Heyne 3693 (1980)

544 Seiten, TB

Aus dem Amerikanischen von Ronald M. Hahn

ISBN 3-453-30613-9

Richard Francis Burton ist wie alle anderen Menschen, die jemals gelebt haben, nach seinem Tode auf der geheimnisvollen „Flusswelt“ wiedererwacht, einem Planeten, der aus einem einzigen gewaltigen Flusstal besteht, flankiert von unbezwingbar hohen, undurchbrochenen Bergzinnen, die definitiv künstlichen Ursprungs sind. Für Nahrung wird in diesem Tal mit Hilfe von Gralsteinen gesorgt, die dreimal täglich Energie in Materie transformieren und den Menschen in Form von Lebensmitteln zugänglich machen.

Seit Burton ins Leben erstmals zurückkehrte, sind über dreißig Jahre vergangen. Fast ebenso lange liegt sein bislang einziger Kontakt mit einem fremdartigen Wesen zurück, einem Fremden, der sich maskiert als „Ethiker“ zu erkennen gegeben hat. Das ist eins jener Wesen, die für die Wiederauferstehung der Menschheit verantwortlich sind. Und ebensoviel Zeit ist verstrichen, seit Burton auf der Flucht vor Ethiker-Agenten den „Suizid-Express“ 777 Male benutzte und schließlich im geheimnisumwitterten Polarturm vor dem Zwölferrat der Ethiker wieder zu sich kam.1 Er hat aber wider Erwarten – durch Manipulation seines mysteriösen Ethiker-„Freundes“ X – die Erinnerung daran nicht verloren.

Nun ist er also erst recht auf dem Weg zu den Quellen des Flusses.

Es gibt noch einen zweiten Grund für ihn, doch den er erfährt er erst auf der Reise zur legendären Quelle: Die Wiedererweckungen haben aufgehört. Anfangs hält man das für ein Gerücht, aber schon nach wenigen Jahren bestätigt sich diese Behauptung.

Anfangs war es so, dass jeder, der im Flusstal eines gewaltsamen Todes durch Mord, Krieg oder Unfälle starb, am nächsten Tag an anderer Stelle des Flusses zu neuem Leben wiedererweckt wurde. Burton praktizierte dies 777 Male. Jetzt scheint irgendetwas mit der Maschinerie nicht mehr zu stimmen. Dieser Funktionsausfall ist nicht nur für Burton wichtig, sondern auch für die Agenten der Ethiker, die im Flusstal verstreut sind – und auch für X, der sich dort aufhält.

Noch ist niemand in der Lage, zu überblicken, was noch alles ausgefallen ist, aber es wird rasch für die Eingeweihten deutlich, dass man sehr schnell den Polarturm erreichen muss, der in einem ringförmigen Gebirge verborgen ist, das Himalaya-Ausmaße besitzt. Nur: was heißt „schnell“ in einer Welt, die kaum über Metalle verfügt? Die schnellste Fortbewegung scheint ein Segelboot zu sein …

Doch es gibt zwei Verkehrsmittel, die schneller sind, sogar unglaublich viel schneller: im Staat Parolando hat bekanntlich Mark Twain alias Samuel Longhorne Clemens sein eisernes Flussschiff mit Hilfe des Ethikers „X“ geschaffen. Ein Schiff, das ihm dann von König John Lackland geraubt wurde.2 Die „Nicht vermietbar“ wurde von ihm in „Rex Grandissimus“ umgetauft und fährt stromaufwärts. Mit ihr wäre es in wenigen Jahrzehnten möglich, die Quellen des Millionen Meilen langen Flusses zu erreichen.

Sam Clemens, hasserfüllt und begierig, sich an John zu rächen, hat mit der „Mark Twain“ ein Schiff gebaut, das dem Johns technisch und besonders waffentechnisch überlegen ist. Mit ihm begibt er sich auf die lange Verfolgungsjagd. In Parolando bleiben unterdessen Milton Firebrass, ein weiterer Auserwählter des Ethikers „X“, und andere Freunde von Clemens zurück. Sie wollen ein Luftschiff bauen, um so auf direktem Weg zum Pol vorzustoßen.

Unter dem Kommando von Firebrass, der Australierin Jill Gulbirra und dem Haudegen Cyrano de Bergerac, einem weiteren von „X“’ Auserwählten – dieser suchte angeblich zwölf Mitstreiter aus, die ihm assistieren sollten, den Plan der anderen Ethiker zu vereiteln und der Menschheit zu helfen – brechen sie schließlich auf, um den Polarturm zu erstürmen.

Sie erreichen ihn auch, müssen jedoch schockiert feststellen, dass sie von Agenten der Ethiker unterwandert wurden, die nun ihrerseits versuchen, in den Turm einzudringen, um die Weichen im Sinne ihrer Meister zu stellen.

Unterdessen hat auch Richard Burton erkannt, dass es sinnvoll ist, auf eins der legendären Schiffe zu gelangen. In Unkenntnis der Sachlage bewirbt er sich um einen Bordposten auf der „Rex Grandissimus“ und wird Chef von König Johns Leibgarde. Dies führt später bei einem Kommandounternehmen des Luftschiffs „Parseval“ dazu, dass sich de Bergerac und Burton duellieren – beides Auserwählte von „X“ – in Unkenntnis ihrer eigentlich gemeinsamen Ziele.

Aber es kommt noch schlimmer.

Auch der Ethiker „X“ und sein Gegenspieler, der so genannte „Operateur“, die im Flusstal gestrandet sind und nicht mit ihren überlegenen technischen Mitteln zurückkehren können, müssen auf die „Rex“ und die „Mark Twain“ zurückgreifen. Gleichzeitig geraten die Helfer von „X“ in den Bann einer Verfolgungspsychose. Sie sehen auf einmal aus plausiblen Gründen überall Agenten der Ethiker, und ein komplexes Verwirrspiel beginnt, das einen Großteil des Romans einnimmt …

Eigentlich hatte Farmer vor, mit diesem Roman den Flusswelt-Zyklus abzuschließen, aber laut eigenen Worten im hier vorangestellten Vorwort wurde das Manuskript dafür jedoch zu lang. Was ich ausdrücklich für ein gutes Zeichen halte – wenn dem Autor der Roman aus dem Teig geht, kann man nicht davon reden, dass die Storyline zu dürftig ausfällt. Hier kann davon sowieso keine Rede sein.

Das bedeutet allerdings auch dies: Aufgrund der schieren Länge des Skripts enden viele der Handlungsstränge im vorliegenden Roman leider in der Aporie und müssen im nächsten Band fortgeführt und abgeschlossen werden. Die meisten Parteien erreichen diesmal also noch nicht das Gipfelmassiv der Polwelt, sondern bleiben auf dem Weg dahin. Es empfiehlt sich deshalb, den Anschlussband, „Das magische Labyrinth“, gleich darauf zu lesen. Damals, als ich die Bücher kaufte, habe ich das nicht getan, sondern im Abstand von fast einem Jahr weiter gelesen, was meine Lesefreude nachhaltig eintrübte.

Man kann bei diesem Band von „epischer Breite“ sprechen, wobei Philip José Farmer manchmal wirklich zu langatmig schreibt und mitunter Schwierigkeiten nur der Schwierigkeiten halber auftauchen lässt. Vor allen Dingen aber lebt der Roman von der Vermischung altbekannter und neuer, farbig ausgestalteter Charaktere. Hier zeigt sich Farmers Meisterschaft als versierter Schriftsteller am besten.

Wer sich also für ein paar Stunden oder wahrscheinlich eher ein paar Tage lang aus der Realität ausklinken möchte, kann das mit diesem Band gut tun. Es empfiehlt sich aber, um die Gesamtzusammenhänge vollends zu begreifen, zuvor die ersten beiden Romane gelesen zu haben.

© 1998 / 2025 by Uwe Lammers

Braunschweig, den 7. August 1998

Leicht bearbeitetes Digitalisat für ANDROMEDA NACHRICHTEN: Braunschweig, den 10. April 2025

1 Vgl. dazu Band 1 des Zyklus: „Die Flusswelt der Zeit“, Heyne 3639.

2 Vgl. dazu Band 2 des Zyklus: „Auf dem Zeitstrom“, Heyne 3653.