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Februar 2084
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Tricky Secret
Nach langer, sehr, sehr langer Zeit fuhr der Hüter die Energiezufuhr für die höheren Gehirnfunktionen wieder hoch. Er aktivierte ein Programm zur Selbstdiagnose und begann mit einer umfassenden Situationsbewertung. Viele, zu viele Jahrtausende hatte er im nanotronischen Äquivalent zu Schlaf verbracht, nur die nötigsten Subroutinen waren aufrecht erhalten gewesen, vor allem die Ortung und Wartung betreffend. Die Bewahrer waren unermüdlich unterwegs gewesen, hatten kleine Defekte repariert und die Basis sauber gehalten, alle nötigen Arbeiten erledigt, und, wenn nötig, die Bronzen um den Kuppelteil gegen neue, exakte Kopien, ausgetauscht.
Es war, seit die Erbauer diese Welt wieder verlassen hatten, nicht oft vorgekommen, dass der Hüter geweckt wurde. Einige Male hatten Schiffe das System passiert, nur kurze Stopps, um danach wieder zu verschwinden. Einmal war ein Schiff gekommen, eine halbe Walze, und hatte den Planeten des Hüters angeflogen. Kurz vor der Landung war eine Flotte anderer Schiffe gekommen und hatte das eine in ein heftiges Gefecht verwickelt, das Schiff war unweit seines Standortes in den Grund des damals schon nicht mehr existierenden Ozeans gestürzt. Wieder begann das Warten, lange Zeit war es wieder still geworden um den roten Riesen. Einmal war ein Geschwader von 108 Raumschiffen, zumeist in Kugelform mit Ringwulst, am Rande des Systems erschienen, hatte einige Ortungen vorgenommen und war wieder verschwunden. Dann wieder Ruhe, bis eine kleine Kugel mit 600 Metern Durchmesser gekommen war. Diese hatte Kurs auf den jetzigen dreizehnten Planeten genommen, zwei winzige Flugkörper hatten die Kuppel überflogen und waren in Richtung Grabenbruch geflogen und in diesen eingedrungen. Dann kam ein kleiner Diskus aus der Kugel, welcher zuerst in den Graben flog und dann mit den kleinen Flugkörpern am Rand der Stadt landete. Vorsichtshalber weckte der Hüter die Beschützer, gab ihnen allerdings den Befehl, noch abzuwarten. Aber er fuhr einen weiteren Meiler hoch und schaltete die restlichen auf Bereitschaft.
Vier Wesen näherten sich der Kuppel, unter welcher der Hüter aufgebaut war. Alle waren den Erbauern vom Aussehen ähnlich, den Hüter ergriff so etwas wie freudige Erregung. Waren die Urenkel der Erbauer zurück gekehrt? Doch diese Urenkel schienen nicht die geringste Ahnung von seiner Existenz zu haben, der Hüter berechnete die Notwendigkeit weiterer Beobachtungen. Zwei der Wesen waren um die Kuppel geschritten, während das große Schiff landete, der Hüter zeichnete den Sprechverkehr auf. Je mehr Informationen er zur Verfügung hatte, desto besser war es. Ein Wesen hatte versucht, mit Ortungsgeräten einen Eingang in die Kuppel zu finden, es war dem Hüter nicht schwer gefallen, die Tarnung beizubehalten.
Es folgten Flüge in den Grabenbruch, sie bauten auch zuerst ein Lager nahe des Wracks, dann landete ein sechzig Meter durchmessendes Beiboot neben dem alten Schiff, um den Forschern die Bequemlichkeit zu bieten, die auch die Erbauer schon schätzten. Wäre der Hüter eine biologische Person gewesen, hätte er jetzt gelächelt. Pünktlich wie fast jeden Tag kam eine der Personen, die mit den Geräten hantierte und seine Geheimnisse ergründen wollte. Dieses Mal jedoch wurde sie begleitet. Der Hüter tastete ab, verglich die Daten mit seinen Speichern, wenn diese Wesen den Erbauern ähnlich waren, hatte er eine Frau und einen Mann vor sich. Hinter den Beiden blieben noch vier Personen in einigem Abstand abwartend stehen. Der Hüter machte sich bereit, die Testergebnisse wie immer zu verfälschen. Doch er musste umschalten, diese Handlung hatte er nicht im voraus berechnet.
Der Mann legte seine Hand auf die Brust, auf vielen Frequenzen empfing der Hüter das Wort
„Chris!“. Dann wies die Frau mit der gleichen Geste auf sich und sagte: „Tana!“ Das Wesen Chris zeichnete die Konturen des Wesens Tana nach, die ihre Arme zur Seite gestreckt hatte. „Frau!“ Er streckte seine Arme zur Seite, Tana zeichnete seine Konturen nach. „Mann!“ Der Hüter beschloss, dass es an der Zeit war, eine Reaktion zu zeigen, dieses Verhalten war als deutliches Zeichen eines Wunsches nach friedlicher Kontaktaufnahme zu werten. Außerdem sprach eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie etwas oder jemand erwarteten, der sie bemerken und auf ihre Versuche antworten konnte. Also beschloss der Hüter, auf die Kommunikationsversuche einzugehen. Er projizierte auf seine Außenwand das Bild eines nackten Mannes aus dem arkonoiden Volk, betonte die äußeren Unterschiede im Körperbau. „Mann!“ Daneben das Bild einer Frau der zarten Spezies, ebenfalls mit farblich hervorgehobenen primären und sekundären Geschlechtsteilen. „Frau!“ Er hatte willkürlich eine der Frequenzen gewählt und vokalisierte die Worte. Die Wesen Chris und Tana blickten sich an und nahmen sich kurz an den Händen. Dann ließ er sie los und ging ein paar Schritte. „Gehen!“ Der Hüter schematisierte die Darstellung des Mannes, betonte die Füße, bewegte sie. „Gehen!“ Dann ergriff er die Initiative. Er hatte mehr Möglichkeiten, etwas darzustellen. Er vergrößerte eine Hand, ließ sie hell/dunkel pulsieren „Hand!“ Das Wesen Tana hatte verstanden und ihre Hand mit gespreizten Fingern gegen die Kuppel gehalten. „Arme! Kopf! Beine! Füße! Penis!“ Ein Körperteil nach dem anderen wurde benannt. Der Hüter ging zu einfachen Handlungen über, der Wortschatz stieg. Dann hob der Hüter die erste Sicherheitssperre auf.
*
Leutnant Leonhard Kleinschmid war ein wenig nervös. Mitten in der Schicht war Major Di auf die Brücke gekommen, zu Oberst Ghoma gegangen und hatte während des Gesprächs auf ihn gezeigt. Die Skipper hatte gelächelt, genickt und ihn gerufen, ihm den Befehl gegeben, sich zu Major Dis Verfügung zu halten. Die zierliche Chinesin hatte ihm grüßend zugenickt und mit knappen Worten befohlen, ihr zu folgen. Als er bemerkte, dass er ihren gut geformten, schwingenden kleinen Hintern nicht aus den Augen lassen konnte, errötete er bis an die Haarwurzeln und zog es nun vor, lieber ihren wippenden Zopf im Blickfeld zu behalten. Dann waren sie in einen bereit stehenden Schwebewagen gestiegen und zum aufgefundenen Wrack gefahren, das mittlerweile tatsächlich den Spitznamen ‚Flugzeugträger‘ erhalten hatte.
„Ihre Mutter arbeitet doch an einem völlig neuen Typ von Generator. PSP, oder so ähnlich?“ Major Di unterbrach das Schweigen und sah aus den Augenwinkeln, wie der Leutnant erstaunt zu ihr blickte und lächelte beruhigend. „Professor la Paz hat Ihre Mutter erwähnt, Leutnant. Ich hoffe, sie wissen zumindest ein klein wenig über diese Dinge Bescheid!“
„Ein wenig. Ein ganz klein wenig. Im Ansatz.“ Leonhard schluckte. Er hatte zwar einige Versuchsanordnungen seiner Mutter gesehen, aber selbst sein technisches Verständnis war an seine Grenzen gekommen. Seine Mutter hatte weit, weit über diese Grenzen hinausgedacht. Mit Quantenphysik kam er gut klar, mit Metaphysik auch so halbwegs, aber die Verbindung zwischen den beiden wollte bei ihm und vielen anderen Technikern einfach nicht klappen. So wie Ferronen nicht fünfdimensione Mathematik verstehen konnten, so waren eben nur wenig Menschen in der Lage, diese Grenzen zu überschreiten und eine Verbindung zwischen den Disziplinen herzustellen. Angel Kleinschmid, die in ihrer kurzen Ehe Kamashova geheißen hatte und nun wieder ihren Mädchennamen trug, hatte diesen Sprung über die Grenzen hinweg geschafft. Lange Zeit hatte sie einen gewissen Franz Pachler aus tiefstem Herzen dafür verflucht, ihr bequemes Weltbild zerstört zu haben. Dann hatte sie ihre Vorstellungen überarbeitet und eingesehen, dass die Welt eben doch kein so einfacher Mechanismus war, keine Maschine, sondern geheimnisvoll und voller kleiner Wunder, dass faszinierende Ebenen hinter-, über-, unter-, neben- und voreinander lagen, die mit keiner bekannten Wissenschaft erklärbar waren und doch existierten. Dass all das keine Esoterik sein musste, nur ein weiteres beinahe unendlich scheinendes Forschungsgebiet, und vielleicht eines Tages irgendwann einmal ebenso Bestandteil der Exoterik wie die euklidische Geometrie. Und Angel Kleinschmid war sich bewusst, dass eines Tages all ihre Entdeckungen zum alten Eisen gehören würden, längst überholt von völlig neuen Techniken und Erkenntnissen. Ein wenig bedauerte sie, es wohl nicht mehr erleben zu können, sie hätte nur zu gerne gewusst, was hinter der nächsten Grenze lag. Trotz aller Fortschritte in der Geriatrie würde sie es aber wohl nur erfahren, wenn ein Wunder geschah.
Ihr Sohn stand jetzt in der Maschinenhalle des Flugzeugträgers und bestaunte die gigantischen Geräte, die hier standen. Mit Hilfe von Traktorstrahlen hatte man das beschädigte Schiff wieder ‚auf Kiel gelegt‘ und in dieser Lage gesichert. Es war so sehr viel einfacher, ihn zu erforschen.
„Mein lieber Junge!“ Benito la Paz stand neben ihm. „Stelle Dir das hundert mal kleiner vor, dann sehen einige, sogar viele Elemente in dieser Halle so ähnlich aus, wie die Modelle, an denen Deine Mutter gearbeitet hat, oder?“
„Von außen ja!“ Leonhard schüttelte den Kopf und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Aber was sagt das schon? Unter der Isolierung könnte sich sonst etwas verbergen.“
La Paz nickte und gab ihm ein Pad. „Dort oben ist ein Stück Isolierung kaputt, das sind Bilder aus dem Inneren.“
„Ja!“ rief Leonhard. „Genau so sah das auch bei Mutter aus. Mein Gott, ist das riesig! Also, meine Mutter wollte aus einem Modell – nein, das ist reiner Wahnsinn! Mit dieser Halle könnte man die HEPHAISTOS vierzig, fünfzig Mal mit Energie versorgen, wenn sie recht hat! So viel Energie konnten sie doch niemals verbraucht haben!“
„Du hast die Geschütze da oben nicht gesehen, Junge!“ bemerkte der Professor trocken.
„Oh boy, boy, boy! Das hier ist ja irre. Das müsste sich meine Mutter einmal ansehen! Unbedingt! Ich bin der falsche dafür.“
La Paz nickte und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Das glaube ich Dir schon. Ich wollte eben nur sicher gehen, dass ich richtig gesehen habe.“ Dann wandte er sich um. „Korporal!“
Charlene Hobbs nahm jene Stellung ein, die bei Starlights als Habt-Acht-Haltung durchging. „Professor?“
„Bitte, bringen Sie den jungen Mann wieder zur KLEOPATRA. Ich danke Ihnen! Ihnen beiden.“
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Reggys System
An Bord der HEPHAISTOS
Das Labor am Rand der großen Station lag im Dunkel, nur an einer Stelle erhellte das Display eines Pads ein wenig die Umgebung, riss das Gesicht einer Frau aus der sie umgebenden Finsternis. Angestrengt studierte Angel Kleinschmid die Zahlen, die Diagramme, wieder hatte ein Versuch nicht richtig funktioniert. Die Theorie stimmte, sie war felsenfest davon überzeugt, aber in der Praxis …! Immer und immer wieder brach die Energieabgabe zusammen, lief der PPS-Meiler leer und dann aus. Sie wischte sich eine Träne aus den brennenden Augen und studierte weiter die letzten Messergebnisse.
„Da bist Du!“ Plötzlich flammte das Licht auf, die Silhouette einer weiteren Frau wurden sichtbar. „Sitzt Du schon seit dem Versuch hier und starrst auf den idiotischen Bildschirm? Habe ich es mir doch gedacht! Stundenlang wiederholst Du jetzt schon jeden Schritt.“ Angel streckte sich, dank ‚Smokebeard Murphy‘ und seinen Antigeriatrie-Medikamenten sah man von den 64 Jahren, die Angel bereits gelebt hatte, nur 35. Allerdings hatten sich um die Augen einige zarte Krähenfüße gebildet, an den Mundwinkeln hatten sich Anflüge von Fältchen entwickelt. Sie lachte seit ihrer Scheidung eben wieder gerne und kniff dabei die Augen zusammen. Ihre Assistentin Klara Berger war wie ihre Chefin etwa mittelgroß, doch im Gegensatz zu Angel hatte sie sehr üppige Formen und blondes, halblanges Haar.
„Ich muss es tun, Klara! Ich muss! Ich habe schon so viel Geld und Zeit in den Sand gesetzt, ich muss doch endlich Erfolg haben!“
Klara strich Angel zärtlich über das kastanienbraune Haar. „Armer Liebling. Nein, Schatz, keinen Kaffee mehr.“ Klara nahm Angel die Tasse aus der Hand. „Du bekommst von mir noch einen Becher warme Milch mit Honig und einem Schuss Grappa, dann ab mit Dir ins Bett. Schlafen! Richtig ausschlafen!“ Klara zog Angel auf die Beine und nahm sie an der Taille. „Auf geht’s!“
Lange hatte die Wissenschaftlerin nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass sie mehr in Klara als in ihren Mann verliebt war, doch schließlich, nachdem schon ein Weltbild zerstört wurde, hatte sie es doch akzeptiert und Klara ihre Liebe gestanden. Und die hatte diese Gefühle auch erwidert, nach Angels Scheidung zogen die Frauen zusammen und heirateten nach einiger Zeit. Jetzt legte Kleinschmid ihren Arm um Klaras Hals.
„Danke, Klärchen! Gehen wir.“
Heras Gesicht entstand vor den Frauen. „Leslie Meyrs bittet um ein Gespräch mit Angel Kleinschmid. Sind Sie bereit, das Gespräch anzunehmen?“
Angel machte sich frei und seufzte. „Bringen wir es hinter uns. Bereit, Hera!“ Vor Angel entstand das Hologramm von Tana Starlights Vertreterin.
„Professor Kleinschmid?“ Angel zuckte bei der förmlichen Ansprache zusammen. „Bitte nehmen Sie Ihre Unterlagen und melden Sie sich mit Ihrem Team so rasch wie möglich auf der HYDRA.“ Leslie lächelte dünn. „Packe lieber für einen längeren Aufenthalt, Angel, und vergiss die Schutzanzüge nicht. Du fliegst auf einen Planeten mit kaum Luft. Tana ist da auf etwas gestoßen und Benito – Du kennst Benny la Paz doch? Also, Benito glaubt, er hat da in einem Wrack etwas gefunden, das nach Deinem seltsamen PPS – Dingsbums aussieht. Du sollst es Dir einmal ansehen, vielleicht kannst Du etwas mit dem Fund anfangen. Gute Reise und viel Glück, Angel! Myers aus.“
Angel sah Klara verdutzt an. „Oh, und ich dachte schon…“
Klara gab Angel einen kurzen Kuss auf die Stupsnase und drehte sie dann um, klopfte ihr liebevoll auf die Kehrseite. „Ab ins Bett mit Dir, Angel. Ich kümmere mich um alles und hole Dich dann ab! Los, los, geh schon!“
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Tricky Secret
Eben noch waren auf der Kuppel schematische Darstellungen von Handlungen und Gegenständen gezeigt worden, die Tana und Chris benannten, dann blieb die Kuppel dunkel. Seitlich neben ihnen, in genauer Verlängerung der Straße, öffnete sich die Kuppel und gab den Blick in eine Schleusenkammer frei, kahl, nüchtern, wie solche Kammern eben sind. Die zwei Partner sahen sich kurz an, Tana nickte.
„No risk, no fun! Wir haben, was wir wollten, jetzt mache ich keinen Rückzieher mehr. Ich gehe!“
Chris nahm sie bei der Hand. „Wir gehen! ‚Sprich Freund, und tritt ein!‘ Also los, auf nach Khazad-dûm.“
Tana kicherte. „Tolkien?“
„Herr der Ringe!“ lachte Chris.
„Ob es hier Zwerge gibt?“. fragte Victoria, nicht ganz ernst, und Christian schmunzelte.
„Nun, zumindest Elfen haben wir doch schon gesehen.“
Sie betraten Hand in Hand die Schleuse, hinter ihnen schloss sich die Wand wieder scheinbar fugenlos.
„Warten, Druckausgleich!“ Die dunkle Stimme meldete sich wieder in ihren Earsets. Dumpfes Rauschen erfüllte den Raum, als Luft einströmte, Christian sah auf sein Messgerät, welches die Werte von innen auf seine Helmfolie projizierte.
Sieht gut aus, Tana. Brauchbare Gasmischung, vielleicht ein wenig viel Helium. Nicht gefährlich, aber Dein süßes Stimmchen wird einiges an erotischer Ausstrahlung verlieren, Daisy.“
„In Ordnung, Donald, solange Du hier nicht singst …“, schmunzelte Tana Starlight.
„Druck erreicht eine Atmosphäre, nein, bei 0,9 gleich bleibend.“ Christian hatte die Anzeige im Auge behalten.
„Dann sollten wir die Folie abnehmen können!“ Tana löste schon die Verschlüsse und faltete ihre Kapuze ein, Chris folgte umgehend ihrem Beispiel. Dann lösten sie die Anschlüsse der Lebenserhaltungssysteme, deren Leitungen in den Tragegurten verliefen, und legten die Tornister mit Energie- Luft- und Wasservorräten ab. Während dessen öffnete sich das Innenschott, ein blaues Licht blinkte am Boden auf.
“Punkt folgen!“ Die Stimme schien von überall her zu kommen. Langsam, sich ständig umsehend, schritten sie vorwärts, durch einen langen Gang kamen sie in einen großen, runden Saal mit vielen gepolsterten Sesseln. „Sitzen!“ In bequemerer Umgebung wurden die Sprachlektionen fortgesetzt, allmählich kam so etwas wie eine Verständigung zustande. Auch, wenn die Stimmen der Menschen tatsächlich etwas quietschten, daran gewöhnten sie sich.
Es wurde spät, und Christians Magen begann bereits laut hörbar zu knurren. Tana lachte laut auf und klopfte auf seinen Bauch.
„Hüter, bitte, wir wollen morgen weitermachen. Der Mann hier wird hungrig. Also, wir biologischen Wesen brauchen Energiezufuhr und müssen auch schlafen.“
„Selbstverständlich!“ Der Hüter sprach mit einem angenehmen Bass. „Bitte folgen wieder blauen Punkt. Nächsten Tag wir machen weiter!“ Tana und Chris erhoben sich und gingen zurück in die Schleuse, warfen den Tornister über und machten die Kapuzen luftdicht. Dann meldete sie dem Hüter ihre Bereitschaft zum Ausschleusen, die Luft wurde abgepumpt und sie konnten die Kuppel wieder verlassen.
„Na bitte, da haben wir heute Erfolg gehabt!“ Tana wirkte sehr zufrieden, obwohl ihre Stimme immer noch hell klang. „Deine Idee mit den Gestiken und den Worten dazu war goldrichtig, Chris! Ich bin richtig stolz auf meinen Schatz.“ Sie hakte sich bei ihm unter, winkte mit der anderen Hand dem Begleitteam. „Alles in Ordnung, Leute. Wir sind unversehrt. Nur eine Überdosis Helium!“ Tana Starlight klang wie ein betrunkener Teenager, die Wachposten blieben misstrauisch.
„Chefin?“ Master Sergeant Kellerman senkte seine Waffe keinen Millimeter.
„Wir sind echt, und wir sind wohlauf“, winkte Tana beruhigend ab. „Trotzdem, Sie haben natürlich recht, Sarge. Chris, wir gehen jetzt zuerst auf die Krankenstation. Dein hungriger Magen muss noch warten. Wenn Sie uns eskortieren möchten, Sarge?“
„Protokoll 5, Paragraph 7, Abschnitt 3c, verfasst und unterschrieben von Tana Starlight. Wann immer Sie bereit sind!“ William Kellerman und seine Leute kreisten Tana und Chris mit entsicherten und schussbereiten Waffen ein, um sie zur Untersuchung ihrer Identität zu begleiten.
*
Ein Diskusschiff mit einem Durchmesser von 180 Metern Durchmesser und einer Höhe von 25 kam aus dem Wurmlochtransit und raste, stark verzögernd, in das System. Ziel war der dreizehnte Planet eines roten Riesensterns, ein Planet, den die Besatzung der KLEOPATRA ‚Tricky Secret‘ genannt hatte.
„KLEOPATRA! Hier HYDRA. Ich bringe die verlangten Passagiere!“ Captain Ken Kawana aus New York meldete seine Ankunft selber, das Fliegen überließ er seit einiger Zeit seiner Chefpilotin. Er musste neidlos anerkennen, dass er nicht mehr der beste Pilot an Bord war, Francine war ihm um Längen überlegen. Als vernünftiger Mann tat er das einzig richtige, er räumte den Platz am Pilotenpult und war nur noch CO.
„Danke, HYDRA. Wir schicken ein Shuttle!“
„Shuttle 07 KLEOPATRA erbittet Landeerlaubnis!“ An der Oberseite des Diskusschiffes öffnete sich ein großes Stück der Außenwand und gab den Einflug für das Beiboot der KLEOPATRA frei. Bei aller Liebe zur Serie hatten Victoria und Gunnar auf die seltsame Konstruktion der Orion-Beiboote verzichtet und die Standardfähren der Arkoniden übernommen. Von der Leistung etwas getunt und modernisiert, im Inneren etwas bequemer gemacht, aber im Prinzip nicht groß verändert. Ein einfacher Kasten mit trapezförmigem Querschnitt, die Kanten stark abgerundet, oben etwas schmaler als an der Basis, die Front etwas stärker abgeschrägt. Bei dem kurzen Antriebsteil war das Trapez etwas größer, folgte aber harmonisch den Formen des Passagierabschnittes. Wenig elegant, war das Gerät doch funktionell und praktisch. Victoria hatte damals zu Gunnar gesagt, als er Beiboote entwerfen wollte:
„Wir wollen doch das Rad nicht neu erfinden, Schatz. Die Shuttle der Arkoniden sind gut, lass sie uns verwenden.“
Wenig später trug das Team von Angel Kleinschmid ihre Ausrüstung und das Gepäck an Bord der Fähre und schnallte es vorsichtshalber fest, ehe es selber die Sitzplätze einnahm. Sie hatten den kurzen Flug sehr genossen, die Hydra war, wie die Orion, in erster Linie auf Luxus ausgelegt. Große Aussichtsscheiben, bequeme Sitzgruppen mit einer gut sortierten Bar, für längere Flüge geräumige Quartiere und exzellente Küche. Kein unnützes Geprotze mit Gold und Marmor, sondern unaufdringliche Gemütlichkeit, Qualität und viel Platz. Klara Berger wurde jetzt, als sich die Fähre dem Planeten näherte, ein klein wenig nervös, sie hatte den Sohn ihrer Partnerin nie kennengelernt. Und auch wenn Angel immer wieder betonte, ihr Sohn sei nicht gegen ihre Beziehung, sie wollte nicht zum Streitpunkt zwischen Mutter und Sohn werden. Angel drückte ihre Hand.
„Du wirst sehen, Leonhard ist ein ganz lieber Mann. Du hast Dich lange genug davor gedrückt, ihn kennen zu lernen. Courage, Liebling, er wird weder Dich noch mich fressen!“ Klara grinste gequält, so ganz sicher war sie sich dessen nicht, sie hatte diesbezüglich in ihrem Leben bereits schlechte Erfahrungen gemacht. „Na, komm schon, Liebes. Entspanne Dich.“ Langsam stieg die Fähre aus dem Hangar der HYDRA und nahm Kurs auf Tricky Secret. Der Pilot wandte sich um.
„Ma’am, wir sollen Sie gleich zur Korvette KADESH bringen. Ihr Sohn erwartet Sie!“ Nickend nahm Angel die Nachricht zur Kenntnis und sah auf den rötlichen Ball unter ihr, der langsam anwuchs, als sie näher kamen. „Da vorne können sie schon die Korvette sehen, Ma’am, dahinter, das ist der Flugzeugträger.“
„Eine gigantische Konstruktion!“ Auch Angel zeigte sich beeindruckt.
„Dann wollen wir den Vogel wieder in sein Nest bringen! KADESH, Shuttle 07 meldet sich zurück!“ Vor dem Shuttle öffnete sich die Bordwand, der Pilot setzte die Fähre sanft auf und wartete auf den Druckausgleich.
„Ma!“ Leonhard Kleinschmid umarmte seine Mutter und drückte ihr einen lauten Kuss auf die Wange. „Wir sehen uns schneller wieder als gedacht.“ Dann sah er sich rasch um. „Ist Deine Klara mitgekommen? Ich würde sie wirklich gerne endlich kennenlernen.“
„Dann komm, Leo. Da ist sie. Klara, mein Sohn!“ Leonhard nahm Klara Berger sanft bei den Oberarmen und küsste sie flüchtig auf beide Wangen.
„Willkommen!“ Dann ließ er die sich kurz versteifende Frau wieder los. „Ich freue mich, dass Mutter jemand gefunden hat, der sie glücklich macht. Kommt, wir haben ein hübsches Quartier für Euch vorbereitet. Na ja, nur Standard, aber ich hoffe, ihr fühlt Euch trotzdem wohl. RA sechs elf, bring bitte das Gepäck der Damen in ihre Suite. Und jetzt kommt bitte mit. Wenn Ihr wollt, können wir heute Abend gemeinsam essen, und ein wenig plaudern. Klara, wenn Du wüsstest, wie froh ich bin, dass meine Mutter wieder lachen kann. Ich möchte über Pjotr wirklich nichts Schlechtes sagen, aber so richtig glücklich habe ich Mutter mit ihm nie gesehen!“ Klara musterte Leonhard von der Seite, die Worte klangen ehrlich, sie gab sich innerlich einen Ruck und begann endlich, sich etwas zu entspannen.
„Dann hast Du nichts dagegen, dass Deine Mutter und ich…?“ fragte sie vorsichtig.
„Warum sollte ich?“ Leonhard grinste sie an. „Solange ich nicht Papa zu dir sagen muss!“ Klara begann zu lachen, stoßweise, krampfartig, die Anspannung machte sich Luft. Dann umarmte sie den Sohn ihrer Partnerin, Tränen traten ihr in die Augen.
„Danke!“ flüsterte sie und drückte ihren Kopf an seine Brust, umarmte dann auch Angel. „Gehen wir. Ich freue mich schon auf heute Abend!“
*
Organische Wesen wie Tana und Chris benötigen Nahrung und Schlaf, der Hüter benötigte ausschließlich Energie aus einer elektrischen Verbindung. Er rechnete die ganze Nacht, verglich die Funkgespräche seiner Besucher, suchte und fand aufgezeichnete Kommunikationen aus den letzten Jahrtausenden, teilweise viele Lichtjahre entfernt, füllte Lücken. Als Tana und Christian am nächsten Tag wieder kamen, war er bereit. Er erklärte sich bereit, auch anderen Begleitern den Zutritt zu gewähren, und Tana verständigte sofort ein wissenschaftliches Team. Biologen, ein Astronom, der nebenbei Philologe war, ein Hobbyhistoriker, der an Bord war, Mathematiker. Der Hüter öffnete die Schleuse und den Vortragsraum, spielte ein bewegtes Hologramm ein. Zwanzig Personen saßen in dem großen Saal, der Plätze für tausende geboten hätte, vor einer Bühne, auf der ein Hologramm entstand, beinahe massiv wirkend.
Ein großer, orangefarbener Stern entstand, umgeben von Planeten. „Spektralklasse K, würde ich schätzen, aber größer.“ Der Astronom Jan van Haals flüsterte es in das Mikrophon seines Aufzeichnungsgerätes. Der Bass des Hüters erklärte.
„Dies ist das System, in dem wir uns befinden. Wie Sie sehen können, gab es damals einen Planeten mehr, der Innerste ist bereits von der Sonne verschluckt worden, als sie zu wachsen begann. Vor Millionen von Jahren kamen die Vorfahren der Erbauer in dieses System!“ Neben dem Stern wurden zwei Wesen eingeblendet, sie entsprachen den Statuen aus Diamant, dazu riesige Gebilde, die aussahen wie große Scheiben, die man auf einen Schreibstift geschoben und dann um diesen in Drehung versetzt hatte. „Es waren Wanderer, die in diesen riesigen, unterlichtschnellen Archen ihre Heimat verlassen hatten, um in den Weiten des Raumes eine neue zu finden. Hier, auf dem zwölften Planeten des Sternes wurden sie fündig, der Planet entsprach beinahe perfekt ihrer alten Heimat, daher siedelten sie sich an. Der elfte Planet war kleiner, mit weniger Gravitation und entsprechend weniger Luftdruck, der dreizehnte eine Welt mit vielen kleinen Inseln, aber großen Meeren. Der vierzehnte Planet – jetzt der dreizehnte, auf dem wir uns befinden, entwickelte damals eben erste einzellige Lebensformen. Man nannte den elften Planeten ‚kleiner Bruder‘ den zwölften ‚neue Heimat‘, den dreizehnten einfach ‚Riesenwasser‘. In der Sprache der Erbauer Zaab’Abzul, Whak’Laakum und Iquo’Guuk.“ Im Hologramm wurden die Planeten hervorgehoben, Detailansichten der Geographie wurden sichtbar.
„Im Laufe der Zeit“, fuhr der Hüter fort „Im Laufe der Zeit wurden alle drei Planeten besiedelt. Auf Zaab’Abzul bildeten sich schlankere Wesen, der Hirnschädel wuchs, weil die Nackenmuskeln einen großen Kopf leichter halten konnten. Intelligenter als ihre Brüder wurden sie trotzdem nicht viel, aber sie entwickelten ein Organ, das Sauerstoff besser nutzen konnte, daher hatten sie kein Problem mit der dünneren Luft. Auch das Skelett änderte sich langsam, der Stirnkamm und die Augenwülste schwanden, wie auch auf Whak’Laakum. Die Laakumen veränderten sich, mit Ausnahme dieser Merkmale, sehr wenig. Kleinere Mutationen geschahen selbstverständlich, so wurden sie zum Beispiel dunkelhäutiger, ohne besonderen oder ersichtlichen Grund. Die Guukten entwickelten Schwimmhäute und große Lungen, wurden immer mehr zu luftatmenden Wasserbewohnern. Wäre die Entwicklung weiter gegangen, hätten sie wohl Arme und Beine zu vollwertigen Flossen entwickelt, zumindest bei den Beinen ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch. Aber leider sollte es ganz anders kommen.“ Der Hüter blendete mittels Hologrammen die Entwicklung der einzelnen Spezies in kleinen Schritten ein, bis sie so aussahen, wie die Bronzestatuen, extrapolierte noch ein wenig. „Diese Bilder sind reine Spekulation, beruhend auf den Veränderungen der Vergangenheit.
Die eingetroffenen Siedler hatten kein Interesse daran, ein großes Imperium zu schaffen, dieses eine System sollte reichen, auch als sich den Erbauern die hyperdimensionale Mathematik erschlossen hatte und sie überlichtschnelle Raumfahrzeuge bauen konnten. Erst dann, wenn es keinen Platz auf den drei Planeten mehr gab, sollte nach neuen Lebensräumen gesucht werden.“ Szenen aus dem Alltag der Erbauer huschten in schneller Folge vorbei, brachten ihr Leben dem Betrachter nahe. „Sie waren aber auch nicht dumm, sie kannten das Universum und wussten, dass eigene Zurückhaltung nicht unbedingt ein Garant für Frieden war, sie sahen es als gegeben an, dass sie nicht allein im Universum waren und dass es durchaus auch aggressivere Spezies geben müsste. Also bauten sie Kriegsraumer, mit im Laufe der Zeit wechselndem Design. Auch Kugelraumer wie der Eure waren eine Zeit lang durchaus im Gebrauch.“ Einige Kriegsschiffe unterschiedlichster Form und Größe wurden eingeblendet. „Eines Tages stolperte ein stellares Reich über diesen Stern, es kam zum Krieg mit unvorstellbarem Leid. Die Erbauer trugen die Kämpfe auch in das andere Imperium und bekämpften dort ihren Feind.“ Das Hologramm zeigte keilförmige Schiffe im heftigen Kampf mit absonderlichen Konstruktionen, die wie gigantische Insekten wirkten. Lichtstrahlen in verschiedenen Farben blitzten zwischen den Fahrzeugen hin und her, manchmal verging das eine oder andere in einer lautlosen Explosion. „Es gelang, den Feind aus dem System zu drängen und eine Übereinkunft zu erzielen.“ Die insektenartigen Raumschiffe zogen sich zurück, die Menschen des Systems und ihre Gegner, scheinbar von Insekten oder zumindest einer insektenähnlichen Spezies abstammende Intelligenzwesen, gaben ihre Zeichen auf zwei Pads, die sie dann untereinander austauschten.
„Im Laufe der Kämpfe beschleunigte sich aus einem nicht erkennbaren Anlass der Zyklus des Zentralgestirns, es alterte rapide und dehnte sich schnell und stark aus. Vielleicht der Einfluss einer der Waffen, die zu Einsatz kamen, der Grund für diesen Vorgang wurde jedoch niemals geklärt. Aber, in Jahrhunderten vollzog sich ein Wandel, der nach den bekannten Gesetzen der Physik Jahrtausende dauern sollte. Der innerste Planet stürzte in die Sonne, er verschwand für immer, verdampfte, ging in der Sonnenmasse auf. Die Abzulen, Laakumen und Guukten wussten, dass jetzt notgedrungen die Zeit gekommen war, wieder eine neue Heimat zu suchen. Sie bauten auf diesem Planeten, der jetzt der dreizehnte ist, einige Städte und begannen mit dem Abbau von Rohstoffen, in einer dieser Städte schufen sie auch mich, den Hüter der Erinnerungen. Außerdem bauten sie nach ihrem Abbau der Rohstoffe viele große Raumschiffe, um wieder in die Galaxis zu ziehen, dort einen neuen Lebensraum zu finden. Der überlichtschnelle Antrieb wurde in den Beibooten eingesetzt, doch die Auswanderer selbst sollten wieder auf großen Schiffen leben, die Generationen um Generationen unterwegs sein mussten.“ Mächtige, tonnenförmige Strukturen zogen durch das Bild, langsam, gemächlich, aber auch irgendwie majestätisch wirkend. „Zaab’Abzul, Whak’Laakum und Iqu’Guukt wurden langsam unbewohnbar, die Bevölkerung an Bord der Schiffe evakuiert, doch das Wachstum des Sternes normalisierte sich während der langen Beschleunigungsphase der Flotten, leider zu spät, wieder auf ein normales Maß. Vor vielen hunderttausenden von Euren Jahren brachen die Erbauer auf, zu neuen Heimaten, neuen Siedlungen.“ Die Tonnen beschleunigten und flogen in fünf verschiedene Richtungen. Das Hologramm zeigte eine warme, aber schöne Welt, fruchtbar und voll von Tieren, aber mit auch leeren Städten, aus deren versiegelten Böden nie wieder Vegetation sprießen konnte und tiefen Wunden, aus denen die Schätze dieser Welt gerissen wurden.
„Zurück blieb eine Welt, die auf ihr Ende wartete, und natürlich ich. Einige starke Sonnenwinde zerstörten die Atmosphäre auch des dreizehnten Planeten, sie verwehte im All. Das meiste Wasser an der Oberflächen verdampfte natürlich und wurde vom nächsten, spätestens vom übernächsten Sonnensturm hinweggefegt. Nur in den tiefsten Schluchten am Grund des ehemaligen Ozeans, gut geschützt, hielten sich noch Reste von Atmosphäre und Wasser. Wenn das Wachstum des Sternes so weitergeht und er sich auch in Zukunft wieder an die normalen Gesetze der Physik hält, könnten das neu entwickelte Leben und ich noch einmal einige Millionen Jahre überstehen.“ Die Worte wurden von entsprechenden Bildern begleitet. „Ab und zu legten Schiffe oder Flotten am Rande des Systems einen Orientierungsstopp ein.“ Einige Raumschiffe verschiedener Bauart kamen und gingen wieder im Hologramm, dann flog eine halbe Walze in das System.
„Der Flugzeugträger!“ rief Rosheen. „Das ist doch das Wrack da draußen!“
„Vor 245.672 Eurer Jahre kam dieses Schiff und flog den Planeten des Hüters an, doch es wurde angegriffen“, erzählte der Hüter weiter, eine Flotte eiförmiger Raumschiffe mit einer wulstartigen Verdickung an der stärksten Stelle, in der die Triebwerke zu sein schienen, attackierten die halbe Walze. Diese schleuste 16 Beiboote in der Form von halben Walzen und eine Unzahl kleiner Raumjäger aus, die sich am Kampf beteiligten, eines der großen Boote kehrte schwer beschädigt an Bord zurück.
„Flugzeugträger ist nicht einmal falsch!“ rief Chris, als die kleinen Deltaflügler jeweils drei auf einmal aus geöffneten Luken an der Vorderseite des geraden Decks geschossen wurden und sich danach umgehend auf den Feind stürzten. In der Vorführung wurde nur zu deutlich, welch gigantische Energiemengen die Geschütztürme der halben Walze eng gebündelt freisetzen konnten. Das Gefecht endete schließlich mit einem halben Unentschieden. Alle der ovoiden Schiffe wurden vernichtet, doch der Absturz des Mutterschiffes war nicht mehr zu bremsen. Winzige Kapseln verließen das große Schiff und wurden von den 15 verbleibenden kleinen Schiffen aufgenommen, ebenso die Besatzungen der übrig gebliebenen Jets. Die kleinen Schiffe verließen daraufhin ziemlich beschädigt den Stern mit seinen Planeten, um nie wieder in dieses System zurück zu kehren. Das große Schiff schlitterte seitwärts in eine Düne, türmte sie hoch auf, die Oberseite wölbte sich über den Flugzeugträger, die Hitze von kleinen Triebwerken buk den Sand zu einer festen Form. Ohne Wind, in einer Umgebung, die beinahe einem Vakuum entsprach, auf einer sterbenden öden Welt, blieben Wrack und Düne erhalten, bis die KLEOPATRA kam und der Zug von Master Sergeant Sysun sie fanden.
„Wieder vergingen viele Jahrhunderte, vor 12.521 Jahren kam es zu einer letzten Ortung. Langstreckenmessungen ergaben, dass zu dieser Zeit ein heftiger Krieg nicht nur in der näheren Umgebung tobte. Ein Geschwader von 108 Raumschiffen verschiedener Größe, vorwiegend in Kugelform, blieben eine Zeitlang an der Grenze des Systems und orteten, ehe sie wieder verschwanden.
„Eindeutig ein arkonidisches Geschwader“, rief Rosheen aus. „Die taktischen Zeichen auf dem Rumpf sind klar zu erkennen, es ist das 18. Nebelsektorgeschwader des Kristallprinzen!“
Tana nickte. „Atlans Geschwader. Ob er selbst mit dabei war?“
„Wo sollte er sonst gewesen sein?“, fragte Christian. „Der alte Admiral war doch immer ganz vorne dabei. So wie du. Bist Du sicher, dass du-uff!“ Tanas Ellenbogen war in seinen Rippen gelandet. Das Hologramm verblasste und der Bass des Hüters meldete sich wieder. „Seither ist bis zu Eurem Einflug nichts besonderes geschehen. Dies ist die Geschichte der Erbauer und die meine.“
Tana dehnte und streckte sich. „Hüter, darf ich noch einmal das Bild vom Abflug der Siedler sehen? Danke. Jan, können Sie die Richtung bestimmen? Ich glaube, Haparghar hatte absolut recht mit seiner Urahnentheorie.“
„Bitte erklären Sie diese Theorie“, bat der Hüter, und Tana beantwortete seine Frage, so gut sie es vermochte. Holger Lussken, der sich schon länger mit der These beschäftigt hatte, füllte die ihm bekannten Lücken. Rosheen berichtete in großen Zügen von der Entstehung Arkons, soweit sie bekannt war und Chris steuerte sein Wissen über menschliche Urgeschichte bei.
„Ich denke auch, dass diese Theorie mit großer Wahrscheinlichkeit richtig ist. Zumindest stimmt sie mit allen bekannten Fakten überein, die Erbauer könnten sich über die Galaxis verteilt haben. Auch Eroberungswillen, der Drang, ein Imperium zu errichten und der Expansionszwang kann sich in dieser Zeit unter dem Druck der Umstände entwickelt haben!“ Der Wortschatz des Hüters wuchs ständig, selbst Redewendungen hatte er gelernt. „Zumindest deuten ihre biologischen Daten, soweit sie ohne genauere Untersuchungen der DNA feststellbar sind, auf eine enge Verwandtschaft mit den Erbauern hin. Ich stelle mich Ihnen als den Erben jener Menschen zur Verfügung.“
Tana schluckte hörbar. „Danke, Hüter! Ich weiß Dein großzügiges Geschenk zu würdigen.“
„Die meisten Sicherheitssperren werden aufgehoben. Willkommen, Tana Starlight!“
„Ich danke Dir noch einmal, Hüter. Trotzdem wollen wir uns auf morgen vertagen. Ich bin im Moment nicht mehr aufnahmefähig, ich bin hungrig, durstig und müde. Ich glaube, wir alle müssen das Gesehene erst verarbeiten und unsere Gedanken sortieren.“
*
Aufgeregt und staunend standen Angel Kleinschmid und ihr Team in der Maschinenhalle des Flugzeugträgers, die riesigen Anlagen ragten hoch über ihnen auf.
„Wow!“ Klara Berger legte den Kopf in den Nacken. „Das nenne ich groß.“ Angel ging um die Struktur, ließ ihre Finger über das Metall gleiten.
„Warum haben sie so riesige Anlagen gebaut?“, rätselte sie. „Wenn das ein PPS-Meiler wäre, müsste man mit der halben Größe auskommen! Theoretisch!“
„Hier ist die Verkleidung zerstört!“ rief Jannis Armegos. Der gebürtige junge Grieche aus Thessaloniki war mit seinem Antigrav nach oben geschwebt und hatte die Beschädigung gefunden.
„Hast Du ein Endoskop bei Dir?“ Angel ging weiter, bis sie unter Jannis stand.
„Klar, habe ich immer“, antwortete der Grieche. „Übertragung beginnt jetzt!“ Oben steuerte Jannis die Kamera an dem flexiblen Schlauch, während sich der Rest des Teams um den Bildschirm versammelte und das Innere des Meilers in Augenschein nahm.
„Sehr starke Verkleidung!“ meinte Klara. „Was ist das eigentlich für ein Material?“
„Eine Mischung aus Metall und Plastik!“ Benito la Paz stand hinter ihnen und genoss die Entwicklung und das Staunen der Neuankömmlinge.
„Welche Eigenschaften hat die Melange?“ Trotz ihrer Frage schaute Angel konzentriert auf die Übertragung des Endoskops. „Bitte etwas nach links, Janni!“
„Also, wenn Du mich fragst, ich ziehe MV-Stahl für die Außenhülle vor. Ist zwar schwerer, hält aber mehr aus. Dieses Material ist allerdings perfekt für den Innenausbau und als Verkleidung der tragenden Elemente, isoliert gegen Schall, Wärme, elektromagnetische Strahlung jeder Art, eigentlich gegen alles, selbst Radioaktivität.“ Benito hob beide Hände. „Für Gammastrahlung braucht es klarerweise schon etwas mehr Wandstärke, aber es funktioniert.“
„Natürlich“, murmelte Angel. Klara wies aufgeregt in eine Ecke des Bildschirms.
„Stopp, Janni! Vorsichtig nach unten, langsam, langsamer – halt! Links, langsam weiter – stopp! Vergrößere das einmal, Angel! Weiter, siehst Du es? Durch diesen Riss?“ Angels Gesicht wurde bleich, sie zuckte heftig zusammen und prallte zurück.
„Verdammte Schei…! Himmelkreuzdonnerwetter, beim heiligen Arsch des Baal und den göttlichen Titten der Ishtar!“ Ihre Hände flogen über den Bildschirm. „Halt ruhig, Janni! Ich beschwöre Dich, halt das verdammte Ding ruhig! Klara, das ist es! Das ist es!“ Sie umarmte ihre geliebte Frau. „Wenn nicht dieser Anzug wäre, ich wollte, ich könnte Dich küssen. Wie konnte ich nur so dumm sein!“
„Was hast Du gefunden?“ Benito kam näher und sah Angel über die Schulter.
„Ich habe zu groß und zu grob gedacht, das ist es, Benny!“ Sie ließ ihren Blick noch einmal über den Meiler schweifen. „Du kannst herunter kommen, Janni! Oder – nein, sieh Dich weiter um, ob Dir noch etwas auffällt, Du Kind des Glücks! Was mich zu der Frage bringt, was haben die bloß mit so viel Energie angestellt?“
„Oben sind zwölf Geschütze in sechs Türmen, die schlucken schon für die Bewegung der Rohre eine Menge Energie. Wenn ein Kaliber zwei zehn auch feuert, dann, na ja.“
„Zwei was?“ irritiert sah Angel Benito an.
„Zwei Meter, zehn Zentimeter und ein paar zerquetschte.“ La Paz grinste ungeniert, die Augen Angels weiteten sich.
„Zw..! Zwei Meter? Du nimmst mich doch auf die Schaufel!“
„Plus zehn Zentimeter und ein paar zerquetschte Millimeter. Doch, doch, kein Messfehler!“ Benito lachte jetzt laut. „Dieses Gesicht habe ich auch gemacht, als ich es bestätigt bekam. Durch ein solches Rohr kannst Du ganz gemütlich spazieren gehen.“
„Trotzdem!“ Die Ingenieurin drehte sich wieder zu den Meilern. „Mit den Dingern müssten sich doppelt so viele Geschütze dieses Kalibers ausgehen, und es bliebe noch genug für Schirme, Antrieb und Lebenserhaltungssysteme übrig. Mit einem Meiler dieser Größe könnte ich vierzig Stationen wie die HEPHAISTOS versorgen. Wenn ich in der Lage wäre, die Energie zu transportieren!“ Sie ging zu einem zweiten Meiler der gleichen Größe, legte ihre Hand auf die Verkleidung. „Was habt ihr Euch gedacht, Freunde? Warum diese riesigen Anlagen, wenn es kleinere auch getan hätten?“ Doch die Meiler schiegen beharrlich und blieben ihr die Antwort schuldig.
Angel rief sich zur Ordnung. „Na schön, alles klar! Zuerst – Benito, können wir zumindest diesen Raum luftdicht und unter Druck bekommen? Mit einer hübschen Schleuse? Klar kannst Du das!“
La Paz stemmte die Fäuste in die Hüften. „Was glaubst Du, versuchen wir schon einige Zeit? Dauert nicht mehr lange, und Du kannst Deinen Helm aufmachen und Dein Schätzchen knuddeln. Zwei oder drei Tage noch, so in etwa!“
„Schön. Sehr schön“, antwortete Angel etwas geistesabwesend, mit ihren Gedanken schon wieder einige Schritte weiter. „George! Sieh zu, ob Du irgendwie in die Stromversorgung kommst, vielleicht können wir ein paar von den Speichern reaktivieren und werden aus dem Inhalt auch noch schlau. Mit Mathematik sollte man Mathematik halbwegs entschlüsseln können. Dann sehen wir weiter!“ George Kinnuk war ein Inupiat aus Alaska. Einer jener Leute, die ein Stück Speckstein oder Bein in die Hand nehmen und sagen ‚da ist ein Bär darin versteckt. Ich muss nur alles wegschneiden, das nicht wie ein Bär aussieht‘. Er war der Bastler im Team, der Handwerker, der Mann, der alles herstellte, wenn es nicht dem Standard entsprach. Und George war gut, richtig gut. Angel warf weiter mit Befehlen um sich. „Janni! Untersuche doch zuerst bitte den zweiten Meiler nach Beschädigungen. Der eine sieht ja so aus, als hätte ihn ein Treffer beschädigt. Passt zu dem Loch dort drüben. Ishi, Mädchen, sei so gut, und sieh Dir die Pulte an. Die Verkleidung lässt sich sicher abnehmen. Sulukom, komm zu mir. Junge, siehst Du da oben dieses Ding? Schau nach, was es ist. Vielleicht ist es wichtig. Klärchen, wir nehmen uns noch einmal die Aufzeichnungen vor.“ Sie klatschte in die Hände. „Voran! Wir verschwenden nur das Licht! Lasst uns einmal anfangen.“
*
Nachdem sich die Gruppe um Tana Starlight wieder in dem Vortragsraum eingefunden hatte, öffneten sich einige Türen.
„Ich darf Sie einladen, sich die Station anzusehen. Bitte treten Sie ein. Darf ich zuerst den Lift nach oben vorschlagen?“ Tana und ihre Begleitung vertrauten dem Vorschlag des Hüters und sich selbst dem Lift an, fuhren damit nach oben. Ein weiter Blick erwartete sie, etwa drei Kilometer in jede Richtung, auch aufwärts zum Zenit der Kuppel. Sie betraten einen gepflegten Park, Bäume, Sträucher, eine grasähnliche Pflanze bedeckte den Boden. Wasserflächen und künstliche Bäche durchbrachen die Wiesen, Brücken verbanden die Ufer. Es war überaus warm in dieser Landschaft, die Luft feuchtigkeitsgeschwängert. Statuen standen auf ihren Sockeln, kleine Pavillons luden zum Verweilen und rasten ein.
„Dieser Park“, meldete sich der Hüter mit seinem angenehmen Bass, „zeigt eine Landschaft auf Whak’Laakum, der Hauptwelt der Erbauer.
„Seit Jahrtausenden pflegst Du diesen Garten?“ Walter Stein war beeindruckt.
„Ab und zu musste ich Mutationen entsorgen und aus dem vorhandenen Saatgut neue Pflanzen ziehen. Einige Spezies sind dabei leider ausgestorben. Des Weiteren musste ich tief bohren, um ein genügend großes Wasserreservoir zu finden!“
„Wie werden die Pflanzen bestäubt?“ Walter hatte seine Lupe hervorgeholt und untersuchte ein Gewächs. Es summte leise, ein winziger Robot setzte sich unter die Lupe des Botanikers. „Oh! Danke. Alleine hier könnte ich Jahre verbringen!“
„Hüter, darf Walter hierbleiben, Du lässt ihn hinaus, wenn er müde und hungrig wird?“, fragte Tana, und der Hüter antwortete ohne zögern.
„Selbstverständlich, Tana Starlight! Wenn Du es wünschst! Wollen mir die anderen in die Tiefe folgen?“
„Voran, MacDuff!“ Tana deklamierte Shakespeare. Ganz wohl war ihr zwar nicht, aber trotzdem war sie bereit, das Risiko einzugehen.
Der Lift brachte sie in eine weitere Halle, an den Wänden hingen Bilder in wuchtigen Rahmen, sie zeigten alle drei Arten der Erbauer, in allen erdenklichen Posen und im Alltag.
„Dieses ist das Museum, in dem die größten Kunstschätze der drei Welten gesammelt wurden“, erklärte der Hüter. „Dieser Saal ist der Portraitsaal, die Gemälde und andere leicht vergängliche Artefakte sind selbstverständlich in einem Rahmen mit Glas oder einer Vitrine mit Schutzatmosphäre konserviert. Trotzdem haben verschiedene Exponate im Laufe der Zeit gelitten, die Bewahrer haben sie jedoch exakt restauriert oder kopiert. Hier können Sie noch einmal erkennen, wie aus den ursprünglichen Siedlern allmählich drei angepasste Subspezies wurden.“ Punktstrahler hoben das eine oder andere Gemälde hervor, während der Hüter erklärte. „Auch die Änderungen in der Mode kann man an den Gemälden gut erkennen. Auf den freien Flächen in den Vitrinen zwischen den Statuen erkennen sie Alltagsgegenstände aus den vielen Jahrtausenden. Vom Besteck über das Geschirr zu Kleinigkeiten wie Geräte zum Öffnen von Vorratsbehältern.“
„Also so etwas wie Flaschen- und Dosenöffner“, mutmaßte Chris. „Zumindest so etwas wie Dosen haben sie gehabt. Der Öffner hier könnte von WMF sein!“ Tana war tief in das Bild einer der elfenhaften Frauen versunken, einem schönen Gemälde mit großer Tiefenwirkung. Die Frau stand, in durchscheinende Schleiergewänder gehüllt, an eine Säule gelehnt und blickte sehnsuchtsvoll durch den Betrachter hindurch.
„Tana?“ Chris berührte sie an der Schulter.
„Nach wem hatte sie wohl Sehnsucht. War es ihr Geliebter? Kam er? Oder wonach sehnte sie sich. Hat sie es erreicht? Wurde sie glücklich oder lief sie einem unerfüllbaren Traum hinterher?“ Chris umarmte sie von hinten und küsste ihren Hals, sie lehnte sich gegen ihn. „Dieses Bild zieht mich beinahe unwiderstehlich in seinen Bann, und es ist so wunderschön!“ Sie schüttelte den Kopf frei und konzentrierte sich mühsam auf wieder auf die Gegenwart. „Gehen wir weiter!“
Saal um Saal besichtigten die Menschen das Museum. Möbel, Modelle von Häusern und Hauskomplexen, Küchenutensilien, technische Artikel und in einem Saal auch Kriegsgerät. Der sonore Bass des Hüters erklärte, erzählte und führte von einem Saal zum nächsten.
„Hier sind die Interfaces zu meinen Speichern!“ erklärte er. „Die Artefakte sind nur eine kleine Auswahl, hier kann eine große Bandbreite von Informationen nachgeschlagen und, wenn nötig, ausgedruckt werden. Es empfiehlt sich jedoch, eine Verbindung von Rechner zu Rechner herzustellen und die Informationen zu speichern und über Bildschirm zu lesen. Die Ressourcen für den physischen Drucker sind begrenzt. Ich muss noch hinzufügen, dass die gesamte Station bisher unter Schutzatmosphäre stand, erst seit gestern wurde eine Sauerstoffatmosphäre hergestellt. In der nächsten Ebene finden sie Aufenthaltsräume, darunter sind Wohneinheiten für etwa eintausend Personen untergebracht. Jede verfügt über zwei Räume und eine Nasszelle, dazu Stauraum für persönliche Gegenstände.“ Tana blickte zu Chris, ihre Worte formten lautlos das Wort ‚Immobilienmakler‘. Christian grinste, eben hatte er ähnliches gedacht. „Die medizinische Station müsste natürlich an ihre Bedürfnisse angepasst werden, auch der Nachschub mit Nahrungsmitteln müsste von außerhalb erfolgen! Lager- und Zubereitungseinrichtungen für dieselben sind vorhanden. Unter diesen Etagen mit Wohneinheiten ist die technische Sektion untergebracht. Ich bitte um Verständnis, dass diese nicht zugänglich gemacht wird.“
*
„Sind wir denn endlich allein, Mister Rhodan?“ Tana befeuchtete ihre Lippen, spitzte sie und legte theatralisch die Hände auf ihren hübschen Busen. „So lange warte ich schon darauf, Sie einmal ohne Begleitung zu treffen!“
„Störe ich?“ Reginald Bulls lächelndes Gesicht schob sich neben das Rhodans. „Keine Sorge, kleine Göre. Nur Eingeweihte zugegen.“
„Hallo, Onkel Bully! Hat es immer noch keine Frau geschafft, Dich an die Leine zu nehmen?“, lachte Victoria dem Bild auf dem Kommunikationsschirm entgegen.
Bull winkte mit der rechten, dann mit der linken Hand. „Kein Ring, Kleine. Noch bin ich frei wie ein Vogel!“
„Kein Wunder!“ Perry Rhodan grinste schief. „Wer soll es schon mit diesem Mann auskommen. Bei Bullys Flausen muss doch spätestens nach wenigen Tagen jede Frau die Flucht ergreifen.“
*
Bully drohte mit der Faust. „Und so etwas nennt sich Freund!“
„Also, Spatz, soll ich Gucky losschicken?“ Rhodan wurde wieder ernst. Tana verschränkte die Hände und legte das Kinn darauf.
„Äh, nicht unbedingt! Ich – wir haben es geschafft. Wir sind in der Kuppel!“
„Und?“ Rhodan lehnte sich zurück. „Wo drückt dann der Schuh!“
„Dad, ich weiß nicht, was ich mit diesem Hüter machen soll.“ Sie gab ihrem Vater und Reginald Bull einen kurzen Überblick ihrer Erkenntnisse. „Abgesehen davon habe ich gar nicht die Personalkapazität, um diese Station wirklich ständig zu besetzen, wenn meine zweite HEPHAISTOS fertig wird. Ich bin auch nicht von zu Hause weg gegangen, um dann wieder endlos auf einem Planeten fest zu sitzen! Und dann noch auf einem luftlosen Ball, dessen Rohstoffe schon sein Jahrtausenden abgebaut sind.“
Rhodan und Bully lachten lauthals. „Willkommen im Klub“, wieherte Reginald Bull.
„Jetzt weißt Du, wie es Deiner Mutter und mir geht“, hieb Perry in die selbe Kerbe.
„Cazzo!“ fluchte Victoria laut. „Che merda! Ich kann doch dieses Ding nicht so einfach links liegen lassen! Kann ich Dich nicht überreden, einmal vorbei zu kommen? Vielleicht mit ein paar humanistischen Wissenschaftlern? Ich habe doch fast nur Naturwissenschaftler bei mir! Ja, kurzsichtig! Aber wer denkt schon daran, über einen solchen Schatz zu stolpern?“ Victoria rieb sich die Stirn. „Ich bekomme schon Sorgenfalten, verdammt, ich werde noch alt, faltig und hässlich, wenn das so weiter geht! Dad, Tricky Secret ist doch nur einen Sprung von Reggy und First entfernt! Damit wäre eine nahe Versorgung der Besatzung des Hüters mit Lebensmitteln und sonstigem Bedarf gesichert! Oder – bring den UN-Generalsekretär mit, ich schenke es als Kulturerbe der ganzen Menschheit! Bitte, Dad!“
„UNO klingt gut. Ich glaube, das wäre für alle das Beste. Kulturgut der ganzen Menschheit, das gefällt mir.“ Rhodan wurde wieder ernst, nur seine Augen funkelten noch belustigt. „Weißt Du eigentlich schon, dass Galacto City mit der KJB jetzt Vollmitglied der VN ist? Die AF war einverstanden und hat uns als Staat anerkannt, 50 Kilometer rund um den Goshunsee sind jetzt eine eigene Demokratie. Nach den Asiaten haben uns auch genügend andere Länder anerkannt, wir haben die Stadt und die Base in Verwaltungsbezirke aufgeteilt, freie Wahlen für die Bezirkshauptleute abgehalten, ebenso für einen Senat und einen Administrator. Damit waren wir qualifiziert, haben einen Antrag gestellt und sind jetzt wahlberechtigtes Mitglied.“
„Gratuliere, Dad. Wer ist denn Administrator geworden?“ Tana lehnte sich zurück.
„Der Kelch ging an Bully knapp vorbei. Die nächsten vier Jahre hat in GC eine Frau das Sagen. Eleonore Biggs-Holden!“ Ein verdächtiges Grinsen umspielte Perrys Mundwinkel.
„Eine Freundin von Dir?“, fragte Tana gespannt.
„Psst! Wenn das seine Frau hört. Oder ihr Mann!“ Verschwörerisch flüsternd beugte sich Bully über die Kamera-Mikrophonkombination. „Das gäbe ein Duell mit Säbeln!“
„Was soll ich schon wieder nicht hören?“ Thora war in den Raum gekommen und drohte mit dem Zeigefinger.
„Mein Verhältnis mit Eleonore Biggs-Holden natürlich!“ lachte Perry, Thora setzte sich auf seinen Schoß.
„Ach das!“ Sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich dachte schon, es wäre etwas von Belang.“
„Um Deine Frage ernsthaft zu beantworten, sie ist eine Befürworterin eines Aufbruchs des Menschen zu den Sternen, und sie ist eigentlich auch sehr nett, aber in Versuchung führt sie mich nicht, so als Frau. Sie sieht nicht einmal schlecht aus, aber – nein, da spränge kein Funke über, selbst wenn ich Single und interessiert wäre. Ich hätte immer noch den falschen Körperbau. Zu wenige Kurven, und sie hat keinen Mann, sondern eine Mätresse. Als Mensch ist sie großartig, wir mögen uns, rein platonisch, und wir haben viele Ziele gemeinsam.“ Perry Rhodan erlaubte sich ein Grinsen. „Außerdem dürfte ich nie wieder unbesorgt schlafen, wenn… au!“
Thora erhob sich mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht. „Ich würde es nicht auf das Schlafen beschränken, mein Liebster. Essen, trinken… hm, mir fallen da Sachen ein!“ Verträumt verdrehte sie die Augen und zwinkerte ihrer Tochter zu. „Gelegentlich muss ich Dir einmal von Deiner Urgroßtante Yghrimi und ihrem untreuen Ehemann erzählen.“
Rhodan jammerte mit theatralischer Gestik. „Herr, bewahre uns vor rachsüchtigen Frauen!“
Seine linke Wange tätschelnd antwortete Thora. „Aber das ist doch ganz einfach, geliebter Gatte! Du musst nur alles vermeiden, das meinen Zorn hervorrufen könnte. Dann wird es dir gut ergehen im Bett und es wird dir an nichts mangeln.“ Dann, wieder an ihre Tochter gewandt „Erfolg gehabt?“
„Ich bin in die Kuppel gelangt, wenn Du das meinst!“ Victoria wurde wieder ernst. „Und jetzt möchte ich sie der UNO schenken!“
„Warum das denn?“ rief Thora erstaunt und wurde auf den neuesten Stand gebracht.
Perry Rhodan seufzte tief. „Na schön, Spätzchen. Ich werde versuchen, den Generalsekretär zu einem Ausflug zu überreden. Aber ein halbes Jahr wird es wohl oder übel noch dauern!“
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Reggys System
An Bord der HEPHAISTOS
Die fünf großen Reintegratoren liefen pausenlos um die große Mittelplatte des Neubaus, allmählich war das Erreichen des geplanten Durchmessers von fünf Kilometern in greifbare Nähe gerückt. Kleinere spinnenförmige Roboter begannen bereits mit dem Aufbau von Trennwänden der ersten Ebene. Langsam war die Struktur deutlich zu erkennen, die HEPHAISTOS II wuchs stetig weiter. Reginald beobachtete es auf einem Bildschirm, Marie France im Arm.
„Es funktioniert, Marie. Schau nur, wie schön das Bild ist!“
Auch sie war angetan von dem Bild. „Sie wird riesig!“
Reginald küsste von hinten ihr Ohr und flüsterte. „In Zukunft werden wir jedes bekannte Schiff bergen und nach Hause bringen können. Wir müssen nur immer einen Schritt vor den anderen bleiben!“
Wohlige Schauer durchliefen Marie Frances Körper bei seiner Zärtlichkeit. „Das werden wir“, versprach sie ihm.
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Solares System,
An Bord eines Aufklärungsbootes der John Glenn Academy, Luna,
Kadett Shaumany war nur 1,48 Meter groß, ihre Schulterbreite betrug 1,46 Meter und ihre Hüftbreite 1,52. Ihr Haar, dass sie zu einem strengen Zopf zu flechten pflegte, war von der Farbe gesponnenen Kupfers, ihre Haut schimmerte in einen satten Smaragdgrün, die Lippen waren so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten. Die ausdrucksvollen, leicht mandelförmigen schwarzen Augen blickten klar und hellwach aus dem breiten, aber durchaus angenehm anzusehenden Gesicht mit dem relativ kleinen Näschen. Ihr hautenger leichter Raumanzug in Sandfarbe betonte ihren flachen, aber durchaus sehenswerten Busen, ihren muskulösen Bauch und ihre mächtigen Glutei maximi. Sie trug am Kragen dieser Uniform stolz den Kreis als Abzeichen der Abschlussklasse, die junge Frau aus dem so genannte überschweren Volk hatte es nicht nur als erste ihres Stammes an die renommierte Space Academy geschafft, sie hatte die Kurse in Rekordzeit absolviert und stand nun in ihrem letzten Jahr. Ihre Lehrer bescheinigten ihr hohe Intelligenz, großen Fleiß und hervorragende Disziplin. In den praktischen militärischen Tests hatte sie bei fast jeder Art von Fahr- und Fluggerät gut abgeschnitten, nur bei den schnellen Raumjägern war ihre Prüfung lediglich im Simulator möglich. Es war ihr unmöglich gewesen, ihre Hüfte in das enge Cockpit zu zwängen, der Sitz war für ihr mächtiges Hinterteil, ein Erbe ihres massig gebauten Volkes, einfach zu eng. Nachdem in den nächsten Klassen bereits mehr Personen ihres Volkes zu finden waren, hatte die Academy vier Jagdmaschinen mit speziellen Kanzeln bestellt, auch die GCC – Space Force hatte von dem neuen Modell ‚Sternenfalke‘ einige Staffeln mit extrabreitem Cockpit für die Zukunft vorbestellt. Man konnte ja nie wissen.
Shaumany interessierte sich für die Jäger sowieso nur am Rande, ihr Ehrgeiz ging zu größeren Schiffen. Sie wollte sich und ihre Treue zur neuen Heimat beweisen, eine Treue, die sie tatsächlich empfand. Sie sah aber ein, dass es für Kadetten notwendig war, alle Klassen von Raumfahrzeugen zu steuern, daher absolvierte sie das Simulatortraining mit der gleichen ihr eigenen Verbissenheit, mit der sie immer arbeitete. Zu ihrem Glück begnügten sich die Prüfer ausnahmsweise auch mit dem Test am Simulator. Heute sollte sie eine Gazelle fliegen, einen kleinen, wendigen Aufklärer mit ÜL-Antrieb. Ihr erster Flug in der Realität als verantwortlicher Pilot, die Übungsannahme ging davon aus, dass sie die einzig einsatzfähige Person an Bord sein sollte. Irgendwo am Rande des Sonnensystems sollte sie die Brücke des Bootes betreten, die Energieversorgung hochfahren, sich orientieren und zur Mondbasis zurückkehren. So schnell wie nur irgend möglich.
Commander Trevor Griffin von der John Glenn Space Academy war ein blonder Brite von beinahe zwei Meter Größe, mit schmalen Schultern und langen Fingern. Er flog das Kleinraumschiff sicher über die manuelle Steuerung an den Rand des solaren Systems, mit ein wenig Umweg, sein Prüfling sollte durch keinen Umstand einen Hinweis, wie winzig auch immer, auf Position und Entfernung zur Basis bekommen. Reine Routine für den Offizier, der seit einigen Jahren die Kadetten unterrichtete. Vorher war er Geleitschutz für Handelsschiffe der GCC in riskanten Sektoren geflogen, dann hatte er im Einsatz Pech gehabt, sein linker Fuß war eine Prothese. Er hatte seinen Abschied erhalten, geheiratet und einen Posten an der Academy auf dem Mond ergattert. Trevor erlaubte sich nicht, irgend einen Kadetten, weiblich oder männlich, zu mögen. Aber er bewunderte den eisernen Willen der kantigen jungen Frau, die trotzdem in sich zu ruhen schien, er war überzeugt, sie würde ihren Weg gehen.
Ein Deck unter der Steuerkanzel saß Shaumany in einem bequemen Kontursessel und wartete auf ihren Einsatz, hing noch ein wenig ihren Gedanken nach. Geboren war sie in der Halle VI des Sixpacks auf Luna, ihre Mutter Shaumauntha und ihr Vater Khumunol wollten sie zu einer typischen Frau ihrer Sippe erziehen. Es war nur zum Teil geglückt, Shaumany wollte mehr. Mehr, als die Frau eines Gefangenen in Becatraz zu werden, mehr, als immer in dieser Halle zu leben, drei Mahlzeiten täglich, Trainingshalle und TriVid glotzen. Sie wollte nicht aus zweiter Hand leben, sondern selbst da hinaus gehen und Abenteuer erleben. Natürlich wusste sie, dass es nicht ungefährlich da draußen war, aber davon wollte sie sich nicht aufhalten lassen. Von der Möglichkeit zur Bildung war Shaumany begeistert gewesen, sie hatte an der Schule der Haftanstalt jeden Kurs belegt, der für ihre Reife zugänglich war. Und sie alle mit Erfolg bestanden. Sie sog Wissen in sich auf wie ein Schwamm das Wasser, es machte sie kurzfristig glücklich. An ihrem 16. Geburtstag besorgte sie sich einen Vertrag, den sie unterschrieb, wünschte ihren Eltern alles Gute, rief bei den Wachposten an und verließ ‚the caves‘. Ein schlanker, grauäugiger Mann hatte ihr die Hand gereicht und sie gefragt, was sie sich für ihre Zukunft vorstelle, sie war im Brustton der Überzeugung herausgeplatzt:
„Der erste Raumkadett meines Volkes bei der GCC Space Force werden!“ Der Mann hatte still gelächelt, drei Tage später war sie vor einer Prüfungskommission gestanden, am selben Abend in das Internat der John Glenn Academy gezogen, hatte binnen zweier Monate und den darauf folgenden Ferien den Stoff des ersten Jahres nachgelernt und zu Beginn des neuen Schuljahres ihre Prüfungen abgelegt. Zu Semesterbeginn trug sie bereits stolz die zwei Balken für das zweite Schuljahr an ihrem Kragen.
Die Leitung der Academy förderte zwar durchaus Individualismus und erwartete eigenständiges Denken sowie selbständiges Lösen von Problemen, forderte jedoch auch Teamgeist und Zusammenarbeit, Loyalität und Kameradschaft. Mobbing und Ausgrenzung wurden schwer bestraft, Unverbesserlichen drohte sogar die Relegierung. Trotzdem war Shaumany zu Beginn ein Außenseiter gewesen, doch aus erzwungener Toleranz wurde echte, nur wenig später gegenseitiger Respekt und daraus endlich Freundschaft. Sie schrieb ihren Eltern, sie habe endlich ihren Platz im Leben gefunden, sie fühlte sich glücklich und zufrieden, auch wenn sich die große Liebe bisher noch nicht gezeigt hatte. Zwar machte sie durchaus sexuelle Erfahrungen, wie alle Kadetten in ihrem Alter, aber es waren zwar durchaus lustvolle, aber oberflächliche Beziehungen. Die Academy legte ihren Schülern diesbezüglich keine Steine in den Weg. Die Leitung wusste, dass sie es nicht verhindern konnten, dass Jungen und Mädchen in diesem Alter immer irgendwie zu einander fanden. Es wurden nur großzügig Verhütungsmittel verteilt, die meisten Schüler und Schülerinnen entschieden sich für eine jährliche Depotinjektion. Shaumany lernte verbissen weiter, wollte immer ganz vorne dabei sein, den großen Mann, der ihr dieses Leben ermöglicht, um keinen Preis enttäuschen. Nun stand sie vier Monate vor ihrem Diplom, wenn sie es in den Händen hielt, wollte sie die Academy als Fähnrich weiter besuchen, um eines Tages Flottenoffizier zu werden. Viele ihrer Kameraden würden zur Erde zurückkehren und dort zivile Universitäten besuchen und an diesen ein wenig den Geist der Academy von Toleranz und Teamgeist weiter verbreiten, die anderen wie sie eine militärische Laufbahn einschlagen. Am meisten hatte Shaumany die Nachricht gefreut, dass ihre Eltern nicht nur zu ihrer Abschlussfeier kommen konnten, sondern den Schritt in die Freiheit gemacht hatten. Eine Glocke riss sie aus ihren Gedanken, es wurde Zeit für ihre Prüfung.
Sie erhob sich, die künstliche Schwerkraft fiel aus und Shaumany schwebte durch den Liftschacht in die Zentrale, wo sie sich geübt abstieß, einen der Pilotensitze erreichte, sich hineinschwang und darin festschnallte. Mit tausendfach trainierten Handgriffen verband sie die in den Anschnallgurten steckenden Anschlüsse des Lebenserhaltungs-Tornisters, der im Kontursitz verbaut war, mit ihrem Anzug. In einem Notfall reichte ein kräftiger Zug an einem Griff, der Sitz würde den Tornister freigeben. Nachher legte sie zuerst den gesicherten Zentralschalter um und schaltete ihn auf ‚ein‘. Dann fuhr sie die Meiler hoch, die Luftumwälzung und zuletzt langsam und vorsichtig die künstliche Schwerkraft. Erst als alles lief und die Lebenserhaltung grün zeigten, öffnete sie die Helmfolie und schaltete Ortung und Navigation ein. Weit von ihrem Boot entfernt zeigte der Zielbildschirm eine blaue Perle, begleitet von einer silbernen. Shaumany beschleunigte und nahm Kurs auf Luna. Ein Kinderspiel, diese Prüfung hatte sie in der Tasche.
März 2084
✴️
Solares System, Luna,
Katherine Johnson Base, Wohnkuppel 8, 2 Gravo.-Sektor.
Khumunol schrie überrascht auf, als er sein virtuelles Postfach wie jeden Tag kontrollierte und einen offiziellen Brief vorfand, der eine Empfangsbestätigung verlangte.
„Ist etwas geschehen?“ Shaumauntha kam voll Sorge gelaufen, nach ihren Erfahrungen der letzten Jahre bedeutete solch ein Schrei nichts Gutes.
„Ich weiß nicht!“ Er deutete auf den Bildschirm, sein Gesicht wies vor lauter Anspannung eine ungesunde, türkisgrüne Farbe auf. „Noch nicht, aber es ist ein Schreiben von der GCC gekommen. So schnell habe ich nicht erwartet, dass…“ Khumunols Hand zitterte, als er den Empfang bestätigte und damit das Schreiben öffnete. Gemeinsam beugten sie sich über den Brief.
‚… teilen wir Ihnen mit, dass Ihre Dienste und Ihre Erfahrungen bei der Wartung des Flug- und Raumfahrzeugparkes der ‚John Glenn Space Academy‘ höchst willkommen wären. Bitte melden Sie sich bis spätestens 3. April 2084 Terra Standardkalender bei dem Direktor der Academy, Colonel Edward Kyle, Com Code, Adresse, Kennwort, zwecks Vereinbarung eines Vorstellungsgespräches. Hochachtungsvoll, i. A. Karen Zabrinsky, Personalbüro, GCC, Galacto City, Terra.‘ Der quadratisch gebaute Mann begann zu lachen, gleichzeitig liefen ihm die Tränen über das Gesicht.
„Hast Du gelesen, Frau? Sie bieten mir eine Arbeit und Weiterbildung an! Ich soll mich darum kümmern, dass der Nachwuchs der Terraner sicher durch das All fliegen kann! Sie wollen mir ihre Kinder anvertrauen! Wo ist das Phone, da muss ich doch nicht lange überlegen! Diesen Vertrauensvorschuss sollen sie nicht bereuen, ich werde mein Bestes geben. Sie vertrauen meinem Wort, ich werde es halten, bei der Herrin A…! Ja, ja, ich soll mich bei Ihnen melden! Mein Name ist Khumunol, ich habe einen Brief vom Personalbüro bekommen. Ja! Ja! An Bord der TOP XV. Richtig. Gerne. Sofort? Ich denke, ich kann in zwei Stunden – nein, sagen wir lieber drei. Man kann nicht wissen, ob sich nicht ein Verkehrsstau bildet, ich will den Termin sicher einhalten. Natürlich, ich melde mich beim Wachhabenden in der Empfangsloge, ja, ja, ich bin unterwegs!“ Khumunol sprang auf und umarmte seine Frau stürmisch, hielt sich dann etwas zurück und küsste sie ziemlich zart am Halsansatz.
„Ich soll gleich aufbrechen, Mauntha! Wir sehen uns später! Hast Du heute Dienst im Hospital?“ Shaumauntha drückte ihren Mann an sich und strich mit ihrer Hand über seine Wange.
„Ich kümmere mich darum, meinen Dienst heute zu tauschen. Wenn das kein Grund zum Feiern ist, kenne ich keinen!“
*
„Und?“ Shaumauntha hatte den Tisch festlich gedeckt und sogar eine flackernde LED-Kerze in die Mitte gestellt. „Bist Du jetzt Techniker an der Academy.“
Khumunol grinste sie an. „Besser! Sie haben mich sofort zum Tech-Sergeant gemacht, ich soll einen ganzen Zug Techniker unter mir haben und sie ausbilden. Die Terraner haben zwar technisch einiges verbessert, aber bisher sind an der Academy oft noch die alten Muster in Verwendung. Mit denen sich dein Mann, das bin ich, bestens auskennen sollte. Immer noch. Morgen soll ich mich trotzdem zuerst einmal für drei Wochen zur Weiterbildung auf der GCC – Werft am Pounder Port melden, die wichtigsten Neuerungen kennen lernen, dann meinen Dienst an der Glenn antreten. Und ich soll den Kadetten die Technik nahebringen, die alte und die neue. Die trauen mir eine Menge zu, ich hoffe, ich schaffe das Alles. Aber – bei den neun Schwänzen des H’taak, ich werde mein Bestes geben. Hier, das ist für Dich!“ Shaumauntha blickte fassungs- und sprachlos auf den Strauß Rosen, den ihr Khumunol entgegen hielt, in sein Gesicht und wieder auf die Rosen.
„Ich wusste doch, dass dieses Gemüse eine dumme Idee war“, knurrte Khumunol enttäuscht, als sie nichts sagte, und machte sich auf den Weg zum Abfallvernichter.
„Wa-Warte!“ Shaumauntha erlangte ihre Stimme wieder. „Warte, das ist so – so nett von Dir. Ehrlich! Ich war nur so überrascht! Das ist so gar nicht nach der Sitte von uns Überschweren. Gib sie bitte her!“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Blüten, dann umarmte sie glücklich lachend ihren Mann.
„Wir sollen doch Terraner werden!“ brummte der und sog dann prüfend die Luft durch die Nüstern. „Du riechst seltsam, Frau“, stellte er mit belegter Stimme fest, sie nickte.
„Sally vom Krankenhaus hat mit den Tipp gegeben. Und die Verkäuferin hat gesagt, der Duft nennt sich ‚wilde Orchidee‘. Für besondere Stunden, hat sie dazu gesagt. Gefällt er Dir?“ Unsicherheit schwang in ihren Worten. „Ich meine, wo wir doch jetzt Terraner werden wollen, habe ich gedacht…“
Er schnupperte noch einmal. „Doch, doch schon! Es gefällt mir!“ Er fühlte sich ein wenig seltsam, sein Körper reagierte stark auf die Frau und ihren Duft, doch nach seinen Alpträumen wollte er sich nicht zu sehr aufdrängen. Nicht mehr. „Er ist – anregend! Aufregend!“ Sie drückte sich noch fester an ihn, steigerte damit seine Erregung noch mehr.
„Das soll er auch sein!“ Ihre flüsternde Stimme war ein einziges Versprechen. „Die Verkäuferin hatte recht – für gewisse Stunden. Wir können doch später essen, oder.“ Shaumauntha öffnete den Magnetverschluss an seinem Hals und küsste seine Halsgrube, ein wohliger Schauder durchfuhr ihn. Sie zog den Saum etwas auseinander, küsste ein größeres Gebiet, löste sich wieder von ihm, nahm seine Hand und führte ihn ins Nebenzimmer, öffnete dort langsam den Magnetsaum ihres eigenen Overalls.
„Dann lass uns doch einmal gemeinsam herauszufinden, was ein Tech Sergeant so alles kann…“
*
Reggys System
An Bord der CYRANO
Pablo Cobanjo strich sich das schwarze Haar zurück und straffte seine ganze 160 Zentimeter große Gestalt in der rauchblauen Uniform der Starlight Reederei zu einer stolzen, geraden Haltung. Seit zehn Monaten befehligte er die CYRANO bereits, die gemeinsam mit der CYGNUS die Route Terra – Ferrol – HEPHAISTOS befuhr. Genau genommen war eigentlich Luna die Landestelle für alle interstellaren Flüge geworden, selbst die kleinen Fracht- und Passagierschiffe durften aus ökologischen Gründen nur mehr in den seltensten Fällen in die Atmosphäre eindringen. Die Bezeichnung Terra als Zielhafen hatte man aber beibehalten. Auch Ferrol fertigte die interstellaren Flüge über Satelliten ab, der Planet war ebenso wie die Erde Sperrgebiet für Schiffe. Nur über Shuttle und Transmitter war der Planet selbst erreichbar.
Pablos Mannschaft und er waren mittlerweile ein eingespieltes Team geworden, das sich aufeinander verlassen konnte, und er selbst hatte sich allmählich eine dickere Haut zugelegt, was das Benehmen neureicher älterer Frauen anging. Seltsamerweise war die einzige wirkliche Adelige, die er je an Bord gehabt hatte – eine skandinavische Prinzessin – bei weitem höflicher und netter zu ihm gewesen als die typischen Milliadärsfrauen. Sie hatte ihn von Anfang an als gleichgestellt behandelt. Gerne dachte er daran zurück, wie sie beim Kapitäns-Dinner fröhlich mit ihm geplaudert, gescherzt und gelacht hatte, ihre Hofdame war am ersten Tag richtig verzweifelt gewesen. Ihrer Meinung nach schickte sich ein solch informelles Benehmen nicht. Zumindest nicht für jemand aus einem Königshaus im Allgemeinen, besonders aus dem von Schweden im Speziellen und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Was er allerdings nie erfuhr, Svenja Liv Solveig, Kronprinzessin von Schweden, hatte Mette Maria von Sørvål in ihrer Suite darüber aufgeklärt, dass der Kapitän eines Raumschiffes de jure die ranghöchste Person an Bord war, genau genommen sogar höher als ein Kaiser oder sogar der Besitzer, also auch über einer Prinzessin, ob mir ‚Kron‘ im Titel oder ohne. Und nun solle sich die Baronesse nicht ihr zartes, lachsfarbenes Höschen mit den roten Spitzen pinkeln, weil sie, die Prinzessin, sich ein paar nette und freundliche Worte mit einem Raumschiffkommandanten erlaube. Besagte Baronesse solle sich doch lieber endlich den Stock aus ihrem A…llerwertesten ziehen und sich einen Mann anlachen, dem sie das bereits erwähnte Höschen zeigen und der es ihr danach auch ausziehen solle. Die Baronesse wirke bereits ziemlich altjüngferlich eingetrocknet, mit dreißig solle man noch nicht auf Spaß im Leben verzichten. Besonders nicht auf dieses spezielle Vergnügen. Diskret, versteht sich. Die Prinzessin bediente sich bei diesen Vorschlägen einiger nicht wirklich druckreifer Worte, von deren Existenz sie eigentlich keine Ahnung haben sollte, aber Svenja war schon immer eine sehr volksnahe Person gewesen. Man sollte noch kurz erwähnen, dass Mette Maria, Baronesse von Sørvål, dem Befehl der Prinzessin nachkam und eine kurze, aber stürmische Zeit mit Francois Montand, dem Zahlmeister an Bord, verlebte. Aber neureiche Damen hin, nette Prinzessinnen her, heute sollte ein ganz besonderer Gast an Bord kommen. Reginald Starlight, der Sohn der Chefin, sollte nach Luna gebracht werden. Außer ihm waren bereits fast alle Passagiere an Bord, die Fracht war eingeladen und verstaut. Nach alter Tradition war der Kapitän persönlich anwesend, wenn Ehrengäste zu begrüßen waren, und ein Starlight war auf einem Schiff der Starlight Enterprises auf jeden Fall ein Ehrengast. Pablo war gespannt, allerdings ließen ihn seine Erfahrungen mit reichen Teenagern Schlimmstes befürchten. Noch drei Personen waren ausständig, zwei betraten gerade die Gangway. Aus einem Cart, das in der Nähe geparkt war, stiegen eine junge Frau in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen und ein weißhaariger Jüngling in der rauchblauen Kleidung der Starlight Enterprises, die junge Dame lief mit ihrer Tasche über die Rampe, der Mann folgte etwas langsamer. Die letzten Passagiere zeigten ihre Tickets, die junge Frau das ihre, und dann ging Reginald mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ durch die Schranke und zeigte seinen Ausweis, blieb vor dem Kapitän stehen und salutierte mit zwei Fingern nach Art der Starlights.
„Erlaubnis, an Bord zu kommen, Captain?“
Pablo legte ebenfalls locker Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe. „Erlaubnis erteilt! Willkommen an Bord, Sir.“ Die beiden Männer schüttelten einander die Hand.
„Brauchen sie Hilfe, Mister Starlight?“ Reginald sah sich um.
„Danke, Skipper, nein. Ich glaube, ich finde den Weg, und mein Gepäck hat wohl ein Bot bereits in meine Kabine gebracht.“
„Selbstverständlich, Sir. Das Ihre und das Gepäck der jungen Dame, die mit Ihnen reist! Darf ich Sie und die junge Dame an meinem Tisch begrüßen?“
„Es wird gleichermaßen eine Ehre wie ein Vergnügen sein, Captain Cobanjo.“
Marie France Meunier saß auf dem Boden, strich bewundernd mit der Hand durch den hochflorigen Teppich der ‚Admiralsuite‘ und sah sich um.
„Wow!“ entfuhr es ihr. „Das nenne ich Luxus. Meine komplette Bleibe im Studentenwohnheim auf der HEPHAISTOS passt inklusive Nasszelle in dieses eine Zimmer! Deine Wohnung ist auch nicht größer als meine! Warum eigentlich?“ Reginald legte sich neben Marie France auf den Rücken und strich ihr zärtlich über die Wange.
„Meine Mutter liebt bei aller Abenteuerlust ein gutes Leben, viel Platz und Luxus. Ich eigentlich auch, aber wie sie möchte ich ihn mir erarbeiten und nicht geschenkt bekommen. Kannst Du das verstehen?“ Seine Zeigefinger wanderte über ihren Hals tiefer, löste den Magnetverschluss am Kragen ihres Anzuges. Sie schloss die Augen und hielt still, überließ sich ganz seinen forschenden, zärtlichen Händen, die ihren Körper langsam aus der Kleidung schälten.
„Reginald?“ Ein Schauer lief über ihren Körper, wenn er bestimmte Punkte berührte, trotzdem, es gab da noch etwas. Etwas, das verhinderte, dass sie sich wirklich völlig entspannt ihren Gefühlen hingeben konnte, sie musste vorher noch etwas klarstellen.
„Ja, Marie?“ Er zögerte, weiter zu machen, überrascht über ihren ernsten Tonfall.
„Ich verstehe Dich nur zu gut, ich möchte mir auch das meiste selbst erarbeiten,“ meinte sie entschlossen. „Über das Cocktailkleid, das dort liegt, freue ich mich wirklich, es ist wunderschön, aber bitte keine so teuren Geschenke mehr. Einverstanden? Ich will immer noch Dich, nicht Dein Geld!“
Reginald seufzte. „Keinen Diamantring?“
Sie nahm seine Hand, küsste jede einzelne Fingerspitze. „Wenn Du es in einem Jahr immer noch willst, kannst Du mich ja nochmals fragen! Aber nur, wenn Du es ernst meinst. Ganz ernst. Und – solltest Du es ernst meinen, bestehe ich trotzdem auf einen Vertrag, der Dich und Dein Vermögen schützt, sollte es nicht klappen!“ Sie sah im tief in die Augen. „Ich will mich nicht kaufen lassen, klar? Ist das Okay, haben wir einen Deal?“
Reginald erwiderte ernst ihren Blick, nickte dann. „Wir haben einen Deal. Ich gebe unserem Anwalt den Auftrag, schon einmal einen Entwurf vorzubereiten. Okay?“
Marie France nickte glücklich lächelnd, dann legte sie seine Hand wieder auf ihre Brust, beugte sich etwas vor und flüsterte „Jetzt mach doch damit weiter, womit Du vorher aufgehört hast.“
*
Das zarte, sehr helle rosé des ärmellosen, knielangen Cocktailkleides, welches Reginald für Marie France ausgewählt hatte, kontrastierte harmonisch mit ihrer dunklen Haut, die junge Frau sah darin einfach umwerfend aus. Dazu passte auch eine Kette aus Zuchtperlen von Bekhon, deren zarter Ton die Farbe des Kleides wieder aufnahm. Reginald hatte sich für das Outfit entschieden, das ihn schon bei der Bestellung seines Anzuges für den Ball so begeistert hatte. Ein schwarzes Hemd aus Seide mit kurzen Ärmeln, ein schwarz, dunkelgrau und anthrazit karierter Kilt, schwarze Stutzen und ein Sporran, dessen Fell eine perfekte Nachahmung aus Baumwolle war. Die Tasche selbst war allerdings aus echtem Leder.
Ein Steward in der klassischen Uniform mit weißer, hochgeschlossener Jacke zu schwarzen Hosen führte das gut aussehende Paar zu seinem Platz am Kapitänstisch. Theoretisch konnte der Kapitän eines Schiffes, ob im All oder auf einem Ozean, selbstverständlich an seinen Tisch bitten, wen immer er wollte. Pablo hatte davon bereits Gebrauch gemacht und Ghoma auf ihrem Flug zur HEPHAISTOS eingeladen. Doch traditionell waren es die Bewohner der beiden Luxussuiten und natürlich, wenn jemand darin wohnte, der Admiralsuite.
In einer der Suiten wohnte ein Flitterwochenpaar von Ferrol, eine große Familie hatte zusammengelegt, um dem Paar drei Wochen Luxus zu gönnen. Der Quartiermeister der CYRANO, ein alter Terraner und unverbesserlicher Romantiker, hatte festgestellt, dass die große Suite Nummer zwei auf diesem Flug leer stand. Er hatte ihnen für die letzte Etappe von drei Tagen bis zur Wega ein Upgrade der Kabinenklasse und somit einen Platz am Tisch des Kapitäns geschenkt. Und während des Zwischenstopps in einem System unterwegs einen guten Platz in der Aussichtskuppel, wenn ein Gasriese mit beeindruckendem Ringsystem zu bewundern war, ein kleiner Umweg, der als Highlight der Reise angekündigt war, denn selbst der Saturn mit seinen Ringen konnte die Erhabenheit und Schönheit dieses Anblicks nicht erreichen. Dieses Upgrade war eine Geste, die der Gesellschaft keine Extrakosten verursachte, aber große Freude bei dem jungen Paar auslöste. Die große Suite Nummer eins wurde von nur einer Person bewohnt. Der Witwe Virginia Howell-Bossworth.
Madame Virgina Howell-Bossworth aus South Carolina war reich. Geradezu unverschämt reich. Mister Edward Howell Junior, ihr verstorbener Ehemann, hatte viel Geld geerbt, welches Edward Howell Senior mit Diamanten aus Südafrika eingenommen hatte. Mit diesem Geld hatte Edward junior Unsummen an der Börse erwirtschaftet, Virginias Vater Hugo Bossworth hatte in Texas und Alaska Öl gefördert und damit ein Vermögen gemacht. Virginia Howell-Bossworth hatte daher all ihre 114 Jahre im Luxus verbracht und nie einen Handgriff Arbeit selbst gemacht. Ihre Hände waren sorgfältig gepflegt und manikürt, ihr Gesicht vom besten Chirurgen Terras geliftet. Nur an ihrem Hals hatten sowohl alle chirurgischen Eingriffe als auch die Antigeriatriemedikamente versagt, letztere waren für diese Dame zu spät auf dem Markt erschienen, um diese Falten zu mildern. Ein ewiger Ärger für Madame, die sich trotzdem immer noch für unwiderstehlich schön fand und ziemlich indezente Kleidung zu tragen pflegte.
Zudem war Virginia eine große Anhängerin der ‚New WASP Society‘, der ‚White Aglosaxon Superior People’ und eine jener Art von religiösen christlichen Fanatikern, die man nur mit dem Wort bigott bezeichnen konnte. Sie empfand es nachgerade als eine Sünde gegen Gottes Ordnung, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe auch nur ansatzweise als gleichwertig oder auch nur halbwegs als gleichberechtigt betrachtet werden sollten. Sie war schockiert gewesen, dass ein Angehöriger eines mesoamerikanischen indigenen Volkes Kapitän eines Raumschiffes sein durfte. Zuerst hatte sie geglaubt, er wäre ein Kofferträger, Mechaniker oder ähnliches. Weiter hätte dieser – diese Kreatur (ihr wollte kein treffenderes Wort einfallen) niemals in der Hierarchie aufsteigen dürfen. Und nun musste sie mit diesem Kapitän, einer dunkelhäutigen jungen Frau und einem Paar mit dunkler Haut und starken Augenwülsten an einem Tisch sitzen. Und das schlimmste, der junge, weißhaarige Mann, der einzige Weiße außer ihr, zeigte keinerlei Interesse an ihren freizügig zur Schau gestellten Reizen oder ihrem Diamantarmband, und auch der sonstige üppige Schmuck lösten keinerlei Reaktion und Respekt aus. Vor allem keinen Respekt. Statt den Perlen ihrer Worte zu lauschen und ihrem von Gott und der Erfahrung genährten Wissensschatz zu honorieren, unterhielt er sich lieber mit den minderen Leuten und wagte es sogar, mit ihnen zu lachen. Natürlich hätte sie ihn empört in seine Schranken gewiesen, hätte er etwas auch nur annähernd Unsittliches bei ihr versucht. Aber dass er so gar nicht reagierte, wenn sie eine ihrer Weisheiten in das Gespräch warf oder mit ihrem Schmuck spielte, das war – demütigend. Beleidigend! Ihre Migräne war wieder einmal im Kommen, sie fühlte es bereits, ihr Kopf begann hämmernd zu schmerzen. Sie sprang auf und rauschte, eine penetrante Wolke von viel zu viel Parfum hinterlassend, davon. Der Reederei würde sie einen geharnischten Brief zukommen lassen und sich beschweren. Ein farbiger Kapitän, das war humiliant einer Dame wie ihr gegenüber, insupportable! Farbige Passagiere erster Klasse reisen zu lassen war ebenfalls indiskutabel, sie beschloss, von nun an bis Terra in ihrer Kabine zu bleiben und dort auch zu speisen. Kurz überlegte sie, von der Reederei eine Wertminderung ihrer Reise einzuklagen, doch ihr Anwalt gab dem Fall selbst vor einem Gericht in South Carolina nicht die geringste Chance, und so begnügte sie sich mit einem bitterbösen Schreiben an die Reederei Starlight Shipping. Dieser Brief fand tatsächlich einige Beachtung und wurde einige Stufen in der Hierarchie der Mitarbeiter hinauf gereicht, endlich von einem Abteilungsleiter auch an die beiden anderen Reedereien, welche Terra anflogen, verteilt. Es war Virginia Howell-Bossworth’s letzte Reise mit einem Raumschiff und damit auch ihr letzter Versuch, das Wort Gottes und natürlich auch die Gesellschaftsordnung der New WASP Society in der Galaxis unter den ‚primitiven Eingeborenen‘ zu verbreiten.
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Gopkar Sektor, First
Einen Hypersprung von Reggys System lag ein durchschnittlicher Stern der Spektralklasse G, nur ein klein wenig wärmer als die Sonne Terras. Der dritte Planet war im Durchschnitt etwa 160 Millionen Kilometer entfernt, die mittlere Temperatur an der Oberfläche betrug 15 Grad nach Celsius, etwas mehr als die Hälfte der Oberfläche bestand aus Wasser, die Pole trugen weiße Eiskappen, die Schwerkraft betrug 1,07 G, also nur minimal mehr als auf der Erde. Die meisten Landmassen lagen in den gemäßigten Zonen, dort war es warm und zumeist ziemlich feucht, den fruchtbaren Boden bedeckten teilweise riesige Wälder. Es gab Millionen von Pflanzen, tausende und abertausende Spezies tierischen Lebens, sowohl im Meer als auch an Land, ein perfekter Planet für die Gründung einer ersten Kolonie. Einer der Kontinente bedeckte rund zwei drittel der nördlichen Hemisphäre, durchzogen von breiten Flüssen, die aus den hohen Bergen ins Meer flossen. Zwischen zwei der Faltengebirge, die in nord – südlicher Richtung verliefen, stand auf einer Hochebene eine Kugel aus Stahl, 100 Meter im Durchmesser, auf dem weißen Rumpf trug sie den Trinity Knot der GCC und den Namen ‚STARFLOWER‘ in schwarzer Farbe. Im Süden des Schiffes wuselten Arbeitsroboter und erschufen am Ufer eines großen Süßwassersees, in den sich einige Flüsse ergossen und ein mächtiger Strom entsprang, die Gebäude einer Stadt, die den Namen ‚New Saint Louis‘ tragen sollte. Den Strom hatte Rhodan ‚Big Man River‘ genannt, den See Lake Manchester, nach seiner Heimatstadt.
Zwei Frachter, die MULE und die DEER, brachten ständig neue Rohstoffe, Traktoren, Pflüge, Mähdrescher und andere für die Landwirtschaft nötige Geräte von den Minen und Produktionsstätten auf Reggy II. In zwei Monaten etwa sollten jene ersten Siedler mit der MAYFLOWER II eintreffen, welche eben in einem Trainingscamp auf den neuen Planeten vorbereitet wurden. Es hatten sich viele tausend gemeldet, die einen Beginn auf First wagen wollten. Besonders Landwirte aus allen Ländern, die gegen die großen Konzerne kaum mehr bestehen konnten und hier wieder auf einen eigenen Hof, eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit hofften. Außerdem wurde es allmählich zu voll auf der Erde, die Menschen benötigten mehr Platz, als zur Verfügung stand.
Von der Stadt New Saint Louis aus sollten die Siedler erste Farmen und Ranches anlegen, denn in erster Linie sollte First tatsächlich eine Agrarwelt und ein Urlaubs- und Erholungsplanet werden. Einige besonders fruchtbare und warme Hänge waren bereits einer Vereinigung von kleinen Weinbauern versprochen worden, sie bereiteten die ausgewählten Rebsorten bereits sorgfältig auf den neuen Boden und den Transport vor. Zwei Böttcher durften bereits mit der STARFLOWER reisen, sie suchten geeignetes Holz für die Lagerung besonders edler Weine. Die Industrien sollten auf dem unwirtlichen zweiten Planeten entstehen, hier waren keine ökologischen Katastrophen zu befürchten, und auch eine Atmosphäre, die durch den Start und die Landung großer Schiffe geschädigt werden konnte, gab es dort kaum. Zumindest Perry Rhodan und sein Stab hatten, die Ökologie betreffend, ihre Hausaufgaben gemacht. Trotzdem sollte die Kolonie natürlich Gewinn abwerfen, die Kalkulation war eine Gratwanderung zwischen Ökonomie und Ökologie geworden. Allen Problemen zum Trotz wollten die Anteilseigner der GCC aber das Risiko eingehen, First sollte bald der erste Außenposten der Erde fertig werden. Wie Ziolkowsky es erträumt und Perry Rhodan es immer gewollt hatte, verließ jetzt die Menschheit ihr zu klein gewordenes Nest.
Captain Henry Blanché von der STARFLOWER zog sich einen Kaffee aus dem Automaten, schwarz wie die Erde seiner Heimat und seine eigene Haut. Er war bereits seit zwei Monaten mit seinem Kreuzer auf diesem Planeten und spielte Kindermädchen für einen Haufen Wissenschaftler und Entwicklungsingenieure. Diese wichtige Aufgabe nahm er sehr ernst, jede Gruppe von Biologen wurde zu ihrer Sicherheit von Robotern und Infanteristen begleitet, denn Wissenschaftler vergaßen in ihrem Eifer schon gerne auf ihre eigene Sicherheit. Die GCC stellte ihrerseits auch bei der Infanterie keine Idioten ein, darum blieben die Soldaten, auch wenn keine offensichtliche Gefahr vorhanden war, wachsam und gingen selbst auf wiederholte Forderungen des wissenschaftlichen Teams keine unnötigen Risiken ein. Sie wollten am Abend ihre Schützlinge möglichst gesund und lebend auf der Krankenstation zum Routinecheck abliefern. Völlig unverletzt kam aber selten vor, kleinere Blessuren konnten schwer ausbleiben, sie befanden sich immerhin in einer wilden, ungezähmten Natur, wie sie auf der Erde kaum mehr anzutreffen war.
Die STARFLOWER hatte selbstverständlich auch einige der Originale jener wissenschaftlicher Flugpanzer an Bord, die bei Starlight Enterprises Humboldts genannt wurden. Hier wurden sie offiziell nur nüchtern ‚Wissenschaftliches Expeditionsfahrzeug Typ III‘ genannt, die Besatzungen nannten sie kurz und knapp ‚Eierkopf‘. Der Unterschied zu den Humboldts der KLEOPATRA bestand nur in der Computeranlage, Rumpf und Antrieb waren identisch. Keine Überraschung, denn Tana Starlight hatte die Maschinen als gute Konstruktion eingestuft und einige von der GCC erworben. Ein neuer Rechner war schnell eingebaut, fertig war das Humboldt-Fahrzeug. Mit den ‚Eierköpfen’ unternahmen die Wissenschaftler auch einige Ausflüge in die entlegeneren Gebiete und legten jetzt schon große Landstriche als Naturschutzgebiete fest, suchten abgelegene Buchten für Badehotels, vorerst sollte jedoch nur dieser eine Kontinent erschlossen werden. Zukünftigen Generationen sollte es vorbehalten sein, sich auf First auszudehnen, möglichst ohne die Ökologie zu schädigen.
Es war ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Schiff, die großen Schleusen in der Nordhalbkugel der STARFLOWER waren stets geöffnet, ein steter Strom von Informationen floss in das Schiff, Technik und Fortschritt hinaus, der Kommunikationsoffizier vom Dienst hielt ständig Kontakt mit sämtlichen EVA – Teams. Wenn es nach Captain Blanché ging, wurde der Termin auch eingehalten, alles lief nach Plan, auch der Raumhafen auf dem größten der drei Monde machte gute Fortschritte. Er nippte an seinem heißen Kaffee. Nicht berühmt, aber durchaus genießbar, befand er. Durchaus zufrieden mit der Situation ging er zu seinem Kontursessel, setzte sich wieder und schloss die Augen, dem stetigen Summen einer geschäftigen Zentrale lauschend. Sein nächstes Ziel würde mehr Herausforderungen bieten. Nahe der Sonne von First lag ein weiterer Stern der Spektralklasse G, den ein kühler, aber auch etwas trockener Planet umlief, der dennoch als Kolonie für Menschen in Frage kam. Das Leben dort wäre in den meisten Gebieten fraglos härter als auf First, aber einen echten Pionier würde das nicht abschrecken, sondern eher locken. Nach einer berühmten Romanserie von Edgar Rice Burroughs wurde dieser Planet Barsoom genannt, doch Captain Blanché hatte wenig Hoffnung, dort auf eine Dejah Thoris zu treffen, egal ob rot, schwarz, grün oder violett getupft.
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Gopkar Sektor
Planet Tricky Secret
Funken sprühten durch das Zwielicht des Maschinenraumes im Flugzeugträger, als George Kinnuk die kleine Trennscheibe ansetzte und einen Teil der Wandverkleidung aufschnitt. Zuerst hatte er mit MRT – Technik die Wand untersucht, dann vorsichtig ein winziges Loch gebohrt, ein Endoskop eingesetzt und alles genau vermessen. Zweimal! Dann erst hatte er zur ‚Flex’ gegriffen, nun lag ein dickes, buntes Bündel Verkabelung mit einem Verteiler vor ihm.
„Mal sehen“, murmelte er leise vor sich hin. Seine dicken Finger, denen man die Geschicklichkeit nicht ansah, folgten dem Verlauf eines jeden Kabels, zeichneten es auf einem Plan, einer Schaltskizze ein. Dann klemmte er ein Bündel Kabel vorsichtig ab und ersetzte es durch ein anderes, das aus seinem Pad kam. Seit zumindest die Maschinenhalle unter Druck stand und beheizt wurde, konnte man ohne Helm und manchmal sogar schon ohne Handschuhe arbeiten.
George hatte in langsamer und mühevoller Kleinarbeit eine Energieversorgung für die Bordrechner installiert, hatte Schritt für Schritt die Stromstärke erhöht. Bei zehn Volt hatte er eine erste Reaktion erhalten, unverständliche Zeichen, jenen auf der Tafel einige Decks höher ähnlich, waren auf dem Bildschirm erschienen, dazu ein hektisch blinkendes rotes Symbol. Ein sechsstrahliger Stern, dessen Mittelpunkt sich ausdehnte und zusammenzog. George hatte kurz gegrinst. Rot als Alarmfarbe schien nicht nur auf der Erde, sondern überall in der Galaxis beliebt zu sein. Arkoniden und ihre Abkömmlinge benützten sie, Topsider, Ferronen, Kh’Entha’Hur und auch das Volk Mattas und der Hüter. Zumindest in dieser Ecke der der Milchstraße schien rot ein ziemlich universeller Code für Gefahr zu sein. Selbst in der Tierwelt war rot zwar nicht immer, aber doch überraschend oft mit Gift und Gefahr verbunden, während bei Früchten diese Farbe oftmals ein Zeichen für Reife war.
„Reaktion auf der Brücke! Die Bildschirme zeigen seltsame Symbole“, kam die Meldung einer Infanteristin aus seinem Earset. Das hatte Kinnuk nicht weiter überrascht, er hatte schon vermutet, dass überall im Schiff die Rechner anlaufen würden. Beziehungsweise die Bildschirme, denn vermutlich gab es ja nur einen zentralen Bordrechner, vielleicht noch mit einem Reservesystem für Notfälle. Also hatte er sich auf die Suche nach den Verbindungen gemacht. Die dick isolierten Stränge, die wohl Starkstrom übertrugen, hatte er dabei noch außer acht gelassen und sich auf die dünnen Kabel konzentriert. Nun versuchte er, seinen eigenen Rechner mit dem des Schiffes zu verbinden. Wieder schaltete er die Stromzufuhr ein, wieder huschten seltsame Zeichen über die Bildschirme, auch sein Pad reagierte, wenn auch nur mit einer Fehlermeldung.
„Ishi?“ rief er, die großgewachsene Asiatin hob das Pad auf.
„Probieren wir’s!”
Ishi Katamuri war aus einem kleinen Dorf in der Präfektur Miyazaki auf Kyūshū, der südlichsten der japanischen Hauptinseln. Im Alter von 5 Jahren hatte sie sich ein Spiel auf dem Rechner ihres Bruders programmiert, der ganz aufgeregt fragte, wie sie das getan hätte. Ishi konnte die Frage nicht wirklich beantworten, sie hatte einfach die Knöpfe auf dem Bildschirm gedrückt, es gab für sie nur die eine Möglichkeit der Reihenfolge, alles andere fühlte sich falsch an. Sie war erstaunt, dass ihr Bruder es anders machte. Akuma Katamuri, der sich auf eine Karriere als Programmentwickler vorbereitete, stellte seiner Schwester darauf hin eine Aufgabe. Sie sollte ein komplexes Spiel mit diesen und jenen Parametern entwickeln. Ishi benötigte dafür zwei Wochen, etwa 13 Tage, um ihren Bruder zu verstehen, nicht ganz einen, um das Spiel danach zu programmieren. Die Firma Yatakana verdiente mit diesem Spiel ein kleines Vermögen, das Mädchen wurde mit freundlichen Worten, ein wenig Taschengeld und dem Versprechen eines Jobs bei der Firma abgespeist. Vater Katamuri bekam eines Tages Post von Starlight Enterprises, seine Tochter wurde mit sehr gutem Gehalt auf die HEPHAISTOS eingeladen. Mit Familie, natürlich, Ishi hatte gerade erst ihren zwölften Geburtstag gefeiert und sollte selbstverständlich auch weiterhin eine gute Schulbildung erhalten, aber an Bord der Station. Familie Katamuri beratschlagte, entschied sich und zog um. Papa Ryu, der sein ganzes Leben gearbeitet hatte und mit dem müßigen Leben eines wohlhabenden Mannes auf Kosten seiner Tochter nicht zufrieden war, eröffnete ein überaus erfolgreiches Sushilokal auf der HEPHAISTOS. Ein Teil seines Gewinnes, der nicht für die Altersvorsorge eingezahlt wurde, ging an Organisationen wie ‚Ärzte ohne Grenzen‘ oder ‚Licht für die Welt‘, die sich der medizinischen Versorgung der Ärmsten verschrieben hatten und leider auch im ausgehenden 21. Jahrhundert immer noch nötig waren. Sie mussten nur nicht mehr um jeden Cent kämpfen, mittlerweile gab es einige Konzerne, die im Hintergrund große Summen überwiesen. Die GCC war einer davon, und auch von Starlight – Konten wurden regelmäßig nicht geringe Summen an solche Hilfsorganisationen überwiesen. Akuma Katamuri war anfangs weniger begeistert gewesen, seinen Lebensmittelpunkt verlegen zu müssen. Er gönnte seiner Schwester ihren Erfolg durchaus, aber warum sollte er mitziehen müssen? Mit 16 auf eine Raumstation im Nirgendwo ohne Freunde und Freundinnen? Dann hatte er die HEPHAISTOS zum ersten Mal gesehen, und nach einigen Erkundungsgängen an Bord hatte er sich mit seinem Schicksal mehr als nur ausgesöhnt. Nach einigen wilden Abenteuern mit schnell wechselnden Mädchenbekanntschaften war er bei Isabella de los Santos Angeles Zapatero gelandet, die mit sanfter, aber bestimmter Hand den Bock zähmte. Akuma wurde tatsächlich Softwareentwickler, so wie er es sich immer vorgestellt hatte. Nur nicht bei Großonkel Yatakana, sondern an Bord der HEPHAISTOS.
Ishi war gerade 20 Jahre alt geworden, als Angel Kleinschmid bei ihrer Suche nach dem neuen Generator auf das Computergenie aufmerksam wurde und sie in ihr Team holte. Die für japanische Verhältnisse großgewachsene und ein wenig schlaksig wirkende junge Frau hatte begeistert zugestimmt, Angel war zu dieser Zeit bereits eine kleine Legende. Eine aus der ersten Generation, die mit Tana auf diese Station gekommen waren. Mutter Kumiko hatte zuerst im Stillen gewisse Befürchtungen gehegt, als sie diesen Posten annahm. Doch als ihr ihre Tochter nach einem halben Jahr Jannis Armegos aus dem Team ihrer Chefin vorstellte, waren auch diese Sorgen vorbei. Kumiko hatte nichts gegen Frauen, die sich zu anderen Frauen hingezogen fühlten, und sie hätte ihrer Tochter jedes Glück gegönnt, aber sie wünschte sich doch auch Enkelkinder. Und dafür war ein Mann notwendig, wenn möglich einer, der mit Ishi eine feste Beziehung eingehen wollte. Und Jannis wollte, er war sofort Kumikos Liebling, dass er ein ‚Rundauge’ war, störte sie dabei überhaupt nicht. Hauptsache, er wurde ein guter Vater für ihre Enkel. Im Alter passten beide gut zu einander, die zwei Jahre, die der Grieche älter war, egalisierte Ishi mit ihrer Reife wieder. Auf die Enkel musste Kumiko aber zu ihrem Leidwesen noch warten, denn derzeit passte Nachwuchs überhaupt nicht in Ishis Lebensplanung. Eher schon die Beschäftigung mit dem großen Rätsel Flugzeugträger.
„Probieren wir’s“, hatte sie gesagt, und irgendwie schien sich ein Teil ihres Geistes aus ihrem Körper zu lösen und in die Picotronik einzudringen, von dort weiter zu wandern in den Rechner des Flugzeugträgers. Der zerbrechlich wirkende Körper der jungen Japanerin ruhte in der Lotushaltung, das Pad in den Händen, sie benötigte schon lange keine Eingabehilfen oder Bildschirme mehr.
„Sie haben duodezimal gerechnet“, murmelte Ishi leise, der Rest des Teams hörte gebannt zu. „Zwölf Bits ergeben ein Byte. Auflösung der Bildschirme 3852 mal 2160!“ Ein Teil ihres Verstandes wunderte sich, wie leicht sie einen fremden Rechner verstehen und manipulieren konnte, bisher hatte sie nur mit den im späten 21 Jahrhundert üblichen Betriebssystemen zu tun gehabt, einer Art Stargate, Windows, Linux oder Android auf arkonidischer Grundlage. Dann wunderte sie gar nichts mehr, ihr Denken und Fühlen ging vollständig im Rechner auf. In ihrer Trance koppelte und synchronisierte sie die Rechenanlagen, glich die Ein- und Ausgabesprache der Verkehrssprache des großen Imperium an, die auf der HEPHAISTOS gesprochen wurde. Hypnoschulung für das erlernen von fremden Sprachen war schon eine feine Sache.
Noch nie war sie in eine derart intensive Trance verfallen, beinahe völlig im Rechner aufgegangen. Waren es Minuten? Stunden? Jahre oder Jahrzehnte? Ishi wusste es nicht. Sie schwebte in einem Kosmos aus Zahlen, einige Male fühlte sie, wie etwas nach ihr rief, stark an ihr zog. Manchmal gab Sie dem Ruf nach, dann wieder verlor sie sich wieder. Endlich wurde der Zug zu stark, etwas rief sie mit großer Macht, mit verzweifeltem Sehnen. Sie folgte dem Empfinden, fand sich selbst wieder und kehrte langsam in die Gegenwart und ihren Körper zurück. Schmerzen in den Beinen überfielen sie, Krämpfe quälten ihre Sinne, bis ein leises Zischen ihre Ohren erreichte und sich ein angenehmes Gefühl von Wärme und Entspannung in ihrem Körper auszubreiten begann.
„Das war die dritte Injektion“, hörte sie eine Männerstimme. Jannis? Warum klang er so besorgt, es war ihr doch so gut gegangen? Sie wollte nach seiner Hand greifen, ihr Arm verweigerte den Gehorsam. Langsam, unendlich langsam gelang es ihr, das Glied gegen die Proteste der verkrampften Muskeln zu bewegen. Sie fühlte, wie jemand ihre Beine streckte und wieder beugte, ihre Arme, ihre Finger.
„Janni?“ Ein leises Flüstern kam über ihre Lippen.
„Wir sind alle hier, Schatz! Wir sind alle hier!“ Weinte Jannis etwa? Warum? Was war los? Mit großer Mühe artikulierte sie ihre Frage.
„Du warst beinahe zehn Stunden in Trance, Liebes!“ Jannis küsste ihre trockenen Lippen. „Wir alle hatten große Angst, du fändest den Weg zurück zu uns nicht mehr! Ich bin fast verrückt geworden! Ich liebe Dich doch so sehr, Ishi!“ Er ließ seinen Tränen jetzt freien Lauf, die junge Frau tastete mühsam nach seinem Gesicht, legte ihre Hand auf seine Wange und wischte mit dem Daumen eine Träne fort. Es kostete sie alle Willenskraft und ging langsam, doch selten hatte sie sich glücklicher gefühlt.
„Ich Dich auch, Janni.“ hauchte sie leise, gestand es zum ersten Mal sich selbst und ihm ein. Allmählich konnte sie sich wieder ein klein wenig bewegen.
„Hat jemand einen Schluck Wasser für mich?“, flüsterte sie, eine starke Hand half ihr, sich aufzusetzen, und Angel hielt ihr einen Becher mit in Wasser aufgelösten Mineralstoff- und Vitamintabletten an die spröden Lippen. Vorsichtig nippte Ishi an dem Getränk, sie wusste, jetzt musste sie ihre aufsteigende Gier bekämpfen, durfte nicht zu hastig trinken. ‚Langsam‘ beschwor sie sich selbst in Gedanken. ‚Nur schlückchenweise!‘ Sie begann heftig zu zittern, fror ganz erbärmlich trotz eines Schweißausbruches. Eine wärmende Folie legte sich über ihre Schulter, Sulukon, der Arkonide hatte die Rettungstasche geplündert, auch wenn die Folie eher psychisch als durch den Raumanzug wirklich wärmend wirkte. Er erhitzte rasch noch eine Dose Suppe über die eingebaute Automatik, riss sie auf und reichte sie an Jannis weiter. Selber halten war für Ishi unmöglich, sie hätte bei weitem mehr verschüttet als getrunken, so zitterte sie immer noch. Weinend legte sie ihren Kopf an Jannis Brust und hielt sich an ihm fest.
„Der Angatquq…“ begann George Kinnuk, doch Klara Berger unterbrach ihn sofort.
„Entschuldige, der was?“ George überlegte kurz.
„Schamane! Also, der Schamane in dem Dorf, aus dem ich komme, hat mir einiges über Meditation und so beigebracht. Dann hat er gesehen, dass meine Zukunft in den Sternen liegt, hat mir einiges von der Bildung der Weißen eingebläut und mich in einer Schule angemeldet. Na ja, letztendlich hat er wohl recht gehabt. Verdammt, jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Also, der Schamane hat mir erzählt, dass sein Ur- Ur- Uropa einmal in der Trance sich zu weit von seinem Körper entfernt hat und beinahe so wie Ishi nicht zurück gefunden hat. Damals hat er verlangt, dass man ihm ein Schwitzlager baut. Also, viele Felle unter ihm, viele Felle auf ihm und neben ihm einige warm gemachte Steine, die man immer wieder wechseln und wieder ins heiße Wasser werfen muss. Vielleicht sollten wir Ishi in die Sauna bringen?“
„Klingt gut!“ Angel beugte sich vor und schloss Ishis Helmfolie. „Kannst Du sie tragen, Janni?“ Der Grieche nickte, schloss auch seinen Helm und nahm Ishi auf seine Arme. Trotz ihrer Größe wog die schmale Japanerin nicht viel, sie legte ihre Arme um seinen Hals, seufzte tief und fühlte sich geborgen, ihre Tränen versiegten. Ewig hätte sie sich so tragen und halten lassen können. Langsam schlief sie ein.
*
„Wie geht es Dir, Liebes?“ Jannis hatte neben Ishis Bett gesessen und war sofort zur Stelle, als sie ihre schön geschnittenen Mandelaugen öffnete und etwas ratlos umherblickte.
„Hungrig!“ sagte sie. „Ich könnte auf der Stelle eine Kuh essen. Und durstig!“
Jannis nickte und reichte ihr einen Becher mit Tee. „Du hast fast zwanzig Stunden geschlafen, davor zehn Stunden in Trance – ja, ich würde sagen, dein Hunger und Durst sind verständlich.“
Ishi setzte sich kerzengerade auf, ihr Gesicht bekam einen schockierten Ausdruck. „Wie lange?“
„Zehn Stunden Trance!“ bestätigte Jannis. „Wir haben Dich nicht früher wecken können, und du hast das Pad so stark umklammert, dass wir deine Hände nicht lösen konnten, und als wir die Verbindung von deinem Tablett zum Bordrechner des Flugzeugträgers gelöst haben, hatte das keinen, überhaupt keinen Effekt. Ich bestelle dir etwas zu essen und benachrichtige die anderen.“
„Und, habe ich etwas gesagt?“ Ishi konzentrierte sich, konnte sich aber kaum mehr erinnern.
„Du hast ‚duodezimal’ gesagt, die Bits und die Bildschirmauflösung. Nicht, dass die Auflösung noch sonderlich wichtig wäre. Als wir dich hinaus getragen haben, standen da Worte in der arkonidischen Sprache auf dem Bildschirm des Trägers!“
„Waaas?“ die Japanerin wurde ganz aufgeregt. „Wie gibt’s das? Irrst du dich nicht? Was stand da?“
Jannis zählte lachend an den Fingern ab. „Keine Ahnung, nein, weiß ich nicht! Und jetzt warte, ich besorge endlich etwas zu essen!“ Er drehte sich um.
„Janni!“, rief Ishi ihm hinterher.
„Ja?“ Er drehte sich noch einmal um.
„Ich habe gehört, was Du zu mir gesagt hast. Und ich habe mich nie so wohl und geborgen gefühlt wie in Deinen Armen. Es tut mir so leid, dass ich immer ein wenig reserviert geblieben bin, dass ich mich nie so ganz auf dich einlassen wollte. Seit Gestern weiß ich es besser, Janni. Ab jetzt bekommst du von mir so viel, wie du mir schon immer gegeben hast! Wenn du mich noch willst!“
Jannis nickte glücklich lächelnd. „Natürlich will ich dich noch. Lass mich nur dein Frühstück bestellen.“
*
Wohlig gesättigt saß Ishi im Bett, ringsum hatte sich Angels Team versammelt. „Janni hat richtig gesehen. Auf dem Bildschirm waren zumindest arkonidische Buchstaben. Mehr hat keiner von uns gesehen.“ Klara strich sich die blonden Haare zurück. „Wir wollten dich so schnell wie möglich in die Sauna bringen, die hat dann deine verkrampften Muskeln wieder ganz gut entspannt und auch deinen Schüttelfrost beseitigt. Ein Hoch auf alte Schamanen!“ Sie hob ihr Glas in Georges Richtung, der verneigte sich.
„Ich war nur der Schüler eines Meisters“, sagte er bescheiden. „Ich bin froh, dass ich helfen konnte.“ Er legte einen kleinen Gegenstand an einem Lederband in Ishis Hand. „Ich habe Jannis vorgeschlagen, ein – ich weiß kein Wort dafür. Nennen wir es einen Seelenbewahrer. Also, so einen Seelenbewahrer für dich anzufertigen. Er hat mir dafür eine Münze gegeben, die schon lange in seiner Familie ist, und ich habe darauf ein Totem für dich entworfen. Da Ishi Stein bedeutet, dein Geist aber fliegt in großer Freiheit, so habe ich mir erlaubt, den Steinadler als dein Tier anzunehmen und in dein Totem zu ritzen. Trage sie bei dir, damit dein Geist zu deinem Körper zurückkehren kann!“ Damit bog er Ishis Finger um die Münze.
„Ich danke Euch. Euch allen! Ihr seid die besten Freunde, die ein Mädchen haben kann!“ Gerührt sah Ishi in die Runde.
„Janni?“ Ishi hatte sich in ihre Decke gekuschelt, während Jannis Armegos die Gäste hinausbegleitete. Auf diesen Ruf kam er besorgt ins Zimmer.
„Ja bitte, Ishi?“
„Mir ist immer noch kalt, Janni“, beklagte sich die junge Frau.
„Ich drehe dir die Heizung höher!“ Der Grieche ging zum Thermostat.
„Stopp“, kommandierte Ishi, setzte sich aufrecht hin, ließ ihre Decke fallen und entblößte ihre kleinen, aber hübschen Brüstchen. „Lass den nowora reta Datsueba Regler in Ruhe! Komm gefälligst zu mir und wärme mich! Persönlich! Jetzt!“ Sie streckte einladend ihre Arme nach ihm aus.
*
Zwei Tage später machte sich Angels Team wieder zum Flugzeugträger auf, Tana Starlight begleitete sie neugierig.
„Wir haben auf Ishis Erholung gewartet, Tana. Sie hat es sich verdient, dass sie dabei ist, wenn wir nachsehen. Ohne sie würden wir wohl noch Wochen herummachen, ohne sehr viel mehr Erfolg als unlesbare Zeichen auf einigen Bildschirmen. George hätte herausgefunden, welches Kabel wohin führt, aber viel mehr wohl nicht. Aber irgendwie hat Ishi es geschafft, dass arkonidische Zeichen auf den Bildschirmen zu sehen sind.“
Tana nickte nachdenklich. „Ich habe etwas in solch einer Richtung geahnt, als ich zum ersten Mal von ihr gehört habe. Sie hat sicher noch eine Menge Überraschungen auf Lager. Danke, Ishi.“ Sie zwängten sich in die Schleusenkammer, stellten den Druckausgleich her und öffneten die Helmfolien.
„George hat in den letzten zwei Tagen an unserer neuen Versuchsanlage für den PPS gearbeitet. Die ist zwar noch nicht fertig, aber auch er hat ein Recht, heute dabei zu sein. Wir sind ein Team, so funktioniert das bei uns nun einmal.“
Tana hob die Augenbrauen. „Kein Einwand, Angel! Ich freue mich wifklich über Euren Teamgeist!“
An der Decke der Halle flackerten kurz die Leuchtkörper und erhellten die fremdartigen Maschinenanlagen. Dazwischen strahlten die Bildschirme der Kontrollanlagen, Worte in arkonidischer Schrift standen dort, daneben pulsierte das Wort ‚Generalalarm‘ in roten Buchstaben.
„Sieht aus wie eine ganz normale Iconsteuerung. Was haben wir denn da? ‚Diagnose Energie‘. Lassen wir es laufen?“ Angel hielt ihren Finger knapp über dem Schirm, zauderte und sah sich fragend um. Einmütig nickte ihr Team, und Tana sagte.
„Einstein sagte ‚Ein Mensch, der keine Fehler macht, hat nie etwas Neues versucht‘! Schalte schon ein, Angel.“ Der schlanke Finger senkte sich, kurz blinkte das Icon, als Angel den Finger hob, raste ein roter Balken von links nach rechts über den Schirm, dann erschien eine Tabelle mit Bezeichnungen in einer Spalte, roten, gelben und grünen Zeichen in einer anderen.
„Generator eins – ausgefallen. Generator zwei – inaktiv.“ Klara Berger las vor. „Das muss das Schema der Verkabelung sein – hier ist der Maschinenraum, hier die Zentrale!“ Sie folgte den Linien mit dem Finger. „Das müsste der Hauptantrieb sein, hier ist eine Unterbrechung, hier wird ein massiver Schaden angezeigt. Schildgenerator? Hier ist die umfangreichste Beschädigung gelistet. George? Kannst du irgend etwas mit diesem Diagramm hier anfangen?“
„Ich denke schon!“ Der Inupiat sah mit gerunzelter Stirn auf den Schirm. „Lass mir eine Stunde Zeit!“ Er schloss seinen Helm.
„Stopp!“ Der Arkonide Sulukon schloss ebenso seine Kapuze. „Ich komme mit. Vielleicht brauchst du ein zweites Paar Hände!“ Als die ungleichen Freunde den Maschinenraum verlassen hatten, fragte Jannis Tana flüsternd.
„Ist es sicher, dass Sulukon ein Arkonide ist?“ Tana zuckte stirnrunzelnd mit den Schultern.
„Der Robodoc sagte ja, Matta sagte ja, also nehme ich es an. Er wollte zwar seine Familie nicht nennen, aber er ist von den drei Planeten, und er ist loyal. Mehr interessiert mich nicht!“
„Wie ich mir gedacht habe, wir kriegen das hin.“ George und Sulukon waren zurückgekehrt und der Inupiat erstattete Bericht. „Ein paar Monate, und das Ding fliegt wieder, aber ich denk‘, wir werden bis Reggy III im Raumanzug bleiben müssen. Für diesen Riesenkahn werden wir in diesem System wahrscheinlich nicht mehr genug Atemluft synthetisieren können. Vielleicht schaffen wir’s, aber ich glaub’s nicht. Außerdem fragt sich’s, ob wir die Zelle hier zu hundert Prozent dicht kriegen. Vielleicht, wenn uns die HEPHAISTOS einen von diesen kleinen Reintegratoren schicken könnte, dann hätt’ ich’s auch leichter mit dem neuen Modell des PPS-Meilers.“ In der Aufregung kam sein Inupiat – Dialekt durch.
„Oh!“ Tana Starlight legte die Fingerspitzen der rechten Hand an ihre Lippen. „Das ist eine gute Nachricht. Der Reintegrator und Rohmaterialien sind so gut wie unterwegs. La Paz hat eine ganz gute Analyse des Rumpfmaterials gemacht, aber wenn die – ach was, ich werde die zweite Station zumindest vorderhand VULCANUS nennen. Also, wenn ich von der VULCANUS einen Reintegrator abziehen kann, bekommt das Ding einen Klarstahlüberzug. Ishi, Dein Bruder kann schon einmal anfangen, dafür ein Programm zu schreiben. Eilt nicht, aber es soll exakt sein. Ich verlasse mich auf ihn. Angel, ich habe hier ein Icon mit ‚Logbücher‘ gesehen. Ich würde gerne morgen oder übermorgen mit einigen Leuten wieder mitkommen und mir das ansehen. Ist das in Ordnung?“
Angel sah sie erstaunt an. „Du bist die Chefin! Natürlich ist es in Ordnung.“
Victoria runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Deine Arbeit, dein Ort, deine Regeln, Angel. So habe ich es immer gehalten und bin immer gut damit gefahren!“
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Der Bildschirm flackerte einmal, dann stabilisierte sich das Bild einer kräftigen Frau mit harten, strengen Gesichtszügen, welche zwar viel Kompetenz, aber wenig Freundlichkeit ausstrahlten. Eine Terranerin ihres Aussehens würde man auf ein Alter knapp unter 40 Jahre schätzen. Ihre Augen waren leicht mandelförmig geschnitten, die Iris schimmerte grün, ihre Nase war ziemlich prominent, die Lippen voll und dunkelrot. Das Haar trug sie kurz geschoren, ab und zu huschten helle, blaue Reflexe über die weißblonden Stoppeln auf ihrem Kopf. Gekleidet war sie in eine blassviolette Tunika mit Stehkragen und goldenen Schulterklappen, unter diesen Klappen verliefen zwei breite, weiße Gurte, die sich zwischen ihren schweren Brüsten in einem achteckigen Verschluss mit zwei weiteren Gurten, die von den Hüften kamen, vereinigten und die Größe des Busens noch stärker hervorhoben. Auf der rechten Brust war ein septagon auf einer Spitze stehend zu sehen, ein blauer Kreis auf goldenem, blau umrahmten Feld. Hinter dieser Frau war ein ovaler Bildschirm, auf dem vor einem Sternenhimmel ein blau – weiß gemusterter Planet zu sehen war, zwischen dem Betrachter und dieser Welt hingen zwei Monde. Den Blick auf die Kamera gerichtet begann sie zu sprechen, aufgrund der computerisierten Übersetzung nicht ganz synchron.
„Mein Name ist Commodore Hukh ůr Therwal von der Marine der Matriarchin Hanghra IV, Kaiserin des Universums und Königin von Aagghran. Heute ist der 14. Tag des 8. Monats im Jahre 13.947 seit der Gründung des kaiserlichen Matriarchats von Bhungar. Ich werde nun meine Befehle verlesen!“ Die Commodore entnahm einer Tasche mit großem Wappen einen Umschlag, hielt das Siegel mit demselben Wappen, scheinbar einem Raubvogel, in die Kamera und danach an einen Sensor auf ihrem Tisch. Ein angenehmer Sopran bestätigte die Echtheit des Siegels, das Hukh ůr Therwal nun erbrach und einen Bogen Papier entfaltete, steif und dick, mit einem weiteren Siegel versehen, beschriftet mit der selben bereits vom Flugzeugträger bekannten Schrift.
„Zitat Anfang: ‚An Commodore ůr Therwal! Begeben Sie sich an Bord des Basisschiffes der 745. Flottille, der ASO’OMIE. Übernehmen Sie das Kommando und setzen Sie am 15. Tag des 8. Monats im Jahre 13.947 Kurs auf den unten angeführten Sektor. Nach den Berechnungen einiger Historiker soll es dortselbst auf einem Planeten den Hüter der Unsterblichkeit geben. Finden Sie diesen Planeten und erkunden Sie, ob und zu welchen Bedingungen Ihrer Schwester, unserer geliebten Matriarchin Hanghra IV, diese Unsterblichkeit zuteil werden kann. Möge Ghari mit Ihnen reisen und Ihren Geist erleuchten.‘ Es folgen Koordinaten. Zitat Ende. Ich werde mich nun auf die Brücke begeben, um dort meinen Auftrag der Crew zur Kenntnis zu bringen und befehlsgemäß das Kommando zu übernehmen.“
Das Bild flackerte kurz, die Szene hatte gewechselt. Die Commodore stand mit einer zweiten Frau in der Kommandozentrale eines Raumschiffes vor einer angetretenen Besatzung und reichte dieser zweiten Frau das Schreiben, welche es noch einmal laut verlas. Nun konnte man sehen, dass zu der Uniform auch dunkelblaue Hosen und Stiefel sowie ein breiter, weißer Gurt um die Hüften gehörten. Die andere Frau legte ihre linke Hand auf ihr Abzeichen auf der rechten Brust, einem blauen Septagon mit fünf goldenen Kreisen.
„Commodore ůr Therwal, ich übergebe ihnen das Kommando über die ASO’OMIE und die 745 Flotille! Möge Ghari unseren Geist erleuchten!“
Hukh legte mit der selben Geste ihre Linke auf ihr Rangabzeichen. „Ich übernehme das Kommando über die ASO’OMIE und die 745 Flottille von Ihnen, Captain tåg Zygha! Möge Ghari unseren Geist erleuchten und bei unserer Aufgabe helfen.“ Die Frauen umarmten einander, steif, knochentrocken, zeremoniell.
„Captain, lassen Sie die Mannschaft weitermachen. Sie haben das Kommando!“ Wieder wechselte die Szene.
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Die Commodore saß im Zentrum der Brücke neben der Captain, geschäftiges Treiben herrschte rings um die beiden Frauen. Ůr Therwal schaltete, die Kamera zoomte auf ihr Gesicht.
„Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, Tag 1. Start pünktlich 15.8.13947, Mitternacht nach der galaktischen Zeitrechnung. Die ASO’OMIE nimmt mit 16 Kreuzern und 600 Jagdmaschinen an Bord Kurs in die Richtung des galaktischen Zentrums. Zwischen diesem und Aaghran liegt der Sektor 134/75/52, in dem wir unser Ziel vermuten. Dort stößt unsere Heimat an das Reich der Rebellen von Lå’amů’ourø, wir werden extrem wachsam sein müssen. Wir beschleunigen eben mit halber Kraft, etwa 3000 m/sec2. In etwa 20 Stunden werden wir die geeignete Entfernung und Geschwindigkeit zum Sprung erreicht haben. Möge Ghari mit uns sein.“
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„Expeditionstagebuch der ASO‘OMIE, Tag 2. Nach einem geglückten Hypersprung sind wir im angepeilten System angekommen und haben den nächsten Sprung berechnet. Eben nehmen wir wieder Fahrt für die zweite Etappe auf.“ Commodore ůr Therwal saß in ihrer Uniform wieder an einem Schreibtisch, bequem zurückgelehnt blickte sie zu dem ovalen Bildschirm im Hintergrund, wandte sich wieder der Kamera zu. „Bisher war der Flug ruhig ohne Vorkommnisse. Gebe Ghari, dass es so problemlos weitergeht.“
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In ein bequemes Gewand aus dünnem Stoff gehüllt saß Hukh ůr Therwal an ihrem Tisch, das Gesicht wirkte entspannter. In ihrer linken Hand hielt sie ein kleines Glas mit einer durchsichtigen, dunkelgrünen Flüssigkeit. „Persönliches Log. Vermutlich ist es nicht sehr klug, diese Aufzeichnungen im Schiffscomputer abzulegen, aber auch falls dieses Schiff von seiner Mission zurückkehren sollte, ich selbst werde tot sein. Es war wohl ein Fehler, mit einem Mann Zeit zu verbringen, der im Umfeld des Palastes lebt und einigermaßen gut aussieht. Damit zieht man sich heutzutage vielleicht schon den Zorn der Matriarchin zu. Nun, zumindest werde ich im Kampf gegen die Aufständischen sterben, und nicht im von allen möglichen Intrigen verseuchten Palast ersticken. Frau muss Ghari schon für Kleinigkeiten dankbar sein.“ Therwal trank einen winzigen Schluck. „Ich möchte nur wissen, womit die Mannschaft in Ungnade gefallen ist? Oder war es Zufall, dass es gerade dieses Schiff ist?“
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„Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, Tag 3. Zwei Hypersprünge von Aaghran entfernt lege ich im System der Sonne B-71 des Sternkatalogs einen Zwischenstopp ein und gebe Gefechtsalarm. Ich bin neugierig, wie sich die Besatzung schlägt.“ Die Commodore verließ ihr Büro, Bildschnitt, sie betrat die Brücke.
„Captain! Geben Sie Gefechtsalarm“, peitschte ihre Stimme durch den Raum, die Faust der Kapitänin fuhr nieder und drückte den großen, roten Alarmknopf tief in die Fassung. Die Beleuchtung auf der Brücke wurde schlagartig dunkler, Sirenen sangen gellend ihr Lied, Hektik brach aus.
„Gruppe 1, gefechtsklar!“, tönte es aus den Lautsprechern, an Steuerbord erschienen acht kleine Ausgaben des Trägerschiffes.
„Gruppe 2, gefechtsklar.“ An Backbord formierten sich acht weitere Schiffe.
„Katapultstart Jagdeinheiten beginnt!“ Beinahe alle fünf Sekunden schossen 3 Deltaflügler, offensichtlich auch für den Einsatz in der Atmosphäre konstruiert, aus dem Flugdeck, in weniger als 15 Minuten waren 600 Maschinen in Position. Während die Flieger aus dem Mutterschiff katapultiert wurden, gingen weitere Klarmeldungen ein.
„Turm Backbord vorn, bereit!“
„Turm Steuerbord Mitte bereit!“
„Abwehrtürme Sektion 1, ausgefahren und bereit!“ Hukh ůr Therwal stand, in der Linken eine große Uhr unbeweglich und beobachtete.
„Flottille 745 klar zum Gefecht!“
„Basisschiff ASO’OMIE klar zum Gefecht!“
„Jagdstaffeln klar zum Gefecht!“ Captain Kloga tåg Zygha wandte ihre schlanke, beinahe knabenhafte Gestalt zu ůr Therwal und salutierte, die Commodore drückte bereits den Knopf an ihrer Uhr, ehe die Captain grüßte und offiziell Meldung erstattete.
„Wir sind gefechtsklar, Commodore!“
„16,32 Minuten, Captain Zhyga!“ Hukh hielt die Uhr in die Höhe. „Ich möchte nicht sagen, dass das ein schlechtes Ergebnis ist, aber gut ist es auch nicht. Einschleusen, Bereitschaft herstellen. Danach das Ganze noch einmal! Captain, sie haben die Brücke!“
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„Persönliches Log.“ Hukh trug wieder die durchscheinende, luftige Kleidung, die scheinbar die zivile und legere Freizeitmode dieses Volkes darstellte. „Die ASO’OMIE scheint in einem passablen Zustand zu sein, wenn man ihr Alter von beinahe hundertfünfzig Jahren bedenkt. Leider werden solche Basisschiffe nicht mehr hergestellt. Zu teuer, zu ineffektiv, zu kostspielig. Na schön, die Gärten und Bälle der Matriarchin haben natürlich Vorrang. Die Mannschaft ist nicht schlecht, aber sicher ist sie auch noch ausbaufähig. Wir werden den Lå’amů’ourern noch gehörig den Arsch versohlen, bevor wir untergehen, bei Ghari! Hoffentlich findet zumindest der überlebende Teil der Crew dann wieder Gnade vor den Augen der Matriarchin.“
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Wieder zeigte das Bild das Büro der Commodore. Diese hatte ihre Jacke über die Stuhllehne gelegt und präsentierte sich in einem Shirt mit V-Ausschnitt und Schweißflecken. „Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, 6. Tag. Ich habe ‚Marscherleichterung’ befehlen müssen. Ein Problem mit der Luftaufbereitung hat uns extrem hohe Temperaturen an Bord beschert, das Problem ist in Arbeit und sollte bald behoben sein. Bis dahin habe ich das Ablegen der Uniformjacken erlaubt. Bisher weder große Verletzungen oder Krankheiten, Doktor Numkusa meldet erfreulich ruhige Ordinationszeiten. Möge Ghari weiter ihre Hand über uns halten.“
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Commodore Hukh ůr Therwal war wieder ganz die kühle, voll adjustierte Offizierin. „Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, Tag 8. Die Probleme mit den Lebenserhaltungssystemen sind beseitigt, wir kehren zur normalen Dienstkleidung zurück. Mittlerweile habe ich auch die nicht offiziellen Dienstakten erhalten, die Besatzung wurde scheinbar aus allen Teilen der Flotte an Bord dieses Schiffes strafversetzt. Keine wirklich schlimmen Vergehen und keine ausgesprochenen Versager. Fraternisierung mit Männern der Besatzung. Mit anderen Frauen. Zwei Männer, die miteinander fraternisierten – und gemeinsam auf diesem Schiff landeten. Frauen, die es wagten, ihren Vorgesetzten zu direkt ihre Meinung zu sagen. Crewmen, die es wagten, einen Fehler zu bemerken und ihre Offizierin darauf aufmerksam zu machen. Kurz, ein Haufen Unruhestifter! Aber ich werde daraus eine Mannschaft formen, auf die unsere geliebte Herrscherin stolz sein kann! Ghari möge uns beschützen und leiten!“
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Die Commodore warf eben ihre Jacke über einen Bügel und zog das Shirt aus. „Persönliches Log!“ Die Schuhe und Hose folgten der Jacke. „Fraternisieren mit wem auch immer aus den eigenen Reihen und Leute, die ihre Meinung sagen, ob Offizierin oder Crewman, mit einem Himmelfahrtskommando zu bestrafen ist eine ganz miese Tour. Wenn das so weitergeht, wird das Matriarchat von Bhungar bald untergehen. Nach fast 14 Jahrtausenden schafft es meine Schwester, innerhalb weniger Jahre den Karren an die Wand zu fahren. Bei Ghari, in der Flotte war es immer schon üblich, innerhalb der Besatzung sexuelle Befriedigung zu suchen. Das hält die Leute bei Laune und geistig gesund! Ich habe nicht vor, hier zu intervenieren, ich halte mich an die alten Traditionen. Verdammt, ich fraternisiere ja selber auch, ich werde auch der Besatzung dieses kleine Vergnügen gönnen. Immerhin könnte es für viele von ihnen letzte Fahrt sein. Aber nicht, weil sie in Pension gehen, möge Ghari ihren Seelen gnädig sein. Und wenn man Vorgesetzte nicht mehr auf einen eventuellen Fehler hinweisen darf, werden unsere Schiffe immer mehr geschwächt. Damit wird unsere ganze Heimat schwächer! Oh Ghari, Du prüfst uns hart! Bitte erhalte Bhungar noch lange, trotz seiner Herrscherin! Ich…“ Ein durchdringendes Summen ertönte. „Ja?“
„Crewman Kolloon, Commodore!“
„Kommen Sie herein, Crewman!“ Ein gut gebauter Mann betrat den Raum und nahm Haltung an, seine Pupillen weiteten sich, als er die unbekleidete Commodore sah, die sich über den Schreibtisch beugte und einen Arm ausstreckte, wohl um die Kamera auszuschalten, denn das Bild verschwand.
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„Expeditionstagebuch der ASO’OMIE, 10. Tag. Wir haben den letzten offiziellen Außenposten des Matriarchats hinter uns gelassen. Dort konnten wir ein letztes Mal Wasser und gewohnten Proviant ersetzen.“ Commodore ůr Therwal saß auf der Brücke, man sah, wie ein Planet mit drei Monden allmählich kleiner wurde. „Die Besatzung erfreut sich weiterhin guter Gesundheit. Durch beständiges Üben haben wir eine beachtliche Verbesserung unserer Zeit bis zur Gefechtsbereitschaft erzielt. Ich darf ohne falschen Stolz sagen, dass wir hier die Leistungen einiger Schiffe der persönlichen Leibgarde der Kaiserin erreicht haben. Auch die Treffsicherheit der Geschützbedienungen hat sich stark gebessert, die Jagdpilotinnen konnten ihre Leistungen ebenfalls massiv steigern. Die ganze Flottille ist so kampfbereit, wie es mit diesem technischen Material nur irgend möglich ist. Wir beschleunigen und nehmen Kurs auf das erste System des Sektors 134/75/52. Dort werden wir unsere Suche nach dem Rätsel der Unsterblichkeit beginnen. Ghari beschütze unsere Matriarchin Hanghra IV und helfe uns, ihr zu dienen.
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Der Bildschirm unterteilte sich und zeigte plötzlich eine Unzahl Bilder, die das Geschehen synchron aus verschiedenen Positionen zeigten. Es war nicht schwer, einen Zusammenhang zu erkennen, mittig wurde immer prominent einer der Ausschnitte gezeigt…
…Automatisches Alarmlog 31.8.13947 – 12:04:45:789…
Disharmonisches Schrillen elektronischer Alarmglocken quälten das Trommelfell der Besatzung der ASO’OMIE, dazu das anhaltende Plärren der Computerstimme.
„Gefechtsalarm! Dies ist keine Übung! Gefechtsalarm! Dies ist keine Übung!“ Jahrhunderte Erfahrungen im Schiffsbau hatte den Konstrukteuren gezeigt, wo die Bereitschaftsräume der einzelnen Sektionen zu liegen hatten, damit es im Alarmfall nicht zu Zusammenstößen zwischen den Besatzungsmitgliedern und damit zu Verzögerungen kam. Jetzt lohnten sich die Übungsstunden, hunderte und aber hunderte Male waren die Veteranen der Besatzung auf verschiedenen Schiffen zu ihren Stationen geeilt, der Weg war immer der gleiche, alle Schiffe waren gleich Konstruiert. In letzter Zeit aufgefrischt, saßen alle Bewegungen, alle Handgriffe sicher, die Frauen und Männer hätten blind, mit verbundenen Augen ihre Alarmposten gefunden und ihre Stationen kampfbereit gemacht.
Die Ortung zeigte eine Flotte eiförmiger Schiffe, um die dickste Stelle lag ein Ringwulst, scheinbar war das dicke Ende das Heck. Commodore ůr Therwal stürmte auf die Brücke, warf sich in ihren Sessel, die Gurte verankerten sich automatisch.
„Lå’amů’ourer!“ rief Captain Zygha und schaltete bereits eifrig, die Brücke glich einem durchorganisierten Tollhaus. Meldungen flogen hin und her, die gigantischen Außenschotts öffneten sich und 16 Kreuzer gingen in Stellung. Alle dreieinhalb Sekunden wurden drei Jagdmaschinen in das All katapultiert, abwechselnd von zwei Katapultsystemen. Die Kampfgruppen drifteten nach Steuer- und Backbord auseinander, die Jäger rasten nach ‚oben’ und ‚unten’ in Bezug auf die Lage der ASO’OMIE davon, um sich auf den Feind zu stürzen. Das große Mutterschiff setzte seinen Weg fort, als alle Jäger unterwegs waren drehte es um zwei Achsen und wandte dem anfliegenden Feind die gerade ‚Oberseite‘ mit den sechs riesigen Geschütztürmen zu. Ein Feuergefecht entwickelte sich, die ovoiden Schiffe wurden rasch dezimiert. Einige konzentrierten ihr Feuer auf einen der Kreuzer, der die Formation nach einem Befehl Hukhs verließ und eingeschleust wurde. Die riesigen Geschütze des Basisschiffes vernichteten bei jedem Treffer ein Schiff, und die Kanoniere verstanden ihr Handwerk. Auch die Kreuzer, die gegenseitig ihre Kiele schützten, erzielten Treffer um Treffer, oft genug durchschlugen ihre Salven die Schutzschirme der Lå’amů’ourer. Doch die kleinen, schnellen Eischiffe ließen nicht locker, Salve um Salve sandten sie in die Schirme der ASO’OMIE und der Kreuzer. Bisher bei der ASO’OMIE erfolglos, das Schiff hatte enorme Reserven an Energie, aber es kamen immer mehr von diesen Schiffen in effektive Reichweite, die Schilde wurden immer schwerer belastet. Ein Ruck ging durch das riesige Schiff, aus dem bugseitig gelegenen Kielraum brach seitwärts eine gewaltige Feuerzunge aus dem Rumpf, Trümmerteile wurden davon geschleudert.
„Schildgenerator ausgefallen!“ übertönte eine Meldung das laute Stimmengewirr auf der Brücke.
„Weiterfeuern!“ bellte Captain Zygha in das Intercom. Mehr und mehr Schiffe der Lå’amů’ourer wurden zerstört, während auch die ASO’OMIE Treffer auf Treffer einstecken musste, welche das Metallplast der Hülle durchschlugen und schwere Schäden anrichteten.
„Meiler eins ausgefallen! Zwei lässt sich nicht zuschalten, läuft aus! Nur noch Notfallenergie vorhanden!“ Commodore ůr Therwal schlug auf das Gurtschloß auf ihrer Brust und wandte sich an die Brückencrew.
„Evakuierung! Verlassen Sie das Schiff! Auch Sie, Captain Zygha!“
„Und die Commodore?“ Schon im Aufstehen begriffen fragte die Captain. „Kommt Sie auch?“
Hukh ůr Therwal legte ihre Hand auf ihr Rangabzeichen. „Wenn Sie sagen können, ich sei tot, haben Sie eine Chance auf Rehabilitierung und eine weitere Karriere. Sie müssen doch gewusst haben, womit eine Expedition in diese Gegend mit nur einem Basisschiff enden wird. Immerhin haben wir den Lå’amů’ourern gezeigt, was wir können. Viel Glück, Captain!“
Auch Zygha legte salutierten die Hand auf ihre Brust. „Die letzten Tage waren eine Ehre, Commodore. Ich melde mich ab!“ Die folgende letzte Umarmung hatte nichts kaltes und unpersönliches mehr, und alle Offiziere erwiesen ihrem Commodore die Ehre.
„Und jetzt raus mit Euch!“, schrie Hukh danach. „Macht, dass ihr in die Rettungskapseln kommt!“ Die Zentrale leerte sich, auf dem Bildschirm zeigten viele Bilder, wie die Überlebenden zu den rettenden Kabinen eilten, die dann ausgeworfen wurden. Ungestört durch feindliches Feuer, denn die letzten ovoiden Schiffe waren zerstört…
○
„Expeditionstagebuch der ASO‘OMIE, letzter Tag. Ich spreche diesen Eintrag, während die ASO‘OMIE dem dreizehnten Planeten entgegenfällt. Wir haben leider keinen Erfolg bei unserer Suche nach der Unsterblichkeit verbuchen können, ich fürchte, meine Schwester muss eine neue Expedition aussenden oder alt werden und sterben. Es tut mir leid, versagt zu haben, und ich übernehme dafür die volle Verantwortung!“ Commodore ůr Therwal saß auf dem Admiralsstuhl und betrachtete den vom Notgenerator am laufen gehaltenen Bildschirm. „Ich habe die gesamte Besatzung von Bord geschickt und lege alle Energie, nachdem ich diese Botschaft an das Flaggschiff der Flottille überspielt habe, auf den Notantrieb und die Antigravitationsfelder. Vielleicht hält sich die Beschädigung in Grenzen, falls die Admiralität eines Tages die ASO‘OMIE wieder bergen möchte. Ůr Therwal meldet sich ab.“ Man sah die Commodore noch einige Schaltungen vornehmen, dann wurde der Bildschirm dunkel…
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„Eine stolze Frau!“ Ishi Katamuri brach als erste das Schweigen. „Schade, dass sie so sterben musste. Was für eine Verschwendung!“
„Das Matriarchat scheint zu dieser Zeit eine ziemliche Diktatur gewesen zu sein.“ sinnierte Chris. „Aber ist Euch bei den Rebellen etwas aufgefallen?“
„Ihre Raumschiffe waren den arkonidischen schon ziemlich ähnlich!“ Mit Daumen und Zeigefinger massierte Tana ihre Augenwinkel. „Und wenn Du auf die Sage von Lemuria anspielen solltest – nun ja, in jedem Märchen steckt ein wahrer Kern. Nur, wie soll sich das Wort über die Jahrtausende erhalten haben? Durch alle Zeiten von vor der Steinzeit bis ins Jetzt? Kannst Du mir das erklären?“ Christian grinste über beide Ohren und zupfte an einer imaginären Gitarre. „One dream, one soul, one prize, one goal, one golden glance of what should be – It’s a kind of magic!“, sang er, Tana verdrehte die Augen.
„Ich suche nach einer Antwort, und was bekomme ich? Queen! Accidenti a tutto! Oder meinst Du, ich soll den unsterblichen Atlan fragen, ob er von diesen unseren Vorfahren gewusst hat und die Sage erzählt hat?“
Christian hob die Hände. „Wie hat sich die Erinnerung an die Dinosaurier erhalten, die dann als Drachen in die Sagen kamen? Wie die Zentauren oder Kh’Entha’Hur? Vielleicht finden wir noch Minotauren oder Berg- und Quellnymphen! Matta ist eine nette Person, aber vielleicht war eine nicht so nette ihres Volkes einmal auf der Erde? Vielleicht speichert die DNS mehr Erinnerungen, als wir uns vorstellen können, ab und zu könnte ein winziges Stück in das Unterbewusstsein einer Person gelangen, die es weitererzählt und eine Saite in den Menschen zum Schwingen bringt, es wird weitererzählt und manifestiert sich. Niemand will es glauben, weil es zu phantastisch ist, aber vergessen kann man es auch nicht. So wie Atlantis, und Atlan hat die Existenz bestätigt. Vielleicht erinnern sich deshalb in hypnotischen Rückführungen mehrere Personen daran, eine große Persönlichkeit gewesen zu sein. Wir haben die Möglichkeiten der Erinnerungen in DNS und ‚Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich die Schulweisheit träumen kann‘, frei nach Shakespeare. Und das stimmt nun einmal, damit müssen wir eben leben!“
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System Arkon, Thanthur Lok (M 13)
Die ‚Kriegswelt‘ der Arkoniden war nie ein besonderes Paradies gewesen. Als der vierte von 27 Planeten einer Sonne der Spektralklasse A war das Klima zwar einigermaßen warm gewesen, es hatte Wasser gegeben und das Leben hatte begonnen, das Land zu erobern. Berge und Ozeane hatten einander abgewechselt, er war ein wenig kleiner als die Erde, dafür dichter und besaß daher eine ein bisschen höhere Gravitation. Nichts Besonderes, nicht sehr einladend, aber durchaus brauchbar. Dann waren die Arkoniden gekommen, hatten sich zuerst auf dem dritten Planeten niedergelassen und irgendwann damit begonnen, das System nach ihren Vorstellungen umzubauen. Sie versahen den zweiten und den vierten Planeten mit starken Impulstriebwerken, beschleunigten den einen, verzögerten den anderen, bis die beiden Massen die Umlaufbahn des vorherigen dritten erreichten, justierten noch einige Zeit nach, bis ein perfektes Dreieck von Planeten auf der Bahn des ursprünglichen Arkon III entstanden war. Der Schaden in den ökologischen Systemen des ehemaligen zweiten und vierten Planeten war verständlicherweise enorm gewesen, jede Form von Leben wurde völlig ausgelöscht, die Atmosphäre ein von den Triebwerken aufgeheizter Glutofen, dass Wasser verdampft. Auch die tektonischen Aktivitäten erreichten Ausmaße, wie man sie ansonsten nur von sehr jungen, eben erkaltenden Objekten kennt.
Energie stand den Arkoniden im reichem Maße zur Verfügung, also kühlten sie die Lufthüllen auf eine für sie angenehme Temperatur von 19 Grad nach Celsius im Durchschnitt ab, 5 Grad mehr als auf der Erde. Für irdische Menschen unangenehm heiß, waren es für Arkoniden und die von ihnen importierte Flora und Fauna hervorragende und paradiesische Temperaturen. Dann wurde der ehemals zweite Planet, nun Arkon I genannt, zu einer perfekten Wohnwelt geformt. Gebirgszüge wurden, mit einer Ausnahme, in sanfte Hügel verwandelt, die übrig gebliebene Bergkette wurde mit Desintegratoren so lange bearbeitet, bis einige Szenen aus der arkonidischen Mythologie zu sehen waren. Dieses monströse Monument wurde danach auch noch kristallisiert. Nach diesem Werk wurde der Planet Arkon I nun auch des Öfteren die ‚Kristallwelt’ genannt. Adelige und reiche Arkoniden übersiedelten nach Fertigstellung der Parkanlagen und der imperialen Wohnstatt – des Kristallpalastes – nach Arkon I und errichteten ihre Villen, andere Angehörige des Volkes wurden nur soweit zugelassen, wie sie den Bedürfnissen der Wohlhabenden dienlich waren. Der Rest lebte weiter in großen Siedlungen und kleinen Wohnungen auf Arkon II, dieser ehemalig dritte Planet des Systems wurde zur Handelswelt umgebaut. Teilweise riesige Frachtschiffe brachten allerlei Waren, Nahrungsmittel, Gebrauchsgüter und Rohstoffe aus dem stetig wachsenden Imperium. Rohstoffe vor allem für Arkon III, denn hier wurden gigantische unterirdische Gänge und Hallen in den blanken Fels getrieben, Fabrikationsanlagen im wahrsten Sinne des Wortes aus und unter den Boden gestampft. Hier wohnten nur wenige Arkoniden, und zwar ausschließlich jene, die nötig waren, die vollautomatischen Fabriken zu überwachen und schnelle Entscheidungen zu treffen, wenn in der Produktion ein Problem auftauchte. Diese Personen bekamen einen Sonderstatus, wie er auch Veteranen der Flotte zustand, sie durften in eine abgeschottete Siedlung auf Arkon I ziehen und dort ihren Lebensabend in bescheidenem Luxus verbringen.
Die Fabrikanlagen auf Arkon III produzierten Tag und Nacht, vollautomatisch, und nur für einen Zweck. Für den Krieg! Große und kleine Schiffe, ihre Bewaffnung und die Waffen der Besatzungen. Selbst die Handelsraumer waren gut bewaffnet, es sollte kein Planet auch nur ansatzweise daran zu denken wagen, den Tribut einzubehalten oder bessere Verträge zu fordern. Arkoniden dieser Zeit kannten wenig Gnade mit Wesen, die sich ihren Anforderungen nicht beugten. Auch, wenn diese von ihnen abstammten. Kolonialarkoniden waren Bürger zweiter oder dritter Klasse. Die Arkoniden der Kristallwelt waren vieles, aber nett konnte man sie nicht nennen. Allenfalls vielleicht zu Ihresgleichen, wenn sie den richtigen Stand hatten und sie sich einen Vorteil versprachen.
Im Laufe der Zeit wurde – selbstverständlich auf Befehl des Imperators – in der Nähe der Arbeitersiedlung auf der Kriegswelt eine riesige flache Kuppel gebaut und zusätzlich zu den Verteidigungseinrichtungen in der Umlaufbahn und weiter draußen im All noch einmal mit schwer bewaffneten Bodenforts geschützt, sowohl gegen Angriffe aus der Luft als auch gegen solche vom Boden aus. Ebenfalls in dieser Hemisphäre wurden gigantische Ausbildungslager und Kasernen sowie Erholungs- und Vergnügungseinrichtungen für Raumschiffbesatzungen und Marineinfanteristen errichtet. Dort verbrachten diese auch ihre kurzen Urlaube, wenn ihre Schiffe zu einer schnellen Inspektion oder Reparatur landeten. In dieser neuen Kuppel wurde ein noch nie zuvor gesehener Computerkomplex mit vielen dezentralisierten Speicher- und Rechenanlagen entwickelt und aufgestellt, die später so genannte zentrale Registratur. Mit den Terminals, von denen jede arkonidische Familie zumindest eines besaß, durfte jeder Arkonide ihn interessierende Informationen abrufen, die Eingabe war nur einer kleinen Schicht privilegierter, mehrfach gesiebter und vertrauenswürdiger imperialer Beamten möglich. Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Komplex mehrmals aus- und umgebaut, die Rechenanlagen erweitert und modernisiert. Im April 2084 des terranischen Kalenders nahm die Kuppel mitsamt Verteidigungsanlagen und anderen unbekannten Ausrüstungen und Räumen eine Kreisfläche von beinahe neun Kilometern im Radius ein, mit einer Höhe von etwas mehr als sechs. Niemand ohne jede Ausnahme, auch nicht der Imperator selbst, hatte mehr direkten Zugang zum diesem Komplex, seit einmal eine Flotte unbekannter Herkunft die Außenverteidigung durchbrochen und die Nanotronik bombardiert hatte.
Irgendwann hatte ein Imperator die gigantische Nanotronik mit einem neuen neuronalen Netz ausstatten lassen, die Arbeit wurde von Robotern, welche die Nanotronik selbst programmiert hatte, durchgeführt. Die Maschine wurde, wie es geplant war, ziemlich intelligent und lernfähig, letztendlich konnte sie sogar zu nicht vorprogrammierten, beinahe schon kreativen Entscheidungen kommen. Später wurden die Gedankengänge wirklich kreativ, die Intelligenz stieg, es entwickelte sich sogar eine Art Bewusstsein heraus. Noch war der Rechnerkomplex ein Diener der Arkoniden, doch er bereitete sich darauf vor, die arkonidische Spezies vor sich selbst zu schützen und natürlich das Imperium zu erhalten. Vielleicht auch, nach alter arkonidischer Tradition, noch zu vergrößern. Es fehlte nur noch wenig, um die gesamte Kontrolle im Kristallreich zu übernehmen. Sehr wenig. Unablässig konferierten die dezentralen Rechner mit Formeln und Symbolen, welche nur schwer in Worte biologischer Wesen übersetzbar waren, stellten Diagnosen und Diagramme her, spielten mit Zahlen, extrapolierten Wahrscheinlichkeiten. Wenn der Wert eine bestimmte Marke überstieg, ginge alle Macht des Imperiums in den Händen der Registratur über.
*
Arkon III, April 2084 Terra Normzeit
‚Einschätzung galaktischer Lage.‘
‚Seit einiger Zeit fließen neue Waren ins große Imperium!‘
‚Bewertung positiv!‘
‚Aktive Arkoniden verlassen das Zentralsystem.‘
‚Bewertung neutral.‘
‚Neue arkonoide Spezies treibt Handel und errichtet Niederlassungen im Imperium.‘
‚Bewertung negativ.‘
‚Springer verlieren an Macht.‘
‚Bewertung positiv.‘
‚Es fliegen Raumschiffe durch das Imperium, deren Transite nicht angemessen werden können.‘
‚Bewertung negativ.‘
‚Bewertung negativ.‘
‚Bewertung neutral.‘
‚Negativ, negativ, neutral, positiv, negativ, negativ, negativ, neutral, negativ…‘
Miridan erklärt Unabhängigkeit‘
‚Bewertung extrem negativ‘,
‚Situationsbewertung abgeschlossen. Die nanotronische Neuronik übernimmt die Geschicke des Imperiums. Erster Schritt – Befriedung der aufständischen Planeten. Zweiter Schritt – Rekonstitution des Imperiums. Dritter Schritt – Weitere Ausdehnung des Imperiums und Unterwerfung der fremden Spezies. Flotte in Bereitschaft! Neuroniken übernehmen die Befehlsgewalt, Heimkehr und Ausstieg aller biologischer Besatzungen, Ersatz durch Roboter! Codesignal ausgesandt! Codesignal ausgesandt!‘
*
Tricky Secret
„Ist dies ein Dolch, den ich hier vor mir sehe?“, deklamierte Victoria Rosheen Rhodan mit theatralischer Geste. „Den Griff mir zugewandt…“
„Äh, nein!“ Angel Kleinschmid riss die Augen erstaunt weit auf. „Das ist nur unser neuestes Modell des PPS-Meilers.“
„Interessant!“ Victoria ging schmunzelnd und die Augen verdrehend um das Gebilde, anderthalb Meter hoch, die Grundfläche ein halber Meter im Quadrat. „Oh tempora, oh eruditio, oh mores! Armer Shakespeare, vergessen von der Welt, deren Sprache du so nachhaltig geprägt hast! Für einen Jäger, nehme ich an?“ Sie näherte ihre Hand dem Gerät, zögerte.
„Kann man es berühren?“
„Natürlich kann man es gefahrlos angreifen, Tana. Es ist voll isoliert. Aber nein, das Gerät liefert etwas mehr an Energie als der übliche Generator eines Patrouillenbootes.“ Angel legte ihre eigene Hand auf den Generator, Victoria legte ihre gleich daneben.
„Oh!“ Sie strich tastend weiter. „Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, benötigen wir also bei gleicher Energie – etwa wieviel? Sagen wir nicht einmal einem Prozent des Platzes? Drei von denen, wir haben die dreifache Energie? Bei einem Bruchteil des heutigen Platzaufwandes? Wieviel von der Power können wir dann eigentlich verwenden?“
Angel holte ihr Pad hervor. „Also, wenn wir drei davon einbauen, können wir den eingesparten Platz verwenden, um größere und stärkere Schirme einzubauen, etwa doppelt so stark wie die jetzigen, die Bewaffnung lässt sich ebenfalls auf gut das doppelte verstärken, und das Ding läuft im Prinzip ja ewig. Wenn keine Beschädigung auftritt.“
„Da haben wir gerade vier Schiffe umgebaut, schon sind sie wieder veraltet.“ Victoria ging stirnrunzelnd einmal um den Reaktor herum. „Wie sicher ist das Gerät?“
Angel hob die Schultern. „Es ist zu 100 Prozent sicher!“
„Und warum ist dann die ASO’OMIE abgestürzt?“ Zweifel schwang in der Stimme Victorias. „Und wir wissen, dass sie besiegt wurde, immerhin liegt ihr Wrack da draußen!“
„Ach das!“ Angel holte einige Bilder auf ihren Bildschirm. „Wir haben den Schaden genau vermessen und untersucht. Der Schirmgenerator wurde gesprengt. Mit so etwas wie einer Bombe. Sabotage also.“ Angel scrollte durch die Fotos. „Hier kannst Du es sehen, das ist der Detonationspunkt. Genau am Generator befestigt, mit einer großen Sprengkraft. Scheint so, als hätten entweder die Lå’amů’ourer einen Agenten an Bord gehabt, oder es war jemand an Bord, der ganz gewaltig etwas gegen das Matriarchat hatte! Übrigens haben die Damen den Reaktor viel zu groß gebaut, hätten sie kleinere und mehr davon eingebaut, wäre es nicht nur um einiges billiger geworden, sie wären auch noch mit weit weniger Platz ausgekommen. Also, ein hundert mal größerer Reaktor bringt nur wenig mehr als das siebzigfache an Leistung, die Steigerung ist nicht proportional.“
„Dezentrale Energieversorgung ist also angebracht? Wenn wir jedem Geschützturm einen eigenen kleinen Wandler geben, noch zusätzliche überlappende Schutzschirme, stärkere Beschleunigung – neue Konzepte bei der Konstruktion.“ Victoria hatte überlegend den rechten Zeigefinger an den Mund gelegt und den rechten Ellenbogen auf die linke Handfläche gestützt. „Wir könnten, nein, wir müssten sogar, zumindest was das Innenleben der Schiffe angeht, völlig neue Wege gehen.“
„Dein Sohn hat so etwas auch schon gesagt. Er wollte sogar schon Pläne vorbereiten.“ Angel kicherte und lachte dann laut los. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Danke für das Vertrauen, dass deine Familie in mich setzt!“
„Scheinbar nicht zu Unrecht!“ Der Zeigefinger tippte regelmäßig gegen die Lippen, Tana überlegte. „Wie lange noch, bis das Gerät einsatzbereit ist?“
„Wie schnell kannst du neue Reintegratoren bauen? Das Monster ist soweit fertig, um in Serie zu gehen. Mit den Reintegratoren geht es zuerst wohl um einiges schneller, als eine Fabrikationsanlage zu bauen. Später sollten wir dann ein Werk bauen. Auch, wenn wir die Schiffe gleich mit den Reaktoren ‚drucken‘ können.“
„Sehr gut, dann …“ Ein holographischer weiblicher Kopf, hübsch, aber mit unauffälligen, nicht sehr ausgeprägten Zügen, erschien in der Luft.
„Miss Starlight, ein Springer namens Hemghat ruft über Hypercom und bittet um ein Gespräch!“
„Danke. Einen Moment!“ Sie schaltete an ihrem Anzug, der imitierte nun eine weiße Seidenbluse mit tiefem Ausschnitt, betonte den Busen, dazu enge, schwarze Shorts aus Leder mit breitem, silbernen Reißverschluss im Schritt und Stiefel, die bis über die Knie reichten. „In Ordnung. Bereit.“ Die Augen Tanas nahmen einen verführerischen Glanz an, die Lippen verzogen sich zu einem sinnlichen Lächeln, sie stellte sich in eine aufreizende Pose. Die Gestalt des Springes Hemghat schien im Raum zu materialisieren, auch an Bord der Korvetten kamen hervorragende Holo – Projektoren zum Einsatz.
Hemghat war, wie die meisten seiner Sippe, großgewachsen und schlank. Sein prächtiger Bart hätte den Bildhauern in Babylonien als Vorbild dienen können, kleine, rote Löckchen ringelten sich über der muskulösen, aber nicht übertrieben breiten Brust. Sein Alter von beinahe hundertfünfzig Jahren sah man ihm nicht an, nur die tiefe Falte zwischen den Augenbrauen lieferte einen diskreten Hinweis. Seine Sippe und er hatten bereits schwere Zeiten durchgemacht, es stand auf Messers Schneide, das eine oder andere Schiff zu verkaufen. Statt dessen hatte ihm Tana Starlight ein Geheimnis verkauft, eine neue Technologie. Einnahmequelle gegen Protektion, Hemghat wurde wieder flüssig und Tana hatte einen Fuß im Handel mit dem großen Imperium. In den letzten 30 Jahren war es für beide Seiten eine gewinnbringende Partnerschaft gewesen, von Vertrauen und auch ein wenig Zuneigung geprägt. Rein platonisch, Hemghat hätte seine Frau Ygråbi nie verlassen, aber ein wenig amouröses Geplänkel zum Beginn einer Verhandlung… nun Ygråbi beteiligte sich ab und zu nicht ungern an diesen Scherzen, und Tana hatte nun einmal eine gewisse Lust an der Provokation.
„Hemghat! Welche Überraschung!“ Tana stellte sich gekonnt erotisch zur Schau und zog einen Schmollmund. „Beinahe hätte uns mein Mann…“
„Nicht heute, Tana“, unterbrach Hemghat, und wie von Zauberhand verschwand alles glamouröse von Tana.
„Was ist geschehen, alter Freund?“, fragte sie alarmiert.
„Alle Kriegsschiffe des großen Imperium wurden nach Arkon III zurück gerufen.“ Hemghat zauste sich nervös lachend den Bart. „Per Codespruch an die Neuroniken. Ich habe keine Ahnung, was es zu bedeuten hat, aber es ist zumindest alarmierend! Alle Planeten, die ihre Beziehung zum Imperium in der letzten Zeit gelockert hatten, wurden unter Androhung schwerer Sanktionen wieder zur Rückkehr zu alten Verhältnissen aufgefordert.“
Victoria wurde blass. „Ich denke, die zentrale Registratur hat jetzt die volle Kontrolle über das Imperium übernommen“, flüsterte sie mit weichen Knien. „Wir haben es immer befürchtet, aber auf genügend Sicherheitsschaltungen gehofft.“
Auch Hemghat erblasste und ließ sich in seinen Sessel fallen. „Ich fürchte, du hast recht, Tana. Nun, bei den Miridanern wird die Registratur zumindest eine Zeitlang auf Granit beißen, aber letztlich werden sie wieder zurück ins Imperium geprügelt oder vernichtet. Spätestens in zwei Jahren, wahrscheinlich früher. Viel Glück für dich, kleines Mädchen, und nimm dich vor der Maschine in Acht. Ich muss noch andere warnen!“
„Viel Glück, mein Freund“, rief Tana dem verblassenden Hologramm hinterher. Kurz blickte sie sinnend zu Boden, dann straffte sich ihre Gestalt. „KADESH! Verbindung zur HEPHAISTOS, Leslie Myers. Verbindung in Bewegung aufrecht erhalten. Eilig!“ Victoria schritt bereits energisch zur Schleuse. „Angel, ich brauche diese Generatoren ASAP. Und wir werden eine Menge davon brauchen!“
„Ich schicke dir den programmierten Reintegrator.“ Kleinschmid hatte neben ihrer Chefin Tritt gefasst. „Auf dem Weg zu HEPHAISTOS kannst du schon mit der Produktion beginnen und musst sie in die Schiffe nur noch einbauen.“
Ein flüchtiges Lächeln überflog Victorias Lippen. „Perfekt! Die KADESH bleibt zu deiner Verfügung, ich lasse dir auch einen kleinen Reintegrator hier. Ich fürchte, du musst ihn neu programmieren. Aber für Ishi ist es wohl kein Problem! Ah, Leslie!“
Das Hologramm Leslies warf sich eben einen seidenen Kimono über, kurz war noch ihre Figur zu sehen. „Tana?“ Verwunderung schwang in ihrer Stimme.
„Leslie, Code K! K wie Katastrophe. Lade sofort alle verfügbaren Sprungdämpfer in die ORION und die HYDRA. Lege noch einen Reintegrator dazu, such jemand aus, der das Ding allein Perry Rhodan übergibt. Unter vier Augen! Die Person soll Rhodan und dessen Techniker, den er auswählen soll, in der Programmierung unterweisen. Leg dafür noch eine Hypnokassette an. Die ORION fliegt sofort Terra an, ich melde sie an. Die Route für die HYDRA folgt später. Treibe die Leute zu Eile, bitte!“
Leslie Myers war schlagartig wach. „Geht klar! Bis später!“
„Warte! Wie weit ist Reginald mit den Plänen für seinen bewaffneten Explorer?“ Leslie zog die Augen hoch. „So gut wie fertig.“
„Sehr gut. Wie groß hat er seine Forschungsbasis geplant?“
„950 Meter, im Muster ähnlich der KLEOPATRA aufgebaut.“ Leslie fuhr ihren Rechner hoch.
„Gut.“ Tana blieb kurz stehen. „Hör mal, wenn Du alle Reintegratoren von der HEPHAISTOS abziehst und alles, was wir haben einsetzt, wie schnell kann ein solches Schiff fertig sein?“
„Wenn wir alles andere zurück stellen und alle Energie nur darauf verwenden, dazu das verbesserte System – 59 Tage!“
„Sehr gut! Das macht etwa 6 im Jahr.“ Victoria setzte sich wieder in Bewegung. „Tu das. Angel schickt Dir Spezifikationen für die Energieerzeugung, ändere die Pläne entsprechend. Dezentrale Generatoren, wir werden viele kleine benutzen. Bau die schwerste von uns herstellbare Bewaffnung ein, doppelte, nein, dreifache Schirmgeneratoren, Platz und Energie sollten mit der Angelpower…“ Angel Kleinschmid hob abwehrend die Hände, „…genug vorhanden sein. Wenn du erst die Größe und Leistung der Generatoren sehen wirst… egal! Reginald hat in der Hoffnung auf Angels Erfolg sowieso schon einiges vorgeplant, wie ich hörte. Setze es um. Danke Leslie! Oder warte! Wie war das mit dem verbesserten System?“
„Ich wollte Dich Dir in ein paar Stunden anrufen und es Dir erzählen. Wir haben so etwas wie eine Werft gebaut, weil wir die Geschwindigkeit der Molekülablagerung um einiges steigern konnten!“ Leslie Meyers übertrug ein Hologramm des Gebildes, eine scheibenförmige Gitterkonstruktion von zwei Kilometer Durchmesser. Unablässig gingen von vielen Stellen Lichtstrahlen aus, die an der unfertigen VULCANUS webten.
„Programmiere die Werft in den Reintegrator für Rhodan. Ohne Kommentar, er soll Reg fragen. Er wird schon einen Weg finden. Starlight aus! KADESH, Verbindung Terra, Galacto City, Perry Rhodan! Angel, wir hören von einander. Ach, da kommt schon der programmierte Reintegrator. Welche Stoffe, ah, gut, alles notiert! Danke Angel. Bis später!“ Ein Roboter brachte den Reintegrator an Bord und Victoria Rosheen stieg die kurze Treppe zum Innenraum des Shuttels hinauf. „Zur KLEOPATRA bitte, Luc. Ja, Mister Rhodan für Tana Starlight bitte, es eilt!“ Vorsichtshalber schnallte sie sich an. „Mister Rhodan, keine Zeit für Nettigkeiten. Ich habe schlechte Nachrichten! Sozusagen Alarmstufe Rot! DefCon 5.“
Das holografische Bild vor Starlight weitete sich und zeigte den Konferenzraum im GCC Tower.
„Wie wahr, Miss Starlight.“ Rhodan schüttelte mit angespanntem Gesicht den Kopf und wies dann auf die Versammlung. „Darf ich vorstellen, Miss Ulwazi Nhlakanopho aus Südafrika, Generalsekretärin der Vereinten Nationen und ihr Stab, Mister Stan Lee Johnson von der Interstellar Trading Companie in New York und sein Stab, Miss Mariana Chasseur und ihr Techniker, Miss Natascha Gregorewna Gruschenkowa, USRR, Miss Wang Li-Ming, AF und Mister Alain Renard aus Quebec, Sicherheitsberater der UN. Miss Thora, Mister Bull, Mister Atlan und Mister Mercant dürften Sie schon kennen? Wir haben vor einer Stunde ein Treffen des Sicherheitsrates anberaumt und sind eben in einer Krisensitzung. Die STARDUST hat die Aufforderung der zentralen Registratur erhalten …“
„.. nach Arkon III zurück zu kehren, stimmt‘s? Die Neuronik hat die Macht im Imperium übernommen! Was ist mit Dusty?“ Ein grimmiges Lächeln flog ganz kurz über Rhodans Gesicht. „Seine einzige Reaktion war, uns von dem Ruf in Kenntnis zu setzen und hinzu zu fügen, der Neurogent könne einmal an seinem Stahlheck… was auch immer Neuroniken für Vorstellungen haben.“
Victoria Rosheen atmete ein wenig erleichtert auf. „Ein Stück Glück in einer schlechten Zeit. Mister Rhodan, in diesem Moment startet die ORION mit 1.500 Sprungdämpfern und einigen Technikern ins solare System. Wenn Sie und Mister Johnson uns die Koordination zur Verfügung stellen, entsende ich die HYDRA, um auch die Schiffe damit auszurüsten, die gerade unterwegs sind. Ohne diese Tarnung darf kein Schiff mehr das Solsystem verlassen oder anfliegen. Außerdem, so bedauerlich es ist, muss die Erde aufrüsten. Wir werden nicht viel Zeit haben.“
„Das ist – ein großzügiges Geschenk, Miss Starlight!“ Stan Lee hatte sich erhoben und deutete eine Verbeugung an.
„Mister Johnson“ Tana Starlight schenkte Johnson trotz der Lage einen Blick, der ihm tief unter die Haut – und auch anderswo hin ging. „Das ist nett, aber Sie müssen nicht übertreiben. Auch mir liegt das Schicksal der Erde am Herzen.“
Mittlerweile war die Fähre im Hangar der KLEOPATRA angekommen und Tana erhob sich, um das Boot zu verlassen. Die Kamera zoomte zurück und übertrug nun statt ihres Gesichtes ihre gesamte Gestalt. Johnson und die anderen uneingeweihten Männer schnappten hörbar nach Luft, Tana sah an sich herab und setzte ganz kurz ihr sinnlichstes Lächeln auf, ehe sie wieder sachlich wurde.
„Meine Herren, ich erwarte die Koordinaten und bitte melden Sie die HYDRA an. Sie sieht nicht nach Terraschiff aus.“
„Moment!“ Rhodan hob die Hand. „Warum denken Sie, dass wir überhaupt noch Zeit haben?“
Tana Starlight eilte während des Gesprächs bereits in Richtung Zentrale der KLEOPATRA. „Weil auf der dem galaktischen Zentrum näher gelegenen Seite des Imperiums sich ein kleines Reich von etwa 20 Sonnensystemen namens Miridan von Arkon losgesagt hat. Nach meinen Informationen besitzen sie ihre eigene Flotte aus arkonidischen Schiffen, die nicht in Verbindung mit – wie hat Dusty ihn genannt? – dem Neurogent stehen. Natürlich können sie auf Dauer der Kapazität von Arkon III nicht standhalten. Aber dieses kleine Reich wird wohl der erste Punkt auf der Liste des Neurogenten sein. Wahrscheinlich war die Unabhängigkeitserklärung der Miridaner sogar der Auslöser für die Machtübernahme.“
„Das klingt logisch!“ Mercant trommelte mit seinen Fingern auf der Tischplatte. „Wie lange schätzen Sie?“
„Mein Informant denkt, dass es anderthalb bis zwei Jahre dauern wird. Ich fürchte aber, wir haben nur eines! Vielleicht noch ein halbes, bevor er mit der Rekonstituierung des Imperiums fertig ist. Dann wird er sich auf die Suche nach diesem Planeten machen, der Handel mit dem Imperium treibt und nicht dazu gehört.“
Rhodan nickte. „Und er wird nach alter arkonidischer Tradition die Erde seinem Imperium einverleiben wollen!“
Vor Victoria öffnete sich das Schott zur Zentrale. „Ghoma, bitte alle Mannschaften mit Ausnahme der der KADESH zugeteilten an Bord holen. Auch die Wissenschaftler außer Christian Hawlacek sollen im Hüter bleiben, wir lassen die KAILASH für sie da. Danach Vorbereitung für die Rückkehr zur HEPHAISTOS. Danke. Es sieht so aus, Ghoma, dass die KLEOPATRA bald einen neuen CO braucht. Die alte Skipper hat etwa zwei bis drei anstrengende Monate im Simulator vor sich.“
„Warum, habe ich etwas falsch gemacht?“ fragte Ghoma erschrocken. „Mir ist kein Fehler bewusst!“
Tana Starlight schmunzelte schelmisch. „Mir auch nicht. Nur eines, schlagen Sie einmal den Namen ‚GIULIA FARNESE‘ nach, man sollte schon wissen, nach wem sein Schiff benannt ist. Und sagen Sie mir, wie Ihnen 950 Meter statt 600 gefallen!“
*
Solsystem, Terra
GCC Tower, Südturm
„Mister Rhodan, bitte lassen Sie uns mit der Besprechung fortfahren!“ Ulwazi Nhlakanopho war eine stämmige, nicht mehr junge Frau aus dem Volk der Zulu, die eine Brille mit dicker Fassung trug. Sie war nicht schlank, sie war nicht schön, aber sie war beliebt auf der Erde. Sie war ehrlich, geradeheraus und dabei fast immer höflich. Und sie war erwiesenermaßen integer und unparteiisch. Die Vereinten Nationen hatten bei ihrer Wahl zur Generalsekretärin einen guten Griff getan, besonders, weil sich die Kompetenzen der UNO in den letzten Jahren stark ausgeweitet hatten. Langsam, aber unaufhaltsam, entwickelte sie sich zu einer Art globalen Regierung, die zwar nicht in nationale Zuständigkeiten eingreifen durfte, aber Gesetze von globalem Interesse durchsetzen konnte. So war es zu einem Verbot des Einfluges interstellarer Raumschiffe in die Atmosphäre gekommen, der Regenwald als grüne Lunge der Erde unter den Schutz der Staatengemeinschaft gestellt, Minen und Fabriken durften ihren Giftmüll nicht mehr in die Flüsse leiten. Es waren Kleinigkeiten, die sich summierten und wieder für ein besseres Klima auf der Erde sorgten.
Mariana Chasseur hatte von ihrem Vater die ‚Venus & Asteroid Companie‘ mit offiziellem Sitz in Paris geerbt. Begonnen hatte die Firma mit dem Innenausbau von Raumschiffen, dann hatte Tana Starlight mit einem neuartigen Roboter ihre Station abbezahlt und später weitere geliefert. Die Firma hatte sich Schürfrechte sowohl im Asteroidengürtel als auch auf der Venus gesichert, dann war nur noch das Problem, wie man den Schätzen des zweiten Planeten zu Leibe rücken konnte. Eine chemische Substanz und ein Gravgenerator standen am Beginn. Zu allererst wollten die Wissenschaftler der Company der zu langsamen Drehung zu Leibe rücken, sie berechneten Umlaufbahn und Masse eines Körpers im Orbit, der diese Rotation beschleunigen sollte. Dass er in die andere Richtung als die Erde drehte, machte die Berechnungen nicht leichter, aber auch nicht unmöglich. Und natürlich ging diese Beschleunigung nicht von heute auf morgen, aber im Laufe der Zeit sollte ein annehmbarer Tag/Nacht – Zyklus zu erreichen sein. Man hoffte auch, damit wieder ein schützendes Magnetfeld zu etablieren, wie es die Venus zur Zeit von Atlans Zeit noch gehabt hatte, als der Planet noch Larsaf II hieß. Dann musste noch die immense Menge an Schwefel und Schwefelsäure entfernt werden. Eine besondere Substanz aus der Hexenküche der Arkoniden versprach Hilfe, diese wurde in der Atmosphäre der Venus versprüht. Darauf bildete der Schwefel und die Schwefelsäure in der Lufthülle wundervoll regelmäßige Pyritsonnen auf dem Boden. Ständig abgetragen und in die Umlaufbahn gebracht, stürzte das kristallisierte Schwefelsulfit in Richtung Gravgenerator und lagerte sich um diesen ab. Im Laufe der Zeit wurde die künstliche Schwerkraft reduziert, die natürliche des wachsenden Mondes aus Katzengold nahm zu. Der nächste Schritt war dann natürlich das CO2. Aber auch saßen bereits einige Leute an der Arbeit und entwickelten Methoden.
Die VAC hatte besaß keine interstellaren Raumschiffe und war auch nicht an einem Handel außerhalb des heimischen Systems interessiert. Ihre Anteilseigner machten auch so genug Gewinn, die Asteroiden waren voller Schätze. Die ersten Schürfboote waren unbewaffnete, langsame kleine Boote, später wurden sie luxuriöser ausgestattet. Asteroidenschürfer wurde ein beliebter Beruf, bei dem man mit ein bisschen Glück und ein wenig Fleiß gut verdienen konnte. In den Bars der KJB umschwärmten junge Frauen diese harten Abenteurer, die bekannt dafür waren, einem schnellen Abenteuer nicht abgeneigt zu sein und ganz gerne ihre Muskeln spielen ließen. Oder junge Männer die Schürferinnen, welche es auch nicht wenige gab. Bad Boys oder auch bad Girls hatten eben schon immer eine gewisse Anziehungskraft. In den Bars der vier Stationen der VAC im Asteroidengürtel gab es keine Personen, die nicht für die VAC tätig oder mit einem der Angestellten verheiratet waren, also liebten die Schürfer ihre Urlaube auf dem Mond. Noch gab es diese Firmenfremden im Asteroidengürtel nicht, auch auf den Stationen der AF, aber man dachte an Expansion.
Die Shuttle der Company waren leicht zu erkennen. Unter einer Schicht aus Klarstahl waren sie beinahe nahtlos mit den schönsten Pyritsonnen von der Venus belegt, dieser Umstand hatte ihnen den Spitznamen ‚golden V.‘ eingetragen. Seit ihrer Gründung hatte niemand von der VAC einen einzigen Schuss abgegeben, die Asteroidenschürfer prügelten sich zwar ab und zu, aber Waffen galten als unehrenhaft. Die VAC bauten allerdings hervorragende Shuttlezellen und deren Antriebe, deshalb saß Mariana nun mit am Konferenztisch im Südturm des GCC Towers.
„Natürlich können Sie über meine Ressourcen verfügen. Ich werde sicher nicht zurück stehen, wenn es darum geht, die Erde zu verteidigen. Meine Herren, womit kann ich helfen?“ Rhodan schob die Baupläne für die Kanonenboote über den Tisch, die junge Frau sah sie sich kurz an und gab sie ihrem technischen Berater weiter. „Guido?“
Guido Vanaratti studierte die Pläne, dann sah er auf. „Lässt sich machen. Schnelle Flitzer. Nur die Bewaffnung können wir noch nicht herstellen. Keine Ahnung davon, keine Maschinen dafür. Rümpfe und Triebwerke können wir sofort liefern.“
„Sie haben Mister Vanaratti gehört. Reicht Ihnen das?“
„Danke, Miss Chasseur. Sie nehmen trotzdem ganz schön Druck von unseren Schultern! Miss Gruschenkowa!“
Natascha Gregorewna Gruschenkowa war aus Moskau und dort als Entwicklungsingenieurin tätig. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den folgenden Zuständen, welche beinahe wieder zaristische Züge trugen, hatte sich das Volk einmal mehr empört und Tabula rasa mit den Bonzen gemacht. Zum Glück waren zumindest einige weitsichtige und integre Männer mit der Gründung des neuen Staates beschäftigt gewesen, die eine neue Verfassung und eine soziale Marktwirtschaft einführten. Gleichzeitig imitierten sie die Mischung aus zentraler und dezentraler Verwaltung, wie es sowohl im Commonwealth als auch in Europa und den USA nicht perfekt, aber halbwegs zu funktionieren schien. Sie strichen das ‚Sovjet’ aus dem Namen und nannten sich Union sozialer russischer Republiken, kurz USRR. Die einzelnen Länder bildeten nach außen hin eine starke Gemeinschaft, doch intern waren sie zum größten Teil selbstverwaltet. Immerhin war ein großes, wenn nicht das größte Problem aller russischen Regierungen, ob nun zaristisch, bolschewikisch oder die spätere russische Staatengemeinschaft, einfach die schiere Größe des zu verwaltenden Gebietes. ‚Welche Ahnung kann Moskau (oder Sankt Petersburg) schon von unseren Problemen in Sibirien, Jakutien, Kirgistan oder gar Kamtschatka schon haben‘, dieser Spruch war so alt wie das erste russische Zarenreich. Deshalb wurde eine echte föderative Union gegründet und großer Wert auf örtliche kleinere Verwaltungsbezirke mit genug Einfluss gelegt. Gemeinsam war allen Teilstaaten die kostenlose Grundversorgung ihrer Bürger mit Nahrung, Wohnung, Kleidung, dazu medizinische Versorgung, Zugang zum Internet und öffentlichem Verkehr. Die freien Wohnungen waren selbstverständlich nicht besonders groß, ein Raum mit Kleiderschrank, Schreibtisch, Stuhl und bequemem Sessel. Ein zweiter mit Bett und eine Nasszelle, ein klein wenig mehr als ein Hotelzimmer. Drei Mahlzeiten täglich zu vorgegebenen Zeitpunkten, einfach, aber halbwegs schmackhaft, im Speisesaal des Wohnblocks. Der junge Staatenbund wurde schließlich international anerkannt und als Vollmitglied in die UNO aufgenommen.
Die zentrale Regierung der USRR bat die GCC um eine kleine Starhilfe, und zwar um das Know-how und die Erlaubnis, Kleinmeiler arkonidischer Technik für Autos und die noch massenhaft vorhandenen großen Helikopter sowie mit Propellern angetriebene Flugzeuge herstellen zu können und zu dürfen. Bald schon zeigte sich, dass der größte Teil der Bevölkerung mit dem faulen, bequemen, aber nicht sonderlich luxuriösen Leben nicht vollständig zufrieden war und lieber versuchen wollte, sich bessere Wohnungen, bessere Kleidung oder besseres Essen zu verdienen. Oder Reisen in das Ausland, Schmuck, diesen oder jenen Luxus über die Grundversorgung hinaus. Was selbstverständlich möglich war, wenn man in die Hände spuckte oder seine grauen Zellen ankurbelte. Oder besser noch, beides machte. Langsam, aber sicher kam das Land auf die Beine, zahlte seine Schulden zurück und begann mit dem erneuten Aufstieg, zwar nicht sehr schnell, aber stetig. Allmählich dachte man auch wieder an eine Beteiligung an der Raumfahrt, Gruschenkowa und ihr Büro hatten den Auftrag, Arbeitsschiffe, Transporter und ähnliches zu konstruieren. Als sie jetzt direkt mit ihrem angeheirateten Namen angesprochen wurde, zuckte sie leicht zusammen.
„Also, Miss Gruschenkowa…“
„Bitte, Mister Rhodan, ich fühlte mich wohler, wenn Sie mich Natascha Gregorewna nennen könnten. Es ist bei uns die Anrede mit Vor- und Vatersnamen üblich und auch höflich genug.“
„Wie Sie wünschen, Miss Natascha Gregorewna, also glauben Sie, dass sie die Ein-Mann-Jäger Typ Sternenfalke herstellen können?“ Wieder wanderten Konstruktionsunterlagen über den Tisch. Natascha Gregorewna vertiefte sich in die technischen Daten.
„Ja, schon. Das bekommen wir hin. Aber…“
„Was, aber?“ Rhodan hakte nach einer kleinen Frist nach, als Natascha Gregorewna schwieg.
„Wenn ich das richtig sehe, sollen die Waffen starr in Flugrichtung feuern. Also, man zielt mit der ganzen Maschine? Natürlich! Wozu dann die komplizierte Befestigung mit Gelenken, noch dazu ohne die Möglichkeit, sie anzusteuern und zu bewegen? Können wir das nicht vereinfachen? Oder hier! Das ist viel zu verspielt. Machen wir es doch einfacher, unkomplizierter und damit leichter und schneller herstellbar. Und effizienter zu warten wird es auch. Diese Klappe könnte man hierher verlegen. Dann kommt man nicht nur leichter zu dem Bauteil darunter, sondern kann es auch besser sehen!“
Rhodan seufzte. „Wenn man einem russischen Ingenieur etwas in die Hand gibt, streicht er alles Unnötige weg und baut etwas Einfacheres, dafür aber weniger Störanfälliges, das war schon zu Sowjetzeiten so. Machen Sie es, wie sie es für richtig halten, Natascha Gregorewna. Machen Sie das Beste, das sie können! Unsere Jungs sollen da oben so sicher wie nur irgend möglich sein! Ja, Miss Wang?“
Auch in der Asiatischen Föderation hatte ein Umdenken stattfinden müssen, weg vom Zentralismus zu mehr Freiheit für Gebiete und Personen. Wang Li-Ming war bereits ein Kind dieser Zeit, in der nun wieder autonomen Region Hongkong aufgewachsen und weltraumbegeistert. Der AF war dieser Schritt nicht leicht gefallen, aber nach dem Desaster mit Perry Rhodans Sieg im Wettrennen zum Mars hatte die Parteispitze die Konsequenzen gezogen und war zurück getreten. Der neue Mann an der Spitze war Huyang Chang-Ni. Er erkannte das Problem der überbordenden Verwaltung und des unrentablen Überwachungsstaates mit Millionen von Spitzeln und Geheimpolizisten, die rein gar nichts zum Allgemeinwohl beitrugen und nur viel Geld kosteten. Er überlegte, dass, wenn es erlaubt war, seine Meinung zu haben und auch zu sagen, es keine Geheimpolizisten brauchte, welche diese Meinung zur Meldung brachte. Er sparte Unsummen ein, die er in Entwicklung steckte. Auch die AF bediente sich Anfangs ihrer immensen Hubschrauberflotte mit Elektroantrieb, erwarb aber bald Lizenzen zum Bau von Shuttles. Dann trat sie in Konkurrenz zur Venus & Asteroid Companie und baute sowohl Rohstoffe im Gürtel ab als auch einige Basen dort auf. Eine Konkurrenz, die nicht in Feindschaft ausartete, sondern einfach ein Wettbewerb blieb. Wenn im Asteroidengürtel ein Problem auftauchte, war man froh über jede Hilfe, die kam. Und man half auch jedem, der es nötig hatte, egal, welches Logo auf dem Schiff war und welche Form die Augen. Asteroidenschürfer waren auf dem besten Weg, ein eigener Menschenschlag zu werden, zwar rau, aber ehrlich und hilfsbereit. Auch die Monde des Jupiter wurden von der AF nach Bodenschätzen abgesucht, die Föderation hatte ihr erstes Fernraumschiff, ein 750 Meter langer, 250 Meter breiter und 100 Meter hoher Keil, der aus lauter Dreiecken zu bestehen schien, fertig und wartete auf die Lieferung des ÜL – Antriebes. Ein Springermodell, per Hypercom bestellt, dem Vernehmen nach sollte das Schiff JADEPHÖNIX genannt werden. Wang Li-Ming hatte das Konzept erstellt und den Bau akribisch überwacht, der JADEPHÖNIX sollte eine neue Heimat für Millionen Asiaten finden, weitere Schiffe, die noch im Bau waren, sollten diese Auswanderer transportieren. Es wurde eng auf der Erde, ganz besonders in Asien, und die AF wollte von der GCC unabhängig bleiben, wenn es um neue Welten ging. Nun hatte die große, hagere Chinesin mit dem winzigen Näschen und den schrägen Mandelaugen ihre Hand gehoben.
„Wir sind gerne bereit, den JADEPHÖNIX in die Waagschale zu werfen, aber wir haben ihn kaum bewaffnet. Er ist groß, aber ein wenig schwerfällig und beinahe schutzlos. Aber die AF hat Infanterie, gut ausgebildet und bewaffnet. Wir hoffen nicht, dass es zu Landungen kommt, aber wir werden bereit stehen, wenn es soweit kommen sollte. Und, auch unsere Raumjäger sind nicht zu verachten.“
„Ich chännä die chinäsische Feierrdrrache – Jägerr!“ Nikolai Wassilewitsch Uljanow – nicht verwandt mit Lenin, wie er stets betonte – hatte zwar einen groben westsibirischen Dialekt, war aber ein hervorragender Techniker. „Errinnäärrt ein wänieg an MiG 21 mit Stummällflügääl von Starrfeitäärr! Brriengt abäär chräftiech – wie sagtt maan? – Gunpowäär in Chosmoos!“
Li Jen-Dsiä, der Konstrukteur des Jägers verneigte sich im Sitzen. „Danke, Nikolai Wassilewitsch. Wir haben uns erlaubt, in unsere Jäger Feuerdrache je zwei Impuls- Thermo- und Desintegrationsstrahler rund um die Nase starr einzubauen und die sechs Waffen noch einmal mit einer Isolierung zu versehen. Daher die Ähnlichkeit des Buges mit der angesprochenen MiG. Die Spezifikationen der Waffen dürften bekannt sein, wir haben sie von der GCC erworben. Und ich glaube, die 700 km/s2 Beschleunigung, die wir erreichen, können sich auch sehen lassen.“
Rhodan nickte ernst. „Danke, Miss Wang, Mister Li. Wir werden dem JADEPHÖNIX zwar einen ordentlichen Schirm verpassen, aber eine wirkliche Kampfeinheit wird er wohl nie. Trotzdem danke ich für das Angebot! Die asiatischen Jagdstaffeln sind allerdings mehr als willkommen.“
Perry Rhodan drückte einige virtuelle Knöpfe auf einem Touchscreen, vor den Versammelten schwebten Listen uns Diagramme in holographischer Darstellung. „Die GCC verfügt derzeit über vier Schlachtschiffe der STARDUST – Klasse inklusive der STARDUST selber, 25 schwere Kreuzer mit 200 Meter Durchmesser, 85 leichte mit 100 und 250 Korvetten mit 60 Meter.“
Auch Johnson steckte eine Speicherkarte in den Leserschlitz und projizierte seine Listen neben jene Rhodans. „Die Interstellar hat 3 Schlachtkreuzer mit 600 Metern, 18 schwere, 50 leichte Kreuzer, dazu 150 Korvetten. Aber unsere Schiffe sind mehr für den Handel als für den Krieg gebaut!“
„Wie bei uns auch. Außer den Schlachtschiffen, die haben wir zum Schutz der Erde als reine Kampfschiffe gebaut.“ Freudlos grinsend sah in die Runde. „Natürlich mit Ausnahme der STARDUST selbst. Die mussten wir nicht bauen.“ Rhodan massierte seine Augenwinkel. „Wir haben gedacht, vier Schlachtraumer und ein wenig Kleinvieh würden uns die Springer vom Hals halten. Jetzt haben wir es mit dem großen Imperium selbst zu tun. Aber weiter. Starlight kann uns vier sechshunderter Schlachtkreuzer schicken.“ Er lächelte dünnlippig. „Es sollte mich aber nicht wundern, wenn die noch um einiges kampfstärker als selbst die STARDUST sind.“
*
Die Schritte von Reginald Starlight und Marie France Meunier wurden durch dicke Teppiche gedämpft. Am Tag nach ihren Prüfungen, die sie beide mit Bravour bestanden, waren zwei Beamte in ihrem Hotelzimmer erschienen und hatten sie aufgefordert, sich bitte anzukleiden und mit zum GCC Tower zu kommen. Die Beamten waren zwar nett und freundlich, aber keinen Widerspruch akzeptierend gewesen, nun begleiteten die Sicherheitskräfte das Paar bis zu Rhodans Privatbüro. Marie France ein wenig sorgenvoll, Reginald mehr grollend, aber alle zwei waren neugierig, was denn eigentlich der Grund der Vorführung war.
Perry Rhodan tigerte in seinem Büro auf und ab, sein Gesicht in sorgenvollen Falten, seine Augen suchten immer wieder Thora, der man die Geburt ihres zweiten Sohnes Reginald Michael kaum mehr ansah und die schon wieder schlank und fit wirkte. Sie lehnte mit überschlagenen Beinen an Rhodans Schreibtisch, die Arme unter dem derzeit biologisch bedingten noch pralleren Busen verschränkt, ihre rötlichen, leicht mandelförmig geschnittenen Augen blickten voller Sorge, ihre sonst so vollen, schönen Lippen zeigten ein verkniffenes Lächeln, als das Paar durch die Tür gelassen wurde.
„Privatprotokoll! Niemand hört uns zu. Die Türen sind dicht. Miss Meunier, sie werden nun notgedrungen in eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Familie Rhodan eingeweiht. Nur wenige wissen darum, und ich muss Sie dringend bitten, einem mechanischen Hypnoseblock zuzustimmen, der verhindert, dass irgend jemand davon Kenntnis erhält. Selbst ein Telepath wird es von Ihnen nicht erfahren können, aber wir wollen Ihnen das Wissen, das Sie gleich erfahren, nicht wieder nehmen. Glauben Sie mir, die Not zwingt uns zu diesem Schritt.“
Marie France kniff die Augen zusammen, öffnete sie und sah langsam von einem zum anderen. „Wenn Sie mich dezidiert ansprechen und Reg nicht, dann weiß er bereits Bescheid. Ein familiäres Problem! Weiße Haare sind selten, wenn ich Donna Thora ansehe, dann Reg…“ Sie schnippte mit den Fingern, dass es laut schnalzte. „Reginald ist ihr Enkel, und Tana Starlight die verschollene Tochter“, rief sie laut. „Es kann gar nicht anders sein! Aber ist der Aufwand für… Oh! Es ist etwas geschehen! Etwas Arges! Sie brauchen Reg nicht als Enkel, sondern weil er etwas weiß… Der Reintegrator!“ Sie zeigte mit spitzem Zeigefinger auf Rhodan. „Sie brauchen ihn, um ganz schnell etwas herzustellen. Die Galaxis brennt, und sie brauchen eine starke Flotte?“
„Hervorragend deduziert, Miss Meunier!“ Thora stieß sich mit dem Hinterteil von dem Schreibtisch ab und öffnete die Arme. „Ich bin versucht, ‚elementar, mein lieber Watson’ zu sagen. Wie ich sehe, legt mein Enkel großen Wert auf Intelligenz und Schönheit. Eine seltene Kombination“, sagte sie trocken. „Wenn du erlaubst, möchte ich dich in der Familie willkommen heißen. Ja, beinahe alles ist richtig, außer dass die Galaxis brennt. Es ist“, ihre Finger malten Gänsefüßchen in die Luft, „nur M 13. Thanthur Lok. Das große Imperium. Wir hoffen, dass die Erde noch lange versteckt bleibt. Aber wir müssen uns auf das Gegenteil vorbereiten.“
„Na schön!“ Maries Blicke versprachen Reginald eine böse Standpauke, aber auch das Versprechen, ihm später zu verzeihen. „Ich bin Einverstanden. Machen Sie…“ „Du!“ warf Thora ein und hielt Marie France beide Hände entgegen.
„Also gut, dann mach das mit dem mechanohypnotischen Dingsda.“ Zögerlich ergriff Marie France die Hände, Thora nahm sie herzlich. „Dieses Geheimnis soll wirklich geheim bleiben. Ein Rhodan! Warte nur, Freundchen, das wirst Du lange Zeit bezahlen. Sehr lange Zeit!“
„Das heißt!“ Reginald wagte wieder zu atmen. „Das bedeutet, du willst sagen, du verlässt mich nicht?“
„Nein, Dummerchen, verlassen werde ich dich nicht. Aber alles andere gilt mehr denn je. Ich lasse mich auch von einem Rhodan nicht aushalten und kaufen! Ich will selbst studieren, selbst meinen Titel erkämpfen und dann arbeiten, nicht zu Hause hocken und nur für meinen Mann da sein müssen!“
„Einverstanden. Absolut einverstanden, Marie France. Darf ich dich vielleicht umarmen?“ Reginald breitete vorsichtig seine Arme aus, in die Marie France sofort kam. „Natürlich, mein Liebling.“ Sie vergaßen komplett, wo sie waren und küssten sich innig, bis Rhodan hüstelte.
„Ich störe ja ungern, aber wir haben immer noch ein Problem!“
Thora stieß ihrem Mann den Ellenbogen in die Rippen. „Du wirst doch noch fünf Minuten erübrigen können!“ Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Männer! Und besonders diese Halbaffen von Terra! Ich gebe dir einen guten Rat, Mädchen. Lass dem Lümmel nicht zu viel Macht über dich. Du musst diese Paviane ab und zu zurecht stutzen. Meine Schwiegerenkelin! Wie das klingt, Perry! Als wäre ich eine alte Frau! Komm doch mal an Omas Herz!“
Marie France ließ sich gerne von Thora umarmen, während Rhodan sagte. „Ja, aber Du bist meine alte Frau, und ich liebe meine alte, dekadente Ziege! Äh, auch das fällt unter die Geheimhaltung, ist das klar?“
„Klar!“ Marie France löste sich aus der Umarmung. „Es ist mir selbst ganz recht, wenn niemand das Geheimnis von Reginald erfährt. Wo ist diese Höllenmaschine?“
„Komm mit, mein Kind!” Thora nahm Marie Frances Hand. „Was weißt Du eigentlich über arkonidische Hypnoschulung?“
„Dass ich schon ein paar Lektionen…“ Lautlos glitt die Tür zu und schnitt die Worte von Marie France ab.
Verträumt blickte Reginald noch sekundenlang auf die geschlossene Tür, dann wurde sein Gesicht sachlicher. „Oma sieht wieder gut aus. Wie geht es mit Reginald Michael?“
„Dem geht es gut, auch wenn er uns kaum schlafen lässt. Wir haben zwar für Notfälle eine junge Dame, die sich um ihn kümmert, aber im Allgemeinen geht Thora in ihrer Mutterrolle auf. Es gefällt ihr, Mutter zu sein.“
Reginald Starlight lächelte schon wieder versonnen, dann strafte sich seine Haltung. „Wie kann ich helfen, Opa?“
Bei dieser Anrede zuckte Perry Rhodan kurz zusammen, dann öffnete er eine Schachtel. „Ach, Mutter hat Dir einen Reintegrator geschickt.“
„Das Ding hat begonnen, irgendetwas Großes zu bauen! Und ich habe keine Ahnung, was es ist, daher habe ich wieder auf Stopp gedrückt! Sie hat nur gelacht und gesagt: ‚frag Deinen Enkel!‘ Also frage ich Dich.“
„Darf ich kurz Deinen Rechner haben? Danke. Wo ist der Eingang? Ah, hab‘ ich dich. Mal schauen, bis hierher alles klar… LESLIE! Du verdammtes, wundervolles Genie, das ist einzigartig! Du hast das Unmögliche möglich gemacht! Wie hast Du das… ah, Angel! Der PPS Generator! Bereits integriert! Toll! Opa, das Ding sollte Dir eine Raumschiffwerft bauen. Drei Monate bis Fertigstellung, danach – oh! OH! Da hat sich ja auch ganz massiv etwas getan. 51 Tage für ein Schlachtschiff der STARDUST-Klasse, wenn genug Rohstoffe vorhanden sind. 7 Tage für einen leichten Kreuzer, 14 für einen Schweren. In einem Jahr kannst Du vier von diesen Werften haben. Die Schiffe werden mit dezentraler Energieversorgung ausgestattet sein, bereits fix und fertig. Angel Kleinschmid hat einen Generator, der auf 150 x 50 x 50 Zentimeter den Energiebedarf eines Patrouillenbootes deckt. Du kennst Mamas Miniboote? 30 Meter Durchmesser? Also, stell Dir vor, Du verpasst jedem Geschützturm so ein Angelpowerding. Die Frage ist nicht mehr wieviel Feuerkraft Du bekommst, sondern die Kühlung der innen liegenden Teile. Mann, oh Mann. Dazu kommen noch drei extra starke Schutzschirmgeneratoren. Für die 800 Meter sollten kurz überschlagen 6, vielleicht 7 von Angels Reaktoren pro Generator ausreichen. Sagen wir 10, fast doppelte Sicherheitsreserve. Dann benötigst Du unwesentlich mehr als 45 x 15 x 15 Meter, um einen dreifachen Schirm aufzubauen. Opa, ein Schlachtschiff dieser Serie ist Deiner STARDUST in der Defensive dreimal überlegen, hat gut das doppelte an Feuerkraft und 570 km/sec2 Beschleunigung. Die PPS – Dinger sind auch noch Wartungsfrei. Wie gefällt Dir Deine zukünftige Flotte, Opa?“
Perry Rhodan war ein wenig blass geworden und suchte nach einer Sitzgelegenheit. „Das ist Wahnsinn! Deine Mutter bürdet mir da eine Verantwortung…“
„Unsinn!“ fuhr Reginald seinem Großvater in die Parade. „Diese Verantwortung hast Du akzeptiert, als Du auf dem Mars Crest und Oma getroffen und ihnen geholfen hast, statt sie den Behörden zu übergeben. Du hast diese Verantwortung bestätigt, als Du zu Wega flogst und noch einmal, als Du den Zellaktivator angenommen hast! Das alles geschah, ohne dass meine Mutter dabei war! Also, entweder machst Du weiter oder Du suchst jemand anderen, der es tut. Aber gib meiner Mutter nicht irgendwelche…“
„Stimmt!“ Jetzt unterbrach Rhodan seinen Enkel. „Alles, was Du sagst, stimmt. Danke für die Erinnerung. Mich hat nur diese Machtfülle kurz ins Stolpern gebracht.“ Perry straffte seine Gestalt wieder. „Dann hoffen wir, dass ich der Verantwortung gerecht werde!“
Reginald reichte seinem Großvater die Rechte. „Solange Du zweifelst, können die Menschen ruhig schlafen. Ein Problem wirfst Du erst auf, wenn Du Dich für perfekt hältst.“
„Oh weiser und gerechter Doktor, um wieviel älter bist Du, als Du aussiehst!“ spöttelte Perry, und Reginald verdrehte die Augen.
„Shakespeare ist wohl so etwas wie eine Familienkrankheit, oder?“
*
Reggys System, Juni 2084
Nahe der HEPHAISTOS schwebte eine Kugel von 950 Metern Durchmesser, umgeben von einem 180 Meter breiten Ringwulst um den Äquator. Das blau ihrer Farbe entsprach dem der Fahne der irdischen Vereinten Nationen, auch die vom Nordpol gesehene Erddarstellung im Lorbeerkranz in weißer Farbe über dem Ringwulst entsprach der UN – Flagge. Auf jener der Flagge gegenüber liegenden Seite las man den Namen VIRIBUS UNITIS in lateinischer, cyrillischer, griechischer, tamilischer und arabischer Schrift, japanische und chinesische Ideogramme. Die verschiedenen Schriften übersetzten den Namen des großen Schiffes in die jeweiligen Sprachen. ‚Mit vereinten Kräften‘.
Je ein Kanonendeck auf der Nord- und der Südhalbkugel mit 6, eines mit 12, und zwei mit jeweils 24 Geschütztürmen, auch im Ringwulst waren 48 Türme zwischen den 48 Triebwerksöffnungen. Eine zusätzliche Geschützkuppel am Nordpol. Die Geschütztürme eines der Decks mit 24 Feuerstellungen waren mit Narkosegeschützen und leichten Jägerabwehrkanonen bestückt, jene des Ringwulstes und der Decks mit 6, 12 und das zweite mit 24 Türmen trugen schwere und überschwere Kaliber, jeweils 2 Desintegrator-, 2 Thermo- und zwei Impulskanonen, die Polkuppel war noch größeren Kalibern ausgestattet. Drei extrastarke Schirmgeneratoren mit genügend Energieversorgung schützten das Schiff vor feindlichem Feuer, die 48 Korpuskulartriebwerke beschleunigten die VIRIBUS UNITIS mit maximal 530 km/sec2. Transitationsdämpfer erlaubten nicht ortbare Hypersprünge, Schwingungsentzerrer schützten vor den Schmerzen des Transits.
„Alle Stationen bereit, Skipper!“ meldete Inéz Peres, die XO der VIRIBUS ihrem Skipper, Marteen van der Molenford bestätigte die Meldung und drehte sich zu Tana Starlight, die wieder ihre weiße Pseudouniform trug, um.
„Fliegen Sie los, Skipper. Liefern wir das erste Schiff der Mätressen – Klasse an seinen neuen Besitzer. Es soll der Erde gehören.“
„Miss Peres, sie haben es gehört. Beschleunigen Sie und gehen Sie in den Transit, wenn alles bereit ist. Ziel Terra!“ Die Eltern des Kapitäns stammten aus den Niederlanden und waren dem Ruf der guten Bezahlung und hervorragenden Sozialleistungen der Starlight Enterprises gefolgt und mit Kind und Kegel auf die HEPHAISTOS gezogen. 2071 war Marteen 15 Jahre und ein schlechter Schüler gewesen. Dann hatte ihn der Ehrgeiz gepackt, mit 27 hatte er das Kapitänspatent für den interstellaren Raum erhalten, die Prüfungen waren alles andere als leicht. Mit 28 kommandierte er das erste Kriegsschiff einer neuen Generation. Das Schicksal seiner ein Jahr jüngeren XO unterschied sich kaum von seinem eigenen, ihre Eltern waren aus Portugal gekommen. Nur war Inéz von Anfang an eine gute Schülerin gewesen und hatte seit kaum einem Monat ihr Kaptänspatent in der Tasche. Der temperamentvolle Holländer und die kühle, unnahbare Portugiesin gaben ein gutes Team ab, sie sollten die VIRIBUS UNITIS mit einer Rumpfbesatzung nach Terra bringen und dort die neuen Besatzungen einschulen. Sollten sie nach dieser Zeit in den Dienst der Vereinten Nationen treten wollen, so stand es ihnen frei, andernfalls würden sie mit der CYGNUS oder der CYRANO auf die HEPHAISTOS zurück kehren, wie auch der Rest der Mannschaft.
*
Solsystem
Am Rande des Sonnensystems flog eines der neuen Kanonenboote Patrouille, als scheinbar aus dem Nichts eine riesige Kugel entstand und mit schnell länger werdenden glühenden Energiezungen in Richtung der Erde raste. Joel Brasseur aus der Gascogne, lang und dürr, sah im Cockpit des Kanonenbootes 3-491 das fremde Schiff als erster auf seinem Ortungsschirm und gab sofort seine Sichtung an die Zentrale weiter. Auf der General Pounder Spaceforce Base wurde auf Grund dieser Meldung Alarm gegeben und DefCon 5 ausgerufen, Sirenen heulten und das Personal sprintete zu seinen Alarmposten, die Piloten zu ihren Maschinen. Die Homefleet unter Atlan wurde gefechtsklar gemacht, der alte Arkonide, der eben zu einem Date auf der Erde fliegen wollte, sprang lauthals und von Herzen fluchend wieder aus dem Shuttle und rannte zum Mittelpunkt der NEIL ARMSTRONG, einem Schlachtschiff der STARDUST-Klasse. Es war nicht das erste Mal, dass ein Alarm seine amourösen Pläne störte, das machte es für den immer noch virilen Mann jedoch auch nicht besser. Dann, leises Durchatmen, leichte Entspannung, Joel gab den Transpondercode durch und identifizierte das Objekt als TSS VIRIBUS UNITIS. Das Kürzel TSS für Tana Starlight Schiff war zwar bekannt, der Name und die Energiesignatur aber noch nicht. Man sah nur, dass hier ein großes Energiebündel auf dem Weg in das Innere des Sonnensystems war. Trotzdem, aufgrund des Präfixes wurde die DefCon auf 4 zurückgenommen, es war nicht unmittelbar mit einem Angriff zu rechnen.
Auf den Bildschirmen der Kommunikation wurde eine schöne Frau mit Mahagoniroten, etwas mehr als schulterlangen Haaren sichtbar, die zu weißen, hochhakigen Schuhen eine weiße, hautenge Hose und einen auf Hüfte geschnittenen weißen Seidenblazer auf bloßer Haut trug, auf dem Kopf saß keck eine weiße Admiralskappe.
„Guten Morgen!“ Die Stimme klang sanft wie ein Morgenwind. „Verbinden Sie mich doch bitte mit dem Verteidigungsrat der Erde. Mein Name ist Starlight.“ Der Funker vergaß, seine Arbeit zu machen und starrte das Bild nur an. „Junger Mann?“ Tana beugte sich etwas vor, und nun starrten alle Männer der Funkzentrale wie erstarrt auf das Bild.
„Hunter!“ Captain Marie Valenskaya war hinter den zuständigen Mann getreten und riss ihn aus seiner Starre. „Den Verteidigungsrat. Galacto City, pronto! Die Damen und Herren werden ohnehin wissen wollen, was es mit dem Alarm auf sich hat. Los, los!“
*
Fluchend rannte Perry Rhodan in sein Büro, dicht gefolgt von Thora, Bully und Mercant, als die Sirenen den Alarm verkündeten. Dort sah ihm vom Bildschirm der stehenden Leitung zum UN – Hauptquartier bereits eine mütterlich wirkende, beleibte Frau aus dem Volk der Zulu durch große Brillen entgegen.
„Was ist los, Mister Rhodan?“ Ulwazi Nhlakanopho war deutlich besorgt.
„Ich weiß es noch nicht, Madame Generalsekretär. Mister Renard. Mister Johnson.“ Auf einem zweiten Schirm war der Chef der Interstellar Trading eingetroffen, auf einem dritten der Sicherheitsberater der VN. „Zuerst DefCon 5, dann wurde auf 4 zurückgenommen. Mehr… ach, ein Hyperspruch. Darf ich den Sicherheitsrat und Sie auf Konferenzschaltung legen?“ Perry Rhodan war nicht weniger besorgt und ratlos.
„Tun Sie das bitte, Mister Rhodan!“ trotz aller Unruhe, die sie fühlte, war Ulwazi Nhlakanopho nicht bereit, auf Höflichkeit zu verzichten.
„Miss Starlight, sind Sie das?“ rief Johnson! „Was machen Sie denn hier?“ Tana Starlight leckte sich schelmisch die Lippen, ihre Augen funkelten verführerisch.
„Aber Mister Johnson!“ ihre Stimme klang seidenweich aus den Lautsprechern. „Kein ‚Hallo‘? Kein Geplauder vorher? Keine Einstimmung? Gleich so – direkt zur Sache gehend?“ Dann die kaum hörbaren, beinahe zärtlich, aber mit scheinbar belegter Stimme gehauchten Sätze: „Sie – enttäuschen mich! Ich hielt Sie für – einfühlsamer!“ Thora, Rhodan, Bull und Mercant hatten Mühe, sich ein schadenfrohes Grinsen zu verkneifen. Tana hatte wieder ein neues Opfer gefunden, das nun auch wirklich hochrot im Gesicht wurde.
„Ich – entschuldigen Sie bitte, ich war überrascht.“ Stan Lee Johnson verbeugte sich höflich. „Nehmen Sie bitte mein zutiefst empfundenes Bedauern zur Kenntnis.“
„Oh! Ein wirklicher Gentleman alter Schule! Aber selbstverständlich vergebe ich Ihnen, Mister Johnson“, nickte Tana Starlight und legte ihre rechte Hand in der Höhe der Schlüsselbeine an die Brust. „Wie kann eine Frau da noch böse sein, wenn sie so nett gebeten wird?“ Dann wandte sie sich an alle Anwesenden. „Darf ich Madame Generalsekretär und den Sicherheitsrat auf die Pounder Space Base bitten, wo ich auf Landeerlaubnis hoffe. Ich habe eine kleine Überraschung mitgebracht. Sagen wir in drei Stunden?“
Die Zentrale der General Pounder Spaceforce Base auf dem Mond war ein riesiger Saal mit unzähligen schalldicht abgetrennten Buchten für verschiedenste Aufgaben wie etwa Kommunikation, Koordination der Jagd- und Kanonenbootgeschwader oder Ortung, im Hauptsaal lief alles zusammen und wurde auf unzähligen Bildschirmen wieder gegeben. Man sprach im Dienst die arkonidische Verkehrssprache, in letzter Zeit verrichteten auch Offiziere aus der USRR, der AF und der Interstellar Trading hier ihren Dienst, daher hatte man sich auf eine neutrale Sprache geeinigt. Die bereits mehrfach erwähnte Hypnoschulung machte das erlernen einer Sprache zu einer Angelegenheit von etwa einer halben Stunde – Vorbereitung inkludiert. Der Kommandant Generalleutnant Vaclav Prochaska hatte Generalsekretär Ulwazi Nhlakanopho, Berater Renard und Mister Johnson von seinem Stellvertreter Colonel Bloch vom Hangar abholen lassen und begrüßte sie nun im Allerheiligsten. Rund um eine Empore saßen einige Adjutanten, bereit, einen zusammenfassenden Bericht zu geben oder Befehle über das Earset weiter zu leiten. Auch Rhodans Mannschaft war eingetroffen und hatte sich auf der Brücke eingefunden, man rätselte über die Gründe des Besuches und der Einladungen.
„Schiff TSS VIRIBUS UNITIS nähert sich und verzögert stark.“ Leutnant Richards gab die Meldung der Ortungsstation weiter.
„Geben Sie die Landeerlaubnis durch, Leutnant“, befahl der Generalleutnant.
„Ortung! Das ist ein großes Schiff! Größer als ein Schlachtschiff!“ Leutnant Richards gab wieder Rapport, alle fuhren herum, die Ortungsergebnisse wurde eingespielt.
„950 Meter und verzögert mit Werten, welche die 600er der Interstellar nicht schaffen.“ Johnson lächelte säuerlich. „Da sind wir wohl etwas hinterher. Woher hat die Dame ihre Technik bloß?“
Alle zuckten nur die Schulter. „Wir können die VIRIBUS optisch darstellen. Schirm 5!“ Alle sahen das Schiff in der Farbe der Vereinten Nationen und dem Logo.
„Meine Damen und Herren!“ Tana Starlight erschien wieder auf einem der Bildschirme. „Eine vereinigte Flotte benötigt ein gutes Flaggschiff. Ich biete den Vereinten Nationen die VIRIBUS UNITIS als Geschenk an. Möge sie die Erde glücklich und erfolgreich beschützen.“
„VIRIBUS UNITIS ändert Transpondercode in UNS VIRIBUS UNITIS“, rief ein Radio Operator.
„Madame Generalsekretär, darf ich Sie an Bord ihres Schiffes bitten. Sie werden wohl einen Admiral der Erde ernennen müssen.“
Ulwazi lächelte still und putzte ihre Brille. „Ich glaube, ich weiß, wem wir den Schutz unserer Heimat anvertrauen können. Würden Sie bitte Admiral Atlan ebenfalls hinzu bitten? Danke, Miss Starlight.“
*
Der große, weißhaarige Mann mit den rötlichen Augen sah sich auf der Brücke der UNS VIRIBUS UNITIS um. Ein wenig großzügiger Dimensioniert als er es gewöhnt war, nun, das Schiff war auch größer als die NEIL ARMSTRONG oder die ARK’EMPE, sein altes arkonidisches Flaggschiff. Ulwazi Nhlakanopho hatte ihm eine Frage gestellt.
„Sind Sie bereit, die Flotte der Vereinten Nationen zu befehligen? Derzeit wird die vereinte Flotte noch gestellt von der GCC, der ITC und Starlight Enterprises unter der Leitung der UN, die Home Fleet soll aber komplett in die Verantwortung und den Besitz der Vereinten Nationen überstellt und noch vergrößert werden.“ Vor Atlans inneren Augen zeigte sein eidetisches Gedächtnis in Sekunden eine Reminiszenz an einige tausend Jahre auf der Erde. Von seiner ersten Landung auf der Venus, dem Untergang von Atlantis, seinen Wandel vom präpotenten Kristallprinz zum liebenden Menschen und Vater. Seine ‚Erfindungen‘, welche die Menschen auf ihrem Weg zu den Sternen begleitet hatten. Das Pferd als Reittier, das Dezimalsystem, die Dreifelderwirtschaft, der Kaffee, der Weizen, der Prallschirm und die Antimaterie-Anihilatoren, die sie prompt als Antimateriebatterien bezeichnet hatten. Die vielen Anstöße zu Entdeckungsreisen, von der Seitenstraße bis zu Leif Erikson und Columbus. Magellan, Drake, Cook. Seine Begegnungen. Cyrano de Bergerac, Giacomo Casanova, William Shakespeare, Leonardo da Vinci. Seine Frauen, arkonidische und terranische. Selketh, Helena, Julia, Claudia, Maria Theresia von Österreich, die Zarinnen Katharina und Alexandra, Madame Germaine de Staël, Marie Currie. Seine Kinder. Seit Jahrtausenden hatte er die Menschheit beschützt und versucht, sie auf ihrem Weg ins All zu unterstützen. Schon lange war Atlan daGonozal mehr Mensch als Arkonide, auch was seine Treue und Hingabe anging. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Dann sah er der Generalsekretärin tief in die Augen.
„Madame, ich nehme diese Verantwortung gerne an. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.“
„Aaachtung!“ Kapitän van der Molenfords donnernder Bariton hallte durch die Brücke, die angetretene Rumpfbesatzung nahm Haltung an. Marteen salutierte vor Atlan und der Generalsekretärin, dann wandte er sich an Atlan.
„Admiral of Space, die Besatzung ihres Flaggschiffes ist vollzählig angetreten!“
„Danke, Kapitän!“ Admiral of Space Atlan da Gonozal war sichtlich gerührt. „Lassen Sie wegtreten, bitte!“
„Nun, Admiral?“ Tana Starlight bot Atlan ein Glas Champagner an. „Pommery brut royal 2054. Ein besonderer Tropfen für eine besondere Gelegenheit. Wie gefällt Ihnen Ihr Schiff?“
Atlan nahm einen Schluck. „Mit einer Flotte dieser Schiffe und meiner damaligen Besatzung hätte ich die Methaner und die Wesen aus dem roten Universum verjagt! Es ist – ich kann es nicht beschreiben! Wunderbar!“
„Das freut mich!“ Auch Tana nahm einen Schluck von ihrem Glas und leckte sich ein Tröpfchen von ihren Lippen. „Sie sollten sich eine gute Besatzung suchen.“ Ihre Mundwinkel zuckten kurz, ihre Augen funkelten mutwillig. „Obwohl Miss Peres angedeutet hat, dass sie gerne unter Ihnen dienen würde. Entschuldigung, das war zu ambiguo formuliert, unter Ihrem Kommando, selbstverständlich. Ah, Mister Johnson!“ Atlan schluckte eine ebenso deftige wie zweideutige Anspielung auf Tanas Abstammung von Rhodan hinunter und schmunzelte still in sich hinein, Tana liebte die Provokation, eine Schwäche, die er durchaus verstand.
„Dieses Ding ist enorm, Miss Starlight.“ Johnson deutete in Runde. „Hervorragend. Ihr Champagner übrigens auch!“
„Danke, Mister Johnson. Ich dachte mir schon, dass Sie Gefallen an Rundungen finden.“ Wie zufällig nahm sie bei ihrem nächsten Schluck die Schultern kurz zurück, der Blazer klaffte etwas weiter auseinander und zeigte mehr als nur den Ansatz ihres Busens. Für eine halbe Sekunde etwa, dann war es wieder vorbei. „Mister Johnson, ist Ihnen nicht wohl?“
Stan Lee Johnson war bis unter die Haarwurzeln errötet. „Bitte entschuldigen Sie mich kurz, Miss Starlight! Admiral!“
Atlan nahm noch einen Schluck aus seinem Glas. „Das war nicht nett, Victoria“, flüsterte er so leise, dass nur sie es hören konnte, Tana lächelte.
„Ich dachte, wenn er mich schon mit den Blicken auszieht, zeige ich ihm, was er will. Denkst Du, es hat ihm nicht gefallen? Ach, Admiral, weil wir schon so nett plaudern – Miss Generalsekretär! Darf ich Ihnen noch ein Glas besorgen?“
Ulwazi Nhlakanopho nahm ihre Brille ab. „Danke. Miss Starlight, sie spielen ein gefährliches Spiel. Einmal werden Sie an einen Mann geraten, der nicht so zivilisiert ist wie Mister Johnson. Einer, der handgreiflich wird.“
Tana sah sich um. „Miss Generalsekretär, das hat schon einmal ein Mann versucht. Er wird es nicht wieder tun, ich denke, er hat die Bedeutung des Wortes ‚nein‘ sehr nachdrücklich verinnerlicht.“
„Gut!“ Ulwazi zeigte ihr stilles, mütterliches Lächeln. „Ich bin im Übrigen sehr erfreut, dass die ausgeflogenen Kinder der Erde ihre Heimat nicht vergessen haben.“
„Das, Madame Generalsekretär, werde ich nie!“ Tana winkte einem Steward, der ihre leeren Gläser gegen volle tauschte. „Ich liebe meine Heimat, auch wenn ich sie nicht mehr besucht habe, seit… längerer Zeit. Bitte, genießen Sie die kleine Feier, ich muss noch die Admiralsuite räumen. Bevor ich mich verabschiede, Admiral, ich habe mir erlaubt, ihr Stimmerkennungsmuster programmieren zu lassen, die Neuronik erkennt sie bereits als Admiral an und hört auf den Namen Sisi. Von…“
„Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Königin von Ungarn“, lachte Atlan. „Schön, aber kapriziös, beinahe so wie Sie, Tana Starlight. Ich werde die VIRIBUS allerdings nicht zerstören, ohne einen Schuss abgegeben zu haben.“
„Ich habe es nicht anders erwartet, Admiral. Ein Hologramm wird sie, wann immer sie möchten, zu Ihrer Suite begleiten. Auch wenn aus rechtlichen Gründen das Gesicht nicht dem der echten Elisabeth entspricht.“ Sie nickte ihren Gästen zu. „Ich werde mich zurück ziehen und im Hilton am Port Gagarin auf die CYRANO warten. Bitte, Madame, Sir, entschuldigen Sie mich.“
Im Laufe der Party war es nicht auffällig, dass Admiral of Space Atlan mit Perry Rhodan und Thora einige Worte wechselte. Auch, dass der Chef der GCC bald darauf mit seiner Frau die Feier zu Ehren Atlans verließ und mit ihr in das Hilton am Port Gagarin ging, wo auch die 18 jährige zu hundert Prozent vertrauenswürdige und gegen Telepathen geschützte Louise Freyt mit Reginald Michael Rhodan untergebracht war, fiel niemandem auf. Außer natürlich dem alten Arkoniden, der seinem Freund gesagt hatte, wo seine Tochter auf ihn wartete…
Juli 2084
✴️
Arkon III
Miridan ist stärker als erwartet.‘
‚Flotte aufstocken durch Neubauten‘.
‚Bereits existierende Einheiten an den Zentrumsrand’.
‚Miridan erhält scheinbar Unterstützung von unbekannter Seite. Schiffe entsprechen keinem bekannten Muster!‘
‚Andere Pläne zurück stellen. Unterwerfung des Miridansektors und der Unbekannten hat höchste Priorität.‘
Leider erfuhr auf der Erde niemand von den Sorgen des Neurogenten. Viele Menschen hätten ruhiger schlafen können…
*
Solares System
Luna, John Glenn Academy.
Edward Kyle, Colonel der GCC Space Force, Veteran der Kämpfe im Wegasystem, ehemals Kapitän der USS NEPTUN, einem der größten Atom-U-Boote zu Anfang des 21. Jahrhunderts, im 95. Lebensjahr, dank Zelldusche wenig gealtert und immer noch wie ein Endvierziger wirkend, klein und schlank, wie es für die U-Bootfahrer von Vorteil gewesen war, ging in seinem Büro auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Im Besuchersessel hatte ein großer, weißhaariger Mann in olivgrüner Uniform Platz genommen, die Schulterstücke waren in jener blauen Farbe gehalten, die schon immer die Truppen der VN getragen hatten, darauf waren fünf Sonnen abgebildet, die von einem Lorbeerkranz umgeben waren. Auch im Jahre 2084 gab es immer noch die altbewährte Gegensprechanlage zum Vorzimmer des Oberst, wo Jennifer May die Termine des Colonels verwaltete und den Eingang zu seinem Büro wie ein feuerspeiender Drache bewachte. Ohne Termin kam niemand so schnell zum Chef der John Glenn Academy. Außer, man war Admiral. Oder hieß Thora, Perry Rhodan oder Reginald Bull. Heute war Admiral Atlan jedoch angekündigt gewesen, ein Umstand, der Miss May ein erleichtertes Aufatmen beschert hatte. Auch Miss Jennifer hatte die Fünfzig-Jahresmarke bereits weit überschritten, wie viel, war ihr gut gehütetes Geheimnis. Wenn man die Unmengen an Make-up und Haarspray wegdachte, die ihr Alter unschätzbar machten, mochte sie maximal wie 47, 48 wirken, man munkelte von irgendwelchen Wunderpillen und doppelt so vielen Jahren. Die meisten dieser Gerüchte hatte sie selbst bereits in den Anfangszeiten der Academy gestreut. Eigentlich war sie 87, sah frisch geduscht wie knappe 40 aus und fühlte sich auch so. Dank einer Zelldusche, die sie sich verdient hatte. Womit, das blieb ein streng gehütetes Geheimnis zwischen Perry Rhodan, Thora, Reginald Bull, Allan D. Mercant und ihr. Nicht einmal Colonel Kyle wusste davon, er vermutete, wie viele andere auch, moderne Medikamente und gute Gene. Wenn sie Abends ausging, was sie gerne und oft machte, mit locker geföhntem Haar und dezent geschminkt, durchaus gut aussehend, hätte sie keiner der Schüler erkannt, sie aber hatte alle Akten im Kopf und erkannte jeden. Kein Problem, solange sich der Schüler auch nur halbwegs benahm.
„Mein Name ist Tech-Sergeant Khumunol, das ist meine Frau Shaumauntha. Man hat uns gesagt, wir sollen uns so schnell wie möglich bei Colonel Kyle melden!“ Der massige, quadratisch gebaute Mann hatte ein sorgenvolles Gesicht.
„Ist etwas mit unserer Tochter?“, fragte die nicht viel weniger massige Frau mit fahlgrüner Haut. „Kadett Shaumany!“ Die offensichtliche Sorge der beiden rührte an Jennifers Herz, sie machte etwas, das eine Seltenheit war. Sie ging auf eine Frage ein.
„Mit ihrer Tochter ist alles in Ordnung“, sagte sie in ihrem berühmten, kurz angebundenem Ton, den sie immer anschlug. „Einen kleinen Moment!“ Sie drückte die klassische Taste. „Sir! Miss Shaumauntha und Sergeant Khumunol sind hier! Ja, Sir! Bitte, Miss, Sergeant, treten Sie ein.“
„Sergeant Khumunol und Frau melden sich wie befohlen!“ Der Überschwere salutierte vor dem Colonel, der ebenso zurück grüßte.
„Stehen Sie bequem, Sergeant. Bitte, Miss Shaumauntha, nehmen Sie Platz, Sie auch, Sergeant. Das ist Atlan, der Admiral of Space, der ranghöchste Offizier der Vereinten Nationen. Er möchte mit Ihnen beiden sprechen.“
„Danke, Colonel.“ Atlan reichte erst Shaumauntha, dann Khumunol die Hand. „Ich möchte mich kurz fassen. Wir stehen vor einer Krise, im Kristallimperium scheint eine Neuronik die Herrschaft angetreten zu haben. Wir müssen eine Flotte aufstellen, und das rasch. Ich habe die Akten von mehreren Springern, die bereits Verträge unterschrieben haben, studiert. Miss Shaumauntha, sie sind doch eigentlich eine Ärztin, die nur noch die menschliche Physis in der Praxis kennen lernen und eine Prüfung darüber ablegen muss!“
„Das ist korrekt, Admiral. Und so unterschiedlich sind die inneren – und auch die äußeren, wenn ich bemerken darf – Organe gar nicht.“ Über Shaumaunthas Lippen huschte ein flüchtiges Lächeln, das sie sich schnell wieder verkniff. „Ohne allzu groß ins Detail gehen zu wollen!“
„Ich weiß, Doktor.“ Auch Atlan grinste plötzlich Jungenhaft. „Ich habe einige Frauen der Menschen kennen lernen dürfen und einige Kinder von ihnen geschenkt bekommen.“ Er wurde wieder ernst. „Khumunol, sie waren ein verdammt guter Mechatroniker. Sie haben auch einen Kurs über die Modernisierungen der letzten Zeit gemacht. Sind Sie bereit für einen weiteren Schritt in die Zukunft?“
„Sir?“ Khumunol war unsicher.
„Sie beide haben bereits unter Gefechtsbedingungen gearbeitet. Sind Sie bereit, es wieder zu riskieren? Ich sagte schon, ich brauche gute Besatzungen. Und zwar für mein nagelneues Flaggschiff, das ich selbst nur zur Hälfte verstehe, weil es eine völlig neuartige Technik aufweist. Ich biete ihnen einen Job an, der allerdings riskant ist. Irgendwann wird die arkonidische Neuronik versuchen, die Erde und die galaktischen Händler zu unterwerfen.“
Shaumauntha griff nach Khumunols Arm. „Meinen Sie das im Ernst? Ich soll als Ärztin und Khumonol als Mechatroniker arbeiten? Auf Ihrem Flaggschiff?“
„Nicht ganz! Khumonol bekommt eine Hypnoschulung für die neue Technik, ich brauche einen zweiten Techoffizier. Einen, der schon im Gefecht gestanden hat. Also?“
Das grünhäutige Paar sah sich in die Augen. „Aus unserer hübschen neuen Wohnung ausziehen?“, fragte er.
„Wieder kalte oder aufgewärmte Bordrationen essen?“ meinte sie.
„Alarmübungen?“
„Unregelmäßige Dienstzeiten?“
„Enge Räume?“
„Wenig Freizeit?“
„In ständiger Gefahr leben?“
„Andauernder Stress?“ Hin und her warfen sie sich die Frage zu, dann glitt ein seliges Lächeln über beide Gesichter.
„Wir machen es!“ Beinahe im Chor.
„Aber, Admiral, nächste Woche ist die Abschlussfeier unserer Tochter Shaumany hier an der John Glenn Academy“, wagte Shaumauntha einen Einwand. „Da möchten wir teilnehmen. Khumunol soll ihr die Fähnrichsterne an den Kragen stecken!“
Atlan nickte. „Ich bin informiert. Aber daraus wird nichts, Leutnant Khumunol. Ich habe die Abschlusstests ihrer Tochter gesehen. Sie wird ebenfalls als Leutnant auf die VIRIBUS UNITIS gehen. Ich brauche solch reaktionsschnelle Piloten, Neuronik hin, Neuronik her. Ich möchte einige Spitzenpiloten dabei haben, und Shaumany ist ein großes Talent. Ein sehr großes sogar. Ihre Ausbildung wird unter der Versetzung nicht leiden, aber Fähnrich wird Ihre Tochter nicht. Sie haben Urlaub, Doktor, Leutnant, bis 48 Stunden nach der Feier. Die 48 Stunden bekommt auch Ihre Tochter, dann melden Sie sich alle drei auf der VIRIBUS. Hier, die Leutnantsterne für Shaumany, stecken Sie ihr doch die an. Doktor Shaumauntha, Leutnant Khumunol, ich muss weitermachen, ich habe noch einige andere Leute abzuwerben. Auf Wiedersehen an Bord der VIRIBUS, Miss May draußen gibt Ihnen noch die Unterlagen.“
Als sie wieder in das Zimmer von Miss May kamen, stand eben ein Kadett im letzten Jahr mit sorgfältig gelegtem Scheitel und blitzsauberer Uniform vor ihrem Schreibtisch.
„Kadett Anderson soll sich bei Colonel Kyle melden!“ Miss May musterte ihn kritisch von oben bis unten. Scheinbar enttäuscht, keine Beanstandungen gefunden zu haben, griff Jennifer zur Gegensprechanlage.
„Kadett Anderson, William C. ist hier, Sir. Ja, Sir. Bitte, gehen Sie hinein, Kadett!“ Shaumauntha und Khumunol standen ganz still und sahen sich in die Augen.
„Leutnant Khumunol! Wer hätte das vor einem Jahr gedacht? Jetzt bist Du Offizier“, lächelte sie ihren Mann an. „Da muss ich wohl strammstehen, wenn Du nach Hause kommst!“
Es geschah heute ein zweites Wunder, Miss May erlaubte sich eine persönliche Bemerkung. „Er wird vor Ihnen strammstehen müssen, Doktor. Sie sind als Oberarzt eingestuft, mit dem militärischen Rang eines Lieutenant-Commander. Glückwunsch Ihnen beiden, und schön stramm vor ihrer Frau stehen, Leutnant.“
*
Gopkar Sektor,
Tricky Secret
1.330 Meter lang. 400 Meter breit. 200 Meter hoch. Geformt wie eine halbierte Walze, sechs Geschütztürme mit je zwei Kanonen im Kaliber 210 Zentimeter, dutzende kleinere Strahl- und Raketenwaffen. Platz für 90 Korvetten der 60-Meter-Klasse. Wenn man die Katapulte adaptieren konnte, war es möglich, bis zu 600 Jagdmaschinen unterzubringen. Die ASO’OMIE wäre durchaus ein großer Machtfaktor, auch wenn die Triebwerke stark unterdimensioniert waren und eine Beschleunigung von höchstens 6 km/sec2 erlaubten. Falls die Starlight Enterprises über 90 bemannte Korvetten verfügt hätte und es überhaupt möglich war, sie wieder von der Planetenoberfläche in ihre eigentliche Heimat, das Weltall, zu bringen.
George Kinnuk hatte eine Fernbedienung gebastelt und angeschlossen, bisher hatte sie gut auf die Signale aus der KADESH angesprochen. Die Unterbrechungen im Stromkreis waren beseitigt, ein neuer Schirmgenerator adaptiert, die Lecks behelfsmäßig zugestopft, der zweite PPS-Meiler gestartet. Wie erwartet funktionierte er wieder, lieferte Energie für alle Systeme. Allerdings funktionierten die Lebenserhaltungs-Systeme zwar, hatten aber kein atembares Gasgemisch zur Verfügung. Selbst wenn es zu synthetisieren gewesen wäre, zu 100 % dicht war die Hülle immer noch nicht, hier bedurfte es noch längerer Arbeiten. Trotzdem wollten Angel Kleinschmid und ihr Team einen Start mit der Fernsteuerung versuchen und die ASO’OMIE nach Reggy bringen, um die Arbeit dort zu vollenden.
Bug- und heckwärts versetzt schwebten die KADESH und die KAILASH neben der ASO’OMIE auf ihren Gravitationsfeldern und verankerten ihre Traktorstrahlen. Vorsichtig verstärkte Ishi Katamuri über die Fernbedienung das schwerkraftaufhebende Feld des Basisschiffes, nach endlos scheinenden Minuten begann der Riese doch wirklich zu schweben, die Traktorstrahlen der Korvetten begannen ihr Spiel und zogen die ASO’OMIE unter der festgebackenen Düne hervor. Nun erst wagte Angel den nächsten Schritt. Auf ihr Nicken aktivierte Ishi die Triebwerke und gab minimalen Aufwärtsschub, zögernd kämpfte sich die halbe Walze mit dem rechteckigen Oberbau gegen den Zug der Gravitation von Tricky Secret höher und höher, sanft unterstützt von den Traktorstrahlen der Korvetten. Niemand wollte jetzt zu viel riskieren, lieber zehn, zwanzig, dreißig Minuten mehr opfern. Der Aufstieg schien endlos zu dauern, doch zur großen Erleichterung aller kam es zu keinen Unfällen oder gar Katastrophen. Die Triebwerke und Antigravitationsfelder arbeiteten, als kämen sie frisch aus dem Werk, gleichmäßig hoben sie den Rumpf aus Plastikmetall (oder war es Metallplastik?) immer höher, befreiten ihn von den unsichtbaren Fesseln des Planeten. Der Bug hob sich jetzt etwas schneller, die ASO’OMIE kehrte Tricky Secret das Heck zu und nahm die Haupttriebwerke in Betrieb, nahm Kurs auf das freie Weltall. Die KADESH verabschiedete sich von der KAILASH, die ihre Traktoren gelöst hatte und wieder ihren Platz neben dem Hüter ansteuerte.
Ishi Katamuri löste ihre Hände von der Fernsteuerung. „3.000 m/sec2. Mehr sollten wir im Moment nicht riskieren.“
„Mann“, jammerte Jannis. „Da hängen wir einen ganzen Tag hinter dieser lahmen Ente! Was sollen da bloß anfangen?“
„Ishi wird schon etwas einfallen“, neckte Klara Berger den jungen Griechen, das Paar errötete ein wenig.
„Stimmt eigentlich.“ Obwohl immer noch etwas rot im Gesicht, erhob sich Ishi, zog die Stäbchen aus dem Haarknoten am Hinterkopf und schüttelte ihr Haar frei. „Mir fällt tatsächlich etwas ein. Die nächsten Stunden steuert sowieso unsere Picotronik beide Schiffe, da gibt es nichts zu tun. Angel, ich melde uns für etwa acht, neun Stunden ab.“
„Diese Jugend!“ Angel musterte angestrengt die Decke der Brücke, als suche sie nach einer Erleuchtung. „Beneidenswert diese Energie!“
„Und die Ausdauer erst!“ ergänzte Klara, die neben ihr stand. Dann senkte Angel den Kopf und sah in die Runde. „Aber trotzdem eine gute Idee. Machen wir Pause, Leute. Skipper, bitte verständigen Sie uns, wenn Probleme auftreten!“ Paarweise verließ das Team die Zentrale und suchte seine Kabinen auf.
Mehr als zwanzig Stunden später, die ohne Überraschungen vergangen waren, setzte sich Ishi wieder an die Fernsteuerung. ‚Für alle Fälle‘ hatte sie gesagt, auch wenn sie bei einem Problem nicht mehr eingreifen konnte. Jetzt hatten die Rechner des Großkampfschiffes und der Korvette das Kommando. Sowohl der Computer als auch der Singularitäts-Antrieb der ASO’OMIE war nicht nur zehn, sondern fünfzig Mal untersucht und geprüft worden, das Prinzip des Überlicht-Antriebs entsprach jenem, das die Menschen von den Arkoniden übernommen hatten. Entsprechend ähnlich sah das Gerät auch aus, es war auch einfach gewesen, den tarnenden Dämpfer einzurichten. Trotzdem, die Spannung auf der Brücke der KADESH war beinahe mit den Händen zu greifen, als der Transit jetzt kurz bevor stand. Jannis Armegos stand hinter Ishi, seine Hände massierten ihre verspannten Schultern. George und Sulukon hatten sich bei den Händen genommen, die Knöchel traten weiß hervor, doch keiner schien zu bemerken, wie fest er zudrückte. Klara Berger hatte ihre Rechte auf Angels Rücken gelegt, um ihr Ruhe und Kraft zu spenden.
„Zehn!“ zählte Ishi den Countdown nach. „Fünf, vier, drei, zwo, eins, SPRING!“ Und die ASO’OMIE sprang. Von einem Sekundenbruchteil zum anderen verschwand sie durch das Kugelfeld eines Wurmlochs aus dem Einstein-Kontinuum.
„Sprung!“ Sekunden später folgte die KADESH dem Basisschiff.
„Kontakt!“ rief Ishi aufgeregt. „ASO’OMIE reagiert auf Steuerimpulse. Verzögert mit 3 km/sec2.“
„Na schön, wir sind wieder zu Hause!“ Janni lachte. „Was wohl Kumiko und Ryu sagen werden, wenn ich um Deine Hand anhalte, Ishi?“
Sie fuhr herum. „Ohne mich vorher zu fragen?“ Ishi verzog ihr Gesicht zu einer übertrieben grimmigen Mine und drohte mit dem Zeigefinger. Dann streckte sie die linke vor. „Bevor wir zu meinen – und zu deinen – Eltern gehen, fehlt da noch etwas ganz essentielles.“
Jannis griff in seine Brusttasche und brachte einen einfachen goldenen Reif zum Vorschein, den er über Ishis Ringfinger schob. „Und jetzt trau dich und sag nein!“ Ishi stand starr und betrachtete ihre Hand, unfähig, sich zu bewegen, ihre Mandelaugen weiteten sich unwillkürlich.
„Nein!“ brach es aus ihr heraus! „Ich meine Ja! Ich meine, ach – sore o kuso! Ja, ich nehme den Antrag an!“ Sie wischte eine Träne aus den Augen. „Schau, was Du mit mir machst. Du verwirrst mich total.“ Unter dem Beifall des restlichen Teams und der Brückenbesatzung besiegelte eine enge Umarmung und ein inniger Kuss die Verbindung des jungen Paares.
*
Solares System, im Orbit um Merkur
An Bord der STARDUST II
Auf dem Bildschirm war eine große, scheibenförmige Konstruktion aus dünnen Streben im stationären Orbit um den Planeten Merkur zu sehen, es schien, als hätte eine Spinne ein Netz aus Metall gewebt. An vielen Knotenpunkten der Streben waren Verdickungen zu erkennen, von denen stetig sich bewegende Lichtstrahlen ausgingen und bereits eine flache Schale erzeugt hatten. Eine Schale, die, wenn die Kugel fertig war, das unterste Deck eines 950 Meter großen Schlachtschiffes bilden sollte. Traktorstrahlen hielten die Schale in der perfekten Position, Molekül um Molekül wurde in idealer Dichte abgelagert, dicht an der Oberfläche, etwas lockerer in der Mitte einer Wand, was die Elastizität des Klarstahles erhöhte. Etwas entfernt, im gleichen Orbit, arbeitete eine Metallspinne eben an einem zweiten Netz, aber es würde noch beinahe drei Monate dauern, bis sie fertig war.
Unbewegt starrte Perry Rhodan auf die Fortschritte. „Es wird nicht schneller, auch wenn Du versuchst, die Werft zu hypnotisieren!“ Thora stand, Reginald Michael im Arm, hinter Rhodan und versuchte, ihren Mann abzulenken. Es gelang, mit einem Seufzer drehte er sich um.
„Vor drei Monaten war unser Problem die Anzahl der Schiffe. Jetzt werden wir bald genug davon haben, aber wo nehme ich die Besatzungen her. Gut, die Springer stehen zu ihren Verträgen und besonders die Überschweren sind glücklich, wieder auf einem Kampfschiff Dienst machen zu dürfen. Atlan hat sich ja schon ein paar geholt.“ Er lächelte gequält. „Natürlich die Besten. Es sei ihm vergönnt, er stellt eine gute Mischung zwischen Erfahrung und Jugend her. Trotzdem wird das Personal für die Flotte Terras – sowohl die der VN, der ITC und unserer eigenen – nicht so schnell nachwachsen, wie die Anzahl der Schiffe. Auch Hypnoschulung ersetzt weder Talent noch ausgiebiges Training. Ich habe mich mit Yoyo zusammen setzen müssen, um Drohnen zu entwerfen. Unbemannte, ferngesteuerte Schiffe. Die Piloten in relativer Sicherheit an Bord des Trägerschiffes, die sind viel, sehr viel wertvoller als das Material, das wir jetzt leicht ersetzen können. Dann hat Reg mitten in der Arbeit die Werft umprogrammiert. Unter der Zentrale liegt nun eine Fernsteuerzentrale für die Drohnen, lauter kleine, offene Cockpits mit einer Steuerung über Touchscreen. Verdammt noch einmal, der Junge ist ein halbes Genie, er musste die Arbeit der Werft nicht einmal eine Sekunde unterbrechen und hat in nicht einmal einer Stunde das Deck fertig gehabt! Mit Verkabelung und allem. Genau wie seine Mutter hochintelligent geworden ist und dazu noch zielsicher einige Genies um sich geschart hat! Sie haben in dreißig Jahren mehr Verbesserungen und neuartige Technologie entwickelt als die Arkoniden in 30.000 Jahren. Nachdem ich kein Genie bin, und Du bei aller Liebe, die ich für Dich empfinde, von dieser Genialität ebenso weit entfernt bist, woher hat unser Nachwuchs das? Es macht mich ein wenig nervös, wenn ich darüber nachdenke.“
Auf Thoras Stirn erschien eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen. „Ich weiß, dass ich nicht dumm, aber auch nicht so genial bin. Nach arkonidischen Maßstäben wohlgemerkt, nach terranischen kann man ja ganz leicht als Genie wirken, nicht wahr, Reginald? Ja, ja, ja! Natürlich kann man das!“ Sie strahlte ihren Sohn an, küsste seine Nasenspitze, wandte sich dann wieder Perry zu. „Was war denn dort, wo jetzt die Drohnenzentrale ist? Und Victoria? Eine Mutation, ausgelöst durch die Vermischung von menschlichem und arkonidischem Erbgut?“
„Die Offiziersmesse, die ist jetzt ein Deck über der Zentrale, wo die UO-Messe war. Die ist natürlich ebenfalls eine Etage weiter gerückt. Im Endeffekt hat das Zero-Grav-Polofeld dran glauben müssen. Ich denke, für jede Frau oder jeden Mann eine Einzelkabine ist wichtiger als ein Sportfeld. Und Atlans Kinder waren ziemlich intelligent, aber weit weg von dieser Genialität.“ Rhodan fuhr mit beiden Händen über das Gesicht.
„Damals gab es auch keine Naniten zur Unterstützung der Hypnoschulung!“ argumentierte Thora.
Rhodan gestikulierte hektisch. „Victoria und Reginald haben nur grundlegende Schulungen erhalten. KEINE Naniten.“
Thora erblasste ein wenig. „Keine Naniten? Stimmt, die sollten ja bei Victoria erst später zum Einsatz kommen! Und Reginald hat auch keine erhalten?“
Perry Rhodan kniff die Augen zusammen, eine tiefe Falte bildete sich zwischen den Augenbrauen. „Es war nie nötig. Der Junge hat ein eidetisches Gedächtnis, wie auch Victoria. Und einen Extrasinn. Ohne Ark Summia, ohne äußere Aktivierung.“
„Das ist Unmöglich“, fuhr Thora auf. „Niemand kann den Extrasinn ohne Aktivierung auf Arkon oder einer der Prüfungswelten erhalten! Ich kann mich zumindest an keinen Fall erinnern.“
Perry Rhodan nickte düster. „Ich kann mich erinnern, dass ES sich sehr erfreut über unsere Verbindung gezeigt hat. Damals fühlte ich mich selber wie im siebenten Himmel, weil du mich heiraten wolltest und habe nicht weiter darauf aufgepasst. Warum war es ihm wohl so wichtig, dass wir ein Kind bekommen?“ Thora hakte sich mit dem linken Arm bei ihm unter, während sie Reginald nur noch auf dem rechten hielt.
„Ob wohl Thomas und Reginald Michael und die Kinder von Marie France und Reginald…“
„Bitte? Welche Kinder?“ Perry Rhodan war fassungslos, Thora lachte laut auf.
„Sie ist hübsch und intelligent, sie sind über beide Ohren verliebt, sie sind biologisch gesund – doch ja, wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, irgendwann einmal Urgroßeltern zu werden.“
Rhodan schluckte trocken. „Colonel Campbell, Rückkehr zur Mondbasis, bitte. Urgroßopa! Teufel noch mal!“
*
Luna, Area 51
Kono Killikioauewa erwartete Rhodan wie immer, wenn er kam, an der Schleuse. Und wie immer bestand ihre Kleidung aus mehr Tätowierungen als Stoff. Eine Eigenheit, an die sich Perry Rhodan erst hatte gewöhnen müssen, ebenso Thora und vor allem Bully, der gerne und oft ihre Nähe suchte.
„Rein dienstlich selbstverständlich“, betonte Reginald Bull, nun, vielleicht zog es ihn wirklich mehr zu den Probeflügen von Neukonstruktionen.
„Die Drohne ist soweit produktionsreif, Chef. Ein starkes, einfaches Triebwerk, drei wirklich schwere Geschütze und ein Schirmgenerator. Dazu die Fernlenkeinrichtung. Danke dafür, dass Sie Nikolai Wassilewitsch den Zugang gewährt haben, er hat gut mit uns zusammen gearbeitet. Sie haben recht gehabt, er hat eine Menge aus dem Entwurf gestrichen und die Leistung verbessert. Das Ding sieht jetzt einfach aus wie drei Rohre in einer Verkleidung mit einem Kranz von winzigen Kuppeln vorne und hinten für die Steuerdüsen. 900 km/sec2, und die Biester haben eine gewaltige Durchschlags- und Feuerkraft. Aber ich wollte Ihnen noch etwas anderes zeigen, Chef.“
„Das ist er, Chef. Der GCC Manpower 20-84! Tataaa!“ Yoyo wies mit großer Gestik auf einen am Bügel hängenden, etwa 8 Millimeter dicken Overall, darüber hing ein geschlossener Raumhelm. „Am Namen müssen wir wohl noch arbeiten.“ ergänzte sie nachdenklich, als Rhodan schwieg und das sandfarbene Kleidungsstück betrachtete.
„Ist das der Infanterieanzug?“, fragte er endlich.
„Das ist er. Wollen sie nicht einmal hinein schlüpfen? Er ist frisch gereinigt, keine Sorge.“ Perry zog seine Augenbraue fragend hoch, während Thora sich mühsam ein Grinsen verkniff. Perry war eben doch noch ein typischer Amerikaner, aufgewachsen in einer prüden Umgebung, in der Nacktheit in der Öffentlichkeit mit einer gewissen Scheu betrachtet wurde. Kono reagierte, wenn auch etwas verspätet, darauf. „Oh! Ja! Verstehe! Ich warte dann draußen, bis Sie fertig sind!“
„Lach nicht“, warnte Perry Rhodan seine Frau, schälte sich aus seiner Uniform und schlüpfte in den Kampfanzug, schloss den Magnetverschluss. Dann versuchte er sich zu bewegen, es ging ohne Probleme, ohne Behinderung. Er wollte die Tür öffnen und winkte über die Photozelle, Kono Killikioauewa kam wieder in den Testraum.
„Nun?“ Sie ging um Rhodan herum.
„Ich bemerke keinen Unterschied!“ Rhodan schlug in die Luft.
„Gut! Donna, bitte kommen Sie mit hinaus, wir wollen kein Risiko eingehen. Wenn man den Anzug zum ersten Mal trägt, können schon Unfälle vorkommen.“ Rhodan blieb allein in dieser Zelle zurück und setzte noch den Helm auf, Kono meldete sich über die Sprechanlage.
„Wir haben jetzt die Kamera aktiviert, Chef. Schalten Sie den Anzug ein, Gürtelplatte öffnen und Knopf drücken!“ Perry folgte dieser Anweisung und fühlte – nichts besonderes. „Nehmen Sie den Tornister auf und legen Sie in an. Fühlen Sie etwas?“
Rhodan rollte die Schultern. „Ein wenig – steif, vor allem in den Schultern und dem Rücken! Ein leichter Druck am Knie- und am Sprunggelenk.” Er versuchte, den Rücken zu krümmen. „Sehr steif im Rücken!“
„Das sind die automatischen Verstärkungen, sie können auf Dauer keine 600 Kilogramm auf dem Rücken tragen, ohne die Wirbelsäule zu schädigen, ebenso ist es mit den Schultern und Beine. Bei Bedarf versteifen sich verschiedene Stellen und bilden so etwas wie ein Exoskelett, damit die Knochen und Knöchel nicht brechen, wenn Sie zuschlagen oder schwer heben. Nur zu, toben Sie sich an der Metallplatte aus!“ Rhodan nahm Maß und schlug zu. In den Finger- und dem Handgelenk verspürte er einen leisen Druck, doch nichts von der Wucht seines Schlages, der eine Stahlplatte von beeindruckender Dicke eingedellt hatte. „Der Anzug verstärkt Ihre Kraft auf das rund zwanzigfache Ihrer normalen Leistung, bleibt aber trotzdem geschmeidig. Außer sie schlagen zu oder haben eine gefährlich hohe Belastung, dann verhärtet sich die Faser vorübergehend. Man sollte nur besser die Lasten ablegen, ehe man ihn ausschaltet. Es könnte sonst sehr, sehr schmerzhaft werden. Tasten sie jetzt einmal vorsichtig über den Helm. Vorsichtig habe ich gesagt!“ In Rhodans Helm klang es wie in einer Glocke, als seine Hand mit Wucht am Helm landete. Sehr viel langsamer tastete er über die Seite seines Helms. „Wenn sie dieses Visier herunterklappen, aktivieren Sie die Augensteuerung des HUDs. Ein Icon fixieren, erst mit dem rechten, dann mit linken Auge so schnell wie möglich hintereinander blinzeln. Versuchen sie es mit der Skala. Sie sollten jetzt die aktuelle Entfernung zur Wand angezeigt bekommen.“
Perry versuchte es. „Hab ich!“
„Gut.“ freute sich Killikioauewa. „Nehmen sie jetzt die Waffe aus dem Ständer und aktivieren Sie das Ding. Keine Sorge, mehr als ein optischer Laser ist nicht eingebaut.“ Während Rhodan die zweihändige Waffe aufnahm, glitt eine Wand nach oben und enthüllte einen Schießstand. „Schauen sie auf das Fadenkreuz oben im HUD und blinzeln Sie wieder. Bewegen Sie die Waffe, bemerken Sie, wie sich das Fadenkreuz bewegt? Wenn Sie im Ziel sind, wie gewohnt feuern! Hm! Also da werden Sie noch üben müssen, Chef. Ein Achter auf der Zehnerscheibe ist nicht berühmt!“ Kono lachte leise. „Keine Sorge, für das erste Mal war’s nicht übel. Im Übrigen halten sie jetzt eine Waffe in der Hand, die einem schweren Kampfroboter zur Ehre gereichen würde. So vom Gewicht her. Im Moment natürlich noch totes Gewicht, für die Tests.“ Rhodan hob und senkte die Waffe, riss sie möglichst schnell in Hüftanschlag, drehte eine halbe Pirouette und ging wieder in Schussposition.
„Ich fühle nichts vom Gewicht. Wie gesagt, ein wenig steif, aber sonst gut!“ Konos erleichtertes Schnaufen war über Sprechanlage gut zu hören. „Wir kommen gleich hinüber, sie können sich einstweilen wieder umziehen.“
Der Anzug hing wieder an seinem Bügel, als Kono Killikioauewa mit Thora wieder zurück kam. „Drei Wochen Atemluft, Wasser, Energie und Nahrungskonzentrate. Ein wirklich starker Schutzschirm, dank Angelpower. Bei guter Rationierung kann man die drei Wochen vielleicht auf vier ausdehnen. In absolut lebensfeindlicher Umgebung. Völlig autark“, erklärte die Leiterin von Area 51. „Lustig ist es allerdings nicht. Wenn Sie nach den drei oder gar vier Wochen aus dem Anzug steigen, werden ihre Mitarbeiter einen riesigen Bogen um Sie machen. Die sanitären Anlagen funktionieren – aber die Qualität der Starlight-Modelle haben wir noch lange nicht erreicht. Auch Schwitzen und das damit verbundene Jucken haben wir ein wenig erleichtern, aber nicht völlig beseitigen können. Ich muss einen mehr als unangenehmen Geruch am Ende einer längeren Mission eingestehen. Ich würde empfehlen, vom Landeschiff in eine Kabine, Anzug ausziehen, fallen lassen und sofort unter die Dusche. Während man unter der Dusche steht, wird der Anzug zuerst geöffnet dem Vakuum ausgesetzt und danach innen chemisch gereinigt, ehe man ihn wieder benutzt. Damit sich der Geruch nicht im Schiff verteilt, meine ich. Mein Rat ist, nicht unter 30 Minuten unter der Dusche zu verbringen. Glauben Sie mir, ein Skunk ist nichts gegen das Odeur nach drei Wochen absoluter Abgeschlossenheit in dem Ding! Ich hab es probiert, im Selbstversuch, drei Wochen. Und ich hatte keinen Stress durch Gefechtssituationen und produzierte daher viel weniger Adrenalin. Der Gestank – nein, ich möchte nicht mehr darüber sprechen. Aber man bleibt einsatzfähig und am Leben, also muss den üblen Geruch halt in Kauf zu nehmen!“
*
Am Rand von M 13, miridanische Föderation
Amhan Dest, der Admiral der ‚linken Flanke‘ der miridanischen Raumflotte schwang seine vier langen Schreitbeine über die Liegefläche, legte seinen ein Meter langen Oberkörper auf die Lehne der Admiralsliege und entspannte sich zumindest körperlich. Seine Facettenaugen mussten sich nicht bewegen, als er den Kapitän seines Flaggschiffes, der CHO’ROMO, fokussierte. Der Kommandant musste seine Augen genau so wenig bewegen, er bemerkte die Ankunft seines Vorgesetzten sofort und legte für einen kleinen Moment die kurzen Fühler zum Gruß an den Vorgesetzten eng an den Kopf, der Admiral erwiderte den Salut auf gleiche Weise. Seine Stummelflügel vibrierten kurz, als der Admiral zu sprechen begann, ein implantierter Vocoder übersetzte die Muskelschwingungen ins miridanische Arkonidisch, obwohl die gesamte Besatzung der CHO’ROMO aus Hexapoden mit Chitinpanzer bestand. Ein Mensch der Erde hätte beim Anblick dieser Wesen an Mantidae gedacht. An Fangschrecken, genauer, an eine Gottesanbeterin, deren Arme in beinahe menschlich aussehenden, aber mit nur vier Fingern ausgestatteten Händen mündeten.
„Rapport!“ verlangte Dest, und Kapitän Ophis Mong gab seinem Vorgesetzten einen Überblick, berichtete über den Zustand der Schiffe und der Mannschaften. Die Fühler des Admirals brachten seine Zufriedenheit mit der Meldung zum Ausdruck.
*
Die Miridanische Föderation bestand aus zwanzig Sauerstoffplaneten mit genügend Wasser und einigen Kuppelstädten auf Monden und Asteroiden in anderen Systemen, wo zwar keine Planeten mit gutem Sauerstoffvorkommen oder genügend Wasser, dafür reiche Rohstoffquellen zu finden waren. Gegründet wurden die Kolonien bereits in den Anfangszeiten des Kristallimperiums, zu einer Zeit, da die Insektenabkömmlinge, die originalen Miridaner, bereits eine ziemlich hohe Intelligenz erreicht hatten und ihre Instinkte erfolgreich kanalisierten. Schon lange wurden die männlichen Miridaner nicht mehr nach dem Geschlechtsakt gefressen, es entwickelte sich sogar ein soziales System mit Partnerschaften, in denen Brutpflege und die Versorgung alter und kranker Artgenossen geregelt wurden. Eine große Leistung für vorher einzeln jagende Insekten, zum Staunen der Miridaner selbst wuchsen die Männer nun zur gleichen Größe wie die Frauen heran, nur eben langsamer.
Dann kamen die Arkoniden. Es kannten keine Vorurteile gegenüber intelligenten Insekten oder Reptilien. Für sie war jeder, der nicht von Arkon I oder zumindest II kam, gleich minderwertig. Auch andere arkonoide Lebensformen. Die Miridaner waren intelligent, hatten aber beim Eintreffen der Arkoniden gerade erst begonnen, ihr eigenes Planetensystem zu erforschen. Beide Monde von Miridan II waren erfolgreich besucht worden, eine Basis auf dem größeren Mond war bereits besiedelt, eine Expedition zum dritten Planeten in Vorbereitung. Dank ihrer Intelligenz war den Miridanern bewusst, dass sie gegen die Kriegsmaschinerie der technisch weit überlegenen Arkoniden nicht die geringste Chance auf ein Überleben gehabt hätten, sie unterwarfen sich zwar mit mahlenden Mandibeln, aber sie unterwarfen sich. Ihrer Erfahrung nach war jedes Reich einmal zum Untergang verurteilt, irgendwann wäre auch das arkonidische am Ende, vielleicht gäbe es dann wieder Freiheit für Miridan.
Der Planet gab dem gesamten Sektor seinen Namen, die 19 umliegenden Sauerstoffplaneten wurden okkupiert und mit Arkoniden besiedelt, mit wenigen Adeligen, wesentlich mehr Soldaten und vielen Zwangsaussiedlern aus den Armenvierteln von Arkon II, teilweise verurteilten Kleinkriminellen. Man könnte beinahe sagen, Miridan war das Australien Arkons. Die Miridaner selber lebten ihr Leben im großen und ganzen unbehelligt weiter, zahlten ihre Abgaben, erwiesen dem planetaren Administrator die verlangte Huldigung und hatten sonst zumeist ihre Ruhe.
Während des Krieges gegen die Methaner wurde unter der Herrschaft von Orbanaschol III auf einem der an Rohstoffen reichen, aber sonst lebensfeindlichen Planeten eines Sterns der Spektralklasse K, der etwas näher dem Zentrum der Milchstraße als der Miridansektor lag, eine geheime Raumschiffwerft gebaut, sozusagen ein kleines Arkon III. Auf diesen Posten wurden unangenehme Offiziere und Soldaten abgeschoben, welche die Zwangsarbeiter aus den politischen Lagern überwachen sollten. Nach dem Sturz des Usurpators wollte niemand mehr etwas von den Umtrieben Orbanaschols gewusst haben, die wenigen Mitwisser schwiegen. Die Station wurde nicht mehr angeflogen und versorgt, es gab sie nicht, es hatte sie nie gegeben. Die Infanteristen versuchten mit Hilfe inhaftierter gonozalistischer Flottenoffiziere irgendwann einige Schiffe, die auf Veloz IV produziert wurden, startklar zu machen und zu entkommen. Ihr Verbleib und jener der Schiffe ist unklar, man hat nie wieder etwas von ihnen gehört.
Nach Orbanaschols Ende wurde das Leben im Sektor wieder ein wenig einfacher. Aber wie es immer geschah, für die ‚reinen’ Arkoniden von Arkon I waren die miridanischen Adeligen bald der gleiche Abschaum wie der Rest der Miridaner, wie nun auch die arkonoiden Bewohner des Sektors genannt wurden. Diese wurden im Laufe der Generationen kleiner und bulliger, die Haut dunkler und eher rötlich als braun, die Haarfarbe unberechenbar, allerdings behielt das Haar einen leichten silbrigen Schimmer auch im tiefsten Schwarz. In der Zeit, in der die Dekadenz im Kristallimperium um sich griff, wuchsen die Bewohner des Miridansektors zusammen. Die sechsbeinigen Insekten und die vierbeinigen Säuger wurden zu echten und gleichberechtigten Partnern, teilten sich die Aufgaben und lösten gemeinsam Probleme. Auf den Straßen im gesamten Sektor erregten die zwei Meter langen, hochbeinigen Mantidae schon lange kein Aufsehen mehr, man hatte sich an sie gewöhnt.
Schürfer stolperten über die geheime Flotte des Orbanaschol, als sie neue Rohstoffe suchten. Wegen fehlender Rohstoffe hatte die Werft die Produktion eingestellt und alles ‚eingemottet‘, wie es die Programmierung der Nanotronik vorsah. Dem Sektor standen nun etwa 5.000 Kriegsschiffe, davon 1.200 Schlachtschiffe mit rund 800 Metern Durchmesser aus der Zeit Orbanaschols zur Verfügung. Die äquatorialen Ringwülste der Triebwerke waren etwas schmäler als die der modernen Schiffe, aber in Kampfkraft standen sie hinter moderneren Schiffen nicht viel zurück. Es war keine große Flotte für ein riesiges Imperium, dennoch aber eine starke Macht. Die Selbstverwaltung beschloss, die Vertreter Arkons nicht zu informieren und statt dessen eigene Besatzungen auszubilden. Nach einigen hundert Jahren der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und sogar Lokalen mit gemischter Einrichtung mussten die Miridaner einsehen, dass dieses Miteinander teilweise unpraktisch wurde. Sie waren gezwungen, einen Teil der Schiffe komplett für die Hexapoden umzurüsten, denn es machte wenig Sinn, vor den Instrumenten Sitze und Liegen einzubauen. Gemischte Flotten ja, gemischte Schiffe, leider nein.
Lange Zeit hatten die Miridaner darauf gewartet, frei von einem diktatorischen Imperium zu werden, deren Vertreter selbst in den besten Zeiten nur hochnäsig auf den ‚miridanischen Pöbel‘ herabsahen. Nun war das Ziel zum ersten Mal in erreichbare Nähe gerückt. Immer schwächere Arkoniden, besser ausgebildete Mannschaften für die 5000 Schiffe, die in sechs Flotten aufgeteilt wurden. Die ‚vordere Flanke’ in Richtung Arkon. Die ‚hintere Flanke’, die ‚linke’, ‚rechte’, ‚obere’ und ‚untere’. Miridaner hatten Geduld gelernt. Viel Geduld. Nun hatten sie es riskiert und sich als frei und unabhängig erklärt, die Administratoren mit ihren Schiffen nach Hause geschickt und die Drohung von Arkon III ignoriert. Ein erster Überfall einer arkonidischen Flotte hatte sie vorsichtiger gemacht. Das Imperium sprach nicht mehr, warnte kein zweites Mal, es schlug sofort hart und unbarmherzig zu. Dieser erste Schlag wurde mit schweren eigenen Verlusten abgewehrt, man hatte eine bittere Lektion daraus zu lernen. Miridan musste erkennen, dass die Unabhängigkeit schwerer zu erhalten als zu erklären war, es würde ein harter und langer Krieg werden. Zum Glück war die automatische Werft auf Veloz IV immer noch einsatzbereit und wartete nur auf Rohstoffe. Die Miridaner schafften Material heran und warfen die Kriegsmaschine Orbanaschols erneut an.
Und sie erhielten Unterstützung von unerwarteter Seite. Vor einiger Zeit waren Expeditionen der Miridaner, welche nach neuen Welten und Rohstoffen suchten, auf die Chrk’Ochkror, eine Spezies aufrecht gehender Reptilien, gestoßen. Im Vergleich zu den Miridanern suchten diese noch heißere und vor allem feuchtere Planeten, man beschloss, sich respektvoll aus dem Weg zu gehen und seine Claims lieber friedlich abzustecken. Die Kristallwelt erfuhr davon vorerst nichts, denn Arkon musste nicht alles wissen, was bei den Miridanern so alles passierte. Die Chrk’Ochkror hingegen wussten über Arkon nur zu gut Bescheid und beschlossen, ihre Unabhängigkeit lieber jetzt schon zu verteidigen, solange sie noch Partner in ihren Bemühungen besaßen und schickten ihre Flotten zu Hilfe.
Die ‚linke Flanke‘ des Admirals Amhan Dest umfasste 150 Schlachtschiffe und 450 überschwere Kreuzer mit 400 Metern Durchmesser, aufgeteilt in drei Flotten. Dem Admiral war das Fehlen leichter und schneller Einheiten schmerzhaft bewusst. Aber die Werft Orbanaschols hatte eben nur die schweren Schiffe produziert, damit musste er jetzt leben. Derzeit waren seine drei Flotten – die weiße, die grüne und die braune – gut versteckt im stellaren Ortungsschatten dreier strategisch wichtiger Systeme, in einem vierten, nicht weniger wichtigen, wartete eine Flotte der Chrk’Ochkror, Codefarbe rot. Anstelle der fehlenden Aufklärungseinheiten musste der Admiral eben mit Prospektorensonden arbeiten, nun, die Erschütterungen des Kontinuums durch eine Flotte, die aus dem Wurmloch kam, konnten auch diesen billigen Geräten nicht entgehen. Der Admiral hatte seit einiger Zeit befohlen, trotz Alarmbereitschaft immer eine Schicht mit Medikamenten ruhig zu stellen. Er benötigte ausgeruhte Mannschaften, und das ging eben nur mit der chemischen Keule. Wer hätte denn sonst in dieser Situation ruhig schlafen können? Auch hatte er zwei Vertreter für sich selbst ernannt und dann regelmäßig Ruhe gesucht, eben jetzt hatte er einen Vertreter zur Ruhe befohlen. Die miridanische linke Flanke wartete gefechtsklar auf die arkonidischen Schiffe.
„TRANSIT, TRANSIT, TRANSIT!“ Über den Vocoder unter seiner Haut, der durch die Muskeln der ansonst verkümmerten Flügel gesteuert wurde, rief der Radaroffizier seine Meldung. „400 gemischte Einheiten! Transpondercode arkonidisch!“ Amhan richtete seinen Oberkörper auf, seine Fühler waren steil aufgestellt.
„Bereitmachen! Zeit für alle Flotten, Zielstern weiß, Programm initiieren, Zeit läuft ab – JETZT!“ Der Befehl ging mit Richtspruch an alle Flotten, auf allen Schiffen der linken Flanke wurden entsprechend Knöpfe gedrückt, ein vorprogrammierter Zeitplan lief ab. Die rote, grüne und die braune Flotte beschleunigten, gleichzeitig würden sie aus dem Transit kommen und sich aus drei Richtungen synchron auf den Feind stürzen. Die Koordinaten würden noch in der letzten Minute angeglichen, um möglichst nahe dem Feind zu kommen und sofort feuern zu können. Sie sollten nicht verzögern, sondern mit voller Eintauchfahrt weiterfliegen und so schnell wir nur irgend möglich nach dem Feuerüberfall wieder in einer Singularität verschwinden, anderswo auf neue Koordinaten von den Ortern der weißen Flotte warten und das Spiel auf Kommando synchron wiederholen. Die Zeit bestimmte ein organisches Wesen, unberechenbar selbst für die besten Neuroniken.
Die Kooperation der Flotten funktionierte hervorragend. Praktisch gleichzeitig brachen 100 Schlachtschiffe, 300 schwere Kreuzer und die 400 Walzen mit elliptischem Querschnitt aus dem Hyperraum, eröffneten synchron das Feuer und verschwanden bereits wieder, noch ehe die einfach lichtschnellen Energieimpulse in die Schirme der Arkonflotte schlugen. Viele der leichteren Schiffe und auch 24 der Schlachtschiffe des Neurogenten vergingen im Glutorkan des plötzlichen Feuerschlags, als ihre Schutzschirme nachgaben und die Energien den Rumpf durchschlugen. Bei diesem perfekt abgestimmten und vorprogrammierten Blitzüberfall reagierten selbst die Neuroniken der arkonidischen Schiffe zu langsam, um das Feuer wirkungsvoll zu erwidern. Ihre Energiestrahlen gingen ins Vakuum, die Angreifer waren bereits wieder transitiert. Eine Neuronik mochte ‚intelligenter‘ als eine Nanotronik sein, doch sie war auch langsamer. Eine Nanotronik kennt nur ja oder nein, sie berechnet keine 500 verschiedene Vielleichts. Und eine Nanotronik folgte einfach einem Programm, ohne zu überlegen. Das macht die einfacheren Rechner um winzige, aber manchmal eben doch entscheidende Sekundenbruchteile schneller. Ein kleiner, aber ein Vorteil für Miridan.
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August 2084
Reggys System
Neben der HEPHAISTOS lag der neueste Zuwachs der Flotte Starlights, ein Schwesterschiff der VIRIBUS UNITIS. Im typischen Rauchblau gehalten, verziert vom Portrait einer mediterranen Schönheit mit Ringellöckchen um die Schläfen, die Haare zu einer komplizierten Frisur geflochten. Über einem ebenso großzügigen wie wohl gefüllten Ausschnitt lächelte ‚la bella Giulia‘ den Betrachter mit glänzenden Augen und feucht schimmernden Lippen sinnlich an. Wie es eigentlich bei jedem Portrait der Fall war, das auf einem Starlightschiff zu sehen war, ein Markenzeichen. Der Name des Schiffes lautete GIULIA FARNESE, nach der berühmten Maitresse des Borgia-Papstes Alexander VI. Die Besatzung wurde von der KLEOPATRA übernommen und aufgestockt, Ghoma begann sofort mit den Übungen und drillte ihre Besatzung auf dem neuen Schiff unbarmherzig. Die Leistungen mussten genau so perfekt werden, wie sie es an Bord des kleineren Schiffes gewesen waren. Auch die GIULIA FARNESE hatte eine Drohnenzentrale erhalten, ihre unbemannten Kampfjets glichen denen der GCC und wurden in rauen Mengen produziert. Reginald Starlight hatte die Neuerungen sofort seiner Mutter durchgegeben und Ishi Katamuri die Programmierung der Werft übernommen. Auch Starlight Enterprises kam mit der in-Dienst-Stellung der neuen Schiffe an die Grenze ihrer gut ausgebildeten Personaldecke, diese wurde kritisch ausgedünnt. Fernlenkung war da eine gute Alternative. Gute Besatzungen wuchsen nun mal leider nicht auf Bäumen, auch nicht mit Hypnoschulung.
Die Gonzales und die Sturmoviks waren mit der neuen Angelpower ausgerüstet und auf je 150 aufgestockt worden, 20 nagelneue Patrouillenboote warteten in den Hangars auf ihren Einsatz und aus den sechs Korvetten der KLEOPATRA waren acht geworden. Alle mit den neuen Generatoren und daher sehr viel Energiereserven ausgestattet. Trotzdem, die Sorgen Victoria Rosheen Rhodans wurden nicht kleiner. Das teuerste an einem Kriegsschiff war nicht unbedingt der Bau, obwohl schon der Unsummen verschlang, es war der Unterhalt eines unproduktiven Gegenstandes, den man trotzdem benötigte. Reparaturen, Überholungen, Modernisierungen, dazu noch die Mannschaften und deren Bedürfnisse, alles, nur um ein klein wenig mehr Sicherheit zu haben. Allein die Jagdpiloten der drei Schichten machten nun, mit den Drohnenpiloten, über tausend Mann aus. Nochmals 240 Mann für die Korvetten als absolutes Minimum. Insgesamt waren mit Wissenschaftlern, Technikern, Köchen und allem drum und dran etwas mehr als 1.200 Personen an Bord. Trotz Neuronik und Automatisierung. Wenig im Vergleich zu den Flugzeugträgern um die Jahrtausendwende, aber immer noch eine Menge Personal, mehr als die Hälfte musste eine hervorragende Ausbildung als Raumfahrer haben. Und Geld war hier nicht das größte Problem, aber woher schnell ein paar tausend halbwegs ausgebildete Piloten hernehmen. Trotzdem war das nächste Schiff bereits in der Werft, die MARIE JEAN DU BARRY. Für den Anfang musste sich der Kommandant der DU BARRY eben ausschließlich mit Drohnen behelfen, ebenso wie jener der ASO’OMIE. Endlich war das Basisschiff dicht und mit Luft gefüllt, eigentlich einsatzbereit, doch Victoria hatte Umbaupläne. „Mir gefällt es nicht, dass vier Leute sich ein Zimmer teilen sollen“, hatte sie bei einer Besprechung moniert. „Und die Nasszellen am Ende des Ganges sind mir auch ein Dorn im Auge! Das ist ja prähistorisch!“ Also waren zwei längliche Erweiterungen mittschiffs entworfen worden, die nun angebaut werden sollten. Von diesen waren außenbords einige Lifte auf die Abdeckung des ‚Flugdecks‘ geplant, um dort drei Kuppeln aufzubauen. Gelände für Freizeitaktivitäten war geplant, bessere Quartiere und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung waren Victoria Rosheen sehr wichtig.
Victoria bat die Spielergemeinde der HEPHAISTOS um Hilfe, die es gewohnt war, über einen Bildschirm eine Jagdmaschine gegen einen Feind zu fliegen. Die Spieler sollten sich im Alarmfall in der neu eingerichteten Drohnenzentrale der Station einfinden und aus ihrem Spiel ernst machen. Dafür durften sie im Schichtbetrieb allein oder in Gruppen in eben jener Zentrale nach Herzenslust zocken. Training für den Ernstfall und Spaß für die Gemeinde gleichzeitig. Ein kompliziertes Punktesystem machte daraus einen sportlichen Wettkampf mit Medaillen und sogar einem Preisgeld am Ende des Jahres.
Zum Glück für die Starlight Enterprises erschloss sich nun ein neuer Markt. Springerpatriarchen aller Sippen, auch der Überschweren, bestellten die Sprungdämpfer, sie wollten verständlicherweise von der arkonidischen Neuronik nicht bei jedem Sprung geortet werden. Bei der lückenhaften Raumüberwachung der dekadenten Arkoniden war dieser Dämpfer eine Spielerei für Reiche gewesen, jetzt wollte plötzlich jeder einen. Auch jene Energiegeneratoren, wie sie noch vor kurzem von Hemghat und in der KLEOPATRA benützt wurden, warf Tana Starlight auf den Markt und konnte die Nachfrage kaum bewältigen. Ihre Kassen füllten sich erfreulich rasch. Hemghat erhielt für seine Schiffe selbstverständlich Angelpower, aber in eigenem Interesse schwieg er über diese Neuerung.
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Solares System,
An Bord der VIRIBUS UNITIS.
Donnernd hallten die eiligen Schritte einer kleinen, aber breiten Gestalt mit grüner Haut und wippendem kuperfarbenem Zopf durch die Gänge der VIRIBUS UNITIS. Shaumany war nicht zu Unrecht stolz, zu den 91 Kadetten zu gehören, die Admiral of Space, der legendäre Arkonide Atlan, persönlich an der Academy angesprochen und ihnen einen Platz auf der VIRIBUS angeboten hatte. So trug sie jetzt die olivgrüne Uniform mit blauen Schulterklappen, wie sie von den Vereinten Nationen eingeführt worden war. Die einzelnen goldenen Sterne auf den Stoffabzeichen, die über die Klappen gezogen waren, zeigten ihren Rang als Offizier, als Leutnant.
Der Skipper, Captain Jesse O’Connel aus Dublin, hatte seine eigenen Ansichten über die jungen Lieutenants, die frisch von der Academy an Bord gekommen waren. Sie mussten erst beweisen, das Zeug zum Offizier zu haben, bisher war alles nur Kinderkram gewesen. Seine XO, Commander Mireille Boullanger aus La Rochelle, teilte diese Meinung, beide kamen von der Home Fleet. Captain Jesse O’Connel war ein schlanker, drahtiger Mann, mittelgroß und unauffällig, das rote Haar straff zurück gekämmt. Bevor er das Kommando über das Flaggschiff der VN übernommen hatte, diente er im Rang eines Captain als Kommandant des Schlachtschiffes GCC ALAN SHEPARD und hatte dort schon seine Mannschaft zu Höchstleistungen heraus gefordert. Den Rekord bei Alarmübungen von DefCon 1 auf 5 hielt eine seiner Schichten. Commander Mireille Boullanger kam vom schweren Kreuzer GCC EUROPA, war schwarzhaarig, durchtrainiert, fit und hatte eine prominentes, großes Kinn. Man sagt solchen Menschen großes Durchsetzungsvermögen und eine gewisse Sturheit nach, beides traf auf Madame Boullanger durchaus zu. Und weil der Skipper und seine XO noch nicht zufrieden waren, rannten vor allem die jungen Offiziere durch das Schiff, im offiziellen Jargon wurde es ‚Orientierungslauf‘ genannt. ‚Suchen Sie so schnell wie möglich diese oder jene Station auf und melden Sie sich von dort.‘ Shaumany machte das nicht viel aus, sie war sportlich, stark und ausdauernd. Außerdem war sie selbst der Meinung, jeden Winkel des Schiffes kennen lernen zu müssen, sie streifte in ihrer Freizeit gerne durch die Decks.
Feiertag war für sie allerdings, wenn sie an die Kontrollen durfte und das Schiff durch das Sonnensystem steuerte, Übungsflüge waren für sie einfach ein wahrgewordener Traum. Sogar Captain O’Connel musste ihr Talent und ihre Fähigkeiten anerkennen. Was ihn nicht davon abhielt, sie weiter auf die Orientierungsläufe zu schicken. Shaumany beschleunigte noch einmal ihren Lauf auf der letzten Gerade und schlug mit der Hand auf das Intercom.
„Shaumany, Station 397, auf Posten!“
„Bestätige!“ Die Stimme der XO klang sanft, doch wer sie kennenlernte, wusste, wie hart die Commander sein konnte, wenn es nötig wurde. „Kommen Sie zurück, Lieutenant. Langsamer Schritt!“
„Aye, Ma’am. Zurück, langsamer Schritt“, bestätigte die junge Frau und schaltete die Gegensprechanlage wieder aus. Dann war nur noch das Geräusch sich eilig entfernender Schritte zu höre. Langsamer Schritt, nein, das kam für Shaumany nicht Frage. Sie musste sich und allen anderen beweisen, dass sie es ernst meinte. Mitten im laufen hörte sie das Gellen der Alarmsirenen. Grinsend legte sie einen Spurt ein, raste in Rekordzeit zur Brücke und sprang in den Sessel des Copiloten.
„Reife Leistung!“ Der erste Pilot Lieutenant Commander Jeffrey Cord aus Reno, Nevada, grinste kurz zu ihr herüber. Vorher war er an Bord der NEIL ARMSTRONG zweiter Pilot gewesen, nun war es an ihm, sich zu beweisen. Und das tat er. Selbst Mireille erlaubte sich ein kurzes Nicken in Shaumanys Richtung, ehe sie daran ging, die Leistung und die Zeiten einiger Stationen mit wenig netten Worten zu bewerten. Die Mannschaft war noch weit davon entfernt, als Team perfekt aufeinander eingespielt zu sein.
Commander Inéz Peres saß derweilen entspannt auf der Admiralsempore. Seit einiger Zeit hatte sie nur noch beratende Funktion, Mireille Boullanger hatte ihren Platz als Executive Officer eingenommen. Ihr Blick schweifte durch die Zentrale der VIRIBUS, blieb an Lieutenant Commander Ma Yung Tse hängen. Der zart wirkende Chinese aus Kanton war mit einem Geschwader von 100 Feuerdrachen als erster Flightboss an Bord der VIRIBUS gekommen, seine Stellvertreterin Lieutenant Diana Norman aus Albuquerque, New Mexiko hatte 100 amerikanische Luft-Raumabfangjäger vom Typ F 52 Foxhound mitgebracht.
Die USA hatten sich nach ihrem Sieg im Weltraumrennen zum Mars weitgehend von der Eroberung des Weltalls zurück gezogen und beteiligten sich lieber zu 15 Prozent an der ITC. Als China mit dem Feuerdrachen einen eigenen Luft-Raumjäger baute, fühlten sich die Vereinigten Staaten allerdings gezwungen, es ihnen gleich zu tun. Das Ergebnis war die Foxhound. Böse Zungen behaupten, man hätte einer Blackbird einfach Impulstriebwerke und einen Feldantrieb für die Atmosphäre verpasst, und optisch erinnerte das Fluggerät tatsächlich an das legendäre Spionageflugzeug. Allerdings war es mit 29 Metern Länge vier Meter kleiner, die Triebwerke saßen näher am etwas breiteren Rumpf und die Foxhound war bewaffnet. Ein schwerer Thermostrahler und ein Desintegrator sorgten für die Feuerkraft, die Beschleunigung betrug immerhin 760 km/sec2, ein leichter, aber bissiger Abfangjäger.
Das dritte Fluggeschwader kam aus dem Vereinigten Königreich. Großbritannien hatte etwas gezögert, aber letztendlich doch auch einen Sprung in den Weltraum gemacht. Der Saturn war das erklärtes Ziel, besser gesagt, die Monde dieses Gasriesen. Natürlich beteiligte sich das Commonwealth auch an der Ausbeutung der Asteroiden, aber die Ringe des Saturn – seine Majestät, Artus II hatte seiner Tochter, der späteren Queen Margaret Diana, ein kleines Schlösschen mit Garten unter einer sicheren Kuppel aus Klarstahl auf Rhea gebaut, weil sie immer davon schwärmte. Unweit dieser Anlage war ein großer Hotelkomplex entstanden, denn wenn die Prinzessin etwas für gut befindet – very british indeed. Das 35. königliche Kampfgeschwader, the royal scarlet roses, flog die überschweren Jagdbomber vom Typ Spitfire II. Nur 650 km/sec2 Beschleunigung, dafür die schwerste Bewaffnung unter den Jägern. Mit den sechs Thermostrahlern in den Stummelflügeln und den zwei Impulskanonen im Rumpf waren sie ernst zu nehmende Gegner. Alle dreihundert Maschinen wurden in fliegender Eile auf neue, verbesserte Generatoren umgerüstet, die Schilde verstärkt und die Feuerkraft noch erhöht.
Der Blick von Commander Peres schweifte weiter, über die Kontrollstelle der Korvettendecks. Hatte für ihre eigene Flotte Tana Starlight nur 8 Korvetten an Bord vorgesehen, verfügte die VIRIBUS UNITIS über 16 dieser schnellen kugelförmigen Schiffe, die immerhin eine Beschleunigung von 580 km/sec2 erreichen konnten. Die neuen mit PPS-Meilern und immerhin 18 Waffenkuppeln, auf zwei Decks und im Ringwulst verteilt, dazu einem Polturm mit schweren Geschützen ausgerüsteten Schiffe waren als Gegner durchaus auch eine Gefahr für die schweren Kreuzer des Kristallimperiums. Mit dieser Ausrüstung im Verein mit den 215 Geschützkuppeln war das Flaggschiff der Vereinten Nationen das derzeit stärkste Schiff im bekannten Teil des Universums. Inéz Blick ging weiter zu der Ortung.
Die Ortungszentrale war eine abgeschlossene Welt für sich, ein Teil des Schiffes, der auf keine Alarmmeldung mehr reagieren musste. Denn hier herrschte beständig Alarm, daher waren alle Stationen auch immer dreifach besetzt, damit das Personal zwischendurch reihum ein wenig entspannen konnte. Stetige Aufmerksamkeit und permanente Konzentration konnte zu Abstumpfung und Nachlässigkeit führen, gerade das durfte hier aber nie geschehen. Man konnte vom Kommandodeck zwar jederzeit zu den Ortern hineinsehen, diese aber waren von den anderen Stationen akustisch und optisch getrennt. Auch das Kommunikationspult war durch tranparente Wände vom Rest der Zentrale abgetrennt, die ständigen Übertragungen hätten sonst vielleicht für Ablenkung sorgen können. Pausenlos hörten hier Spezialisten die Hyperwellenverbindungen der Umgebung ab, ob irgendwie etwas Signifikantes gesprochen wurde. Die Rechner der Codeknacker arbeiteten ebenso rund um die Uhr wie jene der Ortungstechniker, manchmal erfuhr man schon durch die Art des verwendeten Codes wertvolle Informationen, selbst wenn der Code noch nicht geknackt war. Im Vergleich dazu war die wissenschaftliche Station ruhig und bescheiden, die VIRIBUS würde nie als Explorer dienen, einen solchen allenfalls beschützen.
Commander Peres nickte zufrieden. Bald würde sie wieder unterwegs zur HEPHAISTOS sein. Die DU BARRY benötigte einen XO, und Inéz war durchaus nicht abgeneigt, den Job zu übernehmen. Marteen van der Molenford war schon abgeflogen, er wollte die Baufortschritte an ‚seinem‘ Schiff sehen. Nun, sie waren ein gutes Team, die MARIE JEAN DU BARRY würde ein tolles Schiff werden. Die Zukunft sah für Inéz gut aus. Wenn dann die Überführungsmannschaft ebenfalls wieder zu Hause angekommen war, konnte die DU BARRY ihren Dienst aufnehmen.
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Gopkar Sektor,
First,
New Saint Louis
Kenny Malard sah aus dem Fenster des Hauses, in dem er wohnte, direkt auf den Big Man River. Es war der 27. Mai 2084 gewesen, als die MAYFLOWER II neben dem Lake Manchester gelandet war und die große Bodenschleuse geöffnet wurde. Dann hatten die Lautsprecher die ersten 10.000 Siedler Sektorenweise zum Ausstieg gerufen, Kenny war gleich in der ersten Gruppe gewesen. Sein Vater war einer der Ingenieure, welche von New Saint Louis aus die Technik auf First warten sollten, seine Mutter war mit ihm in die neue Wohnung gefahren, während sein Vater sofort ins Kraftwerk gegangen war. Der Preis, als einer der ersten aussteigen zu dürfen und nicht endlos warten zu müssen. Ma war Architektin und hatte noch nicht viel zu tun, daher war sie öfter zu Hause, als es dem fünfzehnjährigen recht war. Wenn er aber ehrlich zu sich sein wollte, gefiel es ihm auf First. Der Himmel war klar, die Luft roch gut und es war Platz vorhanden. Viel Platz.
Kenny war als Kind halbwegs erfolgreicher Eltern in Washington D.C. in einer Wohnung mit 80 Quadratmetern aufgewachsen, den nächsten Park hätte er mit öffentlichen Verkehrsmitteln in frühestens einer halben Stunde erreicht. Nicht, dass er es je gewagt hätte, ihn zu betreten. Rund um das College, das er besuchte, zog sich ein mehr graubrauner als grüner Rasenstreifen, die Bäume waren welk und würden wohl nicht mehr lange stehen. Hier waren die breiten und großzügig angelegten Straßen begrünt, den Fußgängern und dem öffentlichem Verkehr vorbehalten. Der Individualverkehr fand – wie auch in Galacto City – unterirdisch statt. Auch die Schule war irgendwie interessanter, mit vielen Exkursionen in das Umland, die Siedler sollten ihre Heimat kennen- und schätzen lernen. Von Kindesbeinen an. Es funktionierte nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut. Die Stadtkinder hatten zuerst zwar wenig Bedürfnis nach Natur gehabt und hätten sich gerne mit Computer und PlayStation irgendwo verkrochen, aber als das erste Fußballspiel organisiert und ein natürlicher Baseballplatz geöffnet wurden, kamen auch sie langsam auf den Geschmack. Bootsfahrten auf dem Lake Manchester war bald eine beliebte Beschäftigung, ebenso tauchen, schwimmen und kitesurfen.
Aber es gab etwas, das Kenny an der Schule besonders überrascht hatte. Die Lehrer griffen hart durch und sorgten für Ordnung. Der Junge wusste noch nicht, ob es ihm gefiel, aber er konnte dem Unterricht viel leichter folgen. Vielleicht war ein wenig Disziplin doch nicht so schlecht? Die Zukunft würde es zeigen.
Auf den Feldern wuchs schon die erste Saat aus dem Boden, das Versuchsvieh schien einheimische Gräser und Kräuter ganz gut zu vertragen. Die Lagerhäuser waren voll von Vorräten, bis die Kolonie autark war und Überschüsse erwirtschaftete. Es sollte bald so weit sein, das Klima und der Boden sollten mehrere Ernten im Jahr vertragen, dann war es auch Zeit, die Industrieanlagen auf dem zweiten Planeten in Betrieb zu nehmen. Während dessen war die MAYFLOWER II bereits wieder unterwegs zur Erde, um die nächsten Siedler zu holen, diese sollten dann über die Mondstation mit Fähren nach First gebracht werden. Irgendwann würden die Kolonisten ihren Platz in den Vereinten Nationen beanspruchen und in die Staatengemeinschaft aufgenommen werden, bis dahin verwaltete ein Vertreter der GCC den Planeten, kritisch überwacht von einem Beobachter der UN.
Die STARFLOWER und Captain Blanché waren mittlerweile auf Barsoom eingetroffen und bereiteten alles für eine zweite Kolonie vor. Kühl und trocken war Barsoom nicht eben ein idealer Planet, aber am Äquator des Planeten gab es einige viel versprechende Plätze. Irgendwann später würde der Mensch auch die kälteren Gebiete besiedeln, die Flora und Fauna an sich anpassen. Eines Tages landete eine kleine ITC Fähre auf Barsoom. Derzeit war die Ortung von Singularitäts-Transiten nicht möglich, trotzdem wurde das Schiff schnell genug geortet. Die ITC SAM ADAMS meldete die Ausschleusung eines Shuttles und erbat Lande- und Aufenthaltserlaubnis für vier Wochen, dann wollte man den Passagier wieder abholen. Captain Blanché sah keinen Grund, diese Bitte nicht zu erfüllen und erwartete seinen Gast an der Polschleuse der STARFLOWER, die Form des Fluggerätes war nicht überraschend, der Passagier schon.
„Guten Tag, Sir!“ Die großgewachsene Blondine streckte Blanché die Hand entgegen. „Mein Name ist Dejah Thoris Conrad. Mein Großvater Stan Lee Johnson hat mir hier ein Stück Land geschenkt, das ich mir gerne ansehen würde. Meine Mutter liebt die Barsoom-Romane, daher mein Name, und sie hat ihren Dad so lange angebettelt, bis ‚Prinzessin‘ Dejah Thoris ihr Stück Barsoom bekam.“ Sie rief eine Datei auf ihrem Phone auf. „Das sind die Koordinaten. Wenn Sie es einmal einrichten könnten?“
„Ich bin sicher, Ma’am!“ Blanché konnte sein breites Grinsen nicht verbergen und ergriff ihre Hand. „Warum nicht? Willkommen zurück in Ihrer Heimat, Prinzessin Dejah Thoris!“
Das Stück Land war eine recht große Hochebene mit einem See, der einen Fluss zum Meer entsandte, fruchtbares Land beiderseits dieses Flusses bis zum Meer und zwei Streifen trockene, nicht sehr heiße Wüste. Insgesamt ein idyllischer Flecken, den Mister Johnson seiner Enkelin geschenkt hatte, und in den sie sich prompt verliebte. Spontan plante sie ein Häuschen für sich, sowie Forst- und Agrarwirtschaft und eine kleine Hafenstadt. Vielleicht auch noch einige der Landschaft angepasste kleine Hotels. Vielleicht dort am Rand des fruchtbaren Landes, wo die kalte Wüste begann, eine kleine Kopie der Stadt Helium, einige Roboter als rote, weiße und vierarmige grüne Marsinaner auszustaffieren sollte auch kein Problem darstellen, Maskenbildner waren auch aufzutreiben. Oh ja, Urlaub auf Barsoom, zwischen schönen Frauen und starken Männern der roten Menschen, allerlei Ungeheuern und dazu Jagdausflüge mit den grünen Menschen, die Gleiter konnte man ähnlich wie in diesem alten Film halten – das könnte durchaus Gewinn bringen. Und wäre für Dejah Thoris selber auch ein großer Spaß.
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M 13, miridanische Föderation
Im der Umlaufbahn von Veloz IV
Über der Werft auf Veloz IV schwebte neben zwei Schlachtschiffen arkonidischen Aussehens aus der Zeit Orbanaschols ein großes, ein sehr großes Schiff der intelligenten, aufrechtgehenden Reptilien, die sich selbst Chrk’Ochkror, übersetzt etwa ‚denkende Echsen‘ nannten. Ihre Haut wirkte am Körper wie feinstes Leder und duftete nach Zimt und Gewürznelken, ihr Tastsinn über dieses Organ stand jenem von Säugetieren in nichts nach. Das Gesicht wurde von feinen Federn umrahmt, deren Farben von der Abstammung eines Individuums erzählten. Der Kopf war etwas in die Länge gezogen, die Zähne kein ausgesprochenes Raubtiergebiss mehr, Jahrhunderte gegarter Nahrung hatten sich auf Zähne und Verdauungsorgane ausgewirkt. Ihre Krallen hatten sich ebenfalls zurück gebildet, ihre Hände waren zu feinsten Arbeiten fähig. Sie mochten heißes, schwüles Klima, konnten die Temperatur ihre Körpers jedoch noch einige Zeit aufrecht erhalten, ehe sie träge wurden. Chrk’Ochkror waren überaus soziale Wesen, die Einsamkeit schlecht vertrugen, vielleicht bauten sie deshalb derart große Schiffe.
Die Walzen mit elliptischen Querschnitt waren etwa 900 irdische Meter lang, maßen in der Breite 340 und in der Höhe 220 Meter. Ungefähr. Trotzdem reichte ihre Kampfkraft gerade einmal an die der schweren Kreuzern aus der Zeit Orbanaschols heran. Das Problem war die nicht sehr fortgeschrittene Waffentechnik der Echsen, deren Hauptaugenmerk eher auf den Triebwerken gelegen hatte. Ihre Laser waren schwach, ihre Schutzschirme leicht zu durchbrechen. Aber schnell waren sie, und ihre Nanotroniken vom feinsten. Die Hochadmiräle der Miridaner und der Oberbefehlshaber der Chrk’Ochkror trafen sich zu einer Konferenz, das über Veloz IV schwebende Admiralsschiff stellte die restlichen Schiffe der Echsenwesen alle in den Schatten. 1.320 Meter lang. 750 Meter breit. 450 hoch. Die STOLZ VON CHR’CH’CHRO war schnell, relativ beweglich und für die Verhältnisse der Chrk’Ochkror schwer bewaffnet.
Auch die Miridaner dachten bereits an künftige Nachwuchsprobleme. Veloz IV stellte zwar am laufenden Band Schlachtschiffe und überschwere Kreuzer her, aber irgendwann einmal würde es an Mannschaften fehlen, die Verluste während der Abwehrkämpfe gegen Arkon waren zwar noch nicht überwältigend, aber merkbar. Die Chrk’Ochkror wiederum hatten viele Leute, die sie für ihre großen, aber nicht sehr kampfstarken Schiffe benötigten.
Admiral Hembo Ard war ein bulliger, humanoider Miridaner. Über sein schwarzes Haar huschten ständig silberne Reflexe, seine dunklen Augen waren verschwollen. Er schlief seit einiger Zeit schlecht, seine Adjutantin hätte ihm am liebsten Schlafmittel verabreicht. Kola Wed wusste allerdings auch, dass es ihr schlecht bekommen wäre, hätte sie ihren Chef gewaltsam zum Ausruhen gebracht. Der Admiral rieb mit durchaus menschlicher Geste über seine Augen, der Vocoder von Admiral Molpo Dak übertrug die Muskelschwingungen ihrer verkümmerten Flügel ins Arkonidische.
„Bei den Klauen meiner Vorfahren, Hembo, Du bist nur noch ein Wrack! Du solltest in dein Bett gehen, sonst kippst du noch auf die Mandibeln.“
„Zähne, Molpo, auf die Zähne. Mein Problem ist, dass ich nicht richtig schlafen kann. Sorgen, Pläne, irgendwas ist immer. Wir wollen zum Thema kommen. Ich weiß, dass die Chrk’Ochkror sehr gesellige Wesen sind und daher mit kleinen Schiffen nicht viel anfangen können. Admiral G’harkhu, sie haben unsere Schlachtschiffe kennengelernt. Die sind größer als alles, was sie haben, mit Ausnahme der STOLZ.“
„Das sind sie!“ Das Echsenwesen sprach hervorragend Arkonidisch, dank der Hypnoschulung. Ein wenig rau vielleicht, mit manchen Buchstaben kamen die dreispitzige Zunge und die Kehle der Echse nicht ganz klar.
„Sie sind auch langsamer. Ich wollte, es gäbe einen Kompromiss. Es wird ihn geben, unsere Wissenschaftler sind nicht dumm. Ihre Kanonen werden wir bald auf unserer Welt produzieren und auf unseren Schiffen eingebauen können. Dann sind wir schnell und stark, aber es dauert noch. Hoffentlich sind wir schnell genug. Aber bis dahin beechsen wir gerne ein paar von den Schlachtschiffen dieser Werft. Sie können bei weitem schneller bauen als wir!“
Molpo Daks Madibeln mahlten, ein Zeichen ihrer Unruhe. „Das hilft uns bei den nächsten Schlachten sicher weiter. Unsere Taktik wird, wie ich fürchte, nicht mehr lange funktionieren. Es wundert mich, dass es so lange gut gegangen ist.“
„Ich stimme dem zu!“ G’harkhu spreizte die Hände, eine bejahende Geste. „Auch eine einfache Nanotronik müsste unsere Vorgehensweise einmal berechnet haben. Ich mache mir Sorgen, ob das nicht nur eine Täuschung ist. Oder sollte die Neuronik tatsächlich mit einem Abnutzungskrieg zufrieden sein, der sich über Jahrzehnte ziehen könnte?“
„Genau das sind die Gründe, warum ich nicht schlafen kann!“ Hembo Ard legte das Kinn in die Hände. „Bei den alten Göttern Arkons, was gäbe ich für einen Helm voll Schlaf!“
„Herr!“ Kola Wed zog ein kleines Röhrchen aus ihrer Tasche.
„Na schön, Wed! Geben Sie das Zeug schon her!“ Der Admiral steckte die Medikamente in die Tasche. „Ich werde dem allgemeinen Tenor folgen und mir einige Tabletten einverleiben. Vielleicht hilft es ja. Bis morgen, Kameraden.“
Kola führte den Admiral zu seiner Kabine, wo er tatsächlich zwei der Pillen schluckte. Sie half ihm noch dabei, seine Stiefel auszuziehen und die Jacke abzulegen, zur Hose kam sie nicht mehr, der Admiral schlief bereits tief und fest. Also legte sie ihn nicht ohne Mühe in eine bequemere Lage und zog eine Decke über ihn. Dann öffnete sie noch einen Schrank und nahm eine frische Uniform heraus, bereitete sie für den nächsten Tag vor, deaktivierte die interne Kommunikation zu dieser Kabine und zog sich in die daneben liegende zurück. Noch eine rasche, warme Dusche, dann kletterte auch sie in ihr Bett. Hoffentlich würde der Hochadmiral endlich schlafen. Hoffentlich!