Es gibt im Leben viele erste Male – und sie sind nicht immer angenehm. Eigentlich ist fast immer eine ungute Komponente damit verbunden, oft schon vorher.

Das erste Mal auf einem Sprungturm stehen.

Das erste Mal allein mit dem Rad fahren, ohne Unterstützung.

Das erste Mal selber am Steuer eines Autos sitzen.

Das erste Mal Sex. Das ist nicht nur für ein Mädchen ein zumeist schmerzhaftes Erlebnis, sondern auch für den Knaben. Besonders dann, wenn beide gleich viel Erfahrung haben, nämlich keine.

Aber am einschneidendsten ist das erste Mal, wenn man eine bestimmte Diagnose hört.

Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass es NHL ist.“

Ein bitte was?“

Ein Non Hodgkins Lymphom. Lymphknotenkrebs.“

Zuerst nähert sich die Wand ganz rapide Deinem Rücken, dann der Boden Deinem Gesäß. Auf gut Deutsch – es haut Dich auf den Arsch. Mein erster Tipp ist also, wenn ein Arzt auf Dich zukommt und sagt: „Ich habe ein Ergebnis vorliegen“, dann such Dir eine Sitzgelegenheit. Wenn Du sie nicht brauchst, dann freue Dich, aber wenn schon …

Wie hat das Ganze angefangen? Im Oktober 1998 fragte mich meine Frau nach zwei Erhebungen am Hals und bemerkte, ich solle einen Arzt aufsuchen. Also tue ich, was jeder gut erzogene Ehemann macht, nämlich das, was die Frau sagt. Irgendwann. In diesem Fall sogar ziemlich bald, nämlich im November. Tut ja nichts weh, was soll schon sein. Nun, die Hausärztin sieht genau hin, drückt, fragt nach Schmerzen, setzt sich wieder hin und sagt dann, dass es nicht sicher sei, was es ist. Ich solle ins Spital, im nächst gelegenen könne sie mir innerhalb von zwei Wochen einen Termin machen. Dippel rausschneiden und histologisch untersuchen lassen. Irgendwie überrumpelt sage ich zu – und halte den Termin auch ein. So bin ich halt erzogen.

30. November 1998, 9:00 Uhr. Es beginnt das übliche Procedere der Aufnahme und der Vorbereitung zur OP. Anamnese. Beratung. Internistische Freigabe. Vorbereitungspille. Gewand. Rasur. Dauernadel. Es ist ein eingespieltes Ritual, schnell gemacht, es ist ja kein großer Eingriff.

Hier ein kleiner Tipp gleich zwischendurch:

Ihr werdet bei jeder Aufnahme das gleiche gefragt. Welche Krankheiten, Verletzungen, Impfungen – eben die ganze Vorgeschichte. Also legt Euch eine Liste an, wo das drin steht. Da windet man sich in einer Kolik und soll wissen, wann die Blinddarmoperation oder die Mandeln waren. Gleiches gilt für Medikamente. Dann gibt es kein Vergessen.

Aber weiter. Die ersten Tage im Krankenhaus nach der Narkose waren nicht lustig, aber ich hatte mir einige Bücher von Anne McCaffrey mitgenommen. Pern. Ich wollte sie ohnehin immer schon lesen, es schien eine gute Gelegenheit zu sein.

Dann – PENG!

Die Diagnose ist da.

Es gehen einem da schon einige Gedanken durch den Kopf. Pläne. So etwa einer, in dem Schlafmittel, blutdrucksenkende Medikamente, eine Flasche Cognac und ein Balkon bei Minus-Graden eine zentrale Rolle spielen. Nun, im Krankenhaus komm man schwer an Alkohol, und einige Tage später hat man sich auch wieder gefangen.

Es folgen die unvermeidlichen Blutabnahmen, eine Knochenmarkstanze, ein CT – man ist wieder in einer Routine gefangen. Dann, etwa zweieinhalb Monate nachdem meine Frau die Schwellung bemerkt hat, hing ich an der Nadel. Ein halbes Jahr alle drei Wochen eine Infusion. Besonders witzig, wenn man wie ich panische Angst vor Injektionen und ähnlichem hat.

Dazwischen eine Stammzellenpherese. Zwei Wochen Krankenhaus, am Beginn eine konzentrierte Chemo, dann jeden Tag zwei Injektionen. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Die ersten Tage kämpft man mit Übelkeit und auch einem gewissen seelischen Kater. Physis und Psyche sind komplett aus dem Gleichgewicht. Dann – oh welch Freude – wird man wieder aufgeschnitten. Ein sogenannter Cava-Katheter wird gelegt. Also, ein kleiner Schlauch in die Vena Cava inferior hinter den Rippen. Keine allzu große Sache, aber auch nicht wirklich angenehm. Und dann – zwei Tage hintereinander etwas über drei Stunden liegen, während durch den einen Teil des Katheters Blut aus dem Körper entnommen, durch eine Gerät gepumpt und wieder zurück in den Körper geleitet wird. Übrig bleiben Stammzellen. Zur Lagerung für später.

Kann man überleben.

Habe ich überlebt.

Lustig war’s nicht.

Ende Sommer `99 dann noch eine Strahlentherapie. Sonnen- also, genau genommen Strahlenbrand am Hals. Damit war natürlich zu rechnen gewesen, und dass man sich am Hals nicht waschen soll, weil die dort aufgemalten Markierungen nicht weggewaschen werden sollen, leuchtet durchaus ein. Unangenehm, aber nicht das Schlimmste.

Aber hattet Ihr schon einmal Sonnenbrand IM Hals? So viel Eis, um das zu kühlen, kann man gar nicht essen.

Das war meine erste Bekanntschaft mit einem Tumor. Das zweite Mal war es – die Prostata.

2004. Bei einer routinemäßigen Untersuchung wurde unter anderem ein erhöhter PSA-Wert festgestellt. Hat mich nicht sehr gekümmert, ich wusste nicht, was das Ding ist. Es ist das ‚Prostata-spezifische Antigen’. Ich hatte mich nie mit dem Organ befasst, weil es funktionierte. Ich wusste zwar, dass Mann sich ab 50 regelmäßig einer Untersuchung unterziehen sollte, aber hey, bis dahin hatte ich noch ein paar Jährchen. Fünf, wenn man genau sein will. Also, sche** drauf!

2007 war ich immer noch keine 50, habe aber durch puren Zufall erfahren, was PSA bedeutet. Und ein erhöhter Wert. Das Antigen ist nämlich ein ziemlich sicherer Tumormarker.

Allerdings wollten die Ärzte nicht gleich operieren, sondern machten zuerst eine Menge Untersuchungen. Ultraschall, Röntgen, CT. Und weil das bei der Höhe des Wertes nicht mehr ausreichend war, eine Prostata-Stanze. Ja, das ist genau so toll, wie es sich anhört. In den After wird eine Sonde gesteckt, die mit federbetriebenen Hohlnadeln durch die Darmwand Proben aus der Prostata entnehmen. Man bekommt zwar eine örtliche Betäubung, aber – nun, ich habe keine Prostata mehr, der man eine Probe entnehmen müsste. Wenn es Euch blühen sollte, dann fragt nach einer Narkose. Oder einer doppelten Dosis Betäubung.

Oder noch VIEL besser, geht mit 45 zu einer Blutabnahme und lasst Euch Tumormarker bestimmen. Und ab 50 regelmäßig. Es lohnt sich.

Na ja, was soll man über eine Operation groß sagen. Ich bin eingeschlafen und ohne Prostata wieder aufgewacht. Mit der damals neuen, heute allerdings zum Standard gewordenen minimalinvasiven Knopflochmethode. Fünf winzige Schnitte statt einem großen. Der Chirurg hat es sogar geschafft, mir eine gewisse Potenz zu erhalten. Natürlich ohne Zeugungsunfähigkeit, aber auch ohne Flecken auf dem Laken. Nur so ganz dicht bin ich seit damals nicht mehr, aber in Österreich werden ausreichend Inkontinenzartikel bezahlt. Es dauert nur, bis man sich daran gewöhnt hat.

Und hier liegt der besonders große Vorteil der frühen Erkennung. Es reicht meistens, nur einen Teil der Prostata zu entfernen – und damit bleiben beide Schließmuskel der Harnröhre erhalten. Also weiterhin Pipi nur auf Kommando. Trotzdem, jo mei! Ma ko damit ldb’m, dass ma undicht is.

2009 habe ich dann den Hattrick geschafft. Den dritte Teil der Trilogie. „The return of NHL“. Wieder Chemotherapie. Trotzdem – ich hatte Glück. Großes Glück. Ich lebe noch.

Meine Mutter, der Sohn ihrer Schwester und ihre Mutter sind an Darmkrebs gestorben.

Mein Cousin hat immer gesagt, er mag es nicht, wenn ihm jemand im Hintern herumstochert. Nicht wörtlich, sondern in seinem breiten wienerisch-bayrischen Dialekt. Bis es zu spät war – und niemand wusste, ob ihn die Krankheit oder die Therapie schneller und schmerzhafter unter die Erde bringt.

Meine Mutter hatte eine seit Jahren abgelaufene Zuweisung für eine Darmspiegelung in der Tasche.

Hätten sie überlebt, wären sie früher zum Arzt gegangen? Zumindest hätten sie eine Chance gehabt. Mein Vater hat es geschafft, noch einige Jahre zu leben, er ging rechtzeitig.

Meiner Meinung nach ist es lohnend, zu Untersuchungen zu gehen. Frauen zur Brustuntersuchung, Männer zumindest zur Blutabnahme für PSA. Beide zur Darmspiegelung, spätestens ab 50. Tut nicht weh, das unangenehmste ist die Abführung. Oder zumindest eine Stuhluntersuchung auf okkultes Blut. Es lohnt sich, mit dem Hausarzt über Tumormarker im Blut zu sprechen, einige Arten können heute schon mit einer Blutabnahme abgeklärt werden.

Ja, ich weiß schon, who want’s to live forever? Aber an einem Tumor zu sterben ist nicht witzig. Gar nicht.