Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Zeitknick

(OT: The Knick of Time)
von George Alec Effinger

Heyne 4720, 1990
288 Seiten, TB
aus dem Amerikanischen von Isabella Bruckmaier
ISBN 3-453-04305-7
(nur noch antiquarisch erhältlich)

Zeit ist für uns ein steter Fluss, der von der Vergangenheit in die Zukunft strömt und auf dessen Verstreichen wir keinen Einfluss ausüben können. Aber das ist in phantastischen Romanen bisweilen anders, so auch in diesem. Wer unvoreingenommen in diesen Roman geworfen wird, hat einige Überraschungen zu erwarten. Und dabei fängt alles so unscheinbar und harmlos an …

Am 17. Februar 1996 gelingt Dr. Waters in New York ein sensationeller Durchbruch – er schafft es, erstmals einen Menschen in der Zeit zurückzuversetzen. Der verwegene Pionier heißt Frank Mihalik, und er ist darauf eingestellt, einfach nur ein paar Stunden im Jahre 1939 auf der New Yorker Weltausstellung zuzubringen, ehe er dann erfolgreich in die Gegenwart zurückkehrt und Bericht erstatten kann. Erst danach kann daran gedacht werden, Zeitreisen in irgendeiner Weise kommerziell einzusetzen – beispielsweise als Ventil für eine vollkommen übervölkerte Erde, in der selbst in Amerika Raumnot und karge Lebensverhältnisse herrschen. Allein an Süßwaren gibt es hier ein Überangebot, aber Süßigkeiten sind bekanntlich nicht alles.

Anfangs scheint alles glattzugehen. Frank erscheint tatsächlich an einem abgelegenen Ort der Weltausstellung des Jahres 1939, einem ruhigen Tag, den er durchaus genießen kann. Nur knurrt ihm bald der Magen, weil nicht an Proviant gedacht wurde, und sein Anzug hat nicht einmal Taschen, von Geld ganz zu schweigen.
Nun, es ist ja nur für ein paar Stunden. Denkt sich Frank.

Doch als der Transmissionsschock ihn schließlich erfasst, findet er sich durchaus nicht wieder im New York des Jahres 1996, sondern… auf der Weltausstellung von 1939. Und zwar exakt am gleichen Morgen, an dem er auch „gestern“ schon hier erschienen ist. Die Menschen folgen demselben „Programm“ wie am Vortag, bis in die Wortbeiträge hinein. Der kurze Ausflug wird zum Albtraum.

Frank Mihalik muss bald begreifen, dass irgendetwas mit der Transmission grundlegend schief gegangen ist, denn er kommt mit penetranter Regelmäßigkeit wieder an denselben Tag zurück. Die Weltausstellung von 1939 ist eher ein Gefängnis als irgendetwas anderes, und sie scheint sich nie zu verändern. Er selbst kann keine Vorräte anlegen, alles, was er sich erwirbt, ist mit der nächsten Transmission unwiderruflich verschwunden, zurückgekehrt zum ursprünglichen Besitzer. Niemand auf der Ausstellung hat eine Erinnerung an „Gestern“, und selbst als der Zeitreisende seit Monaten an diesem einen Tag festsitzt, ändert sich scheinbar überhaupt nichts. Nicht einmal eine Botschaft in die Zukunft kann er senden.

Als seine Kollegin Cheryl schließlich überraschend ebenfalls im „Zeitgefängnis“ von 1939 erscheint, haben sie das Gefühl, ein wenig Kontrolle über die Dinge zu gewinnen, doch diese Vorstellung ist trügerisch. In Wirklichkeit sind Frank und Cheryl längst in den Treibsand paralleler Zeitwelten geraten, und auch die Evakuierung in die Zukunft bringt ihnen schließlich keine Hilfe – weil es nämlich nicht „ihre“ Zukunft ist, sondern eine parallele, in der so etwas wie die „Agentur“ und das „Ewigkeitsministerium“ regieren, die die gezielte Deportation von Bevölkerungsüberschuss in die Vergangenheit zum Programm erhoben haben… und das ist leider alles erst der Anfang …

„Zeitknick“ ist ein Roman, den ich im August 1990 kaufte und gleich nach Erscheinen schier verschlang. Seltsamerweise verfasste ich damals keine Rezension dieses Buches, und das kam mir so eigenartig vor, dass ich mir das Werk nach 25 Jahren noch einmal vornahm und es – wieder in wenigen Tagen – las, mit dem klaren Vorsatz der Rezension.

Nach der Lektüre wurde mir klar, warum ich damals keine Rezensionsabsicht gehegt hatte. Das Buch schwächelt nach anfänglicher Stärke recht bald und zieht sich dann zum durchweg unbefriedigenden Ende immer weiter in die Länge wie ein Kaugummi, der überdehnt wird und fad schmeckt. Ihn auf dem Cover mit den Worten „Ein kosmischer Slapstick durch Raum und Zeit, voll Witz, Humor und satirischen Seitenhieben“ auszugeben, ist doch arg übertrieben (wiewohl ich natürlich eingestehe, dass ich vielleicht nicht die entsprechende Bildung besaß, um die Seitenhiebe zu erkennen, aber das klingt doch nicht sehr realistisch). Ich fand eigentlich bereits in dem Moment, wo die beiden Zeitreisenden im Reich der Königin Hesternia und des Königs Proximo landen, dass die Story lahmer und immer zielloser wurde, und alle Anspielungen auf den „Wizard of Oz“ und die Smaragdstadt (heute verständlicher, weil ich L. Frank Baum zwischenzeitlich gelesen habe) machen die dünne Suppe von Story nicht viel schöner. Es ist deutlich zu spüren, dass Effingers Grundidee, die eigentlich eine Modifikation vieler Zeitreisegeschichten des lange verstorbenen Keith Laumer bzw. auch des Filmklassikers „Und täglich grüßt das Murmeltier“ darstellt, einer langfristigen, in sich geschlossenen Struktur ermangelt.

Vielleicht ist das ein grundsätzliches Manko solcher Romane, die auf eine Überraschung eine noch überdrehtere, noch wildere Überraschung folgen lassen müssen, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Ich denke, der Roman wäre mit abwechslungsreicherem Personal, einer stringenteren Handlung und vielleicht auch Straffung deutlich besser geworden. So kann ich ihn nur für ausgesprochene Fans von Zeitreisegeschichten empfehlen.

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