Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Die Welten des Magnus Ridolph
(OT: The Many Worlds Of Magnus Ridolph)
von Jack Vance
Heyne 4053
256 Seiten, TB (1984)
Aus dem Amerikanischen von Lore Strassl
ISBN 3-453-30996-0

Manchmal muss man gar nicht so weit blicken und graben, um auf Gold zu stoßen, sondern man hat es geradewegs vor Augen – so erging es mir mit diesem Buch, das ich im September 1988 erwarb und dann die nächsten gut 30 Jahre ungelesen von einem Regal ins nächste schob und mir sagte: Irgendwann, Jack, wird schon die Gelegenheit kommen, mich um dieses Werk zu kümmern. Vermutlich wurde ich durch die schlichte Tatsache von dem Lesevergnügen abgehalten, dass ich Magnus Ridolph nicht kannte. Andernfalls hätte ich das Buch sicherlich noch im gleichen Monat des Kaufes verschlungen.

Nun, das Schöne an Büchern ist, dass sie, zumal dann, wenn es sich bei ihnen um ausgesprochen zeitlose Werke handelt, weniger stark altern als die Leser, und dass das Lesevergnügen allerhöchstens dann verblasst, wenn die Inhalte von der Geschichte überholt werden (etwas, was mir bei älteren Sachbüchern und Zeitschriftenartikel häufiger widerfährt). Magnus Ridolph als Figur gehört aber zu jener Form von nachgerade archetypischen Charakteren mit einem ausgeprägten Eigenleben, dass ein Verhalten der Geschichten quasi unmöglich ist. Wir haben es hier ja auch nicht mit einem solchen Kontext zu tun wie bei Sherlock Holmes, der ewig in dem Zeitfenster zwischen 1870 und 1930 verharren wird, das an sich wenige Veränderungen zulässt.

Magnus Ridolph ist ein Mann der weit entfernten Zukunft, und seine Spielwiese ist ein von vielfältigen Alienkulturen bevölkertes Sternenreich der Menschheit in der ferneren Zukunft (das er nie genau zeitlich einordnet, und daran tut er gut!). Genau genommen ist Magnus Ridolph, der stämmige Mann mit dem operettenhaften weißen Spitzbart, jemand, den man leicht unterschätzt und den übel gesonnene Zeitgenossen gern übervorteilen und in wirtschaftliche Probleme stürzen wollen. Dummerweise weiß sich dieser Mann zu wehren, denn er ist nicht umsonst einer der besten Detektive der Galaxis – und zudem jemand, der dann auf recht unorthodoxe Weise seine Fälle löst und in der Regel auch für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt.

Dieser Band enthält die gesammelten 8 Geschichten um Magnus Ridolph, die Vance zwischen 1966 und 1980 verfasste, und ich zögere nicht zu gestehen, dass ich in den meisten aus dem vergnügten Kichern nicht mehr herauskam. Zum einen enthalten die Geschichten üblicherweise recht vertrackte logische Probleme oder kriminalistische Problemfälle, die auf den ersten Blick schwer bis nicht lösbar erscheinen. Zum anderen wimmeln sie von bizarren Welten und noch weitaus exotischeren Alienwesen, fremden Kulturen und eigentümlichen Bräuchen. Ob es dabei um Müllbeseitiger, fromme Mörder, intelligente Sardinen oder noch seltsamere Dinge geht.

Werfen wir am besten mal einen Blick in die hier gesammelten Fallstudien:

„Die Kokodkrieger“ ist die mit Abstand längste Novelle des Bandes. Magnus Ridolph, von zwei Geschäftspartnern übervorteilt und geprellt, ist ziemlich abgebrannt, als ihn Martha Chickering, die Schriftführerin der Frauenvereinigung zur Erhaltung von Sitte und Ordnung aufsucht und ihm den Auftrag erteilt, dem Kokod-Syndikat das Handwerk zu legen. Es handelt sich dabei um eine Vereinigung auf dem Planeten Kokod, die mit Wetten auf kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den dort beheimateten Stämmen Gewinne erzielt. Bei den blutigen Konflikten kommt es regelmäßig zu zahlreichen Todesfällen. Mrs. Chickering findet das ungeheuerlich und will, dass das aufhört.

Nun, das könnte schwierig sein, gesteht Ridolph, der sich über das Thema schlau gemacht hat. Denn die Kokod-Krieger sind eine von Natur aus kriegerische Spezies, und die sehr ernst gemeinten Kämpfe der Sippen gegeneinander sind ein bevölkerungspolitisches Regulativ. Ohne eine genetische Behandlung, die das gesamte Volk betrifft, könne man da kaum Abhilfe schaffen … aber dann erwähnt die Klientin, dass zwei Personen namens Bruce Holpers und Julius See die Verantwortlichen sind, die das Schattentalhotel auf Kokod betreiben, wo diese Wetten stattfinden. Und wie es der Zufall will, sind das die betrügerischen Geschäftspartner, die Ridolph um sein Vermögen gebracht haben.

Obgleich die Wahrscheinlichkeit sehr gering erscheint, in diesem Fall erfolgreich sein zu können, nimmt der Detektiv also die Herausforderung an und begibt sich ins Schattentalhotel. Und sehr seltsame Dinge passieren …

„Der unnennbare McInch“ ist ein Verbrecher von atemberaubender Dreistigkeit, der auf dem Planeten Sclerotto sein Unwesen treibt. Die Unikultur-Mission beauftragt Ridolph, den Verbrecher ausfindig zu machen und nach Möglichkeit auszuschalten. Aber niemand auf diesem kläglichen, völlig überbevölkerten und von bizarren Aliens nur so wimmelnden Flecken Welt weiß, wer McInch ist, nicht einmal, ob es sich dabei um einen Menschen handelt. Dass es ihn gibt, ist aber durch Diebstähle und zahlreiche Tote bezeugt, die auf sein Konto gehen.

Ridolph beginnt also zu ermitteln und befragt nacheinander die Polizisten, die asselgestaltigen Postboten, den Aas fressenden Müllmann und den nicht minder unmenschlichen Bankier, der bestohlen worden ist. Und schließlich ist er sich sehr sicher, wer McInch ist und ruft die Verdächtigen zusammen, obgleich er scheinbar gar nichts in Erfahrung gebracht hat …

„Die heulenden Schlinger“ stellen eine Gefahr dar, die Magnus Ridolph unbekannt ist, als er sich von Gerard Blandham eine Plantage mit prachtvollen Ticholama-Pflanzen zu einem ausgesprochenen Schnäppchenpreis aufdrängen lässt. Blandham ist nach eigenen Worten derzeit in einer finanziellen Klemme, andernfalls hätte er diese Plantage, die doch so ertragreich ist, niemals verkaufen wollen. Alles scheint also mit rechten Dingen zuzugehen. Nur jenseits des Feldes befindet sich ein komischer Streifen Brachland, der bei Ridolphs zweitem Besuch irgendwie größer geworden zu sein scheint. Und Blandham hat es auch ungewöhnlich eilig, das Geschäft abzuschließen.

Kaum hat er sich aus dem Staub gemacht, wird die Schattenseite des Kaufes sichtbar, und die könnte Magnus Ridolph nicht nur um die Plantage bringen, sondern auch das Leben kosten …

Auch in „Der König der Diebe“ ist Magnus Ridolph, von der Plantagengeschichte gründlich weit entfernt, dabei, ein neues Gewerbe zu erkunden. Diesmal geht es um wichtige Kristallvorkommen auf dem Planeten Moritaba, einer Welt, deren Bewohner als notorische Diebe gelten. Ridolph möchte mit dem König der Diebe, Old Kanditter, einen Geschäftsvertrag aufsetzen, um diese Kristallvorkommen ausbeuten zu können. Dummerweise ist er darin nicht allein, sondern hat Konkurrenz von dem intriganten, hinterlistigen Ellis B. Mellish, der ihn zu einer leichtsinnigen Wette veranlasst. Natürlich weiß auch Mellish von der Langfingertendenz der Bewohner des Planeten und meint, wer am Ende der Woche noch mehr von seinem eigenen Hab und Gut habe, werde letztlich das Geschäft mit Old Kanditter machen.

Ridolph wittert schon Schwierigkeiten und wird in der Tat bereits bestohlen, kaum dass er in der Unterkunft angekommen ist. Und Mellish macht ihm auch anderweitig das Leben schwer. Aber der Detektiv wäre nicht der Mann, der er ist, wenn er nicht selbst auch noch Geheimtricks aufzubieten hätte …

Ein „Kurort zwischen den Sternen“ ist die Welt unter der Sonne Eta Pisces nur in den Prospekten. Das wissen Joe Blaine und Lucky Woolrich, die höchst unglücklichen Betreiber eines neu errichteten Touristen-Resorts mit allen erdenklichen Schikanen, nur zu gut. Denn nach der problemlosen Errichtung des Komplexes hat sich alles in einen Alptraum verwandelt: „Neun Badegäste gleich am ersten Tag von Seekäfern getötet! Die Gorillawesen, die diese Mädchen in den Dschungel zerrten! Ganz zu schweigen von den Flugschlangen und Drachen …“

Nein, ein Idyll sieht deutlich anders aus. Das Resort ist wie leer gefegt, und dies aus gutem Grund. Aber die Ursache für all das verstehen die beiden nicht. Und so engagieren sie Magnus Ridolph, der die Geschichte aufklären soll. Irgendetwas hier ist faul, aber es ist nicht ersichtlich, was. Offenbar, kommt bald zutage, hat es irgendetwas damit zu tun, dass die hiesigen Einheimischen, die beim Bau des Hotels halfen, die friedlichen Mollies, sich seither wieder in ihre Dschungeldörfer zurückgezogen haben. Blaine hat eine Idee, was die Ursache gewesen sein könnte – aber die Umsetzung dieser Idee kostet Magnus Ridolph fast das Leben …

Die Story „Gnadenstreich“ ist leider die schwächste in der Sammlung, und das hat mit dem bedauerlich verräterischen Titel zu tun, sowohl im Englischen wie im Deutschen. Magnus Ridolph befindet sich auf einem Raumhabitat, das man als „die Nabe“ bezeichnet, ein exterritorialer Raum, auf dem sich multiethnische Begegnungen ereignen. Hier kommt er durch einen Zufall – er ist nur Tourist auf der Durchreise – mit dem Anthropologen Lester Bonfils in Kontakt, der mit drei paläolithischen Eingeborenen von S-Cha-6 auf Reisen ist. Bonfils macht einen gequälten Eindruck, und das hat mit seinen Erlebnissen auf einer Welt namens „Journeys End“ zu tun. Hier hatte er, dem Vernehmen nach, ein intimes Verhältnis mit einer Eingeborenen. Und seither wird er nach eigenen Worten von Feinden verfolgt, die ihm nach dem Leben trachten.

Magnus Ridolph kann ihm nicht helfen, er nimmt gegenwärtig keine Aufträge an.

Am nächsten Morgen ist Lester Bonfils tot, ermordet in seiner eigenen Unterkunft, direkt vor den drei im Käfig befindlichen paläolithischen Eingeborenen. Der Betreiber der „Nabe“, Pan Pascoglu, bittet Ridolph inständig um Hilfe, und binnen kürzester Zeit ermittelt der Detektiv zehn mögliche Verdächtige, darunter jene Frau namens Fiamella der Tausend Kerzen, die Bonfils den Tod angedroht hat. Offensichtlich die Person, die am meisten verdächtig erscheint. Ridolph kommt aber nach der Vernehmung der Verdächtigen zu einem anderen Schluss …

„Die manipulierten Sardinen“ ist mit Abstand die bizarrste Geschichte, wie ich fand. Es ist eher ein Zufall, dass der Detektiv auf diese seltsame Sache stößt. Er wird von seinem Freund Joel Karamor zum Essen eingeladen, und zum Dessert gibt es – für mich einigermaßen befremdlich – Sardinen und Kaffee. Es IST auch befremdlich, denn beim Öffnen explodiert die Sardinendose.

Karamor gibt zu, dass dies der wesentliche Grund dafür ist, seinen Freund gerufen und zum Essen eingeladen zu haben. Die Sardinen stammen vom Planeten Chandaria, wohin sie einst exportiert wurden und prächtig wachsen und gedeihen. Auf wundersame Weise sind die von dort importierten Sardinen deutlich preiswerter und qualitativ besser als die irdischen. Wenn nur nicht in letzter Zeit so bizarre Unglücksfälle vorkommen würden.

Karamors Geschäftspartner auf Chandaria, George Donnels, ist dort für die Fischzucht und Verarbeitung zuständig. Und als Magnus Ridolph sich dort in der Tarnung eines einfachen Arbeiters einfindet, stellt er alsbald fest, dass eigentümliche Sachen vor sich gehen. Die Sardinen werden beispielsweise von Leitfischen in die Verarbeitungsanlagen geleitet, die Leitfische selbst entschwinden aber durch eine Seitenluke aus der Falle und kommen so mit dem Leben davon. Und warum führt Donnels in der Lagune vor der Fabrik Sprengungen durch? Irgendetwas ist hier in der Tat sehr seltsam. Und es erweist sich als lebensgefährlich, dem Rätsel auf die Spur zu kommen …

In der letzten Geschichte geht es um „Das mysteriöse Verschwinden“. Magnus Ridolph, der gerade mit einem Alien-Zoo Schiffbruch erlitten hat und von Gläubigern verfolgt wird, erhält unerwartete Schützenhilfe von dem bärbeißigen Industriemagnaten Howard Thifer. Als Thifer Ridolphs Schulden tilgt, ist der Detektiv sozusagen engagiert und landet alsbald mit dem Industriellen auf dessen Planeten Jexjeka, einer kargen und eigentlich unbewohnbaren Felsenwelt in einem Drei-Sonnen-System. Thifer hat hier vier Oasen errichtet, A, B, C und D genannt, wo er Arbeiter angesiedelt hat und Minen ausbeutet. Sein Problem besteht darin, dass in den Oasen C und D mit einer gespenstischen Regelmäßigkeit nach jeweils 84 Tagen alle Bewohner spurlos verschwinden. Er kann es sich nicht erklären und meint nun gelassen, Magnus Ridolph habe drei Möglichkeiten, wie er die Angelegenheit angehen könne: Erstens könne er den Fall des Verschwindens lösen. Zweitens könne er seine Schulden, die Thifer ja für ihn getilgt hat, in monatelanger Minenarbeit abarbeiten. Oder er könne, drittens, wie die anderen Arbeiter kurzerhand spurlos verschwinden.

Ridolph entscheidet sich verständlicherweise für Variante 1. Aber das Rätsel scheint undurchdringlich. Und dann hält er sich in einer der genannten Oasen auf, als der 84. Tag anbricht …

Es ist eine pralle, farbenprächtige Welt, die Jack Vance hier vor dem Leser aufspannt, eine reiche Welt fremder Kulturen, bizarrer Lebensformen, exotischer Settings und Gebräuche, in denen er sich mit kulturanthropologischer Belesenheit und gründlicher Vorabinformation im steten Kampf gegen Vorurteile und heimtückische Betrüger befindet. Die Lösung seiner Fälle ist nie ohne einen gewissen Witz, manchmal – etwa im Fall der Sardinengeschichte – entbehrt sie sogar nicht ökologischer Aspekte. Es sind, nach meinem Geschmack, auch ungeachtet ihres Alters von z. T. mehr als 50 Jahren, gerade aufgrund der Tatsache, dass sie nicht an landläufiger Technologie festgemacht sind oder in vertrauten Umgebungen spielen, die unangemessen schnell altern können, zeitlose Werke, die man auch heute noch mit Vergnügen und gelegentlichem Gewinn lesen kann. Gerade die psychologische Ausleuchtung der Protagonisten und ihre logischen Kurzschlüsse sind immer wieder äußerst erfrischend.

Schade fand ich, dass Vance allein schon im Titel „Gnadenstreich“ die Lösung der Geschichte vorweggenommen hat. Allein wer des Französischen nicht mächtig war („Coup de Grace“ war der OT), hat vermutlich die Lösung nicht sehr zeitig erkennen können.

Alles in allem gelingt es Vance aber in dieser Sammlung von Geschichten, für Storysammlungen und Anthologien definitiv eine Lanze zu brechen. Es mag sein, dass sich Romane besser verkaufen, aber ich versichere euch, dass diese Vance-Kurzgeschichten schon genügend Gehalt aufweisen, um es mit durchschnittlichen Romanen von 200 Seiten Umfang locker aufzunehmen. Es lohnt sich, sie im Tempo von einer Geschichte pro Tag genüsslich zu konsumieren. Und als sehr zufriedener Leser am Ende das Buch zu schließen und sich vorzunehmen, alsbald das nächste Werk des leider schon verstorbenen amerikanischen SF-Autors zu verschlingen.

© 2019 by Uwe Lammers
Braunschweig, den 6. Dezember 2019

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