Buchbesprechung von Uwe Lammers
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Marvel Avengers: Jeder will die Welt beherrschen
(OT: Avengers: Everybody wants to rule the world)
Von Dan Abnett
Panini Books, 2019
320 Seiten, TB
Übersetzt von Timothy Stahl
ISBN 978-3-8332-3772-0
Wir kennen die Haupthandlungsträger hinlänglich aus den Marvel-Kino-Blockbustern. Da wären etwa zu nennen: Steve Rogers alias Captain America, Natascha Romanov alias Black Widow, Clint Barton alias Hawkeye, Anthony Stark alias Iron Man, Thor, Gott des Donners, Wanda Maximoff alias Scarlet Witch und Bruce Banner alias Der Hulk. In den Nebenrollen, wenn man so will, treten dann noch Personen wie Nick Fury, Direktor von S.H.I.E.L.D., und Pietro Maximoff alias Quicksilver2 sowie Vision auf. Insgesamt kennt man sie als die Avengers, jene mächtigsten Helden der Welt, die die Erde vor globalen Gefahren schützen.
Alle diese Helden werden, weitgehend unabhängig voneinander, in einem nicht klar benannten Jahr, beginnend am 12. Juni, in eine Kaskade von verschiedenartigen Katastrophenfällen verwickelt, die alle auf der Einsatzskala der Avengers Alpha-Priorität beanspruchen. Und es zeigt sich schnell, dass auf sehr verschiedene Weise die Existenz der Welt, die Freiheit der Menschheit oder gar der Fortbestand des Lebens, wie wir es verstehen, auf dem Spiel steht.
Gehen wir die Krisen mal im Schnellgang durch:
Captain America wird nach Berlin gerufen, weil hier Baron Wolfgang von Strucker gesichtet worden ist, das Haupt von HYDRA. Er hat von einer Berliner Hightechfirma ein Gerät entwickeln lassen, das er nun offenbar sehr dringend braucht. Sein Ziel ist es, vordergründig, erst einmal eine Demonstration seiner Macht zu zeigen – indem er Berlins Bevölkerung ausrottet. Was Cap natürlich vereiteln muss und ziemlich viel Randale erzeugt, Autos zerschrottet, Gebäude demoliert und Menschen verletzt bzw. tötet … kurzum: Da ist eine Menge Trouble los und so schnell kein Ende in Sicht. Das ist Krise 1.
Zeitgleich sind Hawkeye und Black Widow in einer Region der Antarktis unterwegs, die als „Savage Land“ bezeichnet wird und in der die beiden Helden, zu meiner nicht geringen Verblüffung auf Dinosaurier stoßen … ich dachte, ich bin bei „Jurassic Park“, echt (oder bei „Doc Savage“, aber das ist wieder eine andere Geschichte). Aber das sind nur so die Sahnekringel auf der Geschichte – im Zentrum der urwüchsigen Landschaft ist ein Labor der verbrecherischen Organisation A.I.M., in die einzudringen schon ein echtes Problem darstellt. Aber als die beiden Avenger drin sind und ermitteln, woran die Organisation arbeitet und was definitiv die freie Menschheit bedroht, sind sie auf einmal außerstande, Kommunikation mit irgendwem außerhalb herzustellen. Keine Verbindung zu S.H.I.E.L.D. Keine Verbindung zu den restlichen Avengers. Alle globalen Datenkanäle scheinen tot zu sein. Das ist Krise 2.
Dies wiederum hat mit dem zu tun, was – zeitgleich – in Washington, D.C., geschieht. Iron Man hat hier die Fährte zu einem von ihm so genannten Null Sechs-Ereignis aufgenommen. In einem geheimen Datenzentrum nahe Washington wird gerade das Ende der Welt vorbereitet, indem sich eine Datenverdichtung zu einer alles vernichtenden Künstlichen Intelligenz akkumuliert. Ihr Name – wie Iron Man feststellt, als er vor Ort ist und die Details ermitteln kann, während er um sein Leben kämpft – lautet, für ihn wenig überraschend: Ultron!
Die Künstliche Intelligenz, mit der er einstmals den Planeten Erde gegen eine Invasion von Aliens schützen wollte, ehe diese entschied, dass das größte Hindernis für die Evolution die menschliche Spezies sei und sich deren Vernichtung auf die Fahnen schrieb (so anzusehen im Film „Avengers 2: Age of Ultron“). Das also ist Krise Nummer 3.
Gleichzeitig (seltsam, nicht wahr?) gibt es auch in Sibirien ein seltsames Alpha-Alarmsignal, das diesmal magischer Natur zu sein scheint. Also genau das Richtige für den nächsten Avenger, Thor Odinssohn. Er muss bestürzt entdecken, dass ein Teil der Erde geradewegs in eine andere Dimension abgesaugt worden ist, und er trifft mit einem Wesen zusammen, das vorgibt, Scarlet Witch zu sein, dann aber Anstalten macht, ihn kurzerhand umzubringen. Die echte Wanda Maximoff taucht gerade noch zeitig auf, um das zu vereiteln, aber daraufhin sitzen sie beide in der Falle … und es scheint nur noch eine Frage weniger Stunden zu sein, bis der Finsterherrscher Dormammu die Erde auslöscht. Damit bahnt sich also Krise Nummer 4 an.
Und dann wäre da noch in asiatischen Gefilden eine Enklave der Gesetzlosigkeit, die Stadt Madripoor (bekannt aus der Marvel-Miniserie „Falcon and the Winter Soldier“). Hier treffen wir auf einen scheuen Wissenschaftler namens Bruce Banner, der nach besten Kräften versucht, nicht grün und damit zum unkontrollierbaren Hulk zu werden. Das ist nur schwierig, denn die Angelegenheit, der er nachgehen soll, führt ihn geradewegs zu einer gigantischen Gamma-Bombe, mithin genau zu dem Gegenstand, dessen Nähe er tunlichst vermeiden sollte. Krise Nummer 5.
Und so gehen die Avengers, isoliert und weithin von allen Kommunikationskanälen abgeschnitten und jeder Menge tödlicher Gegner ausgesetzt, dazu über, parallel diese Krisen zu lösen und die Bedrohungen niederzukämpfen …
Ich muss zugeben, Abnett versteht es durchaus, packend zu schreiben, und Stahl hat die Übersetzung nicht minder rasant ausgeführt. Man erkennt schön die einzelnen Marvel-Charaktere wieder inklusive ihrer manchmal nervigen Sprüche … aber mir kam diese Ballung an Krisen doch etwas sehr exaltiert vor. Zumal ich hier Schwierigkeiten mit den Verbindungslinien zu den Filmen hatte. Manches davon passt einfach nicht zusammen, und das hat vermutlich damit zu tun, dass Abnett wesentlich aus dem Ereignisraum der Marvel-Comics (!) kommt. Die Verfilmungen gehen mit diesen Stoffen relativ frei um, und so kommt es zu zahlreichen Verwerfungslinien, die dem Leser des Buches, der die Filme kennt, doch zu schaffen machen. Ich deute mal ein paar davon an.
Wolfgang von Strucker und Pietro Maximoff kommen im Film „Avengers 2: Age of Ultron“ ums Leben. Hier sind und bleiben beide quicklebendig, was manches verwirrte Augenzwinkern auslöste.
Wir treffen Dormammu, den Finsterling aus „Doctor Strange“. Aber von Stephen Strange, dessen Eingreifen man unwillkürlich erwartet, fehlt jede Spur.
Wanda Maximoff nimmt den Namen „Scarlet Witch“ erst im zweiten Strange-Film „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ an, und zwar hier ausdrücklich als Villain-Name einer ultimativen Bedrohung. Davon ist im Buch überhaupt keine Spur zu entdecken. Wandas Name und der der Scarlet Witch wird ungeniert synonym verwendet.
Ultron, der hier vergleichsweise gut charakterisiert wird, wird am Ende des genannten Ultron-Films von Vision eliminiert. Hier ist er auf einmal wieder quicklebendig und so gut wie unkaputtbar.
Na ja, und als wenn diese Ballung von Superschurken und den dazu gehörigen Armeen nicht reichen würde, gibt es „natürlich“ noch eine sinistre „Über-Bedrohung“ hinter den ganzen aufmarschierten Bösewichtern, mit der es die Avengers dann ebenfalls zu tun bekommen.
Nein, ich verrate nicht, was da jetzt noch lauert, man kann das gern selbst nachlesen. Ich fand insgesamt jedenfalls, dass Abnett einfach zu viele Bedrohungen auf einem Haufen ausgelöst hat (die sich nicht mal, was völlig abwegig schien, ins Gehege kamen und gegenseitig bekämpften, wiewohl sie sehr ähnliche totalitäre und deshalb strikt konkurrierende Ziele verfolgten). So interessant also auch die Parzellierung der Avengers und ihre datentechnische Isolation sein mag … sie führte zu einem ziemlichen Kuddelmuddel von unabhängigen Kämpfen, wodurch die große Stärke der Avengers, nämlich als ein Team zusammenzuarbeiten, kurzerhand auf der Strecke blieb. So unterhaltsam der Roman sich also auch lesen ließ – davon war ich rechtschaffen enttäuscht. Weniger Bedrohungen, mehr Teamwork, das hätte einen sehr viel weniger schematischen und wesentlich lebendigeren Roman ergeben. Auch hätte ein Hinweis nicht schaden können, dass dieser Roman grundlegend von den Filmversionen abweicht. Das hätte manches Stirnrunzeln verhindern können.
So kann ich also leider nur eine eingeschränkte Leseempfehlung für ausgesprochene Fans aussprechen. Sorry.