Ein Roman aus dem 2. Universum des Oki Stanwer Mythos
AUS DEN ANNALEN DER EWIGKEIT
von
Uwe Lammers
Teil 1
Vorbemerkung:
Im 2. KONFLIKT entstand das Terrorimperium der Troohns und wucherte zu krankhafter, schwarzer Blüte heran. Einst geboren aus dem Wunsch eines ehrgeizigen Baumeisters, Fußtruppen für den Kampf gegen das Böse selbst zu schaffen, entwanden sich die Troohns ihren Meistern und entwickelten ein eigenes, schreckliches Dasein. Sie eiferten ihrem Erschaffer nach und schufen ein Reich, das an Monstrosität seinesgleichen noch in Milliarden von Jahren suchen würde.1
Als die anderen Baumeister auf dieses entartete Wachstum der Troohn-Einflusssphäre aufmerksam wurden, war es bereits zu spät. Die Troohns besaßen inzwischen mächtige Raumflotten und expandierten, Sonnensystem auf Sonnensystem verheerend und verschlingend, in alle Richtungen. Dieser Gefahr hätte man vielleicht noch Herr werden können – doch die Troohns verfügten ebenfalls über einen sinistren Gönner, der irgendwo in den Tiefen des Terrorimperiums saß und seine finsteren Pläne ausbrütete: TOTAM, die Macht des Bösen.2
Gelähmt von diesen Aussichten, die Gefahr nach wie vor unterschätzend, mussten die Baumeister entsetzt mit ansehen, wie ein Sternenreich, das sie geschaffen hatten, nach dem anderen im Griff der Troohn-Truppen zermalmt wurde und seine Reste spurlos verschwanden. Die Vernichtungsmaschinerie des Feindes überrollte Sternhäufen, Leerräume, ganze Galaxien. Und irgendwann einmal kam der Zeitpunkt, da in einer dieser Peripheriegalaxien, einer Sterneninsel namens Twennar, auch ein friedfertiges, humanoides Volk in den Strudel der Ereignisse hineingezogen wurde: das Volk der Yantihni.3
Pazifisten, wie sie es waren, wurden von den Dienern des Lichts nicht ganz ernst genommen. Insbesondere die Elitekampftruppen der Baumeister, die hochmotivierten Allis, muskulöse, hochintelligente Echsenwesen, unterschätzten die Yantihni. Das taten sie bis zu dem Tag, da ein Ereignis alle Pläne der Baumeister brüsk und unvorhersehbar über den Haufen warf. Nach diesem Ereignis war es notwendig, die Yantihni in die vorderste Front zu beordern.
Dies ist die Geschichte jenes Epoche verändernden Ereignisses, das in einem kleinen Sonnensystem namens Voy-Xenn und einer Welt mit dem Namen Tuwihry stattfand. Nach yantihnischer Zeitrechnung geschah es am 10. Larsheb 441…4
1.
Es war eine Ehre für mich. Es war eine Ehre für mich …
Ich konnte mir diesen Satz einfach nicht oft genug aufsagen. So schlicht und doch so aussagekräftig blieb er. Eigentlich stellte diese fast schon rituelle Formel, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging, eine absolute Untertreibung dar. Es gab keine vernünftigen Worte für diese … ja … Ehre, die mir heute zuteil wurde.
Was mir widerfuhr, das war schließlich eine Segnung, wie sie nur Oki Stanwer selbst – die Lichtmächte mochten ihn behüten und ewig leben lassen! – besser hätte vornehmen können. Was natürlich niemals geschehen würde. Der Herr des Lichts kannte zweifellos weder meinen Namen noch den unseres Schiffes oder Geschwaders, ganz zu schweigen davon dass er überhaupt von unserer bloßen EXISTENZ wusste.
Infolgedessen platzte ich förmlich vor Freude, Dankbarkeit und Stolz, und ich brachte ein paar Minuten mehr mit dem Schuppenpolieren zu, als es normalerweise üblich gewesen wäre. Eigentlich bin ich ein recht unscheinbarer Diplomatenaspirant im letzten Jahr meiner Ausbildung, aber heute …
„Du wirst ja noch eitel, Coshtuur“, prustete jemand hinter mir amüsiert.
Verwirrt und ertappt fuhr ich vor dem Formenergiespiegel herum und sah die geschmeidige, wunderbare grünschuppige Gestalt von Thashii vor mir … ich meine natürlich Versorgungsoffizierin Thashii. Sie trug die Dienstuniform noch nicht wieder, sondern nur das weiche, schmeichelnde Unterkleid, das so viel von ihrem Körper preisgab, dass sich meine Gedanken verwirrten. Das Weglassen des Titels, entsann ich mich aufgeregt, hatte sie mir gestern erst hinter der Tür meines Apartments hier im Diplomatenkreuzer SULVAASCH erlaubt … dies und … na ja … und noch einiges mehr, viel mehr.
Ich konnte nicht verhindern, dass die feurigen Erinnerungen an diese unglaubliche, wunderbare Nacht in mir wieder aufstiegen. Vergebens bemühte ich mich darum, die präzise Erinnerung an den unwahrscheinlichen Anfang dieses abendlichen Abenteuers wiederzufinden – hatte ich sie angesprochen oder war sie auf mich zugekommen? Bestimmt war letzteres der Fall gewesen. Ich bin nämlich eher schüchtern. Nein, ganz gewiss hatte SIE mich angesprochen, und es verstand sich natürlich von selbst, dass kein gesunder, vitaler, junger Alli …
Meine Gedanken verhedderten sich, und meinen Worten widerfuhr peinlicherweise genau dasselbe. „Nein, sicher nicht, Thashii … ich meine … ich meine …“
Ihre geschlitzten Schwefelaugen glühten voller Vergnügen auf, während sie näher an mich herantrat mit geschicktem Blick meine stattliche Erscheinung in der dunkelgrünen Amtsuniform musterte. Was sie sah, gefiel ihr offenbar noch immer. Ich fühlte, wie heiße Wallungen in mir hochbrodelten, wenn sie mich nur anschaute. Meine Gesichtsschuppen wurden ganz dunkel …
‚Gütiges Licht, Mutter … du hast völlig Unrecht gehabt mit den Versorgungsoffizieren … sie sind viel besser als ihr Ruf … sehr viel besser, als ich es mir jemals erträumt hätte.’
Thashii hatte mich gestern Abend regelrecht verschlungen, es anders zu nennen, hätte einfach eine Lüge dargestellt. Und ich hatte dieses Verschlingen sehr genossen – so explosiven, wilden Sex hatte ich noch nie in meinem Leben gehabt. Und es war … also, überwältigend wäre eine absolute Untertreibung gewesen.
„So eitel warst du gestern Abend jedenfalls nicht …“
Sie schnalzte vergnügt mit der Zunge, dieser wirklich äußerst talentierten Zunge. Sie konnte Dinge damit anstellen, dass mir jetzt noch heiß und kalt wurde. Das hatten die Mädchen daheim aber wirklich noch nie gekonnt, ja, vermutlich nicht mal davon GEWUSST. Von Thash hätte wohl selbst eine abgefeimte Hure noch eine Menge lernen können. Nach dieser Nacht war ich bereit, alles zu glauben, was man sich von den Soldatinnen in höheren Positionen der Armee und des diplomatischen Dienstes an schlüpfrigen Geschichten und erotischen Finessen erzählte. Vermutlich war das sogar noch untertrieben!
Ich versuchte ihr mühsam zu erklären, warum ich das tat, also mich so dermaßen herausputzte, wie ich es sonst nie tun würde. Obwohl mein Unterbewusstsein mir ständig zu signalisieren versuchte, dass sie darüber vermutlich besser Bescheid wusste als ich selbst. „Thash … bitte … du weißt doch, warum ich mich so rausputze! Das ist die Chance meines Lebens!“
„Einwandfrei“, nickte sie amüsiert und streichelte ungeniert meinen Körper vom Bauch an abwärts mit ziemlich eindeutiger Absicht. Aber dafür war nun wirklich keine Gelegenheit (so gerne ich mich auch mit ihr wieder ins Bett verzogen hätte! Und zwar unverzüglich! Wenn ich mit Thashii in einem Raum war, konnte ich eigentlich nur noch ans Bett und an sie denken, alles andere wäre … na ja … eine Beleidigung gewesen, nicht wahr? JEDER Mann an Bord hätte das so gesehen!).
„Man begegnet nicht so oft einem Gott, nicht wahr?“, fügte sie vergnügt an.
Ich wusste sofort, dass sie mich aufzog, aber dennoch verteidigte ich ihn unwillkürlich, meinen obersten Dienstherrn. Das war mir einfach in all den Jahren auf der Akademie und im untergeordneten diplomatischen Dienst so in Fleisch und Blut übergegangen. Zwar war ich ihm noch nie begegnet, aber das spielte keine Rolle.
Das eherne Gesetz des Diplomatenkorps: Hier werden keine Götter beschäftigt, auch eure Vorgesetzten, so seltsame Fähigkeiten sie auch immer besitzen mögen, sind keine übernatürlichen Wesen. Der diplomatische Dienst ist keine Form von Gottesdienst! Religiöse Anwandlungen werden bestraft. Und so weiter.
„Ach, Gott … nein, er ist kein Gott. Es ist nur … ich meine, er ist eine sehr wichtige Person. Die wichtigste neben Oki Stanwer selbst.“ Na ja, und neben den Baumeistern natürlich, von denen man üblicherweise im Leben nicht allzu viele zu sehen bekam. Sie waren über Millionen von Kubiklichtjahren verstreut und ständig im Einsatz.
Dass mein Dienstherr selbst so wichtig war, stellte beileibe keine Übertreibung dar. Es war schlicht die reine Wahrheit.
Die weitergehende Wahrheit, der ich mich gegenwärtig gegenübersah, bedeutete nämlich nichts Geringeres, als dass ich zusammen mit neunzehn weiteren Elite-Allis auserwählt worden war, die diplomatische Mission meines obersten Dienstherrn, also des Boten Klivies Kleines, ins Herzogtum Voy-Xenn zu begleiten, direkt bis auf den Boden dieser seltsamen Welt namens Tuwihry.
Ausgewählt aus fast zweihundertvierzigtausend Diplomaten des intergalaktischen Dienstes … durch Prüfungen gesiebt und zahllosen Loyalitätskontrollen unterworfen … Mutter hatte gemeint, das würde sicherlich eine hervorragende Aufstiegschance sein. Selbst wenn ich nicht ans Ziel gelangte, würde ich durch diese Testverfahren so viele wichtige Personen in höheren Dienstetagen kennenlernen, dass ich rasch aufsteigen könnte. Womit sie – natürlich – Recht behielt.
Und dann KAM ich ans Ziel!
Heiliges Licht! Ich würde mit dem Boten persönlich reden!
Ich! Ein zwanzigjähriger Alli im diplomatischen Dienst, dem man wegen eines dummen Stoffwechselfehlers den Militärdienst in den aktiven Streitkräften abgeschlagen hatte! Diese Ablehnung lag erst fünf Jahre zurück, und sie hatte mich monatelang am Boden zerschmettert. Wirklich.
Unser Volk führte nämlich seit Jahrhunderten im Dienst der Baumeister Krieg … was man so Krieg nennen konnte, wenn man selbst keinerlei Erfolge erzielte. Im Wesentlichen waren es ständige Rückzugsgefechte.
Das hatte ich aber erst im diplomatischen Dienst erfahren. Die Soldaten hörten davon nichts. Ihr Informationshorizont wurde eingeengt, und die Diplomaten bis in die untersten Dienstgrade zur Geheimhaltung verdonnert, zur absoluten Geheimhaltung. Selbst bis in den familiären Kreis hinab. Allenfalls mit Gefährten in den gleichen Abteilungen konnte, durfte man über diese Themen diskutieren.
Aber wie gesagt … das lernte ich erst später.
Damals, als das Rekrutierungsbüro, das auf unserem Wohnplanetoiden Sharweshtin neue Soldaten aushob und mir dann unverblümt mitteilte, dass ich wegen physiologischer Abhängigkeit von einem Medikament eben nicht die Belastungskriterien eines einfachen Soldaten erfüllte und man mir deshalb eine zivile Laufbahn nahelegte, da konnte ich nur an Jeshuur, Zhelcay, Rhonshin und Alvyrit denken, meine drei Brüder und älteste Schwester, die allesamt unterwegs waren in den Aktionsgebieten der Baumeister, um dort gegen den FEIND zu kämpfen.
Sie vollbrachten Heldentaten, und ICH sollte hier im Niemandsland am Rande der Galaxis Suulesh versauern, ja? Am liebsten hätte ich mich von der nächsten Klippe in den Habitattunnel gestürzt. Aber ich wusste natürlich, dass das meinen Tod gewiss nicht zur Folge gehabt hätte. Sharweshtin war ein Habitat der Baumeister, und ihre SENSOREN überwachten alles. Hier KONNTE niemand sterben, selbst wenn er sich noch so viel Mühe gab.
Thashii knuffte mich vor die Brust. Sie grinste breit. „Du träumst schon wieder!“
„Ich … na ja … ja, schon“, gab ich verlegen zu. Irgendwie war ich mit der Situation nach wie vor nicht klargekommen. Ich wusste davon ja auch erst seit 48 Stunden … und einen erheblichen Teil dieser 48 Stunden hatte ich in Thashiis muskulösen Umarmungen zugebracht und Dinge erlebt, um die mich meine Geschwister gewiss heiß beneidet hätten. DAS assoziierte man sicherlich nicht mit dem diplomatischen Dienst. „Das kommt alles so plötzlich …“
Ein intensiver, dunkler Summton durchdrang die warme Luft des Apartments, die trotz der guten Klimaanlage noch immer – oder schon wieder?? – überwältigend nach Thashii und ihrem natürlichen Liebesparfüm duftete. Der Summton ließ mich noch mehr zusammenfahren.
Das musste die Eskorte sein, die mich abholen sollte!
„Viel Erfolg“, wünschte Thashii mir mit freundlichem Knurren. Spielerisch biss sie mich in den Hals und brachte meine Hormone von neuem zum Sieden.
Himmel, war sie scharf! Und sie war scharf auf mich!
Wie sollte man da nicht vor Stolz platzen? Sie war wirklich die tollste Frau, die ich jemals kennengelernt hatte, ein schierer Vulkan im Bett, und dazu hochintelligent UND in einer ranghohen Position im Heer! Mann! Ich kam mir wirklich vor wie in einem wundersamen, herrlichen Traum.
„Danke. Ich werde ihn haben. Und …“, ich schluckte schwer, „ich werde die ganze Zeit an dich denken, Thash. Versprochen!“
Sie lachte dunkel, sinnlich, versprechend. Ihre Augen glühten voller heißer Begierde. „Das höre ich gerne. Bring mir was von seiner Göttlichkeit mit, hm? Ich habe gehört, wenn man dem Boten nahe ist, wird man verdammt geil! Und das kannst du brauchen, wenn du wieder an Bord bist, glaub’ es mir.“
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich mein Apartment verlassen habe, aber das Versprechen von Thashii habe ich nicht vergessen.
Ich habe es nie vergessen.
2.
Zusammen mit fünf weiteren Elite-Allis, die aus der sechstausend Matrosen starken Besatzung des Flaggschiffs SULVAASCH ausgewählt worden waren, um den Boten Klivies Kleines zu begleiten, gelangte ich in einem der Rohrbahnzüge zum Hangar, in dem das silberne Schwingenschiff stand, das uns auf die saphirfarbene Planetenkugel hinunter bringen würde, um die die SULVAASCH einen engen Orbit eingeschlagen hatte. Hinter langen Sicherheitsglaskordons konnte ich die glitzernden Eissicheln dreier Monde erkennen, die den Planeten umgaben.
Mückenschwärmen gleich funkelten Schwärme von Raumfähren und Interplanetarschiffen, die Tuwihry gleich uns in dichtem Orbit umkreisten und sich entweder zur Landung anschickten oder zu Rendezvousmanövern mit Frachtern, die aus naheliegenden Gründen nicht landen konnten.
Dieses Herzogtum Voy-Xenn war furchtbar rückständig für unsere Begriffe. Es besaß noch nicht einmal die Überlichtraumfahrt, und normalerweise hätten sowohl die Baumeister als auch die Verkünder aus dem Volk der Dessan-Allis es noch einige Jahrhunderte lang vermieden, vor ihnen in Erscheinung zu treten, um keinen Zivilisationsschock auszulösen.
Normalerweise.
Aber die Umstände waren nicht normal. Leider nicht.
Die Front befand sich nur noch sechsundneunzig Lichtjahre von Tuwihry entfernt, und der Bote war hier, um dafür zu sorgen, dass nach dem zweijährigen Vorbereitungskontrakt endlich ein Stationierungsabkommen unterzeichnet werden konnte. Wir brauchten Truppen hier, um das Herzogtum zu schützen. Wenn wir von hier verschwanden, würde alles zusammenbrechen. Gewiss, angeblich gab es dort unten Parteien, die sich nichts mehr wünschten, als dass „die schuppigen Fremden“, womit wir gemeint waren, endlich verschwänden. Dann, so wurde naiv angenommen, würden „Ruhe und Ordnung“ unweigerlich zurückkehren.
Die Leute, die so redeten, hatten einfach keine Ahnung davon, wie die Dinge im Kosmos liefen. Die Veränderungen waren nun einmal da, die Bewohner des Herzogtums wussten um die Existenz von Hochenergietransfers, von Transmittern und Hyperraumtechnologie – auch unser Verschwinden würde diese Erkenntnisse nicht aus der Welt schaffen, von den philosophischen Implikationen einmal ganz zu schweigen.
Und dann war da immer noch der FEIND.
Den FEIND kümmerten kleinliche Nörgeleien von Hinterwäldlern nicht. Er würde sein Aktionsgebiet bis hierher ausdehnen, ganz egal, ob wir dablieben oder nicht. Aber wenn wir hierblieben, geschah das langsamer, was uns die Möglichkeit geben würde, die Bewohner des Herzogtums eventuell in Sicherheit zu bringen.
Der FEIND krempelte diese Planeten ganz gewiss so um, dass nachher hier kein Stein mehr auf dem anderen stand … ich hatte grauenhafte Geschichten von jenen Völkern gehört, die in die Einflusssphäre des Terrorimperiums der Troohns geraten waren … niemand konnte sagen, was davon stimmte. Aber eins blieb ganz gewiss richtig: niemals kehrte jemand von dort zurück, um zu berichten, was genau passiert war.
Niemals.
Der Krieg, in den unser ruhmreiches Volk verwickelt war, geschützt durch die Oberhoheit der Baumeister, dieser Krieg dauerte nach Baumeister-Angaben inzwischen schon mehrere Jahrtausende. Die Zahl der Völker, die verschwunden, ausgelöscht worden waren, ging in die Hunderte. Planetensysteme fielen täglich überall an der Front an den FEIND.
Immerzu.
Sicherlich, es hatte einige Spähmissionen des verdeckten diplomatischen Dienstes gegeben, um einstige Stützpunktwelten zu observieren. Und entsprechende Hologrammaufzeichnungen waren uns unter dem Siegel der absoluten Geheimhaltung zugänglich gemacht worden …
Ich hatte schlecht geschlafen in den Nächten direkt danach. Wirklich schlecht geschlafen, manchmal nur mit Betäubungsmitteln. Gegen diese Hologrammaufzeichnungen waren die wüstesten Horrorfilme einfach nur noch lachhaft.
Mit jedem Volk des Universums konnte man verhandeln, mit Diktatoren, mit rückständigen religiösen Theokratien, mit absolutistischen Herrschern oder Volksrevolutionären … mit allen. Und wenn man es mit Magengrimmen tat und wusste, dass das Gegenüber log.
Der FEIND war da anders.
Mit den Troohns konnte man nicht mal reden. Nicht mit ihnen.
Troohns kannten nur die Vernichtung um jeden Preis.
„Junge, wir sind da.“
„Oh!“, schrak ich nervös hoch. Ich blinzelte verwirrt und schämte mich meiner gedanklichen Nachlässigkeit ebenso sehr wie des Ergrünens meiner leicht gesträubten Schuppen. Wahrlich – irgendwie passierte hier alles so schnell nacheinander, dass ich mich noch nicht an die Verhältnisse gewöhnt hatte.
In der Tat hatte sich, wie ich erkannte, der funkelnde Rohrbahnzug schon in den Magnetklammern verankert und die Luken waren nach oben aufgeschwungen. Ich saß als einziger noch angeschnallt da.
„Ich glaube, ich muss ein Auge auf dich haben, Junge. Du bist noch ziemlich grün hinter den Ohren, was?“, sagte der hünenhafte Alli, der mich angesprochen hatte. Er sah mich mit der herablassenden Attitüde an, die dienstälteren Allis in den Streitkräften eben so zu eigen ist. Etwas, das ich überhaupt nicht schätzte.
Ich funkelte ihn wütend an. „Ich muss mir das nicht sagen lassen! Ich bin alt genug!“
„Neunzehn, schätze ich.“
„Zwanzig!“
Der bestimmt nicht sehr viel ältere Alli lachte fröhlich, half mir aus dem Sitz und zog mich dann schnell über den aus blauem Metall bestehenden Steg hinüber zu den Transportbändern. Sie würden uns schnell in die Außenhangars bringen, wo die Bodenfähre wartete. Wir waren offensichtlich in dieser Rohrbahnhaltestelle, die ausschließlich den Zügen des diplomatischen Dienstes vorbehalten war, die einzigen, die noch beim Zug standen. Die anderen Diplomaten eilten bereits davon.
„Ich bin Ashbaar“, stellte sich mein Gegenüber jovial vor, was mich dazu brachte, endlich auch meinen Namen zu nennen. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich echte Bedenken, so einen Neuling wie dich mit runter zu nehmen. Warum Kleines das zulässt, kann ich nicht sagen. Er hätte das Alterslevel anheben müssen.“
„Unfug!“, widersprach ich sofort. Das hätte mir noch gefehlt, dass man mich JETZT einfach des Alters wegen wieder zurückschickte! Gütiges Licht, das hätte ich nicht überlebt! Ungeachtet des Hinweises meines Unterbewusstseins, dass ein subalterner Alli-Soldat in den Streitkräften ganz sicher keine Möglichkeit haben würde, so etwas zu veranlassen, fühlte ich einen Schub kreatürlicher Panik in mir hochkochen. „Ich bin fast fertig mit meiner Ausbildung, ich bin den Anforderungen voll und ganz gewachsen!“
Erst mit einem Moment Verspätung ging mir auf, dass er wirklich Kleines gesagt hatte. Nicht „der Bote“ oder so.
Nein, Kleines.
Das war eine überaus vertrauliche Anrede.
Meine Nackenschuppen stellten sich nervös auf, als ich zu begreifen begann, was das bedeutete. Ich musterte mein Gegenüber mit einer Mischung aus Unglauben und unverhüllter Faszination jetzt etwas genauer. „Du … äh … du … machst das schon länger?“
„Das?“ Ashbaar amüsierte sich köstlich über meine Zaghaftigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Ich ärgerte mich mal wieder. Vermutlich würde ich solche Fehler noch öfter begehen. „Die Begleitmissionen. Ja. Seit achtzehn Jahren. Und ich sage dir, alles an Gerüchten ist wahr. Alles. Meine Frauen können es bestätigen.“
„Deine … äh … Frauen?“ Ich blinzelte perplex, während wir uns auf das Gleitband stellten und es sich wieder in Bewegung setzte. Irgendwie kam ich mir wieder ziemlich dumm vor und kam nicht hinter den Sinn seiner Worte.
„Ja, ich habe acht auf acht verschiedenen Habitatwelten“, gab Ashbaar freimütig zu und lachte. „Das ist wirklich toll … und wenn ich mal ein paar Monate Bonusurlaub habe, hole ich sie auch schon mal auf Vasiidor zusammen und mache eine kleine Orgie. Das ist der Himmel auf Erden, kann ich dir sagen, Kleiner.“
Er grinste mich breit an, weil er merkte, dass ich ihm kein Wort glaubte.
Kein Alli hat genug Potenz, um ACHT Frauen gleichzeitig zufriedenzustellen. Völlig ausgeschlossen. Vysva waren, ich hatte es an Thashii ja letzte Nacht erlebt, außerordentlich sexdurstige Geschöpfe. Nun, das Ergebnis lohnte wirklich jede Anstrengung …!
Aber ACHT Vysva! So ein Irrwitz.
Einwandfrei schamlose Übertreibung …
Ashbaar grinste breit. „Ach, ich merke, du glaubst mir nicht. Macht gar nichts. Du wirst es selbst spüren, wenn du Kleines gegenübertrittst. Benimm dich nicht wie der letzte Depp, ja? Es ist einfach seine Ausstrahlung.“
Während der kurzen Reise zum Hangar erklärte er mir noch, dass er vierundsechzig Jahre alt war, obwohl er nicht einmal halb so alt aussah. Logisch, dass er auch das mit der Ausstrahlung des Gesandten erklärte. Ich konnte es nicht fassen. Irgendwie kam ich mir zu diesem Zeitpunkt noch völlig verschaukelt vor und nahm das, was Ashbaar mir sagte, nicht für bare Münze. Jeder hätte ihn für einen Aufschneider gehalten …
Aber als ich ihm dann gegenüberstand, dem Boten, da wurde mir klar, dass ich in eine Sphäre eintrat, in der das Übernatürliche die Normalität darstellte. Doch wie das immer so ist – so etwas merkt man immer erst später.
Manchmal zu spät.
3.
Ich merkte vom ersten Moment an, dass sich die Umwelt wandelte, als wir ankamen.
Der Hangar, in dem das Schiff des Boten stand, war mit prickelnder Luft gefüllt, die erkennbar glitzerte, als habe man irisierenden Kristallstaub hineingestreut. Ich konnte mir den Effekt nicht erklären und blinzelte emsig, um wieder einen klaren Blick zu bekommen, was freilich vergebens blieb.
Die Wirkung dieses seltsamen atmosphärischen Phänomens war indes unglaublich belebend. Mir schien, ich sei wieder ein, zwei Jahre jünger und auf dem Höhepunkt meiner physischen Kräfte. Die Luft schien, ungeachtet dieser eigenartigen Wirkung, kristallklar wie frische Bergluft, auch wenn ich ein Aroma darin schnupperte, das mir völlig undefinierbar schien.
Alle Abgespanntheit der gestrigen Nacht nach den heißen, wilden Liebesritten mit Thashii fiel von mir ab, als sei es eine vertrocknete Haut, die ich abstreifte. Unwahrscheinlich. Als hätte man den Hangar mit reinem Sauerstoff geflutet, so benommen und euphorisch war mir plötzlich zumute.
Je näher wir der offenen Luke des strahlendweiß glitzernden Schwingenschiffes kamen, desto mehr hatte ich wirklich das Gefühl, reinen Sauerstoff zu atmen. Es war, als ginge ich auf Wolken. Mir gingen die Worte aus, um zu verstehen, zu beschreiben, was ich erlebte. Es wirkte auf mich mehr wie eine Art von märchenhaftem Wunschtraum, der übergangslos in Erfüllung ging. In diesem Moment war mir wirklich alles egal …
„Mann, ich frage mich immer wieder, wie er das macht“, murmelte Ashbaar neben mir, und seine Stimme enthielt sowohl maßlose Anerkennung wie ein gerüttelt Maß an Neid. „Aber er hat’s mir natürlich nie verraten. Mit dieser Ausstrahlung könnte er problemlos jede Frau bekommen, die er haben will, wirklich jede. Aber daran hat er überhaupt kein Interesse …“
Ich begriff indes kaum, was er sagte. Ashbaar musste mich stützen, als wir an Bord gingen. Mir war dermaßen schwindelig, als wäre ich gerade aus einer G-Zentrifuge gestiegen. Meine Knie waren wie Pudding. Beinahe drehte sich die Welt um mich herum.
Gütiges Licht …
„Ja, das ist eine gute Einstellung“, sagte Etwas direkt vor mir mit einer völlig unbegreiflichen Stimme, die weniger eine Stimme war als vielmehr … na ja, eine Art von heißer Luftströmung, die ein sinnliches Aroma direkt über meine Nüstern in mein Gehirn sandte und beinahe jede Gedankentätigkeit unterband. Man kann das nicht vernünftig beschreiben, wenn man es nicht erlebt hat.
Meine Augen flimmerten, als ich mühsam das Etwas anzuschauen versuchte. Es war fast unmöglich. Die Körperkonturen meines Gegenübers glitzerten, als bestünden sie aus wogendem, waberndem Edelsteinstaub, der mit Ionisationselementen angereichert wird. Und es war HELL! Unglaublich hell! Ich blinzelte unentwegt und konnte doch nicht mehr erkennen.
„Ich schalte den Schirm etwas stärker hoch, mein Freund. Du sollst nicht übermäßig unter der Aura leiden.“
Das grelle Glühen ließ nun etwas nach, damit aber leider auch dieses euphorisierende Miasma, das den Ausdünstungen meiner gestern erlebten sexuellen Ekstase sehr nahe kam und hier überall die Luft zu schwängern schien. Einen langen Moment bedauerte ich heiß und innig, aus dem Vorhof der schieren Ekstase verstoßen zu werden. Doch das dauerte wirklich nur einen Moment. Dann aber konnte ich das Wesen vor mir endlich genauer in Augenschein nehmen … und erschauerte unwillkürlich.
Im Wesentlichen … war es alliähnlich.
Im Wesentlichen.
Nur dass es keine Schuppen besaß.
Wenn man … viel Phantasie aufwendete, sehr viel Phantasie, dann verfügte dieses … Etwas über zwei Beine, die aber so dick und unförmig waren, dass sie das Wesen nur mühsam zu tragen verstanden. Der Körper darüber wirkte krankhaft aufgebläht, mehr ballongleich als sonst etwas, die beiden Arme sahen ebenfalls so aus, bis hin zu den wurstartigen Fingerstummeln, die keine Krallen besaßen. Auch der runde Kopf schien, als habe man ihn auf unmögliche Weise aufgeblasen. Zwischen tiefen Brauenwülsten, die nur aus Fett zu bestehen schienen, funkelten zwei glühende, nachtschwarze Augen wie winzige Knöpfe hervor. Schüttere Strähnen dunklen Haares hatten sich mühsam durch die speckige Kopfhaut hindurchgekämpft und bildeten eine äußerst spärliche Behaarung anstelle von Schuppen.
Entsetzlich. Vom bloßen Anblick konnte man als gesunder Alli Alpträume bekommen.
Insgesamt wirkte dieses Wesen auf mich, als habe man einen Alli erst mittels Essen und Hormonen krampfhaft gemästet, dann im Dampfbad gekocht und schließlich entschuppt. Es blieb ein wirklich grässlicher Anblick, und das weiße, pludrige Gewand, das es trug, machte diese Wesenheit nicht sympathischer. Ich hätte nicht mal zu sagen gewusst, welches Geschlecht es besaß – wenn überhaupt.
Aber zugleich loderte um diese Entität ein wabernder Schimmer reiner Energie, und das machte den optischen Eindruck vergessen. Vollkommen. Ich bemerkte es erst später, aber in diesem Moment stand ich da und bekam das Maul nicht mehr zu. Ashbaar neckte mich bald darauf, ich hätte ausgesehen, als ob ich mich von meinen hervorquellenden Augen verabschieden wolle – was ich ihm natürlich übel nahm.
In diesem Moment konnte ich an solche Dinge nicht mal denken. Ich stierte das Wesen vor mir fassungslos an und war vermutlich schrecklich unverschämt.
Jede Körperzelle meines Gegenüber schien geradezu Funken zu schlagen, und ständig tanzten kleine Entladungen knisternd und knatternd auf der Innenseite eines mächtigen Energieschirms, den dieses Individuum mit seinen Wurmfingern an einem breiten Hüftgurt kontrollieren konnte. Unförmige, klobige Bedienungselemente halfen der fremdartigen Kreatur dabei, diese Technik überhaupt zu bedienen.
Jede Körperbewegung jedoch wirkte so … so unbeholfen. Plump. Abstoßend.
„Wer … was …?“, stammelte ich erschrocken.
Die erstaunlich warme Stimme des fremden Wesens klang sehr amüsiert, als es meine hilflose Frage beantwortete: „Sei mir willkommen, Diplomatenaspirant Coshtuur. Ich bin sicher, wir arbeiten gut zusammen. Mein Name ist Klivies Kleines.“
4.
Es stellte sich rasch heraus, dass die anderen Allis an Bord alle schon einmal mit Kleines eine Mission durchgeführt hatten. Der Bote war mit dem Diplomatenschiff schon seit mehr als zweihundert Jahren im Dienst der Baumeister unablässig unterwegs, um die Krisenregionen des Universums anzusteuern und hier diplomatische Missionen zu übernehmen. Die Zahl der Völker, die er besucht hatte, ging in die Hunderte, erklärte er mir vergnügt kurz darauf während des Abstiegs nach Tuwihry. Das und noch einiges mehr.
Vorerst jedoch hatte ich gerade das Schiff betreten und mich mit dem Boten… Kleines … und meinem Begleiter in den Hauptversammlungsraum des Landungsbootes begeben, wo sich alle Anwesenden an den Sitzen entlang der ringförmigen Außenwand festschnallten. Kleines … ich musste mich überwinden, von ihm nicht als dem „Boten“, sondern von KLEINES zu denken, machte es sich auf einem runden, breiten Mittelpolster bequem und wurde von flammenden Energiefeldern eingezwängt, die ihn ebenso gut festhielten wie uns andere, die wir mit Formenergiegurten gegen die Kräfte des Fluges abgeschirmt wurden.
Das Boot selbst wurde natürlich von einem autonomen formenergetischen SENSORKERN gelenkt. Handsteuerung, für die alle – außer mir, ich war ja nur Diplomat – ausgebildet waren, musste nur im Notfall eingesetzt werden.
Der Bote ließ mich gar nicht richtig wieder zu mir kommen, sondern er begann, vermutlich einfach, um mir die Hemmungen zu nehmen, die ich seinetwegen noch immer empfand, ein launiges, amüsantes Gespräch.
„Ich habe auf meinen Missionen immer wieder mal jemanden wie dich gefunden, Coshtuur, und ich muss sagen, es ist äußerst erfreulich, mit der Jugend zusammenzuarbeiten … oh, verzeih, ich habe einfach deinen Namen und nicht deinen Rang verwendet. Ich darf dich doch so nennen?“, erkundigte sich das feiste Wesen bei mir freundlich. Höflich war es, das musste man ihm lassen.
„Äh … ja, selbstverständlich, Bote … ich … äh … ich fühle mich sehr geehrt …“, brachte ich stotternd hervor.
Es fiel mir in Klivies Kleines´ Gegenwart sehr schwer, überhaupt Worte hervorzubringen, und von der auf der Diplomatenakademie gezeigten Geschmeidigkeit meiner Rede war im Augenblick so gar nichts übrig. Irgendwie, ging es mir auf, machte ich gegenwärtig überhaupt keine gute Figur. Ich konnte einfach diese monströse Form nicht übersehen.
Klivies Kleines war einfach … ja … einfach hässlich! Hässlich wie die Nacht.
Hätte ihn nicht dieser ungeheuerliche Heiligenschein belebender, euphorisierender Energie umgeben … ich hätte mich ganz bestimmt so schnell als möglich wieder von ihm entfernt. Er machte mir irgendwie den Eindruck …, falsch zu sein. Ich konnte das nicht besser beschreiben. Organisch war mit ihm irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung. Wie auch ich selbst, so schien es, litt er an irgendeiner organischen Krankheit. Freilich an einer, die ich mir nicht mal entfernt vorzustellen vermochte.
Nun handelte es sich bei meiner Schwierigkeit lediglich um eine leichte Stoffwechselunverträglichkeit, die mein Reaktionsvermögen in Stresssituationen reduzierte und mich höchst anfällig machte, wenn hohe Adrenalinausschüttung stattfand. Sonst wirkte sich das physiologisch eigentlich nicht aus (beim Licht! Zum Glück auch nicht bei der Liebe! Anderenfalls hätte ich Thashii wirklich nicht zufriedenstellen können). Bei Kleines verhielt es sich offenbar völlig anders, und das erzeugte erhebliche Scheu in mir.
Ich meine … verdammt … er war mein CHEF! Und ich sah ihn heute das erste Mal leibhaftig … und fühlte mich abgestoßen von ihm?! Wie sollte ich ihm das denn nur klar machen? Und wenn es eine Krankheit war, die ihn so derart entstellte … wie hätte ich ihm das vorwerfen können? Ich konnte doch für meine Stoffwechselkrankheit auch nichts …
Die anderen Allis schienen Klivies Kleines´ physische Erscheinung ganz in Ordnung zu finden! Sie machten nicht eine einzige diesbezügliche Bemerkung! Irgendwie … also irgendwie kam mir das verlogen vor. Profitierten sie wirklich nur von dieser euphorisierenden Aura, die ich ja nun an eigenem Leibe spürte, und kamen sie dadurch – wie Ashbaar behauptet hatte – mit verstärkter Potenz zurück? Das schien es nämlich zu sein, was hier in der Luft lag, auf unergründliche Weise. Und Thashii hatte auch genau DARAUF angespielt, wie mir nun klar wurde.
Allein der Gedanke an Thashii machte mich geradezu entwürdigend scharf. Diese Sache gehört jetzt wirklich nicht hierher! Aber Ashbaar behielt Recht: Kleines´ Aura vitalisierte in einer Weise, die atemberaubend war, und ich wusste nicht, was ich getan hätte, wäre Thashii jetzt hier gewesen … glücklicherweise waren alle Personen in der Begleitung des Boten männlich, und wir Allis neigten generell nicht zu widernatürlichen Paarungen …
Meine Gedanken verhedderten sich von neuem.
„Nur die Ruhe. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein. Meine Begleiter hier sind das alles schon gewohnt. Für sie ist der Impuls der Neugierde nicht mehr vorhanden, für dich indes schon. Ich spüre ihn in dir. Und ich fühle auch deine innere Ablehnung“, offenbarte Kleines bereitwillig.
Während ich unter seinen sanften Worten unweigerlich zusammenfuhr, schien ihn das nur zu bestätigen. Er nahm mir diesen Ekel einfach nicht übel, und das … ja, ich gebe zu, das fachte meine Neugierde an. Und es reduzierte meine Bedenken auf eine seltsame Art und Weise. Ich drängte meine ratlosen, unangenehmen Gedanken an seine physische, aufgeschwemmte Erscheinung in den Hintergrund und dachte lieber an diese eigentümliche, einzigartige Aura. Von etwas Derartigem hatte ich noch nie gehört …
Kleines war ein seltsames Wesen. Rätselhaft. Abstoßend vielleicht … aber doch faszinierend. Es war nicht zu leugnen.
„Du hast Fragen, Coshtuur. Das ist in Ordnung. Stell sie.“
„Wenn du jemals höhergestellten Personen begegnest, Cosh, dann denk immer daran: benimm dich! Deine Karriere hängt davon ab, dass du deine inneren Einstellungen für dich behältst! Ein guter Diplomat zeigt nach außen nur eine Maske, verstehst du, Sohn?“
Mutters gute Ratschläge. Sie waren unbezweifelbar hilfreich und hatten mir so manches Mal gute Dienste geleistet, natürlich …
Aber sie hatte natürlich niemals voraussehen können, dass ich bereits keine drei Monate nach meiner Dienstversetzung auf die SULVAASCH ausgerechnet jenem Wesen begegnete, das direkten Umgang mit den legendären BAUMEISTERN hatte (ich selbst hatte noch nie einen gesehen).
Und selbstverständlich auch mit OKI STANWER …
Gütiges Licht! Mit Oki Stanwer persönlich!
Hätte ich ihn auch noch getroffen, dann wäre ich wohl vor Ehrfurcht einfach tot umgefallen. Nehme ich wenigstens an. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Herr des Lichts jemals diese Gegend der FRONT besuchte, deren Länge MILLIONEN Lichtjahre betrug, war annähernd null.
Also, was ich sagen wollte: ich fühlte mich überfordert. Mutters gute Ratschläge, die mir bislang stets geholfen hatten, erwiesen sich in der direkten Konfrontation mit Klivies Kleines als bestürzend nutzlos. Ihm gegenüber höflich sein und die wahren Intentionen verbergen? Kaum anzunehmen, dass das möglich war. Ich kam mir vor, als würde er imstande sein, mich mit den Blicken seiner tiefliegenden, winzigen schwarzen Augen geradezu zu durchleuchten wie Hochenergie-Scanstrahlen, und auf eine unheimliche Weise war das fast angenehm. Nicht, dass ich das verstand.
Außerdem: er hatte mir selbst gerade gesagt, ich solle ihm FRAGEN stellen! Gebot es nicht die Höflichkeit, das dann auch zu tun? Aber andererseits … er war mein CHEF! Sollte ich es riskieren, irgendwelche dummen Fragen zu stellen und damit vielleicht meine Entlassung aus dem diplomatischen Dienst zu provozieren …?
Ich wand mich.
„Äh … ja nun … äh, ich glaube … das sollte ich besser nicht tun, Bote …“, stammelte ich nervös, ehe ich eigentlich begriff, was meine Lippen und meine Zunge da taten.
Die ganze Besatzung, die im Rund um Klivies Kleines herum saß, lachte grollend vor Vergnügen. Ich kam mir unendlich dämlich vor.
Offensichtlich hatte jeder von ihnen gewusst, dass diese Antwort kommen würde. Es war mir unendlich peinlich, und hätte ich mich auf einmal in einem Kinderhort auf meinem Heimathabitat wiedergefunden, wäre ich kaum verblüfft gewesen. So ähnlich kindisch verhielt ich mich nämlich gerade …
‚Ob sie auch alle so reagiert haben wie ich?’, ging es mir verwirrt durch den Kopf, während ich nervös die Phalanx meiner Begleiter anschaute und nur Amüsement in den schuppigen Gesichtern entdeckte. Irgendwie machte es das nicht einfacher. Was ging mich die Blamage der anderen an? ICH war es ja, der sich JETZT blamiert hatte!
„Sie waren ebenso wie du, Coshtuur. Es gibt keinen Grund dafür, dich zu genieren. Und du kannst mich Kleines nennen“, sagte das feiste Wesen milde, deutlich amüsiert. Das war wegen der aufgeschwemmten Mimik kaum zu sehen, aber die Aura, die Kleines umgab, signalisierte das auf subtile Weise. „Einfach nur Kleines.“
Dennoch – ich brachte es nicht fertig. Jedenfalls nicht während der zwanzig Minuten des Abstiegs durch die Planetenatmosphäre. Dazu war ich, ehrlich gesagt, noch viel zu verschüchtert. Auch die vielen brennenden Fragen, die mir durch den Kopf gingen, wagte ich nicht zu stellen.
Das Schwingenschiff des Boten hob vom Hangarboden ab, nachdem es sich versiegelt hatte, und wir wurden durch den glitzernden Energievorhang, der das Vakuum vom langen Hangardeck der SULVAASCH fernhielt, in den dunklen Glanz des Kosmos entlassen, unter uns die saphirne Perle der herzoglichen Hauptwelt namens Tuwihry.
Dann waren wir unterwegs.
Kleines ließ mich in Ruhe, und zum Glück bedrängten mich auch meine Kollegen nicht. Ich war so benebelt von Kleines´ Aura, dass ich ohnehin kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Also tat ich das, was mir am sinnvollsten schien: ich konzentrierte mich auf unser Reiseziel.
Tuwihry, im übrigen – aus dem Weltraum betrachtet – eine durchaus schöne Welt, war eine Welt mit einer Gravitation von 1.02 Standard, die über drei atmosphärelose Eismonde verfügte. Ich wusste aus den Hypnoschulungen einiges über den Planeten, zwang meinen nervösen und konfusen Verstand aber dazu, nur die wichtigsten Fakten zu referieren. Das würde mir helfen, wieder etwas mehr Gelassenheit zu entwickeln. Und die brauchte ich dringend! Wenn ich da unten in der Stimmung ankam, in der ich jetzt war, stolperte ich noch über meine eigenen Füße und blamierte mich bis auf die Knochen!
Tuwihry, erinnerte ich mich beherrscht, verfügte über acht Kleinkontinente und fünf große, zusammenhängende Meeresflächen. Insgesamt war das Verhältnis Meer-Land eines von 55 zu 45, aber nur wenige Gebiete der Welt ließen sich problemlos besiedeln, was an ausgedehnten Dschungelflächen und Sümpfen sowie wild zerklüfteten Gebirgsplateaus lag. Und natürlich an der Physiologie seiner Bewohner, die Sumpfklimate nicht vertrugen. Da der Planet kaum Polachsenneigung besaß, bestand ein durchgängig mildes Klima, das dem unserer Subtropen glich. Dadurch wurden drei Ernten pro Jahr ermöglicht, so dass seit der Errichtung der Herzoglichen Globalen Hegemonie vor hundertsiebenundsechzig Tuwihry-Standard-Jahren keine Hungersnöte mehr zu vermelden waren.
Tuwihry beherbergte die moderate Bevölkerung von achtundsiebzig Millionen Shassluur, eine von mäuseähnlichen Wesen abstammende, aufrecht gehende Spezies, die nach den Angaben der Baumeister seit rund achtzigtausend Jahren die herrschende Rasse darstellte und sich über die ganze Welt verbreitet hatte. Einstmals führte die regionale Zersplitterung der Planetenoberfläche fast unweigerlich zur Entwicklung von Hunderten von Stadtstaaten und Herzogtümern, bis in jahrhundertelangen Adelskriegen endlich die Herzogliche Globale Hegemonie des Hauses Phyolaan etabliert werden konnte.
Der Grund für den Sieg dieses eigentlich bevölkerungsarmen Hochlandclans des Äquatorkontinents Iskraavid lag in der technologischen Vorherrschaft. Außerdem kam ein ideologischer Faktor dazu. Aber zunächst einmal zu den geografischen und geologischen Besonderheiten:
Die Gebirgsregionen rings um das Hochland waren mineral- und erzreich, so dass die technisch sehr versierten Phyolaan-Shassluur in schnellen, kurzen Kriegszügen und zahlreichen, raffinierten Vertragsabschlüssen und Heiraten in Nachbarclans zügig ihr Einflussgebiet auf den gesamten Kontinent Iskraavid ausdehnen konnten, der fast sechzig Prozent der Shassluur-Bevölkerung Siedlungsplatz und Nahrung bot. Mit der frühzeitige Entwicklung von Flugmaschinen und dampfgetriebenen Schiffen gelang ihnen die Niederwerfung zahlreicher Fluss- und Küstenstädte, deren technische Innovationen sie konsequent unterbanden oder ihrer eigenen Wissenschaftssparte einverleibten. Die Phyolaan-Shassluur besiegten in Rekordgeschwindigkeit Piratennationen und räuberische Clans von den Nachbarkontinenten, zum Teil, wie ich schaudernd erfahren hatte, durch barbarische Flächenbombardements, als sie erst einmal die Lüfte erobert hatten. Die Konsequenzen für die Zivilisten mussten schrecklich gewesen sein. Aber die Sieger sprachen von so etwas natürlich nicht …
Inzwischen herrschte der 18. Herzog von Phyolaan von seiner Hochlandmetropole Noolidan unangefochten über die gesamte Welt, und die multinationalen Konzerne, die ebenfalls hier ihren Sitz hatten, bildeten gleichsam die Treibriemen der systemweiten Raumfahrtwirtschaft. Ob es sich um die Ausbeutung der drei Eismonde des Planeten Tuwihry handelte oder um den Bau und den Betrieb der Interplanetarfähren, ob es um die Exploration und Besiedelung der nahen drei Trümmergürtel des Sonnensystems oder aber um Kontakte nach Außerhalb ging, niemand konnte am Herzogtum vorbei, und niemand hier konnte in dieser Hinsicht an der großen Volksreligion der Befellten Erweckung vorbei.
Damit leitete ich gedanklich zum zweiten Faktor über, der diesen Shassluur-Clan zum Herrscher über Tuwihry gemacht hatte. Sie betrachteten das allen Ernstes als Ausdruck göttlichen Willens, und das kam folgendermaßen.
Die Befellte Erweckung hatte ich anfangs amüsant gefunden, als ich den Begriff das erste Mal hörte. Der Begriff klang aber auch wahrhaftig zu drollig. Es war eine absonderliche Erscheinung, wie ich schon damals gefunden hatte, als ich das erste Mal davon hörte und die diplomatischen Berichte über das Shassluur-Reich durcharbeitete, um mich auf diese Mission vorzubereiten. Und je mehr ich davon erfuhr, desto gruseliger wurde es eigentlich. Wenn man ein religiös motiviertes Wesen war, konnte einem dabei wirklich ganz anders werden.
Glücklicherweise waren wir Allis durch und durch rational!
Die Befellte Erweckung ging, so hieß es wenigstens, auf ein mythisches Erlebnis des 1. Herzogs von Phyolaan zurück. Der Legende zufolge befand er sich auf der Jagd – der Jagd nach entlaufenen Sklaven eines unterworfenen Feindherzogtums, die er solange zu jagen pflegte, bis er sie „erlegt“ hatte, wohlgemerkt! Das musste man physisch verstehen, denn die Gejagten überlebten solch eine Jagd selbstverständlich nicht.
Glücklicherweise war diese Sitte seit über einem Jahrhundert abgeschafft; was nicht bedeutete, dass es Folter und Arbeitslager für Regimeabweichler nicht mehr gab! Ob sie wirklich eine bessere Alternative darstellten, war mir unklar, aber ich konnte es mir schlecht denken – , nun, dieser erste Herzog von Phyolaan befand sich also auf der Jagd, als ihm am Rande eines steilen Felsabbruches eine Erscheinung den Weg versperrte. Es war angeblich ein riesenhafter türkisgrüner Shassluur, der ihn von der weiteren Verfolgung des hilflosen Opfers abhielt.
Er, ein göttliches Wesen, das später als Suuvid in die Mythologie einging, erklärte dem wuterfüllten, aber rasch demütigen Herzog, es gebe ein lohnenderes Ziel als dieses kleinliche Einprügeln auf hilflose Kreaturen und deren Abschlachten, das Niedermetzeln von Shassluur, die ohnehin schon unterworfen seien und nur noch um ihr Leben bettelten.
Er solle sich, fuhr Suuvid fort, lieber dem Glanz der ganzen Welt zuwenden und diesem die Majestät einer völkisch-rassischen Identität stiften. Dabei könne er durchaus so viele Völker und Staaten und Städte unterwerfen und ausplündern, wie er wolle. Aber wovon er abzusehen habe, das sei die völlige Auslöschung oder Vernichtung der Gegner, denn das würde er ohnehin niemals schaffen (was mir schaudernd gezeigt hatte, dass solches Vorgehen offensichtlich in der Shassluur-Geschichte durchaus nicht gerade selten gewesen war. Es ist wohl verständlich, dass das meine Akzeptanz dieser Kultur nicht eben erhöhte. Von der Wertschätzung ganz zu schweigen).
Die Überlebenden solcher Strafaktionen, sagte der riesenhafte, grünfellige Shassluur, würden ihn und seinen Stamm jedoch immer mit Hass verfolgen und die erste beste Gelegenheit wahrnehmen, ihn ihrerseits zu zerschmettern. Hass und Rache brächten nur Hass und Rache hervor, und die Welt würde immerzu im Blute waten und nicht von der Stelle kommen. Alle Fortschritte kämen so zum Stillstand und wären dem Untergang geweiht.
Da wenigstens musste ich diesem unheimlichen Wesen, an das zu glauben ich außerstande war, zustimmen. Und tatsächlich ließ sich auch der Herzog davon beeindrucken und änderte seine Politik grundlegend.
Durch dieses mythische Ereignis entstand der Kult der Befellten Erweckung, alle Soldaten wurden auf Suuvid eingeschworen, und dem energischen Sendungsbewusstsein dieser religiösen Ideologie war es zu verdanken, dass Phyolaan schließlich die Welt regierte. Die blutige Einigung Tuwihrys dauerte zwar noch immer Jahrhunderte, aber sie hielt, als sie einmal erreicht war, das Phyolaan-Reich zerbrach nicht wie die vorherigen Staaten nach dem Tod des Regenten wieder. Der Triebmotor war neben dem globalen Kult das technologische, intellektuell befeuernde Reich der Phyolaan-Shassluur.
Die Hauptstadt Noolidan, erinnerte ich mich weiter, einstmals ein kleines Bergnest mit einigen Adelssitzen, war im Gefolge dieser Entwicklung zu einer Metropole herangewachsen, die heute ihresgleichen auf Tuwihry nicht fand. Sie hatte sich natürlich dramatisch verändert im Vergleich zu dem Bild, das sie in früheren Jahrhunderten bot: Heute besaß sie einen großen Raumhafen im Schatten der rücksichtslos abgeholzten Bergrücken, wo hohe Betonwälle Erosion verhindern sollten. Die Betonwälle waren mit großflächigen Landschaftsbildern geschmückt, damit die Illusion einer schönen Umgebung vorgespiegelt wurde.
Die Informationen der Baumeister und der SENSOREN des Flaggschiffs sagten aber auch unleugbar aus, dass in der Umgebung der Hauptstadt nach wie vor exzessiver Raubbau an der Natur begangen wurde und die Stadt unter starken ökologischen Schäden litt. Das schien den Herzog kaum anzufechten. Nun, sein Palast war nach unserem Wissen voll klimatisiert. Von dem Smog, der tagtäglich über Noolidan lag, bekam er nichts mit.
Natürlich war er auch nie zu Gast in den zwölf unterirdischen Strafgefangenenlagern, die rings um Noolidan lagen, gut versteckt für jede planetare Ortungstechnik. Die technischen Systeme der Baumeister, die auf unseren Schiffen im Einsatz waren, maßen indes die Schwankungen der Dichtekoeffizienten in den oberen Taared der Planetenkruste und hatten schon beim einfachen Überflug die furchtbaren mehrstöckigen Lager sichtbar gemacht und die Vitalfunken darin gezählt.
Dort unten vegetierten Zehntausende von internierten Shassluur vor sich hin, die – nach Aussage des SENSORKERNS des Flaggschiffs – dazu verurteilt waren, Wiederaufforstungsarbeiten in den ruinierten Gebirgszügen zu leisten. Ihre Effizienz war einfach jämmerlich. Shassluur waren physisch schwache Wesen, und da die Strafbrigaden keine mechanische Unterstützung bekamen, kam diese Arbeitstechnik einer Vernichtung durch Arbeit näher als einer ernsthaften Behebung der ökologischen Missstände …
„Die Shassluur sind seltsame Wesen“, meinte auch Kleines, während wir durch die dunstigen Wolkenschichten niederschwebten, flankiert von Schwärmen shassluurischer Sicherheitsfähren und allischer, schwarzer Diskusbeiboote. Wir gingen immer gern auf Nummer Sicher. Kleines war nun einmal ein außerordentlich wichtiges Wesen …
Kleines´ Bemerkung riss mich aus meinen reflektorischen Grübeleien, und fast schien es, als habe er meine Gedanken verfolgt, um zielsicher an der Stelle einzuhaken, wo ich mit dem Exkurs über die shassluurische Geschichte in der Gegenwart ankam. Aber das konnte ich mir nicht so recht vorstellen.
„Wie … äh … meint Ihr das … äh … Kleines?“, fragte ich zaghaft. Es fiel mir immer noch schwer, ihn so … vertraulich anzureden. Er war und blieb halt mein direkter Vorgesetzter, nicht wahr? Und das durfte ich nie, niemals vergessen.
Der Bote richtete kurz seine schwarzen, kleinen Äuglein auf mich, und goldene Funken sprühten über seine aufgeschwemmte Haut. War das Amüsement? Ich hätte es nicht zu sagen vermocht.
Dann erläuterte er, mit mehr als nur einem Hauch Bedauern in seiner Stimme: „Eine intakte Ökologie ist für den Erhalt der Lebenssphäre von enormer Bedeutung, Coshtuur. Die Baumeister wissen das seit langem und sorgen entsprechend dafür, dass die Beschädigung der Umwelt in jenen Regionen, in denen sie tätig sind, möglichst gering ausfällt. Du kennst das von allen Stützpunktwelten, auf denen das SENSOR-Netzwerk dafür sorgt, dass selbst die Natur mit den Baumeister-Installationen interagiert5, ganz zu schweigen von Habitaten, die die Baumeister für ihre Diener erschaffen.
Wesen jedoch, die gleich den Shassluur auf ihrer Welt agieren, begehen mit ihren zutiefst egozentrischen Aktionen unweigerlich einen Frevel gegen die Natur. Sie sehen nicht, dass sie ihre Heimat unwiderruflich zu Grunde richten, und selbst wenn man es ihnen erzählte, würden sie es uns nicht glauben.“
Klivies Kleines seufzte, und es klang nun wirklich resignierend. „Ich habe das so oft erlebt, dass ich mich daran eigentlich längst gewöhnt haben sollte. Und doch ist es nicht der Fall. Es ist überall genau dasselbe, die lokalen Unterschiede sind kaum der Rede wert … Und die ständige Wiederholung dieser stupiden Dummheit macht mir immer noch zu schaffen.“
Er seufzte erneut. „Ich weiß natürlich, woran das liegt. Es ist eine Frage des Informationsdefizits.“
„Aha?“ Benommen von Kleines´ Ausstrahlung wie von dem Wortschwall war ich außerstande, etwas Intelligenteres zu sagen. Wahrscheinlich lag das, was er zu sagen versuchte, wirklich sehr nahe und war äußerst plausibel. Ich konnte das jedoch nicht sehen. All meine wieder gewonnene Seelenruhe durch das mentale Referieren der Fakten über die Shassluur-Geschichte löste sich wieder auf. Kleines´ Ausstrahlung war, um es behutsam zu formulieren, wirklich mächtig umwerfend. Dementsprechend benebelt reagierte ich.
Ich war natürlich verdammt froh darüber, dass die anderen neunzehn Allis des Begleitkommandos ringsum nur freundlich grinsten und nicht irgendwelche dummen Bemerkungen machten. Wahrscheinlich hatte Klivies Kleines sie dazu ermahnt. Ich hatte es auch so schon schwer genug …
Das schwerfällige, schuppenlose Wesen nickte mühsam. Es sah nicht so aus, als fiele Kleines eine solche Bewegung auch nur im Mindesten leicht. So, wie der Bote aussah, fiel ihm wahrscheinlich überhaupt nichts leicht. Wäre da nicht diese Ausstrahlung gewesen, er hätte vermutlich in jedermanns Augen nichts anderes als einen Krüppel dargestellt, eine vom Schicksal schrecklich gequälte Mutation …
Aber diese Aura … du liebes Licht!
„Weißt du, jede Kultur neigt dazu, Informationstransfers zu unterbinden“, sagte Klivies Kleines langsam. „Das geschieht aus dem egoistischen Gedanken heraus, dass ‚die Gegenseite‘ – wie auch immer sie aussehen mag – von den eigenen Fehlern oder auch Fortschritten lernen könnte. Und was die anderen nicht wissen, im Guten wie im Schlechten, stellt für solche Ignoranten, die diese Informationen unterdrücken, offensichtlich einen Vorteil dar.
Das ist ein Grund für solch eine Einstellung. Ein anderer liegt in Kurzsichtigkeit und mitunter rassischem oder nationalem Dünkel: Fehler, die andere Nationen begehen, werden nicht zur Kenntnis genommen oder sogar verhöhnt – während man selbst genau dieselben Fehler begeht, sie aber geflissentlich ausblendet. Hier wird mit Absicht mit zweierlei Maßsystemen gemessen.
Verrückt? Natürlich, aber so ist die Welt solcher Wesen.
Je mehr Nationen auf einem Globus agieren, desto schlimmer ist die Ausprägung dieser Handlungsweise. Es ist eine Rivalität der schieren Dummheit. Ich sage dir, ich habe zahllose Welten gesehen, Coshtuur, auf denen so viele kleine und kleinste Nationen beheimatet waren, die fast durch die Bank alle dieselben Fehler begingen und teilweise sogar darum wussten, sie aber mitunter absichtlich nicht korrigierten in der bizarren Hoffnung, das Gegenüber würde dieselben Fehler begehen und daran schneller zu Grunde gehen als sie selbst … wären all diese Nationen von einer unparteiischen Schiedsstelle über die Konsequenzen ihres Handelns rechtzeitig informiert und gezwungen worden, entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen, dann könnten diese Welten heute Paradiese sein.“
„Aber sie sind es nicht“, riet ich in einem hellsichtigen Moment, und die böse Vorahnung schnürte mir fast die Luft ab. Vielleicht regulierte Kleines in dem Augenblick die Stärke seines Schirmes wieder etwas höher – einerlei, wie auch immer das zustande kam, jetzt war ich auf einmal hellwach und konnte wieder etwas klarer denken.
Ich durfte nie vergessen, begriff ich nun: dies war kein theoretischer Exkurs, sondern der Bote hatte all diese Welten, von denen er erzählte, BESUCHT! Diese Nationen existierten, diese Völker lebten und begingen weiterhin ihre furchtbaren, kleingeistigen Fehler und …
Kleines´ Antwort brachte meine überschäumenden Gedanken zum Stillstand.
„Nein, Coshtuur, das sind sie nicht“, gab er zu und zögerte kurz. Dann gab er der Wahrheit Ausdruck. „Heute sind alle diese Nationen tot und vernichtet. Das Terrorimperium hat sie überrollt, bevor sie ihre Fehler korrigieren konnten.“
Diese furchtbare Erkenntnis brachte mich dann zum Schweigen.
Beklommen beschloss ich, dieses Thema vorerst nicht mehr anzuschneiden. Es war einfach gar zu grauenerregend.
5.
Die shassluurische Metropole von Noolidan, unser Reiseziel, erwies sich als ein logistischer Alptraum, daran änderte auch die Tatsache nichts, dass wir – also Klivies Kleines und seine allische, diplomatische Eskorte – eine Vorrangbehandlung genossen.
Unser erster Eindruck dieser Großstadt, in der angeblich zwei Millionen Shassluur lebten (das war die offizielle Zahl, wenn man jedoch die uferlos ausgedehnten erdgeschossigen Slums rings um die Metropole anschaute, musste man eher von der doppelten Bevölkerungszahl ausgehen), war der eines stumpfen Schuppenteppichs unter dichtem grauen Nebel, durchflossen von den matten, fast anthrazitfarbenen Bändern zweier schmaler Flüsse, die nicht einmal beim Einmünden in diese uferlose Metropole die Farbe normalen Wassers besaßen.
Es handelte sich um die beiden Lebensadern von Noolidan, überall bedeckt von kleinen Brücken, die Ufer gesäumt von unzähligen Piers und Lagerhäusern, Fischmärkten und Siedlungen schwimmender Märkte. Zahllose Stichkanäle verliefen sich in den einzelnen Stadtvierteln, und ein Detailzoom enthüllte uns wimmelndes Leben in den Straßen, auf den Uferpromenaden, auf den flachen, überdachten Booten, den Dutzenden von Fährverbindungen, den Brücken … diese Stadt barst nur so vor Shassluur.
Tausende der Mauswesen konnte man auf den Detailscans als winzige, flauschige Punkte erkennen, die quecksilbrig und unstet hin- und herirrten. Ein jeder gefangen in seinem Lebenskreis, in seiner Kaste, seiner Familie, mit einem individuellen Schicksal, und doch im kosmischen Maßstab völlig gleichgültig.
Aus dem Zentrum der organisierten Stadt, um die herum die beiden Flüsse flossen und um deren Außenränder sich dann die eben beobachtete und überflogene Slumbebauung ausdehnte, stachen für shassluurische Verhältnisse geradezu atemberaubend hohe ockerfarbene und silbrige Türme hervor, und darin lag ein weitläufiges, von einem breiten Grüngürtel eingehülltes Areal.
Letzteres, so sagte mein Hypnoschulwissen wenig willkommen, da ich mich eigentlich mit dem Rest dieser wirklich unglaublichen Stadt beschäftigen wollte (gütiges Licht, es war meine erste diplomatische Außenmission! Und ich wollte was von dieser Welt sehen!), war der gesperrte Palastbezirk des Herzogs von Voy-Xenn. Er verfügte über eigene Schwimmbäder, Flugplätze, autarke Verkehrssysteme, besondere Elite-Garnisonen, Flugabwehrgeschützbatterien und ähnliches.
Damit unterschied er sich vom Rest der Hauptstadt Noolidan so vollständig, dass man meinen konnte, zwei höchst ungleiche Zivilisationen seien hier quasi ineinander verschmolzen. Aber angeblich sah das überall auf Tuwihry ähnlich aus, wo die jahrhundertealten Adelssitze von den Hütten und sonstigen Siedlungsformen ihrer Dienerschaft umwuchert wurde. Wohlstand, lernte ich an diesem Punkt meiner Gedanken höchst nachhaltig, zog Arbeitskräfte an, insbesondere in Gesellschaften, in denen es wenig Alternativen zum Vegetieren auf dem Lande gab. Der hungrige Magen diktierte, was man tat, und wenn man sich dafür in Unfreiheit begeben musste, aber etwas zu essen hatte, nun, dann tat man das eben.
Schreckliche Vorstellung.
Allein diese festungsartige Form des Herrschaftsareals legte dem uneingeweihten Betrachter schon nahe, dass diese Welt krank sein musste, dachte ich weiter: Niemand, der nicht irgendeine Form von Krieg führte, musste sich so verschanzen. Da der Herzog von Tuwihry aber keinen Krieg führen musste, weil es auf seiner Welt keine feindseligen Staaten mehr gab (und für auswärtige Auseinandersetzungen war bekanntlich das technologische Level der Shassluur zu niedrig), verbarg er sich also ängstlich vor seinem eigenen Volk und führte gegen seine Untertanen eine bizarre Form von wohlstandsinduzierten Krieg.
Ich begann Kleines´ Bemerkung von den Völkern, die sich aus kleinlichen Motiven heraus selbst zerrütteten und ihre Umwelt ruinierten, zu glauben. Es war eine widerwärtige Erkenntnis. Vor allen Dingen deswegen, weil wir mit den Verantwortlichen für dieses Desaster verhandeln mussten, und dabei durften diese offensichtlichen Missstände nicht einmal angedeutet werden, um den Verhandlungserfolg sicherzustellen.
Ich ertappte mich plötzlich bei dem Gedanken, dass ich einen Erfolg gar nicht für sinnvoll hielt. Dann hätten die Shassluur vielleicht endlich mal gelernt, dass es so nicht ging …
‚Nein, das ist ein perverser Gedanke‘, korrigierte ich mich erschrocken in Gedanken. Das war vollkommen verkehrt! Korrekt war vielmehr dies: ‚Wenn die Verhandlungen scheitern, wird Tuwihry sich nicht bessern, sondern an die Troohns fallen. Und völlig ausgelöscht werden … gütiges Licht, wie komme ich denn auf so wahnsinnige Gedanken?‘
Ich sah, dass Klivies Kleines mit seinem fremdartigen, aufgeblähten Gesicht einen Ausdruck aufsetzte, der fast ein Lächeln hätte sein können. Hatte er diesen Gedanken in mir induziert? Normalerweise hätte mich das schockiert, aber im Angesicht von Kleines´ himmlischer Glorie war ich zu benommen dafür. Diese Gedanken verwirrten mich vollständig und verschlugen mir endgültig die Sprache.
Das im Sonnenlicht glitzernde Schwingenschiff des Boten setzte fauchend und einen leichten Windstoß auslösend, umringt von einem konzentrischen Kreis von Alli-Begleitschiffen der Eskorte, auf dem palastinternen Kleinst-Raumhafen des Regenten auf. In einer Entfernung von ziemlich genau drei Taared (laut meiner Anzug-KI) wurde die Anlage von hohen, nach innen gekrümmten Festungsmauern umgeben, auf denen Shassluur in schusssicheren Monturen patrouillierten. Nach der Zählung des kleinen SENSORKERNS des Boten-Schiffes, der die Daten unablässig an die Mitglieder des diplomatischen Korps weitergab, befanden sich allein in direkter Sichtweite mehr als zweitausend Energiesignaturen und Wärmesignale, die sich in Soldaten, Sicherheitskräfte und Bedienstete aufspalten ließen. Der weitaus überwiegende Teil gehörte zum Sicherheitspersonal.
Sicherheitspersonal, das ich einfach zum Lachen fand, als ich es jetzt zum ersten Mal sah. Es war wirklich schwer, nicht laut herauszuprusten: Die Shassluur in ihren kugelsicheren Panzerwesten wirkten auf mich geradezu abstrus. Zierliche, schmalgliedrige Gestalten mit weit vorgestreckten, bronzefelligen Köpfen, auf denen jedes technische Equipment geradezu bizarr wirkte.
Ich entsann mich meiner Kindheit auf Sharweshtin und besonders an den Laufkäfig meiner ältesten Schwester Alvyrit, den ich schließlich erbte, als sie meinte, es sei nicht mehr „altersgemäß“, sich diese possierlichen Silaari zu halten. Silaari waren kleine Nager mit seidigem Fell6, und man hatte sie extra so gezüchtet, dass sie ihre existentielle Hemmung gegenüber Raubreptilien ihrer Heimatwelt verloren. Sie waren schrecklich verspielt und possierlich, und mit fünfeinhalb Jahren wurden sie sogar ziemlich alt.
Die Shassluur erinnerten mich auf geradezu frappierende Weise an Silaari, was zur Folge hatte, dass ich sie einfach nicht ernst nehmen konnte. Zu sehen, dass sie wie Alli-Polizeikräfte gepanzert waren, vervollständigte den Eindruck der Surrealität. Einigen meiner Kollegen ging es offenbar nicht anders. Einige von ihnen grinsten breit und würden wohl ähnlich wie ich nachher Probleme haben, draußen ihre gelassene, ruhige Miene der Neutralität zu wahren.
Außerdem: die Größe! Gütiges Licht, diese possierlichen Kerle waren nicht mal halb so groß wie ich! Vermutlich reichte ein halbherzig ausgeführter Stupser, um sie von den Beinen zu stoßen, ganz egal, wie stark sie gepanzert waren. Wie sollte man, bitte schön, solche „Sicherheitskräfte“ irgendwie fürchten können? Untereinander mochte das bei den Shassluur etwas anderes sein. Aber doch nicht uns gegenüber!
Im Gegensatz zu den Silaari verfügten die Shassluur aber noch sehr wohl über die Reptilienhemmung. Das mochte ein entscheidender Grund dafür sein, dass sie uns mit solchem Misstrauen begegneten und die Verhandlungen derart lange herauszögerten. Wenn man sich mit jemandem an einen Tisch setzen muss, der aussieht wie ein einstiger Fressfeind (ganz zu schweigen von einem sehr viel größeren Fressfeind, als man es selbst physisch ist), dann ist wenigstens Vorsicht angebracht. Ich konnte das nachvollziehen.
„Sind die Shassluur eigentlich sicher, dass wir sie nicht fressen wollen, Kleines?“, erkundigte sich ein sehr kompakter Alli der Eskorte sarkastisch. Ich kannte ihn noch nicht persönlich, aber auf einem Display am oberen Helmsaum erschien sein Name sofort: Vushtaar, Sicherheitsberater des Boten. Wichtigster Teilnehmer der Mission, wie die KI dazu lautlos einblendete.
Ich war einen Moment lang irritiert, dass sich in unserem Kreis Sicherheitsberater befanden. Waren das denn hier im Raum nicht alles … Diplomaten …? In Gedanken behielt ich mir vor, die restlichen achtzehn Begleiter während unserer Mission einem oberflächlichen Datenscan zu unterziehen. Es konnte ja irgendwie nicht sein, dass …
Kleines´ Antwort unterband ein intensiveres Nachdenken.
„Du solltest die Shassluur nicht verspotten. Sie können nichts für ihre Erscheinung, Vushtaar“, rügte er sanft, aber er schien zugleich solche Bemerkungen gewohnt zu sein. In diesem Moment spürte man seine lange diplomatische Erfahrung. „Und du weißt ja: möglichste Zurückhaltung, Nüchternheit und Konzentration. Kümmere dich um deine Aufgabe.“
„Ja, ich weiß, Kleines. Ich werde mich dran halten.“
„Worauf … äh … warten wir eigentlich noch?“
Der Bote sah mich unergründlich an, und ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen, so peinlich war es mir, dass ich laut gedacht hatte. „Wir warten auf den Hofmarschall Bhaalison, Coshtuur. Es muss doch alles nach den Etiketten gehen, nicht wahr?“
„Oh. Ja. Natürlich.“
Die Etikette. Noch so eine Verrücktheit.
Im Laufe der nächsten zwei Stunden hatten wir reichlich Gelegenheit, die bizarren Etikette der Shassluur von Phyolaan kennenzulernen. Ich konnte sie selbst nicht glauben, obwohl ich Augenzeuge dieser ganzen Vorfälle war. Es war einfach … absurd. Mir fiel kein passenderes Attribut ein.
Zunächst kam Hofmarschall Bhaalison in einer Sänfte (!), zusammen mit seinem siebzig Personen umfassenden, reich geschmückten Gefolge. Die dazu zählenden Shassluur mussten natürlich zu Fuß gehen. Eine Frage des Ranges, nicht wahr? Das musste man verstehen … Bhaalison war ein kleiner, ziemlich gut genährter Shassluur in einer schreiend bunten Phantasieuniform, in der er ordentlich schwitzte. Ich nahm an, dass die ganzen Farben, Muster und Metallversatzstücke seiner Uniform irgendwelche Bedeutung besaßen, aber auf mich wirkte der kleine Kerl einfach nur drollig.
Er selbst nahm sich jedoch äußerst wichtig.
Er verhandelte geschlagene fünfundzwanzig Minuten draußen auf dem Rollfeld im warmen Wind des Hochlandes (das nur deswegen vor dem Smog der Hauptstadt geschützt wurde, wie ich später erfuhr, weil leistungsstarke Gebläse immerzu für Luftzirkulation auf dem Palastareal sorgten; was das an Energie verschlang, mochte ich mir nicht mal im Traum vorstellen) mit Kleines´ persönlichem Adjutanten Tholnoy.
Dann waren wir soweit, dass wir Kleines´ Antigravsessel ausladen konnten. Die meisten des Shassluur-Gefolges des Hofmarschalls stierten den Boten ungläubig und verstört an, um dann ostentativ irgendwo anders hinzuschauen. An ihrem gesträubten Fell erkannte ich, dass Kleines ihnen irgendwie unheimlich sein musste. Nun, ein Ausbund an Schönheit war er halt wirklich nicht, da hätte ich ihnen zugestimmt. Und da Kleines den Individualschutzschirm sehr hoch eingestellt hatte, konnten sie seine Aura nicht spüren.
Nachdem er ordentlich saß, teilte Kleines zwei Allis aus den Begleitschiffen als Wache für das Schiff zu. Die anderen achtzehn Angehörigen des Botenstabes, mich eingeschlossen, würden ihn in die Residenz des Herzogs begleiten. Ich glaube, ich hätte protestiert, wenn er mich hier einfach zum Wacheschieben abkommandiert hätte! Aber ich bin mir dessen nicht ganz sicher.
Die Absurditäten dieser Welt gingen munter weiter.
Speziell für uns angefertigte Fahrzeuge rollten heran, gesteuert von Shassluur in silbernen Gardeuniformen, die in offensichtlich gepanzerten und vollkommen abgeschlossenen Kabinen saßen. Ich konnte ihre Angst fast durch die Scheiben hindurch riechen, ich brauchte nur das gesträubte Fell und die großen, schwarzen Augen ansehen. Sie taten mir unermesslich leid. Es gab doch gar keinen Grund zur Furcht …
Das konnte man ihnen wahrscheinlich tausendmal erzählen. Sie würden es nicht glauben.
Wir mussten auf diesen seltsamen, klobigen Vehikeln, die seitlich offen waren, aufsitzen, und einer meiner Kollegen äußerte halblaut die Vermutung, dass das vorher wohl offene Lastwagen gewesen sein mussten. Normale Shassluur-Fahrzeuge würden unser Gewicht nicht tragen können.
Sie waren auch ähnlich unbequem wie Lastwagen. Ganz zu schweigen davon, dass die Sitze bedenklich unter uns knirschten. In einem unglaublichen Kriechtempo beschleunigten diese seltsamen Gefährte, die über acht Räder mit Bodenkontakt verfügten. Natürlich besaßen die Shassluur auch noch keine Antigravtechnologie. Wir hätten ihnen wahrlich so viel Gutes geben können. Kugelmaschinen zur Erzeugung von ökologisch verträglicher Energie7, Absorber für die Resorption von schädlichen Emissionen, Roboter, die die Strafarbeitskolonnen überflüssig gemacht hätten … aber das würde alles erst später kommen.
„Ich wäre zu Fuß schneller“, wisperte mir Ashbaar vergnügt zu, während wir über erschreckend schmale Straßen, deren Ränder vollkommen leergefegt waren, auf den Palast zukrochen. Anders konnte man das wirklich nicht nennen. Wir sahen während der langen Fahrtzeit dennoch nicht eine einzige Shassluur-Seele. Die Scanner unserer Anzüge signalisierten indes deutlich, dass sich hinter jeder einzelnen verspiegelten Scheibe beiderseits unseres Fahrtweges Dutzende, manchmal Hunderte von neugierigen oder wahrscheinlich ängstlichen Shassluur-Zivilisten drängelten (Hofbedienstete! Nicht Zivilisten, korrigierte ich mich sofort. Womöglich sogar Geheimpolizei. Gewundert hätte es mich kaum).
Ich musste Ashbaars Bemerkung einfach zustimmen. Wir hätten bequem neben den Fahrzeugen marschieren können. „Kleines wird schon seine Gründe haben, warum er das zulässt.“
„Ja, natürlich. Akzeptanz.“
„Ruhe da hinten!“, kam die barsche Weisung von Vushtaar.
Wir schwiegen wieder, und ich beobachtete in Ermangelung anderer Möglichkeiten einfach die Umgebung. Da sie so offensichtlich beabsichtigt von jeder Person leergefegt worden war, richtete ich mein Interesse bald auf unser Ziel aus: den Herzoglichen Palast des Regenten von Tuwihry.
Es handelte sich eigentlich weniger um ein Gebäude als vielmehr um eine kleine Stadt von mehr als zweiundzwanzig Quadrat-Taared8. Sie bestand, soweit das meine Daten in den telemetrischen Modellen zeigen konnten, aus drei konzentrischen Ringen der Bebauung. Der Raumhafen, auf dem wir gelandet hatten, lag außerhalb, und noch etwas weiter draußen – wie ich schon gesagt hatte – befanden sich die Wallanlagen.
Hier drinnen gab es jedenfalls noch eine Wallanlage, und wieder wurde sie von hochgradig nervösen, uniformierten und bewaffneten Shassluur bewacht, deren gesträubtes Fell ich oftmals deutlich erkennen konnte. Diesmal konnte ich die Angst der Tuwihry-Bewohner ganz klar schnuppern. Es war ein … na ja, fast aufreizendes Aroma. Ich begann die tierischen Raubechsen dieses Planeten zu verstehen – wer einen verängstigten Shassluur in freier Wildbahn vors Maul bekam, wurde einfach GEZWUNGEN, diese Wesen zu jagen, bis sie zwischen den Zähnen hingen. Es war, als riefe jede Pore der Gejagten: Fang mich! Fang mich!
Das war ein bisschen wie mit dem Aroma einer brünstigen Vysva (ich musste unweigerlich an Thashii denken, es ging überhaupt nicht anders): wenn man sie roch, KONNTE man nicht mehr denken, sondern nur noch rein instinktiv handeln. Nur gut, dass die Shassluur, denen wir hier begegneten, genauso diszipliniert waren wie wir. Anderenfalls hätte die Mission vielleicht in einem Blutbad geendet. Wir waren rassisch irgendwie völlig inkompatibel.
Aus diesem Grund begann ich zu verstehen, warum die Verhandlungen mit dem Herzogtum so außerordentlich zäh gewesen waren.
An der Pforte kam es jedenfalls zur nächsten Verzögerung. Es musste jemand herzitiert werden, der Pfortenwächter genannt wurde, offensichtlich unterhalb des Hofmarschalls Bhaalison stand, aber es gab dennoch wohl irgendwelche Absprachen zu treffen, damit nicht irgendeiner der beiden brüskiert war.
Es war echt zum Schuppenauskratzen!
Im nächsten Innenring war auch alles wie leergefegt, nur konnten wir hier überall nervöses Sicherheitspersonal erkennen. Die meisten versteckten sich gut, aber selbstverständlich erfassten unsere Anzugscanner sie eigentlich sofort. Ihre Vitalfunken glühten wie hellstrahlende Leuchtkörper.
Ebenfalls von den Anzügen erfasst wurde das ganze Equipment der permanenten Sicherheitsüberwachung: die optischen und detektorischen Geräte, die auf uns gerichtet waren. Ich begann zu verstehen, warum Kleines uns die Anzüge belassen hatte. Und – unsinnig genug! – ich begann mich zu fragen, ob es irgendeinen Sinn gehabt hatte, meine Paradeuniform anzuziehen. Es sah so aus, als würde ich sie nicht brauchen.
„Kommen wir überhaupt aus den Raumanzügen raus während der Mission?“, erkundigte ich mich bei Ashbaar so leise als möglich. DEN Kommentar konnte ich mir jetzt echt nicht mehr verkneifen.
Er grinste breit und fand das offenbar rasend komisch. „Kannst es ja versuchen, Kleiner. Aber ich glaube, Kleines fände das nicht lustig.“
Ich musste wohl ein sehr verdrossenes Gesicht gezogen haben, denn Ashbaar hatte wirklich Mühe, sein lautes Lachen zu verbergen. Er schnaubte amüsiert.
„Ruhe dahinten! Benehmt euch endlich diszipliniert! Wir sind gleich da!“
Erschrocken stellte ich meine Wortmeldungen ein und bemühte mich, das nervöse Schuppenkräuseln im Nacken halbwegs unter Kontrolle zu bekommen, vom flatternden Magen mal ganz zu schweigen.
„Ich injiziere die nächste Dosis“, sagte der Medocomputer meines Anzuges plötzlich und überraschte mich damit ein wenig. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass die sechs Stunden seit der letzten Dosis schon vorbei waren. Vielleicht lag diese Anspannung und Unsicherheit auch daran, dass das Stoffwechselmedikament, das mich stabilisierte, im Kreislauf unter eine kritische Schwelle gesunken war? Ich nahm das so hin, fühlte das Prickeln am Rückgrat und lehnte mich seufzend gegen die viel zu kleine Lehne des Sessels zurück, schloss einen Moment lang die Augen.
Als ich sie nach ein paar Sekunden öffnete, ging es mir schon wesentlich besser. Das leichte Unwohlsein verflog schnell.
Der fahrbare Untersatz, auf dem wir befördert wurden, hatte indessen einen Innenhof im zweiten Innenring erreicht, der offensichtlich einen Fuhrpark beherbergte. Jetzt sah ich erstmals die „normalen“ Fahrzeuge der Shassluur aus nächster Nähe und musste wieder grinsen.
Gütiges Licht, das GING gar nicht anders!
Abgesehen davon, dass ich über das höchste der Fahrzeuge, das hier stand, wirklich locker hinwegschauen konnte, wenn ich stand – das hing einfach mit der Körpergröße der Shassluur zusammen, der größte von ihnen reichte mir nicht mal bis an den Brustansatz, folgerichtig erinnerten sie mich irgendwie alle an große Knuddelpuppen oder halbwüchsige Allis mit Plüschfell – , abgesehen davon also waren sie alle so schmal, dass es schon abenteuerlich wirkte. Sie besaßen an den Seiten Gleittüren, offensichtlich aus einem Kunststoff-Verbundstoff. Die Wagen, meist Viersitzer, waren alle schwarzrot lackiert und trugen das Herrschaftszeichen des Herzogs von Tuwihry. Und natürlich waren es alles vierrädrige, bodengebundene Fahrzeuge. Was sonst?
Ich vermutete, dass ich die Kunststofftüren mit der bloßen Faust hätte einschlagen können, so fragil und spielzeughaft sahen sie aus. Alles hier wirkte so miniaturisiert wie in einem Kinderspielpark. Unglaublich. Wie ein wilder Traum!
Am lustigsten fand ich die Wartungscrew und die Fahrer: sie standen alle neben dem im Halbkreis aufgebauten Fuhrpark, adrett uniformiert in Schwarz, Rot und Silber, mit neckischen kleinen Mützen auf ihren Fellschöpfen und schwarzen, polierten Stiefeln. Und zugleich sah man deutlich, wie ihre Knie zitterten.
Ich hätte laut herausbrüllen können vor Gelächter, so komisch sahen sie aus. Aber die Etikette verlangten selbstverständlich, dass ich ernst schaute und die Bemühungen der Shassluur, uns zu beeindrucken, anerkannte und respektierte. Gütige Baumeister, fiel mir das schwer! Ich würde hier noch an verschlucktem Lachen sterben, ich sah es voraus …
Und dann die nächste Stufe der Etikette: der Leiter des Fuhrparks redete mit dem Hofmarschall. Mit vielen Verbeugungen, rituellen Formeln und Austausch von Höflichkeiten wurde er Kleines vorgestellt, dann Kleines´ Adjutanten Tholnoy, dann Vushtaar …
Ehe wir begriffen, wie uns geschah, war die nächste halbe Stunde dahingeschwunden. Allmählich wurde ich durstig. Leider durften wir auf dem Weg zur Audienz noch nichts trinken. Ich dankte dem Himmel, dass es hier in der Hofanlage nicht übermäßig heiß war. Die Shassluur schwitzten zwar wie verrückt, wir konnten es deutlich schnuppern, aber das lag wohl mehr an der Angst und unserer Gegenwart anstatt an der Temperatur. Außerdem waren wir ja Hitze gewöhnt. Nicht auszudenken, wie es uns ergangen wäre, wenn Tuwihry eine heiße Wüstenwelt gewesen wäre …!
Nun, in diesem Hof durften wir also endlich von unserem unbequemen Vehikel absteigen und in langsamem Marsch in den eigentlichen Palastkomplex folgen. Natürlich gab es hier noch ein Zeremoniell mit dem Leiter der Palastwache, der uns – widersinnig genug – weitere zweiundzwanzig Shassluur-Soldaten als Wächter mitgab.
Gütiger Himmel, konnte man den Tag vertrödeln mit solchen Dingen …!
Da konnte man wirklich nur Geduld zeigen. Ändern konnten wir sowieso nichts.
6.
Als wir dann endlich in den für uns vorbereiteten Quartieren ankamen, lagen zwei weitere Stunden hinter uns. Der gesamte Weg bis hierher, der im Höchstfall in Luftlinie eine Distanz von zwölf Taared betrug, hatte uns damit fast viereinhalb Stunden Reisezeit gekostet. Unglaublich, um nicht von „unmöglicher Zumutung“ zu sprechen.
„Natürlich“ war eine Audienz erst für den nächsten Tag geplant. Wir sollten uns, wurde mitgeteilt, jetzt erst einmal erholen, uns mit unseren Räumlichkeiten vertraut machen, die shassluurische Kunst bewundern, die Architektur usw. usf. So war es uns jedenfalls vom Hofmarschall erzählt worden. Wenn wir Wünsche zu äußern hätten, gäbe es Terminals mit Ansprechfeldern, außerdem würden sofort Bedienstete erscheinen, sobald wir eine Meldung abgaben.
Es gab außerdem, und das fand ich recht bemerkenswert, ein umfangreiches kulturelles Begleitprogramm zu Kleines´ Besuch: so konnten wir uns, wenn unsere Interessen das nahelegten, den Herzoglichen Zoo der Residenz anschauen (natürlich im Innern der innersten Wachmauer gelegen), die hier im Palast gelegene Kunstgalerie besuchen, in der fraglos „politisch korrekte“ Aufseher und Führer uns die glorreiche kulturelle Entwicklung des Herzogtums von Voy-Xenn nahebringen würden. Auch standen Köche bereit, um sich unserem leiblichen Wohl nach besten Kräften zu widmen, und an eigens für uns entwickelten Terminals vermochten wir sogar Einblick in die shassluurische Datensphäre zu nehmen und uns Proben einheimischer Musik und Folklore anzuhören, die uns für Privatvorführungen jederzeit zur Verfügung stehen würden.
Doch, sie taten eine Menge, um uns zufriedenzustellen, unbestreitbar.
Unsere Räumlichkeiten sahen auf den ersten Blick auch sehr beeindruckend aus: relativ hohe Säle mit reichem Muschel-Ornamentschmuck in den Reichsfarben und glimmenden Parkettböden, Spiegeldecken und hohe Fensterfronten, durch die man einen schönen Blick auf die Parkanlagen im inneren Gürtel der „Festung“ hatte, wie ich den Palast instinktiv getauft hatte. Überall konnte ich die „Gärtner“ in bemerkenswert sauberen Kleidern sehen, die freilich nur auf den Muschelkalkwegen wanderten und keiner sonstigen Tätigkeit nachgingen.
Wachen. Sie trugen zwar Gärtneruniform, aber darunter ermittelten die Anzugsensoren problemlos Kommunikationsinstrumente, Waffen und Hartschalenpanzerung. Der Käfig, in dem wir saßen, war zwar hübsch, aber im Wesentlichen eine Art von luxuriösem Gefängnis.
Ähnlich doppelbödig sah es aus mit den Wänden unserer Unterkunft. Sie strotzten nur so vor Sensoren. Bewegungssensoren. Wärmescanner. Peilungsdetektoren. Optische Linsen. Funküberwachungskreise. Mich hätten auch Selbstschussautomatiken nicht verblüfft. Aber die gab es offensichtlich nur draußen, wie mein Anzug freimütig zugab. Er hatte einige davon ausgemacht. Sie waren ein wenig besser verborgen als der Rest der Anlagen.
Mich fröstelte bei dieser Bemerkung.
Der Herzog von Voy-Xenn, der herrschende Regent des Phyolaan-Clans, musste fast verrückt sein vor Angst. Vermutlich gab es eine starke Untergrund-Opposition gegen seine allmächtige Herrschaft, die er mit brutaler Gewalt unterdrücken musste. Es verstand sich von selbst, dass wir mit niemandem hier wirklich reden konnten. Schon gar nicht mit irgendeinem Shassluur allein. Sie traten immer, wirklich immer mindestens zu dritt auf.
Ich ließ mich schließlich, nachdem ich ein wenig von einem gerösteten Tintenfisch in würziger Soße gegessen und mich mit heimischem Fruchtwein – diese Feinheiten waren wenigstens im diplomatischen Dienst erlaubt, zumindest in Maßen – gelabt hatte, auf das ein wenig improvisiert wirkende Ruhelager zurücksinken und fragte meinen Zimmergenossen Ashbaar: „Sag einmal … wie lange wird diese Farce eigentlich dauern?“
„Dass wir so hin- und hergeschoben werden?“ Er lachte. „Nun, ich glaube, morgen geht es hier wirklich zur Sache. Dann findet die Audienz statt, und bis dahin werden wir ein wenig die Zeit totschlagen müssen … so sind die Dinge hier nun mal. Das ist in diplomatischen Missionen mit Kleines immer so. Er übernimmt die Verhandlungen, das ist ganz üblich – er ist einfach … am überzeugendsten, wenn du verstehst, was ich meine.“
Ja, das verstand ich gut. Es würde Kleines´ Aura sein, die die Dinge entschied. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass irgendwer gegen die Macht dieser Ausstrahlung gewappnet war. Aber es leuchtete dann natürlich nicht ein, warum überhaupt weitere Diplomaten dabei waren. Ich nahm allerdings an, dass es wohl etwas mit den „Etiketten“ zu tun haben musste, mit einer gewissen … Gleichwertigkeit der Kontaktgruppen. Wobei es die Shassluur einwandfrei weit übertrieben. Nun ja, sie mussten auch Eindruck schinden, nicht wahr? Eine reine Weste hatten sie schließlich nicht, wie die Strafgefangenenlager deutlich bewiesen …
„Ob ich wenigstens zwischendurch Funkkontakt mit der SULVAASCH aufnehmen kann, wenn ein wenig Luft …?“
Ich dachte unweigerlich an Thashii. Vielleicht hatte ich mich doch ernster in sie verguckt, als ich es wahrhaben wollte. Eigentlich schwer zu glauben. Auf der anderen Seite: all diese heißen Erfahrungen mit ihr lagen ja erst wenige Stunden zurück. Da war ein bisschen Schwärmerei doch ganz natürlich, oder? Es wäre ganz toll, ihre Stimme zu hören und ein paar unanständige, aufreizende Phantasien auszutauschen. Ich fühlte mich irgendwie ganz unanständig scharf. ..
„Keine Chance. Wenn du Abwechslung haben möchtest, kannst du Askovan fragen, ob er mit dir die Kunstgalerie der Shassluur im zweiten Stock besuchen möchte. Ich steh nicht so auf Kunst, dafür teste ich lieber die Küche.“
Ich war nicht erfreut über diese Aussicht. Aber wenn es wirklich keine Chance für einen Funkkontakt zu Thashii gab (oder zu einem meiner Kollegen aus der diplomatischen Abteilung, die ich mit meinen Schilderungen von Tuwihry beeindrucken und neidisch machen konnte), dann eben nicht! Dann musste ich die Zeit halt irgendwie anders totschlagen, und es schien nicht sonderlich intelligent oder abwechslungsreich zu sein, aus den Fenstern zu starren, um die nervösen Shassluur-Sicherheitsposten bei ihren immer gleichen Wegen zu beobachten und noch nervöser zu machen.
Shassluur-Kunst begutachten? Ob mich das wohl auf andere Gedanken brachte? Ich zweifelte ernsthaft daran. Es mochte aber vielleicht einen Versuch wert sein …
Zwei Stunden später watschelte ich mit dem Sicherheitsberater Askovan, einem stämmigen, jovialen Alli von 55 Jahren, der die Eigenschaft hatte, so zu gehen, wie ein Schiff in hoher See von einer Seite auf die andere rollte, durch die gleißend erleuchtete Galerie der Modernen Herzoglichen Kunst, wie unsere Shassluur-Führer das nannten. Sie lag fünf Stockwerke über unseren Unterkünften und dehnte sich in einem labyrinthischen Ganggewirr aus, für das man wohl einen Pfadfinder brauchte, um wieder herauszukommen. Oder eine Wegweiser-KI, die wie die in meinem Anzug automatisch den Weg memorierte.
Natürlich waren wir nicht alleine. Ich wäre naiv gewesen, hätte ich das angenommen. Niemand würde uns hier unbeaufsichtigt herumlaufen lassen! Zwar ließ sich kaum denken, dass wir irgendwelche … nun … Probleme bekommen hätten, aber vielleicht gab es aufrührerische Shassluur, die mit uns Kontakt aufzunehmen wünschten. Zweifellos wollten unsere Bewacher in dieser Beziehung auf Nummer Sicher gehen.
Stattdessen machten wir sozusagen eine „Gruppenreise“: Zwei Shassluur – einer davon musste offensichtlich eine äußerst zierliche, goldfarbene Frau sein, deren Alter ich nicht im Mindesten einschätzen konnte, dafür sahen sie mir alle wirklich zu sehr ähnlich (und das lag nicht nur an der sehr ähnlichen Statur, Größe und dem unisono gesträubten Fell!) – waren uns zugeteilt worden, die weitläufige Galerie ausführlich zu erklären und unverzüglich jede Frage zu beantworten. Außerdem wurden wir dann noch von vier weiteren Shassluur umringt, die unübersehbar zum Sicherheitspersonal des Palastes gehörten. Offiziell waren sie mitgekommen, damit wir auch überall unbehelligt unsere Fragen stellen konnten und niemand vom subalternen Personal (das wir nicht zu sehen bekamen!) uns behelligen konnte.
Die Ausrede nahm ihnen nicht mal der behäbige Askovan ab. Das war unser Überwachungskommando, keine Frage.
Ich fragte mich allerdings, wen sie wohl eher überwachten: uns oder die beiden Galeristen, und ich argwöhnte ein wenig letzteres. Die beiden Galeristen gaben sich die größte Mühe, nicht unruhig zu wirken, aber ich konnte deutlich schnuppern, wie es um ihre Fassung stand. Am liebsten wären sie wohl weggelaufen. Nicht, dass ihnen diese Möglichkeit blieb, ohne im Straflager zu landen …
Außerdem kam ich mir allmählich ausgesprochen dämlich vor, auch hier im Raumanzug herumzuwandern. Den hätte ich gerne ausgezogen, aber die Anordnung von Kleines, noch vor dem Beziehen unseres Quartiers erneuert, besagte einwandfrei: Wir gehen kein Risiko ein. Wir sind dicht an der FRONT. Die Anzüge werden nicht ausgezogen!
Askovan schien diese Order eben sowenig zu passen, aber er protestierte dagegen selbstverständlich nicht. Er war, wie gesagt, recht behäbig und außerdem solche Missionen schon ein bisschen länger gewohnt als ich. Und vielleicht stimmte es ja … vielleicht gewöhnte man sich wirklich an alles.
Das änderte nichts daran, dass ich mir nach wie vor ziemlich dämlich vorkam.
„…im Jahre 882 des Direktorats von Sayyidon beschloss der Regent des Herzogtums von Thin-Sylnosh, den Aufstieg seines Herrscherhauses glorifizieren zu lassen, und dazu zog er die besten Künstler der Neuen Stilrichtung des Realistischen Plastizismus hinzu und gab dieses Monumentalportrait in Auftrag …“, fiepte die Kunsthistorikerin und deutete mit zittrigen Fingern auf ein wandfüllendes Bild, das eine weitläufige Ebenenlandschaft zeigte, auf der wie ein goldenes Getreidefeld eine mächtige Kampfformation von flaggengeschmückten, lanzentragenden Shassluur in glitzernden Rüstungen zu sehen war.
Zwei, wenn man genau war. Ja, es waren zwei Formationen, die wild gegeneinander anstürmten, wie ich bei genauem Hinschauen entdeckte.
Die Farbgebung des monumentalen, bis zur hohen Decke reichenden Gemäldes war dergestalt, dass hinter der einen nur verbranntes Land, Trümmer und Wüstenei zurückblieb, hinter der anderen jedoch, die von links über das Bild zog, blühende Landschaften zu sehen waren. Auf einem Felsen stand eine strahlende Gestalt in silberner Rüstung, den dünnen Arm mit einem goldenen Schwert zum Himmel erhoben, wo sich hinter finsteren Wolken eine grünliche Shassluur-Gestalt abzeichnete. Zweifellos diese Befellte Gottheit, schätzte ich.
Soweit ich blicken konnte, sahen alle Bilder so ähnlich aus. Riesig, pompös, erfüllt von wimmelndem Leben in den pathetischsten Formen, die man sich nur denken konnte. Heroisierung, Heroisierung und nochmals Heroisierung. Krieg, Unterwerfung, Sieg. „Natürlich“ gewann immer das Gute. Selbstverständlich. Staatsfeindliche Vorstellung, wenn man was anderes annahm. Das Urteil für solche Kritik lautete zweifellos Arbeitslager …
Schwarzweißmalerei in krudester Manier, fand ich angewidert. Auf der einen Seite die Guten, die stets den Sieg davontrugen, auf der anderen Seite die finsteren, alles zerstörenden Schergen, die von der Macht der „richtigen“ Geschichte notwendig zermalmt wurden. Siegerkunst. Wir befanden uns schließlich in der Galerie der Gewinner, nicht wahr?
Ekelhaft.
Gruselnd ging dabei mir aber auch durch den Kopf, dass die Shassluur-Kunst, so eindimensional sie vielleicht auch sein mochte, doch den fundamentalen Konflikt zwischen den Troohns und dem Licht auf diese Weise eingefangen hatten, seltsam verzerrt natürlich und in einem ideologisch verblendeten Sinne, ansonsten aber leider unbestreitbar – denn draußen war es seit Jahrhunderten so, dass wir Allis in den Diensten der Baumeister verzweifelte Rückzugsgefechte gegen die Legionen der Finsternis schlugen.
Die Bösen gewannen, nicht wir.
Und wenn man dann genau war und sich draußen anschaute, wie der Herzog von Voy-Xenn seine Umwelt und sein Volk behandelte, dann überkam mich schaudernd der Gedanke, dass diese schleichende Verseuchung des allgegenwärtigen kosmischen Geschwürs, das die Troohns darstellten, die Seelen der Shassluur womöglich schon erreicht hatte, ohne dass sie sich dessen bewusst waren. Vielleicht badeten ihre Geister bereits in den Ausläufern der giftigen See, deren Flut die Troohns darstellten. Die Überlegung war widerwärtig, aber ich konnte sie nicht abschütteln …
„Sagt mal, habt ihr auch ein paar saftige Bilder da?“
Ich schaute Askovan so überrascht an wie die Shassluur auch. Niemand begriff auf Anhieb, was er meinte. Und unweigerlich breitete sich in unserer Gruppe allgemeine Unruhe aus.
Er hatte eine Frage gestellt!
Fragen mussten sofort beantwortet werden! Irgendwie!
Ich merkte, wie sich den armen Galeristen die letzten Haare vor Entsetzen aufstellten. Vielleicht sahen sie schon die Kerkerzellen, in die sie geworfen wurden, wenn sie jetzt nicht augenblicklich reagierten …
„Na ja, also, was ich sagen will, ist das: diese ganzen Schlachtengemetzel und Heldenposen sind ja ganz nett“, fuhr Askovan gelassen fort, die Arme ausbreitend und jovial grinsend (was die Shassluur nur dazu trieb, dass sich ihnen noch mehr das Fell sträubte. Grinsen war bei unserer Physis für die armen Kerle wirklich nicht lustig), „aber irgendwie reichen mir die letzten vierzig Bilder jetzt, ich würd‘ gerne mal was anderes sehen. Was Wärmeres …“
‚Nein, das meinst du jetzt nicht im Ernst‘, ging es mir durch den Kopf, als ich endlich begriff … und beinahe hätte ich gelacht. Ich hatte so eine Ahnung, was er meinte und konnte es wirklich nicht glauben. Das war doch einfach unmöglich!
Die Shassluur waren spürbar nicht so helle.
„Ja … also … wir hätten in Abteilung II heldenhafte Bilder vom Produktionsprozess …“, stotterte der männliche Kunsthistoriker, dessen Namen ich mir nicht gemerkt hatte. Seine Augen zuckten ruhelos hin und her, und um keinen Preis der Welt hätte er uns direkt anschauen mögen. Wenn er dazu gezwungen worden wäre, hätten wahrscheinlich seine Instinkte die Kontrolle übernommen und ihn einfach in die Flucht geschlagen.
Wahrscheinlich dachte der arme Kerl irgendwie an Hochöfenbilder, martialische Gemälde aus Stahlwerken oder so, aber ich konnte mir genauso wie Askovan denken, dass die Heldenposen da weitergingen, vielleicht ein bisschen untermalt von im Hintergrund glühenden Hochöfen. Aber das war sichtlich nicht das, was ihn interessierte.
Auf der anderen Seite … er konnte doch nicht ernsthaft an das denken, was ich jetzt glaubte! Das war … also, das war einfach unverfroren …!
Askovan schüttelte den Kopf und bestätigte meinen Gedanken.
„Ich glaube, das ist nicht so richtig das, was ich meine. Wir wollen ja nicht undankbar sein, aber ich denke, ich spreche meinem guten Freund Coshtuur hier aus dem Herzen – er ist jung, versteht ihr? – , wenn ich glaube, dass er gern etwas mehr … Gefühl sehen würde. Wenn eure Kultur das darstellt. Vielleicht ist das ja auch ein Tabu, keine Ahnung …“
Die Shassluur wirkten begriffsstutzig. Aber die Shassluur-Frau schien nun ziemlich klar zu begreifen, WAS er zu sehen wünschte. Sie zitterte stärker, und ich konnte mir lebhaft denken, dass ihr dieser Wunsch ziemlich unangenehm sein musste. Auf mich wirkte sie empört.
So ähnlich sah ich wohl gerade auch aus!
„…also, bei uns kommt das durchaus vor, dass man bei Vysva, also weiblichen Allis, jede Schuppe zu sehen bekommt … das ist eine angenehme Abwechslung von anderen Darstellungen, wenn sie sich dann so auf den Bildern räkeln und von allen Seiten zeigen …“, schwafelte Askovan weiter, und ich fragte mich verzweifelt, was wohl der Translator aus DIESEN Worten machte! Ich wollte es nicht wirklich genau wissen. Er konnte doch nicht ernsthaft erwarten, dass ihm die Shassluur AKTBILDER in der Galerie zeigten! Aber genau darauf lief es hinaus.
Endlich verstanden auch die Wächter, und sie gerieten in denselben Konflikt wie die Angestellten der Galerie: sollten sie jetzt empört reagieren und damit unweigerlich einen diplomatischen Zwischenfall riskieren – oder lieber auf unsere Wünsche eingehen und damit einen moralischen Konflikt heraufbeschwören?
Sie lösten das Problem schließlich ganz diplomatisch damit, dass sie eine höhere Instanz zu Hilfe riefen und dann kurzerhand die Führung beendeten.
8.
„Wie konntest du das nur tun?“, warf ich Askovan endlich vor, als wir wieder in unseren Räumen waren und ich frei sprechen konnte. Draußen hätte es nicht so gut ausgesehen, wenn ich mich mit ihm gestritten hätte. „Das war ja wohl wirklich die Spitze der Unverschämtheit!“
Er lachte nur und grinste. Habe ich schon erwähnt, dass er sehr jovial und bedächtig war? Ihn brachte so schnell nichts aus dem Gleichgewicht. „Ach, weißt du, Cosh, ich hatte wirklich keine Lust mehr, mir diese schmalzige Glorifizierung ihrer Vergangenheit anzuschauen. Das war doch pure Ideologie, ist dir das nicht aufgefallen? Es war einfach nur lästig.
Weiß der Himmel, wie viele Schulklassen sie da sonst so durchschleusen, aber du kannst davon ausgehen, dass die hinterher alle ihre erwünschte, stromlinienförmige Geschichte im Kopf haben. Das ist doch furchtbar. Und wir brauchten diese Sache nun wirklich nicht. Also habe ich das Ganze abgekürzt.“
„Du hättest MICH aber ruhig aus dem Spiel lassen können!“
„Nein, das ging nicht.“
„Nicht?“ Ich sah ihn wütend an. Was sollte DAS denn jetzt bedeuten?
Er grinste noch breiter. „Nein. Ich habe mit Ashbaar gesprochen … als er dich abholte, konnte er sehr deutlich eine wilde Vysva in deiner Nähe schnuppern … ah, brauchst nicht schwarz zu werden, mein Freund, ich nenne keine Namen …, na, und da kann man doch wirklich leicht 2 und 2 zusammenzählen und sich denken, dass du von Schlachtengemälden in der Shassluur-Galerie nicht so sehr angetan bist wie – beispielsweise – vom Bild einer schönen, knackigen Vysva …“
Das war allerdings richtig. Dennoch, ich sträubte mich gegen diese Implikation, wenn auch mit etwas eigenartigen Argumenten. Vielleicht lag das an meinem Alter. „Du erwartest derartige Bilder doch kaum hier, oder?“
„Vysva? Nein“, gab Askovan nüchtern zu. „Himmel, ich habe nicht mal Aktbilder von Shassluur-Mädels hier erwartet. Abgesehen davon wären die auch keine Offenbarung, höchstens dann, wenn sie komplett rasiert wären, damit man was SEHEN kann. Die Kerle könnten hier auch NACKT rumlaufen, man sähe nicht, ob sie Männlein oder Weiblein wären. Doch nicht bei DEM Volk! Also, was soll das?“
Er hatte demzufolge einfach nur eine gezielte Provokation betrieben, um uns aus dem Schlepptau der Galeristen freizubekommen. Eine Provokation, die gewirkt hatte. Ich fragte mich freilich, was die Ideologie-Offiziere nun in ihre Berichtsbücher eintrugen über unser Verhalten und was sie für abstruse Schlüsse daraus zogen.
Mir blieb die Sache irgendwie peinlich. Und die armen Galeristen taten mir natürlich auch leid. Sie hatten von Anfang an ganz schlechte Chancen gehabt, erfolgreich zu arbeiten. Vermutlich verhörte sie jetzt der Geheimdienst. Askovan war das offenbar völlig egal.
Der Rest des Spätnachmittags und Abends verlief eher fad und unspektakulär. Wir hatten noch eine Besprechung mit Kleines wegen des morgigen Prozederes der Audienz mit dem Regenten und dem Thronrat (es gab auch ein Parlament, ja, aber das wurde nicht für bedeutsam eingestuft, weder von den Baumeistern noch von Kleines und schon gar nicht vom Herzog von Voy-Xenn!). Dann betrachtete ich nach dem Abendessen das glitzernde Ballett der drei Eismonde am Himmel von Tuwihry, direkt vor einem violetten Band einer nahen Dunkelwolke, die von jungen Sternen von innen beleuchtet wurde. Es war ein zauberischer Anblick, der durch den silbrigen Dunst, der über Noolidan hing, irgendwie noch verstärkt wurde. Von ferne dröhnten nonstop die Gebläse, mit denen der Smog von den Palastzinnen fern gehalten wurde.
Seufzend versuchte ich mich also, bis ich müde wurde, an diesem lächerlichen shassluurischen Abklatsch von planetarer Datensphäre. Sie hatten etwas, das sie so nannten, durchaus. Doch auch mit Unterstützung der Anzug-KI kam ich nicht richtig weit. Immerhin kristallisierte sich schnell heraus, dass nahezu alle relevanten und bedeutsamen Informationen durch rigide Filterfunktionen abgeblockt wurden. Zweimal brachte ich sogar den Rechnerknoten zum Absturz und konnte ihn nur ziemlich mühsam wieder aktivieren. Wahrscheinlich löste ich dabei ständig irgendwelche Alarmfunktionen bei den hypernervösen Sicherheitskräften aus …
Gütiges Licht, was diese Regierungspartei alles als „gefährliches Wissen“ einstufte! Das fing bei Geschichtsdaten an, die sich NICHT auf das regierende Herzogshaus von Phyolaan bezogen (Kritik am Herrscherhaus!), und wohl der Gipfel waren dann solche Fragen wie die nach ökologischen, wirtschaftlichen und soziologischen Informationen (Kritik an den Grundlagen der Gesellschaft! Also am Polizeistaat!). Als mir das gemeldet wurde, unterstand ich mich, Grundrisspläne des Palastes ansehen zu wollen. Dann hätte man mich wohl ungeachtet meines diplomatischen Status verhaftet und verhört.
Es war wirklich unglaublich.
Ich ging davon aus, dass es normalen Shassluur nahezu unmöglich sein mochte, hier in irgendeiner Weise Informationen zu gewinnen oder Propaganda zu betreiben, ohne dass die Regierung das unverzüglich herausbekam und wirksam (geheimdienstlich) einen Riegel vorschob. Doch, die Shassluur-Gesellschaft gab nur nach außen vor, einen demokratischen Anstrich zu besitzen, ansonsten war das hier eine lupenreine Diktatur, wie ich noch nie eine in natura gesehen hatte. Ich fühlte mich, je länger ich in diesem Palast weilte, umso unbehaglicher. Und fast war ich dankbar dafür, den Anzug anbehalten zu können – so konnte ich mich irgendwie sicherer fühlen. Vor den „Sicherheitskräften“. Das grenzte schon an Wahnwitz …
Nach einer Weile brummte Ashbaar, der sich inzwischen auf seinem Schlaflager hingebettet hatte, mir unwirsch zu: „He, Cosh, machst du jetzt endlich mal Schluss für heute? Morgen wird ein harter Tag!“
„Gleich …“
Er grummelte mürrisch vor sich hin. „Ach, die Jugend von heute … denkt immer, es gäbe kein Morgen …“
Zu dem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wissen, dass Ashbaar das Zeug zu einem verdammt guten Propheten hatte. Das merkte ich am nächsten Tag.
Und um eine Schuppe war es wirklich mein letzter.
ENDE DES ERSTEN TEILS
1 Über die Anfangsphase dieses Reiches informiert der OSM-Hintergrundtext „Höhere Weihen“, 2006.
2 Vgl. OSM-Hintergrundtext „Konstanten und Knochenkrieger“, 2004.
3 Vgl. hierzu die OSM-Ebene 2: „Oki Stanwer und das Terrorimperium“ (TI), begonnen 2003. Inzwischen ab 2013 in E-Book-Form auf Amazon.de erhältlich. Vgl. auch die Homepage http://oki-stanwer.de/.
4 Aus einer anderen, distanzierteren Perspektive kann man die in dieser Geschichte geschilderten Ereignisse in den TI-Bänden 39: „Die Reise in den Alptraum“ und 40: „Schergen des Terrorimperiums“, beide 2006, nachlesen.
5 Eine Kostprobe solcher Vernetzung kann der Leser der OSM-Ebene 2 (TI) nachlesen. Als die yantihnische GHANTUURON-Expedition auf der Dschungelwelt Shookash inhaftiert wird, machen sie solch eine Entdeckung. Vgl. TI-Bd. 15: „Die Macht der Liebe“, 2004 (als E-Book erschienen).
6 Man muss sie sich wahrscheinlich vorstellen wie Haushamster.
7 Vgl. hierzu die OSM-Serie „Oki Stanwer und das Terrorimperium“, begonnen 2003, Bd. 31: „Zeitenwandel“, 2005 (als E-Book erschienen).
8 Taared ist ein Distanzmaß der Allis und entspricht etwa 1088 Metern.