Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Eckdaten

  • Clive Cussler und Boyd Morrison
  • Der Colossus-Code (OT: Shadow Tyrants)
  • Blanvalet 2018, 576 Seiten
  • Übersetzt von Michael Kubiak
  • ISBN 978-3-7341-0781-8

Im Jahre 261 vor Christus wütet in Indien im Königreich Kalinga ein unerbittlicher Krieg, der schließlich vom Feldherrn Ashoka blutig entschieden wird. Doch dieser Sieg fordert einen hohen moralischen Preis. Ashoka entschließt sich nämlich aufgrund der Gräuel des Konflikts dazu, ein Friedensreich zu errichten und dafür zu sorgen, dass niemals wieder Macht in einer Hand vereint werden kann, um derartige Kriege möglich zu machen. Zu diesem Zweck erschafft er den Verbund der „Neun Namenlosen“ (auf dem Klappentext falsch als „Neun Unbekannte“ geschrieben). Jeder von ihnen erhält eine Schriftrolle mit dem speziellen Wissen eines bestimmten Wissensgebietes und hat dies anonym für die Zukunft zu bewahren. So erschafft er eine Machtbalance, die von Dauer sein soll.

Gegenwart: Ohne dass die Weltöffentlichkeit davon Kenntnis hat, existiert der Geheimbund der Neun Namenlosen noch immer. Die Führungspersönlichkeiten sind inzwischen allesamt einflussreiche Milliardäre, über den Globus verstreut, die in Hightech, Medienunternehmen und anderen Branchen die Fäden ziehen. Ihr Ziel ist nach wie vor, globalen Frieden zu schaffen, doch innerhalb des Zirkels gibt es zwei Strömungen, was die Art und Weise der Erreichung dieser Ziele angeht. Anfangs ist das noch nicht so deutlich zu sehen, aber es führt rasch zu einer dramatischen Konfrontation innerhalb des Machtzirkels.

Außerhalb ist davon nichts zu sehen, dort werden auf der öffentlichen Bühne ganz andere Konflikte ausgetragen … wie es jedenfalls scheint. Das ändert sich allerdings sehr schnell – nur kann die Zeichen niemand wirklich begreifen, da die Ereignisse völlig zusammenhanglos scheinen.

18 Monate vor der Gegenwart verschwindet über dem Arabischen Meer ein Airbus A380 spurlos vom Radar. (Es ist unübersehbar, dass die Vorlagefolie für diesen Prolog des Buches in dem Verschwinden des malaysischen Fluges MH 370 am 8. März 2014 zu finden ist, dessen Wrack bis heute verschollen ist und der nach wie vor Rätsel aufgibt. Ausführliche Details findet man in Florence de Changy: Verschwunden, Berlin 2022.) An Bord befanden sich hochkarätige IT-Spezialisten sowie Adam Carlton, der Sohn des Medienmagnaten Xavier Carlton, der zu den Neun Namenlosen zählt. Offiziell gilt das Flugzeug als abgestürzt, alle Besatzungsmitglieder als tot.

In der Gegenwart wird auf einer italienischen Werft ein Schiff sabotiert und schwer beschädigt. Außerdem wird auf einer privaten Raketenplattform, Tausende Kilometer entfernt, ein Satellitenstart vereitelt. Irgendwelche Zusammenhänge stellt niemand her.

Annähernd zeitgleich treibt im Indischen Ozean ein scheinbar wrackreifer Frachter namens Goreno in Seenot und kreuzt hier den Kurs des Schiffes Triton Star, das zu einer Insel im Indischen Ozean unterwegs ist. Dessen Kapitän entschließt sich dazu, verlockt vom präsentierten Gold des Havaristenkapitäns, zu helfen, sich dann aber der Havaristen zu entledigen … dummerweise ist er sich nicht darüber im Klaren, dass er in Wahrheit in eine Falle geht.
Das Schiff ist die OREGON unter Kapitän Juan Cabrillo, die im CIA-Auftrag unterwegs ist, um Waffenschmuggel zu unterbinden … und tatsächlich wird nach der Überrumpelung der Triton Star-Besatzung das Nervengas Novitschok entdeckt, das offenbar auf den US-Stützpunkt Diego Garcia abgefeuert werden sollte. Das kann mühsam vereitelt werden … aber Diego Garcia wird annähernd zeitgleich durch einen rätselhaften elektromagnetischen Puls aus dem Nirgendwo völlig gelähmt.

Cabrillo beginnt rasch zu ahnen, dass er hier einer größeren Sache auf der Spur ist, ohne indes die geringste Ahnung zu besitzen, was wirklich gespielt wird. Er ist in den Machtkonflikt der Neun Namenlosen geraten. Die eine Seite dieses Konflikts strebt an, eine übermächtige Künstliche Intelligenz namens Colossus zu erschaffen, um der Welt Frieden zu geben – oder sie umfassend zu versklaven. Andere Mächtige im Geheimbund argwöhnen allerdings, dass sie damit die Büchse der Pandora entfesseln würden und eine Waffe erschaffen helfen könnten, die sie nicht mehr kontrollieren können. Diese Kräfte versuchen, Colossus zu verzögern oder sogar zu zerstören.
Andere im Zirkel planen dagegen, gewissermaßen alternativ, über ein weitgehend schon existentes Satellitennetzwerk die globale Kontrolle zu erlangen und die Menschheit auf eine furchtbare Weise zu läutern, die womöglich Hunderte von Millionen Menschen umbringen könnte. Auch diese Bestrebungen werden aus dem inneren Zirkel behindert.

Klar ist nur eins: Wer auch immer dieses Rennen gewinnt, hat das Schicksal der Menschheit in der Hand. Aber wie soll man diese Mächte ausschalten, wenn man nicht einmal eine Ahnung davon hat, dass diese Gefahren überhaupt existieren? Das ist das Kernproblem des vorliegenden Romans, und es erhöht massiv die Spannung der Geschichte.
Draußen in der realen Welt folgt Juan Cabrillo mit seiner Crew den rätselhaften Spuren, die dieser interne Konflikt dort hinterlässt und stößt auf einer Insel im Indischen Ozean auf ein Gefangenenlager … und auf Umwegen über eine indische Milliardärsparty kommen sie den Gefahren für die Menschheit schließlich auf die Spur. Doch der Countdown tickt bereits erbarmungslos, auf beiden Ebenen.

Colossus ist so gut wie einsatzbereit, die Aktivierung nur noch Stunden entfernt. Und der Start des letzten Satelliten, der das Ende der Menschheit einleiten soll, wie wir sie kennen, ist auch nur noch Tage weit weg … und dieser Start wird von der rätselhaften EMP-Waffe geschützt, die auch die OREGON nahezu manövrierunfähig macht.

In einem atemlosen Wettlauf gegen die Zeit muss die OREGON-Crew diesmal nach Möglichkeit beide mörderischen Pläne durchkreuzen. Aber bedauerlicherweise erwacht zwischendurch Colossus zum Leben und entdeckt die OREGON-Einsatztrupps …

Die OREGON-Romane von Boyd Morrison – der fraglos den ganzen Roman geschrieben hat, weil Clive Cussler schon vor Jahren verstarb – zeichnen sich durch starke Technikaffinität aus. Der ehemalige NASA-Ingenieur hat wirklich viel Ahnung von dem, was an der Technikfront vor sich geht, und er lässt sich für die Romane stets Hightech-Gefahren und raffinierte Villains einfallen, die die OREGON-Crew unter Juan Cabrillo extrem fordern. Das hat er schon in seinen Vorgängerbänden „Piranha“, „Schattenfracht“ und „Im Auge des Taifuns“ nachdrücklich bewiesen, die allesamt veritable page-turner waren.

In diesem Band war ich einigermaßen skeptisch, weil es schließlich gleich NEUN potenzielle Gegner gab. Das führe, fürchtete ich zu Beginn, zu einer Unübersichtlichkeit des Tableaus. Zu Beginn stimmte das auch, aber ohne zuviel verraten zu wollen: das Tableau dünnt sich rasch aus und lässt eine überschaubare Riege von Gegnern zurück. Interessant an der Struktur der Geschichte war überdies, dass es sich hierbei um zwei interne Rivalen handelt, die sich parallel zur Außenhandlung gegenseitig beharken. Ich kam mir ein wenig vor wie bei einem Mah-Jongg-Spiel mit drei Mitspielern, bei denen zwei dieselbe Sorte von Spielsteinen sammeln und der dritte – in diesem Fall Juan Cabrillo – diese notwendige Verzögerung des Spielausgangs dann dazu nutzt, um eigene Vorteile aus der Situation zu ziehen.

Das bedeutet für den Roman freilich nicht, dass es in irgendeiner Weise langweilig wäre oder man sagen könnte, Cabrillo hätte hier Oberwasser … die Gegner sind die meiste Zeit definitiv weit voraus, und es bedarf des ganzen Einfallsreichtums des Teams, hier voranzukommen. Es wäre allerdings deutlich interessanter gewesen, dem Buch den Titel „Schatten-Tyrannen“ zu geben, weil er einwandfrei passender ist als der neue deutsche Titel. Doch sei’s drum … es ist eine sehr spannend geschriebene Geschichte, die mich dazu brachte, die zweite Romanhälfte an einem Tag zu verschlingen.

Wer also auf spannende Unterhaltung mit raffinierten Feinden und ebenso raffinierten Konteraktionen steht, ist hier bestens aufgehoben. Klare Leseempfehlung von meiner Seite.

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