Eine Rezension von Uwe Lammers
(OT: Ancient Shores)
Von Jack McDevitt
Bastei 24235
448 Seiten, TB
Übersetzt von Axel Merz
ISBN 3-404-24235-1
Eigentlich will Tom Lasker, Farmer in Fort Moxie, North Dakota, nur ein System zur Wasserbeförderung vom Brunnen in seinem bis dahin ungenutzten Acker graben. Keineswegs denkt er daran, als er dicht unter der Oberfläche auf eine dreieckige Form aus Metall stößt, dass seine Entdeckung sehr bald an die Schwelle eines Krieges führen wird. Woher soll er das auch ahnen?
Hätte er auf seine Frau gehört, dann hätte er auch nicht versucht, das „Ding“ auszugraben, sondern die sich unter dem dreieckigen „Wimpel“ anschließende Stange abgeschnitten und vergessen. Aber er ist ein neugieriger Mann. Und so kommt es, dass er weitergräbt. Er und sein Sohn. Und bald noch weitaus mehr Personen. Bis sie in über dreißig Fuß Tiefe vorgedrungen sind und schließlich das ans Tageslicht befördern, was hier unten liegt, augenscheinlich schon eine ganze Weile: es ist eine Segelyacht, völlig intakt, bizarrerweise offenbar aus einem Stück, scheinbar ohne Motor und aus einem seltsamen Material, das bald für Furore sorgt.
Dr. April Cannon von der kleinen Firma Colson Laboratories, die eine Materialprobe vom Segeltuchstoff des Schiffes bekommt, erkennt, dass es sich bei dem Material um ein Isotop handelt, das weit jenseits des bekannten Periodensystems steht und eigentlich blitzschnell instabil werden und radioaktiv werden müsste. Das tut es aber nicht. Keine Macht der Welt kann diese Materie herstellen. Die sich daraus ergebenden Implikationen sind ungeheuerlich und führen zu einer Reihe verwirrender und verstörender Erkenntnisse.
Eine davon ist, dass dieses Schiff offensichtlich gesunken ist, als das Gebiet um Laskers Farm noch ein See war, der Lake Agassiz. Das ist aber wenigstens 10.000 Jahre her. Das Material ist unverwüstlich und altert nicht. Auf der Suche nach einem „Hafen“ oder „Raumschiff“, das dieses Boot hier auf der Erde abgeladen haben muss, gelangen die Männer um Lasker und April Cannon nur wenig später zu einem nahe gelegenen Höhenzug, der im Gebiet der Sioux liegt. Und hier werden sie in der Tat fündig und entdecken ein „Rundhaus“ mit einem Kanal, durch den das Schiff offenbar einmal gefahren sein muss, direkt in den See hinein.
Auch das Rundhaus ist perfekt erhalten, aber oberflächlich eine Enttäuschung, weil es scheinbar keinerlei Hightech enthält, keine Schriften, keine Hinterlassenschaften … so ist es, bis durch einen Zufall die eigentliche Funktion enträtselt wird: das Rundhaus ist Teil eines galaktischen Verbindungssystems, das die Erde mit zahlreichen anderen Welten vernetzt.
Diese Erkenntnis ist für die Wissenschaftler, die sich rasch einfinden, überwältigend. Aber die Nachrichten aus dem Reservat verstören weltweit die Menschen, lassen Börsenkurse ins Bodenlose stürzen, ziehen Fanatiker und Spinner an – und schließlich sieht sich der Präsident der Vereinigten Staaten genötigt, eine gewaltsame Besetzung des Rundhauses anordnen zu müssen, so schwer es ihm auch fällt.
Aber er hat nicht mit dem zähen Widerstand der Sioux und dem Einfallsreichtum der Wissenschaftler gerechnet. So kommt es zu der Eskalation, die im Grunde niemand will und die die Zukunft der Menschheit aufs Höchste gefährdet …
Ich muss sagen, ich habe das Buch gewissermaßen in einem Zug gelesen – gestern gekauft und heute ausgelesen. Es ist von der Art, dass man es einfach nicht mehr aus der Hand legen kann, wenn man ein Faible dafür hat, wie ein SF-Autor die Zukunft mit der Vergangenheit verbindet. Es hat was von dem „Entdecker“-Feeling an sich, das ich hatte, als ich einst vor Jahrzehnten Kurt Brand in seiner Serie REN DHARK auf die Spuren der verschollenen Hightech-Zivilisation der „Mysterious“ folgte.
McDevitt hat ein glückliches Händchen, auf der einen Seite sehr anschaulich Lokalkolorit zu beschreiben und Sympathieträger aufzubauen bzw. ohnehin Personen mit wenigen Seiten Background in die Handlung einzustreuen. Man kommt zwar, wenn man so schnell liest wie ich in diesem Fall, unter Umständen gut durcheinander, aber die Handlung ist dermaßen fesselnd, dass der Leser vom Roman nicht ablassen kann.
Auf der anderen Seite versteht es McDevitt auch, die weltweiten Perspektiven einzubeziehen. In Form von Interviews, Zeitungsartikeln fiktiver Natur und diversen Kurzschlusshandlungen, die auf wenigen Seiten abgehandelt werden, schaukelt er die krisenhafte Situation immer weiter hoch, und zum Teil auf abstruse Weise nachvollziehbar: Was ist etwa die logische Konsequenz, wenn sich die Automobilindustrie mit der sehr realen Befürchtung konfrontiert sieht, dass man möglicherweise bald Autos herstellen kann, die ihre Besitzer überleben? Wenn jeder Mensch nur noch ein Auto braucht im Leben? Was bedeuten die neuen Stoffe für die Textilindustrie? Was wird aus der Raumfahrtindustrie und dem Transportwesen, wenn Antigravitation sowie der Besuch fremder Welten „zu Fuß“ Realität werden? Was passiert wohl, denken sich andere, wenn die BESITZER des Transportsystems wieder auftauchen und ihr Recht beanspruchen? Ist eine INVASION realistisch?
Und dann die Besitzansprüche: das Rundhaus steht ja nur „zufällig“ auf dem Sioux-Gebiet. Es GEHÖRT ihnen eigentlich nicht. Gehört es dann den USA? Der ganzen Menschheit? Ist jene fremde Welt, die man durch das Tor erreicht, gar, wie ein Fernsehprediger mit großer Anhängerschaft behauptet, das „Paradies“, aus dem Gott die Menschheit vertrieben hat und das nie wieder betreten werden darf?
Auf bemerkenswerte Weise schafft es McDevitt hier, Kosmoarchäologie zu betreiben, rationale Wissenschaft, Machtkalkül, Ethik, juristische Spitzfindigkeit und irrationale Hysterie breiter, teilweise irreführend informierter Menschenmengen zusammenzugießen und daraus einen überaus lesenswerten und nachdenklichen Roman zu machen.
Im übrigen schreit der Roman geradezu nach einer Fortsetzung, und wenn ich mir das Cover ansehe, das eine Szene zeigt, die im Buch NICHT vorkommt, aber sehr gut dazu passt, dann ist es sehr nahe liegend, dass der Verlag mal wieder die Cover verwechselt hat und dass es den Folgeband mindestens in Amerika schon gibt. Der neugierige Leser darf sehr gespannt darauf sein.
© 1998 / 2025 by Uwe Lammers
Braunschweig, den 16. Juli 1998
Abschrift für ANDROMEDA NACHRICHTEN am 3. März 2025