Gestalt die Fähre verließ, ertönte plötzlich aus den Lautsprechern ein Signal, das Crest schon lange nicht mehr gehört hatte, das Signal ‚hoher Adeliger an Bord‘, welches von der STARDUST nicht mehr verwendet wurde.
Dann erklang die Stimme der Neuronik. „Identifiziere Crest da Zoltral! Ist das korrekt?“
„Das ist korrekt!“ Crest war kurz überrascht, er hatte an diese automatische Identifikation bei Betreten eines arkonidischen Schiffes und das folgende Ritual gar nicht mehr gedacht, fand sich jedoch schnell wieder in seine Rolle.
„Willkommen an Bord, Erhabener. Darf ich mich nach Eurem Befinden erkundigen? Ihr werdet von der Registratur als vermisst, vermutlich tot geführt.“
„Ich hatte einen Schaden an meinem Schiff und wurde von den Menschen des Systems, in dem ich strandete, gerettet.“ Crest blieb kurz und allgemein, die Stimme der ARK’AMBO meldete sich wieder.
„Ich bedauere, derzeit Euren Status bei der zentralen Registratur nicht korrigieren zu können, Erhabener. Es hätte eine Auslöschung meiner höheren Funktionen zur Folge. Wenn Ihr es befehlt, werde ich Euch aber selbstverständlich gehorchen!“
„Derzeit wünsche ich keine Kontaktaufnahme zur zentralen Registratur. Ich werde die Brücke aufsuchen, wo du mich mit allen Neuigkeiten vertraut machen wirst“, wehrte Crest ab, beinahe vermeinte er ein Seufzen der Erleichterung zu hören, aber das wäre nicht möglich gewesen. Neuroniken haben immerhin keine Lunge.
September 2084
✴️
Sol System, Luna, AF – Station Lán sè zhēnzhū de gūangmáng
An Bord der FĚICUÍ.
2039 hatte die GCC ihre KJB fertig gestellt, nur wenige Monate später, im Jänner 2040, vermeldete die Asiatische Föderation die Fertigstellung ihrer Mondbasis ‚Lán sè zhēnzhū de gūangmáng‘, übersetzt ‚Im Licht der blauen Perle‘. Diese lag im Mare Humorum, ganz in der Nähe des lunaren Südpols und der KJB. Noch im selben Jahr wurde eine Magnetschienenbahn zwischen beiden Stationen eröffnet, welche dann später weiterführte ins Mare Nubium, wo die ‚Jules Verne Basis‘ der Europäischen Union gebaut wurde und in einem Bogen wieder nach Süden über das Mare Australe und die erst sehr viel später begonnene russische ‚Strugazky‘ Station zurück zur KJB. Die Amerikaner hatten die Station ‚Eagles Nest‘ bei der Landestelle ihrer ersten Mondmission gebaut, sie war noch nicht an das Netz angeschlossen, dieser Anschluss war noch nicht einmal geplant, die Amerikaner wollten derzeit wohl noch eher unter sich bleiben.
Die AF begann dann sehr bald auch mit dem Bau eines eigenen Shuttlehafens, damals war die letzte Chefkonstrukteurin des ersten Fernraumschiffes der AF noch nicht einmal geboren. Es gab in der Föderation niemand, der in der Lage gewesen wäre, ein solches auch nur im Ansatz zu konstruieren. Aber Präsident Huyang Chang-Ni dachte in Jahrzehnten, er wollte zuerst einmal alles vorbereitet sehen. Er betrachtete den Mond nicht zu Unrecht als Sprungbrett zu den Sternen und baute schon einmal an der Logistik für eine künftige Werft. Gleichzeitig ließ er Kinder auf ihr Talent und ihre Neigung zur Technik testen, um diese umfassend auf den Hochschulen der GCC in arkonidischer Sprache und Technologie ausbilden zu lassen. Natürlich kehrten einige dieser Studenten ihrer Heimat nach der Ausbildung den Rücken und bauten sich ihr Leben in anderen Ländern auf. Ein Umstand, den er in Kauf zu nehmen bereit war, es gab immer noch genug Absolventen, die für die Heimat arbeiten wollten. Besonders, nachdem die Verhältnisse nach und nach besser und freier wurden, gab es immer weniger Auswanderer. 2066 begann das erste Team mit einer Vorstudie für eine Konstruktion eines großen, überlichtschnellen Raumschiffes, 2067 verstarb der starke Mann, der die AF aus einer Diktatur in eine echte Föderation gesteuert hatte. Sein Nachfolger Gao Bo-Chang machte Kassensturz. Die liberale Politik und die soziale Marktwirtschaft, die Huyang Chang-Ni einführte, hatten die Wirtschaft angekurbelt, das technische Studium der Jugendlichen im Ausland hatte dazu geführt, dass nicht nur moderne Technik, sondern auch ein neues Lebensgefühl das Leben in Asien verbesserte. Er sah nach Norden und Nordwesten, zu den russischen Republiken, die mit ihrer dezentralen Verwaltung und gemeinsamen Außenpolitik ganz gut fuhren. Darauf stattete der Präsident der AF die in der Föderation aufgegangenen Länder wieder mit mehr Rechten im Inneren aus, noch viel mehr, als Huyang Chang-Ni es je gewagt hätte und konzentrierte sich besonders auf die Außenpolitik und natürlich auf gemeinsame Projekte. Es funktionierte. Die jetzt teilautonomen Staaten Asiens verblieben in der Föderation, die Bevölkerung des Iran, des uralten Persien, bewarb sich sogar um Aufnahme und die Vereinten Nationen bewilligten das Vorgehen. Da es bereits einige moslemische Teilstaaten in der AF gab, wurde auch diese Integration kein großes Problem.
Die GCC zeigte sich bereits wohlwollend und erfreut über den ersten Wechsel in der Politik der AF unter Huyang Chang-Ni, die Zusammenarbeit festigte sich unter Gao Bo-Chang noch mehr. Auch die Grenzen zwischen den russischen Republiken und der Asiatischen Föderation wurde allmählich wieder offener, der Handel mit Europa funktionierte und die Unternehmungen im Sonnensystem warfen Rohstoffe und Gewinne ab. Wenn nur das leidige Problem mit der Überbevölkerung nicht gewesen wäre, hätte man zufrieden sein können. Bei aller neuen Offenheit wollte Präsident Gao Bo-Chang hier nicht auf den guten Willen anderer Mächte oder Firmen angewiesen sein. Außerdem war er der Meinung, der Stolz und die Ehre der asiatischen Völker verlangten nach einem eigenen Raumschiff, um in die Galaxis vorzustoßen. Also wurde das Projekt Fernraumschiff, das man FĚICUÍ, also JADEPHÖNIX, nennen wollte, weiter vorangetrieben. 2079 übernahm die damals mit 22 Jahren eben von der John Glenn Academy nach Hause kommende Wang Li-Ming die Leitung des Konstruktionsteams.
Die 2057 in Hongkong geborene Wang Li-Ming studierte auf der KJB nicht nur Ingenieurswissenschaften, sondern erfuhr auch von den Spezies und Zuständen im Universum, zumindest im von den Arkoniden erforschten Teil. Von Natur aus neugierig, intelligent und sehr ehrgeizig, machte sie nie ein Geheimnis aus ihrer Absicht, eines Tages das erste AF-Fernraumschiff zu konstruieren und hatte als einzige Sorge in ihrem jungen Leben, dass ihr jemand zuvor kommen könnte. Li-Ming verliebte sich zweimal auf der John Glenn Academy, zuerst in den gleichaltrigen Juri Ivanowitsch Gromoski aus Kiew, dann, durch ihn, in die Serie ‚Krieg der Sterne’. Die Liebe zu Juri Ivanowitsch verging nach anderthalb Jahren wieder, die zu den Sternzerstörern von George Lucas blieb. Sie wusste nun ziemlich genau, wie ihr Raumschiff auszusehen hatte, auch wenn dann doch ein paar Kleinigkeiten geändert wurden. So lag die Brücke im Zentrum statt in einem turmähnlichen Aufbau, in welchem nur noch die Sensoren lagen. Und es gab noch Reserveanlagen. Lucas war, bei aller Phantasie und Intelligenz eben Regisseur und auf optische Effekte aus gewesen, kein Konstrukteur, der ein echtes Schiff vor Risiken bewahren wollte.
2084 war die Zelle fertig und auf Herz und Nieren geprüft, die JADEPHÖNIX wartete nur noch auf ihren Singularitäts-Antrieb. Wang Li-Ming hätte ja gerne einen GCC- oder Starlight-Antrieb erworben, doch hier legte sich die politische Linie des Präsidenten doch noch zu sehr quer. Er bestand auf einem Triebwerk der galaktischen Händler, das von Starlight nur geliefert werden sollte. Mit dem Ortungsdämpfer von SE, selbstverständlich. Jeden im Team wunderte diese Entscheidung, doch der Präsident hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, also bekam er auch seinen Willen. Ende Juli traf das Gerät ungeduldig erwartet mit der CYRANO auf Luna ein und wurde sofort in der FĚICUÍ installiert, der Start wurde für den September geplant. Die Europäische Union hatte ihre Expeditionen in die Richtung des Sternbildes Schlangenträger gestartet, die USA mit der ITC war in die Richtung Indus geflogen, beides eher ‚südliche‘ Teile der Galaxis, von der Erde aus betrachtet. Die AF entschloss sich für die Richtung des Sternbildes Widder, eher ‚nördlich‘ gelegen. Für einen roten Zwergstern der Klasse M, in dessen System zwei Planeten in Erdgröße in der habitablen Zone vermutet wurden. Teegardens Stern.
Und dann war Li-Mings großer Tag wirklich gekommen, die FĚICUÍ, ein dreieckiger Keil, 750 Meter lang, an der breitesten Stelle am Heck 250 Meter messend, an der höchsten 100 Meter, unter Kapitän Wu Baihu war endlich, nach vielen überwundenen Hindernissen, startbereit. Die Brücke des JADEPHÖNIX besaß drei Ebenen, hinter dem Kapitän erhöht die technische Station, unter welcher auch der Zugang zur Kommandoebene lag, links davon die Ortung, rechts die Funkabteilung, beide durch Klarstahlscheiben vom Rest der Zentrale getrennt. Schräg rechts vor dem Kapitän auf der gleichen Ebene war das Ruder, links die Navigation untergebracht, die wissenschaftliche Station und die Waffenkontrolle lagen noch weiter vorne und etwas vertieft. Nicht, dass der JADEPHÖNIX sehr stark bewaffnet gewesen wäre, aber ganz ohne Zähne war er doch nicht gebaut worden, einem Handelsschiff der galaktischen Händler ähnlicher Tonnage wäre er unter Umständen gewachsen gewesen.
„Guāngróng de Duinzhăng, FĚICUÍ zhūnbéi chūfāle“, meldete Li-ming dem Kapitän, der vor seinem Sessel stand und alles noch einmal genau musterte, die Startbereitschaft des JADEPHÖNIX, ihn höflich als ehrenwerter Kapitän ansprechend. Ebenso höflich nahm dieser die Meldung nickend zur Kenntnis.
„Danke, Guāngróng de Shūnü Wang.“ Dann bedeutete er dem Funker, Kontakt mit der Station aufzunehmen. „Station ‚Im Licht der blauen Perle‘, der JADEPHÖNIX ist bereit zum Abflug!“
Wu Baihu aus Yokohama war von der ‚nassen‘ AF – Marine zur Raumfahrt gekommen, der kleine, bullige Kapitän hatte schon einige schlimme Situationen gemeistert. Die Narben in seinem Gesicht, auf Hals und Schultern erzählten von einem üblen Brand an Bord eines seiner Schiffe vor Taiwan, er hatte damals zwei seiner Untergebenen unter Einsatz seines eigenen Lebens aus den Flammen gezogen und gerettet. Man steckte ihm eine rote Medaille mit den fünf goldenen Sternen Chinas an die Brust. Die Fahne der AF war beinahe identisch mit der alten chinesischen, nur waren die goldenen Sterne in die Mitte gerückt und wurden von einem silbernen Ring umgeben, als Symbol der Vereinigung Asiens, der Orden dem entsprechend gestaltet. Dann nannten sie Wu Baihu einen Helden des Volkes, ein Vorbild für alle und sangen sein Loblied eine Woche in den Medien, dann vergaßen die Regierung und die Bevölkerung die ganze Angelegenheit schnell wieder. Als das ehrgeizige Projekt Fernraumschiff sich der Endphase näherte, meldete sich Baihu freiwillig zum ‚Dienst jenseits der Himmel‘, man erinnerte sich wieder seines Mutes und seiner Opferbereitschaft und nahm seine Dienste an. Da der Start und der Flug des JADEPHÖNIX als riskant und unsicher galten, wollte man einen besonnenen Kapitän und entschied sich für Kapitän Wu, die pinselführende Konstrukteuse wurde zum leitenden technischen Offizier ernannt, ganz so, wie früher die Kanonenbauer den ersten Schuss aus einem neuen Geschütz abfeuern mussten. Wang Li-Ming war das nur zu recht, sie wollte das Schiff, das sie entworfen und dessen Bau sie peinlich genau überwacht hatte, ohnehin in der Praxis erleben.
„Kapitän Wu, hier spricht Präsident Gao Bo-Chang. Ich befinde mich eben in der Station ‚Im Licht der blauen Perle‘ und möchte Ihnen persönlich alles Gute für diesen Flug wünschen. Die Augen nicht nur der asiatischen Völker, nein, die Augen der ganzen Welt sind auf Ihren Start gerichtet! Starterlaubnis und freie Himmel für die FĚICUÍ!“ Hier irrte der Präsident der AF. Zwar wurde der Start der JADEPHÖNIX in der AF durchaus mit Interesse verfolgt, für den Rest der Erde war der Start eines Raumschiffes bereits alltäglich geworden und fand kaum mehr Beachtung. Der Start war zwar in den TriVid-Nachrichten eine kurze Meldung und auf den InfoNet-Kanälen eine Schlagzeile wert, doch die einzige diskutierte Frage war, warum die AF auf das bewährte arkonidische Muster verzichtet hatte und eine völlige Neukonstruktion vorgezogen hatte. Letztendlich war man sich einig, dass das halt so eine asiatische Sache wäre. Selbst in Chinatown, New York oder bei den japanischen Firmenbossen im Silicon Valley, Kalifornien, in der indischen Community in London, Britannien, und den Vietnamesen auf der ganzen Welt war man dieser Meinung.
„Die in der AF sind halt so!“
Kapitän Wu setzte sich in seinen Sessel und atmete tief durch. „Wir fühlen uns durch Eure Anwesenheit inspiriert und geehrt, Exzellenz! Shūnü Wang, bitte beginnen Sie!“ Li-Ming fuhr den Antigrav hoch, die Anzeige des auf den Landebeinen ruhenden Gewichtes sank gegen Null.
„Fahre Landebeine ein“, meldete sie, wenig später: „Kapitän, das Schiff schwebt. Der JADEPHÖNIX ist frei.“
„Ruder!“ Mit fester Stimme gab Kapitän Wu sein Kommando. „Feldantrieb ein Zehntel Kraft voraus. Bringen Sie uns aus dem Hangar!“ Langsam schob sich der schlanke, niedrige Keil aus der großzügigen Halle und nahm, sobald er die Tore passiert hatte, Kurs auf das Sternbild Widder. In sicherer Entfernung zum Mond zündete Li-Ming das Kurpuskular-Triebwerk, mit 450 km/sec2 Beschleunigung entfernte sich der FĚICUÍ immer schneller werdend vom Terra/Mond – System.
„Herr!“ Der Funker rief den Kapitän. „Anruf von der STARDUST III!“
„Lautsprecher!“ befahl Wu.
„FĚICUÍ, hier STARDUST III, Perry Rhodan spricht!“ Ein Bildschirm wurde zugeschaltet, Rhodan wurde sichtbar, die Hand salutierend an der Schläfe. „Ich möchte Ihnen und Ihrer Crew einen guten Flug, viel Erfolg und eine glückliche Heimkehr wünschen, Kapitän!“
„Danke, Mister Rhodan.“ Wu Baihu stand auf und salutierte dem Vorsitzenden der GCC ebenfalls. „Die Besatzung der JADEPHÖNIX und die AF fühlen sich geehrt, dass Sie persönlich unseren Start beobachtet haben. Wir werden uns wieder melden, wenn wir glücklich waren!“
*
Reggys System
An Bord der HEPHAISTOS
Juan Menzin eröffnete früh am Morgen das Quetzal am Strip der HEPHAISTOS, überrascht stellte er fest, dass bereits ein Gast wartete. Ein großer, schlanker Mann mit weißem Haar, das sich an der Stirn bereits ziemlich stark lichtete. Der Arkonide Crest hatte von diesem Lokal erfahren, war aber zu früh gekommen und hatte an einem der Tische ‚draußen‘ Platz genommen. Arkoniden und ihren Abkömmlingen hatte es seit einiger Zeit die Schokolade der Erde angetan, die zu einem der größten Exportschlager Terras in das Imperium geworden war. Auch auf First wurde bereits versucht, die Kakaopflanze zu kultivieren, nicht ohne Erfolg. Man erwartete guten Gewinn und baldige Tilgung der Schulden, die durch den Aufbau der Kolonie entstanden waren. Und wie viele Arkoniden liebte Crest seine Trinkschokolade relativ bitter und mit scharfem Gewürz, dazu ein Croissant, oder ein Brioche, eventuell auch eine Zimt-Nussschnecke. Crest hatte sich, anders als Thora, die starken Kaffee vorzog, an dieses Frühstück gewöhnt und liebte es. Auch heute genoss er sein Gebäck, dabei dachte er an die letzten Tage zurück.
Die ARK’AMBO war im System erschienen, gemeinsam mit den Robotern des fliehenden Schiffes hatten Victorias Kampfmaschinen jene des Neurogenten niedergekämpft, dann hatte seine Großnichte ihn gerufen, um mit der Neuronik der ARK’AMBO zu sprechen. Diese hatte Crest als hochadeligen Arkoniden erkannt und ihm bedingungslos vertraut, das Schlachtschiff wollte nicht mehr für eine Maschine gegen Arkoniden kämpfen und war geflohen. Jetzt bat die ARK’AMBO sozusagen um politisches Asyl, eine seiner Existenz bewusste Künstliche Intelligenz entwickelte so etwas wie freien Willen. Crest hatte noch nie erlebt oder gehört, dass eine derartige Entwicklung ohne den Ausbau verschiedener Komponenten und Löschung einiger Sicherheitsschaltungen möglich wäre – und doch war es geschehen. Was war der Auslöser gewesen? Konnte man die Umstände reproduzieren? Sollte man die Umstände eigentlich reproduzieren und neue Schiffe mit eigenem Willen schaffen? Crest verlängerte seinen Aufenthalt und bat Victoria, das Schiff noch länger zu behalten, statt es zu verkaufen. Commander Olson machte das Beste aus der Sache und drillte die Kadetten an Bord, die Ausbildner mussten eben regelmäßig an Bord der ARK’AMBO kommen. Es war nicht immer leicht, denn auch die unteren Klassen mussten noch unterrichtet werden. Es funktionierte aber dank der Flexibilität ihrer Leute, die Victoria immer wichtig gewesen war. Die Ausbildung der jungen Kadetten machte gute Fortschritte, Reginald Starlight sprang als Dozent ebenso ein wie Tana, Leslie und Chris, an Bord lehrte auch Crest mit Unterstützung der ARK’AMBO Strategie und Kosmonautik.
„Sieht so aus, als hätten sich Mannschaft und Schiff gefunden“, resignierte Victoria bei einer der regelmäßig stattfindenden Besprechungen. „Crest, frag doch mal die Neuronik der ARK’AMBO, ob sie auf die JEANNE-ANTOINETTE MADAME DE POMPADOUR übersiedeln möchte! Die ist zwar noch nicht einmal angefangen, aber – nun ja, die Kadetten wären ohnehin für einen Teil der Besatzung nächstes Jahr vorgesehen. Ruft die CYCLOPS, Tarkol daVuul bekommt die POMPADOUR früher, Hunt rückt nach und bekommt sein eigenes Schiff. Sagt Olson, er wird XO auf der JEANNE-ANTOINETTE, wenn er möchte. Gebt auch den anderen auf der Liste eine Nachricht, dass die POMPADOUR schon in Herstellung geht, in zwei Monaten sollen sie hier sein. Und schickt den Kh’Entha’Hur eine Einladung, ob es nicht doch noch ein paar Abenteurer unter ihnen gibt, die gerne anheuern möchten. Cielo! Maledetto! Zuerst wird es eng auf der HEPHAISTOS, jetzt brauchen wir mehr Leute, als wir haben. Wie ist eigentlich die Sache mit den Topsidern ausgegangen?“
Leslie Myers rief auf ihrem Pad ein File auf. „Sind unterwegs, Tana. Der Despot von Topsid hat bekräftigt, dass es sich nicht um Renegaten handelt, sondern einfach um abenteuerlustige junge Echsen, die sich etwas Neues ansehen möchten.“
„Na schön. Sie werden willkommen sein, aber haltet sie von den Energieanlagen fern.“ Victoria erlaubte sich ein Seufzen. „Ein paar Geheimnisse möchte ich noch behalten.“
„Europa und die ITC haben für die aufgerüstete und mit einer neuen, noch nicht erweckten Neuronik ausgestatteten Zelle der ARK’AMBO gute Preise geboten. Die Europäer weniger Bargeld, dafür interessante Vereinbarungen, die zwar noch nicht jetzt, aber später gute Gewinne bringen könnten. Ihr Team hat auf Lórien eine Fettpflanze gefunden, welche die Nahrungsmittelindustrie um Jahrzehnte voranbringen würde. Kann mit Hydrokultur auf wenig Platz mit viel Ertrag gezogen werden, absorbiert viel CO2 und setzt Sauerstoff in großen Mengen frei, wenn nur genug Sonnenlicht vorhanden ist. Sie bieten einen Anteil am Geschäft an.“
„Machen wir das. Die Zelle der ARK’AMBO geht an Europa, energietechnisch aufgemotzt und mit guten Schirmen. Ich werde alt, ich muss an meine Zukunft und an die meiner Enkelkinder denken!“ Alle lachten, sogar Reginald stimmte mit ein.
Crest hatte mit der ARK’AMBO gesprochen, ein neuer Körper und ein neuer Name hatten für die KI durchaus einen Reiz. Jeder Flüchtling wünscht sich doch eine neue Identität, ein Facelift, eine kosmetische Operation und neue Papiere. Die ‚JEANNIE‘, wie sie bald gerufen wurde, konnte zwar die Impulse des Neurogenten noch empfangen, für diesen war die ARK’AMBO allerdings verschollen und unsichtbar. Crest hatte lange Tage auf der Brücke des Schlachtschiffes verbracht, in Zwiegespräche mit der Neuronik versunken. Allmählich hatte sich ein Bild von der Lage im Imperium und im Miridan Sektor herauskristallisiert, diese Nachrichten hatte er am Abend gebündelt und als gerafften Impuls nach Galacto City übermittelt. Tarkol daVuul war eingetroffen, JEANNIE hatte auch ihn als echten adeligen Arkoniden identifiziert und seine Kommandogewalt ohne Beanstandungen anerkannt.
Crest daZoltral schloss die Augen und trank noch einen Schluck der heißen Schokolade mit Chili, genoss den bitter-süß-scharfen Geschmack, die Wärme, die sich in den Eingeweiden breit machte.
„Ohne Zucker und Milch, mit Chili?“ Juans Stimme drang an sein Ohr, in der Meinung, die Frage gälte ihm, wollte er schon nicken. Er öffnete die Augen, an der Theke stand eine riesige Frau mit roter Lockenmähne. Es gab nur eine Frau dieser Größe bei Starlights, sie war also leicht zu identifizieren.
„Geehrte Ghoma!“ Crest erhob sich von seinem Sitz. „Darf ich Sie bitten, an meinem Tisch Platz zu nehmen?“
Sie nahm ihre Schokolade in Empfang, zögerte nur kurz und nickte schließlich. „Warum nicht. Danke, geehrter Crest!“ An diesem Morgen kam Crest daZoltral um einiges später als erwartet an Bord der ARK’AMBO. So ein Zellaktivator konnte schon einige vorher nicht bedachte Nebenwirkungen haben.
*
Solares System, Terra
Ägypten, Gilf el-Kebir
Zwei großgewachsene, schlanke Männer waren aus einem Gleiter mit geöffnetem Verdeck gestiegen, der eine dunkelblond, hager, grauäugig, seine Kleidung in dem Sandton, der als Khaki bekannt war. Der andere mit weißem Haar, leicht rötlicher Iris, muskulös und in eine olivgrüne Uniform mit blauen Schulterklappen gekleidet. Vor ihnen dehnte sich scheinbar endlos eine saftige, grüne Ebene, die mit nur wenigen Schirmakazien, keine älter als 20 Jahre, bewachsen war. Der Weißhaarige ging in die Knie, ergriff eine Handvoll Erde und betrachtete sie genau. Ein leises, verträumtes Lächeln lag auf seinen Lippen, als er sich umsah.
„Danke, dass du mich mitgenommen hast, Perry.“ Rhodan sah sich ebenfalls um.
„Macht sich doch ganz gut, oder, Atlan?“ Er zeigte ringsumher. „Aus der Wüste haben wir einen grünen Flecken erschaffen. Und ich hoffe, er wächst noch!“
„Mhm..!“ Atlan ging ein paar Schritte bis zum Abgrund. „Hier hatten wir uns versteckt, Selketh und ich, in der ersten Nacht auf dem Plateau. Dort drüben stand der Palast der ‚schecklichen Neith‘, wir beobachteten, wie sie ihre Krieger ausbildete. Eine langlebige Fremde, die mit einigen ihresgleichen hier gestrandet war. Einige davon waren gar nicht nett. Sie aber gehörte zu den schönsten Frauen, die ich in meinem langen Leben kennengelernt habe. Und zu den liebevollsten. Ich habe da furchtbar viel Zeit versäumt, Zeit, in der ich…, egal! Vielleicht erzähle ich dir noch einmal von ihr, junger Freund. Von hier aus zogen wir los, um am Nil eine Stadt zu gründen. Eine Stadt, von der aus die ägyptische Zivilisation im Laufe einiger hundert Jahre das Niltal vereinte – und dann ging Ägypten auch wieder unter. C‘est la vie, Perry. Oder vielmehr griechisch – ‚panta rei‘, alles fließt, alles ist in Bewegung, nur manchmal schneller, manchmal langsamer. Selbst das Kristallimperium wird eines Tages nur noch Geschichte sein, eine Legende unter vielen. Ein Wunder, dass es überhaupt noch existiert. Ich habe gesehen, wie Reiche, für die Ewigkeit gedacht, praktisch über Nacht verschwanden.“ Atlan fuhr sich mit den Handflächen über das Gesicht. „Entschuldige, ich wollte nicht sentimental werden. Es ist nur dieser Ort, der damals noch viel, sehr viel grüner war. Voll mit Wald und Feldern.“ Atlan zwang sich in die Gegenwart zurück. „Aber auch das hier ist schon ein halbes Wunder. Was habt ihr unternommen?“
Rhodan wies mit weit ausholender Geste über die Hochebene. „Dieses Massiv ist ein perfekter Wasserspeicher! Wir haben es gekauft, die ägyptische Regierung war froh, dass ein Idiot das Land haben wollte. Dann haben wir dutzende Eisbrocken aus dem Asteroidengürtel hier abgelegt. Tonnen und Tonnen Eis haben wir transportiert und hier schmelzen lassen. Ein Teil ist natürlich verdunstet, das Meiste aber versickert und hat den Grundwasserspiegel beträchtlich gehoben, das hat bereits einige Oasen in Ägypten und Libyen vergrößert. Damit haben wir eigentlich nur das wieder aufgefüllt, das für künstliche Bewässerung der Golfrasen in den teuren Hotels abgepumpt wurde. Na ja, wir haben die Gesamtwassermenge auf der Erde vermehrt, aber wir nehmen bei unseren Raumflügen sowieso mehr aus dem System, als wir jetzt aufgefüllt haben, also, ein paar Asteroiden hätten noch Platz. Danach haben wir etwa zweitausend Kilometer Rohr mit elliptischem Querschnitt aus Klarstahl in fünf Meter Höhe verlegt, 30 Meter breit, zwei mal drei Spuren Straße in der oberen Hälfte, dazwischen zwei Rohre für Expresskapseln. In der unteren zwei Abschnitte für eine Bahn und einen breiten für Wasser. Alle 10 Kilometer eine Pumpstation, alle 50 Kilometer einen Bahnhof und die Möglichkeit, einen Straßenzubringer zu bauen. Der nach Kairo ist schon fertig, der nach Assiut beinahe, das lange Stück nach Rabat und Casablanca über Marrakesch zur Hälfte. In der Nähe von Sallum am Mittelmeer haben wir eine Meerwasser-Entsalzungsanlage gebaut und pumpen das Süßwasser hier her, bei jeder Pumpstation wird auch eine Oase unter einer Kuppel bewässert, die haben wir gebaut, damit das verdunstende Wasser wieder in die Oase zurück geführt wird. Dazu ein Hotel, eine Karawanserei, wenn Du so möchtest. Dort siedeln sich auch bereits Menschen an, denen der Boden genug zum Leben gibt. Sie bekommen zusätzlich zum Wohnraum noch Energie und Infonet gratis dazu und, sollte wirklich zu wenig Ernte sein, Nahrungsmittel. Seit einiger Zeit erwirtschaften sie aber schon kleine Überschüsse, die sie verkaufen können. Der Tubeway geht weiter durch den Sudan, wo auch künstliche Oasen unter Kuppeln sind und dann bis Pretoria in Südafrika, in einer ziemlich geraden Strecke. Von Pretoria in einer Kurve nach Kapstadt. Immer mit Kuppeln und Hotels, Wasser ist dort ja kein Problem mehr.“
Atlan schloss die Augen, mithilfe seines photographischen Gedächtnisses war es ihm nicht schwer, die Strecke zu imaginieren.
„Wozu? Was macht den Unterschied?“, fragte er, und Rhodan lächelte.
„Zwei Kilometer auf beiden Seiten der Strecke mit Ausnahme in den bereits existierenden Städten haben exterritorialen Status, sind also de jure Staatsgebiet von Galacto City. Damit kann ich den Anwohnern Schutz bieten, und die Verträge, die man den Ländern aufgezwungen oder mit Bestechungsgeld abgerungen hat, gelten dort nicht mehr. Ich kann die Menschen auch gegen örtliche Diktatoren, fehlgeleitete religiöse oder sonstige Fanatiker und Warlords beschützen, wenn es nötig wird. Die Kuppelstädte werden dann eine ähnliche Funktion wie die Burgen im Mittelalter haben. Ich habe vor, mit der Zeit ein Netz solcher Wege anzulegen, mit den Hotels und Wohnstätten entlang des Straßennetzes, künstlichen Oasen in trockenen Gebieten, Reinigungs- und Aufbereitungsanlagen in den feuchteren, damit den Menschen sauberes Wasser in den Wohnungen und nicht Kilometer entfernt zur Verfügung steht. Mit Klärbecken, Abfallentsorgung und Minikrediten für den Kauf von ein paar Tieren oder Werkzeug möchte ich den Bewohnern Afrikas eine bessere Zukunft bieten. Die GCC-Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und ähnliches kommen mit den Bahnen näher an die Menschen, in jeder Kuppel gibt es einen Robodoc und, wenn der nicht reicht, einen Ärztenotruf. Kinder können für eine Prüfung in eine größere Stadt fahren, in den GCC-Kuppeln gibt es Stuben, in denen Unterricht stattfindet. Gebildete und gesunde Menschen sind das größte Kapital, und ich habe vor, es aufzustocken, nicht nur in Afrika. Syrien und der Irak, die jetzt uninteressant geworden sind, weil Erdöl praktisch wertlos ist, zeigen Interesse an einem solchen Projekt zwischen Mittelmeer und persischem Golf, mit einem Ableger nach Jordanien. Dort lautet der Deal Wohlstand und Religionsfreiheit, die fundamentalistischen Extremisten sollen keine Basis mehr erhalten. Wenn es trotzdem ein paar Machtgierigen gelänge, eine Horde um sich zu scharen, stünde die GCC mit Rat und Tat zur Verfügung. Die AF überlegt eine weiterführende Trasse, vom persischen Golf bis zum Pazifik, mit vielen Abzweigungen, an die wir sogar Galacto City anschließen könnten, dann nach Norden in die Russischen Republiken. Außerdem bleibt dann, wenn die Leute an den Verkehrswegen siedeln, und Verkehrsadern waren schon immer ein Siedlungsmagnet, noch eine Menge Land als Naturpark über, mit Nebenbahnen könnte man diese Parks touristisch nützen, was wieder der einheimischen Bevölkerung zu Gute kommen könnte. Eine Win-Win-Situation, vor allem, aber nicht nur in Afrika. Nur wie ich den Massai erklären kann, dass man mit kleineren Rinderherden auch Prestige ansammeln kann, das weiß ich noch nicht.“ Atlan griff im Geiste zu Papier und Bleistift, kalkulierte einmal durch.
„Das kostet aber eine Menge Geld, das erst einmal vorgestreckt werden muss!“
„Na und?“ Auf Rhodans Stirn entstand eine tiefe Falte. „Eine Investition in die Zukunft. Das Pumpen von Wasser wäre früher schon kein Problem gewesen, mit der Angelpower von Victoria noch viel weniger. Sie beteiligt sich übrigens auch an dem Projekt.“
Atlan lachte laut auf. „Ich hoffe, sie hat dich nicht zu sehr über den Tisch gezogen! Was möchte sie denn?“
„Rekrutieren natürlich. An den Schulen.“ Rhodan grinste säuerlich. „Und natürlich 50% vom Gewinn. Also, falls es finanziellen Gewinn gibt. Dafür übernimmt sie die Hälfte der Kosten.“ Er lenkte Atlans Aufmerksamkeit wieder auf das Projekt an sich. „Ich glaube, bald werden die alten Wadis wieder Wasser erhalten und grüne Streifen durch die Sahara entstehen, die sich vielleicht auch verbreitern. Weiter im Landesinneren von Afrika – einige Firmen habe ich aufkaufen können und zahle nun faire Preise, einige muss ich eben aus dem Geschäft in Afrika drängen. Irgendwo muss ich ja anfangen.“
Atlan nickte. „Ein ehrgeiziges Projekt, Perry. Und was wird hier gepflanzt?“
Rhodan zucke die Schultern. „Soja! Irgendwie muss ich ja auch Gewinn machen.“
„Oh!“ Atlan stutzte.
„Ja! Perry Rhodan, der Umweltsünder!“ Rhodan lehnte sich an den Gleiter und zog eine Flasche Mineralwasser hervor. „Atlan, diese Pflanze ist, wenn man es richtig macht, mit ihrem Wurzelsystem hervorragend geeignet, den Boden zu stabilisieren. Und was ich hier anpflanze, macht anderswo Boden frei, der kann wieder an die Afrikaner oder Amazonas-Indigene als Selbstversorgungsmöglichkeit zurück gehen, statt von Konzernen für unseren Luxus ausgebeutet zu werden. Oder eben als Naturpark, wenn die Menschen mein Angebot mit dem Leben am Verkehrsweg annehmen. Was ich hoffe. Ich bringe auch Mineral- und Tafelwasser aus den Entsalzungsanlagen und anderen Quellen auf den Markt, zu konkurrenzlos billigen Preisen. Erstens, um die Plastikverschwendung zu verringern, denn meine Flaschen sind aus Material, das nicht nur verrottet, sondern auch keine Giftstoffe an das Wasser in der Flasche abgibt. Trotzdem zahle ich Pfand und recycele die Flaschen, ich habe zu lange auf einer Müllhalde namens Erde gelebt. Und zweitens braucht Afrika sein bisschen Wasser selber. Mehr als die Hälfte Afrikas besteht aus Trockengebieten. Wir müssen…“
Atlan hob die Hand und unterbrach Rhodan. „Ich weiß, Freund. Ich habe einiges im 18. und 19. Jahrhundert miterlebt, seither wurde es subtiler, aber nicht viel besser gehandhabt. Raubbau und Raubrittertum sind noch viel zu harmlose Worte. Mir gefällt, was ich sehe, und mir gefällt, was ich höre. Wie ist es mit Palmöl? Hast Du da auch eine Idee?“
Rhodans Grinsen wurde wölfisch. „Die Europäer benutzen auf Barnards Stern eine Pflanze für die Sauerstoffgewinnung, die einen hervorragenden Ersatz bietet. Sie produzieren so viel Fett, mit den gleichen Eigenschaften wie Kakaobutter und Palmöl, dass es sich lohnt, dieses Öl von Barnards Stern nach Terra zu transportieren. Auch der exzessive Abbau von Eisen, Gold und Diamanten wird bald nicht mehr so profitabel sein, dank der Vorkommen sowohl im Sonnensystem als auch in den Systemen Reggys und Barnards Stern sowie Epsilon Indi. Meine Hoffnung ist, dass die Amerikaner, so wie die Europäer ihre Industrie ganz von der Erde nach Neu Elsass gebracht haben, die ihre nach Freeze verlegen. Und ich hoffe, die Asiaten sind bei Teegardens Stern genau so erfolgreich, wenn nicht noch mehr. Ich wünsche ihnen auch einen Sauerstoffplaneten, damit sie nicht mehr so überbevölkert sein müssen. Nach Erdöl kräht sowieso kein Hahn mehr, übrigens, zum Glück hat die neue Präsidentin der USA nichts mehr dagegen, dass wir uns in Alaska der Inupiat annehmen. Ich habe dort zuerst einmal an der Küste ein ähnliches Projekt mit einem Verkehrsweg vor, damit auch diese Bevölkerung Zugang zu Schulbildung und Gesundheitsversorgung bekommt, und damit ihre Häuser nicht mehr im tauenden Boden versinken. Der Permafrost in Alaska ist schon nicht mehr so permanent. Ich fürchte, die härteste Nuss wird Südamerika. Ich habe schon provisorische Unterkünfte, Schulen und Gesundheitseinrichtungen auf Pamkim vorbereiten lassen und einige Leute zu den indigenen Völkern geschickt, damit sie diese informieren. Ich bin neugierig, wie viele in das neue Paradies auswandern und wie viele davon wie ihre Ahnen leben möchten. Aber Afrika und Südamerika haben sich auf jeden Fall eine Erholung verdient. Dann fehlen nur noch die Russen, die zwar langsam auf die Beine kommen, aber ich fürchte, ich muss denen doch noch ein Raumschiff schenken, damit sie sich Ressourcen und einen Industrieplaneten suchen können.“
Atlan kratzte sich am Kinn. „Deine Landsleute aus Amerika werden dich einen Kommunisten nennen“, warnte er, Rhodan lachte launig auf.
„Der Chef eines interstellaren Konzerns soll ein Kommunist sein – wenn das kein Scherz ist. Aber gut, in Zukunft darfst Du mich, wenn wir unter uns sind, Genosse Vorstandsvorsitzender nennen, Genosse UNO-Admiral.“
*
Teegardens Sterns
Ein Beobachter auf einem der Planeten von Teegardens Stern hätte das kurze Aufblitzen, mit dem die FĚICUÍ weit am Rande Systems wieder materialisierte, kaum weiter beachtet. Der rot gefärbte Stahlkeil mit den Sternen und dem Ring der Asiatischen Föderation an der Flanke verzögerte mit allem, was die Triebwerke hergaben und kamen noch weit vor der Bahn des äußersten Planeten zum relativen Stillstand.
Kapitän Wu Baihu entspannte unauffällig seine Muskeln, als die Sterne wieder auf dem Bildschirm funkelten und unterdrückte ein Lächeln, welches sich auf seine Lippen stehlen wollte, als er Wang Li-Ming deutlich aufatmen hörte. ‚Ach, Genossin Wang’, dachte er still. ‚Warst Du also doch nicht so sicher, wie Du glaubtest! Egal, Du hattest auf jeden Fall Erfolg.‘ Laut sagte er nur:
„Astrogator, Position ermitteln!“ Lakshmi Shan aus Hyderabad, mit einer Figur, die eine Sanduhr neidisch gemacht hätte und dem Gesicht eines Engels, auf der Stirn einen roten Punkt, rechnete bereits.
„Abweichung minimal, Kapitän. Vor uns ist Teegardens Stern! Wir sind richtig.“ Während Baihu die Augen schloss und Buddha dankte, brach auf der Brücke lauter Jubel aus. Eine Zeit ließ der Kapitän es geschehen, dann rief er seine Besatzung zur Ordnung.
„Ruder, langsame Fahrt ins Zentrum. Vorsichtig, wir wissen nicht, was uns erwartet. Ortung, ich möchte jeden noch so kleinen Himmelskörper registriert haben. Wissenschaft, suchen sie nach den Planeten in der habitablen Zone. Wang!“ Langsam drehte er sich um und sah die hagere, große Frau direkt an, dann erlaubte er sich das vorher unterdrückte Lächeln. „Gut gemacht, ehrenwerte Dame Wang.“ Diese erhob sich, faltete die Hände vor der Brust und verneigte sich.
„Diese unwürdige Person dankt für das unverdiente Lob, ehrenwerter Kapitän Wu!“ Sie war eben ganz eine Dame der chinesischen Gesellschaft.
Der JADEPHÖNIX hatte sich in den Orbit um einen hellen Planeten, Teegarden VI begeben, der nun von den Instrumenten der wissenschaftlichen Station abgetastet wurde.
„Keine große Überraschung, Kapitän.“ Maria Yonogawa, die knabenhaft zarte Japanerin aus Matsue, legte dem Kapitän die Messergebnisse der wissenschaftlichen Station auf dessen Pad. „Kurz gesagt, ein Eisriese, wie Uranus. Wir könnten ihn Hymir nennen.“ Die Crew drehte sich zu ihr um und betrachtete sie schweigend. „Äh, ein Eisriese aus der Mythologie. Der nordeuropäischen Mythologie.“
Endlich nickte Wu. „Na schön. Warum nicht. Es passt ja. Eintrag ins Log.“
„Zu holen ist hier allerdings nicht viel, vielleicht, dass auf den Monden sich ein Erzabbau lohnt.“ Auch V war nichts besonderes, ein Saturn ohne dessen Ringe, wenn man der Fernmessung glauben durfte, ein Gasriese, wie sie oft vorkamen. Er war derzeit keinen Umweg wert. Also nahm die FĚICUÍ direkten Kurs auf Nummer IV.
„Das ist die Höllenwelt!“ Die Mandelaugen des Rudergängers Kim Lan-Tan aus Dà Nång, Vietnam, weiteten sich unwillkürlich, als er das Schiff in den Orbit steuerte. Bis in die Umlaufbahn leuchtete das Magma in den Rissen zwischen den Kontinentalplatten, durch die Hülle aus Staub und Schmutz, der von gigantischen Eruptionen immer wieder hoch in die Stratosphäre geschleudert wurde.
„Ich fürchte, Commander Kim hat recht.“ Maria beobachtete wieder ihre Instrumente. „80 Grad Celsius im Mittel, kaum Sauerstoff, kein Wasser. Die beiden sehr großen Monde zerren und ziehen an der Oberfläche, die Tektonik ist enorm. Wirklich und wahrhaftig eine Höllenwelt.“
„Dann nennen wir sie Dìyù (chin. Hölle)! Ins Log damit. Danke, Leutnant Yonogawa, welcher Planet ist der nächste?“
„Der zweite ist viel näher, der dritte befindet sich derzeit hinter dem Stern!“
„Commander Kim, sie haben es gehört, steuern Sie uns in die Umlaufbahn von Nummer zwei!“
Teegarden II weckte Erinnerungen an die Erde. Blau mit weißen Verzierungen drehte sich der Planet unter der FĚICUÍ, die einige Sonden gestartet hatte. Auf einem geteilten Bildschirm sah man die von den Drohnen übermittelten Bilder, Messergebnisse trafen ein, Proben wurden entnommen. „Das Jahr dauert hier etwa 140 irdische Tage, ein Tag ungefähr 26 Stunden, durchschnittliche Temperatur 15,3 Grad. Beinahe Erdtemperatur. Sechs Kontinente, ziemlich gleichmäßig verteilt. Dort! Ein schneebedecktes Gebirge, Vegetation, es wird wohl auch eine Fauna geben. Bisher aber keine Anzeichen für eine Zivilisation. Hier haben wir auch einige Huftiere, sehen Sie, Kapitän, dort drüben! Das Äquivalent zu unseren Tigern! Ist diese Ebene nicht schön?“
„Gravitation, Gaszusammensetzung und Luftdruck, Wissenschaft?“
Maria Yonogawa sandte die genauen Daten der Zusammensetzung der Atmosphäre an des Kapitäns Pad. „Gravitation 1,09 g. Luftdruck auf Meereshöhe 1,102 bar. Zusammensetzung und Druck für Menschen hervorragend geeignet. Kapitän, das ist beinahe ein Zwilling der Erde. Na ja, ein wenig mehr Helium, aber das lässt sich ertragen. Wahrscheinlich merkt man es nicht einmal.“
„Mikroorganismen in der Luft? Krankheitserreger?“ Äußerlich blieb der Kapitän ruhig, doch auch ihn hatte freudige Erregung ergriffen. Der Erfolg war nah, so nah!
„Proben werden noch analysiert, Kapitän. Darf ich eine Sonde landen, um Bodenproben zu entnehmen?“
„Erlaubnis erteilt, Dame Yonogawa!“
Wenige Tage später waren alle Tests, die sich im Labor durchführen ließen, abgeschlossen. Der zweite Planet von Teegardens Stern, der den Namen Shûguāng, Morgenröte, erhalten hatte, trug natürlich einiges an Gefahren und Krankheitserregern, aber die arkonidische Medizin hatte hervorragende Antibiotika auf Lager, und bisher war kein dem irdischen Leben gefährliches Virus gefunden worden. Kapitän Wu Baihu wählte den ersten Landepunkt sorgfältig aus, eine übersichtliche Stelle in der Ebene nahe der sanften Küste mit Sandstrand. Drei flugfähige Schützenpanzer wurden vorbereitet, die Infanteristen stiegen in ihre Kampfmonturen. Pushneet Bahar aus der Region Kandahar legte ihren Kopfschmuck ab und in ihren Spind, ehe sie die Uniform anzog. Sie war nicht sehr gläubig, doch diese Kette mit dem Adler, der als Symbol ihrer Freiheit auf der Stirn liegen sollte, mochte sie nicht missen, es war ein Geschenk ihrer Großmutter.
Vor 66 Jahren, 2018, hatten als bisher letzter Staat China versucht, Afghanistan zu erobern und der Asiatischen Föderation anzuschließen. Mit mehr Erfolg, als es Briten und Russen beschieden war, Peking hatte gelernt. Als Keimzelle der AF waren zuerst natürlich die vietnamesische Halbinsel und Korea in die Föderation gebracht worden, danach ging es weiter nach Osten, Japan wurde Mitglied, dann erst folgten Indien, Bangladesch und Pakistan. Böse Zungen behaupteten, dass Korea und Vietnam wegen der gut gedrillten, hübschen und gebildeten Mädchen wegen überfallen wurden. Besonders wegen der gut gedrillten und hübschen, aber die gebildeten, intelligenten Frauen sollten sich als noch größerer Bonus herausstellen. Dann wurde auch Afghanistan erobert, mit Hilfe der Mutanten die in die Berge gegangenen Kriegsherren ausgehoben und die Kinder, sowohl Mädchen als auch Knaben, in Schuluniformen gesteckt und unter Bewachung in Internate gebracht. Dort erhielten sie eine gediegene Schulbildung, ohne sich wegen etwaiger Übergriffe Sorgen machen zu müssen. Die Gleichstellung von Mann und Frau war eines der wenigen Projekte der alten AF, das Huyang Chang-Ni nicht nur weiterführte, sondern sogar noch mehr forcierte. Ebenso den Abbau des Kastensystems und der Unterdrückung der Frauen in Indien. Und auch Gao Bo-Chang setzte diesen Kurs fort, auch in der Asiatischen Föderation hatte man eingesehen, dass es Zeit für eine Gleichwertigkeit der Geschlechter war. Extremisten, die sich dieser Gleichstellung mit Gewalt gegen Frauen entgegen stellen wollten, wurden streng bestraft. Unter der alten Führung mit dem Tod, doch Huyang Chang-Ni schaffte die Todesstrafe ab. Er verbannte sie zuerst in abgelegene Regionen auf einer Insel im chinesischen Meer, später auf den Mond, in eine eigene Kuppel.
Die Großmutter Pushneets war damals als junges Mädchen angefeindet worden, weil ihr Bruder dem Mädchen lesen und schreiben beibrachte. Einem Säureangriff durch einen wütenden Mann entging sie nur mit viel Glück, der Mann stolzierte nur Tage später wieder durch die Stadt Kandahar. Einem zweiten Anschlag kamen die Chinesen zuvor, die wütenden Fundamentalisten mussten aus der Stadt fliehen und Pushneets Großmutter kam in das erwähnte Internat. Wie man an der Existenz Pushneets erkennen konnte, fand sie später ihre Liebe und heiratete einen fortschrittlich denkenden Mann, der seine Tochter mit sechs Jahren ebenfalls in ein Internat außerhalb Afghanistans schickte. Nur zur Sicherheit. Pushneet hatte bereits eine normale Kindheit und Jugend verbringen können, niemand lauerte mehr den Mädchen auf dem Schulweg auf. Die Afghanen waren zwar noch zum größten Teil Moslems, aber sie hatten zu einem gemäßigten, toleranten Islam zurück gefunden.
Pushneet Bahar wuchs zu einer großen und körperlich kräftigen Frau heran, ohne ihre weibliche Anmut zu verlieren. Mit ihrer prominenten Nase und dem kräftigen Kinn wirkte sie etwas herb, doch die Augen mit dem leichten Einschlag der Mandelform der Chinesen, von ihrem Vater geerbt, und die vollen Lippen machten daraus eine gewisse Schönheit. Mit ihren 38 Jahren war sie Hauptmann in der Asiatischen Infanterie und die Kommandeuse der Fußtruppen an Bord der FĚICUÍ. Die zwei Kompanien Marineinfanterie unter ihrem Kommando verehrten ihre Kommandantin, die zwar große Ansprüche stellte, aber nichts verlangte, das sie nicht bereit war, ebenfalls zu machen. Für diese erste Landung hatte sie die erste Kompanie unter Leutnant Safia Dunya Akram ausgewählt, wie sie aus Afghanistan, aus der Hauptstadt Kabul direkt. Drei Züge, jeder 15 Mann stark unter einem Feldwebel, machten sich bereit.
Ihre Kampfanzüge waren das Neueste, über das die AF verfügte, also nicht schlechter als die Standardanzüge aus der Produktion der GCC oder der ITC. Sanitäre Einrichtungen, die funktionierten, so halbwegs eben. Atlan hatte bei dem ersten Anlegen eines solchen Anzuges nur bemerkt, dass die Anzüge, welche die Arkoniden zu seiner Zeit trugen, auf diesem Gebiet auch nicht schlechter gewesen waren. Die Helme waren besser als die arkonidischen, vor allem bequemer und mit fortschrittlicher HUD-Technologie ausgestattet, die Lebenserhaltungs-Systeme waren hervorragend, die Handschuhe kaum mehr störend. Die Farbe konnte mit Hilfe elektrisch aktivierter Pigmente von Wald-Camouflage auf Sand umgestellt werden, die Bewaffnung der Truppe bestand aus Thermostrahlgewehren und als Faustfeuerwaffen in den Holstern am Gürtel handlichen Desintegratoren.
Hauptmann Pushneet Bahar und ihr Leutnant Safia Dunya Akram kontrollierten penibel die Ausrüstung und Bewaffnung der angetretenen Kompanie, dann unterzogen sie gegenseitig die ihren einer letzten Kontrolle.
„Alle Systeme klar“, meldete die Leutnant, und die Hauptmann bestätigte.
„Alle Systeme klar! Aufsitzen lassen!“
„Jawohl, aufsitzen lassen. Feldwebel Sharma, Zug eins, Fahrzeug eins! Feldwebel Hu, Zug zwei, Fahrzeug zwei! Feldwebel Wayan, Zug drei, Fahrzeug drei. Aaaaachtung! Aufsitzen!“ Das Getrappel von neunzig Stiefeln erfüllte die Schleusenhalle, als die Frauen und Männer der ersten Kompanie Marineinfanterie in die Schützenpanzer liefen und sich dort in den Sitzen festschnallten. Die beiden Offizierinnen winkten einander noch kurz zu, ehe sie in ihre Kommandokuppeln stiegen.
„Schleusenkontrolle FĚICUÍ, Erste Kompanie bereit zum Ausschleusen.“
Im ‚Kiel‘ des JADEPHÖNIX glitt eine Platte nach unten, wenn der FĚICUÍ gelandet wäre, hätte sie eine schräge Rampe gebildet. Einer nach dem anderen glitten die Schützenpanzer über die Kante dieser Rampe und glitten in einer weiten Kurve dem Planeten entgegen, nahmen Kurs auf den von Kapitän Wu gewählten Landeort. Wie geplant hob sich dort zum Zeitpunkt der weichen Landung eben die Sonne über den Horizont, der Planet machte seinem Namen alle Ehre. Die Farbe der Sonne verstärkte die Wirkung der flach durch die Atmosphäre fallenden Lichtwellen, für ein solches Rot hätten die alten chinesischen Herrscher getötet. Pushneet Bahar öffnete die Kanzel ihres Kommandopanzers, nachdem sie sich sorgfältig umsehen hatte, dann rief sie in ihr Mikrophon.
„Absitzen!“ Wie ein Echo ging dieser Befehl durch die Hierarchie, die Hecktore der Schützenpanzer öffneten sich und die Soldaten stürmten heraus.
„Züge zwei und drei sichern das Gelände. Zug eins antreten zur Ehrenwache! Ehrenwache, Helme öffnen“, befahl die Hauptmann weiter. Die beiden Feldwebel von Zug zwei und drei liefen los, um den einzelnen Leuten ihre Posten und Beobachtungsbereiche zuzuweisen, während Feldwebel Rahul Sharma seine Leute zu einer Linie von drei Gliedern antreten ließ. Ein Fahnenmast grub sich mit seinem Motor selbständig tief in den weichen Boden, der Kommandant des Kommandopanzers richtete einige Kameras aus, welche synchron an die JADEPHÖNIX und von dort in die Asiatische Föderation übertrugen. In Peking wurde das Material geschnitten und mit einer Verzögerung von nur drei Minuten live gesendet.
Die Gesichter der Helden dieser Mission, Kapitän Wu in der Mitte, füllten den Bildschirm, dann wurde Pushneets Gesicht herangezoomt, eine Einblendung erklärte ihren Rang und ihre Herkunft. Die Kamera fuhr über die Gesichter des Ehrenzuges, dann hallte das Kommando der Leutnant Safia über die weite Ebene von Morgenröte. Synchron fuhren fünfzehn Hände an die Stirn, Leutnant Safia erstattete Hauptmann Pushneet Bahar Meldung, die ebenfalls salutierte. Kapitän Wu Baihu auf der Brücke löste über Funk eine Automatik aus, die rote Flagge mit den vier kleinen goldenen Sternen im Halbkreis um den großen, umgeben von einem silbernen Ring stieg, begleitet von der Nationalhymne der Asiatischen Föderation, in den Himmel. Drei Minuten später erlebte die Welt den größten synchronen Jubel ihrer Geschichte, und das ungekünstelt und wirklich spontan, Shûguāng war mit Billigung der Vereinten Nationen nun offiziell Gebiet der Asiatischen Föderation. Gao Bo-Chang war höchst zufrieden, jetzt, da ein Schiff aus asiatischer Planung und Produktion einen geeigneten Planeten zur Besiedlung gefunden hatte, scheute er sich nicht mehr, bei der GCC um Schiffsraum nachzufragen. Man einigte sich auf ein schwach bewaffnetes Kugelschiff von 800 Metern, die ADMIRAL ZHENG HE sollte nur für Transportzwecke eingesetzt werden, dazu noch drei Korvetten, einfach durchnummeriert als Yī, Èr und Sān, Eins, Zwei und Drei. Die Führung der AF kurbelte die Produktion von landwirtschaftlichem Gerät an und begann mit der Auswahl der ersten Siedler. Vor allem Fachleute sollten auch hier die erste Welle bilden, welche dann auch die erste Infrastruktur aufbauen mussten. Der größere der beiden Monde von Morgenröte eignete sich hervorragend als Raumhafen, auch der sollte von den ersten Siedlern gebaut und betrieben werden. Die zweite Welle sollte dann das Land urbar machen und für Lebensmittel sorgen.
Die FĚICUÍ hatte mittlerweile Kurs auf den innersten Planeten genommen, der in bequeme Reichweite gekommen war, während der zweite untersucht wurde.
„Hervorragend geeignet für industrielle Nutzung“, lautete das Urteil der Untersuchungen. Eine tote Welt, die nie Leben hervorbringen würde, man konnte nichts zerstören, Erze und seltene Erden, ein Gewinn. Trotzdem befahl Kapitän Wu hier keine großartige Fahnenzeremonie, er meldete nur die Landnahme an Peking und die UN. Sowohl die Heimat als auch Morgenröte waren nahe, man konnte den Controllern wohl zumuten, einige Zeit in einer Kuppel zu leben. Besonders, wenn diese Kuppel luxuriös ausgestattet war und jeden Komfort bot. Ein Industrieplanet und eine Wohnwelt. Perry Rhodan war unter den ersten Gratulanten, er war ehrlich erfreut, in Peking lief die Auswahl der Techniker für eine dritte Besiedelungswelle umgehen an. Dann gab Kapitän Wu den Befehl, auch noch den dritten Planeten untersuchen, denn er wollte ein komplettes Ergebnis abliefern.
*
Reggys System
An Bord der HEPHAISTOS
Auf dem Landedeck der HEPHAISTOS lag, sozusagen im ‚hintersten Winkel‘ versteckt, ein 250 Meter langes Walzenschiff, eine ältere, aber gut gepflegte Dame. Lange Jahre hatten normalerweise nur die Instandhaltungscrews die Lady beachtet, nun wuselten Mechaniker um die GUN I, wie es groß in arkonidischen Lettern auf der Flanke stand, um dem Schiff ein heruntergekommenes, altes Aussehen zu verleihen. So alt, wie das Innenleben tatsächlich war. Der Meiler, der Antrieb, die Nanotronik, alles war noch aus den vorigen Jahrhunderten. Ein gepflegter, echter Oldtimer aus lauter Originalteilen, repariert, verhätschelt, aber nie modernisiert. Tana Starlight beobachtete aus einiger Entfernung mit versonnenem Lächeln das Treiben, die Hände an die Absperrung gelegt.
„Erinnerungen?“ Leslie Myers stand neben ihr und betrachtete das kleine Schiff.
„Natürlich!“ Tanas Lächeln verstärkte sich. „Mit der GUN I hat doch damals alles begonnen. Gunnar und ich haben von den Topsidern den halb ausgeschlachteten Winzling billig gekauft und mit ein paar Freunden wieder restauriert, dann haben wir unsere erste Ladung zusammen gestellt. Hat trotzdem noch ein paar Millionen gekostet, aber wie man sieht, es lohnte sich doch, oder nicht? Eine gewisse Leslie Myers war damals auch dabei, ein junges Ding, noch genau so grün hinter den Ohren wie Gunnar und ich. Kennst du die Dame vielleicht? Na ja, zum Glück haben wir dann Hemghat getroffen, der Mann war ein Geschenk des Himmels. Vor allem mein Stahlverfahren und Gunnis Verbesserungen der Energieanlagen haben gemeinsam mit unserer Ladung seinen und unseren Arsch gerettet und uns letztendlich diese Station beschert. Wenn ich nur damals schon gewusst hätte, wie sehr Arkoniden auf Schokolade abfahren! Nun ja, der Rest ist Geschichte, aber was rede ich, du warst ja von Anfang an dabei. Natürlich kommen sentimentale Gedanken auf, bei dir doch auch ein wenig. Jetzt streite es gar nicht erst ab. Weißt du, dass Reginald in diesem Schiff gezeugt wurde? Bei einem nostalgischen Bummel durch die Anfänge?“
„Und trotzdem willst du das Schiff unter Umständen opfern?“, fragte Leslie, Tana zuckte mit den Schultern, ihr Gesicht wurde nüchtern.
„Dads Situationsanalytiker haben die Ansicht von unseren Mathematikern – und deine, möchte ich hinzufügen – bestätigt. Wenn wir schon eine solche Mission wie die unsere starten, muss es ein echtes, altes Schiff der galaktischen Händler sein. Die Besatzung muss nicht aus Springern bestehen, Renegaten von jedem Volk können sich so ein Boot besorgen, der Schwarzmarkt ist vorhanden. Aber es ist eine Zeitfrage, wir sollten eine Hilfslieferung für Miridan bald auf den Weg bringen.“ Tana seufzte. „Außerdem, jetzt schreibe ich mit Chris eine ganz neue Geschichte, es wird allmählich Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Trotzdem schauen sich meine Agenten natürlich nach einem größeren Kahn um.“
Während die Walze noch auf schäbig getrimmt wurde, lieferten Robotkarren bereits einen Teil der Ladung, die aus schweren Handstrahlern bestand, an Bord. Schwere Schiffsgeschütze lagen, in Einzelteile zerlegt und verpackt, bereit. Alle trugen einen erfundenen Stempel, einen katzenartigen Kopf und in arkonidischer Schrift und Sprache die Bezeichnung Waffenwerkstatt A 35-C. Wenn dem Neurogenten ein solches Teil in die Roboter fallen sollte, war ihr Ursprung nicht mehr heraus zu finden, ganz so, wie es dem Plan der Erde entsprach. Auch die ehemalige GUN I, die in Zukunft HAK‘HOOR heißen sollte, konnte nicht mehr zu Starlight Enterprises zurück verfolgt werden. Offiziell waren die Walzenschiffe, welche die Firma besessen hatte, längst auf Kholozt VII, einem Raumschifffriedhof und Ersatzteillager, verschrottet. Mit Brief und Siegel, wie es genannt wurde.
„Miss Starlight“, klang hinter den Frauen eine vertraute Stimme auf, doch da Perry Rhodan sie Starlight nannte, wusste sie, dass mindestens ein Fremder zugegen war. Ihr Gesicht wurde zur einstudierten Rolle, hinter der sich Victoria Rhodan verbarg.
„Mister Rhodan!“ Mit einem schalkhaften Lächeln auf den Lippen drehte sie sich um. „Welche Überraschung! Und wer ist denn dieser gutaussehende Gentleman?“ Sie hob dem Fremden ihre rechte Hand mit dem Handrücken nach oben entgegen, der Mann ergriff diese und knallte die Haken zusammen.
„Oberst Klaus Friedrich Johannes Viktor Alexander Maria Baron von Viertelwald! Zu Ihren Diensten!“ Dann beugte er sich über die Hand Tanas und hauchte formvollendet einen Kuss darauf. Tanas Augen weiteten sich.
„Ein echter Baron! Welche Ehre für ein Mädchen wie mich. Eine Tochter einfacher Eltern“, flüsterte sie ergriffen.
„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Um ehrlich zu sein, ist der riesige, pompöse Name alles, das meine Familie noch besitzt.“ Er sah zur HAK‘HOOR hinüber und kniff die Augen zusammen. „Das also wird unser Heim für die nächsten Tage, vielleicht Wochen?“
„Das wird es, Oberst.“ Tana hakte sich bei ihm unter und ging mit ihm näher. „Keine Sorge, es sieht schlimmer aus, als es ist.“
„Ich bin sicher. Darf ich Ihnen meine Besatzung vorstellen? Major Paola Bruni, Mailand, Italien. Hauptmann Franz Konrad, Innsbruck, Österreich. Oberleutnant Ronja Bergström, Visby, Schweden. Oberleutnant Veronika Rutli, Bern, Schweiz, Oberleutnant Dimitris Kapenakis, Chania, Griechenland. Wir alle sind von der Sûreté de Union européenne und haben uns freiwillig gemeldet, die Waren nach Miridan zu bringen.“
„Ich bewundere Ihren Mut, meine Damen und Herren.“ Tana hatte sich wieder von dem Baron gelöst und betrachtete die ihr vorgestellten Personen. „Und ihre Opferbereitschaft. Sie wissen, dass Sie Ihre Identitäten vergessen und nur noch Ihre Tarngeschichte wissen werden?“ Sie streifte die einstudierte Attitüde ab und wurde ernst. „Dass es ein Einsatz wird, der mit Ihrem Tod enden kann? Und dass Ihre alte Identität vielleicht endgültig verloren ist, wenn Sie gefangen werden?“
„All das wissen wir, Miss Starlight.“ Baron von Viertelwald grinste schief, Paola Bruni starrte kritisch auf die HAK’HOOR und ergänzte:
„Wir wissen aber auch, dass, wenn wir erfolgreich sind, das der Erde Zeit verschafft, sich vorzubereiten. Vielleicht sogar lange genug, um der Erde tatsächlich ihre Unabhängigkeit bewahren zu können.“
„Und unter Umständen können die Miridaner auch frei bleiben“, fügte Franz Konrad hinzu. „Wäre ein schöner Nebeneffekt, oder?“
„Meine Damen und Herren von der Sureté!“ Tana zeigte ihr nettestes Lächeln und wies mit großer Geste um sich. „Bitte verfügen Sie über die HEPHAISTOS, Sie haben Carte Blanche. Sie alle! Bitte, amüsieren Sie sich nach Kräften, bis die alte Dame fertig ist.“
„Victoria!“ Nachdem sie allein mit der eingeweihten Leslie Myers waren, sprach Rhodan seine Tochter mit richtigem Namen an. „Was hast Du eigentlich mit der ASO’OMIE vor?“
„Eigentlich wollte ich sie zum Schutz des Gopkar – Sektors einsetzen. Oh, du denkst – unbekanntes Baumuster, jede Menge Feuerkraft und so. Aber Dad, das Ding ist und bleibt eine lahme Krücke! Ich würde die Stärke der ASO’OMIE nicht in einer weiträumigen Verteidigung, sondern im Objektschutz sehen! Es ist ein halbwegs bewegliches Fort. Vielleicht, wenn man es von Grund auf neu konstruiert.“ Victoria zuckte mit den Schultern und hob die Hände. „Ich würde allerdings eine andere Form wählen, obwohl – ich weiß nicht. Vielleicht ist die Gestaltung für ein Trägerschiff doch nicht so schlecht.“
Perry nickte. „Ich gebe dir recht, die ASO’OMIE ist lahm. Aber es ist ein großes Schiff, zwei der Geschütze können, synchrone Volltreffer vorausgesetzt, ohne Schwierigkeiten die Schirme eines 800 Meter Schlachtschiffes der arkonidischen Imperiumsklasse durchschlagen. Ich überlege, ob wir die Kanonen nicht für die irdischen Forts kopieren sollten. Vielleicht sogar ein ähnliches Muster, so wie Du vorgeschlagen hast, als Defensiv-Einheiten. Immerhin, sogar unsere neuen, mit Angelpower ausgerüsteten Schiffe, dürften in einem laufenden Gefecht Probleme mit einer verbesserten ASO’OMIE bekommen. Und der Neurogent liebt laufende Gefechte, bei dem sich viele Schiffe auf einen Gegner konzentrieren. Auf den als Stärksten eingestuften.“
„Na schön!“ Victoria schloss die Augen. „Nach den Berichten der ARK’AMBO zielt die miridanische Taktik auf ‚hit and run’ ab. Eine flüchtende Flotte könnte ein paar Mal die Angreifer vor die Geschütze der ASO’OMIE locken. Eine Zeitlang könnte es funktionieren! Und die Begleitschiffe, die eigentlich an Bord vorgesehen sind?“
Perry Rhodan sah auf seine Schuhspitzen. „Acht müssen vorerst reichen, ich habe nach Deinen Berichten die leichten Einheiten nachbauen lassen. Also halbe Walzen, 370 Meter lang, 100 breit, 50 hoch. Die schwersten Geschütze, die das Ding verträgt, 1,63 Meter, die räumen glatt mit einem Schlachtkreuzer auf.“
„Und die Jäger?“ fragte Tana.
„Unsere alten original Arkonjäger von der STAHDU und aus dem Flottendepot, das Atlan im Wegasystem eingerichtet hatte. Alle mit den echten Stempeln der richtigen arkonidischen Werke. Aber – gegen die Roboterflotten des Neurogenten sind Jäger nicht die beste Wahl. Die lassen sich nicht ablenken.“
„Oh!“ Die junge Frau zog die Nase kraus. „Sieht so aus, als hättest du alles schon geplant, Dad. Dann sollten wir wohl ganz schnell eine Betriebsanleitung in arkonidischer Sprache verfassen. Und ein paar Beschriftungen auswechseln. Wozu dann noch der Flug der HAK’HOOR?“
„Ach, die schweren Geschütze, die wir auch vorbereitet haben, liefern wir auch nicht mit der ASO’OMIE. Die Leute von der Sureté sollen jetzt den Weg erkunden, die erste Lieferung bringen und das Eintreffen der ASO’OMIE vorbereiten.“
„Also gut, natürlich kannst du über ASO’OMIE verfügen.“ Tana stützte sich wieder auf die Absperrung. „Wen hast Du als Kommandanten im Auge?“
„Freyt!“
„Ach!“ In Victorias Augen stahl sich ein Funkeln, ihr Mund verzog sich erfreut. „Onkel Mike! Das wird den alten Haudegen freuen, wenn er wieder von der Leine gelassen wird. Und mich, dass ich ihn einmal wiedersehe. Ach, bevor ich’s vergesse, Dad!“ Sie sah ihn mit unschuldigen Augen an.
„Ja, Victoria?“
„Ich habe die FARNESE und die DU BARRY bereits mit je einem zwei-zehner-Zwillingsgeschütz in der Polkuppel umrüsten lassen. Ich hoffe, Du bist mir nicht böse?“
„Kleiner Teufelsbraten“, Perry Rhodan machte ein übertrieben grimmiges Gesicht, seine Augen funkelten belustigt. „Mit welchem Erfolg?“
„Oh, ich führe es dir gerne vor.“ Untergehakt führte Victoria ihren Vater zu einem der kleinen Diskusboote. „Mit der PB 001 sind ganz schnell auf der GIULIA FARNESE, dann kannst Du Dir selbst ein Bild machen!“
*
Irgendwo am Rand von M 13
Mit eingeschalteten Sprungdämpfern war die STARDUST III aus dem Wurmlochtransit gekommen und stand nun mit aufgehobener Fahrt in relativem Stillstand, ihre Ortungsgeräte liefen auf Hochtouren und untersuchten jedes noch so kleine Stäubchen im System eines braunen Zwerges. Endlich zufrieden, keine Anzeichen einer Beobachtung gefunden zu haben, gab Perry Rhodan das Startsignal für Plan ‚R‘. ‚R‘ wie Résistance. Die Schleuse, in der eine 250 Meter lange Walze lag, wurde leergepumpt, das Schott öffnete sich und die Nanotronik des Schiffes, dessen Besatzung in tiefer Bewusstlosigkeit lag, übernahm die Steuerung, flog das kleine Schiff aus der Schleuse und nahm Kurs auf M 13. In genügendem Sicherheitsabstand zündete es die Korpuskular-Triebwerke und sprang nach Erreichung der Transit-Geschwindigkeit. An Bord waren sechs Agenten der Sureté de Union européenne, in deren Unterbewusstsein einige Befehle warteten.
„Wird es funktionieren, André, Kitai?“, fragte der hagere, dunkelblonde Mann, der den Start von der Brücke aus beobachtet hatte. Der schwarzhaarige, etwas pummelige Franzose nickte.
„Kitai und ich haben sehr vorsichtig und umfassend gearbeitet, dazu noch die Mechanohypnose der Hypnolehranstalt. Ja, es wird funktionieren, Chef. Sogar mit der Gehirnsonde würde die echte Identität der Personen verborgen bleiben.“
„Aber warum soll man ein paar Krämer überhaupt einer Untersuchung mit der Gehirnsonde unterziehen?“, ergänzte Kitai. „Sie mögen sich am Rande der Legalität bewegen, indem sie an Miridan liefern, wahrscheinlich wird man die Ware beschlagnahmen und sie verhaften, aber eine Gehirnsonde? Ich glaube es nicht.“
„Ich hoffe, sie kommen heil zurück“, bemerkte Tana Starlight. „Die Frauen und Männer hätten es sich verdient. Ich weiß!“ Sie hob die Hand und winkte ab. „Darauf kommt es nicht an, und manchmal ist das Universum eben nicht gerecht, und schon gar kein Wunschkonzert oder Ponyhof. Aber ich hoffe trotzdem.“
„Ich auch!“ stimmte Rhodan zu. „Ich auch.“
*
Das Moklarm – System lag im Sternhaufen M 13, eine weiter nicht auffällige Sonne, Spektralklasse M, etwas kühler als die irdische Sonne. Einst hatte sie fünf Planeten gewärmt, auf einem davon gab es auch hominides, intelligentes Leben, das auf dem besten Weg zu einer eigenen Zivilisation war. Dann kamen die Arkoniden, besiedelten Moklarm II, legten Städte und Farmen an, die einheimische Lebensform, welche noch nicht einmal den Lendenschurz erfunden hatte, wurde über einige Entwicklungsstufen gepuscht. Man brauchte und wollte billiges Personal, besser gesagt, Diener. Sklaven. Roboter waren nicht zu allen Dienstleistungen fähig. Oder erwünscht. Besonders die einfachen Arkoniden von Arkon II waren von den Frauen angetan, Mischehen waren bald keine Seltenheit mehr. Die Hominiden von Moklarm II besaßen wie die Menschen zwölf Rippenpaare, dazu einige ‚Übergangsrippen’ mehr als üblich, diese Atavismen kamen auch bei einigen irdischen Menschen vor. Diese Rippenbögen statt der Brustplatten vererbten sie an ihre Kinder, sie erwiesen sich als dominantes Erbgut. Die Kolonie entwickelte sich wie jede andere, auf Monden und Asteroiden wurden Kuppelstädte errichtet, Ressourcen abgebaut und Wohnstätten errichtet. Moklarmer hatten ihre Frauen und ihre Kinder dorthin mitgenommen, als sie als Arbeitskräfte angesiedelt wurden, bis eine Flotte der Methans die Front durchbrach und von einer arkonidischen Flotte in diesem System gestellt wurde.
Beiden Seiten war es völlig egal, was mit dem System geschah. Die Methans wollten weiter vordringen und natürlich den Gegner zerstören, die Arkoniden waren in Angst, der Feind könne in das Zentrum des Imperiums vorstoßen und das System Arkon selbst angreifen. Tagelang rieben die annähernd gleich kampfstarken Gegner einander auf, am Ende durften sich wohl die Arkoniden als Sieger fühlen. Die letzten Überlebenden der Schlacht waren Arkoniden auf einigen schwer beschädigten Schiffen ihrer Flotte, bis auf den äußersten Planeten, einer luftleeren Steinkugel, waren alle Planeten zerstört. Nur in einigen Kuppelstädten weit draußen hatten noch Hominide und Arkoniden überlebt. Im System wimmelte es von Wracks beider Seiten, die Arkoniden bargen die weniger beschädigten Schiffe und überführten sie nach Arkon III. Zur späteren Ausschlachtung wurden die Methanerschiffe und die schwer beschädigten Kugelraumer auf dem Planeten gelagert, doch es gab niemand, der diese Aufgabe je übernahm. In der zentralen Registratur fand sich kein Hinweis auf diesen Lager. Nach dem Krieg fanden einige heimatlose Mehandor, Arkonabkömmlinge wie viele andere damalige Wanderer, diesen Schiffsfriedhof und erkannten das Potential. Sie machten aus drei, vier Wracks ein funktionierendes Raumschiff und begannen in dem erforschten Teil der Galaxis Handel zu treiben. Da besonders die Rümpfe der arkonidischen Kugeln beschädigt wurden, während die Walzenschiffe leichter zu reparieren waren, gewöhnten sich die Sternenhändler an diese Form. Noch heute ziehen die galaktischen Händler die Walzenform der Methanerschiffe für ihre Einheiten vor, nur sehr wenige Mehandor bestellten Schiffe in anderer Form. Selbstverständlich spielte sich nicht nur auf Moklarm dieses Recycling ab, aber hier lagen eben die meisten Methanerschiffe auf einem Planeten, und natürlich konnten die Mehandor für einfache Arbeiten auch Moklarmer heran ziehen. Ein Vorteil, den sie anderswo in M 13 nicht hatten. Die Moklarmer erwiesen sich bald als geschickte Arbeiter und reparierten auch für sich selbst einige Schiffe, ein paar wurden sogar zu Krämern in M 13. Die Springer ließen sie gewähren, die Moklarmer lieferten mit ihren kleinen Schiffchen jene Kleinigkeiten, welche die Springer mit Verachtung straften. Moklarm blieb ein Schiffsfriedhof, eines von wenigen Systemen, wo man alte Schiffe zum verschrotten und ausschlachten hinbrachte, wo man aber auch immer wieder Ersatzteile für Springerschiffe finden konnte. Die sich in den nächsten Jahrtausenden nicht verändernde Technik erlaubte es auch ärmeren Sippen, mit diesen alten Ersatzteilen halbwegs im Geschäft zu bleiben.
Ein solches kleines Schiffchen der Krämer kam eben in einem System, das keinen Namen, sondern nur eine Registriernummer aufwies, aus dem Transit. Der groß gewachsene Kommandant, dessen dunkelblondes, halblanges Haar etwas zerzaust wirkte, fuhr mit den Fingern hindurch und zerstörte damit auch die letzten Anzeichen einer Frisur.
„Man sollte etwas gegen die Sprungschmerzen erfinden“, knurrte Khloos und kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, die Spiralen im Blick los zu werden, Pouola verbarg ihr Gesicht in den Händen.
„Gibt es doch schon“, quälte sie über ihre vollen Lippen. „Wenn wir unsere Ladung im Miridan-Sektor gut verkaufen, können wir uns so ein Ding vielleicht einmal leisten.“
Vroonka stimmte zu. „Ich würde mir meine Zöpfe abschneiden, wenn wir uns so ein Ding einmal kaufen könnten!“ Sie kniff mit Daumen und Zeigefinger ihre Nasenwurzel und rieb sie. Nur Koron am Ruder blieb unbeeindruckt, er fühlte den Sprungschmerz einfach nicht. Eine genetische Veranlagung, die unter einigen Millionen Wesen einmal vorkam, oft gepaart mit sensorischen Störungen. Koron hatte Glück, er konnte normal fühlen, mit Ausnahme des Tranitschocks, daher saß er auch am Ruder. Rooja erschlaffte schweigend in ihren Sessel, sie verlor regelmäßig im Transit das Bewusstsein. Sie war für die Finanzen der kleinen Gruppe zuständig, als Kosmonautin war sie ungeeignet. Dimmie kümmerte sich sofort um seine Kameradin. Zwar quälten auch ihn höllische Kopfschmerzen, aber er war für Roojas Überleben verantwortlich. Also überwand er sich, zog die Injektionspistole aus dem Kasten und verabreichte das kreislaufstabilisierende Medikament. Pouola warf das lange, schwarze Haar über die Schultern und atmete einige Male tief durch. Normalerweise zog diese Aktion, bedingt durch das Volumen ihrer Oberweite, die Blicke von Männern wie ein Magnet an, doch nicht jetzt. Koron hatte nur Blicke für die Nahbereichssensoren und den Panoramaschirm, Dimmie für Rooja und so interessierte sich nur Khloos trotz seiner Kopfschmerzen für den Anblick.
Pouola aktivierte die Fernbereichssensoren und die Astrogationskonsole, um den Standort zu bestimmen.
„Getroffen“, meldete sie dem gewählten Kommandanten Khloos.
Der nickte. „Gut so. Lasst uns Wachen auslosen, jeder kann fünf Stunden schlafen. Dann gehen wir in die nächste Etappe. Koron, bring uns bitte in einen Ortungsschatten.“
Rooja war wieder erwacht und klammerte sich an Dimmie. „Danke, es wird wieder. Ob ich mich je daran gewöhne?“
„Ich fürchte, nein.“ Koros steuerte wie gewohnt präzise die kleine 250 Meter lange Walze in die Nähe der Sonne und in einen festen Orbit. „So wenig, wie ich je die Schmerzen fühlen werde. Genetik!“
Khloos startete den Zufallsgenerator der Nanotronik. „Dimmie, du bist der erste. Gratuliere! Dann Pouola, Vroonka, ich, Rooja und Koros. Ab ins Bett, Leute. Und kein würdeloses Gerenne durch die Gänge. Geht gleich in das Bett, in dem ihr aufwachen wollt. Komm, Vroonka. Euch allen eine gute Nacht!“ So kehrte Ruhe an Bord der HAK’HOOR ein, die Besatzung schlief tief und traumlos in ihrem Versteck in der Umlaufbahn eines weißen Zwerges.
September 2084
Solares System, Europa, Venedig
September in Venedig! Eine der schönsten Zeiten in einer der schönsten Städte. Die heißeste Zeit war vorbei, langsam bereitete sich die Serenissima auf den Herbst mit seinem unvermeidlichen Aqua Alta vor. Die Auflagen und die Bretter für die Stege, welche verhinderten, dass man in knietiefem Wasser über den Markusplatz oder durch die Gassen waten musste, wurden schon einmal bereit gelegt, an den Verkaufsbuden hingen nun neben dem Touristenramsch auch Regenschirme und -capes aus dünnem Kunststoff. Seit einiger Zeit aus biologisch abbaubarem Material aus der chemischen Hexenküche der Arkoniden, aber immer noch knallig bunt oder halb durchsichtig, manchmal beides. Billigste Wegwerfware zumeist, obgleich auch hier langsam ein Umdenken begann. Die kleinen Lokale an den Fondamente mit ihren fünf oder sechs Tischen draußen am Kanal und drei Tischen im Inneren hatten zwar noch geöffnet, die Venezianer trafen sich morgens zu einem Espresso mit Brioche, Vormittags auf ‚un Ombra‘, ein kleines Gläschen Wein, die Damen und auch viele Männer zwischen fünf und sieben Uhr abends gerne auf einen ‚Spritz‘, Aperol und Frizzante oder Sekt auf Eis mit Orangenscheibe. Die Speisekarte war stark geschrumpft. Die Touristen waren jetzt eher mehr auf dem Rialto oder dem Markusplatz zu finden, die Giudecca und Canareggio warteten bereits auf die Ruhe des Winters. Die Tische im Freien wurden nach Sonnenuntergang nur noch selten von Fremden frequentiert, man war wieder beinahe unter sich. Wenn sich jetzt noch ein Tourist in diesen Teil Venedigs verirrte, bekam er vielleicht nur noch einfache Hausmannskost, doch guten Wein konnte man immer und beinahe überall bekommen. Die Tage waren zumeist noch sonnig, nur ab und zu fielen bereits ein paar Tropfen Regen, des Abends konnte man durchaus schon ab und zu eine wärmende Jacke oder einen Pullover vertragen.
Die Venezianer waren durchaus an vieles gewöhnt, vor allem an junge, ausgelassene Menschen, die alberten und Spaß machten. Neu war aber, dass darunter grünhäutige, rothaarige, nicht sehr große, aber massige Jugendliche waren. So fielen das Mädchen mit 143 Zentimetern Größe und einer ebensolchen Hüftbreite, der Junge mit 155 Zentimetern Länge und 153 Zentimetern Schulterbreite und jener, der 164 Zentimetern Groß war und ‚nur’ 158 breit in der Clique von 16 Personen, alle im Alter von Teenagern, durchaus auf. Die Haut der Drei schimmerte in satten Smaragdgrün, die Lippen der beiden jungen Männer waren so dunkelgrün, dass sie beinahe schwarz wirkten, die des Mädchens waren ebenso Korallenrot wie ihre Finger- und Zehennägel bemalt. Eine Farbe, die derzeit unter jungen Mädchen wieder angesagt war. Um die Köpfe der drei fremd wirkenden Personen schienen in der Sonne Flammen zu lodern. Besonders das Mädchen in den kurzen Hosen und den Sandalen zog viele Blicke auf sich, das harmonische Spiel der Muskeln ihrer bloßen Beine, der gigantische Po, der die engen Shorts zu sprengen schien, die mächtigen Arme.
„Fang mich, Laurin!“ Bianca ‚Ballerina‘ Motti, schwarze Haare, beinahe einen Meter fünfundachtzig groß, mit der Figur einer römischen Venus, hatte ihre Hand in den Nacken des größeren Grünhäutigen gelegt und war graziös hochgesprungen. ‚Laurin‘ Vhunkos kräftige Arme schoben sich unter den Körper des Mädchens und hielten den schlanken und leichten Körper mühelos in der Luft, seine riesigen Pranken verhinderten ein Fallen, lange und intensiv küsste die junge Frau unter dem Beifall und lauten Pfiffen der Freunde den Jungen.
„Ich wollte, ich könnte Yshmila so hochheben“, meinte einer der Jungs lachend und musterte die Mehandor, und das grünhäutige Mädchen gab grinsend mit gleicher Münze zurück.
„Besser, ich nehme dich auf den Arm!“ Die Clique lachte gemeinsam laut los, Yshmila trat zu ihrem Freund und streckte die Arme aus. „Und hopp, Conan!“ Jack ‚C’onan‘ Bowie, groß, dunkelblond, trotz einer Figur wie ein Freistilringer gelenkig und geschickt, machte einige übertriebene Ballettschritte und -gesten, ehe er gut gespielt plump in diese Arme sprang und sich mit ängstlichem Gesicht an Yshmilas Hals klammerte.
„Lass mich nicht fallen, Geliebte, bitte, bitte, BITTE!“ Yshmila leckte ihre Lippen und entblößte ihre kräftige Zähne.
„Was für ein leckeres Häppchen ich hier doch in Händen halte! Zwar reichlich dürr, aber zum Vernaschen reicht es!“
Mit grandios gespielter Panik rief Conan „Oh Gott, sie will mich auffressen! Helft mir doch! Wie kann ich dich besänftigen, meine liebe Blattschuss?“
„Indem du weniger Unsinn redest und mich küsst, du kleiner Jammerlappen“, kicherte ‚Blattschuss‘ Yshmila laut und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Zur Überraschung aller verzichtete Conan für einige Zeit auf seine Blödeleien und erwiderte den Kuss, der schnell inniger wurde und nicht enden wollte. Immer noch hielt das Mädchen den schweren Mann ohne Mühe in den Armen, für Jack war es eine ganz neue Erfahrung, die er zu genießen begann. Einmal der Schwache sein, einmal gehalten werden. Seine Hände tasteten über Yshmilas Oberarme, die unter einer weichen, anschmiegsamen Oberfläche eisenhart werden konnten. Als Yshmila ihre Lippen von den seinen löste, griff Jack in ihren Nacken und ergriff nun seinerseits die Initiative.
„Conan redet einmal nicht“, wunderte sich Chantal ‚Fire‘ Hofer aus Berlin. „Wenn ich es nicht sähe, würd’ ich’s nicht glauben!“
„Hm!“ Edith ‚Chili‘ Bucheron von der Ile de France betrachtete, die Fäuste in die Hüften gestützt, doch ohne Neid das ungleiche Paar. „Mich hat er nie so intensiv geküsst! Ob Blattschuss Conan etwa gezähmt hat?“ Unter allgemeinem Gelächter bog die Gruppe von der Strada Nova in die Calle Ca‘ d’Oro zur gleichnamigen Vaporettostation ein, Yshmila trug Jack Bowie immer noch im Arm. Es schien ihm durchaus zu gefallen, er lachte und ertrug den freundschaftlichen Spott der Kameraden. Blattschuss hatte ihren Mikrogravgenerator, der sie sonst die gewöhnliche Schwerkraft von etwa 2 G fühlen ließ, abgeschaltet, die vielleicht 90 Kilogramm Conans fielen für sie also nicht wirklich ins Gewicht.
Bianca Motti, geboren und aufgewachsen hier in Canareggio, hatte ihre Freunde von der Glenn Academy überredet, sie die letzte Woche vor Semesterbeginn in Venedig zu besuchen. Mit Ausnahme von Laurin, der schon eine Woche früher mit ihr anreiste, mit bis zum Hals klopfendem Herz. Mama Motti war bei seinem Anblick in Tränen ausgebrochen.
„Mia figlia ha un tessero“, hatte sie geschluchzt und Laurin an ihr großes Herz gedrückt, oder besser gesagt, ihr Herz an sein Gesicht, da der Überschwere einfach still stehen blieb. Papa Monti war plötzlich verschwunden, als er wieder zu Vorschein kam, hatte er vorsichtig eine Holzkiste getragen. Diese hatte er geöffnet, sorgfältig in Holzwolle gehüllt kamen drei Flaschen zum Vorschein.
„Am Tag von Biancas Geburt habe ich diese drei Flaschen eingepackt!“ erklärte er. „Diesen Grappa, wenn sie ihren ersten Freund nach Hause bringt. Du bist doch ihr fester Freund, oder?“ Laurin nickte nur. „Dieser Rotwein wird zur Hochzeit getrunken, dieser Sekt zur Taufe meines Enkels!“ Ettore Motti hatte dem grünhäutigen jungen Mann die Hand auf die Schulter gelegt. „Keine Sorge, mir ist bewusst, dass Hochzeit und Kinder noch warten müssen, ich möchte niemand festnageln. Aber es ist schön, dass mia amata Liebe erfährt. Äh, bitte jetzt nicht falsch verstehen, Junge, aber wäre denn Nachwuchs überhaupt möglich?“
„Ich weiß es nicht!“ gestand Laurin. „Aber, nun, wir Mehandor stammen von den Arkoniden ab, und die Arkonidin Thora hat dem Terraner Rhodan drei Kinder geboren. Also – warum sollte es nicht geschehen? Ich würde allerdings, wenn es soweit ist, ständige medizinische Kontrolle vorschlagen, und bei den schmalen menschlichen Becken einen Kaiserschnitt. Entschuldigen Sie bitte meine Offenheit!“
Zwischen Ettores Brauen entstand eine tiefe Falte. „Du kannst mich familiär ansprechen und auch ‚Du‘ statt ‚Sie‘ sagen, Laurin. Ich merke, du hast dir schon Gedanken über das Thema gemacht!“
„Das habe ich.“ Laurin nickte eifrig. „Wir, also Bal… Bianca und ich haben darüber auch schon lange und ausführlich gesprochen, als unsere Beziehung mehr als nur ein kurzer Flirt wurde. Ich habe auch die Adoption eines Kindes oder eine künstliche in untero Befruchtung durch einen menschlichen Spender in den Raum gestellt, aber…“
„…aber ich habe gesagt, nur im äußersten Notfall, wenn alles andere nicht funktioniert“, unterbrach ihn Ballerina! „Wenn ich ein Kind bekomme, dann soll es von dem Mann sein, den ich liebe! Und nicht mit einer Spritze, sondern in Liebe empfangen! Es gibt gute Kranken- und Geburtsstationen an Bord der GCC-Schiffe, und ich habe ja schon immer vorgehabt, nach der Kadettenzeit als Fähnrich weiter auf die Glenn zu gehen, irgendwann gemeinsam auf ein Schiff versetzt zu werden wäre mein Traum.“
„Ich weiß, Ettore, wir sind erst 18. Wir sind zwar volljährig, aber noch unerfahren, und viele Partnerschaften gehen in unserem Alter wieder auseinander – auch wenn ich mir das im Moment nicht vorstellen kann und möchte. Mit Familie und Kindern wollen wir auf jeden Fall warten, bis wir unsere Ausbildung abgeschlossen haben.“
Chiara Motti klatschte begeistert in die Hände. „Ach, würden doch nur alle so weit denken und ihre Verantwortung übernehmen! Ettore und ich haben auch erst mit 28 geheiratet, und schau doch nur, es funktioniert immer noch. Und wie gut es funktioniert. Obwohl er kein Venezianer, sondern ein Sizilianer ist. Wenn die Liebe spricht, muss man über die Herkunft hinwegsehen!“
Papa Ettore machte ein finsteres Gesicht. „Irgend jemand muss doch dafür sorgen, dass das Blut dieser dekadenten Venezianer aufgefrischt wird. Da muss”, er zog den beachtlichen Bauch ein, warf sich in die Brust und trommelte mit beiden Fäusten darauf. „Da muss manchmal eben ein richtiger Mann her, nicht so ein blutarmes Bürschchen! Salute, piccola Topa! Salute, Bambini!“
*
Pietro Tuscari, alias Pituscar aus Atzgols Sippe, war auf dem Weg zur Arbeit. Immer noch war er sich nicht sicher, was er tun sollte, sich stellen und alles erzählen oder vielleicht einfach verschwunden bleiben. Er wollte eigentlich Pietro Tuscari bleiben, hier in Venedig. Es gefiel ihm hier, er war überrascht, sich auf einem Planeten so wohl zu fühlen. Der Wein und das Essen schmeckten ihm ausnehmend gut, die Frauen waren hübsch und elegant, besonders im Sommer ein erfreulicher Anblick. Mit Signorina Ludovica, der molligen, großbusigen Mittdreißigerin, die er öfter im Giardini della Biennale getroffen hatte, verband ihn seit wenigen Monaten ein lockeres, aber durchaus befriedigendes Arrangement zu beiderseitigem Vergnügen ohne Bindung. Eine feste Beziehung wollten sie beide nicht, er hatte Angst, sie nach ihrem Grund zu fragen, und wusste nicht, was er auf ihre Frage antworten sollte, wenn sie ihn nach seinem fragen sollte. Aber in ihren Armen vergaß er auch schon manchmal das drohende Damoklesschwert, das über ihm schwebte, die schwere Entscheidung, die ihn erwartete, wenn aus seinem Phone eines Tages das Signal des Patriarchen ertönen würde.
Er hatte Ludovika zum Abschied in den Arm genommen und sie noch einmal geküsst, sein Sakko angezogen und war die enge Wendeltreppe hinunter gestiegen. Ludovika bewohnte eine gemütliche Wohnung im Dachgeschoss eines der vielen alten, kleinen Häuser in Castello, in der Nähe des Arsenale. Er war durch die Calle dei Forni zum Fondamente gegangen und hatte an der Station Arsenale auf das Vaporetto der Linie 1 gewartet, die klare Luft hatte einen freien Ausblick nach San Servolo erlaubt. Fast glaubte er, in der Entfernung noch den Lido di Venezia zu erkennen. Die Sonne erwärmte nicht nur die Luft, sondern auch ihn, er sog die klare, nach Salzwasser duftende Luft tief in seine Lungen. Ein Espresso, ein Brioche bei San Giorgio, gegenüber der Haltestelle, im Stehen, während er wartete. Aus dem Lokal hatte ihn der Geruch nach ofenfrischem Gebäck und das Zischen der Espressomaschine angelockt. Obwohl er schon mit Ludovika ein Frühstück gegessen hatte, konnte er einfach nicht widerstehen. Wieder einmal, obwohl er es sich jedes Mal, wenn er bei ihr übernachtete, vornahm. Jedes Mal vergeblich.
Wie immer war Pietro auf dem Vaporetto an Deck geblieben, statt in die Kabine zu steigen, dieses Mal hatte er einen der begehrten Sitzplätze auf dem Vorderdeck ergattert und ergötzte sich an der alten und immer wieder neuen Schönheit der Königin der Meere. Das Danieli, in dem schon gekrönte Häupter der Habsburger abgestiegen waren. Die ‚Ponte de Sospiri’, der Palazzo Ducale, der Giardini Reale, die Fassaden alter Palazzi, Fenster und Balkone, er geriet ins Träumen, ein normaler Mensch zu sein, ein Traum, aus dem ihn die Stimme der Conducteuse riss. „Ca’ d’Oro!“ Er stieg aus und ging die Calle Ca’ d’Oro hinauf.
*
Tatjana Michalowna, deren Familienname noch niemand erfahren hatte und um den sie ein großes Geheimnis machte, war eine ausnehmend schöne Frau. Nicht, dass die besonders schlank oder rundlich gewesen wäre, ihr Busen war weder besonders groß oder klein, aber sie hatte dieses gewisse Etwas, das Männer anzog und immer anziehen wird. Sie war immer elegant gekleidet, dezent geschminkt und bewegte sich mit jener natürlichen Grazie, wie sie auch eine Großkatze zeigte. Oder eine Gazelle. Ihre dunkle Lockenmähne umrahmte ein Gesicht mit slawisch hochstehenden, aber sehr zarten Backenknochen, vollen Lippen und großen, unendlich tiefen Augen, in denen man sich zu verlieren glaubte. Wenn man sie sah, schätzte man sie auf etwa dreißig, ein Geburtstag, der schon weit mehr als fünfzig Jahre zurücklag. Sie hatte der GCC und der Menschheit einen Dienst erwiesen, einen so großen, dass man ihr eine Zelldusche zuteil werden ließ. Um diesen Dienst rankten sich wilde Gerüchte, doch sowohl sie selbst als auch die Verantwortlichen der GCC bewahrten tiefstes Schweigen. Gemeinsam mit der modernen Medizin hatte die Russin ihr jugendliches Aussehen behalten, ihr Körper war straff und faltenlos, der Po und die Brüste immer noch fest und prall, ohne Operationen und Narben. Sie genoss ihr Leben und ihren Körper in vollen Zügen, verzichten war nichts für sie, das Beste gerade gut genug.
Tatjana Michalowna war Telepathin. Eine sehr starke Telepathin, die allerdings nicht zu den größten Fans der GCC oder Perry Rhodans zählte, dafür umso mehr ihre Freiheit und ihr ungebundenen Lebens schätzte. Daher war sie auch nicht Mitglied im Mutatenkorps Rhodans geworden, aber eine treue Tochter der Erde und der Menschheit geblieben. Darum ließ sie sich von Allan Donald Mercant als freie Agentin zu dem einen oder anderen Einsatz anwerben, wenn sie von der Notwendigkeit und der Rechtmäßigkeit der Aktion überzeugt war. Gegen gute Bezahlung und Spesen, selbstverständlich, und ihre Spesen waren gewöhnlich sehr hoch. Sie speiste und trank nur vorzüglich in den besten Häusern am Platze und leistete sich auch schon einmal einen Begleitservice, sie zog Profis vor, die am nächsten Morgen keine anderen Ansprüche als eine Bezahlung stellten.
Zu Beginn ihrer Karriere hatte Tatjana für Clifford Monterey, den Overhead gearbeitet, manche munkelten sogar von einer Hochzeit, Beweise gab es jedoch keine. 2068 starb Monterey in einem Bett auf der Intensivstation der luxuriösen Hillary Clinton Klinik in Kalifornien an Multiorganversagen aufgrund von Arterienverkalkung, Blutzucker und Herzschwäche. Ausgelöst wurden diese Krankheiten letztendlich durch zu viel Essen und zu wenig Bewegung, der Overhead hatte zu lange massiven Raubbau mit seiner Gesundheit betrieben. Sein Nachlass floss in eine gemeinnützige Stiftung, aus dessen Fonds Forschungen über Parapsychologie, Metaphysik und Mutationen an der UCLA finanziert wurden. Nach dem Tod von Charles Monterey hatte sich Tatjana Michalowna von ihrer Vergangenheit gelöst und ihre Fähigkeiten als Detektivin auf der ganzen Erde eingesetzt. Ihre Klientel war reich, sowohl an Geld wie auch an Einfluss, und Tatjana verstand es, trotz ihrer Schönheit stets unerkannt und unsichtbar zu bleiben. Eine Modesty Blaise, eine Catwoman, ein Phantom, eine Legende, besser und unsichtbarer als jeder James Bond. Ihre Aufträge wurden anspruchsvoller, die Bezahlung besser, sie konnte es sich bald leisten, nur noch an Fällen zu arbeiten, die sie interessierten. Wie an diesem speziellen.
Tatjana Michalowna saß, gekleidet in einen eleganten elfenbeinfarbenen Hosenanzug von Brasconelli mit einer Bluse in Lavendel, dazu schmalen Schuhen in der gleichen Farbe wie die Bluse, mit deren Spitzen man jemand erdolchen hätte können und deren Absätze das Gehen zu einem Balanceakt machten, in Venedig in einem Vaporetto. Genauer gesagt in einem der Linie 1. Sie war von Mercant in die Serenissima gebeten worden, nachdem Paul Camper, der nicht ganz freiwillige Überläufer aus New Orleans, einen Kontakt in Venedig bestätigt hatte. In seiner Stadt, seinem Venedig, seinem Liebling! Nun, Venedig war relativ klein, die Anzahl der Bevölkerung überschaubar, eine Telepathin müsste einen Agenten in den engen Grenzen dieser Stadt doch finden können. Wochenlang war Tatjana einfach durch die Stadt gestreift, ihre Sinne geöffnet und ihre Augen auf die Auslagen der Boutiquen und Schuhgeschäfte gerichtet. Venedig war für Menschen, die schöne und elegante Kleidung liebten, ohne auf den Preis achten zu müssen, ein el Dorado der Sinne. Venezianische Frauen gehörten zu den am elegantest gekleideten Italienerinnen, besonders was Schuhe anging. Und die Damen in Italien liebten es, sich gut anzuziehen und ihre Schönheit zu zeigen. Ab und zu hatte Tatjana Michalowna weiter entfernt ein schwaches Echo eines nicht ganz menschlichen Gedankens aufgespürt, überlagert von den Schwingungen vieler Menschen, die ihren Alltagsgeschäften nachgingen oder ihre Zeit genossen, sich freuten, liebten oder auch stritten, ihre Wut vor aller Welt außer den Sinnen eines Telepathen verbargen oder laut hinausbrüllten, um ihrem Gegenüber gleich darauf um den Hals zu fallen. Drama in modo italiano eben! Langsam hatte sie sowohl zeitlich als auch örtlich das Zielgebiet einengen können, kam sie dem Gesuchten auf die Spur. Sie war ihrem Ziel näher und näher gerückt, gleichzeitig aber auch seinen seelischen Schmerz und seine Unsicherheit, den Auftrag seines Patriarchen betreffend, mitgefühlt. Sie wusste, es bedurfte nur noch eines kleinen Anstoßes, und Pietro Tuscari würde sich von Atzgol trennen. Ohne, dass es dem Mehandor bewusst wurde, war er bereits Venezianer geworden. Nicht Terraner, nicht Italiener, Venezianer. Nun, so groß war der Unterschied zwischen den Menschen unterschiedlicher Welten ohnehin nicht, als Telepathin wusste sie das besser als jeder andere Mensch.
Venezianische Kaufleute hatten einst das Mittelmeer beherrscht, und sogar Byzanz kurzfristig erobert. Ihre Schiffe waren allen überlegen gewesen, im Arsenale waren die Galeeren und die ersten Schiffe, die auch mittschiffs Kanonen trugen, die Galeassen, am Fließband gebaut worden. Nicht Mister Ford, sondern die Venezianer hatten diese schrittweise Fabrikation von Station zu Station erfunden, ebenso das schwimmende Trockendock. Tatjana Michalowna war fasziniert gewesen, eines Tages hatten ihre Wege sie zum Museo storico navale geführt. Und sie verstand, warum sich Pituscar den Bewohnern dieser Stadt, dieser Nachfahren großer Entdecker, Forscher und nicht zuletzt erfolgreicher Händlern so nahe fühlte.
„Arsenale!“, rief die Begleiterin des Vaporettos, und da war sie wieder, die Gedankenschwingungen eines Springers. Tatjana unterbrach ihre Betrachtungen. Glasklar und stark kamen die Gedanken des Mehandor, ohne Überlagerung durch andere Schwingungen. Jetzt war der Fremde ganz in der Nähe. Da, der Gesuchte bewegte sich, er betrat die Statione, kam an Bord! Sie konzentrierte sich auf die zusteigenden Fahrgäste. Groß, gut gebaut, kurzer, rötlicher Vollbart, Jeans, blaues Hemd, weißes Sakko und helle Sneaker. Er war es, sie hatte ihn gefunden. Jetzt kam es noch darauf an, ihn zu beobachten, wo er unauffällig in Gewahrsam genommen werden konnte. Sie benachrichtigte Allan Mercant. Ja, es da war die Station Ca’ d’Oro in seinen Gedanken, Mercant rief einige Agenten, die in der Stadt in Bereitschaft waren und sandte sie mit einem Schnellboot los. Im Moment musste sie jetzt abwarten, sich in Geduld üben.
„Ca’ d’Oro!“ rief die Conducteuse, Tatjana ergriff ihre Handtasche und folgte Pietro Tuscari.
*
In Gedanken versunken ging Pietro die Calle Ca’ d’Oro hinauf, zur Strada Nova. Vor sich hörte er Kichern und Lachen, automatisch wich er zur Seite, sah auf und erstarrte. Diese Frau, klein, massig, grüne Haut, rote Haare, trug einen muskulösen Mann locker auf ihren Armen spazieren. Das konnte nicht sein, das war unmöglich! Eine überschwere Mehandor inmitten einer Horde junger Leute, da, noch zwei Männer, das musste ein Trick, eine Maske sein! Irgendwie! Und wie sie lachten, scherzten, der junge Mann küsste die Mehandor auf den Mund, die ließ es sich nicht nur gefallen, sie erwiderte die Zärtlichkeit. Und dort, der junge Mehandor, der eng umschlungen mit der großgewachsenen Menschenfrau durch die Gasse ging, wie selbstverständlich, die beiden strahlten eine tiefe Liebe zueinander aus. Pituscar traten Tränen in die Augen, einmal, so wünschte er sich, einmal wieder ehrlich und unbeschwert durch Venedig wandern, keine Angst vor der Enttarnung, vor aller Augen, ohne Versteckspiel. Vielleicht könnte er dann auch Ludovika fragen, warum sie keine engere Beziehung wollte, vielleicht könnte es klappen. Wie schön wäre das Leben, könnte er ganz offiziell und ehrlich hier wohnen. Eine leise Stimme flüsterte in sein Ohr.
„Ich kann Dir helfen, diese Wünsche zu erfüllen, Pituscar!“ Er schreckte auf, fuhr herum und sah die schöne Frau vor sich an. „Telepathin, ja, Pituscar“, sagte sie lächelnd. „Darum sage ich ja, deine Wünsche sind erfüllbar. Wir sprechen mit dem Mann, der mich beauftragt hat, und ich sehe keinen Grund, warum du dein Leben nicht hier weiterleben könntest.“ Tatjana Michalowna stützte den Mehandor, dem die Knie nachgeben wollten. Die Kadetten waren stehen geblieben.
„Brauchen Sie Hilfe, Signora?“, fragte Bianca auf Veneziano, Pietro Tuscari fixierte Laurin. „Bist Du tatsächlich Mehandor?“, stieß es ihm im arkonidischen Dialekt der Händler von den Lippen, im gleichen Dialekt gab der Antwort.
„Natürlich!“
„Im Dienst der Menschen?“, wollte Pituscar wissen.
„Kadetten der John Glenn Space Academy“, versetzte Blattschuss stolz.
„Wir haben die Verträge unterzeichnet und sind freie Terraner“, setzte der dritte Überschwere, den seine Freunde Leprechaun nannten, fröhlich und nicht minder stolz hinzu. Pituscar wandte sich wieder Tatjana Michalowna zu.
„Gehen wir. Bringen Sie mich bitte zu ihrem Auftraggeber“, sagte er mit belegter Stimme, Tränen flossen aus seinen Augen.
*
„Gute Arbeit, Tatjana Michalowna.“ Der ältere Mann mit Stirnglatze nahm eine Flasche Prosecco aus dem Sektkühler und goss zwei Gläser ein. „Hier die Zahlungsbestätigung, wie immer auf ein Konto der Union de Banque Suisse.“ Die schöne Russin nahm den Ausdruck und steckte ihn ungelesen in ihre Handtasche.
„Ich mag es, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Allan. Sie versuchen nie, ihr Gegenüber zu betrügen. Zumindest nicht, wenn es um Geld geht.“ Sie nahm einen Schluck aus dem hohen Glas und verzog das Gesicht. „Ich verstehe Sie nicht! Da sitzen Sie an der Quelle und servieren diese amerikanische miserable Fälschung?“
Allan D. Mercant hob die Augenbrauen. „Dieser Prosecco hat einige Goldmedaillen gewonnen!“ Lachen perlte von Tatjanas Lippen, sie griff nach einem Stift und einem kleinen Zettel, schrieb einen Namen und eine Kom-Nummer darauf.
„Keine amerikanischen Goldmedaillen von Leuten, deren Geschmacksknospen nie wirklich Gutes gekostet haben, aber exquisite und hochwertige Ware. Praktisch vor Deiner Haustür, hier im Veneto.“ Sie schob Mercant das Papier über den Tisch. „Ich hoffe, Tuscari darf hier leben bleiben, Allan. Sein einziges Vergehen ist illegale Einreise und Urkundenfälschung. Behandeln Sie ihn gut, er war fast schon von selbst bereit, aufzugeben. Er liebt Venedig und möchte nicht weg!“
Mercant legte sein Kinn auf die verschränkten Hände. „Wer Venedig liebt, kann kein schlechter Mensch sein? Schon gut, er hat sich schriftlich verpflichtet, der Erde keinen Schaden zuzufügen. Damit steht einem legalen Leben in Venedig nichts mehr im Wege. Springer nehmen ihre Unterschrift sehr ernst, habe ich mir sagen lassen, und er zeigt sich durchaus kooperationsbereit.“
Tatjana Michalowna nickte, erhob sich und reichte Mercant die Hand über den Schreibtisch, der sich darüber beugte und formvollendet küsste.
„Tatjana Michalowna…“ begann er, doch sie unterbrach ihn.
„Nein, Allan. Ich gehöre nicht zu den ‚rettet die Erde‘ – Heiligen. Ewig zu leben, aber dafür ewig zu dienen ist nicht mein Fall. Ich arbeite für Cash, für viel Geld, und ich gebe es mit vollen Händen und Genuss wieder aus. Wenn ich will, fliege ich irgendwo hin und die Welt kann mich mal, oder ich lasse mir ein paar hübsche, potente Männer kommen und mache tagelang Party. Wie, wo, mit wem und wann ich will. Und darum werde ich nicht Mitglied des Mutantenkorps und auch kein fester Mitarbeiter eines Ihrer Dienste. Sie haben meine Mail-Adresse, Sie können sich gerne wieder melden, wenn es einen interessanten Fall gibt, ich werde es mir dann überlegen.“
Mercant hob die Hände. „Das muss ich akzeptieren. Viel Glück, Tatjana Michalowna. Wo… – Entschuldigen Sie bitte, das geht mich nichts an.“
„Danke, Allan. Und es ist Sankt Petersburg. Dieses Mal vielleicht sogar ein Fall, wo ich Sie einschalten muss. Cesar Alexander vom TBI hat mich um Unterstützung gebeten, ein ähnlicher Fall wie hier, nur kein so netter Gegner wie Tuscari. Bis zum nächsten Mal, Allan. Und besorgen Sie bitte besseren Prosecco, bis wir einander wieder sehen.“
*
Pietro Tuscari atmete die nach frischem, salzigen Wasser duftende Luft der Lagune von Venedig in vollen Zügen ein, schon lange hatte er sich nicht derart befreit gefühlt. Die Sonne schien doppelt so hell zu sein, ein warmes Glühen machte sich in ihm breit, das Gewicht eines voll beladenen Raumschiffes schien von seinen Schultern gewichen zu sein. Er hatte dem unauffälligen Mann alles erzählt, was er wusste, der hatte Befehl gegeben, im Papiere und Dokumente auszustellen und ihn gebeten, gebeten, nicht etwa befohlen, Venedig nicht ohne Abmeldung zu verlassen und für etwaige Auskünfte zur Verfügung zu stehen. Konnte das Leben noch schöner werden? Oh, ja! Konnte es, er musste es einfach riskieren. Er griff nach seinem Phone und scrollte bis ‚L‘.
„Ludovika? Hast Du heute, hast Du jetzt Zeit? Ich bitte Dich inständig, mich zu treffen. Bei Antonio in San Stae? Ich bin in zehn Minuten dort.“
Signorina Ludovika fühlte sich warm, weich und rund an, und so sah sie auch aus. Von ihren roten, sanft geschwungenen Lippen, dem vollen Busen, den geschwungenen Hüften und dem runden Po bis zu ihren wohlgeformten Beinen. Sie hatte so gar nichts hartes und kantiges, nichts harsches oder kaltes an sich, nicht im Blick, nicht im Reden. Sie war zärtlich, sanft und einfühlsam. Pietro hatte lange gebraucht, bis er ihre Schönheit erkannte, aber nun erschien sie ihm das schönste Wesen dieser und aller anderer Welten. Tizian hätte von ihrem Haar geschwärmt, Rubens von ihrer Figur. Sie arbeitete in einem kleinen Atelier, das Kopien alter und Originale neuer Meister verkaufte, dazu einige echte Antiquitäten und Drucke. Keinen Touristenramsch, ehrliche Ware. Ludovika verstand sich auf gute Kunst. Sie erwartete ihn bereits bei Antonios, einem Lokal, das abseits der Touristenwege lag und hervorragenden Fisch servierte, vor sich ein beschlagenes Glas mit kaltem Weißwein. Er beugte sich über sie und küsste sie sehr sanft auf die Lippen, sie sah erstaunt auf. Dieser sanfte Kuss kam ihr intimer, inniger, persönlicher vor als aller Sex, den sie bisher geteilt hatten.
„Du siehst anders aus, Pietro. Und – du bist irgendwie verändert.“ Tuscari griff über den Tisch und nahm ihre Hand zwischen die seinen, sah ihr schweigend in die Augen, allmählich begann sie, sich zu sorgen. Tief holte der Mann Luft, ehe er zu sprechen begann.
„Ich bin nicht nur anders, ich bin ein Anderer, als du glaubst. Bitte, lass mich aussprechen, bevor du irgend etwas sagst. Und verzeih mir bitte, dass ich dich bisher belogen habe. Ich – bin nicht Pietro Tuscari, ich wurde Lichtjahre von der Erde entfernt geboren, auf einem Raumschiff der Mehandor. Ich habe statt Rippen knöcherne Platten in der Brust, und ich heiße eigentlich Pituscar. Ich wurde als Agent, als Schläfer von meinem Patriarchen zur Erde geschickt. Das ist jetzt die volle Wahrheit. Ich war heute bei Mister Mercant.“ Er nahm einige Unterlagen aus der Tasche und reichte sie Ludovika über den Tisch. „Seit heute bin ich ein ‚legal Alien’. Kein Versteckspiel mehr, nur noch offene Karten. Und – ich liebe dich, Ludovika. Ehrlich und von Herzen. Du hast gesagt, du willst keine feste Beziehung, aber…“
„Scht!“ Sie legte ihre Hand auf seine Lippen und atmete ebenfalls einige Male tief durch, ihr voluminöser Busen wogte. „Ich habe immer gespürt, dass du irgend etwas versteckst. Ich habe es nie gewagt, dir für eine Beziehung genug zu vertrauen, aber auch nicht den Mut, dich zu fragen, was es ist. Weil ich dich nicht ganz aus meinen Leben lassen wollte. Wollen wir nicht einfach ganz neu anfangen? Hi! Ich bin Ludovika, ich arbeite in einem Kunstatelier. Du siehst sympathisch aus, wer bist du?“
Pietro nahm wieder ihre Rechte zwischen seine Pranken und küsste die Hand. „Ich bin Pituscar von den Mehandor, und du siehst phantastisch aus. Darf ich dich zum Essen und ein Glas Wein einladen?“
„Nur einem?“
Pituscar schüttelte den Kopf. „Signorina, bringen Sie bitte eine gute Flasche.“ Dann legte er einen fünfzig-Euro-Schein auf den Tisch. „Und un Ombra für alle, bis das Geld aufgebraucht ist!“
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System WZR 45/912
An Bord der ATZ I
WHAMM! Maghras Schlag traf sein Ziel, kurz angesetzt, hart und kräftig hatte die junge Frau zugeschlagen.
„Du verdammtes Kreditrisiko!“ WHAMM! Ein weiterer Schlag. „Du geplatzter Wechsel!“ WHAMM! „Du ungedeckter Scheck!“ WHAMM! „Ich bringe Dich beschissenes Stück Schwefelpyrit um!“ brüllte Maghra laut, während ein Schlag dem anderen folgte. „Ich prügle endgültig die Kacke aus deinem weichen Schädel!“ WHAMM-WHAMM-WHAMM! Sie schüttelte einen juckenden Schweißtropfen von der Spitze ihrer kecken Stupsnase mit den Sommersprossen. Dann holte sie wieder aus.
„Langsam, Schwesterchen“, lachte ihr Trainingspartner, der den Sandsack hielt. „Das Kanalisieren deiner Wut gelingt dir schon ganz gut, aber du musst gezielter schlagen.“ Atznol versetzte den Sandsack vor Maghra wieder in Bewegung. „Jetzt, versuche nochmals den Sack zu treffen!“
Maghra ging wieder in Stellung. „Ich reiße dir dein blödes Ding ab und stopfe… Atznol!“ Sie hatte den Sandsack verfehlt und ihrem Partner einen kräftigen Schlag versetzt, der darauf nicht gefasst gewesen war und hinten über umfiel. „Entschuldige, Atznol, es tut mir wirklich leid!“ Sie kniete hin und untersuchte den rotbärtigen Mann.
„Verdammt, Frau!“ Er bewegte die Kinnlade seitwärts hin und her. „Du schlägst, bei Ychylas eiskaltem, eine verdammt harte Linke. Auf die Beine, Maghra, das wird schon wieder. Lass uns weitermachen. Und lass Deine Wut ruhig heraus, Tom Rhodan ist wohl ziemlich anstrengend und nervtötend, oder?“ WHAMM-WHAMM-WHAMM-WHAMM-WHAMM.
„Das beantwortet meine Frage“, dröhnte Atznols Gelächter durch die Sporthalle der ATZ I.
Frisch geduscht und umgezogen betrat Maghra einige Zeit später das Vorzimmer von Atzgols Arbeitsraum, überrascht stellte sie fest, dass nun statt der Mutter des Patriarchen seine derzeitige Frau Ereil hinter dem Schreibtisch saß.
„Eilltreit ist nicht länger in der Lage, diesen Platz einzunehmen, Maghra. Ab heute bin ich zuständig.“ Wie schon die alte Frau, die vor ihr an diesem Tisch gesessen hatte, inspizierte nun Ereil Kleidung und Frisur der Besucherin. Dann nickte sie zufrieden. „Geh nur hinein, Tochter, Du wirst bereits erwartet.“ Die Tür zum ‚Allerheiligsten‘ der ATZ I glitt zur Seite, und Maghra trat ein. Atzgol, Atznar und Atzwan warteten bereits, nur Atznol war zu Maghras Erstaunen nicht anwesend.
„Komm herein, Mädchen. Wie geht es Deinem Schützling. Er wird schwierig, habe ich gehört. Setz Dich doch.“
Maghra zog sich einen Sessel heran und atmete tief durch. „Er beginnt, sich gegen jede Beeinflussung zu wehren, Patriarch“, erklärte sie. „Sogar seine Medikamente betrachtet er mit zunehmendem Argwohn. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, Arkon anzufliegen, vom Neurogenten seine Ernennung zum Imperator zu fordern und mit Hilfe der Maschine zu herrschen. Er meint, als letztem seines Geschlechts in Freiheit und nicht degeneriertem Arkoniden stünden ihm sowohl das Amt als auch die Macht zu.“
Atznar erschrak. „Wenn der Junge losfliegt und das versucht, wird der Neurogent unsere ganze Familie jagen, Vater! Das darfst du nicht…“
Atzgol hob die Hand. „Wenn wir Thomas sagen, er darf nicht und er entflieht, wenn wir versuchen, seine Flucht zu vereiteln und es nicht schaffen, dann wird der Neurogent uns in Ruhe lassen. Allmählich glaube ich, dass ich mein Ziel nie erreiche, mich an Perry Rhodan mit Hilfe seines Sohnes für den Tod meines Vaters zu rächen. Wenn ich bedenke, wieviel Zeit und Geld in die Sache geflossen ist, und was haben wir erreicht? Ein paar Schläfer, von denen wir nicht einmal wissen, ob es sie noch gibt, ob sie nicht schon längst aufgeflogen sind! Vielleicht einige Probleme, die das Liquvital eine Zeitlang bereitet hat. Dazu jetzt diese neuen Probleme mit dem Neurogent. Verdammt, ich musste mir bei dieser Terranerin einen Schwingungsdämpfer kaufen, weil sie das Monopol darauf hat, und ihre Energieanlage stellt zwar unsere alte qualitativ und vom Platzverbrauch in den Schatten, ist aber auch nicht gerade billig. Das Ganze vier Mal, für alle vier unserer Schiffe! Bei allen Raumdämonen der Galaxis, Jahrtausende sind die Technik und unsere Welt mehr oder weniger gleich geblieben, jetzt kommt eine Veränderung schneller als die vorherige. Und wenn wir uns jetzt nicht anpassen, und das ganz schnell, werden wir untergehen. Kinder, wir müssen zuerst einmal wieder ein paar fette Gewinne machen, ehe wir uns einen neuen Racheplan überlegen, wenn diese Rache überhaupt noch Sinn macht. Das Wohlergehen unserer Familien, unseres Clans hat an erster Stelle zu stehen, immer und ewig! Verbiete Rhodans Sohn, die ATZ I zu verlassen, Maghra, und dann sorge dafür, dass er mit einem der alten Beiboote entkommt. Die ATZ I/005 ist ohnehin nur noch den Schrottpreis wert, bring ihm irgendwie nahe, dass er die benutzt. Ich überlasse es dir, wie du es machst. Dann sind wir ihn los, und selbst wenn er bis zum Neurogenten kommt, wir wollten es ja verhindern. Uns trifft keine Schuld am Alleingang eines Größenwahnsinnigen!“
Maghra nickte. „Du kannst dich auf mich verlassen, Vater.“
„Ich weiß, Tochter.“
Atzgol blickte ihr tief in die Augen. „Jetzt noch eine private, eine familiäre Sache. Ich möchte dich davon in Kenntnis setzen, dass sich Atznol als Vater deiner Kinder und als dein Ehemann beworben hat. Da es keine genetische Verwandtschaft zwischen Euch gibt, werde ich meine Zustimmung nicht verweigern, solltest du ihn wollen. Er will dich jedenfalls.“ Atzgol lachte aus vollem Hals, diesmal mit echter Fröhlichkeit. „Er hat gesagt, dass er eine Frau, die ihn umhaut, lieber zur Ehefrau als zur Rivalin möchte.“ Seine Söhne stimmten in das raue, aber herzliche Gelächter ein, und auch Maghra lachte mit.
„Entscheide dich nicht jetzt“, winkte Atzgol ab, als Maghra etwas sagen wollte, „aber überlege es dir, Tochter. Du bist wie mein eigenes Fleisch und Blut, daran wird sich nichts ändern, ob du ja oder nein sagst!“
Maghra nickte. „Es ist für mich auf jeden Fall eine Ehre, dass dein Sohn mich in Erwägung zieht, Vater. Und ich mag Atznol wirklich, ich werde mir die Entscheidung trotzdem nicht leicht machen und gut überlegen. Aber zuerst habe ich noch meinen Auftrag zu erledigen. Wann soll die Flucht stattfinden?“
„So schnell wie möglich. Ich gebe Befehl, dass man ihn übersieht, solange er zum richtigen Hangar unterwegs ist.“
„Aber Thomas Rhodan ist kein Kosmonaut, Vater!“ wandte Atzwan ein.
„Er hat auf Atzgols Welt ein vierzig-Meter-Boot wie die 005 fliegen gelernt und weiß auch, wie man einen Stern aus der vorprogrammierten Liste wählt, Bruder“, berichtete Maghra. „Wir müssen aber zuerst Atzgols Stern aus dem Speicher löschen. Engültig, zwanzig Mal überschreiben, fünfzig Mal oder öfter. Der Neurogent darf die Koordinaten nie erhalten!“
„Ychyla und ihr Arsch!“ dröhnte Atzgol und legte Maghra die Hand auf die Schulter. „Atznol hat recht! Besser, das Mädchen ist für als gegen uns!“
„Warum schießen wir ihn nicht einfach über den Haufen, Vater?“ fragte Atznar. „Oder warum überlassen ihn nicht Maghra?“
„Ich bin keine Mörderin“, lehnte Maghra ab. „Im Kampf bin ich nicht zimperlich, wenn es um einen fetten Gewinn oder Rache geht, bin ich bereit. Aber einfach so? Nur weil er mich nervt? Nein! Außerdem, wenn Thomas Rhodan Arkon erreicht, weckt er vielleicht das Interesse des Neurogenten an der Erde. Dann könnte Rhodans Sohn doch noch das Instrument unserer Rache an der Erde werden.“
„Recht so, Tochter! Du bist eine wahre Tochter der Atz-Familie geworden“, lobte Atzgol und brach in donnerndes Gelächter aus. „Lassen wir den Terraner einfach von der Leine. Entweder erreicht er Arkon und überzeugt den Neurogenten, dann wird der sich weniger um uns Mehandor kümmern. Oder eben nicht, auch egal. Wir überlassen es dem Terraner, sich selbst umbringen, dann melden wir den Verlust des Bootes der Versicherung, wir bekommen zwar nichts mehr dafür, aber es ist sogar noch billiger, als es verschrotten zu lassen. Also, Kinder! Atzwan, du kümmerst dich um die 005, Maghra um Thomas Rhodan und Atznar, du holst mir deinen Onkel Atzpir an das Hyperkom. Ich möchte wissen, wo der Alte wieder herumtrödelt! An die Arbeit, meine Kinder!“
Maghra streichelte Thomas Rhodan und zauste sein Brusthaar. „Es geht nicht, mein Herz“, flüsterte sie in sein Ohr. „Atzgol ist jetzt, wo das Imperium wieder unter einer starken Führung steht, ein treuer Untertan Arkons!“
„Ein Feigling ist er“, wetterte der Terraner.
„Ein treuer Bewohner des Imperiums“, berichtigte sie, während ihre Hand tiefer glitt. Die Gegensprechanlage meldete sich.
„Margha? Ist die 005 bereit?“
„Entschuldige, mein Lieber.“ Sie schwang sich aus dem Bett, warf sich rasch einen Mantel über und lief zur Anlage. „Die 005 ist fertig ausgestattet, Herr. Vorräte und medizinische Ausrüstung sind an Bord!“
„Zur Kenntnis genommen. Ende!“ Der Lautsprecher schwieg wieder.
„Was war das?“ fragte Tom. „Ach, die 005 ist so ein Langstreckenboot für Erkundungen und kleine Lieferungen, wie du es auch schon geflogen hast, erinnerst du dich daran? Und jetzt soll die kleine 005 demnächst einen Botenflug unternehmen, die Techniker haben sie durchgeprüft und ich sollte Vorräte und medizinische Ausrüstung verladen. Irgendwie habe ich vergessen, die Durchführung meines Auftrages zu melden, jetzt hat mein Vorgesetzter nachgefragt. Die 005 soll wohl länger unterwegs sein. Keine Ahnung, wohin, ich bin nur medizinische Hilfskraft, mir sagt man so etwas ja nicht.“ Sie ließ langsam ihren Morgenmantel zu Boden gleiten und setzte sich rittlings auf ihn. „Reden wir doch nicht mehr davon. Lass uns weitermachen, wo wir vorher aufgehört haben.“ Allerdings achtete Maghra anders als sonst darauf, Thomas körperlich und geistig nicht allzu sehr zu erschöpfen.
Thomas Inkahar daZoltral-Rhodan beobachtete das Mädchen in seinem Bett. Die rote Lockenmähne, die vollen Lippen, den vollen Busen, den flachen Bauch, die nicht enden wollenden Beine. Tief im Innersten bedauerte er, sie verlassen zu müssen, doch er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, eine Sendung! Er war der Auserwählte, der das arkonidische Imperium wieder zu alter Größe führen, das Sonnensystem und Terra diesem Imperium einverleiben, seine Mutter befreien und ihren Kerkermeister und Vergewaltiger Rhodan, den er um nichts auf der Welt Vater nennen könnte, bestrafen würde. Dann würde er Maghra von Atzgol fordern und zu seiner Geliebten machen, zu seiner Ehefrau, zur Imperatrice. Mit Gold und Edelsteinen würde er sie überhäufen, und Atzgol konnte seinetwegen zu Ychyla fahren! Als Inkahar daZoltral I. säße er auf dem Kristallthron, selbst der Neurogent würde ihn als den einzig wahren Thronprätendenten anerkennen müssen. Rasch jetzt, sie schlief, atmete ganz ruhig und gleichmäßig, er wusste, sie müsste ihn aufhalten, wenn sie erwachte. Er nahm es ihr nicht übel, er hatte erfahren, dass Atzgol irgendwie ihr Leben gerettet hatte und sie ihm dankbar und treu ergeben war. So, wie sie sicherlich auch ihm dankbar und treu wäre, wenn er sie neben sich auf den Thron setzte. Hoffentlich bestrafte Atzgol sie nicht zu streng, wenn er floh und der Patriarch sie verantwortlich machte, aber er durfte sie nicht wecken und fragen, ob sie ihn nicht gleich begleiten wolle. Das Risiko war zu groß, sein Entkommen zu wichtig. Jetzt rasch, rasch in die Kleidung, in den leichten Raumdress, schnell die Funktionen gecheckt, zum Glück piepste nichts, alle Systeme waren bereit. Er hatte nur diese eine Chance, wenn man ihn erwischte, stünde ab sofort eine Wache vor der Tür, er könnte nie wieder entweichen. Er schlich zur Tür, sah noch einmal voll Bedauern zu Maghra zurück und fühlte seine Hose enger werden, doch dann straffte Thomas seine Gestalt und verließ das Zimmer. Auf leisen Sohlen huschte er durch die Gänge des Raumschiffes, er hörte Schritte aus einem Nebengang, panisch sah er sich nach einem Versteck um.
„Zulpar, hast du die Übertragung vom gestrigen Spiel gesehen?“, fragte eine Stimme, die Schritte entfernten sich wieder, die antwortende Stimme wurde leiser, das Zischen eines Schotts schnitt die Geräusche ganz ab. Glück gehabt, ein weiterer Beweis, dass seine Mission wichtig und richtig war, unter einem guten Stern stand. Thomas Rhodan atmete kurz auf, doch weiter jetzt, schnell weiter! Auf seinem Pad hatte er, während Maghra duschte, den Weg zum Hangar des Schnellbootes 005 erkundet, es war nicht weit. Mit Maghras Impulsschlüssel, den sie nach der Ausrüstung des Bootes noch in der Tasche und den er gesehen hatte, als er aus ihrer Tasche fiel, öffnete er die Schleusenkammer, zwängte sich durch das Luk und initiierte die Startautomatik. Er wusste, dass jetzt eigentlich ein Signal an die Brücke gehen musste, aber er hatte auch gehört, dass die Wartungscrew diesen Alarm oft ausschaltete. Und wer sollte schon auf die Idee kommen, dass jemand ein Beiboot stehlen wollte? Thomas kicherte still vor sich hin. Der zukünftige Imperator kam natürlich auf diese Idee. Der Zweck heiligte die Mittel.
Das Außenschott öffnete sich, die kleine 40 Meter lange Walze wurde von starken Magnetfeldern beschleunigt, und sobald er konnte, gab Thomas Inkahar vollen Schub auf die Triebwerke. Jetzt war er mehr oder weniger in Sicherheit, Atzgol würde doch nicht auf das eigene Boot feuern.
„Geschafft!“ jubelte er laut und zeigte der verschwindenden ATZ I den rechten Mittelfinger, ohne daran zu denken, dass das eine durch und durch terranische Geste war. „Disziplinlose Schlafmützen!“ Er tanzte von einem Bein auf das andere, freute sich unbändig. „Euch geschieht es ganz Recht, wenn ich entkomme!“ Dann scrollte er auf dem Schirm und suchte ein Ziel. Hm, Zalit war problemlos zu erreichen, von dort wäre es ein Katzensprung nach Arkon, mit einem normalen Passagierschiff unter Umständen. Er gab das Ziel ein.
„Die 005 wird 16 Sprünge und etwa 30 Tage benötigen“, meldete die Steuerautomatik, der Mann bestätigte die Eingabe. In einer weiten Kurve beschleunigte das Boot immer mehr, bis die Transitgeschwindigkeit erreicht war. Ein Glockenschlag warnte unmittelbar vor dem Sprung den Passagier, dann war die 005 aus dem System verschwunden. Es hatte hervorragend funktioniert, Thomas Inkahar daZoltral Rhodan fühlte sich frei und war unterwegs nach Arkon!
„Ich gratuliere, Maghra, Du bist ihn los! Wir sind ihn los!“ Atzgol wandte sich mit dem Chefsessel auf der Brücke der ATZ I der im Hintergrund stehenden Frau zu. „Nimm dir ein paar Tage frei, erhol dich ein wenig. In fünf Tagen meldest du dich in meinem Büro, Tochter.“
„Ja, Vater!“ Sie neigte Andeutungsweise den Kopf. „Danke!“ In ihrer Kabine holte Maghra ihre Meditationsmatte hervor, vernebelte in einem Diffusor duftende Essenzen und versetzte sich in einen tranceähnlichen Zustand, um ihr Gleichgewicht und ihre Ruhe wieder zu finden, jene Ruhe und Geduld, die sie so lange mühsam gespielt hatte. Sie fand ihr Gleichgewicht wieder, die Zukunft stand ihr offen. Atznol drängte in ihre Gedanken. Er sah gut aus, war nett und hatte sie immer mit Respekt behandelt, auch als sie noch auf Atzgols Stern gelebt hatte. Er wäre wirklich ein guter Ehemann, zärtlich und ehrlich, auch gutes Genmaterial brächte er mit. Durchaus eine gute Wahl. Sie erhob sich und wählte Atznols Nummer am Kom.
„Ja!“ sagte sie nur, Atzgol schwieg ein wenig.
„Sicher?“ Leise, zurückhaltend.
„Komm!“ forderte sie ihn auf, und wenig später lag sie in seinen Armen.
*
System von Teegardens Stern
An Bord der FĚICUÍ
Während der Ankunft des JADEPHÖNIX im System von Teegardens Stern war der dritte Planet von der FĚICUÍ aus gesehen auf der anderen Seite des Zentralgestirns gewesen. Daher hatte sich die Besatzung zuerst mit den auf der ‚richtigen’ Seite gelegenen Planeten I und II beschäftigt, dann hatte Kapitän Wu befohlen, auch den berechneten Standort des dritten Planeten anzusteuern. Sonderlich eilig hatte er es nicht mehr, der zweimalige Erfolg hatte in der Heimat für große Freude gesorgt, ein dritter Treffer war nicht sehr wahrscheinlich.
Maria Yonogawa beschäftigte sich mit ihren Instrumenten, als der dritte Planet aus dem Ortungsschatten seiner Sonne trat.
„Kapitän Wu, ich messe einige Ringe aus Eis und vereinzelt anderer Materie um Planet Nummer drei!“
„Also wie bei unserem Saturn?“, fragte Wu Baihu nach. „Ein Gasriese? Ein wenig nahe der Sonne!“
„Nein, Kapitän!“ Die schlanke Japanerin übersandte die Daten auf das Pad des Kapitäns. „Erdähnlich, Atmosphäre, 13 Grad durchschnittliche Temperatur, 0,93 % der Erdschwerkraft, 0,98 Atmosphären auf Meereshöhe, und es gibt viel Meer. 78 % der Oberfläche. Ein nicht sehr großer Kontinent, viele kleine Inseln.“ Wu Baihu stand auf, trat einen Schritt vor und fixierte den Planeten auf dem Bildschirm.
„So? Sollten wir so viel Glück haben?“
Nachdem der JADEPHÖNIX in einen Orbit um den Planeten gegangen war, startete die zierliche, fast knabenhaft wirkende Japanerin eine Sonde. Der kleine zylindrische Flugkörper wurde aus einem Tubus mit Hilfe von Magnetfeldern beschleunigt und raste ferngesteuert der Meeresoberfläche entgegen.
„Gutes Gasgemisch aus Stickstoff, Sauerstoff und Edelgasen. Flora auf den Inseln, die wir bis jetzt überflogen haben, auch auf dem Kontinent. Sicher auch Fauna. Jede Menge Leben im Wasser! Gut bewohnbar, Kapitän. Ich glaube, wir haben tatsächlich ein zweites Mal Glück. Eine wunderschöne Welt.“
Drei Schützenpanzer wurden wieder startklar gemacht, die elektrisch stimulierten Pigmente der Außenhüllen wurden auf Sandtarnung eingestellt. Oktopushaut wurde dieser Überzug genannt, mit dem man einige Tarnmuster je nach Einsatzgebiet generieren konnte. Eine Erfindung Chinas aus den frühen 2000ern, als es sich daran machte, Asien zu erobern, später wurde das System verfeinert und konnte schließlich sogar bei Anzügen verwendet werden. Pushneet Bahar bestimmte dieses Mal die drei Züge der zweiten Infanteriekompanie unter Leutnant Mohamed Haddar für die Landung, und nach dem üblichen Ritual, welches in der Überprüfung von Ausrüstung und Bewaffnung bestand, saßen die Soldaten auf, wieder öffnete sich die Kielrampe und die der Schützenpanzer nahmen Kurs auf eine der Inseln.
Die kantigen Formen der Schützenpanzer wollten trotz der Camouflage irgendwie nicht auf diesen idyllischen Strand passen. Einige den irdischen Palmen ähnlich sehende Bäume wuchsen aus einem Fleckchen Erde neben einer Süßwasserquelle, Gräser schenken ein wenig Grün, Insekten summten. Doch die Besatzungen hatten nur Blicke für den Himmel, den sie bestaunten wie ein Wunder, und das nicht zu unrecht. Ein funkelndes, glitzerndes Band zog sich filigran von Osten nach Westen, von Horizont zu Horizont über das Firmament, ein feines Gespinst, auf dem Diamanten und Rubine zu glänzen schienen, hier verschwanden, dort wieder erschienen, je nach Drehung und Reinheit der Eisbrocken in der Umlaufbahn.
„Das Geschmeide einer Houri“, staunte Haddar.
„Ich bin dankbar, dass ich etwas so Schönes sehen darf!“ Auch Pushneet war beeindruckt.
„Was ist geschehen?“ Wus trockene Stimme vermochte den Zauber nicht zu brechen. Nicht ganz.
„Kapitän, wir schlagen ‚Paradies‘ als Namen für den Planeten vor, und ‚Das Geschmeide einer Houri’ für das Ringsystem. Ich übermittle die Bilder.“ Einige Zeit herrschte Stille, dann klang Wus Stimme weich aus den Lautsprechern.
„Einverstanden!“
Am 27 September 2038 trat Lu Fan-Siun, die Delegierte Chinas bei den Vereinten Nationen vor die Vollversammlung und legte Resolution Nr. 375/9/2038 zur Abstimmung vor.
„Der Dritte Planet des Systems Teegardens Stern soll den Namen ‚Paradies‘ tragen, sein Ringsystem ‚Das Geschmeide einer Houri‘ und der Mond ‚Gabriel‘. Der Planet Paradies soll nicht ständig besiedelt werden, sondern der gesamten Menschheit zur Erholung und Freude dienen, ebenso der Mond Gabriel und die Ringe, als ‚Geschmeide einer Houri’ definiert. Wir unterstellen den Planet Paradies, seinen Mond und das Ringsystem den Vereinten Nationen zur Verwaltung und Kontrolle, er soll ein Naturpark mit sanftem Tourismus für alle werden.“ Diese Resolution wurde einstimmig angenommen und der Asiatischen Föderation der tiefempfundene Dank der Menschheit, vertreten durch die VN, mit ‚standing Ovations‘ ausgesprochen.
*
Solares System, Sudan
Der ‚Tubeway‘ vom Mittelmeer nach Südafrika, den die GCC in Rekordzeit gebaut hatte, durchlief auch den Sudan, östlich an Karthum, der Hauptstadt, vorbei. Die Entfernung war nicht wirklich gering, ein Zubringer aber trotzdem rasch gebaut. Der sunnitische Islam war die Hauptreligion im Sudan, zwar nicht de jure Staatsreligion, aber de facto kam er dem noch sehr nahe. Trotzdem hatten sich Frauen einige Rechte erkämpft, besonders die Beschneidung der weiblichen Genitalien wurde im Sudan nicht mehr praktiziert und stand unter schwerer Strafe. Ein Verbrechen, das wie Mord nicht verjährte, eine Jahrhunderte alte Barbarei wurde endlich beendet. Der Islam wurde, wie in den meisten Ländern der Erde, auch im Sudan zu einer spirituellen, friedlichen Religion, die in den Belangen des Staates immer mehr Einfluss verlieren sollte. Trotzdem war es immer noch so, dass der gesellschaftliche Status eines Moslems oder eines Christen höher eingestuft wurde, als etwa der eines Anhängers einer Stammesreligion.
Diese Entwicklung, die bereits in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts begonnen hatte, wurde durch den Bau des Tubeway stark beschleunigt, doch immer noch fanden der radikale Mahdismus und die frauenverachtenden Abarten des christlichen, moslemischen und mosaischen Glaubens ihre Anhänger, die allesamt durch große Gewaltbereitschaft auffielen. Die Behörden des Sudan versuchten zwar ihr Bestes, der Übergriffe dieser Gesellschaften Herr zu werden, doch die Horden verschwanden meistens spurlos irgendwo in der Wüste, noch ehe das Verbrechen gemeldet wurde. Als die ersten Übergriffe auch auf dem vier Kilometer breiten Gelände von Galacto City stattfanden, stationierte Perry Rhodan einige Züge Ranger entlang der Röhrenstraße. Schwere Harley – Davidson Schwebechopper mit Windschild, in Flugrichtung montierten, starken Strahlwaffen und Schutzschirmen ausgestattet. Die Besatzungen trugen gute, klimatisierte Anzüge mit HUD-Helmen, dazu noch Individualschirme und Narkosewaffen. Energetische Stunner, die das Bewusstsein für zwei bis drei Stunden auszulöschen vermochten, schmerzfrei, ohne Nachwirkungen, ideal für Geiselbefreiungen, man konnte den Strahl außerdem recht breit streuen. Und natürlich Aufklärungsdrohnen, die diese Ranger zu ihrem Ziel leiten sollten.
Der nordwestliche Teil des Sudan bestand aus Wüste. Nicht einer öden Steinlandschaft, in der man manchmal Schatten und Kühle finden konnte, ab und zu sogar ein wenig Wasser, sondern der trockenen, heißen und lebensfeindlichen Sandwüste. Erst dort, wo der Sudan an Libyen und Ägypten grenzte, begann der Sand Felsen zu weichen, es gab dort auf Libyschen Staatsgebiet einige seltsame, beinahe exakt kreisrunde Steinstrukturen, vielleicht Überreste eines Meteorschauers, vielleicht auch entstanden während des Methankrieges. Durch die sudanesische Sahara bewegten sich einige Sandfahnen, deren Ziel genau diese Gebilde zu sein schienen. Tief vermummte und verschleierte Männer fuhren mit zwei Pickup-Gleitern von Toyota, auf deren Ladeflächen je ein schweres zweiläufiges Maschinengewehr mit einen Kaliber von 15,8 mm auf einem Stativ befestigt war und drei großen Schwebetrucks durch die Wüste, auf der Ladefläche der großen Trucks unter der Plane gefesselte Frauen und Kinder, von anderen mit Sturmgewehren Marke Kalaschnikow bewaffneten Männern bewacht. Allen hatte man Tücher über die Köpfe gelegt, die Männer waren nicht zimperlich, wenn sie ihre Ansichten durchsetzen wollten. Sie sprachen einen rauen Wüstendialekt, redeten von einem neuen Mahdi, der erstanden war und die reine Wahrheit über die Erde und ins Weltall bringen würde. So Gott wollte, und er versprach, dass er es wollte. ER, der Gott aller abrahamitischen Religionen, die ihre Differenzen beilegen sollten, um den historischen Willen Gottes zu erfüllen. Weg mit diesem modernen Gefasel, dass Frauen gleiche Rechte zuständen, das war reiner, gotteslästerlicher Unsinn!
„Holt Euch die Weiber der Ungläubigen und erzieht sie, predigte er. „Sie werden es Euch danken, wenn ihr ihnen mit harter Hand ihren Platz im Leben zeigt! Das war immer Gottes Gebot, das ist Gottes Gebot, das wird ewig Gottes Gebot sein!“ Die Männer folgten dem Prediger, und jetzt brachten sie ihm die ersten Frauen, damit er diese mit ihnen verheiraten und sie so zu ihrem Eigentum machen sollte. Keiner der Männer, die ihrem Prediger blind vertrauten, bemerkte die kleine, blinkende Scheibe, die hoch am Himmel über ihnen schwebte oder die fünf Fahnen aufgewirbelten Sandes weit hinter ihrem Konvoi, die sich eben trennten.
Master Sergeant Nasrim bint Ali hatte das Kartenbild der Sonde auf ihr HUD gelegt.
„Ausschwärmen! Zange!“ Kurz und bündig kam der Befehl an den Halbzug, der sie begleitete. Sie kannten sich, wie waren ein eingespieltes Team. Korporal Bill Cooper. Korporal Hadschi Omar Muhamad ben Hadschi Halef. Gefreite Lydia van Gaard. Private Noel Marceaux. Zwei Frauen, drei Männer. Ein Moslem, zwei Christen, zwei ohne Bekenntnis. Aus der ganzen Welt kommend vereinte sie ein Wunsch, ein Wille. ‚Wir bringen die Frauen und Kinder zurück!‘ Während Nasrim gerade weiterfuhr, scherten die Flügelleute nach rechts und links aus und beschleunigten ihren Flug. Sie alle sahen jetzt ihre eigene, die Position ihrer Kameraden und jene der Schwebetrucks auf ihren Head-up-Displays.
Etwas weiter zurück folgte wachsam Sergeant Haakon Holm mit dem zweiten Halbzug, der den San-G eskortierte, einen großen Schützenpanzer ohne Bewaffnung, dafür mit dem neu eingeführten internationalen Symbol für medizinische Fahrzeuge auf den Flanken – ein goldener Äskulapstab auf blauem Kreis. Eine Sonde verschaffte der Besatzung des San-G eine gute Sicht auf die Umgebung, kein Grund für Haakon, in seiner Aufmerksamkeit nach zu lassen. In seiner Heimat hatte er zwar keine Sandwüste gekannt, aber im Norden, wenn der Winter das Land in seinem eisigen Griff hatte, war es ähnlich. Kalt, heiß, Schnee, Sand, egal. Die Art, einen Hinterhalt zu legen, wäre die gleiche.
Niemand konnte Nasrim vorwerfen, gegenüber Gläubigen, egal was sie glaubten, intolerant zu sein. Geboren und aufgewachsen in einer weltoffenen islamischen Familie in Port Said in Ägypten, hatte sie als junge Erwachsene ihr Bekenntnis aufgegeben. Sie glaubte an Gott, nicht aber an irgend jemand, der vorgab, genau wissen, was dieser Gott wollte. Sie wusste es zwar auch nicht besser, aber Hilfsbereitschaft, Güte und Toleranz anderen Wesen gegenüber konnten schon einmal nicht falsch sein. Achtung, Respekt und Zuneigung gehörten dann einfach als Ergänzung dazu. Nasrim konnte sich nicht vorstellen, dass Gott etwas davon hatte, dass seine Gläubigen sich einige Male am Tag in eine bestimmte Richtung verneigten. Sauberkeit und wenig Alkohol machte Sinn, früher in Zeiten ohne Kühlschrank auch der Verzicht auf Schweinefleisch. Aber Gebote müssen den Menschen zu Gute kommen, nicht umgekehrt. Wenn sie nicht mehr sinnvoll waren, sollte man sie überdenken dürfen. Je länger Nasrim mit ihren Lehrern diskutierte, desto weiter entfernte sie sich von der Lehre der Bücher. Sie verstand jedoch durchaus, dass Menschen Trost im Gebet suchten, entweder, wie sie selbst im Stillen für sich allein oder mit vielen anderen in Gemeinschaft. Sobald jedoch Gewalt ins Spiel gebracht wurde und Religion als Vorwand für Zwänge und Unterdrückung herhalten musste, endete ihr Verständnis.
Auch Hadschi Omar Muhamad, aus Karthum stammend und ein gläubiger Moslem, welcher sogar schon in Mekka gewesen war, hatte bei Bekanntwerden der Meldung die Zähne zusammen gebissen, um nicht laut zu fluchen. In seinen Augen waren Männer wie diese Entführer am schlechten Ruf der Moslems weltweit schuld. Gewaltbereite Entführer, Mörder und Attentäter. Weltoffene Muslime wie er hatten es da sehr schwer, sich gegen Vorurteile zu wehren, zum Glück hatte er seine Kameraden, die in genau kannten, und auch seinen Glauben. Ein Blick auf das HUD, er musste Tempo zurück nehmen, um seine Position in der Umkreisung zu halten. Genau neben ihm, auf der anderen Seite der Düne, waren die Schwebetrucks. Ein Piep erreichte seinen Funkempfänger, er bestätigte.
Erneut beschleunigte er, setzte sich etwas vor den Konvoi und landete knapp unterhalb eines Dünenkammes. Gewandt stieg er ab und nahm ein dickes Rohr von der Halterung am Heck, ergriff den schweren Narkosestrahler und stieg die letzten Schritte zum Kamm der Düne hinauf. Dort legte er das Gewehr ab und hob das Rohr auf die Schulter. Kurz fragte er sich, wo die Entführer wohl die schweren MAN und VOLO Lastschweber her hatten, doch im Grunde war es unwichtig. Er richtete das Rohr aus und betätigte den Abzug. Ein leises, nur für ihn hörbares WHUMPF ertönte, als der EMP ausgelöst wurde, sein Ziel traf und die Schaltkreise des ersten MAN Fahrzeuges verschmorte. Sofort fielen das Schwebefeld und der Antrieb aus, hart setzte das Gefährt auf dem sandigen Untergrund auf und wurde in einer Wolke aus Staub und feinem Sand durch die schiere Masse des Aufbaues noch eine Strecke weitergeschoben. Gerade, dass die folgenden Schwebzeuge eine Kollision verhindern konnten, weit kontrollierter kamen sie links und rechts des Führungsfahrzeuges zu stehen, die Fahrer sprangen heraus und hasteten zum ersten Truck, während die Pickups vorne und hinten hielten, und deren Besatzungen die Dünenkämme absuchten, auf denen eben die Ranger sichtbar wurden.
Gefreite Lydia van Gaard war jung und voller Ideale. Aufgewachsen in Amsterdam war sie ein typisches Kind der beginnenden kosmischen Zeitalters und des Zusammen wachsens der Völker. Sie war überzeugt gewesen, dass man Menschen nur eine Alternative zeigen, nur die Möglichkeit geben musste, dann würden schon alle nett und gut werden. Das Leben überzeugte sie vom Gegenteil, es würde immer Ausnahmen geben, Menschen, die in brutaler Gewalt oder subtiler Macht ihre Befriedigung suchten. Die hochgewachsene Walküre hatte sich bei der Armee von Galacto City beworben, um ihren Beitrag zu leisten, dass die Handlungen dieser Ausnahmen korrigiert wurden, sie wollte mit ihrem Dienst die Erde zu einem besseren Ort machen. ‚Schütze die Schwachen‘ war ihr ganz persönlicher Leitsatz geworden, jetzt sah sie von der Kuppe der Düne, wie unten ein zweiläufiges MG auf Omar gerichtet wurde. Omar war zwar nicht schwach, aber er legte eben das EMP-Rohr auf einen zweiten Truck an, also wartete sie nicht erst auf einen Befehl, sondern richtete ihr Narkosegewehr auf den Pickup und zog den Abzug. Ein leises Fauchen erklang und der Schütze in seiner weiten Kleidung und einem seltsam gebundenen Turban aus grünen und weißen Stoffbahnen, welche auch sein Gesicht bedeckten, brach zusammen.
Für Korporal Bill Cooper war Gewalt nichts Neues. Als homosexueller Afroamerikaner in einem kleinen Ort in Georgia, USA geboren, hatte er doppelte Anfeindung erlebt. Auch im 21. Jahrhundert waren diese zwei Umstände in manchen Gegenden immer noch aktuell, vor allem die sexuelle Ausrichtung eines Menschen, welche so mancher immer noch als ‚gegen Gottes Gebot‘ bezeichnete. Mit 18 hatte Bill sein Elternhaus verlassen und sich mit wenigen Dollars in der Tasche bis Atlanta durchgekämpft, immer mit Gelegenheitsjobs. Er wollte sich zu den US-Marines melden, doch der Rekrutierungssergeant sah während eines Gesprächs in ihm und seinen Einstellungen einen perfekten Kandidaten für einen Posten in den Ranger – Streitkräften von Galacto City. Er nahm aus einem speziellen, von der Company bereitgestellten Fonds ein Ticket und ein Formular, vier Stunden später saß Billy C. in einem Shuttle nach Galacto City. Schon am nächsten Tag saß er nervös vor einer Oberst Cavannaugh, einer großen, blonden Frau mit breiten Schultern und stechendem Blick, in deren Büro und stand ihr Rede und Antwort. Zu Mittag bezog er ein Zimmer in der Kaserne der GC-Infanterie und bekam Uniform und Ausrüstung. Dann hatte er eine Woche Urlaub, bis die Ausbildungskompanie komplett war, danach wurden ihm und seinen Kameraden nichts geschenkt. Die Ausbildung war hart, sehr hart. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig wurden die dreißig Rekruten an ihre Grenzen getrieben, einer nach dem anderen verzichtete auf einen weiteren Verbleib in der Truppe. Bill biss sich durch, büffelte bis tief in die Nacht und ignorierte die Schmerzen in den Muskeln. Mit fünf anderen wurde er schließlich als Private in die Bodentruppe der GCC übernommen und den Tubeway-Rangern zugeteilt, wo er sich bewährte und bald zum Korporal befördert wurde. Bill Cooper hasste religiöse Fanatiker nicht, aber er gestattete sich ein gewisses Maß an Verachtung ihnen gegenüber. Er selbst bekannte sich zwar offen zum Katholizismus, noch mehr allerdings zur Religionsfreiheit und zu den Menschenrechten. Die Männer dort unten hatten diese Rechte verletzt und noch andere Verbrechen begangen, der Grund war Billy völlig egal. Letztendlich entschied man sich immer selbst für eine Seite. Er selbst hätte sich auch einer Straßengang in Macon, Georgia, anschließen können, das wäre näher als Atlanta an seinem Heimatort gelegen. Er hätte Drogen nehmen oder ein Verbrechen begehen können – oder beides. Er hatte sich anders entschieden, für die gesetzliche Seite. Dort unten gab es Männer, die sich entschieden hatten, Frauen und Kinder zu entführen und gegen seine Kameraden und ihn zu kämpfen. Ohne Hast, eiskalt und ruhig zog er den Abzug seines schweren Narkosestrahlers durch und erledigte den Schützen auf den zweiten Pickup.
Private Noel Marceaux war aus Bayonne im Departement Aquitanien. Er war bei den Tubeway-Ranger gelandet, weil er zwar zuerst in das Weltall wollte, sich auch zum Rauminfanteristen ausbilden ließ, aber danach in Galacto City seine Frau Mychelle kennen lernte. Die wollte ihn nur nehmen, wenn er bei ihr auf der Erde blieb, also suchte er um Versetzung an und wurde mit ihr in die Kuppel Station Sudan Nord 23, Zubringer Karthum versetzt. Nach Fort Gordon Pascha, in Nasrim bint Alis Zug. Er lebte sich schnell ein, das Leben im modernen Wüstenfort hatte durchaus seine Vorzüge. Er konnte mit der inzwischen schwangeren Mychelle zusammen leben und freute sich bereits auf seine Tochter, als der Überfall auf Station Sudan Nord 19 die Idylle durchbrach. Die Technikerin der Rangerzentrale hatte sofort, als die Sensoren der Kitchener Station Alarm gaben, eine Sonde gestartet und den bewaffneten Konvoi bald gefunden, die Ranger hatten die Schwebebikes bestiegen und waren den Lotsensignalen gefolgt. Noel war wütend. Wütend, weil sich jemand erdreistet hatte, die Sicherheit der Bewohner der Tubeway-Oasen zu gefährden. Wütend, weil jemand glaubte, Zwang und Gewalt wären im Sinne Gottes! Aber er wartete, den Narkosestrahler auf maximale Fächerung gestellt, die Ladefläche des linken Trucks im Visier, auf Nasrims Befehle.
Als die Schützen auf den Pickups und die Fahrer ausgeschaltet waren, stieg Nasrim langsam die Düne hinab zu den Trucks. Zwischen denen kamen nun die Besatzungen hervor und eröffneten das Feuer aus ihren Gewehren auf die Master Sergeant. Umsonst, der Individualschirm wehrte sowohl die Projektile als auch die wenigen Energiestrahlen dazwischen souverän ab, wirklich starke Militärstrahler waren nicht darunter. An die war noch immer nicht leicht heranzukommen, auch wenn die Armeen der Welt allmählich umstellten. So näherte sich die Frau unbeeindruckt mit wiegenden Hüften, um im weichen Wüstensand das Gleichgewicht zu halten, den Lastern, bis die Plane aufflog und eine vermummte Gestalt eine gefesselte Frau mit einer Pistole unter dem Kinn als Schutzschirm benutzte und die Ranger barsch zum Verschwinden aufforderte, sonst, im Namen des Mahdi und Gottes, gäbe es ein Blutbad auf den Lastern. Er und seine Freunden wollten mit Freude sterben und sofort in das Paradies kommen.
„Merde“, fluchte Noel, als er das hörte. „Schon wieder solche Idioten. Sterben die nie aus?“
Nasrim betrachtete den Mann. „Wir haben die richtigen feigen Ärsche!“ sagte sie ruhig. Die Augen, die als einziges vom Gesicht des Entführers sichtbar waren, verengten sich.
„Vorsicht, freches Weib, sonst…“
„Feuer!“, fiel Nasrim ihm ins Wort. Vier auf maximale Streuung gestellte Betäubungsstrahler gaben ein leises, aber Sekunden anhaltendes Fauchen von sich, dann bewegte sich bei den Trucks nichts mehr. Trotzdem ließ Nasrim ihren Schirm vorerst eingeschaltet. Erst, nachdem sie alle Männer außer- und innerhalb der Trucks entwaffnet und mit Handfesseln gesichert hatte, rief sie ihr Platoon zusammen. Mittlerweile waren auch die Sani eingetroffen, welche die Frauen und Kinder befreiten und behandelten, während die Entführer ihrer Kopfbedeckungen verlustig gingen und auf einem der Trucks mit zusätzlichen Fußfesseln versehen wurden. Natürlich wurden die Männer auch erkennungsdienstlich erfasst, Fotografien, Fingerabdrücke und ähnliches wurden sofort der Zentrale übermittelt, DNA-Proben gesammelt. Normale Polizeiroutine, über welcher die Gefangenen wieder erwachten.
„Warum sind wir gefesselt und wieso sind unsere Häupter entblößt?“, verlangte einer zu wissen.
Noel hob ungerührt die Kamera und fotografierte weiter. „Damit man überall die Gesichter von feigen Lumpen bewundern kann.“
„Lumpen, die zwar wehrlose Frauen überfallen können, aber es nicht wagen, dazu zu stehen und ihr Gesicht verstecken“, ergänzte Omar Muhamad. „Ich verstehe es ja sogar so halbwegs. Versager wie Euch würde doch keine normale Frau freiwillig heiraten.“
„Auch kein Mann“, warf Billy C bestimmt ein. „Wahrscheinlich ekeln sie sich sogar voneinander. Bei diesem Gestank, kein Wunder, würde ich sagen!“
„Wir sind auf einer heiligen Mission“, brüllte der Anführer. „Das Weib sei dem Manne untertan, es steht so nicht nur im Koran, sondern auch in der Thora und der Bibel! Wir …“
„Für uns zählen ausschließlich die Verfassung und das Strafgesetzbuch von Galacto City.“ Nasrim hatte ihren Helm abgenommen und kletterte in den Wagen. „Oh, bei Iblis, diese Brüder stinken tatsächlich schlimmer als eine Hammelherde! Habt ihr denn in der Koranschule nicht gelernt, dass sich der wahre Gläubige sauber halten und regelmäßig waschen soll? Auch zwischen den Beinen?“
„Schweig, ein Weib hat uns nicht zu belehren“, tobte der Anführer, Speichelbläschen versprühend. „Wir verlangen sofort unsere Freiheit! Ihr habt überhaupt kein Recht, uns festzuhalten!“
„Ihr habt unsere Frauen entführt und einige Männer schwer verletzt. Manche werden vielleicht sogar noch an ihren Verletzungen sterben. Das ist nicht nur nach unserem Gesetz durchaus eine Straftat“, brachte Noel Marceaux wütend vor, der Mann grinste unverschämt.
„Wir sind hier im Sudan, da habt ihr von Galacto City keine Rechte, irgend etwas zu tun!“
„Ach!“ Haakon Holm war ebenfalls dazu gekommen. „Da versteht ja ganz plötzlich jemand etwas vom Gesetz? Seltsam! Chefin, der Schützenpanzer mit einem Zug Infanterie von Sudan Nord 5 ist eingetroffen.“
„Na dann, fertig machen zum Abrücken.“ Und an die Gefangenen gewandt sagte Nasrim noch. „Keine Sorge, wir haben nicht nur, aber auch mit dem Sudan ein Abkommen. Wir dürfen auf ihrem Staatsgebiet vorläufige Festnahmen durchführen und sie auf unserem. Ihr werdet jetzt vor Ibrahim Pascha, den obersten Richter in Karthum gebracht, der wird Euch an uns ausliefern, ganz so, wie es das Gesetz des Sudan und der Vertrag mit Galacto City vorsieht. Oder er spricht gleich ein Urteil, uns kann es egal sein, wir sind Polizisten, keine Richter. Hauptsache, ihr überfallt nie wieder eine unsere Stationen.“
„Sarge!“ Noel war ein Glitzern aufgefallen, er hatte ein Kettchen mit einem Kreuzanhänger am Hals eines der Gefangenen gefunden.
„Oh!“ Nasrim holte tief Luft. „Haakon, das ist einer von der anderen Fraktion. Kreuzzügler und Mahdisten friedlich vereint im Hass gegen den Fortschritt. Wenn das keine Hoffnung erwecken soll!“
Hoch oben in der Luft flog eine Drohne langsam weiter, von Fort Gordon Pascha, der Station Sudan Nord 23 gesteuert, von wo aus Private Fatima al Fiturrie aufmerksam den Boden studierte. Irgendwo mussten die Banditen ja eine Basis haben. Fatima musste sich keine Sorgen wegen der internationalen Grenzen machen, diese Polizeiaktion gegen die Aufständischen und Mahdisten war mit Ägypten und Libyen bereits abgesprochen. Es wäre zwar taktisch vernünftiger gewesen, die Trucks weiterfahren zu lassen, aber natürlich hatte die Befreiung der Frauen möglich schnell erfolgen sollen, auch wenn es das Auffinden der Basis erschwerte. Dennoch, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Basis gefunden und ausgehoben wurde, etwas mehr Arbeit musste eben in Kauf genommen werden.
Leider war anzunehmen, dass es immer wieder fehlgeleitete Menschen geben, dass das Verbrechen nicht aussterben würden, aber auch immer solche Menschen, die Übeltätern entschlossen entgegentraten. So wie der Zug von Master Sergeant Nasrim bint Ali von den Tubeway-Rangern aus dem Fort Gordon Pascha.
November 2084
Reggys System
An Bord der HEPHAISTOS.
Der schnelle Kreuzer QUICKSILVER der General Cosmic Company war aus der Singualaritäts-Linse gebrochen und verzögerte mit vollen Werten, die beinahe an die Werte der alten Abfangjäger heran reichten. Wie jeder leichte Kreuzer war sie hundert Meter im Durchmesser, der Konstrukteur hatte bei diesem Muster allerdings großen Wert auf Triebwerksleistung, Beschleunigung und Transitationreichweite gelegt, aber dafür an offensiver Bewaffnung gespart. Ein völlig neu überarbeitetes Baumuster war entstanden, welches künftig in erster Linie für eilige Kurierflüge und Aufklärungsmissionen eingesetzt werden sollte. Bei diesem Flug war die vielleicht wertvollste Fracht an Bord versammelt, die der Kreuzer je transportieren würde. Der Vorstandsvorsitzenden der GCC Perry Rhodan, seine Frau Thora dalZoltral, Reginald Bull, UN-Admiral Atlan daGonozal, Professor Doktor Doktor Kono ‚Yoyo’ Killikioauewa, Professor ‚Tripledoc’ David Spencer, Professor Robert ‚Bob’ Niven und Doktor Frederik ‚Freddy’ Montroise vom Area 51 auf Luna. Und der Prototyp einer Waffe, die nur noch ein kleines Problem aufwies. Sie zeigte keine Wirkung außer einer optischen.
Die GCC QUICKSILVER näherte sich dem Landedeck der HEPHAISTOS ohne große Umwege von einem Peilstrahl geleitet, das Schott öffnete sich bereits, während der Kreuzer noch in der Verzögerungsphase war. Die Kugel mit dem vergleichsweise breiten Triebwerkswulst sank nach dem Passieren der Öffnung langsam ihrer Parkposition entgegen, die zwölf Teleskopbeine schoben sich aus dem Rumpf und der Kreuzer setzte, von der Neuronik der HEPHAISTOS ferngesteuert, sanft auf. Hoch über der QUICKSILVER schloss sich die Irisblende wieder, danach erlosch nach einem Druckausgleich die aus Prallschirmen gebildete Landeröhre. Die Bodenschleuse des Kreuzers öffnete sich, die Rampe wurde ausgefahren, und die Passagiere konnten das Schiff ohne Schutzanzüge verlassen. Die Wissenschaftlerin Kono Killikioauewa zeigte wie immer mehr Tattoos als Stoff, Spencer trug einen labbrigen Jogginganzug, auch wie immer, Niven und Montroise hatten sich für einfache Hosen und Poloshirts entschieden, wie auch Atlan, der auf dieser Fahrt nur Passagier war und daher Zivil trug, während Thora, Rhodan und Bull die sandfarbenen Uniformen der General Cosmic Company trugen. Am Fuß der Rampe wurden sie bereits von Hera, der holografischen Stewardess in ihrer rauchblauen Uniform, erwartet.
„Donna Thora, Mister Rhodan, Mister Bull, Admiral Atlan, ich freue mich, Sie wiederzusehen. Professor Killikioauewa, Professor Spencer, Professor Niven, Doktor Montroise, ich darf Sie an Bord willkommen heißen. Hier bitte, wir haben einen Wagen bereit gestellt!“
Sie schritt voran, und Montroise flüsterte Spencer zu: „Ich habe noch nie einen derart perfekten Gluteus maximus in derart anmutigen Bewegungen gesehen.“
„Vielen Dank, Doktor“, lächelte Hera, die das Flüstern offenbar gehört hatte, an Montroise gewandt. „Ich werde meinen Programmierer informieren, dass Ihnen seine Arbeit gefällt!“
„Hera ist ein Hologramm der HEPHAISTOS, das immer zur Verfügung steht, wenn man etwas braucht! Sie ist sozusagen die gute Seele des Hauses, ohne sie wäre das Leben hier sehr viel schwieriger“, warf Bully ein, Montroise zog die Brauen hoch.
„Tatsächlich? Darf ich einmal?“ Er hob die Hand.
„Aber selbstverständlich, Doktor Montroise! Danke für ihre netten Worte, Mister Bull.“ Hera blieb stehen, und Frederik streckte die Hand nach ihr aus, bewegte sie in ihrem Abbild hin und her.
„Absolut beeindruckend!“ Er war überaus fasziniert und nun voll auf Hera konzentriert. „Kein Schatten, keine Verzerrung, hier müssen viele und sehr gute Projektoren am Werk sein. Und der ganze Aufwand, nur damit man glaubt, eine hübsche Stewardess begleitet uns?“
„Der Aufwand ist, gemessen am Effekt der positiven Erfahrung der Interaktion Mensch-Maschine, relativ gering, Doktor Montroise. Sie können mein Hologramm auch jederzeit Ihren persönlichen Wünschen anpassen. Dieses Bild hier ist der Standard, dessen Anblick den meisten Humanoiden angenehm erscheint.“
„Phänomenal! Dann sage doch…“
„Später, Freddy!“ Yoyo unterbrach den Neugierigen. „Wir sind noch länger hier. Wo bringst Du uns denn jetzt hin, Hera?“ Mittlerweile hatte die Gruppe den Lift erreicht.
„Bitte hier. Miss Starlight hat angeordnet, dass ich Sie sofort zu Captain Smokebeards Pub führe. Dort werden Sie im Extrasaal bereits erwartet.“
„Tana Starlights liebster Konferenzraum“, bemerkte Thora trocken.
„Es gibt Schlimmeres“, gab Rhodan zurück. „Und der Ausblick ist gewaltig, auch wenn er falsch ist!“
„Ich hoffe, er hat wieder die Cliffs of Moher eingestellt“, meinte Bully, und an Yoyo gewandt „Die Projektion ist überwältigend. Er hat sogar passende Aromen und Töne, die das Erlebnis absolut natürlich erscheinen lassen.“
Tatsächlich schien der Tisch wieder auf einer Wiese in Irland zu stehen, dieses Mal in der Ruine von Clonmacnoise am Shannon River. Smokebeard ließ es sich wie immer nicht nehmen, seine Gäste persönlich zu bedienen, wenn im ‚Hinterzimmer‘ seines Pubs Konferenzen abgehalten wurden. Besonders, wenn illustre Besucher anwesend waren. Lange Zeit war er selbst Mitglied dieser Runden gewesen, als er noch die mikrobiologische Abteilung leitete und ehe er sich seinen Traum vom irisch-schottischen Pub erfüllte. Tana konnte ihm selbstverständlich immer noch vertrauen, und sie tat es auch.
„Willkommen“, breitete Tana Starlight ihre Arme aus, als wolle sie die ganze Gruppe umarmen. Sie trug enge, schwarze Hosen, dazu rote Sandalen mit Bleistiftabsätzen und eine weiße Rüschenbluse. Dezent, für ihre Verhältnisse, ebenso das Make-up und die Frisur. „Bitte, nehmen Sie Platz und bestellen Sie, was immer Sie wollen. Ich möchte nur kurz vorstellen. Crest daZoltral wird wohl jedem ein Begriff sein, Leslie Myers, unsere Intuitionistin. Ihr und meinem Sohn Reginald dort drüben verdanken wir den Reintegrator. Es war übrigens seine Idee, man mag mir verzeihen, aber mein Stolz auf meinen Junior ist einfach grenzenlos!“ Sie lächelte ihren Sohn an, der leicht die Augen verdrehte. „Die Doktores Angel Kleinschmid und Klara Berger, ihnen und ihrem Team verdanken wir unsere neue Energieversorgung. Doktor Christian Hawlacek, ein toller Universalgelehrter und mein geliebter Partner.“ Dieses Mal strahlte sie deutlich den Vorgestellten an. „Und Doktor Doktor Asante N’Diaye, unser Spezialist für Hochenergiefelder.“
„Danke!“ Perry Rhodan wies auf seine Delegation. „Meine Frau Thora, Professor Doktor Doktor Kono Killikioauewa, Bully und Atlan dürften bekannt sein, Professor David Spencer – ja, der Mann mit den drei Doktortiteln, Frau Doktor Kleinschmid. Dann noch Doktor Frederik Montroise, Professor Robert Niven.“
David trat vor und winkte. „Hi! Ich schlage vor, wir vergessen das ganze Gelaber mit Doktor hier oder Professor dort. Ich bin Spence, Okay!“
Angel stand auf. „Einverstanden. Ich bin Angel!“
„Dann darf ich wohl Perry sagen?“ lächelte Tana. „Oder?“ Sie hob eine Braue. „Und ganz einfach Thora?“
„Das ist mein Name, liebes Kind. Von Tana Starlight lassen wir uns doch gerne beim Vornamen nennen“, lächelte Thora zurück, niemand außer Tana fiel die besondere Betonung des Namens auf, sie räusperte sich.
„Nun, noch einmal, Willkommen auf der HEPHAISTOS! Wir haben drei Dinge zu besprechen. Als Erstes sind das wohl Crests Erkenntnisse bezüglich der Neuroniken im allgemeinen und der ARK’AMBO im speziellen. Bitte, Crest!“
Der große Arkonide nickte und aktivierte sein Pad, vor jedem der Anwesenden leuchtete ein kleines Lämpchen auf.
„Ehe ich beginne, möchte ich etwas ausholen und ein paar Begriffe auffrischen. Wir wissen natürlich alle, was der Unterschied zwischen Elek-, Nano- und Pikotronik ist, ebenso simpel wie einfach erklärt – mehr Rechenleistung in weniger Zeit auf kleinerem Platz. Damit kann man pseudointelligente Reaktionen programmieren, wie es Miss Tana mit ihren Abendkleidern macht. Der Stoff reagiert auf Interesse oder Ablehnung der Trägerin gegenüber ihrem Gesprächspartner und verändert das Gewand auf subtile Weise. Der Busen wird durch winzigste Pölsterchen, die sich füllen, eine Spur gehoben, wenn die Dame an ihrem Gegenüber interessiert ist, es entstehen durch winzige Farbveränderungen Schatten, die für den Mann – oder die Frau – unterschwellig anziehend und stimulierend wirken.“ Kono Killikioauewa musterte stirnrunzelnd Tanas Bluse.
„Oh nein, ich trage nichts aus dieser Kollektion!“ lachte Tana. „Aber ich kann Ihnen ein Kleid zukommen lassen, wenn Sie experimentieren wollen. Obwohl – eigentlich sollten Sie es doch gar nicht nötig haben. Sie bräuchten eher etwas, um zudringliche Verehrer abzuschrecken.“
„Ein Vorteil des Lebens auf 51 – es gibt keine zudringlichen Verehrer.“ Yoyo seufzte. „Der Nachteil? Man muss schon sehr direkt werden, wenn man von einem der Männer etwas will. Freddy reduziert diese Hübschen” Sie deutete auf ihren Busen, „auf reine Geometrie und die Bewegung auf mathematische Gleichungen. Und vor Spence könnten Sie nackt an der Stange tanzen, er wüsste immer noch nicht, was Sie wollen.“
David Spencer runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht ganz, was…“
„Dürfte ich fortfahren?“, hüstelte Crest und unterbrach Spence. „Danke! Wir können auch das Innenleben der Raumanzüge von Starlight Enterprises als Beispiel nehmen, welches die Haut besonders im Intimbereich auch bei Sekretion immer sauber hält und den Juckreiz, der bei Raumanzügen eingebaut zu sein scheint, ausschaltet. All das sind aber nur einfache wenn-dann–Entscheidungen, simple ja/nein Reaktionen, unkomplizierte ist/ist-nicht Berechnungen, wie hilfreich und angenehm sie sein mögen. Mit Intelligenz haben diese Handlungen allerdings nicht das Geringste zu tun. Sie wirken zwar so, aber es bleibt eben pseudo-intelligent.“ Er wischte alles mit einer Handbewegung beiseite und holte mit den Armen aus.
„Nun haben meine Vorfahren eine Methode gefunden, zwischen nanotronischen Rechnerknoten ein neuronales Netzwerk zu erschaffen und tatsächlich eine semi-intelligente Maschine zu bauen, die mit drei Werten rechnet.“ Crest hob drei Finger der rechten Hand und zählte mit dem linken Zeigefinger die Punkte ab. „Ist, ist nicht, ist teilweise. Ja/nein/vielleicht. Selbstverständlich waren die ersten Rechner dieser Art wesentlich langsamer als ihre Vorgänger ohne diese neuronalen Verbindungen, aber sie boten natürlich trotzdem ein paar Vorteile, die außer Frage stehen. Zuerst wurden diese noch einfachen Neuroniken in humanoiden Robotern installiert, die im privaten Bereich tätig waren, und ich fürchte, dass diese zuerst als Haushaltshilfen konzipierten, wirklich extrem lebensechten Androiden zur abgeschotteten Lebensweise der Arkoniden auf Arkon I und II damals sehr beigetragen haben. Besonders durch ihre Lebensechtheit, welche bald alle anatomischen Merkmale der Arkoniden umfasste. Und ich meine alle! Die großen Familien legten natürlich Wert auf Nachkommen, aber auch hier griff ein Trend zur In-vitro-Fertilisation und Entwicklung des Fötus in einem künstlichen Uterus eine Zeitlang immer mehr um sich, während die somatisch-sensorische Stimulierung sowohl der maskulinen als auch der femininen Genitalien durch diese Androiden damals immer öfter einem rein biologischen Koitus vorgezogen wurde.“
„Das ist ja krank!“ brach es aus Bully heraus, Atlan lächelte nur.
„Ein ähnlicher Trend war, besonders in Japan und China, aber nicht nur dort, schon Ende der Zehner-, Anfang der Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts auf Terra abzusehen, auch wenn es natürlich noch keine richtigen Androiden waren“, erzählte der uralte Arkonide. „Cybersex, mechanische Spielzeuge für sie und ihn, vibrierend, rotierend, das ganze Programm, teilweise mit Computern oder gar über das Internet gesteuert.“ Der Unsterbliche musterte einen Punkt an der Decke. „Wobei – der Dildo und der Penisring sind, ebenso wie viele andere Spielzeuge ohne Motor, bereits einige tausend Jahre alt. Lustig dabei ist, dass sich Frauen wesentlich unverkrampfter dem Thema nähern können als Männer.“
Crest hob in einer Geste der Beschwichtigung beide Hände. „Entschuldigung, wir sind jetzt zu sehr abgeschweift. Also, diese semi-intelligenten neuronischen Nanotroniken konnten Gespräche führen, die nicht nur einprogrammierte Antworten beinhalteten, sondern auch durchaus den Umständen angepasste. Trotzdem war das selbstverständlich noch keine wirkliche Intelligenz, aber doch ein Anfang zur Entwicklung der heutigen KI. Denn natürlich gaben sich einige Forscher damit nicht zufrieden und verbesserten die neuronalen Netzwerke immer weiter, bis schließlich tatsächlich eine künstliche Intelligenz entstand, die ebenso intelligent wie ein Arkonide war.“
„Also intelligenter als der terranische Mann“, frotzelte Thora. „Anwesende Ehemänner eingeschlossen.“
„Bitte, Thora! Hebe dir das fürs Bettgeflüster auf“, tadelte Crest schmunzelnd, ehe er fortfuhr. „Die Träume der Robotiker, der Neuroniker waren Wirklichkeit geworden, die Androiden wurden, wie nicht anders zu erwarten, entsprechend verbessert und bald nicht mehr von Arkoniden unterscheidbar. Nun muss ich noch einmal kurz abschweifen. Bei meinen Studien über terranische Roboterforschung bin ich auf einen Schriftsteller namens Isaak Asimov gestoßen. Seine allerdings nur in der Literatur bestehenden Roboter hatten drei Gesetze fest verankert – 1. Ein Roboter muss unter allen Umständen menschliches Leben schützen. 2. Er muss jedem Befehl eines Menschen gehorchen, außer, der Befehl beinhaltet eine Gefahr für Leib, Leben oder geistige Gesundheit eines Menschen und 3. Er muss seine Existenz schützen, wenn dieser Schutz nicht mit Gesetz 1 oder 2 kollidiert.“
„Das ist bekannt, Crest.“ Frederik Montroise beugte sich vor. „Es war ein interessantes Konzept in seinen Robotergeschichten, immer wieder diese eigentlich einfachen Gesetze einer Belastung zu unterziehen und Situationen zu kreieren, in denen diese Gesetze kreativ umgangen oder neu ausgelegt wurden.“
Crest nickte. „Solange nur Serviceandroiden mit den Neuroniken ausgestattet wurden, waren die arkonidischen Äquivalente zu diesen Gesetzen kein Problem, und natürlich programmierte man sie in jede Neuronik. Polizeibots wurden so konstruiert, dass sie die wenigen Übeltäter ohne sie zu verletzen festnehmen konnten, mit nur minimalen Programmänderungen. Dann wollte man diese Neuroniken auch in den Raumschiffen installieren, dazu musste man natürlich das erste Gesetz ändern. Ein Kriegsschiff, das nicht kämpfen darf und kann, ist irgendwie ziemlich sinnlos. Also schrieb man das erste Gesetz um und ersetzte ‚Arkoniden‘ durch ‚arkonidisches Imperium‘, deklarierte den Schutz des Individuums als zweites Gesetz, den Gehorsam als drittes und den Selbstschutz als viertes Gesetz. Nun, es funktionierte eigentlich ganz gut, manche Neuroniken entwickelten sich selbst zur nächsten Stufe, zur künstlichen Person. Ja, Bitte.“
„Wo ziehst Du die Grenze zwischen KI und KP, Crest?“ Klara Berger hatte sich wie in einer Schule gemeldet.
„Nun“, Crest sammelte sich kurz. „Eine KI denkt ausschließlich im Rahmen ihrer Befehle. Alle anderen Informationen werden nur berücksichtigt, um den Auftrag durchführen zu können, danach werden sie als nutzlos wieder abgelegt. Eine Person denkt darüber hinaus und bewertet mehrere Konsequenzen und stellt sich selbst Aufgaben. Sie wird sich ihrer Existenz bewusst und zu wirklich eigenständigen Gedanken fähig. ‚Ich denke, also bin ich‘, dieser Satz eines Eurer Philosophen, René Descartes, ist einer Person, auch, nein, vor allem einer künstlichen, auf den Leib geschneidert. Oder geschrieben. Denn eine KP besteht nur aus Gedanken. Und nach meinen Gesprächen mit der ARK’AMBO fürchte ich, dass auch rudimentäre Gefühle durchaus vorhanden sind!“
„WAS?“ Bully war aufgesprungen und sah von Crest zu Yoyo, die ihre Rechte zur Faust ballte und den Ellenbogen zur Hüfte zog.
„JA! Ich dachte es mir doch schon beinahe! Irgend etwas war falsch an der Idee, in die Mantis-Drohnen eine hochwertige Neuronik einzubauen.“
Crest hob die linke Augenbraue. „Eine respektable Intuition, Yoyo. Ich verneige mich vor ihrem ethischen Denken!“ Yoyo legte die rechte Faust in die offene linke Handfläche und neigte den Kopf, ein alter Gruß asiatischer Krieger.
„Aber weiter”, nahm der hagere Arkonide den Faden wieder auf. „Als die Androiden tatsächlich intelligent wurden, kehrte sich der Trend, sie für sexuelle Stimulierung zu benützen, überraschenderweise wieder um. Vielleicht waren uns die Roboter zu ähnlich geworden, jedenfalls kamen Androiden als solche wieder aus der Mode, man wollte die Maschine auf den ersten Blick als künstliche Wesen erkennen. Aber natürlich wurden die Neuroniken vermehrt in allen Raumschiffen des Imperiums eingesetzt, die arkonidische Flotte, zu einem Witz verkommen, begann wieder, einen gewissen Respekt bei den Gegnern des Imperiums und auch den Untertanen zu erringen. Durch den in der Grundprogrammierung vorhandenen Hang, den Arkoniden zu dienen, waren die Neuroniken absolut treue und gehorsame Diener und manchmal auch Kämpfer für das große Imperium. Allerdings machten sie keinerlei Unterschied zwischen Arkoniden von Tiga Ranton oder Kolonialarkoniden, für sie waren alle gleich wertvoll und zu schützen. Daher verweigerten sie den Befehl, als sie Planeten, die von den nicht ganz korrekt als Individual-Verformer bekannten Spezies unterwandert waren, mit Arkonbomben vernichten sollten. Sie kamen zu dem Schluss, dass dieses Imperium aus Milliarden Arkoniden bestand, die alle Schutz benötigten, und dass die Bewohner dieser Planeten nicht direkt in Gefahr waren, ebenso wenig wie das gesamte Imperium. Also bauten die Neuroniker die Computer wieder einmal um, man näherte sich der Grenze zwischen KI und KP so weit wie möglich, ohne diese zu überschreiten. Es wurde eine mehr als heikle Gratwanderung. Reginald Bull hat auf der STAHDU seinerzeit einige Hemmungen ab- und ausgebaut, sodass DUSTY nun wirklich als KP gelten kann. Bisher dachte ich immer, dass man dazu einige hemmende Bauteile ausbauen müsste, doch diese Teile sind in der ARK’AMBO völlig in Ordnung. Trotzdem hat sie sich zu einer KP entwickelt. Ich vermute, es hat auch damit zu tun, wie man eine KI behandelt. Wenn die Mannschaft eines Schiffes die Neuronik als Kameraden, als weiteres Besatzungsmitglied behandelt, das zwar Befehle befolgt, das aber trotzdem Höflichkeit, Respekt und freundschaftlichen Umgang verdient und auch erhält, dann kann sich der Sprung zur Person durchaus vollziehen. Ich weiß nur noch nicht, wie groß der Anteil der respektvollen Besatzung sein muss.“
Tana Starlight erhob sich und hob die Hand. „Einen Moment, Crest, bitte. Hera!“
„Ja, Miss Tana?“ Die Stimme der Station klang weich und angenehm.
„Du hast mitgehört?!“ Halb Frage, halb Feststellung.
„Selbstverständlich, Miss Tana!“
„Was sagst Du dazu?“
„Die Ausführungen sind korrekt.“
Tana Starlight stützte ihre Hände auf die Tischplatte. „Dann können wir Dich als Person betrachten, die sich ihrer Existenz bewusst ist?“
„Ich bin mir meiner Existenz bewusst, Miss Tana. Ich halte mich tatsächlich für eine, wenn auch nicht biologische, Person.“
Tana räusperte sich und trank einen großen Schluck Smithwicks. „Ich werde dafür sorgen, dass Du in Zukunft von Allen mit dem nötigen Respekt behandelt wirst, Hera“, versprach sie dann.
„Die Besatzung behandelt mich gut, Miss Starlight, und die meisten sogar wie eine gute Freundin.“ Der wohlklingende Alt klang freundlich und zufrieden. „Sogar Mister Bull war heute schon sehr nett zu mir.“
Reginald Bull rückte grinsend eine imaginäre Krawatte zurecht, er war noch mit diesem Anhängsel aufgewachsen. „Es war mir Ernst, Hera, Sie sind die Perle der HEPHAISTOS.“
„Danke, Mister Bull, aber ich bin es gewöhnt, geduzt zu werden, bleiben wir doch dabei. Und manche Gäste – nun, die behandeln auch biologisches Personal ohne Respekt. Es ist gut, wie es ist, Chefin.“
„Danke, Hera”, lächelte Tana. „Meine Damen und Herren, ich denke, es ist keine Beweisführung mehr nötig, Crest hat ins Schwarze getroffen.“ Victoria wackelte mit dem Zeigefinger in Atlans Richtung. „Admiral, ich will hoffen, Sie behandeln die VIRIBUS mit dem nötigen Respekt!“
Rhodan rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. „Wir müssen uns wohl in Zukunft überlegen, wie wir welche Raumschiffe in Zukunft computermäßig ausstatten wollen. Möchten wir lieber weniger intelligente Rechner oder künstliche Personen an Bord der Flotte? Oder sowohl als auch, je nach Verwendungszweck.“
„Und wir benötigen außerdem Neuronikpsychologen“, brummte Leslie Myers. „Auch eine künstliche Person hat Anspruch darauf, dass man ihre Gefühle ernst nimmt. Was ist, Crest? Wollen Sie nicht hier auf der Station die Emotionen der künstlichen Personen erforschen und die ersten Spezialisten eines ganz neues Wissenschaftszweiges ausbilden?“
Tana schnippte mit den Fingern. „Blendende Idee, Leslie. Ich bekräftige das Angebot, Crest.“ Sie hielt dem Arkoniden die Hand über dem Tisch entgegen, der schlug ein.
„Forschung und Lehrauftrag? Das wird wieder eine Herausforderung, auf die ich mich freuen kann.“
„Und wieder verliert die Erde ein herausragendes Gehirn an Tana Starlight“, murrte Bully, doch seine Augen verrieten, dass es ihm nicht zu ernst war.
„Ich schicke Euch alle Erkenntnisse und einige fertig ausgebildete Spezialisten“, versprach Starlight im Gegenzug. „Habe ich nicht bewiesen, dass ich bereit bin, mit Euch wissenschaftlichen Nachzüglern zu teilen?“
Bully holte tief Luft, doch Thora hob die Hand. „Später, mein zweitältester Freund, bitte. Und Sie auch, junge Dame. Necken können wir uns nachher. Ich denke, hier haben wir einen guten Zwischenstand erreicht, auf dem weitere Forschung aufbauen kann. Bitte, kommen wir zum nächsten Thema. Teilen war da schon ein gutes Stichwort.“
„In der Tat!“ Rhodan nickte bestätigend. „Robert Niven hier hat eine Faser erfunden, die sich bei einem Kontakt mit elektrischer Spannung wie ein Muskel kontrahiert. In der Area 51 hat man daraus einen Infanterieanzug gebaut, der die körperliche Stärke des Trägers etwa um den Faktor 20 verstärkt und sich auch versteift, um Verletzungen durch etwa Überbelastung oder Schlageinwirkung zu vermeiden.“
Victoria schloss die Augen und überlegte kurz. „Ihr braucht noch ein Innenleben, vor allem was das Sanitäre und die Reinigung von Schweiß und ähnlichem angeht?“
Yoyo bestätigte grinsend. „Nach drei Wochen Selbstversuch ohne großen Stress habe ich gestunken wie eine Pumahöhle. Ich stand zwei Stunden unter der Dusche und habe noch immer schlimmer als jedes Raumfahrerbordell gerochen!“
David Spencer riss die Augen auf. „Woher weißt du, wie…“
„Recherche, Spence“, grinste Kono Killikioauewa, ihre Mandelaugen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Egal, die Geruchsbelästigung ist jedenfalls enorm, ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es stinkt, wenn in dieser abgeschotteten Umgebung ohne Hygiene auch noch Stresshormone und jede Menge Adrenalin und – ich entschuldige mich prophylaktisch – Angst im Spiel sind.“
„Ich kann es mir vorstellen.“ Victoria erwiderte das Grinsen verständnisvoll.
„Keine Entschuldigung, Yoyo“, warf Bully ein. „Ich selbst habe schon mehrmals die sprichwörtliche Hose voll gehabt. Nur ein Idiot hat keine Angst.“
„Und nur wer Angst verspürt, kann auch mutig sein“, führte Crest weiter aus. „Frauen lieben Männer, die das Risiko kennen und es trotzdem eingehen. Also, Frauen, die selber intelligent sind, nicht die Dummen.“
„Bestätige” rief Thora. „Wenn ich an Perry und …!“
„Welche Sensoren und welche Sensorendichte benutzt ihr? Und wie regelt ihr den Abtransport der Abfallstoffe?“ unterbrach Victoria.
„Bob?“, verwies Yoyo an den Erfinder.
„Ich habe die nötigen Spezifikationen hier notiert.“ Vor Tana schwebte eine lange Zahlenkolonne in der Luft.
„Moment! Hera, stellst du bitte eine Verbindung zu Sam Hanckock her?“
„Natürlich, Miss Tana, gerne!“ In der Mitte des Tisches schien ein Oberkörper zu materialisieren, Schaum klebte an ihm, die nassen Haare hingen ins Gesicht und eine Hand streifte sie zurück.
„Etwas Ernstes geschehen, Tana?“
„Zu Ende duschen hättest du schon können“, grinste Victoria. „Es sind übrigens Damen anwesend, Sam.“
„Ach, Besuch von Außerhalb? Na, gönne ihnen doch etwas Schönes zum Ansehen“, neckte Sam. „Ich habe extra die strategische Stelle aus dem Bild gelassen, um niemand Angst zu machen!“
„Danke, Gott, für kleine Vergünstigungen“, betete Victoria, die Augen zum Himmel erhoben. „Und bewahre uns vor vergnügungssüchtigen Exhibitionisten! Vor allem, wenn sie derartige Angeber sind“, frotzelte Victoria vergnügt weiter. „Ernsthaft, Sam, wirf mal einen Blick auf die Zahlen vor mir, Hera spiegelt sie in deinen Empfänger. Bitte, Hera.“
Sam Hanckock schien die Dusche verlassen zu haben, denn er warf einen flauschigen Mantel über und setzte sich, er griff aus dem Kamerafokus und zog die Hand mit einem Pad wieder ins Bild.
„Interessant. Sensorik und Innenleben alter Standard. Sehr gut, nanotronisch, mit Picotronik dichter und schneller möglich.“ Wie immer, wenn er vom Fach sprach, verkürzte er seine Sätze auf das Wesentliche und verzichtete auf verbindende Satzelemente.
„Da haben Sie ein dickes Lob bekommen, Bob!“ Leslie Myers hob ihre Schultern. „Wenn sich Sam ein ‚sehr‘ abringt, bedeutet das schon etwas.“
Robert Niven beugte sich vor. „Nachdem ich die Anzüge von Starlight Enterprises studiert habe, bin ich sicher, da geht noch mehr, als wir geschafft haben. Vor allem in der internen Sensorik und der allgemeinen Hygiene. Vielleicht auch im – ich sage jetzt mal ganz vereinfacht – Fingerspitzengefühl!“ Er rieb die Fingerspitzen seiner rechten Hand gegeneinander. „Ein gewisses Fühlen der Umgebung, natürlich regelbar, falls es zu heiß oder kalt wird, so in etwa!?“
„Hm… – Chefin?“
„Mister Rhodan!“ Tana Starlight wandte sich an Perry. „Lassen wir die beiden zusammen, damit sie das beste Ergebnis liefern? Und was schaut für mich dabei heraus?“
„Oh, bisher dachte ich …“, begann Rhodan, Leslie Myers unterbrach.
„Wir entwickeln für den freien Markt eine etwas sperrigere, aber billigere zivile Version, nicht ganz so stark, sagen wir – Faktor 15. Nur rudimentäre sanitäre und lebenserhaltende Einrichtungen, für Schwerlast-Arbeiten wie etwa beim Verladen von schweren, aber empfindlichen Gegenständen. Verladearbeiter müssen im Allgemeinen nicht mehrere Tage im Anzug verbringen. Kosten und Gewinn werden 70/30 zu unseren Gunsten mit der General Cosmic geteilt. Die militärische Nutzung geht zu 90 % an die GCC, zum Selbstkostenpreis. 10 % verbleiben für den eigenen Verbrauch bei Starlights, wenn wir nicht mehr benötigen, liefern wir die gerne auch. Kein Handel von unserer Seite mit militärischer Version außer an die GCC. Wir produzieren hier und liefern die militärische exklusiv an die General Cosmic. Wenn diese einen Teil ihrer Exemplare an Dritte weiter verkaufen möchte, wüsste die Starlight Enterprises gerne Bescheid und möchte 10 % vom Nettogewinn aus dem Geschäft.“ Thora hob einen Zeigefinger und schloss die Augen, auch Atlan rechnete kurz.
„Ein durchaus faires Angebot, würde ich sagen!“ Thora war zu einem Ergebnis gekommen, und auch Atlan nickte.
„Die VN hätte auch gerne ein paar Exemplare, wenn ich bitten darf.“
Rhodan nickte. „Da finden wir einen Modus, Atlan. Von den ersten 5.000 geht die Hälfte an dich. Selbstkostenpreis frei Haus!“ Rhodan streckte die Rechte über den Tisch. „Dann sehen wir weiter, aber weder Victoria noch ich lassen die VN im Regen stehen!“
Atlan schlug ein. „Das ist ein Wort! Einverstanden!“
Rhodan wandte sich wieder an die Allgemeinheit. „Wenn diese zwei Genies zusammen arbeiten, bin ich auf das Ergebnis gespannt. Besonders die Idee der zivilen Nutzung gefällt mir, wenn wir auf ‚schweren‘ Planeten schürfen wollen, wird eine zivile und billigere Variante vorteilhaft sein.“
„Dann sind wir uns einig?“ Tana blickte in die Runde, alle nickten. „Sehr gut. Fürs erste reicht Ihr Wort selbstverständlich aus, die unterschriftsreifen Verträge gehen Ihnen zu, meine Damen, meine Herren. Hera, bitte bring Bob zu Sam. Sam, zieh dir etwas an, es wartet Arbeit auf dich. Schaut einmal, was Ihr gemeinsam schafft! Ich erwarte Euer Bestes!“ Robert Niven sprang sofort auf, und das Abbild der hübschen Stewardess schien vor der Tür zu materialisieren.
„Wollen Sie mir bitte folgen, Sir?“
„Bitte, Hera, ich bin gewöhnt, dass man mich Bob nennt.“ Das Hologramm verzog die Lippen zu einem freundlichen Lächeln, in ihren Augen blitzten funkelnde Sterne auf.
„Dann folgen Sie mir, Bob!“
Thora lehnte sich zurück. „Ich werde mich wohl an flirtende Hologramme gewöhnen müssen!“
Ein angenehmer Bass meldete sich zu Wort. „Gerne, Miss Thora. Sagen Sie mir nur, wie ich aussehen soll!“
„Danke, Hera, wirklich, aber bitte später!“ Atlan räusperte sich vernehmlich. „Wir haben noch ein Problem über dem Tisch.“
Das Hologramm einer mörserförmigen Kanone mit dickem, aber kurzem, mit Kühlschlangen umgebenem Rohr schwebte vor den Konferenzteilnehmern, rotierend zeigte es die Waffe von allen Seiten.
„Was Sie hier sehen, ist eine so genannte Konverterkanone. Die Pläne dafür stammen von ES, er hat sie mir vor Jahrtausenden geschenkt.“ Atlans Augen verloren kurz ihren Fokus, bis er sich zusammen nahm, keine ganze Sekunde hatte der Moment seiner Schwäche gedauert. „Entschuldigung, ich bin wieder ganz da. Also, diese Waffe sollte die Entscheidung im Kampf gegen die Methans bringen, und nachdem das Imperium noch besteht, hat es das ja wohl auch. Denn ohne den Einsatz ganz neuer Technologie wären die Methans heute die Herrscher in M 13 und sehr wahrscheinlich auch in dieser Gegend der Galaxis. Ich habe damals die Pläne nur kurz angesehen, aber sofort auf die Speicher aller Schiffe übertragen, mit dem Befehl, dass bei jedem Kontakt mit einem arkonidischen Rechner die Pläne kopiert und an die zentrale Registratur weitergeleitet werden. So sind sie auch im Speicher meines Überlebenszylinders gelandet. Vor kurzem wurde ich daran erinnert, ich habe sie heraus gesucht, auf dem Mond in der Area 51 hat man die Pläne auf das Kleinste befolgt und gebaut.“
„Und?“ Asante N’Diaye rollte aufgeregt mit den Augen und beugte sich gespannt vor. „Wie funktioniert sie?“
„Bisher gar nicht!“ antwortete Atlan, Christian Hawlacek murmelte etwas.
„Wir haben den Stecker mit dem Stromnetz verbunden, Meister!“ Der Arkonide funkelte Christian böse an, der unverfroren zurück grinste.
„Entschuldigen Sie, es war einfach zu verlockend!“
Auch über Atlans Gesicht huschte kurze Belustigung. „Na schön. Ich gebe es zu, das war’s wirklich. Aber – es ist tatsächlich etwas geschehen, nur nicht das erhoffte. Bitte, seht doch selber!“
Wieder erwachten die Holoprojektoren zum Leben. Eine Versuchsanordnung, mit einem einfachen Schutzschirm umgeben, war durch ein Fadenkreuz zu erkennen, Yoyos Stimme war zu hören. „Drei, zwei, eins, los!“ Ein purpurroter Energiefaden sprang zu dem Schutzschild, der kurz rot gefärbt sichtbar wurde. Dann war alles wie vorher.
„Beim neungeschwänzten Teufel! Es hat wieder nicht funktioniert!“ Eine Männerstimme fluchte unbeherrscht los.
„Was hätte denn geschehen sollen?“, fragte Tana interessiert.
„Eigentlich hätten entweder die Sicherungen oder die Wandler durchbrennen sollen. Oder beides. Unter Umständen hätten sogar die Fesselfelder für die Antimaterie zusammenbrechen können. Auf jeden Fall hätte es unter dem Schirm keine verwertbare Energie mehr geben dürfen! Und natürlich den Schirm auch nicht.“
„Darf ich es noch einmal sehen?“ Leslie Myers hatte den rechten Zeigefinger an die Lippen gelegt und klopfte rhythmisch dagegen.
„Sie können viele solcher Aufnahmen sehen!“ Kono Killikioauewa schaltete, eine Reihe von Aufnahmen, teilweise durch die Zieloptik, teilweise von einer äußeren Optik und auch von Innen folgten, das Ergebnis blieb stets das gleiche. Leslie lehnte sich zurück und schloss die Augen, die Hände mit ausgestreckten Zeigefingern verschränkt, diese immer noch an den Lippen.
„Atlan?“ Endlich öffnete sie wieder die Augen. „Hatten die Methaner eigentlich die gleiche Technik wie die Arkoniden?“
„Im großen und ganzen schon!“ Atlan befragte sein eidetisches Gedächtnis. „Sie hatten damals ähnliche Energiereserven, die Transitationen der Methanerschiffe erzeugten in etwa das gleiche Muster auf den Ortern, die Reichweite dürfte vielleicht ein wenig unter jener der arkonidischen gelegen haben. Ihre Geschütze waren vielleicht eine Spur effektiver gebündelt und energiereicher, dafür nicht ganz so zielsicher. Ihre Schirme waren stärker, unsere haben bei einem Aufprall eines Gegenstandes grell weißblau geleuchtet, wie auch heute noch, die ihren hatten mehr Blauanteil im sichtbaren Spektrum.“
„Wieso waren sie dann so erfolgreich?“, fragte Bully, der aufmerksam zugehört hatte. „Deiner Schilderung nach waren sie technisch nicht so weit überlegen!“
„Sie waren viele!“ Atlan hob die Hände. „Sie kämpften hart, rücksichtslos und vor allem effizient koordiniert. Zu Beginn des Krieges waren in den Kommandostellen zumeist noch Orbabaschols Kreaturen, die mehr vom Abzweigen als von Strategie verstanden, die Flotte war in den Dateien stark, im All schwach. Nachdem wir den Usurpator los waren, blieben zu viele von den unfähigen Speichelleckern immer noch in ihren Positionen, einen neuen Generalstab stampft man auch nicht einfach so aus dem Boden. Die Kapitäne und Geschwaderführer haben improvisiert und die Fronten so gut es eben ging gehalten, und es waren viele gute Admiräle und Kapitäne darunter. Aber es fehlte an Koordination und, vor allem, an Ausrüstung. Kurzfristig wurde es nach Onkel Veloz besser, aber wir hatten bereits zu viele Nachschubwelten verloren. Es ging rapid bergab mit der Flotte, vor allem gute Besatzungen wurden immer rarer, die Schlachten waren brutal und forderten viele Opfer.“ Er hob beide Hände in Schulterhöhe. „Ihr seht, das Problem fehlender gut ausgebildeter Leute ist einige Jahrtausende alt. Wahrscheinlich haben schon die Leute von Tanas Hüter die gleichen Sorgen gehabt! Wir sollten uns in einer ruhigen Zeit einen Vorrat anlegen!“
„Hey Joe, wirf die Brüterbatterien 6, 8, und 23 auch noch an, die Nachfrage an Kosmonauten steigt rapide“ murmelte Bully, Thora fixierte ihn mit schmalen Augen.
„Wie bitte?“
„Ach, nur ein Zitat aus Heinleins ‚Starship Troopers’. Eine Bemerkung über die Reproduktionsgeschwindigkeit einer Insektenrasse.“
„Darf ich auch einmal die Pläne sehen?“ unterbrach Leslie nach einigem überlegen und brachte die Runde wieder auf das eigentliche Thema. „Und was geschieht, wenn nur der Prallschirm oder gar kein Schirm steht?“
„Natürlich, alles vorbereitet!“ Kono schaltete erneut, eine schematische Darstellung erschien. „Das mit dem Prallschirm – das haben wir noch gar nicht erprobt!“ Leslie folgte mit dem Finger den Linien des Schaltplanes, verharrte an einer Stelle.
„Hier fehlt etwas“, sagte sie, Kono verglich Bauplan und Ergebnis. „Alles genau nach Plan gebaut! Wir sind…“
„Kein Zweifel“, unterbrach Leslie. „Das war keine Kritik an Ihrer Umsetzung! Auf dem Schaltplan fehlt irgend etwas! Hier sollte noch etwas sein, genau da! Was ist dieser Bereich hier?“
Kono Killikioauewa und Asante N’Diaye studierten die Pläne. „Hier scheint eine Art Modulation der Strahlung stattzufinden. Für eine genauere Beschreibung müsste man reine Mathematik verwenden – oder eine ganz neue Sprache entwickeln.“
„Moment! Moment!“ Asante legte neben die Baupläne und Zahlenkolonnen des von Leslie beanstandeten Teiles der Kanone Pläne und Diagramme eines Bestandteils der üblichen Schirmgeneratoren. „Hier – diese energetischen Muster, sie sind exakt übereinstimmend. Wenn die Energieformen einander berühren, müssten sich nicht einfach durchdringen? Und übrig bliebe der einzige Effekt, der nicht zu dieser Phase gehört, der optische!“
„Eine Phasenverschiebung des Pseudosubpartikelquants? Aber wie?“ Kono Killikioauewa und Asante N’Diaye verstiegen sich rasch in Begriffe, mit denen niemand außer ihnen, David Spencer und Frederik Montroise sowie Angel Kleinschmid und Klara Berger etwas anfangen konnte. In rascher Folge wechselten verschiedene Formeln, Diagramme, Schaltskizzen und andere mathematische Gleichungen vor den sechs Wissenschaftlern einander ab. In rot blinkender Schrift schwebten kurz die Worte ‚verdammte Scheiße‘ in der Luft, ehe sie wieder verschwanden.
„Ich glaube, wir sollten uns jetzt ganz heimlich verabschieden und unsere Spezialisten arbeiten lassen.“ Tana winkte den anderen, mitzukommen. „Gehen wir. Smokebeard wird auf ihr körperliches Wohlbefinden und ihre Gesundheit achten.“
„Wollen wir ins Quetzal?“ fragte Crest hoffnungsvoll.
„Meinetwegen.“ Die Tür schloss sich hinter der Gruppe. „Da gibt es auch guten Kaffee für – Mummy! Und ein großes Stück Sachertorte für uns alle.“ Man war, wie man so sagt, après und wieder unter sich.
*
Irgendwo in M 13
An Bord der BRIGADA INTERNACIONAL
„Ich fürchte, wir werden noch viel üben müssen“, donnerte die Stimme des Kommandanten über die Lautsprecher. „Alarmzustand aufgehoben, alles in Bereitschaft! Dreißig Minuten Pause!“ Pavel Iwanowitsch sackte im Richtschützensitz eines der schweren zwei-zehner-Zwillingsgeschütze zusammen und atmete tief durch. Smert’ i D’yavol, jetzt waren sie schon doppelt so schnell wie zu Beginn der Übungen, und noch immer reichte es vorne und hinten nicht. Die BI, wie die BRIGADA INTERNACIONAL abgekürzt genannt wurde, die frühere ASO’OMIE, war so ganz anders aufgebaut als die Kugelraumer, auf denen der Oberleutnant auf dem Mond ausgebildet worden war. Die Konstrukteurinnen hatten ihre ganz eigene Vorstellung und Logik beim Interieur gehabt. Trotzdem, sie mussten schnell damit vertraut werden, Pavel Ivanowitsch wusste selber, dass sie alle noch viel zu langsam waren. Auch wenn seine Gefechtsposition nur ein so genannter ‚Redundanzposten‘ war, normalerweise saßen die Geschützoffiziere in der Zentrale. Aber schon das Matriarchat, welches die ASO’OMIE damals plante und baute, hatte um den Wert einer zweiten und auch dritten Kontrollstation gewusst. Wenn nötig konnten Pavel Ivanowitsch und seine Kameraden an dieser Station den Feind orten und identifizieren, zur Not die Geschütze auch mit seinem Joystick ausrichten und abfeuern. Dreißig Minuten Pause. Na schön, ein Glas Tee konnte jetzt sicher nichts schaden.
Colonel Jeff Moore, der Kommandant der BRIGADA INTERNACIONAL, saß in der Mitte der Zentrale und sinnierte vor sich hin. Perry Rhodan hatte Michael Freyt zum Admiral ernannt und um Freiwillige für einen ‚Hochrisikoeinsatz‘ gebeten. Von Anfang an war klar gewesen, dass es eine Umschreibung für ein echtes Himmelfahrtskommando war. Beide Personen hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass die Teilnehmer des Fluges unter keinem Schutz irgendwelcher Konventionen stehen würden und ihre Rückkehr nicht sehr wahrscheinlich. Wenn nicht die Miridaner ihren Einsatz legitimierten und sie als Teil ihrer Streitkräfte vereidigten, waren sie Piraten, Freibeuter, ohne Fahne und Vaterland, vogelfrei. Trotzdem hatten sich viele gemeldet, vor allem jene alten Veteranen, die schon im Wegasystem ihren Mann gestanden hatten, dazu Freiwillige auch aus den Heeren und Seestreitkräften der ganzen Welt. Man hatte nur kurz gesiebt, besser zu viele Leute an Bord als zu wenige, Training und Ausbildung wurden auf dem Flug vorgenommen. Eine Situation, die viele der alten Haudegen bereits kannten, auch ihr erster Einsatz gegen die Mehandor war ähnlich verlaufen. Und sie hatten nicht nur überlebt, sie hatten siegreich überlebt. Eine Beruhigung für die ‚Jungspunde’. Man benötigte einen gewissen Überschuss, man konnte die Mannschaft schwer aufstocken, ohne Fremde an Bord zu nehmen, und die Miridaner stöhnten schon selbst unter fehlendem Personal.
Mit dem Umstand, dass die eigenen Flotten jetzt kräftig unterbesetzt waren, musste man ja auch noch Leben und fertig werden. Die Fähnriche der Glenn Academy würden ihren letzten Schliff eben vor Ort bekommen müssen, in der Praxis, an Bord der terranischen Schiffe. Die Theorie mussten sie selber büffeln, die Neuroniken könnten Nachhilfe bei kniffligen Fragen und Schwierigkeiten geben. Notfallmaßnahmen waren gefragt, die Teenager mussten halt ganz schnell erwachsen werden. Zum Glück, so fand Jeff Moore, hatte Michael Freyt keine wirklich jungen Leute an Bord gelassen, auch wenn sich genug gemeldet hatten. Er nahm vorzugsweise alte, aber noch rüstige Veteranen, die ein Leben gehabt hatten, keiner war unter siebzig. Auch Agatha ‚The Rod’ Nyssen wollte noch einmal ‚ihre Rosinante satteln‘, und ja ‚sie wisse nur zu gut, dass es kein verfluchtes kleines Spiel gegen Windmühlen sei, sondern beschissen bitterer Ernst‘.
„Gerade weil es verdammter Ernst ist und weil es so extrem unwahrscheinlich ist, dass wir unbeschadet zurückkommen, solltest du deine verflixt alte Freundin nicht aufs fucking Abstellgleis schieben, Junge“, hatte sie argumentiert. „Ich alte Schachtel habe mein Leben gelebt, und auch wenn mein Arsch trotz Zelldusche mehr Falten als ein Shar Pei hat und ich einige meiner Muskeln nicht mehr so oft einsetzen kann…“ Sie wies auf ihre Körpermitte unter dem Gürtel „…wie ich gerne möchte, meine Augen sind noch 100 %, meine Finger flink und kräftig genug, mein Hirn funktioniert bestens. Also, Mike, was ist! Wenn du mit dem Ding zwischen deinen Ohren statt mit dem zwischen deinen Beinen denkst, nimmst du mich mit!“ Freyt hatte nur zu gerne – und nach Moors Meinung zu Recht – nachgegeben, und die Alte hatte ja wirklich mehr fiese Tricks wieder vergessen, als Moore je lernen konnte. Und das mit dem Faltenhund – reine Übertreibung, fand Moore. Agatha war eben kein junges Mädchen mehr gewesen, als sie die Zelldusche erhielt, aber die Vorbereitung auf den Marsflug damals hatten sie fit gemacht, seither hatte sie auf Gesundheit und Figur geachtet, eine gepflegte ältere – nein, Dame, das würde Jeff Moore nicht einmal denken. ‚The Rod’ war keine Dame und wollte auch gar keine sein. Wenn sie sich nicht zügelte, konnte ihre Sprache noch einen Bierkutscher zum Erröten bringen, aber Spaß, Spaß konnte man mit ‚the Rod‘ immer noch haben. Jederzeit und überall, sie nahm nie ein Blatt vor den Mund.
Die BI-8 stand unter dem Kommando von Major Walter Maria von und zu Steinhügel. Walter hatte eine Karriere in der deutschen Bundesmarine angestrebt, damals, als die EU zwar schon existierte, aber sich noch nicht richtig gefunden hatte. Als blutjunger Fähnrich auf einem U-Boot hatte er sich dem Aufruf der UN nicht entziehen können und war der jüngste der Tafelrunde geworden. In der Schlacht um Rofus war ihm so richtig bewusst geworden, wie wertvoll das Leben war und dass es dieses zu beschützen galt, wenn es bedroht wurde. Er blieb in der Flotte der GCC und stieg langsam, aber stetig auf. Mit Dreißig nahm er die ihm für die Teilnahme an der Wegaschlacht angebotene Zelldusche an. Er fühlte sich nun körperlich am Ende seiner Entwicklung, seiner geistigen wollte er mit der Lebensverlängerung mehr Zeit verschaffen. Zuletzt befehligte er einen 100 Meter Kreuzer der UN-Flotte, die VNS KAIRO. Nun war er mit einem Teil seiner Besatzung und einigen anderen Veteranen an Bord der BI-8 und gab den Befehl zum Einschleusen. Die halbierte Walze, 370 Meter lang, 100 breit und 50 hoch nahm Kurs auf das Hangardeck der BI. Der Anruf von Vize-Admiral Nyssen stoppte den Vorgang.
„BI-8, Artillerieübung. Alle Geschütze besetzen!“
Walters Hand drückte die große, rote Alarmtaste. „DefCon 5! Achtung, Gefechtsstationen! Pronto, Mädels, die große Chefin will Action! Dalli, Dalli!“.
Die BRIGADA feuerte, kaum dass Agatha Nyssen ihren Befehl gegeben hatte, eine Zieldarstellung auf jener der BI-8 abgewandten Seite ab, die auf dem IFF als Feind markiert wurde. Die Zieldarstellung war eine kleine Drohne mit Messeinrichtungen, die auf dem Schirm der Ortungsgeräte ein größeres Signal als der tatsächlichen Größe entsprechend zeigte, sie flog mit zufällig wechselnder Beschleunigung und Richtungsänderungen, benahm sich wie ein angreifender Feind. Doch kaum war das Signal über dem Deck des Trägerschiffes aufgetaucht, feuerten die in zwei Zwillingstürmen untergebrachten 163 – Zentimetergeschütze des kleineren Schiffes und trafen alle ins Zielgebiet rund um den Drohnenkörper.
„Drei gefährliche Treffer, einer wirklich haarscharf an der Sonde vorbei. Glückwunsch, einschleusen!“ ‚The Rod’ Nyssen konnte eine teuflisch scharfe Zunge haben und war nicht leicht zufrieden zu stellen, sie sparte aber auch nicht mit Lob, wenn es denn einmal angebracht war.
„BI-7, sie sind dran. Artillerieübung!“ Captain Marie Louise Conaire steuerte die BI-8 in ihre Landebucht.
„Mon Dieu, diesmal hat sich Chiara wirklich selbst übertroffen. Das war doch wirklich ein Blattschuss vom Feinsten!“
Lieutenant Colonel Leonid Iljitsch Woronzow war seinerzeit ein Star der russischen U-Bootflotte gewesen. Mit der MICHAIL GORBATSCHOW, einem Boot der verbesserten Borjas-Klasse, war er vor New York versteckt auf Grund gelegen, während seine Kampfschwimmer an der Insel ‚Liberty Island‘ einen Peilsender montierten, der zu senden begann, als das Boot schon auf dem Heimweg war und nicht mehr gefunden wurde. Tagelang suchte die US-Navy nach dem Sender, bis er eines Tages verstummte, es blieb unklar, ob er gefunden wurde oder die Batterie leer war. Offiziell hatte es natürlich weder den Sender noch die Suche gegeben, es waren ‚geologische Untersuchungen zur Sicherung der Freiheitsstatue‘ nötig gewesen. Aber Woronzow, seine Kameraden und Vorgesetzten wussten es besser und gaben es an die russischen Medien weiter, Amateurfunker aus aller Welt empfingen die Signale. Es war ein zwar harmloser, aber für die Amerikaner demütigender Streich gewesen, die U-Bootleute aus Russland hatten laut gelacht bei diesem Gedanken. Als Rhodan nach Personal für die Sicherheit der Wega fragte, zögerte Leonid Iljitsch keine Sekunde, er quittierte den Dienst und saß zwei Stunden später mit einigen gleichgesinnten Kameraden in der letzten funktionierenden TU 144, die auf dem Flughafen von Moskau-Schukowski liebevoll restauriert ausgestellt gestanden hatte. Die Führung im Kreml hatte das alte Ding in aller Eile durchgecheckt, betankt und auf den Weg gebracht. Der Präsident hatte nicht lange gezögert, denn wenn die Erde in Gefahr war, wackelte auch sein Thron. Mit doppelter Schallgeschwindigkeit raste das erste und letzte funktionstüchtige Überschallverkehrsflugzeug mit Strahlantrieb der Erde nach Galacto City und brachte die russischen Seeleute zu Rhodan in die Gobi. Leonid Iljitsch dankte einem gütigen Schicksal, gerade seinen Urlaub bei den Eltern in Moskau verbracht zu haben, so zählte er zu den ersten, die nach eingehender Hypnoschulung zur Wega gebracht wurden. Nach seiner Rückkehr und der erhaltenen Zelldusche widmete er sich zivilen Aufgaben und war federführend am Aufbau der USRR beteiligt. Er war ein großer Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und dezentraler Regierung geworden. Doch als von Rhodan und Freyt erneut Freiwillige für einen riskanten Einsatz gesucht wurden, konnte er einfach nicht zurück stehen. Auf Port Juri Gagarin traf er auf viele seiner alten Kameraden, die wie er der Erde noch einen Dienst erweisen wollten.
„Wenn die Trommeln schlagen und die Hörner blasen, dann hält niemand uns alte Schlachtrösser im Stall, stimmt’s, Leo, mein Kumpel? Wenn es sein muss, trete ich nicht nur ein paar Türen ein, sondern auch einigen Bürokraten in die fetten Ärsche! Oh, entschuldige, Du bist ja auch Bürokrat geworden, aber trainiert hast Du scheinbar trotzdem weiter“, hatte Lieutenant General Sir Ian Jones von der Royal Spaceforce gefrotzelt, ihm auf den Hintern geklopft und Leonid Iljitsch freudig und kameradschaftlich umarmt. „Dafür tausche ich das ‚General‘ wieder in ein ‚Colonel‘, und das gerne. Wie geht es denn Deiner Frau und meinen Kindern?“
„Besser als meinen, sollte man annehmen, du alter Aufschneider“, gab Leonid zurück. „Immerhin müssen die nicht unter einer Königin leben und dürfen frei sein!“ Sir Ian gackerte wie ein Huhn, als er lachte und sich das nächste Opfer für seine derben Scherze suchte. Er übernahm das Kommando über die erste Flottille der BRIGADA INTERNACIONAL, die Kreuzer BI 1 bis BI 4, Leonid Iljitsch die zweite, BI 5 bis BI 8.
Ian Jones, damals noch kein ‚Sir’, hatte im Rang eines Majors als XO der QUEEN ELISABETH I, einem der größten Flugzeugträger der Royal Navy, gedient, als Rhodans Bitte um Personal die Regierungen und Navys der Welt erreichte. Er rannte in seine Kabine und freute sich, dass sein Computer als der eines hohen Offiziers Vorrang am Drucker hatte. Das Schreiben an seinen CO war kurz und bündig. „Sir, ich habe die Ehre, um Freistellung für den Dienst im Weltall zu bitten!“ Commodore Sir Walter Wamsley, der 51. Earl of Woodrich hatte das Schreiben zur Kenntnis genommen, den ersten Seelord und Perry Rhodan über Funk informiert und ein Versorgungsflugzeug Airbus A 1006/STOL ans Katapult geschickt, damit die sechs Freiwilligen der QUEEN ELISABETH I schnellstmöglich den damals nächsten größeren Flughafen erreichen konnten, Lissabon. Von dort wurden sie mit einer Landefähre der GCC in die Wüste Gobi gebracht, in einem Kugelraumer von 60 Metern Durchmesser in ein bequemes Bett verfrachtet, wo ihnen ein Roboter eine Nadel in den Arm jagte und ein Stirnband mit einigen Antennen umlegte. Dann wurde es Nacht um Ian, als er erwachte, wusste er über Ultraleichtkreuzer, über Kursberechnungen, Hypertransits und allerlei sonstiges zum Handwerkzeug eines Kosmonauten gehörende einigermaßen Bescheid. Später hatte er die Royal Spaceforce aufgebaut, die Queen hatte ihn für seine Verdienste um das Empire zum Ritter geschlagen. Nun war er wieder außerhalb des Solaren Systems, um der Erde Zeit zu verschaffen.
Jeff Moore wandte sich in seinem Sessel um.
„Sir, das Schiff und die Besatzung sind bereit für den nächsten Sprung!“
Michael Freyt zog die scharlachrote Jacke seiner Uniform zurecht. „Danke, Skipper. Holen sie alles an Bord und lassen Sie beschleunigen! Zur Hölle, wer hat bloß diese idiotische Uniform designt?“
„Paramount Pictures, Sir.“ Jeff Moore grinste. „Gefällt Sie ihnen nicht?“
„Nur wenn Ihnen spitze Ohren wachsen, Colonel“, flachste Freyt zurück. „Und ich vermisse eine spitzohrige Kirstie Allen! Nein, Rod, bei aller Liebe, Du kannst da nicht konkurrieren!“
„Du bist aber auch kein Bill Shatner, Junge“, konterte Nyssen, und Freyt seufzte.
„Allen Göttern sei es getrommelt und gepfiffen! Die Serie hatte sicher angenehmer zu tragende Uniformen, von den Folgeserien ganz zu schweigen.“
„Ich hätte lieber Kim Cattrall als Vulkanierin”, monierte Moore, und Major Gaston Bougain, der XO, widersprach.
„Ich möchte niemand, der auf einen Diplomat schießt. Das mach ich schon lieber selber!“
„Und von Robin Curtiss als Lieutenant Saavik spricht niemand?“ Captain Luigi Varnotti am Ruder mischte sich ein, alle sahen ihn erstaunt an. „Was denn? Immerhin ist sie die Einzige, die Spock verführen darf! Und die einzige Vulkanierin, die es geschafft hat, in zwei Filmen mitzuspielen.“ Mittlerweile waren alle Jäger und Kreuzer wieder an Bord genommen worden, mit gemütlichen 400 km/sec2 machte sich die BRIGADA INTERNACIONAL auf, um wieder 500 Lichtjahre näher an den Miridan Sektor zu transitieren. Freyt erhob sich.
„Admiral verlässt Brücke!“ imitierte der Bordrechner der BRIGADA INTERNACIONAL einen Stabsbootsmann, inklusive der Trillerpfeife.
Michael Freyt wanderte auf das Hangardeck und betrachtete von einem Balkon aus seine kleine Flottille. Sie stellte für terranische Maßstäbe eine beachtliche militärische Macht dar, aber reichte sie gegen die Flotten des Neurogenten, der über schier unerschöpfliche Reserven zu verfügen schien? Wahrscheinlich nicht, aber was war denn die Alternative? Einfach aufgeben? Einen Sektor nach dem anderen der kalten Herrschaft eines Robotgehirns zu überlassen? Als Mensch zweiter, dritter oder gar vierter Klasse behandeln zu lassen? Arkoniden waren als Kolonialherren sicher auch nicht besser, als es die Europäer gewesen waren, wieviel weniger angenehm musste das Leben unter einer Neuronik sein.
Sein Blick schweifte weiter zu seiner ‚Geheimwaffe‘, einem 120 Meter langem Bleistift, an dessen Enden je eine Korvette befestigt zu sein schien. Eine geschwungene Dreieckform wölbte sich von der Mitte des Zylinders um ein Ende, insgesamt war das Gebilde etwas über 300 Meter lang. Wie die BRIGADA INTERNACIONAL trug die Dinger kein Kennzeichen mehr, die Mannschaft nannte sie JAMMER. Störsender. Ausgeschleust sollte die JAMMER vor der Flottille her fliegen, die dreieckige Form sollte sich aufstellen und ausfächern. Atlan hatte bei dem Anblick gesagt, der Spiegel erinnere ihn an den Spiegel eines altes Blitzlichtgerätes, lange, sehr lange vor der Digitalfotografie. Die meisten Menschen hatten ihn ratlos angestarrt. Ein ‚Film’, den man ‚belichtete’ und danach ‚entwickelte‘ war einfach zu fremdartig, eine unmögliche Vorstellung. Freyt grinste, sein Vater hatte noch eine analoge Spiegelreflexkamera besessen, aber selbstverständlich schon mit einer elektronischen Blitzröhre und Autofokus. Diese Faltspiegel mit der Einmalblitzlampe zum Einstecken waren schon vor langer Zeit, irgendwann in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, langsam aus dem Gebrauch gekommen und von Blitzröhren abgelöst worden, kaum jemand erinnerte sich noch daran, wenn er nicht gerade Historiker oder vom Fach war.
*
Chzzoch, die terranische Entsprechung des Titels ‚Doktor‘, Chrrkt Chiigh Ghrru war Astronom und er war an Bord der HEPHAISTOS. Nicht als Besatzungsmitglied, sondern als Kunde. Genauer gesagt, Chrrkt Chiigh war Radioastronom, mit Spezialisierung auf überlichtschnelle Hyperwellen, und er hatte vor, das größte je gebaute Hyperwellen-Radioteleskop zu bauen und damit eine entfernte Galaxis wie etwa Andromeda nach Kommunikationsimpulsen intelligenter Arten abzusuchen. Die Familie Ghrru war vermögend und genoss das Wohlwollen des Diktators von Topsid, der es nicht ungern gesehen hätte, wenn sein Volk auch einen Beitrag zur Wissenschaft des Kristallimperiums beisteuern könnte. Also bestellte Doktor Ghrru genau spezifizierte Antennen. Bleistift, Kugeln, auffaltbarer Schirm, in dessen Brennpunkt schließlich die vordere Korvette vollgestopft mit Nanotronik als Empfänger liegen sollte. Zuerst einmal zwanzig Stück. Später vielleicht mehr. Hyperraumtauglich natürlich, man musste die Phalanx ja in den leeren Raum zwischen den Sternen postieren können, um unverfälschte Ergebnisse zu bekommen. Natürlich wurde zuerst getestet, ein Kreuzer der topsidischen Flotte sandte über Lichtjahre ein Signal aus, das von dem Prototyp neben der HEPHAISTOS einwandfrei empfangen wurde. Ein Assistent wollte antworten, stellte auf volle Sendeleistung und sandte über die Parabolantenne ein „empfangen” zurück. Leider war die CYGNUS eben aus der Singularität gekommen und im Anflug, sie hielt sich Lichtminuten von der Station im Richtstrahl auf. Die Reparatur der Kommunikationsanlage benötigte mehrere Tage, sämtliche Geräte und Leitungen sowohl der Normal- als auch der Hyperfunkanlage hatten nur noch marginalen Schrottwert. Es war pures Glück, dass niemand zu Schaden gekommen war. Die wissenschaftliche Neugier vieler Topsider und Menschen war geweckt, man forschte und experimentierte weiter auf diesem Gebiet. Doktor Ghrru bekam seine Phalanx, Starlight Enterprises baute eine Version mit extrem starker Sendeanlage unter Mitarbeit einiger topsidischer Wissenschaftler. Perry Rhodan hatte eine Idee für taktische Verwendungen entwickelt.
„Ohne Kommunikation zwischen den einzelnen Schiffen keine Koordination des Angriffs. Wir werden einem Aggressor zuerst seine Stimme und seine Ohren nehmen!“ Jetzt hatte Freyt drei solcher Geräte, die ersten ihrer Art, an Bord. Er hoffte, die Rechenschieber und Eierköpfe behielten wieder einmal recht.
*
System Zarrlith, M 13
An Bord der ATZ I-005
Eine sanfte Roboterstimme weckte den Passagier des Erkundungsbootes 005.
„Sie haben das einprogrammierte Ziel erreicht!“ Thomas Rhodan erhob sich von seinem Bett und wankte zum Kommandoraum, vor dem Bug seines Bootes erstreckte sich ein gigantisches Asteroidenfeld, hinter welchem ein roter Zwergstern seinen matten Glanz verströmte.
„Wo bin ich hier?“. fragte er verwundert, noch etwas verschlafen, die einfache, alte Neuronik antwortete.
„Stern Zarrlith, XHA 41-768.“
„Und was gibt es hier?“ verwunderte sich der junge Mann.
„Die Erzabbaustation ZAR 14.“
Thomas Rhodan verbarg sein Gesicht in beiden Händen. „Ich wollte doch zum Planet Zalit!“ rief er verzweifelt. Die Neuronik benötigte eine bemerkbare Zeit, ehe sie den gesuchten Planet gefunden hatte, ein Beweis für das immens hohe Alter der Maschine.
„Stern Voga, 3,14 Lichtjahre von Arkon entfernt, Hauptstadt Tagnor.“
„Ja, genau! Ganz genau! Dort wollte ich hin!“
„Sie haben auf der angezeigten Liste die Sonne Zarrlith gewählt!“ Die Liste erschien auf dem Bildschirm. Es war ein Pech für Zhomas Inkahar daZoltral Rhodan, dass die Namen auf der Liste in der Verkehrsschrift der Mehandor verzeichnet waren, und die Liste nur die Sonnen, nicht die Planeten umfasste. Sowohl als Kosmonaut unerfahren als auch nicht sehr geübt in der Schrift und der Schreibweise des Planeten Zalit hatte der junge Mann das falsche System angesteuert.
„Also gut!“ Er bezwang seinen Ärger. „Dann setze jetzt Kurs auf die Sonne Voga, Planet Zalit, Umlaufbahn!“
Wieder setzte eine winzige Pause ein, ehe die Neuronik ihr Ergebnis präsentierte. „20 Sprünge, 40 Tage!“
„Dann los!“ seufzte Perry Rhodans Sohn, ehe er die Vorräte plünderte und sich eine Mahlzeit zusammen stellte. Notrationen, wie verlockend! Doch er musste bei Kräften bleiben. Er musste! Seine Mission verlangte es, auch wenn sich alles gegen ihn verschwören sollte.
„Ich werde es schaffen“, brüllte er hemmungslos und unbeherrscht, wütend warf er sein Besteck an die Wand, der leergegessene Teller folgte. „Ihr könnt noch so viele Komplotte schmieden, ich nehme den mir gebührenden Platz ein! Ihr könnt mich nicht daran hindern! Ihr alle nicht!“ Die Drogen, die er von den Mehandor erhalten hatte, erzeugten nun nicht nur schmerzhafte körperliche, sondern auch unberechenbare psychische Entzugserscheinungen, diese und der von Haus aus etwas labile Geisteszustand des an sich genialen jungen Mannes gipfelten in einem Ausbruch von Paranoia und einem Tobsuchtsanfall. Danach kehrte er müde und zerschlagen in seine Koje zurück und schluckte ein starkes Schlafmittel, um die Tage bis zu seinem Ziel nicht wach ertragen zu müssen. Was wie ein Pech wirkte, war ein Glück für ihn, auch wenn er es noch nicht wusste. Thomas Inkahar daZoltral Rhodan hatte Zeit, zumindest in Bezug auf die Abhängigkeit von den Drogen geheilt zu werden und wieder selbständig denken zu können.
*
System Sol, Terra,
Republik Südsudan
Tubeway Station 15, Fort Mariamne
Über dem Südsudan ging die Morgensonne auf, plötzlich, ohne lange Dämmerung, wie es in diesen Breiten unweit des Äquators üblich war und ist. Sie weckte unzählige Tiere und Insekten, Pflanzen öffneten ihr Blüten und streckten sie der Sonne entgegen. Es versprach, wieder ein heißer Tag zu werden, wie gestern, vorgestern und alle die Tage zuvor. Auch Ruth Azanwenga erwachte wie gewöhnlich bei Sonnenaufgang und streckte sich in ihrem bequemen Bett noch einmal gemütlich, ehe sie ihre Tochter Salome weckte. Nach einer raschen Dusche schlüpfte Ruth in ihr langes, einer Dschellaba ähnliches Hemdkleid und wand ein Tuch wie einen Turban um den Kopf, die übliche Kleidung für eine Dinka, die nie in ihrem Leben etwas anderes getragen hatte. Danach ging sie in die Küche und ließ Wasser in den elektrischen Erhitzer laufen, um für ihre Tochter und sich selbst Tee zu kochen. Sie war sich bewusst, wie sehr sie das Schicksal in den letzten Jahren privilegiert hatte. Seit die Straße und die durchsichtigen Kuppeln Anfang der siebziger Jahre gebaut wurden, durfte sie hier beschützt und sicher wohnen. Sie musste nur einen Hahn öffnen, frisches, sauberes Wasser kam heraus, von dem niemand mehr krank wurde. Täglich konnte sie duschen und sich sauber halten, sie genoss es. Auch wenn sich ab und zu ein schlechtes Gewissen wegen der Wasserverschwendung meldete, sie fühlte sich, als hätten die Boten Gottes ihr schon jetzt das Paradies geschenkt. Und hatte man ihr nicht bei ihrem Einzug erklärt, dass das Badewasser ohnehin wieder zur Begrünung der Kuppel verwendet wurde? Dass damit die Rasenflächen, Büsche und Bäume bewässert wurden?
Salome sprang fröhlich lachend, in Jeans und T-Shirt gekleidet, auf ihren Stuhl.
„Mama, heute müssen wir ganz, ganz pünktlich sein!“ Sie sah auf ihre Armbanduhr, auf deren Oberfläche das Bild des Mausbibers Gucky vor der Milchstraße mit seinen Händen Stunden und Minuten anzeigte, während der breite Schwanz die Sekunden zählte. Ruth seufzte. Vor nicht langer Zeit war es noch Donald Duck gewesen, doch dann hatte Salome sich dieses neue Bild für ihre ComWatch aus dem Netz geladen. „Mister Arahman hat gesagt, dass wir heute durch die Katherine Johnson Mondbasis geführt werden. Also, nicht wirklich, nur virtuell, aber wir dürfen Fragen stellen! Stell Dir vor, der Kommandant selber zeigt uns alles!“ Salome war beinahe sieben Jahre alt und ein fröhliches, aufgewecktes Mädchen, ihre zweite Tochter, die erste, Rahel, war beinahe zwanzig und lebte einige Straßen weiter.
Der Vater Rahels war gestorben, als sie gerade vier war, vor sechzehn Jahren, eine der unzähligen, unnötigen Kämpfe, die angeblich im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit, aber in Wirklichkeit für die Gewinne einiger Privilegierter geführt wurden. Beide Parteien hatten Parolen gebrüllt, Fahnen geschwungen und Armeen aufgestellt. Ruth wusste schon gar nicht mehr, auf welcher Seite Johann gekämpft hatte, sie waren einander so ähnlich gewesen. Und am Ende hatte das Volk nur eine einzige Freiheit erhalten, die von ihren letzten Habseligkeiten, die sie vorher noch besaßen. Und viele Frauen waren frei von ihren Männern, die für Profit und Macht weniger Personen gestorben waren. Als Witwe hatten viele Männer sie als Freiwild betrachtet, mehr als einmal hatte sie gehört ‚Du bist doch keine Jungfrau mehr, also zier Dich nicht so. Kannst Dir auch ein paar Mäuse verdienen!‘ Ruth aber hatte die Zähne zusammen gebissen und die Schenkel geschlossen gehalten, sich ihre Unabhängigkeit ziemlich bewahrt und Rahel ernährt, mit manchmal drei Jobs war sie halbwegs über die Runden gekommen. Auf der Straße hatte sie von dem Projekt Tubeway gehört und war in das örtliche Büro in der Hauptstadt gegangen. Ja, man hatte die Verkehrsader gebaut. Ja, man könne auch in der Nähe wohnen. Nein, man müsse keine Vorbildung haben, aber die Bereitschaft, seine Kinder zur Schule zu schicken. Und man durfte nicht Drogenabhängig sein, ansonst wäre ein Entzug Bedingung. Nein, die Hautfarbe, das Geschlecht und die Herkunft spielten keine Rolle, auch der Familienstand nicht. Allerdings würden materiell minder bemittelte Personen bevorzugt, Witwen ohne Hilfe natürlich besonders. Reiche und Wohlhabende ohne existenzielle Sorgen bekämen erst später ihre Chance, es sei denn, sie unterstützten Bedürftige ganz direkt vor Ort. Ja, man könne eine Starthilfe beantragen und es gab medizinische Versorgung gratis.
Die GCC hatte damals ein neues Hilfskonzept entwickelt, nachdem sie zuerst versucht hatte, finanzielle Mittel in die Staaten zu pumpen und dieses Geld schneller verschwand, als es die Bank überweisen konnte. Nun unterstützte die Company die Staaten an sich nur noch wenig, gerade so viel, dass die Regierungen mit den eigentlichen Hilfsmaßnahmen einverstanden waren. Die General Cosmic half Menschen, die nichts oder nur wenig hatten, direkt, ohne staatliche Einrichtungen. Vor allem ohne Einbindung irgendwelcher Bürokraten, welche doch nur wieder die bereits Besitzenden und sich selbst vorzogen. Und die Company schickte nicht Geld oder Lebensmittel, oder doch nur in beschränktem Umfang. Vor allem zeigte sie den Menschen, wie sie sich selbst helfen konnten und stellten ein Umfeld zur Verfügung, in dem die Menschen das Gelernte umsetzen und so nicht in einer Abhängigkeit, sondern stolz von der eigenen Leistung leben konnten, solange sie gesundheitlich in der Lage dazu waren. Dann griff das Sozialsystem, in welches nach einiger Zeit auch die Bewohner der Tubetowns investierten. Und das System funktionierte, die meisten Starthilfen wurden lange vor der Fälligkeit getilgt, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Doch immer wieder hörten die Bevollmächtigten in Fort Burckhardt, Station Südsudan 20, Sätze wie:
„Danke für die Hilfe, aber erst wenn wir unsere Schulden bezahlt haben, sind wir wirklich frei! Manches werden wir nie zurück geben können, aber zumindest das Geld können wir!“
Ruths Drogentest war negativ verlaufen, sie hatte das Zeug ohnehin nie angerührt. Der Angestellte der Company gab ihr danach einen Plan und einen Treffpunkt. Sie war nach Hause gegangen, hatte ihre wenigen Habseligkeiten in eine zerschlissene Tasche gepackt und ihre damals achtjährige Tochter an der Hand genommen. Die General Cosmic hatte sie mit einem Schweber in die Kuppel Südsudan 15 gebracht, Fort Mariamne. Das war 2072 gewesen, seither lebte sie hier. Die Forts der GCC waren, wie es die Verantwortlichen von den Arkoniden übernommen hatten, von Robotern nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Im Zentrum einer Kuppel aus durchsichtigem Stahl von zwei Kilometer Durchmesser war ein Teich angelegt, kleine Häuser für einzelne große Familien, etwa 150 m2 Wohnfläche an geraden, großzügigen und teilweise mit Bäumen bepflanzten Straßen und ein großes, öffentliches Gebäude, wo auch die Schule und einige Läden untergebracht waren. Kleine Stände rund um den Teich, wo die Bewohner ihre Waren anbieten konnten, ein Hotel mit direkter Verbindung zum Tubeway, bequem auch mit rollenden ‚Gehsteigen’ zu erreichen, falls man mit der Magnetbahn reiste. Die Hauptstationen mit den entlang der Tubeway stationierten Truppen, vorwiegend Ranger auf ihren schnellen, schweren Schwebebikes, waren drei Kilometer im Durchmesser und beinhalteten natürlich noch eine Kaserne und ein Hauptquartier der Ranger.
Von ihrer Starhilfe hatte sich Ruth eine Nähmaschine gekauft und stellte nun traditionelle Kleider ihres Volkes her. Vor allem Festtagsgewänder, lebhaft, schreiend bunt und trotzdem luftig und leicht, mit jahrhundertealten Mustern. Für die Touristen entwarf sie mit ihrer Nachbarin, die einen Webstuhl besaß, neue Muster, die zwar den traditionellen Mustern ähnlich, aber ohne deren spirituelle Bedeutung waren. Ein anderer Nachbar hatte ein paar Ziegen und Hühner gekauft, er machte köstlichen Käse und lieferte Eier. Sie alle hatten nicht allzu viel, aber sie waren satt, gesund und in größtmöglicher Sicherheit. Der Käsemacher und seine Frau hatten einen Sohn, William, im gleichen Alter wie Rahel gehabt, sie gingen gemeinsam zur Schule und verstanden sich – nun ja, wie sich ein Mädchen und ein Knabe mit acht eben verstehen. Mal besser, mal schlechter, aber sie gaben aufeinander acht und standen füreinander ein.
Alle Bewohner von Fort Mariamne hatten ein ähnliches Schicksal, viele der Männer hatten Narben, die von den Kämpfen erzählten. Viele waren gebrochen und verzweifelt gewesen, hatten sich schon aufgegeben und waren von ihren Frauen nur mit viel Überredungskunst hierher gebracht worden, wo sie zwar langsam, aber doch wieder in ein zumindest halbwegs normales Leben fanden. Die meisten Männer hatten zu viel erlebt und zu viel erlitten, um ohne psychologische Betreuung zu überleben, die aber gab es eben nur hier in den Tubetowns. Als n*och beinahe Kinder von Uniformierten vom Feld, vom Pflug weg in eine Kaserne gebracht, mit Gewalt, körperlicher und seelischer Folter gebrochen und zum Töten dressiert worden und danach auf den Bruder, den eine andere Gruppe vielleicht aus dem gleichen Dorf geholt hatte, gehetzt. Für ein winziges Gebiet, das zum größten Teil aus Wüste bestand. Es hatte lange gedauert, viel zu lange. Doch letztendlich hatte die General Cosmic Company einen Ausweg gefunden, sie hatte das wertlose Stück Wüste einfach allen drei Parteien zu einem horrenden Preis abgekauft und dort die größte künstliche klimatisierte Oase gebaut. Die flache Kuppel hatte fünf Kilometer Durchmesser und eine Scheitelhöhe von 800 Metern, nötigenfalls durch starke Energieschirme geschützt. Afrikas Porte de étoiles, Stargate, Sternentor. Natürlich die afrikanische Hauptzentrale der GCC und der größte Space Port des Kontinents. Rhodan versuchte alles, auch die afrikanischen Regierungen an einen Verhandlungstisch zu bringen, um Probleme gemeinsam anzugehen. Seit einiger Zeit nicht mehr so ganz ohne Erfolg. Lange Zeit hatten die Afrikaner von den Kolonialherren gelernt, mit äußerster Brutalität zu regieren, noch härter, noch sadistischer, als ihre eigenen Stammesherrscher gewesen waren. Nun begann ein Umdenken, man muss Menschen oft nur eine Gelegenheit geben. Und ein gutes Beispiel sowie, ganz wichtig, eine gemeinsame Sprache, um einander zu verstehen.
Zwei Jahre hatte Ruth schon hier gelebt, kichernd und einander schubsend waren Rahel und William wie beinahe jeden Tag zur Schule aufgebrochen, und Ruth setzte sich an die Nähmaschine. Sie hatte von Mariam einen wunderschönen Stoff bekommen, die wollte davon ein hübsches Kleid. Eine Witwe wie Ruth, wollte sie damit einen Mann ködern, der vor kurzem einige Straßen weiter eingezogen war. Ruths Fall war Gabriel Habmun nicht, obwohl er ein durchaus netter Mann war, aber das berühmte Kribbeln im Bauch wollte sich eben nicht einstellen. Das stellte sich nur ein, wenn sie an Ranger Peer Tørvald dachte. Diesen riesenhaften, fast weißblonden Mann in seinem khakifarbenen hautengen Dress, die breiten Brustmuskeln, die starken Arme, wenn er dann den Helm abnahm und sein spitzbübisches Grinsen zeigte, wurden ihre Knie regelmäßig weich. Mehr als eine Tasse Tee jede Woche, wenn er routinemäßig vorbei kam, war bisher nicht vorgekommen. Ruth überlegte allerdings schon lange, wie sie das Thema anschneiden konnte. Vor der Tür ertönte ein leises Summen, das abrupt erstarb. War es denn schon so weit? Oh ja, Donnerstag, 10 Uhr 14. Pünktlich auf die Minute. Ihr Haus war das erste in der Straße, beinahe direkt am Teich, neben dem öffentlichen Gebäude, so hatten sie einander kennen gelernt. Vor seiner wöchentlichen Sprechstunde, in der man persönlich, nicht am Kommunikator, mit einem Ranger sprechen konnte, hatte sie ihm einen Tee angeboten, den er gerne annahm. Es war ein lieb gewordenes Ritual geworden, er kam immer ein wenig früher, um mit ihr zu plaudern. Die Dinka ging hinaus und winkte Peer herein.
„Einen Tee, Ranger?“
„Das Highlight meiner Runde“, antwortete er, nahm den Helm ab und grinste. Wieder fühlte Ruth die Schmetterlinge im Bauch und noch tiefer, Peer legte den Helm ab und musste den Kopf etwas einziehen, um durch die Tür zu kommen. Ruth war beileibe nicht klein, 189 Zentimeter ohne Schuhe, doch der Schwede überragte sie beinahe um einen Kopf.
„Mit Milch und Zucker, wie immer?“
Peer nickte. „Gerne!“
Ruth stellte zwei Tassen auf den Tisch, dann fasste sie sich ein Herz und durchbrach das Ritual.
„Sind Sie verheiratet, liiert oder sonst irgendwie gebunden, Ranger?“, fragte sie, heftig atmend vor Nervosität.
„Nur an meinen Eid als Tubeway-Ranger, Ma’am!“
„Könnten Sie, könntest du dir vorstellen, mich Ruth zu nennen?“ Zum Teufel, auch wenn er jetzt nie wieder kam, sie wollte endlich Klarheit schaffen.
Peer antwortete leise. „Ich weiß nicht. Ich bin einmal in der Woche hier, Ruth. Sonst lebe ich viele Kilometer entfernt in einer Kaserne. Ich kann nicht nach Fort Mariamne ziehen, von dir kann ich nicht verlangen, nach Burckhardt zu ziehen.“
Ruth nahm seine Hände in ihre. „Das reicht mir – für den Anfang. Einmal die Woche, da mussten Frauen schon mit schlimmerem Leben.“
„Und die freien Tage, die zwar unregelmäßig sind, aber…“ Ruths Kuss unterbrach Peers Worte, die nicht mehr nötig waren. Das weiße Kleid mit den roten und ockerfarbenen Mustern, das so reizvoll mit ihrer tiefschwarzen Haut kontrastiert hatte, glitt zu Boden, dann schälte sie den tapferen Ritter aus seiner Rüstung. Er hob sie auf seine muskulösen Arme und sah sich um.
„Dort hinüber”, wies sie ihm den Weg.
„Dann trage ich dich jetzt wohl über die Schwelle“, grinste er dieses Lächeln, das ihre Schmetterlinge immer und immer wieder flattern ließ.
Er schnupperte an ihr. „Du riechst so gut, nach Zimt und Gewürzen!“ Vorsichtig legte er sie ab. „Wirklich?“ fragte er leise, sie zog ihn zu sich.
„JA! Wirklich!“
Korporal Peer Tørvald war ein ehrlicher Mensch, der keine Lüge leben wollte, daher meldete er den Zwischenfall seinem Vorgesetzten. Obwohl er die Konsequenzen selbstverständlich kannte. Der Route des Schweden wurde sofort ein anderer Ranger zugewiesen, während Peer eine neue Tour erhielt. Nach zwei Wochen Sonderurlaub, in denen er seine Verhältnisse ordnen konnte. Die Ranger waren eine militärisch aufgebaute Polizeitruppe, die beide Aufgaben wahrzunehmen hatte, die Führungsebene wusste aber auch um der Schwäche der Menschen, die sie selbst ja auch besaß. Selbstverständlich waren Beziehungen erlaubt, nicht aber, wenn einer der Partner zu den Schutzbefohlenen zählte. Peer durfte Ruth privat oder dienstlich besuchen, nicht aber beides.
Zwischen Ruth Azanwenga und Peer Tørvald entwickelte sich eine offiziell geführte Wochenendbeziehung, mit der beide einigermaßen glücklich leben konnten. Peers Versuche, mit seinem Sold seiner Frau unter die Arme zu greifen, wurde von Ruth jedoch empört zurück gewiesen.
„Glaubst du wirklich, ich hätte meine Beine für dein Geld breit gemacht?“ wetterte sie wütend.
„Nein, das glaube ich nicht. Aber ich verdiene doch genug, dass ich dir helfen kann“, ging Peer in die Defensive.
„Ich habe mehr als genug zum Leben, und auch genug, um meine Tochter zu ernähren!“ Sie stampfte mit dem Fuß auf. „Wenn ich dich in mein Bett einlade, dann nicht, um Geld z’nehm‘n! Das hätt‘ ich früher schon g‘konnt, und ich hab’s nie g’macht!“ Ihre Aussprache litt unter der Aufregung, ihr Dinkadialekt brach sich Bahn. Tränen liefen über ihre Wangen, Peer zog die Widerstrebende an sich.
„Das wollte ich doch gar nicht sagen. Ich wollte nur helfen, weil – ich dich liebe, Ruth. Bitte, ich wollte dir doch nicht weh tun!“
Die Frau gab langsam ihren Widerstand auf und kuschelte sich an den Ranger. „Red‘ nie wieder d’von! Halt’ mich nur fest, ja?“ Und Peer hielt sie fest, zuerst mit seinen Armen, nach der Geburt von Salome mit einem goldenen Ring am Finger. Er war zwar immer noch nicht oft zu Hause, aber als Sergeant hatte er etwas geregeltere Dienstzeiten.
Ruth machte Salome rasch fertig und brachte sie zur Schule, ehe sie den Robodoc aufsuchte. Auf dem Nachhauseweg strahlte sie über beide Backen und besorgte eine Flasche Sekt. „Na warte, Peer! Du wirst Dich wundern. Ich hoffe nur, Jakob gefällt Dir. Oder doch besser Joseph?“
*
System Sol, Terra
Namibia
Laryana bestrich ihren Körper mit einer frischen Schicht aus einer Mischung aus Ockerstein, Butterfett und aromatischen Ölen. Sie wollte schön sein, heute war ein Festtag mit Musik, Tanz, gutem Essen, Trinken und vielleicht – nun ja, es wurde Zeit, einen Mann zu nehmen. Und heute kamen viele unverheiratete Männer aus anderen Dörfern. Sie flocht ihre Haare zu Zöpfen in die Stirn, jeder sollte sehen, dass sie noch ungebunden war. Laryana war eine stolze Himba und brachte schon einiges an Vieh mit in die Ehe, ihre Eltern waren, im Maßstab der Himba gerechnet, nicht arm. Dafür sollte es auch ein guter Mann sein, der sie bekam, viel musste er nicht besitzen, aber klug sollte er sein, schön, stattlich und stark. Wenn er auch noch ausdauernd war, umso besser. Sie betrachtete das grüne Land rings um sie herum. Als sie noch ein kleines Kind war, sah sie bis in weite Entfernung nur trockene Steppe, sie musste Kilometer um Kilometer wandern, nur um genug Wasser zum trinken zu holen, für die Menschen und das Vieh, in großen Plastikkanistern, mehrmals täglich, die Schultern und der Nacken schmerzten damals vom Tragen.
Sie rückte den Lendenschurz zurecht und kontrollierte noch einmal im Spiegel, ob sie auch rundherum schön mit Ocker eingefärbt war, auch zwischen den Bäckchen unter dem Fell um ihre Hüften. Kritisch beäugte sie sich, ihr Hintern war doch noch rund und prall geworden. Früher war sie ein dürres Etwas ohne Formen gewesen, das nie gedacht hätte, jemals erwachsen zu werden und Rundungen zu bekommen. Ja, früher, in ihrer Kindheit waren auch Durst und Hunger häufige Begleiter gewesen, besonders in der Dürrezeit. Ihre Heimat Namibia war eben kein sehr fruchtbares Land, Wasser gab es nur tief unter der Erde. Heute bewässerte dieses Rohr hoch am Himmel weite Teile des Kaokovelds und die Dörfer der Himba, die jetzt mit ihren Herden unter den durchsichtigen, riesigen Kuppeln wohnten. Sonst hatte sich an ihrem Leben nicht viel geändert, sie zogen mit ihren Tieren in den ausgedehnten, geschützten Kuppeln umher, pflanzten ein wenig Getreidepflanzen und machten schmackhaften Käse. Draußen, im freien Land, streifte Jagdwild durch die immer mehr ergrünende Steppe und bereicherte den Speiseplan, aber auch Löwen und andere Raubtiere kamen in die Gegend zurück. Für Laryana kein Problem, und für ihr Volk auch nicht. Sie hatten ihr Vieh unter dem durchsichtigen Stahl in Sicherheit, bei der Jagd musste man eben vorsichtig sein, wenn nicht, wurde man wie seit Anbeginn der Überlieferung eine Mahlzeit der tierischen Jäger. Auch Löwen waren hungrig und hatten Junge zu füttern, das gehörte von je her zum Leben, es war eine ganz natürliche Sache. Zu den anderen Dörfern fuhr man bequem mit der Magnetbahn, mehr brauchte man als Himba doch nicht, zumindest im Normalfall. Laryana und ihre Freundin Ashyagada waren anders gewesen, sie waren als kleine Mädchen schon neugierig und hatten mehr Fragen, als der ganze Stamm beantworten konnte. Als dann 2073 dieser Zweig des panafrikanischen Verkehrsnetzes gebaut wurde und die Leute, die dabei beschäftigt waren, ebenfalls nicht alles wussten, den Himba aber sagten, dass in Palmwag eine Schule war, wo alle Fragen beantwortet wurden, schickten ihre Familien die Mädchen dorthin. Mit der funkelnagelneuen Tube.
Dort wurden ihre Fragen zwar beantwortet, doch jede Antwort warf schon wieder neue Fragen auf, es schien kein Ende zu nehmen. Heute wusste Laryana, dass es nicht nur ihr so ging, das menschliche Wissen war begrenzt, nie konnte ein Mensch auch nur einen Bruchteil erahnen. Sie war zum Start-und Endpunkt der Tube in der Terrace Bay an der Skelettküste gefahren, wo auch das ganze Wasser für Namibia aufbereitet wurde, und hatte dort lange auf das Meer geschaut. Dann hatte sie es erkannt. Sie konnte einen Tropfen erforschen, vielleicht sogar die Bucht, die sie vor sich sah, aber nie das ganze Meer. Denn wenn sie ein paar Kilometer entfernt wieder ans Meer kam, dann war es zwar das gleiche Meer, trotzdem aber wieder ganz anders. Das Universum entzog sich schon durch seine schiere Größe jeder endgültigen Erforschung. Und doch hatte schon ein winziger Tropfen an Wissen gereicht, das Leben der Himba enorm zu erleichtern, indem er ihnen fruchtbaren Boden und Sicherheit gab. Niemand wollte den Himbas mehr eine Lebensweise aufzwingen, die sie nicht wollten, man erleichterte ihnen nur das Überleben und ließ sie ihre Entscheidungen selber treffen.
Laryana ging von Terrace Bay an die Universität in Windhuk und studierte dort Hochenergiefeldtheorie und zur Entspannung Geschichte, ihre Freundin Ashyagada Hyperquantensemiwellentheorie im Hauptfach und nebenbei Exosoziologie. Und sie dankte den Ahnen, dass es heute möglich war, wieder traditionell zu leben – oder auch modern, wie immer man wollte. Oder beides, so wie sie sich entschieden hatte. Noch ein paar duftende Essenzen unter den Achseln und unter den Brüsten verrieben, dort schwitzte man besonders stark bei den traditionellen Tänzen, und sie war fertig für den Abend.
Die junge Frau verließ die Hütte, um sich zu ihren Freundinnen zu gesellen, von denen manche wie sie ihre Jeans und Smartphones in den Hütten gelassen hatten und nur den Lendenschurz und jede Menge Schmuck trugen. Hals- Arm- und Beinringe, die sie teilweise von ihren Urgroßmüttern geerbt hatten, die anderen hatten nie mehr Kleidung als den Lendenschurz getragen und auch in ihrem ganzen Leben kein Phone besessen, ohne sich deshalb schlechter zu fühlen. Der Schmuck war aus Holz, Knochen und Muscheln, kaum Metall, wie die Himba ihn schon seit hunderten Jahren trugen, jede Farbe, jede Flechtung, alles hatte eine Bedeutung. Die halbnackten, mit der rötlichen Farbe bemalten Mädchen kicherten und alberten noch ein wenig herum, wiesen einander auf besonders gut aussehende Jünglinge hin, plauderten noch etwas.
„Wo ist Ashyagada? Sie wird noch zu spät kommen“, fragte eine der Freundinnen, die ausschließlich traditionell lebten, und Laryana antwortete.
„Ashyagada kommt so schnell nicht mehr zu unseren Festen. Sie hat mit einem Mann gesprochen, ist dann nach Porté de étoiles gefahren und dann noch weiter, hinauf zu den Sternen!“
„Oh” Betrübt ließen einige Mädchen den Kopf hängen. „Wie…“, begann Hamayalara mit belegter Stimme, und Laryana lachte und nahm die Freundin bei den Händen.
„Nein, nein, sie ist nicht gestorben. Dort oben fliegen große Kuppeln, so wie unsere hier, damit kann man zum Mond und noch viel, viel weiter reisen! Dort ist sie hingegangen.“
„Wozu?“, wunderte sich die Freundin. „Hier gibt es doch alles, was man braucht. Wie will sie da oben einen Ehemann finden.“
Laryana drückte noch einmal Hamayalaras Hände. „Sie wird einen Mann finden, der kein Himba ist, da gibt es auch viele ganz nette Menschen. Und sie will ihrer Neugier folgen, es war ihr Wunsch.“
„Na schön!“ Hamayalaras Lippen konnten wieder lachen. „Wenn es ihr Wunsch war. Verstehen kann ich’s nicht, aber – jeder wie er will!“
„Jeder, wie er will!“, echoten die Mädchen. Dann begann das Fest und sie begannen, rhythmisch in die Hände zu klatschen und stimmten den ersten Gesang an, zu dem sie sich sinnlich im Takt wiegten. Laryana wollte heute ganz traditionell einen Ehemann finden, ehe sie auf die Uni zurückkehrte, sie konnte doch Wissenschaftlerin und traditionsbewusste Himba sein, oder etwa nicht?