Prolog:
„Akira Otomo, wer ist schon Akira Otomo? Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was man über ihn sagt, ach, wenn nur zehn Prozent stimmen, dann ist er drei Meter groß, zwei Meter breit, hat seinen Hawk immer im Handtäschchen dabei und kann alleine mit einer Armbewegung ganze Regimenter auslöschen.

Glauben Sie nicht auch, dass das selbst für ihn zuviel Macht wäre? Münchhausen würde vor Scham erröten wenn er hören könnte, was alles über Akira Otomo als Wahrheit verbreitet wird!“

(Aus einer Diskussionsrunde zwischen Experten zur Frage: Wer ist der beste Mecha-Pilot der Erde?)

1.

Alarm war schon immer eine zweischneidige Sache. Einerseits peitschte die Sirene das Adrenalin auf, regte den Kreislauf an, spannte alle Sinne fast bis zum zerreißen.

Zugleich aber rutschte einem auch das Herz in die Hose und die Übersensibilität führte schnell zu Flüchtigkeitsfehlern, woran man sich wegen der angespannten Sinne immer und genauestens erinnern konnte.

Als die Sirenen im unheilvollen Rhythmus des Luftalarms zu heulen begannen und die Bevölkerung der Stadt in die Bunker und besonders befestigten Keller rief, reagierte ich sofort und tat das, was ich tun musste: Einen Hawk erreichen, einsteigen und irgendjemanden kräftig in den Arsch treten.

Komischerweise ging mir die ganze Zeit mein Gespräch mit Ban Shee Ryon nicht aus dem Kopf. Andererseits, wieso komischerweise? Sie hatte mir die nähere kosmische Nachbarschaft offenbart und drei Reiche gezeigt, gegen die unsere Erde und die klitzekleine Sonne nicht mehr als eine Randbemerkung waren, eine Fußnote, ein schlechter Witz.

Vor allem, wenn wir hier auf der Erde irgendwann und eines Tages mal mit der Armee einer dieser Staaten konfrontiert waren und noch immer kleinliche Kriege gegeneinander führten.

Mist, Mist, Mist, das Universum war gerade größer, weiter und vor allem gefährlicher geworden. Und ich hatte nicht das Gefühl, das wir weiterhin unauffällig im Hintergrund sitzen konnten, nicht wenn Ryon die Wahrheit gesagt hatte und geflohen war. Irgendjemand suchte die Geflohenen bestimmt. Garantiert. Fand hierher. Und trat uns mächtig in den Arsch.

Aber es wäre vermessen zu denken, dass dies ausgerechnet hier und heute passieren würde.

„Tetsu, mein alter Freund, hast du einen Hawk für mich? Meiner ist auf Senso Island. Weil irgend so ein Idiot – nennen wir ihn Captain Genda – die Einfuhr von Mechas auf Hawaii untersagt hat.“

„Autsch, autsch, autsch. Akira, nimm das Schwert aus meinem Rücken. Du kannst mich später zweiteilen und in der Wunde stochern“, knurrte der Anführer der Kame-Squad zurück. „Mit einem Hawk kann ich dir nicht dienen, aber mit ein paar Daishis. Was hast du lieber, Briareos oder Gilgamesch?“

„Ich nehme einen Gilgamesch. Habt Ihr keine Daedalus?“, meldete sich eine zweite Stimme neben mir.

Ich sah zur Seite und erkannte Michi Tora. „Kleiner, vielleicht solltest du es langsam angehen lassen.“

Ein Militärhubschrauber der Unterstützungsstreitkräfte – hauptsächlich Infanterie, Artillerie, Marine und Luftabwehr – setzte gerade vor uns zur Landung an. Zwanzig sehr gut ausgerüstete Elitesoldaten quollen hervor, nahmen Sicherungsstellungen ein.

Der Anführer, ein Lieutenant, salutierte vor Tetsu. „Sir, Sie müssen so schnell wie möglich zurückkehren. Wir haben einen Drop. Und wenn die eingehenden Daten stimmen, ist es ein Big Drop!“

„Wissen wir schon, wer es versucht?“

„Negativ.“

„Checken Sie Ihre Langstreckenscanner, Lieutenant“, rief ich, während ich mich an den Soldaten vorbei in den Hubschrauber zwängte. „Wer immer den Zauber veranstaltet, wird bestimmt ein paar Beobachtungs- oder Kommandoschiffe da draußen haben, um ein Auge auf die Entwicklung zu haben.“

„Gute Idee, Sir. Wird Colonel Otomo am Einsatz teilnehmen?“

Die Soldaten fluteten wieder an Bord, der Helikopter hob an. Ich machte es mir zwischen Michi und einem weiblichen Private bequem, der mich beinahe mit Sternchenaugen anfunkelte. „Er wird.“

Der Jubel, der daraufhin den Transportraum erfüllte war mir etwas peinlich. Normalerweise verursachte eine solche Ankündigung Angst, Schrecken und Terror. Das war mir wesentlich lieber.

„Genda hier. Machen Sie sofort ein paar Beute-Daishis klar. Wir… Captain Honda hat… Ja, in der Tat, der Colonel wird einen Briareos fliegen. Captain Kruger ebenfalls? Sie sollen warten. Und machen Sie noch einen Gilgamesch fertig, wir bringen einen weiteren Piloten.“

Tetsu schaltete ab und musterte den jungen Burschen. „Hoffe ich.“

„Sei nicht so skeptisch, Tetsu. Der Kleine hat es drauf.“

Erschrocken zuckte der riesige Kerl zusammen. „Sa-sa-sakura! Was machst du denn hier?“

„Ich bin mit euch an Bord gekommen. Ich sitze seit wir gestartet sind neben dir. Sag bloß, das hast du nicht bemerkt?“

„I-iiiich war beschäftigt.“

„Na, wenigstens scheinst du deine Arbeit ernst zu nehmen“, spottete sie milde.

Sie suchte meinen Blick. Ich erwiderte ihn fest.

„Könnte das eine kronosische Aktion sein, von der du nichts weißt, Cousinchen?“

„Keine Chance. Eine derart große Truppenbewegung wie für einen Big Drop wäre mir aufgefallen. Und wenn sie alle Truppen für diese Aktion vom Mars geholt hätten, hätten wir die Schiffsbewegungen gesehen.“

„Was bleibt dann noch? Wer will im Konzert der Großen mitspielen? Die Südamerikanische Föderation? Seit Kriegsausbruch hat sie sich sehr engagiert gezeigt, ihr Territorium und ihren Einfluss zu vergrößern.“

„Eher die Chinesen oder die Inder. Die Chinesen, um endlich den Rücken frei zu kriegen oder die Inder, weil sie es können.“

„Ihr habt die wahrscheinlichste Möglichkeit vergessen“, meldete sich Michi zu Wort. „Es sind die Amerikaner.“

Tetsu runzelte die Stirn. „Wir sind defacto amerikanisch, sprich Teil der Vereinigten Staaten von Amerika. Was würden sie gewinnen, wenn sie ihr eigenes Gebiet angreifen?“

„So kannst du das auch nicht sehen. Zwar ist die Verwaltung amerikanisch, aber das Militär ist unabhängig und wird nicht vom Pentagon aus kommandiert. Die Steuern und Abgaben fließen auch nicht nach Washington, und was das Wichtigste ist: Es sind keinerlei amerikanische Truppen auf Hawaii stationiert. Dabei wäre dies ein tolles Sprungbrett für einen Angriff auf Japan oder China.“ Ich massierte meine Schläfen. „Dennoch. Nicht die Amerikaner. Nicht jetzt und nicht hier. Bitte, bitte nicht.

Aber wenn sie es doch sind, Tetsu, dann müsst Ihr hinterher die amerikanische Verwaltung rausschmeißen.“

„Nun wartet doch erst mal ab!“, fauchte er.

Auf dem Gelände der Squad angekommen eilten wir sofort zu den bereit stehenden Mechas. Ich hielt auf jemanden zu, der einen himmelblauen Helm mit dunkelblauen Blitzen hoch hielt, die Farbe trocknete gerade erst. Und ich hatte Recht. Dies war mein Daishi Briareos.

„Sir, wir haben ihn mit einer Sniper-Gun, einer Gatling und einem Laserraketenabwehrsystem ausgerüstet. Der Briareos läuft auf Fusionsreaktor und ist nicht mehr der Neueste. Achten Sie darauf, nicht getroffen zu werden.“

„Was? Und dem Gegner die einzigen Erfolgserlebnisse gegen Aoi Akuma nehmen? Sie sind mir ja einer.“

Der Mann grinste breit, und langsam fragte ich mich, ob ich meine kleine Insel nicht aufgeben und gegen diese acht hier eintauschen sollte.

Immerhin, hier gab es Kneipen, Supermärkte, Bekleidungsshops mit meinen bevorzugten Jeanssorten – und italienische Eisverkäufer. Das sprach alles sehr dafür.

Der Techniker half mir beim anschnallen und befestigen der Anschlüsse. Danach aktivierte ich die Künstliche Intelligenz.

„Identifikation“, meldete sich die K.I. zu Wort.

Otomo, Akira. Notfallcode Lima, Lima, Quebec.“

„Ihre Autorisation wurde anerkannt, Otomo, Akira. Diese Einheit steht Ihnen nun zur Verfügung.“

„Okay, Einheit, dann gib mir einen Statusbericht und einen über die Lage.“

„Status in allen Bereichen grün. Sniper-Rifle vollwertig mit K.I. vernetzt. Gatling-Rifle vollwertig mit K.I. vernetzt. Laser-Raketenabwehrsystem aufgeladen und bereit. Synchronisation zwischen K.I. und Pilot beträgt neunundneunzig Prozent.“

Ich pfiff anerkennend. Da die K.I. eines Mechas die Maschine hauptsächlich nach Instinkten und Gedanken des Piloten lenkte, war eine gute Vernetzung mit ihr das A und O. Mit dieser alten Mühle erreichte ich eine ebenso gute Vernetzung wie mit Primus.

„Lagebericht: Aus einer Höhe von mittlerweile zwanzig Kilometern fallen vierhundertsieben Abwurfkapseln, jede einzelne ausgelegt, vier Mechas der Klasse Hawk zu befördern. Eintreffen der Kapseln in der Troposphäre in dreißig Minuten, achtundfünfzig Sekunden.“

Im Maximalfall bedeutete dies für uns – falls Sparrows an Bord der Kapseln waren, was fünf Mechas pro Kapsel bedeutete – etwas über zweitausend Gegner.

Wenn es Eagles waren, passten hingegen nur drei rein.

Ich erwartete eine solide Mischung, also um die tausendvierhundert Mechas.

Das gleiche galt übrigens auch für Daishis der Klassen Agamemnon, Briareos und Gilgamesch, die Daedalus noch nicht eingerechnet.

„Akira, hast du den Lagebericht? Verdammte Scheiße, ohne unsere Fairies schaffen wir das nie im Leben!“

„Ruhig, Yuri, es sind ja nicht nur wir drei.“

„Ähemm.“

„Den Platz in der Einheit musst du dir erst verdienen, Michi.“

„Richtig. Wer ist der Bengel überhaupt? Und warum steigt er in einen Gilgamesch?“

„Weil er es kann“, erwiderte ich trocken. „Kannst du eine Fairy aufnehmen, Kleiner?“

„Platz hätte ich schon“, erwiderte Tora mit ungerührter Stimme. „Aber ich bezweifle, dass wir zusammen kämpfen können. Das ist mein erstes Mal, dass ich mit einer Fairy zusammen kämpfe.“

„Das trifft sich gut, es ist auch Akaris erstes Mal. Schafft mir Akari herbei. Dai-Kuzo hat gesagt, sie ist eine besonders starke Fairy.“

„Akira, du wirst doch nicht… Wenn du sie schon als Fairy missbrauchst, warum nimmst du sie nicht mit? Oder überlässt sie mir?“

„Weil ein Briareos zu klein für zwei Personen ist. Zumindest wenn die Personen kämpfen wollen. Für ein paar beengende Erfahrungen im Hautkontakt für Fortgeschrittene wäre es hingegen genau richtig. Und du kriegst sie nicht in deinen Gilgamesch, weil du Sarah mitnehmen wirst.“

„Pah! Sarah ist keine Fairy!“

„Kitsune ist da anderer Meinung. Apropos Kitsune, wo ist sie wenn ich sie mal brauche?“

„Dennoch! Sie ist keine Kriegerin! Willst du sie zur Schlachtbank führen, oder was?“

Ich grinste dünn. „Lassen wir sie doch entscheiden. Außerdem, ohne Fairies sind wir hier verloren, da hat Yuri schon Recht.“

„Bin ja schon da. Danke fürs warten“, klang Kitsunes Stimme auf, als sie in Fuchsgestalt ins Cockpit gewuselt kam und sich auf meinem Schoß einrollte.

„Also, damit haben wir drei Einheiten mit Fairies. Künstliche Intelligenz, ich gebe dir jetzt einen Namen. Ab sofort heißt du Lightning.“

„Verifiziert, Sir.“

„Gut, Lightning, verbinde mich mit der Kamehameha-Squad.“

„Verbindung steht, Sir.“

„Otomo hier. Könnt Ihr mich hören?“

„Genda hier. Wir hören, Colonel.“

„Was hat die Erkundung ergeben? Was ist an Oberflächenschiffen da draußen?“

„Wir haben vermehrt Schiffe der U.S. Navy beobachtet, die sich hart an der Grenze unserer Radarreichweite bewegen.“

„Verdammt! Diese Idioten!“ Wenn es wirklich die Amis waren, die diesen Unsinn hier veranstalteten, dann hatten sie keine Kosten gescheut. Und sie schreckten auch nicht vor einem Blutbad zurück. Fast zweitausend Mechas würden für sie einen ordentlichen Aderlass bedeuten. Einen verdammt großen Aderlass. Natürlich rechneten sie nicht damit, dass diese Aktion schief ging, immerhin überboten sie die Invasionsstreitmacht des Big Drop um das fünffache.

Und wenn sie schief ging, dann… Dann war es Sense mit dem Gleichgewicht der Kräfte. Es hatte irgendwann kommen müssen, aber doch nicht so schnell, so früh.

„Okay, ich habe nach Akari und Sarah schicken lassen. Akira, dafür haue ich dir nachher eine rein, das sage ich dir.“

„Sei mein Gast, Dai-chan. Wahrscheinlich habe ich es dann sogar verdient.“

Ich krampfte meine Hände um die Kontrollen. „Verdammt verdient.“

„PUTZ DICH DOCH NICHT IMMER SELBST RUNTER!“, blaffte Dai-chan. „Das hast du nicht verdient und das haben wir nicht verdient. Weißt du wie wir uns fühlen, wenn du strauchelst? Ich versuche doch nur ein Ventil für meine Nervosität zu finden.

Ich liebe dich doch, Kumpel.“

Ich schwieg verblüfft. „Ich liebe dich auch, aber nimm das nicht als Einladung, heute Abend an meiner Tür zu kratzen.“

„Blödmann!“, blaffte er. „Allerdings würde es drei Dinge bedeuten: Es gibt mich noch, es gibt dich noch, und es gibt noch Türen.“

„Ist ein Argument.“

„Eintreffen der Kapseln in der Troposphäre in zwölf Minuten.“

„Okay. Tetsu, wie sieht es mit eurer Luftabwehr aus?“

„Unsere Langstreckenwaffen arbeiten bereits in einem Sperrriegel aus dreißig Kilometern Distanz und einer Maximalhöhe von acht Kilometern. Wir haben in etwa zweihundert Raketen für diesen Job bereit. Die Kapseln werden sich in frühestens sechs Kilometern öffnen, ich rechne mit vierzig Prozent Treffern.

Unsere Flak-Panzer und unsere stationären Kanonen schaffen es bis in eine Höhe von vier, beziehungsweise acht Kilometern.

Ich rechne mit drei Schuss, bevor sie aufgeklärt sind oder vernichtet werden. Wir verfügen über vierzig Flak-Panzer und etwas über zweihundert stationäre Kanonen.

Ich rechne mit vielleicht vierhundert Treffern, von denen knapp die Hälfte der Kapseln erwischen wird, die andere Hälfte Mechas. Es bleiben also für den Nahkampf und den Bodenkampf hundertzwanzig bis hundertvierzig Kapseln, beziehungsweise umgerechnet gut fünfhundert Mechas.“

„Ich bezweifle, dass der Gegner mit einem solchen Gemetzel zum Auftakt seines Drops rechnet“, murmelte ich leise. Über die Hälfte der Einheiten noch vor dem ersten Schuss zu verlieren musste das Pentagon treffen wie eine Dusche mit Eiswasser.

„Fünfhundert Mechas, das ist doch zu schaffen.“

„Ja, falls über die See keine weiteren Einheiten geschickt werden“, schloss Yuri. „Tetsu, wie sieht es mit Sabotage aus, um die Luftabwehr zu vernichten?“

„Wir können so etwas nicht verhindern, aber wir sind auf der Hut. Die Infanterie geht erst kurz vor dem eigentlichen Angriff in die Bunker, und dann auch nur ein Teil. Der Rest verteilt sich mit Anti Mecha-Bewaffnung in den Städten.“

„Sarah und Akari sind da. Genau rechtzeitig fürs Gemetzel.“

Ich ließ Yuris Worte in mir nachklingen. Ja, Gemetzel, das traf es wohl. Und mein Job war es, dafür zu sorgen, dass es nicht die Verbündeten oder Zivilisten traf.

2.

Die Raketensilos von Hawaii öffneten sich bei positiver Erfassung selbstständig und feuerten ihre Raketen auf die erfassten Ziele. Nachrichten von versuchter und erfolgreicher Sabotage erreichten uns, aber es war abzusehen, dass der gegnerische Geheimdienst die Anzahl der Raketen schlicht unterschätzt hatte.

Über einhundertsiebzig schossen in den Nachmittagshimmel von Hawaii, auf die mittlerweile gut sichtbaren Abwurfkapseln zu. Abwehrsysteme waren keine zu erkennen, dennoch explodierten viele Raketen bevor sie die richtige Höhe erreicht hatten. Mehr als achtzig schafften es hindurch, suchten sich ihre Ziele und folgten ihrer Bestimmung.

„Abschüsse bestätigt. Erste Welle vernichtete siebenundsechzig Kapseln, weitere sechzehn wurden bestätigt.“

Ich atmete tief ein und langsam aus. Dort oben waren gerade über zweihundert Leben vergangen.

Nun begann die Artillerie aus ihren befestigten Stellungen zu feuern, der Donner röhrte über das Eiland und verschreckte die Tierwelt und alle, die noch nicht in einem Bunker verschwunden waren.

Wenn die Flakpanzer einfielen und sich die ersten Kapseln öffneten, um ihre Fracht abzuwerfen, wurde es auch für uns Zeit zu starten und in den Kampf einzugreifen, der im Moment eher einem Tontaubenschießen glich.

Was war schief gelaufen? Oder was hatte die Amis dazu bewegt, eine derart wahnsinnige Materialorgie zu veranstalten? Das, was ich da sah, war purer Wahnsinn. Nicht einmal die Landung in der Normandie versprach so blutig zu werden wie dieses Desaster.

Nun, von meinem Standpunkt aus musste es wohl überwältigender Sieg heißen.

„Berechnung, Sir.“

„Was gibt es, Lightning?“

„Nach Analyse der Kapseln habe ich festgestellt, dass die erste Welle, bestehend aus über einhundert Exemplaren, leer sein muss. Die zweite Welle, bestehend aus zweihundert Kapseln ist gefüllt, aber die Hochrechnungen sprechen von unorganisierter Ladung, die nicht ganz dem Gewicht von zwei Hawks entspricht. Lediglich Fallwinkel, Aerodynamik und Fallgeschwindigkeit der dritten Welle deutet auf volle, organisierte Beladung hin.“

„Moment mal, Lightning, willst du mir etwa weismachen, dass die ersten hundert leer sind? Und die nächsten zweihundert mit Schrott gefüllt?“

„Nun, es muss nicht Schrott sein. Es können auch Clustersprengköpfe sein.“

Mein Blick ging runter zu Kitsune, die zu mir hoch sah. „Oh-oh…“

„Oh-oh, trifft es nicht ganz. Wann wird die zweite Welle beschossen?“

„Der Beschuss begann vor zehn Sekunden.“

„Warnung an alle Einheiten.

Zoom ran, Lightning. Ich will sehen, was aus den Explosionswolken raus kommt. Falls was raus kommt.“

Der Zoom meiner Sicht fuhr näher an die Kapseln ran, bis dicht an die Explosionen der auseinander platzenden Kapseln.

Was ich sah war hauptsächlich brennender Metallschrott. Und in diesem Metallschrott entdeckte ich… „Sir. Soeben brach der Funkkontakt zu den anderen Einheiten ab. Ich vermute, dass der Gegner Störsender ins Spiel gebracht hat.“

Eine Explosion auf der Insel ließ mich zusammenfahren. Na Klasse, ich konnte mir schon denken, was gerade hoch gegangen war, der zentrale Verteiler für die Glasfaserverbindung, über die sämtliche Posten und Geschütze Oahus, der Hauptinsel miteinander verbunden waren.

Nun, mit gestörtem Funk und fehlender Kabelkommunikation blieb uns nur noch die Kommunikation per Laser, außer der Gegner würde…

„Na klasse, Metallstaub. Was kommt als nächstes? Nackttanzgruppen, die unsere Piloten ablenken sollen?“

„Sieh es ein, Akira, der selbstmörderische Angriff war gar nicht so selbstmörderisch. Und wenn du jetzt nicht aufpasst, dann wird uns ganz mächtig in den Hintern getreten.“

Ich grinste wölfisch. „Kitsune, Kitsune. Du solltest eines nicht vergessen. Das hier ist unser Spiel. Und in unserem Spiel wurde ich noch nie geschlagen. Kommunikation, pah, wer braucht Kommunikation?“

„Sir, die dritte Wellen entlädt sich. Ich zähle dreihundertsiebzig Hawks und zwanzig Eagles. Korrigiere, dreiundzwanzig Eagles. Störsender fahren auf volle Leistung hoch.“

„Na also.“

Ich trat die Pedale der Düsen durch. In dem Moment, der vermeintlicherweise unsere verwundbarste Zeit war, wurde der Gegner selbst verwundbar, sprich leichter zu treffen und noch leichter zu verunsichern.

Mein Daishi schoss in die Höhe, hinter und neben mir erwachte das Abwehrfeuer von Hawaii zu neuem Leben. Ohne direkte Kommunikation musste ich bei meinen waghalsigen Manövern mächtig drauf aufpassen, nicht vom Feind ODER vom Freund getroffen zu werden, aber Hey, ich hatte meinen Ruf nicht im Lotto gewonnen.

Auf tausenddreihundert Metern Distanz zum nächsten Mecha, einem Hawk, eröffnete ich das Feuer mit der Sniper-Rifle. Es wurde der erste Schuss, den ein Mecha in dieser Schlacht auf einen anderen abgab. Er durchschlug die obere Brustpartie und zerstörte dessen Batterie. Haltlos stürzte der Mecha zu Boden.

Dies weckte die anderen auf, und während das Abwehrfeuer immer intensiver wurde – dummerweise wurden manche Ziele dreifach oder vierfach anvisiert, was den Abwehrschirm wirklich, wirklich löchrig machte – schlug mir eine Flut an Granaten entgegen.

Ich wirbelte den Daishi herum, Yuri schoss an mir vorbei, brachte die Waffen seines Briareos hoch und erzielte für die Mechas den zweiten Abschuss in dieser Schlacht.

Der Beschussraster wurde immer enger für uns, Dutzende Raketen senkten sich auf mich hernieder. Ich fixierte jeden einzelnen Gefechtskopf per Blicklink und ließ die Rakabwehr arbeiten. Von siebenundfünfzig Raketen schafften es nur neun, und die tanzte ich aus.

Fünf Kilometer von mir entfernt, in etwa auf gleicher Höhe, hatte Daisuke das Kampfgebiet erreicht. Sein Mecha glänzte wie frisch eingeölt. Also hatte Kitsune doch recht gehabt und Sarah war eine Fairy. Das was den Mecha da umgab war Aura-Kraft. Sehr effektive, eine Menge Schüsse und Hiebe einsteckende Aurakraft.

„Übersicht, Lightning.“

„Alle vierundzwanzig Mechas befinden sich jetzt im Gefecht, Sir. Die Zahl der Gegner hat um elf Prozent abgenommen. Schäden an drei Hawks und zwei Sparrows unserer Verbündeten.“

Die wendigen kleinen Sparrows würden gravierende Schäden nicht auf die Dauer aushalten, zudem genügte ein „eins in einer Million“-Glückstreffer, um die Fusionsbatterie zu vernichten und den ganzen Mecha zu den Fischen zu schicken. Ich war nicht der einzige Pilot mit Glück hier oben.

Gut, die erste Minute hatten alle überlebt. Auf zur zweiten.

„Akira, bis gleich“, sagte Kitsune und sprang von meinem Schoß – direkt durch die Cockpit-Panzerung. Oh, ich wünschte, sie würde so etwas nicht mehr machen. Das verleidete doch wirklich jedem Menschen die Illusion, mit einem normalen Menschen zu reden. Und im Bett war das furchtbar wichtig.

Ich verfolgte ihren Sprung, ehrlich, dreihundert Meter und Punktlandung auf einem Hawk, das machte ihr so schnell keiner nach, orientierte mich neu und verlegte mich von Sniper-Gewehr auf Gatling.

Während ich einer weiteren Granatensalve auswich und meine eigene Waffe abfeuerte, klopfte die Rationalität an meinem Verstand an und meldete: Du hast keine Fairy mehr.

Vor mir zerplatzte ein Hawk, getroffen von der Gatling. Der Rest, inklusive Pilot, fiel in kleinen Fetzen zu Boden. Aber das dämmte nicht den Effekt der Erkenntnis, einen niederschlagenden Effekt.

„Verdammt!“

Wütend trieb ich den Daishi voran, riss einem Hawk, der unaufmerksam war, die Artemis-Lanze vom Rücken und ging in den Nahkampf.

Zeit, nach meinen Freunden oder sogar nach der Kame-Squad zu sehen hatte ich nicht. Und ohne Kommunikation konnte ich nur hoffen, dass Lightning schlau genug war mir zu sagen, wenn einem der Arsch auf Grundeis ging.

Ein heftiger Schlag in den Rücken erinnerte mich an zwei Dinge. Erstens, wir hatten Artillerie, die mich nicht warnen konnte, wenn sie schoss.

Zweitens, die hatten Eagles, und diese Eagles zu Schrott zu kloppen sollte eine gute Idee sein.

Also trat ich wieder die Pedale der Düsen durch, der Mecha machte einen Sprung nach oben.

Wie erwartet hielten sich die Eagles auf Distanz, um ihre Artilleriefähigkeiten besser zum tragen bringen zu können. Und um vor uns sicher zu sein.

Sicher? Der Gedanke amüsierte mich. Bestimmt nicht vor mir.

Wütend fuhr ich auf, raste auf den ersten Eagle zu. Ich passierte die Maschine, achtete kaum darauf, ob ich mit der Artemis-Klinge traf oder nicht, ließ den Daishi einen Salto rückwärts machen und trat nach drei Viertel des Weges die Pedale erneut durch.

Abwehrfeuer und Raketen verfolgten meinen Kurs und zerstieben die Luft dort, wo ich jetzt eigentlich hätte sein müssen.

Wieder huschte ein Lächeln über mein Gesicht. Ein wildes, entschlossenes Lächeln. Es gab einen Grund dafür, dass man mich blauer Teufel und nicht blauer Blitz nannte.

Wenn es sein musste kam ich schlimmer über die Gegner als der Teufel über die Sünder.

Der kurze Tritt auf die Schubdüsen hatte mich zum nächsten Eagle gebracht. Ich machte erneut eine Rolle, driftete zur Seite weg – und hatte kaum Zeit, richtig auf die Pedale zu treten.

Mein eigentliches Ziel wurde von Friendly Fire zerstört, was mich ehrlich gesagt frustrierte. Hey, das war mein Job!
Aber okay, so kam wenigstens einer meiner Kollegen in mein Blickfeld und ich konnte mir ein paar Sekunden nehmen, um ihm bei der Arbeit zu zu sehen. Es war ein Gilgamesch, und er räumte mächtig unter den Eagles auf.

Wenn ich sah, wie jede einzelne Granate, die er abfeuerte vor Aura glänzte, konnte ich nur neidisch auf seine Fairy werden. Ich hätte nicht gedacht, dass Daisuke und Sarah so gut harmonierten und… Nein, das war Michi! Was machte der Rotzbengel im dichtesten Gewühl? Und vor allem mit meiner kleinen Schwester? Oh ja, der Bengel war so tot, so richtig tot!

Der Alarm, der das plötzliche fehlen des Sniper-Gewehrs meldete – inklusive rechtem Arm – brachte mich wieder in die Realität zurück.

Ach ja, ich hatte noch was zu tun.

„Status, Lightning.“

„Drei Hawks der Kamehameha-Squad wurden abgeschossen, ebenso ein Sparrow. Ein weiterer Sparrow und ein Hawk mussten notlanden.

Der zweite Daishi Briareos hat zwei Beine verloren und humpelt unter der Deckung von zwei Hawks der Kamehameha-Squad zum Hangar zurück.

Der Gegner liegt jetzt bei knapp fünfzig Prozent aktiven Mechas, Sir. Und nebenbei bemerkt, die Eagles schießen sich auf uns ein.“

„Dann machen wir sie fertig!“ Ich lud die Artemis-Lanze auf und schoss die Energie auf den nächsten Eagle. Der wich aus und flog direkt in die Ladung. Tja, wenn er auch dahin flog wohin seine Beindüsen deuteten, konnte ich ihm auch nicht helfen.

Danach suchte ich mir einen neuen Gegner, griff an und… Musste mit ansehen, wie der zweite Daishi Gilgamesch mit Daisuke und Sarah an Bord durch den Feindmech fuhr wie ein Messer durch Sahne.

„Verdammt, Daisuke, das war meine Beute! Meine! Meine! Meine!“

Der Daishi Gilgamesch drehte sich für einen Moment in meine Richtung, lang genug um mir mit der voll modellierten rechten Hand eine ziemlich eindeutige und unflätige Geste zu zeigen.

Konnte der Kerl meine Gedanken lesen oder kannte er mich so gut? Egal, es amüsierte mich.

Daisuke ließ den Daishi fallen und wich so einer vollen Garbe aus.

Die traf stattdessen mich, obwohl ich noch versuchte, auszuweichen.

Mist, Mist, Mist. Mein Fehler, mein eigener Fehler. In einem Gefecht blieb man in Bewegung, immer in Bewegung. Ein Ziel das sich bewegte traf man schlechter. Ein Ziel das stand lud dazu ein, beschossen zu werden.

„Status: Fusionsreaktor beschädigt. Linkes Bein abgetrennt. Torso und Brust schwer getroffen. Reaktorabschirmung versagt.“

„Verdammte Scheiße, Lightning! Wehe, du lässt mich jetzt im Stich!“

„Drei Minuten bis zum Kollaps. Manövrierfähigkeit runter auf vierzig Prozent.“

Drei Minuten waren eine kleine Ewigkeit, und vierzig Prozent Manövrierfähigkeit waren für mich wie einen Burger zu kaufen – sehr leicht zu handhaben.

Neue Treffer erschütterten meinen Daishi, bevor ich mich aus der Schusslinie bringen konnte.

Ich revanchierte mich mit einem Energiestoß meiner geklauten Artemis-Lanze.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diese drei Minuten die längsten meines Lebens werden würden. Und die letzten.

Wütend brüllte ich auf und entlud die Artemis-Klinge! Der Energiestrahl, der dabei entstand, zerriss nicht nur einen feuernden Eagle, sondern auch eine Maschine in direkter Nachbarschaft!

Wieder wurde mein Mecha erschüttert. Wieder wurde Schaden verursacht.

„Zwei Minuten“, klang Lightnings Stimme auf. „Manövrierfähigkeit bei zwanzig Prozent.“

Ich sah auf. Dies war eine der Situationen, in denen ich bewies, wer der beste Mecha-Pilot der Erde war. Nur wer jetzt noch gegen seine Gegner bestand konnte wahrlich Meisterpilot genannt werden und den Ehrennamen Teufel verdienen! Komisch, war das Loch, durch das die Abendsonne in mein Cockpit eindrang, schon immer da gewesen?

Wieder gab ich vollen Schub, aber diesmal nicht für einen Direktangriff, sondern für eine Rolle, die mich aus der Schussbahn zweier Eagles brachte.

Als das Abwehrfeuer nicht länger meine Panzerung perforierte, setzte ich ein düsteres Grinsen auf. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Ich griff an, raste auf den vorderen Eagle zu. Der riss beide Hände hoch, machte eine abwehrende Geste. Ich spürte die Angst, die dahinter stand, so zwingend, so klar, als würde der Pilot vor mir stehen und von Grauen erfüllt NEIN schreien.

Was war los mit mir? Warum verunsicherte mich das? Warum nahm ich die Artemis-Lanze ab? Warum spürte ich so etwas überhaupt?

Ich zog den Briareos aus dem Kurs, konnte aber nicht verhindern, dass ich mit einem der Beine kollidierte, zu taumeln begann und abstürzte.

Na toll, ein fallender Mecha. Was für ein schönes Ziel. Was für ein prächtiges Ziel.

„Manövrierfähigkeit bei null Prozent. Geschwindigkeit fällt rapide.“

„Sag doch wie es ist. Wir stürzen ab. Wir sind im Arsch, Lightning.“

„Sir, ich mag meinem Ende entgegen sehen, aber Sie sind wichtiger als ich. Ich lasse Sie nicht sterben.“

„Nett von dir“, murmelte ich, während das Gefühl des freien Falls meine Gedärme stimulierte. Ich hatte Hähnchen zum Mittag. Ob ich das noch mal sehen würde?

***

Daisuke Honda sah düster in die Runde. Der kleine Besprechungsraum war gut gefüllt, alle sechzehn aktiven Piloten der Kame-Squad, die drei Fairies und drei Piloten der Akuma-Gumi hatten sich versammelt.

„Ich will es kurz machen, denn es ist sehr viel zu tun. Tetsu, deine Leute haben sehr gute Arbeit geleistet. Besonders hervorheben möchte ich Lieutenant Antani, der alleine fünf Abschüsse erzielt hat. Eine beachtliche Leistung, junger Mann.“
Lorenzo nickte stumm, aber er schien sich über dieses Lob nicht freuen zu können.

„Des Weiteren muss ich Captain Genda ausdrücklich erwähnen. Er hat, wie es dem Einsatzspektrum der Eagles entspricht, aus der Distanz gefeuert, und damit wie ein mächtiger Schutzengel auf uns alle aufgepasst und verhindert, dass es mehr als drei Tote auf unserer Seite gab.

Außerdem gilt mein Lob den Bedienungsmannschaften der Raketen und den Besatzungen der Flakpanzer. Sie haben uns dort oben sehr gut unterstützt, und etliche gute Soldaten haben dafür ihr Leben gelassen. Sie waren unser fünfundzwanzigster Mann.“

Betretenes Schweigen antwortete ihm.

„Kommen wir zu meinen Leuten. Yuri, hervorragende Arbeit. Niemand hat damit gerechnet, dass du mit einem Briaroes ohne Fairy so lange durch hältst und deine schrottreife Mühle auch noch sicher landest.

Michi Tora, ich muss auch Ihnen gratulieren. Sie haben in Verbindung mit Ihrer Fairy einen Kampf geliefert, den man beinahe schon als für die Akuma-Gumi normal bezeichnen kann. Willkommen in unserer Truppe.

Sarah, es war deine erste Schlacht, dennoch hast du nicht gezögert zu mir ins Cockpit zu kommen. Es hatte Kitsune bedurft um deine Aura-Kräfte zu wecken, aber danach warst du mir ein guter Gefährte und hast mir geholfen, da oben zu überleben.“

Daisuke senkte den Blick. „Leider bedeutete dies, dass Kitsune Akira verlassen musste. Ohne seine Fairy und mit seinem gewohnt waghalsigen Kampfstil hat er wieder einmal die höchste Abschusszahl erreicht und teuer dafür bezahlt.“

Kitsunes Gesicht wirkte grau und eingefallen. Jedes einzelne von Daisukes Worten schien wie ein Schlag für sie zu sein. Betroffen sah sie zu Boden.

„Die Schlacht ist geschlagen, Hawaii ist gerettet, der Feind hat sich ergeben. Und dennoch ist dies nur der Auftakt für weitere, noch größere Schlachten.“

Daisuke schlug mit beiden Händen auf die Tischoberfläche. Der laute Knall, der dabei entstand, ließ die Anwesenden zusammen zucken. „Besprechung beendet. Wer hat jetzt Lust, mit mir ins Krankenhaus zu kommen und Akira zu ärgern?“

Spontan schossen die Hände hoch.

***

Ein Farbkaleidoskop drehte sich in meinem Kopf. Eine riesige blaue Fläche schoss auf mich zu, während sich schwarze, rote und grüne Schlieren darum drehten. Ich spürte den Andruck, der mich in meinen Sitz presste, während über mir ein lautes Kreischen erklang als würde Metall reißen.

„Stopp…“, murmelte ich. „Stopp.“

Eine Hand berührte meine Rechte und hielt sie fest. Das Kaleidoskop stoppte sofort und machte durchdringender Schwärze Platz. Nein, nicht durchdringender, dahinter lag ein warmer, rosiger Schimmer.

„Ruhig, Akira. Du hattest Glück im Unglück. Verdammt viel Glück im Unglück.“

Ich versuchte die Augen zu öffnen, versagte aber bitter.

„Du hast einen offenen Bruch, Junge. Die Wunde hat sich leider entzündet, als Schmierfett rein gekommen ist. Du hast gerade ziemlich hohes Fieber, aber nichts, was du nicht in zwei, drei Tagen wieder in den Griff kriegen kannst.“

„Ach, Scheiße.“

„Oh, es scheint dir schon wieder besser zu gehen“, spottete die Stimme.

„Sakura… Wie sieht es aus? Wie ist es gelaufen?“

„Das sollte wohl besser ich erklären, Colonel Otomo.“

Ich blinzelte wieder und diesmal gelang es mir, die Augen leicht zu heben. Bunte Farbschlieren tanzten vor meinen Augen, die sich nur langsam dazu überreden ließen, sich in Form zu begeben. Zuerst schälte sich meine Cousine Sakura aus dem Farbgewitter hervor, dann ein uniformierter Mann, der ernst auf mich hinab sah.

„Admiral Richards…“

„Bleib liegen, Junge. Du brauchst nicht zu salutieren.“
„Sehr witzig.“

„Oh, ich dachte, ich mache mal einen Scherz, bevor ich zu den ernsten Themen komme. Akira, der Angriff auf Hawaii wurde nicht abgeschlagen, er wurde abgebrochen.“

Er räusperte sich. „Von mir, bevor deine Akuma-Gumi noch mehr Piloten und Maschinen zu Teufel schickt.“

„Sie haben in eine Air Force-Operation eingegriffen? Und die haben auf Sie gehört?“ Ich wollte lachen; das Ergebnis war ein Hustenanfall.

„Es gibt keine Air Force mehr. Zumindest keine, die den Namen verdient, Akira.“

Übergangslos wich die Benommenheit von mir. Ich richtete mich auf und starrte den Admiral entsetzt und erwartungsvoll an. „Was ist passiert?“

„Präsident Daynes ist aus dem Weißen Haus geflohen. In diesem Moment müsste er auf der Rammstein-Basis in Deutschland eintreffen. Die ist noch loyal. Sein weiterer Weg wird ihn über den Nahen Osten und Australien bis nach Hawaii führen.“

„Details, Details!“

„Das Militär hat geputscht. Sie haben den Senat übernommen, das Repräsentantenhaus und das Weiße Haus angegriffen. Die Leibgarde hat den Angriff lange genug aufgehalten, damit der Präsident und der Großteil seines Stabes fliehen konnten. Es… muss eine sehr abenteuerliche Flucht gewesen sein, zuerst auf einen Kreuzer vor der amerikanischen Küste, dann weiter nach Europa. Es heißt, stellenweise musste Daynes selbst in einen Hawk klettern und den Putschisten eins drauf geben.“

„Wie lange ist der Putsch her? Wie lange liege ich hier?“

„Der Putsch erfolgte eine Stunde vor dem Angriffsbefehl zum Big Drop.

Zwanzig Minuten nach dem Angriffsbeginn erklärte sich General Bowman vom Heer zum neuen Oberbefehlshaber von Armee, Marine, Luftwaffe und Marine Corps. Er hat sich nicht zum Präsidenten ausgerufen, aber es scheint, dass der Minister für Landesverteidigung noch in Washington ist und diesen Job gerne machen würde.

Daynes hat sofort reagiert, noch während er auf der Flucht war. Ohne die Air Force One waren seine Mittel etwas eingeschränkt, dennoch hat er alle loyalen Kräfte aufgefordert, das Feuer einzustellen. Deshalb mein Befehl an die Air Force, den Angriff einzustellen. Zum Glück haben die überlebenden Offiziere des Big Drop meine Befehlsgewalt über die des Pentagons und NORAD gestellt.

Im Moment sammeln wir alles, was sich der Demokratie verpflichtet fühlt, in Pearl Harbour, dazu all überlebenden Mecha-Piloten der Air Force. Damit haben wir vor zehn Stunden begonnen. Du liegst schon etwas länger hier, Akira.“

„Ich war zehn Stunden weg. Mist.“ Langsam ließ ich mich wieder auf mein Kissen sinken. „Die Kronosier werden den Putsch ausnutzen, sie werden ihn garantiert ausnutzen.“

„Sicher, das werden sie. Sie führen bereits frische Truppen nach Anchorage heran. Aber es scheint, dass sie genauso überrascht wurden wie wir, das gibt uns noch einen oder zwei Tage.“

Sakura griff nach meinem Kinn und drehte es in ihre Richtung. „Wir Kronosier sind nicht weniger in Unordnung. Zeitgleich mit dem Putsch haben Russen und Chinesen eine neue Offensive gestartet. Es ist alles in Bewegung, einfach alles.

Versuch noch etwas zu schlafen, ja? Du hast viel durchgemacht.“

„Okay. Wirst du da sein, wenn ich wieder aufwache? Oder musst du los?“

„Ich muss leider los. Meine Truppen brauchen mich. Aber keine Sorge, Akira. Wir werden uns früher wieder sehen als du glaubst.“

„Wir werden… Okay. Wie geht es Lightning?“ Erklärend fügte ich an: „Meinem Daishi.“
„Er wurde vollkommen zerstört. Lightning hat seine K.I. und den Reaktor abgetrennt, kurz bevor er hoch ging und deinem Cockpit mit Hilfe der Manöverdüsen der Beine eine weiche Landung auf dem Festland ermöglicht.“

„Es gibt keine Vorrichtungen, um den Reaktor abzutrennen“, erwiderte ich barscher als beabsichtigt.

„Er hat die Artemis-Lanze dazu benutzt.“

Im Klartext, er hatte sich selbst zerstört. Seine Worte klangen in meinem Geist nach: Sir, ich mag meinem Ende entgegen sehen, aber Sie sind wichtiger als ich. Ich lasse Sie nicht sterben.

„Du hast mich wirklich nicht sterben lassen, Kumpel“, murmelte ich und spürte, wie die Hitze über mir zusammenschlug und mich fortschwemmte, in einen langen, fiebrigen Traum.

3.

Als ich das nächste Mal erwachte, hatte ich das Gefühl, als wären nur wenige Stunden vergangen. Kitsune lag in ihrer Fuchsgestalt auf meiner Decke und hatte sich eingerollt. Dabei schnarchte sie so laut, dass ein fünfzigjähriger Glatzkopf mit Bierbauch neidisch geworden wäre.

Als ich mich vorsichtig aufrichtete, öffnete sie ein Auge und blinzelte mich an. „Du bist wach.“

„Und du hast gerade mindestens ein Dutzend Mammutbäume an der kalifornischen Küste gefällt.“

„Gepflanzt, mein Lieber, gepflanzt“, erwiderte sie und verzog ihr Fuchsmaul zu einem Grinsen. „Wie fühlst du dich, mein Großer?“

„Erstaunlich gut. Sogar richtig fit.“

„Kein Wunder, ich habe eine KI-Behandlung bei dir durchgeführt. Die Infektion ist raus und die Heilung deines Knochenbruchs wurde um den Faktor zehn beschleunigt. Es ist das rechte Bein, falls dir das noch keiner gesagt hat. Ging nur knapp an nem Abriss vorbei.“

„Fieber ist auch raus?“, fragte ich vorsichtig.

„Du bist erschöpft, aber gesund. Ich denke, du schläfst bis morgen früh durch, dann bist du fit genug um wieder aufzustehen. Verdammt, es war ein langer Tag. Weißt du was ich alles zu tun hatte, bevor ich dich behandeln konnte? Ich musste siebenunddreißig Personen mit KI behandeln, alles kritischere Fälle als deiner.“ Sie gähnte, riss dabei den Rachen auf und schmatzte dann genießerisch. „Entschuldige, dass du in meiner Priorität so weit unten warst.“

Ich langte nach der Füchsin und begann sie hinter den Ohren zu kraulen. „Ist in Ordnung, Kitsune. Wie geht es überhaupt meinem Team? Liegen von denen auch welche hier? Oder…“

„Ruhig Blut, Kleiner. Deine Leute haben alle überlebt, was man von drei Piloten der Kame-Squad leider nicht sagen kann. Ach ja, und auch nicht von gut neunzig Piloten und Bordschützen der Air Force. Wenn du die Bande sehen willst, sie sind draußen auf dem Gang und campieren da seit Sakura weg ist.“

„Was? Besprechen sie schon meine Nachfolge?“

Kitsune fuhr die Krallen aus.

„AUTSCH!“

„Rede nicht so einen Unsinn. Sie machen sich eben alle Sorgen um dich. Du weißt gar nicht, was du an deinen Freunden hast.“

Ich beugte mich vor und küsste den Fuchs auf die Schnauze. „Reicht es nicht wenn ich weiß, was ich an dir habe?“

„Dann geht es in Ordnung, denke ich.“

Ich lachte leise und schlüpfte unter der Decke hervor, möglichst darauf bedacht, Kitsune so wenig wie möglich zu bewegen. „Ich verspreche, ich lege mich gleich wieder hin. Aber ein paar Worte mit den anderen würde ich doch gerne wechseln. Ist das in Ordnung? Kitsune? Kitsune?“

Leises, regelmäßiges Atmen deutete an, dass die Fuchsdämonin wieder eingeschlafen war.

Ich strich ihr über ihr seidiges Fell. Verdammt, egal welche Form sie annahm, sie war einfach unwiderstehlich süß. Ich bereute es nicht eine Sekunde, ihr nachgegeben zu haben.

Leise, und überraschend beschwerdefrei, trat ich auf den Gang hinaus – und erstarrte. Da saßen sie, hatten die Köpfe zusammengelegt und schliefen.

Ich schmunzelte, als ich sah, dass Lilians Kopf auf Yoshis Schulter ruhte. Der hatte seinen Kopf auf ihren gelegt und beide Arme um sie geschlungen. Beide atmeten ruhig und waren, wie es aussah, zufrieden. Amüsiert bemerkte ich, dass der ehemalige Mönch noch immer den Laserpointer in der Hand hielt, den ich ihm als Zünder für eine Bombe in Lilians Bauch verkauft hatte.

Links daneben saß Yuri. Er hatte die Beine ausgestreckt und die Hände auf dem Bauch gefaltet. Während ich ihn musterte, blinzelte er kurz. „Lebst ja noch“, murmelte er und gähnte lautlos. „Habe nichts anderes erwartet.“ Er grinste, drehte den Kopf und schlief weiter.

Auf der anderen Seite schliefen Akari und Michi Tora. Sie waren gegeneinander gesackt und schlummerten in Morpheus´ Armen. Zudem hielten sie sich bei den Händen wie ein Liebespärchen. Das irritierte mich, und ich konnte mich nur mit Mühe davon abhalten, den Griff der beiden aufzubrechen. Das wäre ja so kindisch gewesen. Andererseits stand nirgendwo geschrieben, dass Akira Otomo nicht kindisch sein durfte und…

Direkt daneben saß Daisuke auf der Bank. Na ja, zumindest ein Teil von ihm. Der Rest, also der halbe Oberkörper, lag auf Sarah Andersons Schoß, die im Rollstuhl neben der Bank saß. Sie döste anscheinend nur und streichelte im Halbschlaf das Gesicht des Mecha-Piloten. Dabei sackte ihr Kopf immer wieder nach unten, als würde sie jede Sekunde ganz einschlafen.

Ich lächelte und ging wieder in mein Zimmer.

„Und?“, empfing mich Kitsune mit schläfrig halb geöffneten Augen.

„Sie schlafen.“

„Gut.“

Ich legte mich wieder hin, rückte den Fuchsleib von Kitsune zurecht und schloss die Augen.

„Schade dass ich gerade so erschöpft bin“, murmelte sie. „In dieser Umarmung würde ich gerne als Mensch stecken.“

Ich lachte leise. „Das holen wir nach, Kitsune-chan. Versprochen.“

***

„Guten Morgen, Akira.“

Ich blinzelte verschlafen. Verdammt, ich hatte gepennt wie ein Stein. „Morgen, Jordan. Oder muss ich Majestät sagen?“

Der Mann, der neben meinem Bett saß, lachte leise. „Du hast dich nicht verändert, seit wir New York verteidigt haben.“ Er legte mir eine Hand auf die Schulter. Er, das war der jüngste Präsident, der jemals in den U.S.A. gewählt worden war. Als Captain in der Air Force war er einer der ersten Piloten für Hawks gewesen, hatte seine eigene Einheit aufgebaut und in einigen wichtigen Schlachten über die Kronosier gesiegt.

In Schlachten, in denen ich auch gesteckt hatte. In einigen zumindest.

Nach dem Fall Alaskas und der Definition der Anchorage-Demarkationslinie hatte er sich wutentbrannt parteilos zur Wahl zum Präsidenten gestellt und war tatsächlich gewählt worden. Allerdings auch nur, weil seine Wahlmänner sieben Stimmen Vorsprung gehabt hatten. Das hatte auch nur so geklappt, weil einige republikanische Wahlmänner für ihn gestimmt hatten, anstatt für ihren eigenen Kandidaten zu stimmen.

Seither lebte die Welt in diesem Patt, in der es immer wieder zu den Scharmützeln kam, die ich so hasste.

„Du musst mich selbstverständlich Präsident Daynes nennen und Sir sagen.“

„Nur wenn du auch zu mir Sir sagst“, konterte ich.

„Wasn los?“, brummte Kitsune verschlafen, öffnete ein Auge und schlummerte wieder weg. „Ach, der nur.“

„Ich stehe wohl bei Dämonen nicht besonders hoch im Kurs, was?“ Jordan runzelte die Stirn.

„Ach, die ist nur müde. Hat gestern etliche Soldaten mit ihrer Aura geheilt.

„KI! KI! Wie oft soll ich dir das noch sagen! Es heißt KI!“

„Mit ihrem KI, okay.“
„Und die meisten waren Air Force-Piloten! Das wollte ich nur mal anmerken!“ Wütend drehte sich die Füchsin auf die andere Seite.

„Dafür, Dai-Kitsune-sama, gebührt dir den Dank einer ganzen Nation und insbesondere ihres Präsidenten.“

Kurz sah die Füchsin hoch. „Meinst du das ernst, Kleiner?“

„Natürlich. Ich spreche gerade in meiner Eigenschaft als Präsident der Vereinigten Staaten.“

„Dann ist es angenommen. Überreich mir meinen Orden später, ich bin noch zu müde für die Parade.“ Wieder gähnte sie und kuschelte sich auf der Decke ein.

Gedankenverloren begann ich ihr Fell zu kraulen. „Und? Wie wird es weitergehen?“

„Im Moment folge ich Admiral Richards´ Beispiel und versuche zu sortieren, welche Truppen und staatlichen Einrichtungen auf mich hören, und welche auf Gary Bowman. Ich habe vor hier auf Hawaii meine Exilregierung einzurichten. Und dann heißt es für mich zu retten was noch zu retten ist. Ich kann es den Kronosiern nicht einmal verübeln, wenn sie trotz der russischen und chinesischen Offensiven die Situation ausnutzen.“

„Und? Wie sieht es aus für dich? Wie steht es um deine Truppen?“

„Commander Thomas auf der ARTEMIS-Plattform hat sich schon offen gegen General Bowman gestellt. Aber er hat sich nicht zu mir bekannt, lediglich zum demokratischen Prinzip. Ich werde nicht ganz schlau daraus. Dafür haben sich etliche Schiffe gemeldet, die gerade im Pazifik unterwegs sind und sich Admiral Richards unterstellt. Bis auf die Schiffe, die gerade an der Westküste unterwegs sind, meine ich. Die sind alle unter Kontrolle von Bowman und seiner Junta. An der Ostküste sieht es noch schlimmer aus. Alle im Atlantik operierenden Schiffe wurden nach Norfolk zurück gerufen.

Nachdem die MOUNTBATTON fast versenkt wurde, weil sie mir bei der Flucht geholfen hat, scheinen alle Einheiten dem Befehl zu folgen. Ich richte meine Hoffnungen ganz auf Europa, Afrika und Asien.“

„Wer hätte gedacht, das dieses ganze Truppen über der Welt verteilen mal ein Vorteil für euch sein würde, was?“

„Ja, necke du mich nur. Du hast viel mehr Ärger am Hals als ich. Freue dich, du wurdest wieder mal zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Das Desaster des Big Drops wird zu hundert Prozent dir angelastet.“

„Ach, schon wieder? Gehen deinen Militärs nicht irgendwie die Ideen aus?“, erwiderte ich bissig.

„Du kriegst nen Silver Star als Entschuldigung, falls ich es jemals wieder nach Washington D.C. schaffe.“

„Na danke. Das wäre dann mein zweiter.“

„Soll ich extra für dich den Gold Star einführen, für Dummheit über das normale Maß hinaus, gepaart mit absoluter Sturheit?“

„Hey, komm wieder runter. Du richtest dich also hier auf Hawaii ein und sammelst deine Exiltruppen in Pearl Harbour. Wie wird es weitergehen?“

Daynes rieb sich die Nasenwurzel. „Ich habe absolut keine Ahnung. Eigentlich kann ich nur hier sitzen, die Spreu vom Weizen trennen und abwarten. Ich würde gerne den Kronosiern in ihre Offensive spucken und meine Landsleute verteidigen, aber so wie die Dinge stehen wird jede Einheit, die sich mir anschließt, automatisch der Fahnenflucht bezichtigt.

Die Medien hat Bowman jedenfalls bereits auf seiner Seite.“

Er schnaubte wütend. „Im Moment macht er der Bevölkerung weis, der Big Drop wäre von mir befohlen worden und sie hätten geputscht, um das Schlimmste zu verhindern. Bla, Bla, Bla, du weißt was die da reden. Jedenfalls lässt er sich als Held feiern und verheimlicht, dass es immer noch Einheiten gibt, die auf mich hören. Das Übliche halt.“

„Wusstest du vom Big Drop, Jordan?“

„Nein, natürlich nicht! So einer verlustreichen Operation hätte ich nie zugestimmt. Außerdem ist Hawaii noch immer unter unserer Verwaltung und es wäre so als würden wir unsere eigene Heimat angreifen.“ Der Präsident der U.S.A. schüttelte wütend den Kopf. „So ein hirnverbrannter Wahnsinn.“

„Was sagen die Kronosier?“

„Ihre ersten Stellungnahmen sind abwartend. Mich hat eine erste Protestnote der kronosischen Botschaft erreicht. Mich, wohlgemerkt, nicht Washington D.C.! Aber daraus auf das weitere Verhalten der Kronosier zu schließen wäre wohl etwas verfrüht.“

„Hast du schon mal dran gedacht, dass Bowman in jedem Fall geputscht hätte? Auch wenn der Big Drop Hawaii zurückerobert hätte? So nach dem Motto, der zögerliche Präsident, der dem Sieg im Wege steht muss weg, und dass ich siegen kann habe ich auf Hawaii bewiesen?“

„Daran habe ich auch schon gedacht. Aber die NSA hat mich erst gewarnt, als die ersten Hawks von den Abwehrbatterien des Senats abgeschossen wurden. Vorher war kein Anzeichen für einen Putsch zu erkennen, geschweige denn eine negative Stimmung im Generalstab. Verdammt, ich kann doch keine Gedanken lesen.“

„Dann war die Operation von langer Hand vorbereitet und perfekt getimed. Pech, Jordan. Die haben dich kalt erwischt.“

„Kalt erwischt, nennst du das?“ Wütend starrte der Mann zu Boden. „Verdammt, ich könnte damit leben, dass Bowman meinen Job macht, ich könnte damit leben, dass wir uns wieder mit den Kronosiern um Anchorage prügeln oder weltweit wieder mit ihnen kämpfen. Früher oder später wird das sowieso wieder passieren. Aber ich habe dieses verdammt miese Gefühl in den Zehen, dass Bowman mit den Kronosianern paktiert. Und wenn wir wegfallen, ich meine ganz wegfallen, dann stehen nur noch Indien, China, die Russen und Europa zwischen ihnen und der Weltherrschaft.

Wir haben unser Bestes getan, um die überlegene Mecha-Technologie zu verbreiten, aber… Ich weiß nicht ob es reicht. Es heißt, sie haben einen neuen Mecha-Typ entwickelt, einen weit überlegenen Daishi.“
„Den Echnatron. Ich weiß. Ich habe ein Hologramm gesehen.“

„Manchmal weiß ich nicht, ob du einfach ein vorlauter Klugschwätzer bist oder mir absichtlich Angst einjagst, Akira.“

„Addiere beides doch einfach“, riet ich.

„Jedenfalls werden wir hier auseinander gerissen und der alte Sack mit den vier Sternen auf der Schulter paktiert vielleicht mit ihnen, während die kronosische Front geschlossen ist. Das können wir nicht gewinnen.“

Ich dachte an das Gespräch mit Ban Shee Ryon, dachte an die Aufteilung der näheren kosmischen Nachbarschaft. „Wir müssen aber. Und wenn wir alleine stehen.“

Ich schlug die Decke beiseite und stand auf. Im Schrank erwartete mich wie gehofft eine schlichte khakifarbene Felduniform der Akuma-Gumi.

„Geht es dir schon wieder gut genug um aufzustehen?“, staunte Jordan.

„Kitsune-chan hat auch mich geheilt.“

„Oh. Hoffentlich verletze ich mich auch mal. Heilt sie als Mensch oder als Fuchs?“

„Ich glaube, das kann man sich aussuchen“, erwiderte ich feixend, während ich in die Uniformhose schlüpfte.

„Ich denke, ich werde nach Senso Island zurückkehren und ein paar Operationen vorbereiten. Ich werde die Kronosier die nächsten Tage beschäftigt halten. Nutze du die Zeit, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen.“

Jordan runzelte die Stirn. „Planst du wieder ein paar von deinen Alleingängen in die Flanken und den Rücken kronosianischer Divisionen, Angriffe auf ihre Schiffe im Orbit und andere idiotische und selbstmörderische Aktionen?“

„Ja.“

„Viel Spaß.“

„Danke. Kitsune, komm.“

Die Fuchsdämonin entrollte sich, gähnte kräftig und sprang vom Bett. Dabei verwandelte sie sich vom Fuchs in einen Menschen. „Komme ja schon. Komme ja schon. Wäre es so viel verlangt gewesen, mich noch ein wenig schlafen zu lassen?“

„Was lässt sich eine zweitausend Jahre alte Dämonenkönigin auch von einem Jungspund wie mir gängeln?“, tadelte ich grinsend.

„Hey, Akira. Wenn du schon da raus gehst und den Kronosiern in den Arsch trittst, lass gefälligst die Finger von Megumi, ja?“

„Hast du immer noch nicht aufgegeben?“, seufzte ich.

„Hast DU immer noch nicht aufgegeben?“, konterte er.

„Ist gut, ist gut, ich lege mich nicht mit den Hekatoncheiren an. Zufrieden?“

„Nein. Aber halt mich auf dem Laufenden.“ Düster sah er zu Boden. „Ich tue hier auch was ich kann.“

Mir war nicht nach lächeln zumute als ich auf den Gang hinaustrat. Dieser Mann stand in seiner schwärzesten Stunde; was die neue Militärverwaltung in seinem Land tun würde, stand noch gar nicht fest, wohl aber wie sehr sie seinen Namen in den Dreck ziehen würden. Dennoch galt seine Sorge zuerst den Menschen, die ihn zu ihrem Anführer gewählt hatten.

Und ich konnte in seiner schwärzesten Stunde nichts anderes für ihn tun als zu kämpfen und zu töten.

Im Gang erwartete mich gähnende Leere. „Wo sind sie denn alle?“

„Nicht hier, soviel steht fest“, kommentierte Kitsune.

„Danke, dass du es für mich so präzise wie möglich ausdrückst. Die Feinheiten wären mir sonst entgangen.“

„Ach, ich helfe den Dümmeren doch gerne“, erwiderte sie und schlüpfte nur knapp unter meinem Griff hindurch. „Dafür musst du aber noch schneller werden, Akira.“

Ich schmunzelte kurz. „Okay. Lass uns die anderen suchen gehen. Wir müssen so schnell wie möglich nach Senso Island zurück und Pläne schmieden.“

„Das ist mein Akira.“

„Ja, rennt von einer Gefahr in die nächste und wird einfach nicht schlauer“, erwiderte ich. Es hatte witzig klingen sollen, aber es war nüchtern geworden.

4.

Insgeheim dankte ich den Kronosiern. Ja, wirklich, ich dankte ihnen. Denn sie hatten nicht nur Terror und Vernichtung über uns gebracht, sie hatten es mit überlegener Technologie getan. Und diese Technologie wurde jetzt mehr oder weniger von ihren Gegnern genutzt.

Die Akuma-Gumi hatte dabei einen kleinen Vorteil, weil wir den anderen, sogar den Kronosiern, immer eine Nasenlänge voraus waren.

Eine der herausragendsten Technologien, die wir ihnen abgenommen hatten war die Antischwerkraft. Sie ermöglichte vieles, erlaubte es gigantischen Schiffen, auf unglaubliche Werte zu beschleunigen, wie Hubschrauber in der Luft zu stehen und mit Werten abzubremsen, die ein normales irdisches Raumschiff wie eine Blechdose unter einer Straßenwalze zerknüllt hätte.

Für uns bedeutete das, dass unser Transporthubschrauber, kaum das wir aus dem Radar von Hawaii verschwunden waren, die Rotorblätter einklappte, den Gravitationsantrieb aktivierte und mit doppelter Schallgeschwindigkeit über die unendliche Weite des Ozeans dahin zog, und das in lediglich zwanzig Meter Höhe.

Das Ding konnte noch schneller, aber lieber eine gemütliche und sichere Reise als eine schnelle und gefährliche – zumindest, wenn ich nicht am Steuer saß.

Diese Technologie wurde natürlich nicht nur in unseren Transporthubschraubern eingesetzt.

Auf dem OLYMP hatte man eine vollkommen neue Generation an Transportern entwickelt, die man in Anlehnung an den organisierten Stadtverkehr Shuttle genannt hatte.

Es gab kleine Shuttles für wenige Personen, große Shuttles für ein paar hundert Leute oder bis zu hundert Tonnen Fracht, und riesige Shuttles, denn wenn man ehrlich war, dann waren OLYMP und Titanen-Station trotz ihrer Ausmaße selbst in diese Sparte einzuordnen.

Im Moment genügte uns der getarnte Hubschrauber, der uns wesentlich schneller und sicherer voran bringen konnte als das wonach er aussah.

Ich kletterte ins Cockpit und grinste die beiden Piloten an. „Na, das ist doch allerbestes Flugwetter.“

Natasha Andropowa, die Pilotin, grinste zurück. „Ein tüchtiger Orkan wäre mir jetzt lieber. Ein wenig durch die Wellentäler surfen, die Hänge rauf, eine White Squall reiten, das wäre es doch.“

Ich schluckte trocken. „Wie letztes Mal, hm? Man sagt, wenn man normalerweise eine Monsterwelle wie die White Squall sieht, hat man keine Gelegenheit mehr, um darüber zu berichten.“

„Wir haben doch überlebt. Und wir hatten eine Menge Spaß“, konterte Natasha schmunzelnd.

„Juri Sergejewitsch Andropow, kannst du deiner Frau mal den Unterschied zwischen Spaß und Todesangst erklären?“

„Lass mich da raus, Akira. Ich bin hier der Co-Pilot und muss auf sie hören.“

„Feigling“, erwiderte ich. „Dies ist immer noch ein Transporthubschrauber. Also nimm ihn nicht ran als wäre er ein Hawk.“

„War das ein Befehl, Sir?“

„Nein, nur eine dienstliche Theorie. Wahrscheinlich werde ich irgendwann noch mal dankbar dafür sein, wenn du den Heli mit einem Hawk verwechselst.“
„Gute Antwort. Das rettet dir meine Stimme bei der Wahl zum Vorgesetzten des Monats.“

„Gut zu wissen. Okay, wie schaut es aus? Wie lange noch bis nach Hause?“

„Dreißig Minuten, also nicht ganz fünfhundert Kilometer, den Schleichflug von achthundert Km/H vor dem Ziel eingerechnet.“

„Sehr gut. Sobald Funkkontakt besteht, macht alles bereit für eine Sitzung des Planungsstabs. Wir haben viel vor uns.“

„Roger.“

Ich klopfte beiden auf die Schulter und wandte mich wieder zum gehen. „Ach, eines noch, Familie Andropow. Habt ihr eigentlich jemals eure Entscheidung bereut, für die Akuma-Gumi zu arbeiten?“

„Was redest du da? Natürlich nicht, Akira“, tadelte Natasha. „Aber du könntest die Einkaufsmöglichkeiten auf Senso Island verbessern, um die Lebensqualität zu erhöhen. Denkst du, du kriegst Dior dazu, eine Filiale zu eröffnen?“

„Ich hätte lieber Wal-Mart.“

„Will sehen was ich tun kann.“

„Alles in Ordnung vorne“, sagte ich, und nahm neben Yoshi Platz. „Wir sind in nicht mal dreißig Minuten Zuhause. Nanu, wo ist denn Lilian?“

„Lilian? Die spricht mit mir kein Wort mehr.“

„Was? Was hast du angestellt, Yoshi?“

„N-nichts, ich… Ich dachte, ich würde ihr was Gutes tun und… Ich… ich weiß, ich sollte nicht gegen deine Interessen handeln, aber es erschien mir so richtiger und dann ist sie böse geworden und…“

Sprachlos starrte ich den Freund an. Und in meinem Kopf machte es laut und vernehmlich Klick.

„Den Zünder.“

„I-ich… Ich meine, ich…“ „Den Zünder.“

Yoshi senkte den Blick, kramte in seinen Taschen und holte das längliche schwarze Objekt hervor.

„Lass mich raten was passiert ist. Großherzig wie du bist wolltest du Lilian von der Ungewissheit befreien, die eine in den Bauch implantierte Bombe mit sich bringt und hast versucht ihr den Zünder zu geben. Daraufhin ist sie böse geworden, hat dich wüst beschimpft und sitzt deshalb hinten an der Transportklappe wie ein Häufchen Elend und lässt sich von Sarah trösten.“

„Tut mir Leid, ich wollte nicht gegen deinen Befehl handeln. Aber Akira! Das ist so grausam! Das ist so böse! Das passt doch gar nicht zu dir! Ich wollte doch nur das Beste für Lilian, auch wenn sie ein Feind ist!“

Wortlos richtete ich den schwarzen Gegenstand auf Lilian. „Du bist ein Idiot, Kumpel.“
„AKIRA!“ Hastig sprang er auf, versuchte mir den Gegenstand zu entreißen. Als Ergebnis erschien ein roter Punkt auf Lilians Stirn.

Es dauerte eine Weile, bis Yoshi den roten Punkt mit dem Zünder in Verbindung brachte. Und es dauerte noch länger, bis er das Gerangel um den schwarzen Zylinder einstellte.

Mit lahmen, immer schlaffer werdenden Bewegungen starrte er den Laserpointer an.

„Du hast mich verarscht?“

„Nach Strich und Faden.“
„DU RIESENVOLL…!“

„STOPP MAL!“ Wütend steckte ich ihm den Laserpointer quer in den Mund. „DU WOLLTEST VERARSCHT WERDEN!“

„Waw?“

„Du hast mich schon richtig verstanden. Wenn du mal nur ne Sekunde ehrlich zu dir selbst bist, dann hat es dir gefallen, so nahe an Lilian dran zu sein. Ihr beide hattet eine Menge Spaß zusammen, das habe ich gesehen. Und ihr versteht euch auch gut. Komm, Junge, du brauchst doch nicht so einen Vorwand, um bei dieser Frau sein zu dürfen.“

Yoshi nahm den Laserpointer aus dem Mund. „Das hätte ich nicht von dir gedacht. Nicht von Yohkos Bruder. Akira, wie… Nein, ich weiß schon, wie du das wieder tun konntest. Und du meinst es ja auch gut und… Ach!“

Wütend setzte sich der ehemalige Mönch wieder, verschränkte die Arme vor der Brust und sah weg.

Ich setzte mich wieder neben ihn. „Redest du noch mit mir?“

„Hmpf!“

„Hörst du mir wenigstens noch zu?“

„Vielleicht.“

„Ich wollte dir nicht wehtun. Ehrlich nicht. Nein, das ist gelogen. Ich wollte dir wehtun. Aber nur soviel, bis du merkst, dass da wo Schmerzen sind auch Leben sein muss.

Yoshi, findest du nicht, dass du lange genug um Yohko getrauert hast? Findest du nicht, dass du damit aufhören solltest?“

„Hmpf!“

„Meinst du ihr gefällt es vielleicht, dass du dich so abkapselst? Meinst du sie will, dass du nie wieder glücklich wirst?“

„Aber ich bin doch glücklich. Ich bin wieder mit meinen besten Freunden zusammen und…“

„Du weißt was ich meine. Yoshi, du bist ein hübscher Bengel und ein anständiger Kerl. Du müsstest der Traum jeder Frau zwischen hier und London sein. Du bist dazu bestimmt, eines Tages eine tolle Frau zu finden, dich zu verlieben und sie zu heiraten und dann vielleicht einen ganzen Haufen Yoshis in die Welt zu setzen. Nur wird diese Frau nicht Yohko sein. Es tut mir Leid, aber sie ist für immer fort.“

„Du bist fies. Warum sagst du mir das nur so offen? Willst du das ich vor allen anfange rum zu heulen?“

„Wenn es dich rettet, dann ja.“ Sanft stupste ich den Freund an der Schulter. „Yoshi, auch wenn du es nicht glaubst, aber da hinten sitzt ein tolles Mädchen. Okay, sie gehört dem Feind an, aber das wird nicht immer so sein. Sie ist in Ordnung, noch besser, sie ist toll! Und ob sie mit dir spielt oder ob sie wirklich etwas für dich empfindet, das kannst nur du herausfinden. Junge, besser einen Korb kriegen als aufgeben ohne es versucht zu haben.“

„E-es ist noch zu früh.“

„Noch zu früh was betreffend? Yohko starb vor sieben Jahren. Reichen sieben Jahre nicht, um diese Wunde zu verschließen? Dann lass dir helfen. Lass dir von ihr helfen. Egal ob ihr zusammenkommt oder ob sie nur mit dir spielt, bisher hattest du doch viel Spaß dabei. Genieße es solange es dauert. Und wenn es ewig dauert, soll es mir Recht sein. Mensch, ich werde auch Pate. Bei allen kleinen Yoshis, die ihr produziert.“

„Ein Pate soll positiv auf die Kinder wirken, nicht negativ. Du bist abgelehnt“, erwiderte Yoshi. „Aber du gehörst doch eh schon zur Familie, oder?“

Er sah zu mir herüber, die Augen waren von Tränen wässrig. „Ich weiß ja, dass du Recht hast. Ich fühle mich wohl, wenn ich mit Lilian zusammen bin. Ich meine, ihre Energie reißt einen mit und ich spüre, dass ich so etwas brauche. Aber bisher habe ich mich von ihr mitschleifen lassen und das ist nicht das, was ich wirklich bin. Vielleicht… Vielleicht würde Yohko wirklich nicht wünschen, dass ich alleine bleibe. Ein Einsiedler, ein Mönch, ein… Ach, was auch immer. Dieses schleifen hatte etwas sehr angenehmes. Ich musste nicht denken, nicht entscheiden, ich musste mich nur fügen. Aber wenn ich… Wenn ich Yohko endlich in Frieden ruhen lassen soll, wenn ich Lilian eine Chance gebe, mein Herz zu berühren, auch auf das Risiko hin, von ihr getötet zu werden, dann… Dann muss ich diese Entscheidung treffen. Ich und niemand sonst. Ich muss diesen gigantischen Schritt voran tun.“

Er griff mir in den Nacken, zog meinen Kopf herüber und legte seine Stirn auf meine. „Aber ich danke auf jeden Fall den Göttern, dass sie mich zu dir zurück geführt haben, Akira.“

Ich lächelte wehmütig. „Vielleicht fängst du diesen gigantischen Schritt mit einem kleinen Schritt an. Geh rüber und entschuldige dich dafür, dass du zu dämlich warst, einen Laserpointer zu erkennen.“

„Vielleicht sollte ich das machen“, murmelte Yoshi und wischte sich die Augen ab. „Verrätst du mir eins? Warum diese Geschichte mit der Bombe?“

„Sakura. Sie brauchte einen offiziellen und stichhaltigen Grund, warum Lilian noch bei uns bleibt. Hey, es war Lilians Idee, nicht meine. Ich habe nur mit dem Zünder improvisiert.“

„Gut improvisiert. Ich bin drauf reingefallen.“

Yoshi erhob sich. „Ich schätze, ich gehe da mal rüber, hm?“ Kurz darauf saß er wieder. Nicht ganz freiwillig, denn die schwere Erschütterung, die ihn zurückgeworfen hatte, war nicht zu übersehen gewesen. Sarah war mit ihrem Rollstuhl umgestürzt und Lilian bemühte sich verzweifelt sie wieder aufzurichten. Ein neuer Stoß erschütterte uns. Unwillkürlich musste ich an neulich denken, als wir mitten durch einen Orkan geflogen waren.

„Scheiße, eben hat doch noch die Sonne geschienen! Ich gehe nach vorne.“

„Warte. Wir werden langsamer. Wir… Akira, hast du in letzter Zeit mal raus gesehen?“

Wortlos deutete der Freund durch das Fenster in der Tür.

Ich beugte mich über ihn hinweg. „Hm, das ist ein Daishi Briareos. Und wie ich das sehe, trägt er die Abzeichen von der Kottos-Kompanie.“

„Zwei Daishi Briareos. Und ein Gilgamesch!“, rief Daisuke herüber. „Sie eskortieren uns.“
Langsam schnallte ich mich an, nur für den Fall, dass weitere Stöße erfolgten. „Mist. Mist. Mist.“

***

Meine schlimmsten Befürchtungen erfüllten sich, als wir auf Senso Island landeten und nicht etwa auf einer der anderen Inseln. Ich sah keine Gefechtsspuren, aber zweihundert gelandete Daishis und die gleiche Anzahl in der Luft – abgesehen von den Schiffen, die rund um die Insel operierten – sprachen eine deutliche Sprache. Es war vorbei. Senso Island war Geschichte.

Der Hubschrauber setzte auf und ich schnallte mich ab.

Lilian kam nach vorne, hielt mir ihre Hände hin, wobei sie die Handgelenke überkreuzte. „Ich bin Captain der Hekatoncheiren. Wenn du mich als Geisel nimmst, dann…“

„Ist schon gut, Lilian. Das ist nett von dir, aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Um keinen Preis der Welt werden die mich hier wieder weglassen.“ Ich lachte rau. „Wir hätten auf Hawaii bleiben müssen, um dem zu entgehen.“

Das große Verladeschott im Heck fuhr auf, grelles Sonnenlicht trat ein. Ich seufzte schwer.

„Also, Herrschaften, Waffen abgeben. Lilian, du nimmst sie an dich, ja?“ Ich seufzte erneut, diesmal, weil ich mich von meiner heiß geliebten Luger trennte.

Nach einigem zögern gaben auch die anderen ihre Handfeuerwaffen und Messer ab. Sogar Sarah zog aus ihrem Rollstuhl eine Steyr Automatik hervor.

„Du hast nicht zufällig noch eine Kalaschnikov in die Räder eingebaut?“, scherzte ich.

In diesem Moment erschien der Umriss im hellen Sonnenlicht und kam die Rampe hoch.

„ACHTUNG!“, bellte ich auf und meine Leute nahmen automatisch Haltung an.

Ich salutierte, und die Gestalt trat näher an mich heran, erwiderte den Salut.

„Major Uno. Hiermit übergebe ich Ihnen die Akuma-Gumi.“

„Ich übernehme hiermit die Akuma-Gumi. Die Führungsoffiziere werden in Haft genommen und sofort ausgeflogen. Die anderen Mitglieder werden in getrennten Transporten zusammen mit dem umfangreichen Material ausgeflogen.“

Megumi nahm die Hand ab. „Akira. Ich dachte mir, es wäre am besten, wenn ich es persönlich mache und…“

„Schon in Ordnung, Major. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Aber versprich mir eines. Wenn sie mich aufknüpfen, dann drücke du den Knopf für die Falltür.“

„Akira!“

Ich erwiderte ihren Blick mit unbewegter Miene. „Captain Lilian Jones hat unsere Waffen und die der beiden Piloten im Cockpit. Alle ergeben sich bedingungslos. Ist das akzeptabel für Sie?“

„Einverstanden. Captain Jones, übernehmen Sie sofort wieder Ihr Kommando.“
Lilian salutierte etwas ungelenk bei den ganzen Pistolen und Messern in ihrer Armbeuge. „Sofort, Major Uno.“

Sie eilte die Rampe hinab und kurz darauf drang ihre ansonsten liebliche Stimme sehr laut und sehr herrisch auf. Ich schmunzelte vergnügt, wenn auch nur für einen Moment.

„War sie es? Ein Peilsender?“

„Nein. Wir wissen schon länger wo du hockst. Wir, das heißt das Pantheon. Als du dann auf Hawaii warst, da… Da haben wir beschlossen, dass wir es mit zwei Akumas aufnehmen können. Du darfst Kei und Philip nicht böse sein. Sie haben gekämpft so gut sie konnten. Aber letztendlich haben sie eingesehen, dass sie es nicht schaffen können. Sie kapitulierten mit der Auflage, das Zivilpersonal zu schonen.“ Megumi leckte sich über ihre spröden Lippen. „Sie dachten, wir würden sie sofort und ohne Prozess standrechtlich erschießen.“

„Dann war es ja eine angenehme Überraschung für sie, weiterleben zu dürfen.“

Takashi Mizuhara trat herein, musterte uns alle kurz, bevor er Megumi leise etwas ins Ohr flüsterte. Dann sah er auf und schlug mir heftig, sehr heftig gegen die rechte Schulter. „Verdammt gute Arbeit auf Hawaii, Blue Lightning.“

Ich blinzelte ihn verwirrt an. Einerseits wegen der Anerkennung, andererseits wegen dem Callsign. Richtig, ich hatte die K.I. des Daishis Lightning genannt. War das schon durchgesickert? Blue Lightning… Das hatte einen sehr angenehmen Klang.

„Man kämpft wo man hingestellt wird, Takashi.“

„Nein, wir kämpfen wo wir hingestellt werden. Du kämpfst wo du musst.“ Er sah in die Runde. „Daisuke, Yoshi, Yuri, Miss Anderson, Mr. Tora, Kenji, Captain Hatake, Mr. O´Hara, Ms. Otomo, Sie erhalten nun die Möglichkeit, ihre persönlichen Habseligkeiten zusammen zu packen. Der Rest wird katalogisiert und ihnen nachgebracht. Sie haben zwei Stunden für diesen Vorgang. Jedem wird ein Soldat als Eskorte zugeteilt. Ich werde Miss Anderson eskortieren. Es gibt da draußen eine Menge Soldaten, die auf die Fushida Hacking Crew nicht gut zu sprechen sind, wie ich gemerkt habe. Ich habe den anderen Mitgliedern der Hacking Crew bereits Hekatoncheiren zugewiesen. Ebenso werden wir mit den anderen Offizieren verfahren. Können wir dann?“

Langsam und zögernd traten meine Freunde in die Sonne hinaus.

Takashi, der schon die Hände an den Rollstuhl von Sarah gelegt hatte, hielt Yoshi zurück. „Du nicht, Kumpel. Captain Jones hat ausdrücklich darum gebeten, dich eskortieren zu dürfen. Du wartest hier auf sie.“ Zögernd fügte er hinzu: „Sie bittet dich darum.“

Yoshi warf mir einen unschlüssigen Blick zu. Ich lächelte ihn hilflos an.

Er schnaubte wütend aus und setzte sich wieder. „In Ordnung, in Ordnung. Für so eine Frau lohnt sich ein wenig warten, oder?“

Wäre die Situation nicht so nachhaltig hoffnungslos gewesen, ich hätte amüsiert aufgelacht.

So aber sah ich Megumi an, ergriff ihre Hände und küsste sie auf den Innenseiten. „Ich nehme an, du bist meine Eskorte?“

„Um nichts auf der Welt hätte ich mir das nehmen lassen. Wo ist Kitsune? Sie ist doch mit euch an Bord gegangen.“

„Sie ist abgesprungen, als wir auf der Höhe des Dämonentors waren. Sie wollte Dai-Kuzo Bericht erstatten. Du kennst Dai-Kuzo.“

„Was? Aber ich habe…“

„Du trägst ihre Aura. Du hast sie getroffen, als du drüben warst. Das habe ich mir schon in Tokyo gedacht. Da du noch lebst, musst du ihr gefallen haben. Sehr gefallen haben. So wie mir.“
„Schmeichler“, tadelte sie mich und entzog mir ihre Hände. „Los, gehen wir, Akira Otomo. Dies ist dein letztes Kapitel als Aoi Akuma.“

Auf unserem Weg nach draußen bemerkte ich, dass meine Leute gut behandelt wurden. Die Infanteristen und Panzerleute waren durchwegs Soldaten und Offiziere der beiden Divisionen Tiger und Drachen, ebenso die Daishi-Piloten, die nicht zu den Hekatoncheiren gehörten.

Wir hatten geholfen sie zu retten, nun erwiesen sie ihre Dankbarkeit in einer vorzüglichen, zuvorkommenden Behandlung, die knapp an offener Meuterei vorbei schlitterte, um die Akuma-Gumi wieder zu befreien. Knapp und vorbei.

Ich grüßte jeden meiner Leute den ich sah, verteilte ein paar aufmunternde Schulterklopfer und schloss verängstigte Mitglieder wie Akane und Kei kurz in die Arme um ihnen Mut zu machen. Das alles kostete seine Zeit, aber Megumi hetzte mich nicht. Und die Wachsoldaten, die sie zu den wartenden Shuttles führten, hinderten uns nicht daran. Shuttles… In meinem Kopf machte es erneut Klick.

Ich bekam fast einen Weinkrampf, als ich mit ansah, wie sich mein Hawk – verdammt noch mal, mein Hawk, meiner, meiner, meiner – aus dem Hangar bewegte und auf ein Großraumshuttle zustampfte. Die anderen mächtigen Mechas der Hekatoncheiren folgten.

Ein Anblick, bei dem man weinen konnte, durfte, musste. Aber ich unterdrückte den Impuls.

„Akira, ich…“

„Psst, Briareos, es ist in Ordnung, es ist alles in Ordnung. Ist Apollo schon weg?“

„Er ging mit einem der ersten Flüge raus. In einem Tag ist der Stützpunkt wieder so leer wie dein Kopf“, scherzte sie und wider erwarten musste ich grinsen.

Das Innere des Stützpunkts war schon reichlich geleert. Die Versuchswerkstätten wurden unter fachkundiger Anleitung der Ingenieure und Techniker geräumt, die Mitglieder der Hacking Crew legten beim verladen ihres hervorragenden Equipments sogar Hand an.

Joan Reilley koordinierte derweil die Verladearbeiten unseres Supercomputers. Sie lächelte verlegen zu mir herüber, während sie schon wieder von schüchternen Soldaten gestört wurde, die unbedingt ihr Autogramm haben wollten.

Mit einem brennen in der Brust sah ich dabei zu, wie Sarah die Demontage des Holotischs leitete. Das brandneue Exemplar für unseren Planungsraum hatten sie sicher schon abgebaut und verladen.

Es tat mir in der Seele weh, all dies zu sehen. So primitiv der Stützpunkt auch gewesen war, es war unser Revier gewesen. Unser Hangar, unser Quartier, unser Strand und unsere mit regelmäßiger Beständigkeit ausfallenden Stromgeneratoren… Bequem tauchte bei meiner Definition von Stützpunkt jedenfalls nicht auf.

Karl erschien neben mir und salutierte erst vor Megumi, dann vor mir. „Colonel, die Verladearbeiten gehen gut voran. Mit Ihrer Erlaubnis fliege ich jetzt schon zusammen mit den Hawks und dem Eagle. Nur für den Fall, dass irgendwelche voreiligen Wissenschaftler glauben es sei Weihnachten und die Mechas ihre Geschenke, die sie auspacken dürfen.“

„Erlaubnis erteilt, Karl.“ Ich klopfte dem alten Mann auf die Schulter. „Tut mir Leid, dass es so enden muss.“

In den Augen des Älteren erschien ein ironisches Funkeln. „So? Mir nicht. Ich denke, da wo wir hingehen, funktionieren die Duschen immer.“

„So kann man es auch sehen. Aber ich gebe meine Freiheit nicht gerne für ein wenig Komfort auf.“

„Freiheit? Willst du heiraten, Junge?“, scherzte Karl, amüsierte sich über Megumis und meine Verlegenheit, klopfte uns beiden auf die Schulter und ging weiter.

„HEY! Geht da vorsichtiger mit um! Das ist ein von mir modifiziertes Herkules-Schwert, das schneidet sogar Sonnenlicht!

IHR! Gleich rammt ihr das Zwischenschott! Wenn die Biotanks von eurer Plattform runter fallen müsst ihr aber euren Sold verdammt lange sparen!

DU! Nicht trödeln, hier ist noch ne Menge zu tun!“

Ich seufzte leise und ging weiter. Beständig funktionierende Duschen, das war ein verlockender Gedanke.

Als ich in meinem Appartement ankam, runzelte ich die Stirn. Über die Jahre hatte sich doch eine Menge angesammelt. Ich konnte mich gar nicht entscheiden, was ich mitnehmen wollte. Meine Manga-Sammlung vielleicht? Meine Orden? Meinen Rechner?

Megumi fasste mich an der Schulter und drehte mich zu sich um. Sie richtete meinen Kragen und gab mir einen langen Kuss. „Du gehst jetzt herausfinden, ob die Dusche gerade funktioniert. Danach legst du deine Ausgehuniform an und befestigst alle Orden, die dir jemals verliehen wurden. Dann nimmst du dir einen zweiten Satz Wäsche mit und wir fliegen los. Okay?“

Ich strich sanft über ihr Gesicht, berührte mit meinen Lippen ihre Stirn und ihre Wangenknochen. „Okay. Okay.“

Nur langsam ließ sie meinen Kragen los. Wehmütig sah sie mir in die Augen. „Akira. Ich liebe dich.“

„Ich weiß“, antwortete ich lächelnd. Hm, ob ich sie diesmal dazu überreden konnte, mit mir zu schlafen? Ich griff nach ihrer Hüfte, stockte und ließ die Hand wieder sinken. Mit einem traurigen Lachen wandte ich mich um.

„Akira. Diesmal hätte es geklappt. Ich hätte mit dir geschlafen.“

„Ich weiß“, erwiderte ich, ohne mich noch einmal umzudrehen.

***

Als Lilian endlich die Zeit fand Yoshi abzuholen, war bereits über eine Stunde vergangen. Sie entdeckte ihn auf dem Boden des Hubschraubers, in einer sehr unangenehmen Pose, die man nur mit viel Wohlwollen Meditationspose und nicht Selbstverstümmelung nennen konnte.

Yoshi öffnete die Augen, als sie eintrat. „Ist es soweit, Captain Jones?“

Sie schluckte schwer, als ihr Nachname fiel. Es war als würde eine riesige Mauer zwischen ihnen aus dem Boden schießen. „Danke, dass du gewartet hast.“

In einer einzigen fließenden Bewegung erhob er sich. Beachtlich bei der komplizierten Pose, die er kurz zuvor noch inne gehabt hatte. „Ich hatte eh nichts Besseres vor.“

Und er hatte gar keine andere Wahl gehabt, schoss es Lilian durch den Kopf, aber sie sprach es nicht aus. „Tut mir Leid, aber ich musste meine Kottos sortieren. Das hat länger gedauert als ich gedacht habe.“

„Ist in Ordnung“, sagte Yoshi und trat zu ihr. „Ich bin ganz und gar in deiner Hand. Was willst du als erstes tun?“

Sie sah den Größeren an und spürte ihre Wangen rot werden. „Ich… Ich…“

„Nur zu. Ich beiße nicht und ich wehre mich auch nicht“, sagte er mit der Sanftheit eines Mahatma Gandhis.

Abrupt wandte sie sich um. „Wir gehen jetzt dein Appartement ausräumen, okay?“

„Okay.“

Yoshi verließ den Helikopter, Lilian brauchte ein paar Sekunden um es zu begreifen und eilte ihm hinterher.

„Das war es also“, murmelte Yoshi bitter, während sie durch den Stützpunkt gingen. „Ich war nicht sehr lange hier, nicht einmal einen Monat. Aber ich hatte nie so viel Spaß in meinem Leben wie in dieser Zeit. Ich dachte wirklich, ich… Ich dachte wirklich, hier finde ich Freunde fürs Leben, für die Ewigkeit.“

„Du denkst doch nicht, dass ihr alle erschossen werdet? Nein, das ist nicht wahr! Eikichi würde das nie zulassen! Und ich und Megumi auch nicht! Und vergiss die Hekatoncheiren nicht! Und… und… und…“

„Es ist gut, ich weiß, dass du mir nichts Böses willst, Lilian. Aber du bist nur ein Soldat. Und Soldaten führen Befehle aus, und diese Befehle sind manchmal grausam. Ich nehme dir das nicht übel, wirklich nicht.“

„Euch wird aber nichts passieren!“, beharrte sie.

„Wir werden sehen. Nicht das ich was dagegen habe, wenn du Recht behältst“, erwiderte Yoshi schmunzelnd.

Sie betraten seine Zimmerflucht. Und Lilian wunderte sich wieder einmal, wie dieser junge Mann mit so wenig so viel erfüllen konnte. Ein paar Fotos in Aufstellrahmen, ein paar flüchtig hingeworfene Sachen und ein Sportbogen an der Wand reichten, um dem Raum Atmosphäre zu geben.

Yoshi eilte ins Schlafzimmer; kurz darauf hörte man ihn räumen. „Hier drin warst du noch nie, oder? Bei allem was du die letzten Tage angestellt hast, hier bist du nie rein gekommen.“

Trotzig stellte sie sich in die Tür. „Ist nicht so als würde ich das nicht können.“

Yoshi sah zu ihr herüber, richtete sich auf und breitete die Arme aus. „Dies ist mein Reich, mein letztes Domizil, das du noch nicht erobert hast. Meine letzte Bastion. Willst du sie vielleicht jetzt erobern?“

Sie drehte sich zur Seite und sah fort. „Es ist unfair, mir so etwas zu sagen. Ich wollte dich nie beherrschen. Und ich wollte dich nie ausnutzen.“

„So? Nun, vielleicht wird es für dich einfacher, wenn ich mein Hemd ausziehe. Manche sagen, ich habe einen gut trainierten Oberkörper.“
„L-lass das.“ Sie blinzelte zu ihm herüber, als sich der ehemalige Mönch aus seinem Diensthemd schälte.

„Du bist mir ja eine. Ich bin in deiner Hand, unfähig mich zu wehren. Du kannst tun und lassen was immer du mit mir willst. Warum greifst du nicht zu?“

„Ich will dich nicht besitzen! Ich meine, nicht so! Du bist nicht mein Sexspielzeug, Yoshi!“

Er trat an Lilian heran, drehte sie in seine Richtung. „Was willst du dann von mir? Warum hast du mich gehetzt, seit du hier bist? Warum sehe ich nur noch Lilian, wenn ich die Augen schließe? Was willst du, Captain Jones?“

„Ich will dich! Dich, Yoshi Futabe! Nichts halbherziges, nichts profanes. Ich will einfach dich, ganz und gar. Lass mich los!“

„Lilian. Du hast vielleicht eines nicht bedacht. Da draußen bin ich absolut in deiner Gewalt, aber hier in diesem Zimmer bist du in meiner.“

Sie starrte ihn an. „W-was willst du damit sagen?“

„Ich will damit sagen, dass ich dir antun kann, was immer ich will. Bis einer deiner Leute hier reinschaut und dich rettet. Du bist jetzt vollständig in meiner Hand.“
„W-was wirst du jetzt tun? Wirst du mich aufs Bett schmeißen, mir meine Kleider vom Leib reißen und mich…“

„Pssst“, hauchte er und strich mit seinen Zeigefinger über ihre Nase und ihre Lippen, das Kinn hinab und den linken Kieferknochen hinauf. „Rede nicht so einen Unsinn. Ich könnte dir niemals Gewalt antun, das weißt du ganz genau. Ich habe schon getötet und verletzt, aber dich kann ich nicht verletzen.

Lilian, du hast die letzten Tage versucht mich zu erobern.“

Sein Zeigefinger strich erneut über ihre Lippen; sie zitterten ebenso wie ihre Augenlider. „Und?“

„Du hast es geschafft.“ Er ergriff mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn, fixierte ihren Kopf und gab ihr einen sanften Kuss, den sie anfangs schwach, später kraftvoll und gierig erwiderte.

Als er sich von ihr löste, bewegten sich ihre Lippen immer noch wie bei dem Kuss.

Yoshi schmunzelte, gab ihr einen Klaps auf den Po und drückte sie zurück in den Vorraum. „Aber jetzt raus mit dir. Ich muss noch packen und wir haben nicht einmal mehr eine Stunde. Wenn wir nicht unpünktlich sein wollen, muss ich mich beeilen. Und wenn du im Zimmer bist, fällt mir vielleicht noch was Besseres ein, Yohko.“

„Wie, was besseres?“

„Schon gut. Es reicht, wenn sich deine Soldaten ihren Teil denken.“

„Es ist mir aber egal, was meine Soldaten denken. Yoshi? Yoshi?“

Grinsend schloss er die Tür. Es fiel ihm sehr leicht diese Frau zu lieben. Erstaunlich leicht.

Er wusste nicht, was sie in Zukunft erwarten würde. Aber sie würde dabei sein, das spürte er. Und irgendwann, wenn sie sich beide vollkommen sicher waren, dann… Dann würde er vielleicht doch drüber nachdenken müssen, ob Akira oder Kei der bessere Pate war.

Falls sie so lange überlebten.

Epilog:

Wir starteten mit einem der mittleren Flüge in einem Großraumshuttle. Ich hatte einen sehr bequemen Platz in der vordersten Reihe, neben mir saßen Megumi auf der linken und Daisuke auf der rechten Seite.

Direkt hinter mir saß Joan, was wirklich lästig war, weil dauernd irgendjemand ankam, um entweder um ein Autogramm zu bitten oder um mit ihr über ihre Lieder zu diskutieren.

Wie berühmt war sie eigentlich?

Ich musste gestehen, dass ich das nicht wusste.

Mamoru saß abseits von uns. Der arme Junge schwitzte ganz schön. Anscheinend rechnete er als Mitglied der japanischen Exilregierung damit, sofort standrechtlich erschossen zu werden. Was nicht unwahrscheinlich war.

Das Shuttle begann mit dem Steigflug, und die Fenster bekamen einen milchigen Schimmer. Bester Beweis dafür, dass wir über zwanzig Kilometer gestiegen waren. Und das Fahrstuhlgefühl hielt noch weiter an.

„Hier spricht Ihr Captain. Ich informiere Sie jetzt über das Ziel unserer Reise. Wir erreichen die Raumstation OLYMP in exakt vierzig Minuten und elf Sekunden. Es sind bereits alle Vorkehrungen für den Empfang der Akuma-Gumi getroffen worden. Ach, und willkommen im Team!“

Verwundert tauschten meine Freunde irritierte Blicke aus.

Ich unterdrückte ein Schmunzeln und griff nach Megumis Hand. Sie ließ mir bereitwillig die Kontrolle darüber, ich führte sie an meinen Mund und küsste die Innenseite.

Sie lächelte verlegen. Na, wenn sie das schon rot werden ließ, was würde dann erst ein Zungenkuss anrichten?

Als wir in den OLYMP einschleusten, erhob ich mich als erster. Ich war der Hauptverantwortliche, ich war der Boss. Dies waren meine Leute. Wenn ich vor meinen Vater trat, dann würde ich es als Colonel der Exilarmee tun, als Soldat, der tapfer bis zum Ende gekämpft hatte.

Ich ging als erster zum Mannschott und wartete darauf, dass draußen der Luftausgleich hergestellt worden war.

Dann, mit Major Uno an meiner Seite, ging ich durch den Hangar und anschließend in den Korridor, der uns in die Station brachte. Soldaten flankierten die Wege, mit unbewegten Mienen und gekleidet in Ausgehuniformen. Beinahe hätte ich anerkennend gepfiffen.

Wir kamen auf einen Knotenpunkt, eine Art Wartesaal, in dem ein eher primitiver Holoprojektor installiert worden war. Er zeigte ein mir sehr gut bekanntes Gesicht, sein Surroundsystem übertrug die Stimme des Mannes. „…sieht die Exilregierung die Gefangennahme von Colonel Otomo und der Akuma-Gumi als ungesetzlichen Akt entgegen der Genfer Konvention an und fordert die kronosische Verwaltung nachdrücklich auf, ihn in das neutrale Hawaii zu entlassen. Ich als Präsident, gewählter rechtmäßiger Vertreter der U.S.A. fordere Sie auf…“

Jordan! Es rührte mich, dass er sofort in die politische Trickkiste gegriffen hatte, um meiner Akuma-Gruppe zu helfen. Ich hoffte aber inständig, dass er nicht auf die Idee kam, es mit dem OLYMP aufnehmen zu wollen.

Megumi führte mich weiter, obwohl ich den Weg auch ohne sie gefunden hätte. Nur einer der Gänge, die tiefer in die Station führten, war dicht von Soldaten gesäumt.

Der Weg ging weiter, bis zur großzügig ausgelegten Zentrale des OLYMPS.

„AKIRA!“

Bevor ich es mich versah, hing mir jemand am Hals. Ich brauchte ein paar Sekunden, um es erstens nicht als Angriff misszuverstehen und zweitens das weinende Bündel Mensch zu erkennen. Helen Otomo, meine Mutter. Moment, Mutter? Die Frau, die ich seit sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte? „Hallo, Mom.“

„Lass dich ansehen, mein Junge. Groß bist du geworden. Und diese Uniform steht dir so hervorragend.“ Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Wie schön. Wie schön, dass du endlich da bist. Jetzt ist die Familie endlich wieder beisammen. Yohko, komm doch her.“

Ich sah zurück und bekam noch mit, wie Lilian eine abwehrende Geste machte und heimlich auf Yoshi hinter sich deutete, aber es war zu spät. Helen trat zu ihr herüber und zog sie vor.

„Mein guter Junge. Du hast sehr gute Arbeit geleistet“, empfing mich Eikichis Stimme. Vater trat nun ebenfalls zu mir heran und klopfte mir auf die Schulter. „Verdammt gute Arbeit. Alleine auf Hawaii, nicht schlecht. Aber fehlt hier nicht noch einer?“

Helen machte ein fragendes Gesicht. „Hier ist dein Sohn, da deine Tochter. Hm, wer kann da denn noch fehlen?“

„Wie wäre es mit Akiras kleiner Adoptivschwester?“ Eikichi schmunzelte. „Akari. Keine Angst, komm ruhig her. Wir beißen nicht.“

Nur zögernd kam die junge Frau heran, versteckte sich aber als erstes hinter meinem Rücken.

Ich zog sie hinter mir hervor. „Darf ich euch vorstellen? Eure neue Tochter.“

Daran, wie Helen dahin schmolz und Eikichi schmunzelte konnte ich sehen, dass ich mit dieser Wortwahl verdammt richtig lag.
Helen hatte sie schon an sich gerissen, bevor Eikichi auch nur ein Wort sagen konnte.

Und Akari schien es sehr zu gefallen.

„Okay, Sir, wie geht es jetzt weiter?“, fragte ich Vater nebenbei.

„Der Sturm des OLYMP. Ich dachte Zeus hätte dich informiert. Oder hat es Briareos getan?“

„Nein, Sakura hat mir zwar gesagt, dass der Sturm bevorsteht, aber…“ Ich sah Megumi an und winkte sie herbei. Als sie in meine Reichweite kam, griff ich nach ihrem Kopf und rieb meine Faust auf ihrer Stirn. „Du hast mich ganz schön hängen lassen, Briareos!“

„Au! Lass das, oder ich verrate allen, dass du Gyes bist!“

Ich lachte laut auf. Dann winkte ich in Richtung meiner Freunde. „Kommt her, Leute. Und fühlt euch wie Zuhause. Das ist das hier jetzt nämlich. Unser neues Zuhause, der OLYMP!“

„Wie ist das denn möglich?“, fragte Yoshi erstaunt.

„Oh, ein lange vorbereiteter, komplexer Plan, an dem wir hart gearbeitet haben. Die Truppenverlegungen durch den Big Drop haben uns endlich die letzten Daten geliefert, die wir brauchten.“ Makoto trat zu uns heran und salutierte. „Gute Arbeit, Gyes. Bin noch gar nicht dazu gekommen, dir wegen Hawaii zu gratulieren.“

„Gleichfalls, Apollo. Ich nehme an, du hast dafür gesorgt, dass die Schlacht um Senso Island ohne Verluste stattfindet?“

„Ich war so frei.“

„Bevor sich irgendjemand fragt, was alles dahinter steckt“, begann Eikichi Otomo und hatte damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, „lassen Sie mich etwas wichtiges erledigen.“

Eikichi trat vor eine Kamera.

„Verbindung zur Exilregierung der U.S.A. steht in fünf, vier, drei…“

„Guten Abend, Hawaii. Guten Abend, Präsident Daynes. Ich kontaktiere Sie wegen Ihrer Anfrage, die Auslieferung von Colonel Otomo betreffend. Diese kommt nicht in Frage. Als neuer Oberkommandierender der erweiterten Hekatoncheiren brauchen wir ihn hier auf OLYMP.“

Ein raunen ging durch die Menge, vereinzelt wurde gejubelt.

Ein Bildschirm flammte auf, Jordan Daynes erschien. „Was soll das heißen? Akira würde nie für die verdammten Kronosier kämpfen!“

„Natürlich nicht, Mr. President. Er kämpft nicht für das kronosische Reich. Er kämpft für die United Earth, ein neu gegründetes Staatenbündnis unabhängiger Gebiete. Ich informiere Sie hiermit, dass Hawaii als erstes diesem Bündnis beigetreten ist und Sie sich defacto auf unserem Staatsgebiet aufhalten. Es freut mich, als offizielles Oberhaupt der UE Ihr Bleiberecht in Honolulu auf unbegrenzte Zeit auszudehnen. Ein Bündnis wäre auch in unserem Sinne, Mr. President.“

„Nette Idee, wirklich, ich könnte mich dran gewöhnen. Aber Sie vergessen, dass da immer noch ein paar hochgerüstete Armeen lauern.“

Ein weiterer Bildschirm flammte auf und zeigte meine Cousine Sakura. Zeus.

„Dazu kann ich Ihnen vielleicht einiges sagen, Mr. President. Die Elitetruppen der Kronosianer, sprich das Pantheon, werden sich nahezu geschlossen in die United Earth Force eingliedern. Ich selbst übernehme das Oberkommando. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass diverse Schiffskommandanten noch heute zu uns überlaufen.“

„Außerdem, Mr. President“, erklang eine weitere Stimme, „steht auch das zweite Plattformsystem zur Verfügung der United Earth. Eikichi, ich melde das Plattformsystem ARTEMIS und APOLLO einsatzbereit und zu deiner Verfügung.“

„Ich danke dir, Jerrard. Also, Mr. President, wie lange geben Sie uns?“

Jordan lachte auf, verstummte, lachte erneut. „Scheiße, das könnte klappen. Akira übernimmt die Hekatoncheiren, sagen Sie? Ob Sie ihn mir mal leihen können?“

„Soll ich Ihnen neben General Otomo auch noch Colonel Uno ausleihen? Dann reicht es zum Skat.“

„General? Wie groß sollen die Hekatoncheiren denn werden?“

„Groß genug, um diese Welt zu einen, friedvollen Menschen und Kronosiern ein gutes Leben zu ermöglichen und Kriegshetzern zu geben was sie wollen – Krieg! Krieg, der sie vernichten wird.“ Eikichi lächelte dünn. „Also, sind Sie dabei?“

„Ist der FJG auf Ihrer Seite?“, hakte Daynes nach.

„Von Anfang an.“

„Commander Otomo, es freut mich, als zweiter der United Earth beitreten zu dürfen.“

Der Rest ging in lautem Applaus und Jubel unter.

Ich applaudierte, bekam diverse Schulterklopfer ab, einige waren nicht so freundlich weil mir unterstellt wurde weit mehr gewusst zu haben als ich offenbart hatte, und sah in die strahlenden Gesichter meiner Freunde und Familie.

Yohko alias Lilian strahlte mich an, bevor sie schuldbewusst zu Yoshi herüber sah. Dann schien jemand einen Knopf in ihrem Kopf zu drücken. „MOMENT MAL!“ Sie eilte zu Yoshi, drohte ihm mit den Zeigefinger und rief: „Du hast mich vorhin im Schlafzimmer Yohko genannt! Warum sollte ich hier ein schlechtes Gewissen haben, dass Mom mich enttarnt hat? Du hast es gewusst!“

„Schlafzimmer?“, echote Vater.

Ich hielt ihn zurück. „Beim packen hatte jeder einen Hekatoncheiren an der Seite, Eikichi. Reg dich gar nicht erst auf.“

Yohkos drohende Haltung sackte in sich zusammen. „Wie lange weißt du es schon?“

„Gewusst habe ich es schon, seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Akzeptiert habe ich es erst als du mich nicht ausnutzen wolltest. Ausnutzen konntest.“

„Ausnutzen? Auf DIE Geschichte bin ich gespannt!“

Hastig schob ich Akari in Eikichis Gesichtsfeld und stoppte ihn damit besser als es eine Betonwand vermocht hätte. Und verschaffte Yoshi und Yohko hoffentlich die Gelegenheit für ein paar klärende Worte untereinander.

Das war diese Station wohl für uns in Zukunft. Für alle Truppen, die in dieser Verschwörung involviert waren, für alle, die so lange und hart gelitten hatten.

Ich ergriff Megumis Hand und drückte sie. Unser Zuhause, OLYMP. Wir hatten ihn gestürmt.