Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Eckdaten

  • Suzanne Frank
  • Die Hüterin von Jericho (OT: Sunrise on the Mediterranean)
  • Blanvalet 2000, 608 Seiten
  • Übersetzt von Christoph Göhler
  • ISBN 3-442-35190-1

Es ist schon nicht so einfach, für eine Göttin gehalten zu werden. Und lebensverlängernd schon überhaupt nicht.

Chloe Kingsley, ihres Zeichens mentale Zeitreisende aus dem 20. Jahrhundert, fand sich zunächst im Ägypten der Pharaonin Hatschepsut im Leib der Priesterin RaEmHetepet wieder und erlebte hier diverse Abenteuer. Beim nächsten Durchschreiten des Zeittores erwachte sie unvermittelt im Körper der aztlantischen Priesterin Sibylla und musste von neuem darum kämpfen, sich an ihre neue Rolle zu gewöhnen. Beim Untergang des aztlantischen Reiches durch den Ausbruch des Vulkans von Santorin wurde Chloe erneut von neuem durch die Zeiten geschleudert, und nun ändern sich einige Dinge grundlegend.

Bisher war es stets so, dass nur auf subtile Weise die Augenfarbe ihrer „Gastwirtin“ verändert wurde, nämlich in das intensive Grün, das der jungen rothaarigen Navy-Soldatin in ihrer Heimatzeit Ende des 20. Jahrhunderts eigen ist. Als Chloe diesmal aber von ihrem ägyptischen Geliebten Cheftu losgerissen wird und mitten vor einer fremden Küste im Meer wieder zu sich kommt, steckt sie in ihrem eigenen Körper – in jenem so fremd gewordenen blassen Leib einer reinblütigen rothaarigen Amerikanerin mit ihren meeresgrünen Augen. Und sie trägt Kleidung aus dem 20. Jahrhundert.

Chloe hat keine Zeit, zu begreifen, was passiert ist, denn fremde Männer fischen sie aus dem Wasser und bringen sie an Land, um sie hier in einem Tempel einzusperren. Und dann gehen die Probleme erst richtig los: die Menschen, in deren Gefangenschaft sie sich befindet, sind Anbeter des Meeresgottes Dagon, nämlich das Volk der Philister von Tsor, dem heutigen Tyrus an der Küste von Kanaan. Und Chloe wird für eine Meeresgöttin gehalten, eine Gefährtin des Dagon, die zunächst beinahe tödliche Prüfungen absolvieren muss und dann, als wenn das nicht schon übel genug wäre, als Kriegsgöttin in einem sehr blutigen Kampf instrumentalisiert wird.

Die gegnerische Partei ist nicht viel angenehmer – es ist ein nomadisierender Bergstamm von barbarischer Eleganz und schnörkelloser Brutalität. Das Dumme an der Sache ist nur, dass Chloe viele Namen dieser Leute kennt, unter anderem den des Anführers, eines Mannes namens Dadua. Spätere Zeiten kennen ihn als David, König der Juden. Und Chloe Kingsley gerät als „Göttin der Philister“ in seine Hand und wird versklavt …

Auch Cheftu, Chloes Geliebtem, der eigentlich aus dem 19. Jahrhundert stammt und gleichfalls eine mentale Zeitreise ins Reich der Ägypter hinter sich hat, wird vom Schicksal hart angefasst. Er kann zwar den Körper der Priesterin Sibylla in dem Inferno des untergehenden aztlantischen Reiches retten, doch als diese die Augen aufschlägt, wohnt jemand ganz anderes in diesem Leib: Cheftus grausame einstige Geliebte, die ägyptische Priesterin RaEmHetepet, die zuvor Chloes im 20. Jahrhundert zurückgebliebenen Körper beseelte. Sie ist ähnlich überrascht, sich auf einmal in einem weiteren fremden Leib wiederzufinden wie Cheftu, sie überhaupt wieder zu erblicken. Die beiden bleiben unversöhnliche Gegner.

Beide gelangen, ein Zweckbündnis schmiedend, schließlich nach Ägypten zurück, doch während RaEmHetepet sich anschickt, in der ägyptischen Hierarchie, die inzwischen vom Ketzerkönig Echnaton beherrscht wird, aufzusteigen und den Untergang ihres Heimatlandes aufzuhalten, macht sich Cheftu auf die Suche nach seiner geliebten Chloe, die ja irgendwo geblieben sein muss. Die Orakelsteine Urim und Thummim leisten ihm dabei gute Dienste, auch wenn man die meisten ihrer Sprüche erst versteht, wenn es zu spät ist … bis sie auch Cheftu in die Sklaverei führen.

Chloes Weg geht nach Jebus, jener Stadt, die später Jerusalem heißen wird und zu diesem Zeitpunkt jeder Einnahme durch die Bergstämme widersteht. Die zeitreisende Amerikanerin, die zunehmend ungläubiger registriert, dass sie sich mitten in den Grundfesten der biblischen Geschichte bewegt und dort offenbar mehr Einfluss besitzt, als sie je für möglich gehalten hätte (das geht dem Leser ebenso), wird von Dadua auserwählt, diejenige Person zu sein, den Fall der Stadt vorbereitet – danach wäre sie frei. Aber die Aufgabe scheint unlösbar.

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, gibt es da noch die rachsüchtige, inzwischen mächtige RaEmHetepet und einen undurchsichtigen Mann namens Hiram, den Chloe bei einer Begegnung schließlich schockiert wiedererkennt. Einen Mann, von dem sie gedacht hat, er sei seit tausend Jahren tot …

Der dritte Roman des Zeitreise-Quartetts von Suzanne Frank verlangt dem nicht bibelfesten Leser einiges an Stehvermögen ab, muss man attestieren. Er hat offenbar auch die Verantwortlichen im deutschen Verlag deutlich überfordert:

Das Titelbild zeigt einwandfrei maurische Architektur, ist also erkennbar mindestens um tausend Jahre jenseits der Handlungszeit angesiedelt und damit vollkommen deplatziert. Der Titel offenbart, dass die Texter den Roman nicht gelesen haben: Chloe ist im ganzen Roman nicht in „Jericho“, sondern wenn überhaupt, dann in Jerusalem. Und wie jemand, der diese Stadt VERRÄT, als „Hüterin“ apostrophiert werden kann, entzieht sich dem gesunden Menschenverstand gänzlich. Der Klappentext ist nicht hilfreicher, werden doch hier Philister kurzerhand in „Pharisäer“ umgemünzt, was hinten und vorne nicht stimmt. Breiten wir also den Mantel des Schweigens über diese Peinlichkeiten und wenden uns dem Buch selbst zu.

Frank versteht es wieder einmal geschickt, die Szenerie und das Alltagsleben der levantinischen Zeit der alttestamentarischen Epoche zu neuem Leben zu erwecken, wie sie es auch schon mit Ägypten und dem aztlantischen Reich getan hat. Es ist das Bild einer sehr stark durch rituelle, religiöse Gesetze und Götterglauben gebundenen Gesellschaftsordnung, die den absoluten Kontrast zum vergangenen Buch darstellt. Sehr überzeugend gezeichnet.

Indes können zwei Schwächen nicht verschwiegen werden. Zum einen hat Frank mit dem später selbst eingestandenen „jüdisch-christlichen Hintergrund“ eine Art religiösen Filter eingeschaltet, den mehrheitlich jüdische Geschichtsereignisse passieren. Sie ist hierbei zwar durchaus kritisch, aber manchmal wird es doch recht abenteuerlich, was beinahe zwanghafte Verbiegungen des Handlungsstromes angeht (nur, damit man halbwegs im biblischen Kontext bleibt). Hier hätte sie sich auf relativ leichte Weise mehr Freiheiten herausnehmen können. So wird jemand, der die Bibel in- und auswendig kennt, viele Handlungswendungen mühelos vorhersehen können und dementsprechend gelangweilt reagieren.

Die bloße Vorstellung, die Bibel könne eben NICHT „das Wort Gottes“ sein, sondern eine einstmals zunächst mündliche, dann schriftlich fixierte Überlieferung, die durch Dutzende von Generationen Abschliffe und Veränderungen erfahren hat, somit also ein synkretistisches Werk darstellt, das von den Verfassern auch zum Zwecke der Legitimierung der eigenen Macht „gefälscht“ und umgeschrieben wurde – was heutzutage allgemein anerkannter Konsens selbst unter Bibelforschern ist – , diese Vorstellung lässt Frank nicht gelten. Damit schnürt sie sich selbst in das enge Korsett der jüdischen Überlieferung, was zwar mit der ideologischen Ausrichtung der geschilderten jüdischen Handlungspersonen im Roman korreliert, sonst aber absolut unhistorisch ist und zudem sie als Autorin dieses historischen Romans gängelt, dass es manchmal qualvoll zu lesen ist.

Zum zweiten hat sie einfach das Faible, „berühmte“ Personen aufeinandertreffen zu lassen. Da ist Bathseba, die spätere Mutter König Salomons, da ist König David selbst, da ist der riesenhafte Krieger Uri’a, der später der Musikgruppe „Uriah Heep“ den Namen leihen wird, wir stoßen auf Echnaton, auf den Nachfolgepharao Semenchkare und auf Tutenchamun, und irgendwann stöhnt man als Leser und sagt: Aufhören! Bitte, aufhören! Genug der VIP-Ballungen! Aber sie hört nicht auf. Da ist die Bundeslade, da ist das Goldene Kalb, da ist der Tempel zu Jerusalem …

Und dann entdecken wir überrascht Dion, einen uralten, aber jugendlich wirkenden Atlanter, der sich nach wie vor nach seinem Schwarm Cheftu verzehrt. Eine Person, von der man – wie Frank einmal schreibt – glauben könnte, dass sie tatsächlich der legendäre Satan der Bibel ist, der große Verführer, ein unwiderstehlich schönes Wesen. Und vielleicht legt sie Dion ja tatsächlich als diese Gestalt an. Wer weiß?

Immer noch unmotiviert ist indes auch weiterhin die Frage, wie die Zeitreisen zustande kommen und ob es eine Art von „Plan“ dahinter gibt – einen Plan des jüdisch-christlichen Gottes Jahwe, wohlverstanden. Chloe und Cheftu wissen die Lösung nicht und sind nach wie vor ratlos. Aber vielleicht erhalten die Leser ja Aufklärung im abschließenden vierten Band. Der soll uns – angeblich – nach Babylon bringen und somit wohl (wieder einmal) in die jüdische Geschichte.

Vielleicht ist das ein Grund, warum dieser Zyklus allmählich ein wenig unangenehm einseitig wird. Der erste Band fährt wie der dritte und wohl der vierte in diesem Fahrwasser. Der bislang mit Abstand beste war jedoch der, in dem sie eine größere Freiheit von der religiösen Einengung hatte, also der aztlantische Band 2. Momentan sieht alles danach aus, als mutiere dieser historische Romanzyklus zu einem neumodischen Stück religiöser Erbauungsliteratur, um „abgefallene ungläubige Schafe“ in den Schoß ihrer Mutterkirche zurückzuführen. Ich hoffe, dass ich mich hierbei gründlich täusche …

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