Bastei 20893

256 Seiten, TB, 2018

Aus dem Englischen von Axel Franken

ISBN 978-3-404-20893-7

Der Anfang ist – jedenfalls scheinbar – der 10. April 2003, als die junge Rebecca Whitaker bei einem Autounfall ums Leben kommt. Ihr Mann Mark ist daraufhin am Boden zerstört, sein ganzes Leben, das er sich so harmonisch und licht ausgemalt hat, liegt mit einem Mal in Trümmern. Ein Gefühl, das ohne Frage sehr viele Leserinnen und Leser bestens nachvollziehen können, denn solche Tragödien ereignen sich wirklich ständig.

Doch in diesem Roman laufen die Dinge notwendigerweise anders … auf eine ziemlich schräge Weise anders. Mark Whitaker quält sich die nächsten acht Jahre und macht dennoch Karriere in der Anwaltsfirma, in der er damals schon tätig war. Doch der Schmerz vergeht notwendigerweise nicht. Als die Geschichte wirklich beginnt, händigt ihm seine Sekretärin Siobhan einen zerknitterten dicken Umschlag aus, auf dem ausdrücklich steht, dass er ihm am 7. Oktober 2011 auszuhändigen sei. Erst mit etwas Verspätung geht Mark auf, dass dieser Umschlag offensichtlich mit seiner eigenen Handschrift beschriftet wurde … höchst obskur. Aber er öffnet ihn an diesem Abend nicht, sondern verlässt die Kanzlei. Erst später an einer Tankstelle schaut er in den rätselhaften Umschlag und entdeckt, dass erstaunlich viel Geld darin steckt. Da fällt ihm in einem Fernsehmonitor erstmals eine seltsame steinerne Engelfigur ein – und der Leser schaudert ahnungsvoll.

Auf einmal sind dann da diese drei Fremden, die Mark bedrängen und vorgeben, ihn retten zu wollen – ein Mann mit Fliege, der sich der Doctor nennt, ein trottelig wirkender junger Mann und ein attraktiver Rotschopf von Mädchen, die auf die Namen Amy und Rory hören (siehe Titelbild). Sie erzählen ihm allerlei wirres Zeug, und Mark macht, dass er von ihnen wegkommt.

Doch obwohl er von diesem Geschwafel nichts richtig glauben konnte, weil es sich einfach absurd anhörte, verfolgt ihn auf rätselhafte Weise diese steinerne Engelfigur bis zu Marks Haustür. Hier wird er von ihr berührt … und dann ist sowieso alles anders, und das Abenteuer beginnt.

Diese steinerne Engelfigur ist den Fans der Doctor Who-Serie bestens bekannt – im Zuge des Neustarts der Serie anno 2005 tauchen die Weinenden Engel als schaurige Feinde des zeitreisenden Gallifreyers auf. Sie sprechen nie ein Wort und bewegen sich augenscheinlich nicht – bis man blinzelt. Dann nähern sie sich, und sobald sie den Betrachter berühren, schleudern sie ihn in die Vergangenheit und stehlen ihm temporale Lebensenergie, von der sie existieren.

Das ist es, was mit Mark Whitaker passiert ist … beinahe jedenfalls.

Umstandslos findet sich der arme Kerl im Jahr 1994 wieder und ist vollkommen desorientiert. Nun nimmt er sich die Zeit, den Briefumschlag näher zu betrachten (und das Geld darin hilft ihm, sein Essen zu bezahlen, da das moderne Geld notwendigerweise nicht mehr gültig ist … oder besser: noch gar nicht existent). Mit dem Lesen des Briefes, den der Umschlag außerdem enthält, beginnt die Achterbahnfahrt tatsächlich.

Der Brief wurde augenscheinlich von ihm selbst geschrieben, und er enthält eine Liste von Informationen und Situationen, die ihm selbst in der Zukunft widerfahren werden – bis zum Jahr 2003. Diese Anweisungen soll er punktgenau befolgen. Der Brief endet mit einem unfasslichen Satz, der sich auf seine verstorbene Frau Rebecca bezieht: „Denn vergiss nicht, wenn du es tust, KANNST DU SIE RETTEN. So, wie ich es getan habe.“

Das scheint wahrhaftig ein Wink des Schicksals zu sein. Es ist möglich, seine künftige Frau zu retten! Er selbst kann sie retten!

Mark Whitaker ist also aus begreiflichen Gründen fest entschlossen, sich genau an diesen Plan seines zukünftigen Ichs zu halten, um Rebeccas tragischen Tod zu verhindern.

Dummerweise taucht dann aber wieder der Doctor mit Amy Pond und Rory Williams mit der TARDIS auf, um ihn von genau diesem Handeln abzubringen. Der Zeitreisende erklärt Mark, was es mit den Weinenden Engeln auf sich hat – und dass diese speziellen Engel sich von Paradoxenergie ernähren. Sie verleiten ihre Opfer also, sich in Widersprüche zu verheddern, um die Zeitlinie entgleisen zu lassen und so stärker zu werden. Er dürfe Rebecca also auf keinen Fall retten, weil dies das Paradoxon auslösen würde, das die Engel anstreben

Doch dann erwähnt Mark den Brief, in dem sein zukünftiges Ich alle Schritte skizziert hat. Damit befinden sie sich alle in einer Zwangslage – denn wenn er diese Schritte nicht vollzieht, wird er ebenfalls unausweichlich ein Paradoxon auslösen. Aber kann er dann tatsächlich seine Frau Rebecca retten? Ist das nicht auch ein Paradoxon?

Eine abenteuerliche Achterbahnfahrt durch die Zeit nimmt ihren Anfang, und es dauert, bis der raffinierte, heimtückische Plan der Engel sichtbar wird …

Ich liebe Zeitreisegeschichten, die solide und geschickt gemacht sind, und das hier ist wirklich eine dieser Art. Man könnte denken, dass spätestens auf Seite 50 die Handlung abgeschlossen ist, weil scheinbar alle Fakten auf dem Tisch zu liegen scheinen, doch die Existenz des Briefes ändert in der Tat alles … aber die Geschichte weist raffinierte Hintertüren auf, dramatische Situationen und manche Komplikation, um die einzelnen Stationen des Romans auch tatsächlich anzusteuern. Die Slalomfahrt zwischen den Jahren in Mark Whitakers altem und neuem Leben, während man als Doctor und als Leser ständig versucht, den zentralen Grund dieses Handelns herauszufinden, treibt uns auf sehr angenehme Weise durch die Seiten und hat durchaus ein paar amüsante Effekte im Gefolge.

Ich für meinen Teil habe die Geschichte jedenfalls durchweg genossen und kann sie darum guten Gewissens nicht nur den Whovians der Welt empfehlen – auch wenn eingestanden werden muss, dass sie natürlich aufgrund ihres Hintergrundwissens über die Serie die Feinheiten des Romans besser nachvollziehen können. Aber wer den Roman geschmökert hat, ist sicherlich gespannt darauf, sich die Doctor Who-Folgen anzuschauen, in denen es um die Weinenden Engel geht. Und nein, keine Sorge, ich spoilere hier nicht mehr. Die müsst ihr euch dann schon selbst anschauen. Das lohnt sich.

© 2025 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 29. November 2025