Science-Fiction-Geschichte von Uwe Lammers

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Prolog:
„Der gefährlichste Moment in der Existenz einer jungen, energiegeladenen und in sich zerstrittenen Rasse besteht darin, wenn etwas völlig Fremdes Kontakt mit ihnen aufnimmt und diese Rasse in sich nicht genug gefestigt ist, um die Bedeutung des epochalen Moments zu begreifen. Der Galaktische Rat auf Quazz-Nooy hat schon genug solcher Tragödien im Laufe seines vieltausendjährigen Bestehens erleben müssen, deshalb gibt es seit geraumer Zeit eine Vielzahl von Vorkehrungen und polizeilichen Absperrmaßnahmen, um zu verhindern, dass dieser Moment gestört wird.
Als am 15. September 2003 die Aufnahmeverhandlungen mit den wichtigsten Vertretern des Planeten Erde geführt wurden, waren diese Gesetze jedoch noch nicht in Kraft …“

Auszug aus der Encyclopedia Galactica, Band 343, Spalte 8801, Schlagwort „Sol III“, Abschnitt 660 „Beitrittsmoment“.

1. Harry Bright:
„Wenn Sie mich fragen, Victor, dann sind diese Briten doch alle versnobt und in ihren Geheimdienst verliebt.“
„Wenn Sie meinen, Sir …“
„Sie sollen mir nicht immer nach dem Mund reden, Victor, selbst wenn Sie von einer Butlerschule kommen! Ich denke, da lernt man auch das selbständige Denken?“
Der etwas dickleibige Harry Bright, ein stämmiger Mann von einem Meter zweiundneunzig und einem Übergewicht von vierzig Kilogramm, der immer etwas wie ein untergewichtiger Sumoringer wirkte, wischte sich den Schweiß von der Stirn ab, der dort trotz der Aircondition im Chrysler aufgetaucht war.
Es war warm in den schottischen Highlands Mitte September. Im Jahre 2003 war es ein erstaunlich warmer Monat, eigentlich sehr unüblich. Für ihn hätte es ruhig etwas kühler sein können.
Der Butler, diese steife, starrgesichtige Marionette, die ihn mehr an eine Vogelscheuche erinnerte als an irgendetwas sonst, vom MI-5 als „Begleitschutz“ auf ihn angesetzt. Als wenn er Begleitschutz gebraucht hätte! Er hatte die nächsten amerikanischen Geheimstützpunkte benachrichtigt und ein Alarmcodesignal vereinbart. Wenn er in Schwierigkeiten geriet, würde er binnen einer Stunde wieder auf freiem Fuß sein. Die Highlands ringsum mussten von seinen Marines förmlich wimmeln …
„Victor, nun sagen Sie schon was! Mann, eine Zeitung ist unterhaltsamer als Sie!“
„Was soll ich sagen, Sir?“, kam die Replik nüchtern von dem Butler in seinem dunklen Anzug. Der Spazierstock lehnte auf seiner Seite an der Wagentür, den Hut, einen runden Bowler, der ihn so antiquiert aussehen ließ wie eine Figur aus einem Film der 60er Jahre (da gab es doch mal irgendwann so eine Agentenserie mit einem Mann namens Steel oder so ähnlich, dachte Harry Bright) , machte das Klischee vollkommen.
„Na, irgendwas! Auf meine Bemerkung antworten! Sagen, was uns erwartet! Irgendwas!“
Der Chrysler, von einem stoischen Ex-Soldaten gefahren, der hinter der abtrennenden Glasscheibe nicht zuhören konnte, was die beiden auf dem Rücksitz redeten, glitt über einen Hügelkamm hinweg. Ringsum gab es, soweit der Blick reichte, nichts als schroffe Hügel, überwuchert von Heide und hoch stehendem, gelbem Gras, in Niederungen noch grün und blühend. Moose und Flechten überzogen die höheren Kuppen der Hügel als höchste Lebensform. Hier und da ragten noch zerfallene Mauern aus den wogenden Grasfeldern hervor, die Reste einstiger Ansiedlungen, die Harry aber nicht interessierten.
Sein Blick glitt nur nach vorne.
In dem Tal, das sich nun auftat, schimmerte in der Ferne ein See, und an dessen Ufern, etwas erhöht gebaut, stand das Schloss, Slaymont Castle, ein völlig unbekanntes kleines Schloss in der Provinz, weitgehend unbeschädigt geblieben seit den Tagen Karls I. Eine Zufahrtsstraße führte über eine fünfbogige Brücke über eine Art von breitem Burggraben. Vielleicht war das auch mal eine Insel im See gewesen oder künstlich angelegt worden. War egal.
„Wir sind da“, sagte Victor überflüssigerweise.
‚Wie haben die Briten das mit ihren Butlern nur JEMALS ausgehalten? Wie halten sie das HEUTE aus? Sind sie deshalb so furchtbar träge?’
Er hoffte, auf dem Schloss den Butler abhängen zu können, um in aller Ruhe allein herumzustöbern. Und wenn er dabei einen guten alten Whiskey finden sollte …

*

A. Schlotz:
„Sie sind unser bester Mann!“
„Ja, ja … sicherlich …“ Schlotz rülpste, weil ihm zuviel Methylalkohol in die zweite Speiseröhre gekommen war. Er richtete sich träge auf. „Nun aber genug mit dem Schleimen, Glutsch, ja? Was will dieser alte Schleimer wieder von mir?“
Glutsch glibberte aufgeregt auf dem anregend noppigen Boden hin und her, der die runde Zentrale von Schlotz´ kleinem Raumgleiter ausfüllte. Doch, musste er zugeben, Schlotz verstand schon zu leben. Dieser Boden war dermaßen erotisch …
„Glutsch!“
„Oh … oh, ja, natürlich … bester Schlotz, Sie müssen wissen, der verehrteste Schlablontz ist sich sicher, dass das Gerücht, das er gehört hat, der Wahrheit entspricht.“
„Ach ja?“
„Aber natürlich. Der hohe, ehrwürdige Schlablontz sitzt keinem Vultsch auf, das wissen Sie doch am besten …“
Schlotz gurgelte drohend. Er liebte es nicht, wenn man ihn an das Desaster auf Xeyy-X erinnerte, wo er einer kapitalen Falschmeldung aufgesessen war und sich zum Gespött der halben Galaxis gemacht hatte. Seither hatte sein Ego einen nachhaltigen Knacks.
Glutsch merkte das sofort und ließ eine Entschuldigungsorgie vom Stapel, wie selbst Schlotz sie lange nicht gehört hatte.
„Was für ein Gerücht?“, unterbrach er ihn nach fünf Minuten.
„Eh … eh … ein Gerücht über eine neue Beitrittsverhandlung, ehrenwerter Schlotz!“
Schlotz spürte, wie sich seine Lustlamellen aufwölbten. Das war ein gutes Zeichen. Wenn er so reagierte, dann war an diesen Meldungen meist etwas dran.
„Die Quarzaner wollen also wieder ein Volk aufnehmen? Wen dieses Mal? Die Würmer von Gooyn-II?“
„Darüber hat der Rat noch nicht entschieden.“
„Die Lebenden Felsen von Bhyrr?“
„Soweit ich weiß, wurde auf sie Kategorie IIc/66509 angewendet. Das heißt, sie haben noch ein halbes Jahrhundert Sperrfrist. Zu zersetzend, Sie verstehen? Nein“, fuhr Glutsch nervös fort. „Soweit ich weiß, betrifft es einen Planeten namens Sol III.“
„Sol III?“
Schlotz überlegte, ob er irgendwann schon mal davon gehört hatte. „Nie gehört. Aber ich werde mich mal umtun, um da etwas in Erfahrung zu bringen. Wann soll die Zeremonie sein?“
„In vier Tagen. Am besten sollten Sie sich also schon mal auf den Weg machen, wenn Sie rechtzeitig da sein wollen. Die Distanz bis dorthin beträgt etwas mehr als zehntausend Lichtjahre.“
Schlotz grummelte. „Sie hätten mir das auch vorher sagen können!“
„Nein, das ist eine top-secret-Meldung. Wir haben sie selbst erst vor ein paar Stunden von einem Jhoonesch in der Delegation erfahren. Diesmal soll die galaktische Presse völlig außen vor gehalten werden.“
Schlotz lachte blubbernd. „Das klappt doch nie! Die Politiker unterschätzen immer wieder die Findigkeit eines Reporterteams und der Presse und Medien allgemein. Das liegt daran, dass sie zu geringe Gehälter zahlen. Insbesondere an die Angestellten des Diplomatischen Korps, die sich gerne was dazuverdienen wollen. Besonders in Währungen, die sie selbst nicht zahlen können …“ Schlotz machte eine obszöne Andeutung, die Glutsch die Tentakel erzittern ließen.
„Nehmen Sie an?“
„Honorarbasis wie üblich?“
„Plus Verdopplung bei Erfolg und davon losgelöstem dreifachen Spesensatz.“
„Akzeptiert“, gab er an. „Und nun raus hier, ich habe zu tun!“
Glutsch machte keinen Hehl daraus, dass er den rasenden Reporter Schlotz nicht mochte. Aber auf seine Weise war er effizient. Und das war in der Medienlandschaft alles, was zählte …

*

2. Vladimir Nemsin:
Naturgemäß wurde der Russe Vladimir Nemsin genauer beobachtet als alle anderen Gäste. Schon recht früh gelang es dem MI-5, die Kontakte zum FIS, dem russischen Geheimdienst, zu entdecken und zu überwachen.
Während Nemsin, ein hünenhafter Mann mit dichtem, wallendem Bart und der Statur eines Operntenors, mit einem Bentley ebenfalls hinaufgebracht wurde nach Slaymont Castle, hatte der Geheimdienst alle Hände voll zu tun, den Kontakt abzuschirmen. Natürlich durfte auch die russische Öffentlichkeit nichts von diesem Unternehmen mitbekommen.
Die russische Öffentlichkeit ging davon aus, dass der Minister im Seebad Poole war, um eine hartnäckige Lungenentzündung auszukurieren und gleichzeitig das diplomatische Verhältnis zwischen England und seinem Staat wieder auf eine gute Basis zu stellen. Nach den Problemen, die Russland und England vor zwei Jahren im Baltikum gehabt hatten.
Deshalb organisierte der MI-5 einen Mann mit in etwa denselben Maßen wie Nemsin und annähernd gleichem Aussehen, der sich tunlichst von der Presse fernhalten sollte und in Poole in „Stellung“ ging.
Das irritierte natürlich nicht alle.
Einige Paparazzi hatten durch Indiskretion mitbekommen, dass der Außenminister Russlands durch eine Hintertür in einen Bentley verfrachtet und dann weggebracht worden war. Sie witterten natürlich irgendwelche Geheimverhandlungen und hefteten sich an die Fersen des Bentleys.
Gottlob dauerte die Verfolgung nur drei Stunden, dann hatten die Häscher des MI-5 und Scotland Yards alle Paparazzi eingefangen.
Nun … zumindest glaubten sie das.
Die Ankunft Nemsins auf dem Schloss konnte jedoch nicht mehr verhindert oder gestört werden.

*

B. Vennt:
Die fedrigen Klauen schalteten hastig, um das kleine Raumschiff wieder unter Kontrolle zu bekommen, das etwas zu schnell auf sein Ziel zugerast war. Es kam gerade wieder hinter dem Mond Luna heraus und duckte sich rasch in den Schlagschatten des Erdtrabanten, bevor die Wacheinheiten es bemerken konnten.
„Das war aber verdammt knapp!“, zischte sein Symbiont Leener.
„Ruhe, Leener!“
Vennt, einer der besten Paparazzi der Galaxis, war unterwegs, das Multimediaereignis des Jahrhunderts aufzuspüren: den Beitrittsmoment der Menschheit von Sol III zur galaktischen Zivilisation. Er hatte immer geglaubt, diese unterentwickelten Barbaren würden sich selbst in die Luft sprengen, hinreichend Nuklearwaffen hatten sie dafür.
Aber bizarrerweise hatte sich das nicht ereignet, sondern eine lokale Instabilität hatte, verbunden mit politischen Kräften und jenem Zünglein an der Waage, was man menschliche Irrationalität nannte, dafür gesorgt, dass das Blockdenken und der nervenzermürbende Konfrontationskurs aufgegeben worden war, der sicher in einen nuklearen Krieg geführt hätte.
Diese Entwicklung hatte erst die Überwachungskommandos des Galaktischen Bundes alarmiert. Danach waren die Diplomaten gekommen und hatten Kontakt aufgenommen. Der finale Kontakt sollte übermorgen hergestellt werden.
„Wissen wir schon genau, wo?“
„Nein, Chef“, gab der Symbiont zurück, dessen Schwammpseudopodien über die Tastaturen waberten und so Informationen einholten, die er direkt in sein Nervengewebe einsog. „Die Daten sind fragmentarisch. Als wenn das eine Prüfung sein sollte …“
„Das sind sicherlich diese Mistkerle von Quarzanern, die sich einen Spaß daraus machen, uns an den Höckern herumzuführen! Aber nicht mit mir!“ Vennt keckerte lauthals.
„Was hast du vor?“
Vennts Blicke blieben unverwandt auf die großen, hell glitzernden Disken gerichtet, die einen Ring um die Erde aufgebaut hatten. Sie besaßen Einseitenschirme, d.h. von der Erde aus sah man nichts, nach außen aber waren die Wacheinheiten des Galaktischen Bundes deutlich zu erkennen. Da war unter normalen Umständen kein Durchkommen, allein schon gar nicht.
„Allein …? Du willst doch nicht …“ Leener hatte seine Gedanken erspürt.
„Und ob ich will!“
Vennt aktivierte seinen Netz-Sendeteil und begann damit, eine Codenachricht hineinzusprechen.
Zwei Stunden später war die Hölle los in der Galaxis.

*

3. Laura Alley:
Sie lag wie eine träge, zufriedene und satte Katze auf den Laken und hatte sich seufzend lang ausgestreckt. Laura Alley hatte das genossen, was man allgemein als die Neue Folgenlose Methode bezeichnete. Seit der Papst im vergangenen Jahr seine Moralvorschriften in der Hinsicht etwas gelockert hatte, galt Masturbation nicht mehr als Todsünde.
Aber was sollte man schon machen bei siebeneinhalb Milliarden Menschen , von denen drei Milliarden permanent von Hunger, Krankheiten und Unterernährung bedroht waren und die zumeist so arm waren, dass man sich fragen musste, wie sie von einem Tag zum nächsten überlebten? Die Hauptbeschäftigung dieser vielen Arbeitslosen bestand nun einmal in der „natürlichsten Sache der Welt“, ein Grund, warum die Bevölkerungszahl trotz vieler Epidemien, Hungersnöte und lokaler Konflikte nicht ab-, sondern eher zunahm.
In einer solchen Zeit war Masturbation in vielen Ländern vom Ruch der Unanständigkeit befreit worden. Das war nur konsequent, nachdem auch schon die gleichgeschlechtlichen Ehen legalisiert worden waren.
Laura hoffte, dass diese Delegationsmitglieder nicht allzu pünktlich waren. Sonst würde van Vyne sie rufen lassen, und dann würde sie nicht mehr viel Gelegenheit haben …
Der Summer schrillte.
Die blonde junge Frau von 28 Jahren zuckte zusammen.
„Oh nein!“, murmelte sie, wälzte sich so nackt, wie sie war, auf den Bauch und griff zum Telefonhörer. „Alley.“
„Laura, der erste Gast kommt. Es ist der Amerikaner. Machen Sie sich fertig!“
„Aber ich habe noch Pause …“
„Nicht mehr. Sie wissen doch, liebe Laura, der Dienst geht vor!“
Sie seufzte vernehmlich, aber van Vyne hatte schon aufgelegt.
Jetzt ging es also los.
Das schlanke Hausmädchen seufzte erneut, dann gab es sich einen Ruck und stand aus dem Bett auf. Die nächsten Stunden würden wohl reichlich turbulent werden. Keine Möglichkeit für irgendwelche selbstbefriedigenden Quickies (von Männern hielt Laura nichts, Frauen waren da schon besser, aber eben nicht verfügbar, weswegen sie mit sich selbst Vorlieb nahm).
Sie warf sich in ihr Hausmädchen-Kostüm, steckte die blonden Haare hoch, damit sie unter die Haube passten, die sie hier anachronistischerweise zu tragen hatte. Scheinbar sollte alles nach merry old England aussehen.
‚Affig’, fand sie. Aber als sie vor dem Spiegel ihre Konturen nachstrich, merkte sie, dass diese recht enge Kleidung auch ein wenig erotisierend wirkte.
‚Wer die wohl entworfen hat, Männer oder Frauen …?’, überlegte sie sich, als sie die Tür zu ihrem Zimmer im dritten Stock schloss. Nun, sie konnte es sich denken.
Während Laura Alley hinabschritt, ahnte sie zwar, dass die nächste Zeit turbulent werden würde, aber sie hatte keine Ahnung, WIE turbulent.

*

C. Bhentasch Noorik:
„Wir haben hier ein Echo auf dem Schirm, das wir als die Raumyacht des Reporters Vennt einstufen. Würden Sie sich das bitte ansehen, hoher Bhentasch?“
Bhentasch Noorik, Verhandlungsführer der Delegation, die auf der Erde die Beitrittszeremonie leiten sollte, wandte sich mit fließenden Gewändern um zu seiner Ordonnanz, dem krötenartigen Squaaler Voo.
„Hologramm, Voo!“
Der Erdtrabant erschien, dahinter ein wirbelnder Lichtblitz, der über einer Kratersichel verharrte und fast unsichtbar wurde. Eine Detailauflösung entlarvte ihn als einen Seestern aus Metall und Kunststofflegierungen, der imstande war, die Stacheln einzuziehen und als Kugel weniger Angriffsfläche zu bieten.
„Eindeutig ein Schiff der Hjools“, stimmte der Bhentasch zu. „Aber Vennt …?“
„Wir haben einen Codeimpuls aufgefangen, den unsere Abteilung aber noch entziffern muss. Er ist siebenfach überschlüsselt. Das ist ein Zeichen, dass wir es mit Vennt zu tun haben.“
„Wohin ging er?“
„Ein allgemeiner Netzimpuls. Jeder im Netz, de angeschlossen und gerade aktiv ist, kann ihn empfangen haben.“
„Reichweite?“
„Netzweit.“
„Hat er soviel Energie?“, wunderte sich der Quarzaner.
„Er dürfte eins der Reservoirs angezapft haben, das für Prioritätsfälle versiegelt wird. Wie er an DEN Code gekommen ist, wissen wir nicht. Aber er ist berühmt-berüchtigt.“
Da musste Noorik ihm allerdings zustimmen. Vennt, einer der Meisterreporter der Galaxis, hatte schon Dinge in Bewegung gesetzt, die für unmöglich galten. Der Himmel mochte wissen, was jetzt wieder hier passierte.
„Beobachtet ihn“, bat der hochgewachsene Humanoide, der deshalb als Kontaktperson fungierte, weil er wusste, dass die Terrestrier unter ausgeprägter Xenophobie litten. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn man als Kontaktvolk die Nar-el-Yesh gewählt hätte, die irdischen Ameisen sehr ähnlich sahen, nur drei Meter groß waren. Oder die Cossyler mit ihren vierzig Meter lange Leibern. Von den arachnoiden Yucc ganz zu schweigen …
„Mehr nicht? Er könnte uns Schaden zufügen …“
„Wir sind dermaßen in der Überzahl, da wird er genau wissen, dass er alleine nicht durchkommt. Abgesehen davon ist unser Vorhaben zu wichtig, als dass wir uns von ihm abhalten lasen dürften.“
Er blickte auf den Bordchronometer. „Ich warte noch auf Nayike, dann machen wir uns auf den Weg in den Erdorbit. Wenn dort unten der Abend anbricht, werden wir genauere Sondierungen vornehmen. Immerhin müssen wir sicher sein, dass uns dort unten keine Gefahr droht. Aufzunehmende Völker, die gerade ihrer labilen Phase entwachsen sind, stellen noch einen unkalkulierbaren Faktor dar …“
Das war allgemein bekannt, dennoch war es wichtig, dass er das wiederholte. Sonst wurden die Polizeikräfte der Galaxis schnell nervös. Das war das Allerletzte, was sie gebrauchen konnten.
Auch er hatte noch keine Ahnung, was für Probleme ihn auf der Erde erwarten würden.

*

4. Esteban y Alvarez:
„Außerirdische, eh? Sie denken wohl, Sie können mich für dumm verkaufen, was?“
„Das hat niemand gesagt“, erwiderte der Butler.
„Aber GEDACHT haben Sie das! Geben Sie das zu! Sie denken, jemand, der aus altspanischem Adel kommt, beheimatet in Bolivien, dem können Sie so einen Quatsch vorsetzen, was? Ich kann Ihnen mal was erzählen, das ist völlig falsch, was Sie da denken! Dass unsere Länder so heruntergewirtschaftet sind, hat nichts mit unserer Intelligenz zu tun, sondern mit dem beschränkten Verstand der Generale und nichtadeligen Politiker unserer Länder …“
„Politische Debatten können Sie im Schloss führen“, sagte der Butler, der dem von Harry Bright ziemlich ähnlich sah. Nur hatte dieser hier Koteletten und wurde James gerufen. Er saß zusammen mit dem südamerikanischen Adeligen in einem Jaguar, der vom Chauffeur zum Castle bewegt wurde.
Weil dieser Südländer fast permanent quasselte, vermutlich war er deshalb auch so mager, ja fast hohlwangig, weil er sich ständig so aufregte, nur aus diesem Grund hatte James ein wenig über den Grund dieses Treffens verlauten lassen, obgleich er die Reaktion schon vorausgeahnt hatte.
„So! Sie sind also nur eine Marionette, die mich hier hinkutschieren soll! Ein besserer Bewacher! Wache, ich will hier raus! Anhalten, ich will aussteigen!“
Natürlich hörte der Chauffeur nicht, und man hätte schon eine Kanone einsetzen müssen, um das kugelsichere Glas zwischen Fahrersitz und Fond zu zerstören. Die hämmernden Schläge von y Alvarez gegen die Scheibe waren völlig nutzlos.
„Was soll das eigentlich? Das ist eher eine Entführung als alles andere …!“
James erinnerte sich an die Worte von Sir Windmill, dem Chef des Secret Service: „Manche der Diplomaten sind ausgesprochene Sturköpfe und Heißsporne. Wenn sie zu renitent werden, müssen Sie zu Mitteln der dezenten Gewalt greifen. Deshalb sind in Ihre Spazierstöcke auch Ampullen mit Beruhigungsserum eingebaut worden. Aber das gilt nur für den äußersten Notfall, verstanden?“
Butler James beruhigte sich. ‚Ruhig bleiben, noch ist es nicht soweit. Er wird sich schon wieder fangen. Es sind ja nur noch ein paar Stunden. Und dann habe ich einen Monat Urlaub! Nur noch ein paar Stunden …’
Sie sollten die Hölle werden.

*

D. Ayanaar:
Er gurgelte wieder so angenehm langsam im Schlamm und genoss die kühlen Fluten ein letztes Mal für längere Zeit. Die Nachricht hatte ihn aufgewühlt, als er sie vor weniger als einer halben Stunde Terra-Normzeit empfangen hatte.
„Sie wollen also Sol III aufnehmen“, hatte er geantwortet.
„Ganz recht, Ayanaar. Ich muss ja wohl nicht sagen, was das bedeutet!“
„Nostalgie“, schwärmte der große Reporter in tiefsten Basstönen. „Diese Nostalgie! Wieder die alten Hügel der Erde besuchen und über sie wandeln! Die Gräber unserer Ahnen besuchen … es wird wunderbar sein. Und ich soll diese Reportage übernehmen? Aber mit dem größten Vergnügen! Nur wie soll ich rechtzeitig da hinkommen? Ihr wisst ja, dass unsere Flugzeit von hier aus neunzig Tage beträgt …“
„Wir haben einen Dilatationstransporter bereitgestellt“, kam die Antwort. „Du wirst zehn Stunden vor dem Errichten des Kordons herauskommen und dich einstweilen verstecken. Es gibt dort eine Menge geeigneter Verstecke in der Gegend, auch die Temperatur dürfte dir gefallen. Du badest ja gerne kühl …“
„In der Tat“, gab er zu.
Natürlich hatte er angenommen.
Nach seinem letzten Bad stieg er stampfend und dröhnend in den Dilatationstransporter, der ihn in die nahe Vergangenheit bringen würde. Auf zu den grünen Hügeln der Erde, von der er schon soviel gehört hatte …

*

5. Gibson Tanawa:
Der weißhaarige Repräsentant von Südafrika, der seit Jahren ein sehr prominenter Mann war, ja geradezu eine Berühmtheit nach seiner langen Verhaftungszeit während der Apartheid, war ebenfalls gerade in England gewesen und unter dem Vorwand, eine Menschenrechtsgruppe wolle mit ihm sprechen, war er von einer Dienstlimousine mitgenommen worden. Die Leibwächter hatten das Nachsehen wegen eines inszenierten Staus mit ebenfalls gestelltem Unfall.
Tanawa, als Mann von ruhigem Gemüt bekannt, hatte erstaunt gelächelt, als ihn ein Butler erwartete. Nachdem sie London verlassen hatten, merkte er an: „Es ist seltsam, dass sich die britische Regierung zum Handlanger einer Menschenrechtsorganisation macht. Mir scheint, mir wird einiges verschwiegen.“
Er wäre nicht Friedensnobelpreisträger geworden, wenn er nicht einen scharfen und klarsichtigen Verstand gehabt hätte, obwohl er nun über achtzig Jahre alt war.
Der Butler namens Henry war genötigt, ihm einiges zu erklären. „Sir, es handelt sich um eine sehr einflussreiche … Gruppe.“
„Dann müsste ich sie kennen.“
„Sie nennt sich BUND, Sir.“
„Aha? Sie ist mir unbekannt“, gab Tanawa etwas verwundert zu.
„Der volle Name ist GALAKTISCHER BUND, Sir.“
Einen Moment lang war der weißhaarige Afrikaner irritiert, dann lächelte er breit, und seine weißen Zähne blitzten sympathisch. Er war amüsiert. „So meinen Sie das! Das muss wohl britischer Humor sein. Dennoch muss ich Sie jetzt darauf aufmerksam machen, dass ich an so etwas nicht glaube. Mein Glaube ist Gott allein. Mir war nicht bekannt, dass sich die britische Regierung für solche Narreteien hergibt.“
Henry hatte es wirklich schwer, dem südafrikanischen Repräsentanten begreiflich zu machen, dass es ihm vollkommen ernst war. Aber das war auch kein Wunder: Henry hatte selbst noch keine Außerirdischen gesehen und wusste auch nicht, ob an den Gerüchten nun WIRKLICH etwas dran war. Vielleicht war das ja auch ein Ablenkungsmanöver, das ganz anderen Zwecken galt.
Wer konnte schon die Politik des britischen Geheimdienstes durchschauen?

*

E. Galaktischer Polizist Ol’änax:
„Männer, Frauen, Neutren! Das wird wieder ein harter Einsatz heute. Wir haben soeben die Nachricht erhalten, dass der prominente Paparazzo Vennt einen Alarmruf an seine gesamte Zunft geschickt hat, galaxisweit. Das Geheimnis der Bundaufnahme des Planeten Erde ist also kein Geheimnis mehr. wir müssen mit einem starken Ansturm von Reportern aus allen Teilen der Galaxis rechnen.
Ich weiß, ihr alle seid der Auffassung, dass es dafür zu spät ist und sie nur noch aus dem 250-Lichtjahres-Kubus kommen können. Aber das ist falsch. Ich habe von einem Tscholl gehört, der aus der 90-Tage-Distanz unterwegs ist. Andere kommen aus noch weit größerer Entfernung, um unsere Sicherheitsvorkehrungen zu unterlaufen. Die Zeitfeldgeneratoren sind dabei das größte Problem. Darum werden wir Beobachter absetzen.
Hunderttausend Kontaktpersonen müssen auf der Erde auffällige Erscheinungen unter Kontrolle halten. Dazu zählen so genannte UFO-Sichtungen, Ungeheuer, verschwindende Menschen, Aufsehen erregende Ereignisse verschiedenster Arten. Noch Fragen?“
„Ich habe noch eine, Ol’änax!“
„Dann sprich, Iin-veb!“
„Die Menschheit ist als hysterisch bekannt, zum Teil als extrem wundergläubig. Würden in solchen Gegenden nicht derartige ‚Vorkommnisse’ ganz besonders wenig auffallen?“
„Sehr gut möglich. Aber wir können leider darauf keine Rücksicht nehmen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass wohl jeder zweite Alarm ein falscher sein wird. Aber lieber zehnmal oder hundertmal falsch zuschlagen als auch nur einen Paparazzo durchkommen zu lassen. Außerdem“, beendete er seine Rede, „haben wir einen einzigen guten Punkt für uns: wir wissen genau, wo die Konferenz stattfindet. Die anderen müssen weltweit suchen. Und sie haben nicht mehr viel Zeit …“

*

6. Willard van Vyne:
„Sind Sie ganz sicher, dass die Sicherheitsvorkehrungen reichen, Willard?“, erkundigte sich John Deer, der Repräsentant der britischen Regierung beunruhigt im Kaminzimmer des Schlosses von Slaymont Castle.
Er konnte durch die hohen gotischen Fenster hinausschauen über den See, einen Loch, dessen Namen er schon wieder vergessen hatte. Er wusste nur, dass er in relativer Nähe zu Loch Ness lag, zweiundzwanzig Kilometer lang war und dass an seinen Ufern mehr als zweihundert Agenten des Secret Service in Spezialunterständen lauerten, um jede feindselige Aktion oder Presserummel zu verhindern und aufzuhalten.
Der Brite, der gar nicht nach einem Hirsch aussah, sondern eher wie ein ergrauter Bär, und der damit eine Mischung zwischen Nemsin und Tanawa darstellte, schlürfte seinen Earl Grey-Tee langsam und in kleineren Schlucken als gewöhnlich, wobei er mit einer Hand die Untertasse festhielt, als könne sie ihm Sicherheit bieten.
„Wir haben fast tausend Mann hier, Sir“, nickte Willard van Vyne, der Sicherheitschef von Slaymont Castle, ein Mann, dem man seine entfernte holländische Abstammung noch ansah. Er war etwas kleiner und gedrungener als Deer, sein Gesicht etwas breiter und kräftiger. Das blonde Haar war kurz geschoren und die Stirn etwas flacher als bei aristokratischen Briten. Ansonsten hatte er allerdings eher die Figur eines durchtrainierten Dressman. Als Angestellter des Secret Service hatte ihm die Wahl des Objekts durchaus Schwierigkeiten bereitet, aber da sie ihm oblag, war es nicht möglich gewesen, das zu delegieren.
Er hatte es auch geschafft, mit diesem Castle sowohl die Parameter „Abgelegenheit“ als auch „Sicherheit“ und „Komfort“ zu verbinden. Herausgekommen war eben dieses Castle, und die Abschirmung war mit knapp tausend Mann recht gut gelungen. Alle Zufahrtsstraßen waren gesperrt, auf Hügeln und nahen Bergen gab es Wachtposten mit Funkgeräten, in verfallenen Bauernhäusern in der näheren Umgebung parkten Landrover und Geländefahrzeuge mit Einsatztruppen für den Notfall, es gab sogar acht versteckte Helikopter, die binnen Minuten startbereit gemacht werden konnten.
Nein, nach menschlichem Ermessen konnte hier eigentlich nichts schief gehen.
Auf dem Castle selbst waren alle Sicherheitsanlagen erneuert worden, alle Fenster neu alarmgesichert, alle Zugänge mit Infrarot- und Bewegungssensoren bestückt. Mikrofone, Gassensoren, Spürhunde und Scharfschützen sorgten mit Streifen im Castle und – getarnt – in der näheren Umgebung dafür, dass eigentlich nicht einmal eine Maus eindringen konnte.
Selbst die Butler hatten eine Nahkampfausbildung. Und die einzige Frau, das Hausmädchen Laura Alley, war ebenso wie die Köche zehnmal sicherheitsgeprüft worden. Nein, da gab es keine Möglichkeit, dass dieses Treffen von menschlicher Seite schief ging.
Wie es auf der ANDEREN Seite aussah, war eine ganz andere Sache.
„Seien Sie unbesorgt, Sir, wir sind hier sicher. Jedenfalls, was UNSERE Seite angeht.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Nun, Sir … wenn das für die ANDERE SEITE genauso ein Spektakel ist wie für uns, dann sollten wir vielleicht hoffen, dass sie ihre Presse besser im Griff haben als wir die unsere …“

*

F. France Soir:
„Wie uns aus gut informierten Kreisen gemeldet wurde, kam es am gestrigen Nachmittag in der nordindischen Stadt Dharamsala, dem Sitz des Dalai Lama, zu tumultartigen Aufständen, als ein Phänomen für Unruhe sorgte, das als ‚tanzende Derwische von Dharamsala’ bezeichnet wurde. Übereinstimmend wurde erklärt, es handele sich um eine Gruppe von kleinwüchsigen Wesen, die wie wild auf der Suche nach etwas durch die Straßen rasten und die Menschen und Tiere rebellisch werden ließen.

Wenn Ordnungshüter die dicht behaarten, anscheinend kleidungslosen Wesen, die nie über Kleinkindgröße hinausgehen, umringen und ihnen Fragen stellen, werden sie mit einem unverständlichen Schwall unartikulierter Laute konfrontiert, bevor die ‚Derwische’ die Postenkette durchbrechen und in den Gassen der Stadt verschwinden. Die Herkunft der ‚Derwische’ ist bislang nicht bekannt. Ethnologen befinden sich inzwischen vor Orte, ein abschließender Bericht wird in Kürze erwartet …“

*

7. Sekretär Chan:
Der letzte der Tagungsteilnehmer, der Chinese und Staatsekretär Chan, kam freiwillig.
„Aus reinem Interesse“, wie er bekundete. „Uns sind noch aus der Zeit des Kulturkampfes Akten bekannt, in denen die maoistische Bewegung solche Wesen gefangen genommen hat. Sie betonten damals stets – es gelang uns, eine Übersetzungsbasis zu schaffen – , sie seien ein stolzes Kriegervolk, dessen Abgesandte bald kommen würden, um sie zu befreien. Leider starben sie 1962 durch unsachgemäße medizinische Versorgung und möglicherweise auch, weil ihre Konzentratvorräte nicht ausreichend waren. Seither warten wir auf einen solchen Kontakt, mindestens, um die Leichen der Gestorbenen überführen zu können.
In der allgemeinen Führung des Staates ist dieses Faktum kaum bekannt. Ich weiß nur deshalb davon, weil ich zum medizinischen Stab gehörte, der damals diese Wesen betreute.“
Sie schienen ihn stark beeindruckt zu haben.
Er erreichte das Schloss, als sich allmählich die Abenddämmerung über die Highlands zu legen begann. Seine erste Frage an van Vyne war: „Haben Sie einen konkreten Zeitplan, Sir?“
„Laut den mir vorliegenden Informationen aus dem Geheimdienst Ihrer Majestät wollen die Abgesandten des Galaktischen Bundes um Punkt Mitternacht mit uns Kontakt aufnehmen.“
„Ich nehme an, ihr Erscheinen wird … spektakulär sein.“
„Ich glaube, sie werden mit einem Raumschiff erscheinen, das denen ähnelt, wie wir herkömmlicherweise als Fliegende Untertassen oder auch UFOs bezeichnen“, stimmte van Vyne zu. „Wir haben unsere Sicherheitskräfte darauf hingewiesen, vorsichtig zu sein, aber nicht übermäßig nervös. Alle Waffen sind mit Narkosepatronen geladen, damit kein Unglück versehentlich geschehen kann.“
Der weißhaarige Chinese nickte langsam. „Eine weise Entscheidung. Wissen Sie auch schon Bescheid über die Fremden selbst, die uns kontaktieren wollen?“
Willard van Vyne sah etwas unglücklich aus. „Nun, wir wissen, dass es sich um Humanoide handelt. Ihr Rassenname ist QUARZANER. Doch nein, exakt haben wir noch keinen von ihnen zu Gesicht bekommen. Befürchten Sie irgendetwas?“
Der handtuchschmale, zerbrechlich wirkende Sekretär lächelte feinsinnig, und sein langer Mandarinbart zitterte dabei leicht. „Ich befürchte nichts Spezifisches. Aber ich habe gehört, dass dort oben dieselben Probleme bestehen sollen wie hier unten in den nichtsozialistischen Staaten. Das, was Sie Presse nennen, ist dort oben eher etwas wie eine Raubtiermenagerie. Der Stärkste und der Schnellste gewinnt, alle anderen haben so etwas wie Prestigeverlust zu verzeichnen, weswegen mediale Ereignisse dort stets sehr viel Staub aufwirbeln. Sternenstaub vielleicht.“ Er lächelte wieder.
Der Koordinator lächelte nun auch wieder, aber es wirkte etwas angestrengt.
„Mit so etwas haben wir gerechnet und Vorkehrungen getroffen“, beruhigte er. „Und vielleicht hat sich die Lage dort oben auch schon wieder beruhigt. Vergessen Sie nicht – Ihre Informationen sind vierzig Jahre alt.“
„Die Zeiten von Egon Erwin Kisch sind auch auf der Erde noch nicht vergangen, und wie lange ist er tot?“, kam die rhetorische Antwort, mit dem der Chinese ihn stehen ließ, um sich dann lieber im Salon mit dem Südafrikaner zu unterhalten.
Er war schließlich nur geladener Gast. Die Probleme hatte Willard alleine auszumachen.

*

G. Wachflotte:
„Es sind welche durchgebrochen, hoher Bhentasch!“
Rings um die Wachflotte blitzte es ständig auf. Überall versuchten aufgetauchte Einheiten von Hunderten von Völkern den Durchbruch. Einig wandten dafür Tunnelfelder an, andere kamen mit Zeitverzerrungs- und Dilatationsgeneratoren an. Viele von ihnen konnten von Wacheinheiten mit Stasisfeldern abgefangen werden, aber einige kamen dennoch durch.
„Im Zielgebiet?“
„Bisher nicht, hoher Bhentasch!“
„Schoch, Sie haften mir für das Gelingen der diplomatischen Mission mit ihrem bhasch! Wenn das hier misslingt, können Sie sich als Eunuch ins Kloster begeben!“
Der krötengleiche Schoch ergraute vor Entsetzen. „Ja, hoher Bhentasch … ja … ja … ich sorge sofort dafür, dass unsere Trupps verstärkt werden! Sofort … kein Unbefugter wird den Konferenzort erreichen! Niemand!“
„Hoffen wir’s“, seufzte Noorik. Squaaler konnten nur auf diese Weise eingeschüchtert werden. Ihre Fruchtbarkeit war ihnen heilig. Leider sonst nichts. Und nur diese harte Methode zog wirklich bei ihnen.
Noorik hatte allerdings Bedenken, ob die Squaaler das noch schaffen würden. Nach seinen Informationen, die er direkt aus dem Bordcomputerimplantat in seiner linken Schläfe bezog, befanden sich schon vierundachtzig Paparazzi auf der Erde. Viel zu viele.
Die Vorstellung von einem „unauffälligen“ Treffen konnten sie jedenfalls wohl vergessen …

*

8. Avancen:
„Hören Sie, Señorita, Sie sind die schönste und wunderbarste Frau im gesamten Schloss, im ganzen Tal … ach, was erzähle ich … AUF DER GANZEN WELT! Und ich …“
Wumm!
Laura keuchte, als sie den Riegel vor die Küchentür schob und sich das Dienstmädchengewand wieder glatt strich, das ihr dieser Lustmolch beinahe vom Körper gezerrt hatte.
„Was zum Teufel IST das für ein Schwachkopf?“, keuchte sie.
„Oh, der?“ Brian Rallett hackte weiter Kräuter in seiner weißen Schürze und grinste kurz. „Ich glaube, der Stimme nach zu urteilen ist das dieser Südamerikaner. Alvarez, oder wie er heißt. Dem ist wohl das südländische Temperament durchgegangen, als er dich sah …“
Sie funkelte ihn zornig mit ihren tiefblauen Augen an, zog die Haube ab und steckte die Haare wieder etwas ordentlicher, denn auch die Frisur war teilweise verrutscht.
„Wenn du mich fragst, so sind bei dem sämtliche Sicherungen durchgebrannt! Ist der zuhause auch so? Wenn ja, wie ist dieser Schürzenjäger bloß Diplomat geworden? Der hat wohl nur Sekretäre in den Botschaften, was? Oder lassen sich die Sekretärinnen da unten lieber vögeln als wir?“
Der kräftige Rallett lächelte weiter, diesmal stärker. Er hörte die Schläge des Südländers gegen die Küchentür.
„Ich flehe Sie an, Señorita! Schenken Sie mir einen einzigen Blick aus Ihren tiefen blauen Nachtaugen, die wie kostbare Edelsteine …“
„Hast du mal ein Nudelholz oder so? Oder einen Fleischklopfer?“
„Laura, wir sollen ihn bei Laune halten. Und die anderen auch …“
„Die anderen sind kein Problem“, gab sie zu. „Aber er hier schon. Wenn er mir noch mal an die Wäsche geht, dann kastriere ich ihn, darauf kannst du Gift nehmen!“
Und dann, leiser: „Zeig mir mal den Weg zum Vorratskeller. Da gibt’s doch einen Weg über den Hof, nicht wahr?“
„SENORIIIITA!“
„Schwachkopf!“, murmelte die blonde Britin zurück. Soviel Hartnäckigkeit musste schon Dummheit sein. Vielleicht stürzte er sich ja aus dem Fenster im dritten Stock, wenn er merkte, dass sie nicht für ihn zu entflammen war.
‚Oh ja!’, dachte sie weiter. ‚Am besten in den Rosenstock. Damit du drei Tage lang nicht ruhig sitzen kannst …!’
Dann ließ sie sich von Brian zum Vorratskeller bringen. Sicherheitshalber nahm sie noch ein Tablett mit, eins von den silbernen. Für den Fall, dass der Verrückte ihr doch auf die Schliche kam und andersherum ging.
„Danke!“, flüsterte sie Brian zu und hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Wange. Dann verschwand sie die vier Stufen hinab in den Vorratskeller, den sie dann auf der ganzen Länge von acht Metern zu durchqueren hatte, bevor die Tür nach draußen kam. Da stand auch eine Wache, wie sie wusste. Die konnte hinter ihr dann wieder zuschließen …
Brian hatte gerade die Kellertür wieder zugemacht und war zehn Schritte davon entfernt, als Lauras entnervter, heller Schrei aufklang!

*

H. Zwerge:
„Zwerge am Flughafen Schwechat!
Wie ein schlechter Scherz mutet uns die Nachricht an, dass die Märchen wahr geworden sind, allerdings die von der garstigen Sorte. Am Morgen erhielt die Flughafenpolizei Großalarm, weil in der Gepäckabfertigung schnatternde Zwerge gesehen worden seien. Mehrere Touristen seien dadurch in Ohnmacht gefallen, andere mit hysterischen Anfällen aufs Krankenrevier eingeliefert worden.
Mehrere Passanten berichteten von kleinen Kerlen, die in blauen Anzügen herumhüpften, offenbar mit technischem Gerät behängt, was einen Psychologen zu der Bemerkung veranlasste, die Menschen sähen heutzutage die Märchengestalten von gestern, nur entsprechend ‚technisch aufgerüstet’.
Die stundenlange Suche der Polizeimannschaften blieb erfolglos. Inzwischen sind die letzten ‚Opfer’ der Massenhalluzination wieder aus dem Krankenhaus entlassen …“

Wiener Kronen-Zeitung

*

9. Ole Johannsen:
Der schwermütige Däne war erschöpft von der Tagung. Er kam sich wie durch die Mangel gedreht vor und würde froh sein, wenn er wieder nach Hause kommen würde. Dort würde Siri ihn bereits erwarten, Holger, Lund und die anderen. Da konnte er endlich mal Firma Firma sein lassen und sich entspannen. Relaxen, wie das immer noch hieß.
Er stapfte mit seinem mittelschweren Koffer durch den Zug und fand schließlich ein gänzlich unbesetztes Abteil, in das er wie betäubt hineinfiel, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.
Endlich allein!
Zwar hatte er sich einen Krimi zum Lesen mitgenommen, aber da hatte er gerade einmal auf der Hinreise reingeschaut, als er auf dem Weg nach Köln zur Messe war. Danach war zu viel Trouble gewesen. Er hatte eine Menge Kundengespräche gehabt, sie waren in Lokale gegangen, die Nächste waren zwar nicht durchgezecht worden, doch genug Schlaf hatte Johannsen in keiner der drei Nächte bekommen. Und jetzt war er entsprechend erschöpft und fertig. Nur noch den Schaffner abwarten und dann die nächsten drei Stunden schlafen, das war es, was er …
„Psst! Bitte verraten Sie mich nicht, ja?“
Im ersten Moment glaubte der Däne, er hätte sich verhört. Eine Folge seiner Erschöpfung. Aber da klang es schon wieder auf. Verändert. Dringender.
„Hallo! Sie da! Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie mich nicht verraten?“
Johannsen merkte deutlich, wie sein Herz rascher schlug, trotz der Erschöpfung. Er sah sich verwirrt um, aber das Sechser-Abteil des Zuges, in dem er saß und an dessen Fenster die nächtliche Landschaft vorbeiflirrte, größtenteils dunkle Felder, hin und wieder einzelne Gehöfte und kleinere Ortschaften, die mit ihren hellen Lampen verschlafen zu blinzeln schienen, dieses durch die Nacht rauschende Abteil war schlicht und ergreifend leer. Bis auf ihn.
Ihm wurde unheimlich zumute.
„Bitte … können Sie nicht die Vorhänge vorziehen?“, drängte die Stimme. Schrill. Hochgradig nervös. Irgendwie … fremdartig. Der müde Däne hätte nicht sagen können, wieso er auf DIESES Attribut gekommen war.
Mechanisch zog er die Vorhänge zum Gang zu und lehnte sich dann zurück.
Es klopfte.
Johannsen fuhr furchtbar zusammen, als er das hörte. Fast hatte er das Gefühl, jetzt müsse der Unheimliche, der hier mit ihm redete, hereinkommen.
Dann war es doch nur der Schaffner.
Nachdem er gegangen war, sank er schnaufend in die Polster zurück und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
„Bei allen Geistern von Dhulxisch-Yaaron! Ich dachte, jetzt hätte es mich erwischt!“, schreckte es ihn wieder hoch.
„Wo verstecken Sie sich?“, rief der Däne nun erbost, weil er endlich Gewissheit und Ruhe haben wollte.
„Verraten Sie mich auch gewiss nicht?“
„An wen denn? Die Schaffner sind doch gerade durch!“
„An die Schergen des Bundes …“
„Kenne ich nicht“, schnaubte Johannsen ungehalten. „Natürlich verrate ich Sie nicht! Zeigen Sie sich endlich!“
„Gut, gut“, gab der Unbekannte nach. „Aber seien Sie nicht so laut. Alles Laute und Ungewöhnliche zieht die Agenten des Bundes an …“ Dann: „Schauen Sie nach oben. Hier bin ich.“
Ole Johannsen stand auf und blickte nach oben zu den Gepäcknetzen. Da lag ein Koffer mit abgewetzten braunen Kanten, der offenbar vergessen worden war. Er war klein und unscheinbar, einem Kosmetikkoffer nicht unähnlich. Wahrscheinlich hatte den jemand liegengelassen …
„Sind Sie denn blind? Ich bin ein gut gewachsenes Exemplar eines Reporters von Xah-Yeng-Tau, das kann ich Ihnen versichern, und die Liste meiner Liebeskontakte dürfte die Länge dieses Gefährts weit überschreiten!“ Das klang deutlich ungehalten.
Dennoch konnte der Reisende immer noch nicht erkennen, woher die Stimme eigentlich kam. Sie schien aus allen Richtungen zugleich zu kommen, was einen desorientierenden Effekt hatte.
„Ich sehe nur einen Koffer!“
Und dann fuhr er aufschreiend zurück, kreidebleich werdend.
Aus den Nähten dieses „Koffers“ waren blitzschnell hellsilbrige und gelblichgrüne Nesselfäden gezuckt, bestimmt einen halben Meter lang, die wild umherwirbelten. Und dann waren sie wieder verschwunden.
„Sie sollten mich nicht beleidigen, sonst reagierte mein äußerst aggressives Unterbewusstsein darauf mit Attacken, Sie… Sie … Mensch! Wenn Sie schon nichts über das Treffen der Bundesagenten wissen, dann sollten Sie mich wenigstens nicht reizen …!“
Johannsens Augen wurden bei dieser Rede immer größer.
Das … das … war einfach UNGEHEUERLICH! Der Koffer LEBTE? Und er schien nicht unbedingt das zu sein, was man einen Menschen nannte! Er (oder sie oder es – es wohl noch am plausibelsten!) war ein LEBENDER KOFFER und DROHTE ihm auch noch?
Das war nun wahrhaftig zuviel.
Der Däne schrie auf, wich zurück und stürzte auf den Gang hinaus, aus vollem Hals um Hilfe rufend.
Das, was ihm fast im gleichen Moment zu Hilfe kam, war kaum menschlicher als dieser lebende Koffer, sondern erinnerte an eine Art von Riesenmollusken, die durch die Wände des Zugabteils geschwebt kamen. Das war das letzte, was er mitbekam, bevor er endgültig ohnmächtig zusammensank und erst wieder zu Bewusstsein kam, als ihn Sanitäter wegen eines vermeintlichen Kreislaufzusammenbruchs verarzteten.
Da er dann anfing, von lebenden Koffern und Mollusken im Zug zu reden, kümmerte sich daraufhin ein Psychiater um ihn …

*

I. Verschiedenes:
Die Polizisten des Galaktischen Bundes waren überall im Einsatz. Die Paparazzi setzten, so sie durchkamen, auf möglichst rasches Verschwinden und Versickern im Untergrund. Doch da sie insgesamt unter starker Überwachung standen, war ein solches Verschwinden kaum bis nicht möglich. Wie beispielsweise, sollte ein Yasloorer in einer humanoiden Kultur untertauchen, ohne aufzufallen?
Als er sich in der Sixtinischen Kapelle verbarg, in der gerade die letzte Führung zu Ende gegangen war, lief er einem Priester über den Weg und rief ungeheuerliches Entsetzen und einen Mordsaufruhr hervor. Die Polizisten konnten den völlig verstörten Paparazzo gerade noch entfernen, bevor der Priester ihn als leibhaftigen Satan ansah und umbrachte.
In Thailand fiel ein weiterer Paparazzo solange nicht auf, bis das Fest, auf dem er erschienen war, zu Ende war. Als er sich davon schleichen wollte, geriet er an eine Ministerialbeamtin, die die halbe Stadt zusammenschrie, als er seine „Ungeheuermaske“ nicht absetzte (eben weil der Thaan sie nicht absetzen KONNTE).
Auch hier griffen die Beamten des Bundes gerade noch rechtzeitig ein.
Zwei weitere Paparazzi suchten vergebens im Himalaya nach der Zusammenkunftsstätte des Bundes mit den Menschen und erschreckten hier ein paar Bergsteiger fast zu Tode, die sie mit Schneemenschen verwechselten.
Über der Karibik wechselten sich Paparazzi-Tiefgleiter und Fahrzeuge der Polizisten eine morgendliche Jagd, und damit zogen sie Tausende von Touristen an, die am nächsten Tag etwas über den „Geistertanz der UFOs von Martinique“ lesen konnten.
„Wir empfangen immer mehr Meldungen von Beamten, die einfach nicht mehr können, hoher Ghoolsch“, sagte ein insektoider Fiir zu seinem Vorgesetzten. Die Quarzaner waren bereits im Orbital, die Oberhoheit über die Wachflotte war den Squaalern übertragen worden. „Viele sind schon vierzig Stunden auf den Füßen oder Standbeinen oder Tentakeln oder Flossen …“
„Ich kann darauf leider keine Rücksicht nehmen“, gluckste der Squaaler Ghoolsch erschöpft. „Ich sehe ja nicht besser aus. Sagen Sie mir lieber, wie es draußen aussieht. Und versprechen Sie jedem, der sich erschöpft fühlt, dass er sich später nach abgeschlossener Aktion – positiv abgeschlossener Aktion, wohlgemerkt! – einen Urlaubsschein für vierzehn Standardtage abholen kann, egal, wie viel Urlaub ihm jetzt noch zusteht. Das motiviert.“
„Zweifellos. Aber, wenn Sie mir die Einschränkung gestatten …“
„Nein, tue ich nicht! Abgesehen davon habe ich eine Frage gestellt!“
Der Fiir surrte eingeschnappt. Dann musterte er mit den großen Facettenaugen die Instrumente und gab knisternd Antwort: „Die Anzahl an Neumaterialisationen hat nachgelassen. Es sind in der letzten Stunde nur noch fünf Paparazzi durchgedrungen. Insgesamt haben wir hier draußen mehr als fünfzigtausend inhaftiert.“
„Kein Wunder! Ein Jahrhundertereignis, das lässt sich natürlich niemand entgehen. Allein die Einschaltquoten, wenn es gelingt, Liveaufnahmen von da mitzubringen … dieser vermaledeite Vennt … was ist eigentlich mit ihm?“
„Er ist noch vor Ort auf seinem Mondorbit. Das Schiff hat sich kein bisschen bewegt …“
Ghoolsch war misstrauisch. „Das muss ich sehen! Er ist mir zu gerissen, sicherlich versucht er irgendeinen Trick …“
Wenige Minuten später ergaben Spezialscans, dass das Schiff seit mindestens fünf Stunden verlassen war. Der Reporter Vennt war zur Erde unterwegs oder sogar schon angekommen.
Und niemand hatte ihn entdeckt.
„Schwarzer Laich!“, fluchte der Squaaler. Und fühlte Sorge um seine potenzielle Brut in sich aufsteigen …

*

10. Vladimir Nemsin:
Der Russe hatte im Verlauf der letzten drei Stunden, seit er erfahren hatte, was für einen Grund ihrer aller Hiersein WIRKLICH hatte, die Wodka-Bestände gehörig dezimiert. Mit einem etwas traurigen Grinsen.
„Sie haben nur diesen abscheulichen Narwatschew-Wodka da. Ich hätte Telzon vorgezogen.“ Aber, so hatte er nach seinem fünften Glas bemerkt, wobei er das „Wässerchen“ wie herkömmliches Mineralwasser zu trinken pflegte, ohne nennenswerte Anzeichen von Betrunkenheit zu zeigen, nach einer Weile glich sich der Geschmack an. Das war wohl der Grund, weshalb Russen so gerne und soviel tranken. Es wurde kolportiert, die Deutschen und die Dänen würden diese Gewohnheit auch haben, nur zugegebenermaßen nicht mit ganz so harten Getränken.
„Eine erstaunliche Entwicklung, finden Sie nicht auch, Genosse?“, erkundigte sich der Südafrikaner höflich. Er neigte dazu, lediglich alkoholfreie Getränke zu sich zu nehmen.
„Bah, voraussagbar“, kam die Replik aus dem Ohrensessel nahe dem prasselnden Kamin. Die Abende in Schottland waren auch jetzt gegen Ende des Sommers schon empfindlich kühl.
„Voraussagbar? Würden Sie das präzisieren?“
„Mein lieber Gibson, Sie übertreiben Ihre Höflichkeit“, polterte Harry Bright. „Unser alter Präsident Seagan wusste schon ganz genau, wie man mit den Russen umgehen musste. Deshalb habe sie auch den Rüstungswettlauf …“
„Stoj!“, grollte es aus dem Sessel. „Stoj, Americano! Bleiben wir beim Thema.“
Er goss sich den Rest der Wodkaflasche ein und trank einen tiefen Schluck aus seinem Glas, der es fast ganz leerte.
„Ich sagte“, fuhr er fort, „dass das voraussagbar ist. Stimmt auch. Kapitalistische Ausbeuter haben ihre Umwelt zerstört und hoffen nun nach dem Ende der Religion auf Rettung von den Sternen …“
„Die Briten scheinen daran aber sehr zu glauben“, fiel der Chinese mit feinem Lächeln ein. „Und die Briten haben sich eigentlich nie durch sonderlich starke Realitätsferne in der Politik ausgezeichnet.“
„Das müssen Sie ja wissen, Sekretär Chan“, sagte John Deer, der von der Tür aus in den Kaminraum eingetreten war. „Ich habe übrigens eben Kontakt gehabt. Wir werden das Rendezvous Punkt Mitternacht einhalten können. Die Sicherheitsvorkehrungen sind perfekt. Niemand weiß von unserem Treffen, die ganze lästige Presse wurde irregeführt. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen …“
„SIR! SIR!“
Der Ruf des Butlers James riss ihn aus seiner Selbstzufriedenheit. Unwillkürlich spürte Deer, wie sich sein Magen verhärtete. Irgendetwas, was nun überhaupt nicht im Plan vorgesehen war, musste geschehen sein. Sonst hätte es nicht diesen Aufruhr gegeben.
Er sollte schnell genug erfahren, was passiert war.

*

J. Ayanaar:
Der Dilatationstransporter war pünktlich. Vielleicht sogar etwas ZU pünktlich, denn Ayanaar kam mindestens drei Stunden vor der aktuellen Zielzeit heraus. Es war gerade Sonnenuntergang auf Sol III in der angepeilten Region. Irgendwelche Geheimcommuniques hatten ihm gezeigt, dass der Transporter SEHR nah an dem zu beobachtenden Ort heruntergehen würde.
Die Bezeichnung „Transporter“ war etwas irreführend. Im Endeffekt war es ein Raumzeit-Verzerrungsfeld, in das man hineinstieg und in dem man fast in Nullzeit durch die Galaxis transportiert wurde, allerdings rückwärtsgewandt durch die Zeit.
In solchen Transportern gab es sehr wenige Möglichkeiten, irgendetwas von der Umgebung mitzubekommen, geschweige denn den Zielpunkt zu verändern. Wenn Ayanaar aus Versehen in der Sonne Sol selbst herausgekommen wäre, hätte er wohl den größten Braten ergeben, den die Menschheit je gesehen hätte – mit dem kleinen Unterschied, dass er gar nicht erkennbar gewesen wäre, so schnell hätte ihn nämlich die Sonne verschlungen und in stellares Gas verwandelt.
Aber die Analysen seiner Implantate ergaben wohltuende Werte. Es war angenehm kühl, die Schwerkraft und die Luftzusammensetzung entsprachen den Zieldaten von Sol III.
Als er das unsichtbare Dilatationsfeld verließ, das hinter ihm erlosch (es würde sich erst auf seinen Subraumimpuls hin wieder aktivieren, wenn er zurückreisen wollte), stand er unmittelbar am Ufer eines Sees. Entfernt gegenüber sah er die vage Silhouette des Konferenzortes.
‚Wunderbar, das nenne ich exaktes Timing! Und der Ort stimmt auch ausgezeichnet.’
Er aktivierte andere Implantate, während er sich im Schatten eines kleinen Berges duckte (was ihm seiner Größe wegen gar nicht so leicht fiel. Erstmals überlegte Ayanaar, ob es sinnvoll gewesen war, IHN zu schicken. Immerhin fiel er gewiss nicht unter die Rubrik „unauffällig“. Doch er verdrängte diesen Gedanken wieder, insbesondere, als er das Wasser roch), und diese Implantate, die sich mit irdischen Satelliten in den Orbitalen in Verbindung setzten, zeigten ihm deutlich an, dass es der entscheidende Tag war und auch fast die entscheidende Uhrzeit.
‚Ich muss näher heran’, stellte er fest. Und das kam ihm sehr entgegen, denn die direkteste Linie war die durch den See. Ein Bad konnte nun wirklich nicht schaden.
Ayanaar begann mit seinen massigen vier Beinen langsam in das kühle Wasser des Lochs hinabzusteigen und hoffte, dass er keine zu hohen Wellen produzierte …

*

11. Peter Archer:
Wie ein Gespenst hockte er im hohen, feuchten Gras des Tales hinter den bröckeligen grauen Resten eines einstigen Fischerhauses, das zu einer ganzen Siedlung gehört hatte. Dem Zustand des dachlosen Hauses nach zu urteilen, das von Unkraut und Moosen sowie Flechten dicht bewachsen war, lag es mindestens dreihundert oder vierhundert Jahre in Trümmern. Vielleicht war es in der Cromwell-Zeit zerstört worden oder Landflucht hatte es verwaisen lassen. Es war egal.
Peter Archer, einer der zahlreichen Agenten, die hier momentan im Gras hockten und zusammen mit paramilitärischen und militärischen Eliteeinheiten zusammengezogen worden waren, um die Sicherheit der Konferenz zu gewährleisten, sehnte sich nach einer Zigarette. Die verbot sich natürlich von selbst. Womöglich hätte er einem potenziellen Feind Rauchzeichen gegeben, ohne es zu wollen. Das war das letzte, wonach ihm der Sinn stand.
Zum wiederholten Mal schaute der 40jährige Archer aus Dublin auf seine Uhr mit den Leuchtziffern und sah, dass es inzwischen knapp 21 Uhr war. Die Sonne war schon untergegangen, und nur mit den Restlichtverstärker-Brillen konnten sie noch etwas erkennen. Noch etwas später würden sie auf die Nachtsichtbrillen ausweichen.
Das Funkgerät lag dicht neben seiner linken Hand am Boden, die unterarmlange Spezialwaffe mit der Narkosemunition direkt neben der Rechten. Er spähte durch eine Mauernische hinaus auf den finsteren See, auf dem sich wie üblich nichts bewegte.
„Gott, diese Langeweile“, murmelte er.
Er wünschte sich, dass etwas passieren würde. Irgendetwas. Vielleicht dass persische Terroristen versuchten, das Schloss Slaymont Castle zu stürmen. Irgendwie so was mussten sie ja erwarten …
Eine Bewegung fiel ihm auf.
Archers Kopf ruckte nach rechts zurück zum See. Irgendetwas war da gewesen!
Kamen die Feinde unter Wasser? Froschmann-Angriffe wären in diesem Fall intelligent, weil die Gegner bis an die Burgmauern herankamen. Wenn sie dann ein Lenkgeschoss abfeuerten …! Ihm wurde ganz heiß bei dem Gedanken.
Sofort hatte er das abgeschirmte Funkgerät am Mund und aktivierte es.
„Hier Falke 10. Falke 10 an Falkner. Bitte melden!“
Die Antwort kam fast zeitverzögerungsfrei. „Hier Falkner. Falke 10, sprechen Sie!“
„Sir, ich meine, eine nicht genau lokalisierbare Bewegung am westlichen Seeufer ausgemacht zu haben. Könnten Sie das prüfen lassen?“
„Wir prüfen das … bleiben Sie dran und seien Sie wachsam!“
Kaum eine Minute später schnaufte jemand ins Mikro. „Hier Falke 2. Glaubt mir, ich habe keine Geheimration Whisky angebrochen …“
„Kommen Sie zur Sache, Falke 2!“
„Ich sehe Nessie.“
Peter Archer spürte ein Schaudern. Das war ausgeschlossen. Erstens waren sie nicht am Loch Ness, außerdem war dieses Monster eine Ausgeburt der Zeitungspresse. Das war einfach nicht möglich …
Der Leader des Teams war aber kein Mann, der seine Leute einfach so abkanzelte. Er hakte nach und verlangte Präzisierung.
„Das Objekt bewegt sich mit etwa zwei Knoten von der Westseite des Sees in gerader Linie auf das Castle zu“, erklärte Falke 2, immer noch deutlich unsicher in seinen Worten. „Verdammt, Sir, dieses Vieh hat einen gebogenen Hals, der bestimmt sechs Meter lang ist, mit einem kleinen biegsamen Kopf oben drauf. Es macht SCHWIMMBEWEGUNGEN! Das ist ein Tier, dem Kielwasser nach zu urteilen sicherlich dreißig Meter lang!“
Klang nach einem gottverdammten DINOSAURIER!
Peter Archer versuchte nun mit seinem Nachtsichtgerät auch, das Wesen zu Gesicht zu bekommen.
Und da der Mond auf einmal hell durch die Nacht und die Wolken schien, konnte er es auch erkennen. Und verflucht noch einmal: es sah in der Tat ganz so aus, als sei Nessie oder ein gottverdammter Dinosaurier unterwegs, um den Staatsmännern einen Besuch abzustatten …!

*

K. Vennt:
Die Kerle waren noch dümmer, als Vennt dachte.
Sie ließen sich von seinem Orbitalschiff täuschen und achteten nicht auf die kleine Dockingkapsel, mit der er sich auf das Orbital der Gesandten begab. Hier unten lauschten er und Leener den Datendiskursen, die ausgetauscht wurden.
Leener gab sich enttäuscht, als sie nach mehr als 48 Stunden immer noch keinen Fortschritt erzielt hatten.
„Ich verstehe nicht, wie du so gelassen sein kannst, Vennt“, klagte er. „Warum PASSIERT denn nichts?“
„Dein Nestbruder Geesor war ruhiger. Er kannte mich eben schon länger. Leener, du musst dir, wenn du wirklich gut mit mir zusammenarbeiten willst, einen Weg in mein Bewusstsein bahnen, das über das hinausgeht, was du momentan empfindest.“
„Sonst verstehe ich dich nicht, ja?“
„Exakt“, quietschte Vennt und lehnte sich in dem behaglichen Gestänge zurück, auf dem er auf- und abwippte. „Das Rezept meines Erfolges besteht zu siebzig Prozent aus Geduld, zu zwanzig Prozent aus Findigkeit …“
„… und zu zehn Prozent aus guten Informationen, ich weiß. Aber an diese Warterei werde ich mich wohl nie gewöhnen können.“ Leener streckte sich vorsichtig glitschig auf den Kontrollen aus und hielt trotzdem die Symbiosefäden zu Vennt geschickt aufrecht.
„Sag mal“, meldete er sich wieder, „diese Rückversicherung, die ist doch nicht für den ernsthaften Einsatz gedacht?“
„Leener, Leener, du musst noch viel lernen …“
Der Symbiont fuhr auf. „Aber das ist doch WAHNSINN! Du bringst dich um alles, was …“
„Ich denke da in erster Linie an mein eigenes Gefieder“, korrigierte der Paparazzo genüsslich. „Und dieses Gefieder ist mir heilig.“
Er strich sich sanft mit seiner langen Zunge über das purpurrote Gefieder. „Doch, diese Rückversicherung kommt zur Anwendung, allerdings nur dann, wenn wir wirklich in der Patsche sitzen. Du weißt doch, das ist ein Signal, das das Unmögliche möglich macht.“
Oh ja, Leener wusste das. Und eben deshalb hatte er geglaubt, dass Vennt das nicht einsetzen würde.
Offenbar reichten sechs Monate Symbiosezeit noch immer nicht aus, den Meisterreporter der Galaxis zu verstehen.

*

12. Willard van Vyne:
Die Uhr schlug um auf 23.30 Uhr, als van Vyne die Nachricht erhielt, dass sich draußen im Tal allerlei tun würde. Das war unmittelbar vor seinem Auftauchen im Kaminraum.
„Was heißt das, ‚es tut sich allerlei’?“
„Nun, Sir, ein Wachtposten meldet, er habe einen Dinosaurier gesehen …“
„Unfug! Wir haben mit der Presse zu tun, vielleicht mit Außerirdischen, aber doch nicht mit SAURIERN! Sie hätten vielleicht die JURASSIC PARK-Fans aus der Einsatztruppe abziehen sollen!“
„Soll ich das zurückmelden?“, fragte der Butler Henry mit steinerner Miene. Er hatte gewusst, dass van Vyne ein Mann ohne Manieren war, aber dass er SO ungehobelt war … das war in der Tat wenig gentlemanlike. Das ging gegen seine Ausbildung und gegen seine Vorstellung englischer Repräsentanten. Unbewusst fragte sich der Butler, wer wohl van Vyne seinen englischen Pass ausgestellt hatte …
„Natürlich nicht!“, schnappte der Sicherheitschef zurück. „Formulieren Sie es etwas dezenter. Darin sind Sie ja prädestiniert. Ich hoffe nur, dass die Sicherheitskräfte alles draußen im Griff haben. Wir können uns keine Probleme erlauben. Wie sähe das denn vor den Repräsentanten aus? Immerhin haben wir behauptet, wir würden eine weltweite Allianz für den Kontakt zusammenbekommen. Und wir hätten alle Schwierigkeiten im Griff.“
„Das war wohl … hmm … etwas voreilig, Sir“, vermeldete Henry vorsichtig.
„Unfug! Unsere inneren Probleme haben die im Moment nicht zu interessieren. Wen kümmern denn Ressourcenengpässe, Umweltverschmutzung, politischer Lobbyismus, Korruption, Bürgerkriege und Hungersnöte? Hauptsache, wir machen einen guten ersten Eindruck. Alles andere wird sich dann schon zeigen.“
In diesem Moment erscholl ein lauter Ruf durchs Haus. Henry und van Vyne standen gerade vor der Tür des Kaminraumes.
„SIR! SIR!“
„Verdammt!“
Die Tür wurde aufgerissen, und John Deer sah auf den Gang. „Haben Sie gerufen?“
„Nein, das muss …“
„SIR! Kommen Sie! SCHNELL!“
„Das klingt nach einem ausgewachsenen Problem, wenn Sie mich fragen, Sir“, meldete Henry lakonisch mit undurchschaubarer Miene.
Van Vyne und Deer sahen einander an, und als hätten sie sich abgesprochen, kam ihr Kommentar: „Scheiße!“
Dann hasteten sie den Gang hinunter in Richtung des Geschreis.
„Henry, kümmern Sie sich um die Gäste!“, rief van Vyne noch zurück.
Der Butler, der schon hinterher hatte gehen wollen, blieb stehen. „Ja, Sir. Natürlich, Sir.“
Er drehte sich um und ging in den Kaminraum, wohl wissend, dass Beschwichtigungsversuche jetzt äußerst problematisch und schwierig sein würden. Aber für solche Aufgaben wurden Butler im Allgemeinen ja ausgebildet …

*

L. Schlotz:
Der einzige von den pfiffigen Paparazzi aus dem galaktischen Raum, der ebenfalls Vennts Raumjacht im Blick behielt, war Schlotz.
Der Schuurilker war mit seiner kleinen Raumlinse in die unmittelbare Nähe des Reporterschiffs gelangt und hatte es beobachtet. Denn Vennt, der Meister-Paparazzo der Galaxis, war wohl der einzige, dem zuzutrauen war, dass er sofort und verborgen handelte, wenn Bewegung in die Ereignisse kam.
„Siehst du, Vuurtsch, so muss man das machen“, erklärte er seinem Praktikanten, als sich von Vennts Schiff eine kleine Kapsel löste und in ein Orbital hinabglitt.
„Ja, hoher Schlotz!“, flüsterte der zwölf Jahre jüngere Vuurtsch, der einmal Schlotz beerben wollte, wenn dieser in wenigen Jahren in den Ruhestand ging. „Ihr seid unerträglich schlau, weicher Schlotz!“
„Keine erotischen Schmeicheleien, ja?“
Schlotz musterte weiter die Schirme, und als er sich sicher war, dass niemand Vennt gefolgt war, folgte er ihm im Schutz kurzfristiger Sperrschilde, um ebenfalls in das nicht überwachte Orbital hinabzuwechseln.
Diese Narren vom Galaktischen Bund waren so dumm, dass sie die diplomatische Immunität für einen absoluten Schutz hielten. Paparazzi hatten sich daran noch nie gehalten.
Er dachte blubbernd daran, wie er einmal auf Noschquosch dem Fest der Vaszeen zugesehen hatte, das in einem abgesperrten Areal stattfand, mit starker militärischer Luftraumüberwachung … er hatte sich einfach im Kofferraum eines Diplomatengleiters eingeschmuggelt und später spektakuläre Fotos von dem geheimen Zeremonial veröffentlicht. DAS hatte eine Welle von Prozessen gegeben! Und welch eine saftige Prämie seiner Redaktion!
Daran erinnerte er sich gerne.
„So, wir bleiben hier und warten. Vennt wartet auch.“
„Aber … aber die Bundespolizisten … seht Euch doch die Kurven der Kurztransiter an … sie setzen Tausende von Transportern ein, direkt zur Erde, um die Paparazzi wieder zurückzuholen … und nach außen sind sie auch überaus wachsam … wenn sie hierher blicken würden …“
„Tun sie aber nicht.“ Schlotz war eiskalt. „Hier sind sie blind. Diplomatischer Status, weißt du? Wenn sie auf den Trichterbau kommen, ist er längst eingestürzt. Und wir sind im Keller.“
Viele Stunden später maßen sie einen schwachen, aber nicht genau lokalisierbaren Energiepuls an.
„Mist, die Quarzaner …!“
Und dann kam ein – im Orbital – deutlich zu erkennender Antwortpuls von der Erde!
„Dieser gerissene Shuschikk! Dieser Shuschikk!!“
„Transitimpuls von Vennt!“, keuchte Vuurtsch. „Er begibt sich an den Konferenzort!“
„Exakt! Schlauer Kerl. Und weil das so ist, werde ich gleich hinterher gehen.“
„Und … und ICH?“
„Du begibst dich in die nahe Umgebung des Konferenzortes! Wenn dir dort der Boden zu heiß wird, kommst du wieder hoch.“ Schlotz gab ihm einen Demobilisator. „Du weißt ja, Taste 5. Nimm die Aufzeichnungsgeräte mit. Wenn ich nicht zum Schuss komme, solltest du wenigstens so nahe herankommen, dass du die Teilnehmenden aufzeichnen kannst, gut?“
„Ja … ja, ehrwürdiger Schlotz! Natürlich …!“
Wenige Minuten später hatte sich Schlotz fertiggemacht, noch einmal schnell seinen Sprachvokoder getestet, ob er auch makelloses Englisch, die Hauptverkehrssprache der Erde, sprechen und empfangen würde. Und dann löste er sich auf.

*

13. Falke 2:
„Zielen Sie genau auf das Wasser vor diesem Biest. Und wenn das nicht hilft, dann Direktfeuer!“
„Ja, Sir!“
Falke 2, ein Mann namens Carstair, hatte das Gefühl, über Nacht in eine Großwildjägerrolle versetzt worden zu sein. Das, was sie erwarteten, waren menschliche Attentäter gewesen. Und nun hatten sie es mit einem langsam dahinschwimmenden, walgroßen Dinosaurier zu tun, der sich dem Schloss sehr, sehr langsam näherte. Sie hatten ihn fast schon eine Stunde im Visier, und der Falkner hatte lange gezögert, überhaupt Meldung zu machen, weil man ihn im Schloss sonst vielleicht für … überspannt halten würde.
Dann aber, als sich der Kurs nicht änderte, und als das Ungetüm schon bis auf acht Kilometer an das Schloss heran war, hatte er den Schussbefehl gegeben.
Carstairs Hände bebten nur minimal, als er anlegte und durch das Nachtsichtgerät visierte.
Im Dämmer der Nacht ließ sich die Farbe des gewaltigen Tieres nicht genau erkennen, aber offenbar war die Haut ledern, vielleicht bläulich bis hellbraun. Das ließ das Tier mit dem Wasser gut verschmelzen, bis es nahezu unsichtbar war. Doch momentan ragte der Hals mit dem kleinen Kopf noch vollkommen aus dem Wasser, und dieser Hals pflügte den See wie das Periskop eines U-Bootes …
Einen Moment lang dachte er, das könne die Erklärung sein, ein als Tier getarntes U-Boot. Aber das wäre den Wachmannschaften sicherlich schon früher aufgefallen …
‚Und weshalb ist ihnen das Viech dann nicht aufgefallen? Das kann doch nicht vom Himmel gefallen sein!’
Er ahnte freilich nicht, dass er damit der Wahrheit sehr nahe kam.
Castair schüttelte diese Gedanken ab, visierte neu und schoss.

*

M. Ayanaar:
Das Wasser vor ihm peitschte hoch.
Unwillkürlich stoppte der riesenhafte Körper des Reporters, den Menschen definitiv als Abart eines Brontosaurus identifiziert hätten. Anderen erschien er – was Wunder – als eine Art „Monster von Loch Ness“.
Das war so unwahrscheinlich nicht, denn selbst wenn in den gut 65 Millionen Jahren, die seit ihrer Evakuierung durch die Bundesbeamten vergangen waren, hatten sie sich physisch nur gering verändert. Der Grund war natürlich der, dass eine Dschungelwelt mit annähernd irdischen Verhältnissen gefunden worden war, wo sie sich weiterentwickeln konnten. Als dort die Temperaturen zu sinken begannen, stellte sich der Organismus m Laufe von Jahrmillionen und vielen tausend Generationen darauf um. Nur deswegen konnte Ayanaar dieses Klima des schottischen Hochlandes genießen. Normalerweise wäre es viel zu kalt gewesen.
Umso erschrockener – weil er sich unentdeckt geglaubt hatte – war er, als er auf einmal einen „Schuss vor den Bug“ bekam.
Er trötete verärgert. ‚Das kann nicht wahr sein! Nicht so kurz vor dem Ziel!’
Der nächste Schuss traf ihn in den Hals. Obwohl Ayanaar ihn kaum spürte, fühlte er dennoch die Entschlossenheit der menschlichen Bewacher, ihren Konferenzort zu sichern.
‚Wenn da noch mehr sind …’
Und dann prasselte eine ganze Salve von Betäubungsgeschossen gegen seine Lederhaut. Ayanaar schloss die Augen und tauchte hastig ab.
In den kühlen Fluten des Sees konnte er in Ruhe nachdenken.
‚Sollen die Menschlinge doch ruhig glauben, sie hätten mich versenkt … aber ich kann nicht noch näher heran. Wenn ich das tue, setzen sie womöglich stärkere Geschosse ein, die mich wirklich verletzen … zu riskant.’
Er spürte tiefes Bedauern in sich aufkommen. Er würde also nicht der erste sein, der Bilder vom Treffen sendete. Sehr schade.
Aber er würde in der Tiefe bleiben und warten. Morgen um diese Zeit würde die Menschheit dem Galaktischen Bund beigetreten sein, und dann konnte er als erster Reporter seines Volkes über die Heimat ihrer Ahnen berichten und stolz vor ihre Grabstätten treten und der Toten gedenken …

*

14. Laura Alley:
Laura stieg die Stufen hinab in das lange Versorgungsgewölbe, das links und rechts Nischen besaß, in denen verschiedenste Güter standen. Kisten mit Fertigmahlzeiten, Getränke, sogar kleine Kühlschränke und Kühltruhen für leichtverderbliche Waren.
Sie hörte, wie Brian die Tür zumachte, und ihr Finger lag schon auf dem Lichtschalter, als sie den strengen Vogelgeruch spürte. Und das Rascheln. Dennoch drückte sie ihn – und starrte in das Gesicht eines Riesenvogels, der sie anblickte!
Ihr Schrei kam ganz automatisch. Und dann kam ebenfalls automatisch das Tablett …

*

N. Vennt:
Vennts Transiter versetzte den Paparazzo direkt in das Geschehen hinein. Er fand sich in einer dunklen, langen Kammer wieder, in der seltsame Aggregate brummten. In relativer Nähe witterte er Lebewesen. Sein empfindliches Gehör spürte Laute, wie sie Hominide bei einem Gespräch von sich gaben.
„Wir sind wohl da, was?“, flüsterte Leener.
„Leise!“, zischte Vennt. „Wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein!“
Er hüpfte durch die Dunkelheit und stieß einige Ultraschallschreie aus, um sich zu orientieren. Danach kannte er sich genauestens mit dem Gewölbe aus. Er näherte sich dem Ende, wo die Tür war, die zu den Menschen führte … als diese GEÖFFNET wurde!
Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Reporter, in eine Nische zu hüpfen und sich darin zusammenzukauern. Das war verdammt eng. Er konnte nur hoffen, dass der Mensch vorbeiging und ihn nicht entdeckte. Es war ja dämmrig genug.
Die Tür ging auf, und ein schlankes Menschenwesen kam herein, das am Geruch sofort als Weibchen zu erkennen war.
‚Weibchen sind dumm. Hoffentlich ist das bei Menschen auch so …’
Und dann griff das Weibchen nach dem Lichtschalter, der direkt neben Vennts Nische war! Wenn es das machte, würde er entdeckt werden. Wenn er das zu verhindern trachtete, natürlich erst recht …!
In dem kurzen Moment, in dem er verwirrt war und nicht wusste, was er machen sollte, ging das Licht an – und das Weibchen erblickte ihn.
Und SCHRIE!
„Nicht …“, krächzte er.
Das waren seine letzten Worte, bevor er das Tablett gegen den Kopf geschmettert bekam und nichts mehr wahrnahm.

*

15. Falke 18:
Im Nachhinein betrachtet konnte er nichts dafür. Die Geschehnisse überrollten Edward Schoorley einfach. Er hockte als Falke 18 in einem grasüberwucherten Hügelgelände südlich des Castles und blickte auf dessen Umgebung, als auf einmal ein schwarzer Wirbel aus dem Nichts erschien und darin, keine fünf Meter vor ihm, ein qualliges Etwas.
Es war einfach ein Reflex, das Gewehr hochzureißen und automatisch zu feuern, so war er trainiert.
Bevor der quallige Schatten begriff, was los war, hatten ihn schon drei Betäubungsgeschosse erwischt. Die Wucht des Aufpralls warf das Wesen zurück.
„Squeeeeee …“
Mit einem dumpfen Klatschen fiel es ins Gras und rührte sich nicht mehr.
„Falke 18!“, hörte Schoorley im Kopfhörer. „Falke 18! Schoorley! Bitte melden! Was ist los bei Ihnen?“
„Mein Gott!“, murmelte der Schütze beklommen.
Was um alles in der Welt war das gewesen? Was hatte er da erwischt? Und wo war es hergekommen, was immer ES gewesen war?
Die Anrufe wiederholten sich. Erst nach einer guten Minute konnte er sie wahrnehmen. Seine Meldung fiel entsprechend konfus aus, wie auch seine mentale Verfassung momentan war.
„Ich … Sir … ich … ich habe hier etwas erwischt … ich weiß nicht, was … es … es kam aus dem Nichts … Sie sollten sich das mal anschauen …“
Es war 23.45 Uhr.

*

O. Bhentasch Noorik:
„Es wird Zeit für den Abstieg“, erinnerte Noorik seine Gefährtin Nayike, die naturgemäß denselben Status trug, nämlich den eines Bhentasch.
„Ich weiß, ich bin auch schon soweit“, gab sie zurück.
Rein äußerlich war Nayike kaum von einem männlichen Quarzaner zu unterscheiden, außer vielleicht dadurch, dass sie filigraner war. Die weiblichen Geschlechtsorgane zeigten sich stets nur in Zeiten der einmal im Jahr auftretenden Paarungsbereitschaft. Diese deutliche sexuelle Fixierung auf bestimmte Zeiten im Jahr hatte der quarzanischen Rasse eine ruhige Entwicklung und eine stabile kulturelle Blüte ermöglicht, ohne ausgeprägte Kriege und Verheerungen. Sie waren ein Volk von Philosophen. Und damit eine eindeutige Ausnahme im galaktischen Verbund, wie sie inzwischen nach zwölftausend Jahren galaktischer Entwicklungsarbeit festgestellt hatten.
Normal war eben die aggressive Variante, jene Völker, die sich in sich zersplitterten und im rivalisierenden Ringen um Weltherrschaft schließlich zu den Sternen vordrangen – oder sich mit den entfesselten Kräften der Naturkonstanten (ob nun mit Nuklearwaffen, Kernfusionsgeneratoren, Antimaterieladungen oder bakteriologischen Waffen) selbst auslöschten. Das kam häufig genug vor.
Für die friedliebenden Quarzaner war das jedes Mal eine kosmische Tragödie, weil jedes Volk einzigartig war und weil immer, wenn etwas unwiederbringlich zerstört wurde, Dinge verloren gingen, Wissen, Erkenntnisse und Fertigkeiten, deren Wert man nicht einmal entfernt zu erfassen fähig war.
„Der Kontakter blinkt.“
Noorik wandte seinen hohen Schädel halb um und lächelte sein undurchschaubares Lächeln. „Nein, wir fragen nicht zurück. Das Gespräch wird nicht angenommen. Diese unpünktlichen Squaaler müssen endlich einmal lernen, was dieser Begriff eigentlich bedeutet.“
Die Gondel begann aus dem Orbit herabzusteigen. Unterhalb von 1000 Metern Bodendistanz begann sie leicht bläulich zu leuchten, von den Rändern zum runden Mittelpunkt immer heller weißlich, an den Rändern tiefblau, sodass die Farbe mit der Hintergrundfärbung des Abendhimmels verschmolz.
Bhentasch Nayike spürte, wie sich ihre romantische Ader regte. Ihr Gefährte Noorik hatte ein sehr feines Gefühl für Inszenierungen jeder Art. Aber bei solchen Ereignissen war er Perfektionist. Er würde nicht zulassen, dass die Zeremonie durch irgendetwas gestört wurde. Störungen würde er höchstpersönlich aus dem Weg schaffen, und dabei konnte er dann schon sehr rabiat werden.
Unter der Gondel erschien ein lang gestreckter, funkelnder See, der unergründlich tief aussah. Das Tal, bar jeder höheren Vegetation, war eine wellige Landschaft in Nachtgrau.
Gleich würde für all die provinziellen Terraner ein neues Jahrhundert des Friedens und der Hilfestellung anbrechen.
Gleich war der epochale Moment.
Gleich …

*

16. Leener:
„Was IST das?“
„Ich habe keine Ahnung, Sir“, sagte der Butler James und zerrte zusammen mit Victor den kindergroßen Körper aus der Nische des Vorratskellers. Er erinnerte etwas an eine Mischung aus Rabe und Geier, mit eigentümlich gemustertem grauschwarzweißem Gefieder. Um den langen, rotblauen Hals wand sich etwas, das man mit viel Phantasie als Schleimgespinst bezeichnen konnte.
Während das Wesen krächzend mit den Flügeln zu schlagen versuchte, was freilich zum Scheitern verurteilt war, schrie diese Schleimkrause Zeter und Mordio.
„WAS? WAS? WER, müsst ihr fragen, ihr Banausen! Dies ist der glorreiche und unvergleichliche Berichterstatter Vennt aus der Nachrichtengilde von Jjosch-Haalisch-Quann! Ihr müsst ihn kennen, seine Programme und Reportagen sind galaxisweit zu empfangen, niemand kann behaupten, er habe noch nie vom unvergleichlichen Vennt gehört, der Myriaden von Neidern und Widersachern hat …“
Der Symbiont Leener fuhr gallertartige Pseudopodien aus, die etwa handspannenlang wurden, „äugte“ damit von einem zum anderen, während er zusammen mit seinem halbbetäubten Herrn den Gang entlang getragen und in die Küche gebracht wurde.
„Ihr kennt ihn wirklich nicht, was? Ihr könnt doch nicht mit meinem Herrn und Meister so umgehen! Ihr tut ihm weh! Ihr Barbaren … ihr …“
„Halt deinen Mund – oder was du für eine Entsprechung hast!“, knurrte Willard van Vyne. „Dein Herr gehört genau zu dem Abschaum, den wir von hier fernhalten wollten. Also werden wir genau das tun, was euresgleichen am wenigsten mag: wir werden euch einsperren!“
„Aber die Zeremonie! Der BEITRITTSMOMENT! Das DÜRFT ihr nicht machen …!“
„Ist mir egal. Victor, untersuchen Sie ihn, ob er technische Hilfsmittel bei sich hat!“
„Ja, Sir!“
James hielt den Paparazzo zwischenzeitlich fest und brach ihm fast die Flügel damit. Der Schmerz brachte Vennt allmählich wieder ins Bewusstsein zurück.
„Ich protestiere im Namen der chreeeekk…“
Mit einem metallischen Schnappen zog Victor einen Multifunktionsgürtel aus dem Gefieder, und die Rede des Vogelartigen verwandelte sich in ein haltloses Keckern und Kreischen, was wohl die normale Sprechart dieses Paparazzo war.
„Noch mehr technische Apparaturen?“
„Ich kann nichts fin…“
„Ihr werdet das büßen! BÜSSEN!“, kreischte Leener zornig und hilflos.
Als Symbiont seines Herrn war er leider nicht offensivbewaffnet. Seine Säuredrüsen waren enzymatisch blockiert, damit er seinem Wirt keinen Schaden zufügen konnte. Erst, wenn er zurück war in den heißen Sümpfen von Phuulq, dann konnte er die Blockade aufheben lassen und sich als wohlhabender Czesch zur Ruhe setzen. So aber …
„Das ist noch etwas. Unter der Krause“, knurrte van Vyne.
Über James´ Gesicht lief ein Ausdruck des Ekels, als er auf sein Geheiß auch unter Leeners glibbrige Körpermasse griff.
„Das ist unsittliche Berührung!“, zeterte der Symbiont weiter. „Das hat euch niemand erlaubt … nur meine eigenen Artgenossen dürfen mich entblubbglursch …“
Er verstummte.
„Gut so. Und jetzt sperrt ihn in die Räucherkammer! Da wird er die nächste Zeit nicht entkommen können.“
Leener bekam mit, dass er mitsamt seinem desorientierten und geschwächten Herrn in die Räucherkammer gestoßen wurde, in der es erregend nach geräuchertem Fleisch roch. Er spürte, wie sich Hunger in ihm regte, aber sein Herr ging natürlich vor.
„Herr … geht es Euch wieder gut?“, fragte er.
„Leener … du bist ein noch größerer Trottel, als ich jemals geglaubt hatte! Deinen Rentenbonus kannst du erst einmal streichen!“, giftete der Meisterreporter hasserfüllt zurück.
„Aber Herr … bitte … ich verstehe nicht …“, stammelte Leener verdattert und völlig verzweifelt. „Wieso …?“
„Eben! Eben das ist es ja! Du verstehst es wirklich nicht! Deine Kommunikationskrause war mit der Transferautomatik vernetzt! Das war der verdammte PRIMÄRKREIS! Wenn sie mir das Implantat deaktiviert hätten, wäre das nicht so problematisch gewesen, weil ich die Tiefenfunktionen immer noch über deine Krause hätte ansteuern können. Aber ohne die Krause kann ich das verfluchte IMPLANTAT nicht mehr ansprechen, verstehst du?“
Leener hatte sich vor Scham ganz zusammengezogen und erdrosselte seinen Herrn damit unwissentlich fast. Erst als ihn harte Krallen verletzten und vom Hals rissen, ihn auf den kalten Steinfußboden warfen, was ihn quarrend aufschreien ließ, da begriff er, dass er noch fahrlässiger gehandelt hatte als zuvor.
Stumpfe Laute der Verzweiflung ausstoßend blubberte das Quallenwesen vor sich hin.
Doch Vennt beachtete ihn nicht. Er blickte durch das schmale, schießschartengleiche Fenster nach draußen und sah den blauweißen Glanz aus dem bewölkten Himmel herabkommen.
Die Abgesandten der Quarzaner kamen.
Und er war gefangen.
Welche Blamage …!

*

P. Ghoolsch:
„Wir bekommen keine Resonanz. Die Gondel der Delegation ist im Sinkflug.“
„Verfluchte Quarzaner! Was denken sie eigentlich, wer sie sind? Und wer wird nachher die Schuld für dieses Debakel bekommen? Ich natürlich!“
Der Squaaler-Kommandant drehte sich um und fragte seinen Fiir: „Ist die Peilung eindeutig?“
„Völlig, Kommandant. Vennts Transiter ist direkt auf das Schloss gerichtet gewesen. Er ist angekommen.“
„Können wir nicht die Terraner warnen?“
„Unmöglich. Den Codeschlüssel für den Direktkontakt haben nur die Quarzaner“, gab der Insektoide zurück. „Das waren die verschärften Sicherheitsmaßnahmen.“
„Fauliger Laich! Verfluchter fauliger Laich!“
Ein anderer Orter, ebenfalls ein Fiir, meldete sich mit einem Knirschen seiner Membranen zu Wort. „Kommandant, ich habe da etwas auf dem Schirm, was Sie interessieren könnte.“
Eine zweigeteilte Transiter-Emission tauchte auf dem Schirm auf.
„Nein!“
„Es handelt sich um eine Frequenz, die auf einen Schuurilker namens Schlotz zugelassen ist. Der Doppelpuls kam durch einen Demobilisator zustande.“
„Wohin ist er?“
„An den Konferenzort. Er ist Vennt gefolgt. Und die zweite Emission befindet sich im direkten Umfeld, aber außerhalb der Mauern.“
„Können wir ihn da rausholen?“
„Mit Bundespolizisten? Unmöglich. Es gibt die Richtlinie 8802/er-ghon, dass wir nicht …“
„Ja, ja, ich weiß schon!“
Der Squaaler fluchte lang anhaltend. Er kannte diese Richtlinie. Die verhinderte im Falle der Kontaktaufnahme die direkte Einflussnahme von Bundespolizisten nahe dem Konferenzort. Ein Areal von fünfzig Kilometern rings um den Konferenzort war – außer in Fällen akuter Attentatsversuche, die hier nicht vorlagen – eine neutrale Zone, in der keine Bundespolizisten auftauchen durften, damit die Kontaktpersonen nicht verstört wurden, die das dann leicht als Invasion missverstehen konnten.
„Verfluchter coolch! Sind denn diese terranischen Sicherheitskräfte zu nichts imstande …?“, fluchte er.
„Offenbar doch!“, sagte der eine Fiir auf einmal. „Schauen Sie!“
„VENNT!“ Seine Emission war auf einmal halbiert worden. Ghoolsch frohlockte, denn er kannte solche Signaturen. „Sie haben ihn betäubt!“
„Ja, aber seine neuronale Aktivität steigt schon wieder an. In wenigen Minuten wird er Offensivstatus wieder erreicht haben. Aber vielleicht können sie ihn technisch kastrieren. Das wäre das Sinnvollste, was sie machen können … oh, sehen Sie sich die Signatur außerhalb des Burggeländes an!“
Ghoolsch überschlug sich fast vor Freude. „Ja! Ja! Macht sie fertig! Macht sie alle fertig!“
Auch die Außensignatur war in einen Zustand suspendierter Animation gerückt worden. Aber dauerhaft. Wahrscheinlich per Narkosegeschoss.
„Ich hoffe, sie erwischen Schlotz auch noch. Und vor allen Dingen rechtzeitig!“
Es war 23.52 Uhr.

*

17. Esteban y Alvarez:
Der Südländer war ganz geknickt. Er stand auf dem Hof und rauchte eine Zigarette, nervös und verständnislos. Direkt nach dem … Zwischenfall hatte er noch mal kurz mit Laura reden können, diesem göttlichen Geschöpf, dessen Haar gesponnenem Gold glich, dessen Körperrundungen so sehr an leckere, knackige reife Früchte denken ließen … dieses zauberhafte Wesen lehnte ihn nach wie vor schroff ab.
Laura hatte sogar dieses silberne Tablett, das deutlich dort verbogen war, wo es diesen … diesen … Vogel getroffen hatte, gegen ihn erhoben.
Gegen IHN!
Bedroht von einer Frau!
Alvarez war völlig konsterniert.
„Seien Sie aber pünktlich!“, hatte van Vyne ihm gesagt, als er bemerkt hatte, er müsse noch im Burghof eine Beruhigungszigarette nehmen, bevor er in den Kaminsaal zurückkehren könne.
Er rauchte aus, trat die Kippe mit seinem Absatz in den weißen Kies des Hofes und ging durch die Tür wieder hinein. Entlang den Gang, der direkt an der Küche vorbeiführte …
Und da hörte er sehr seltsame Geräusche. So ein Keckern und Quietschen von dem Vogelgefangenen. Aber auch so ein seltsames Blubbern, das sich ständig veränderte.
Heckte dieses unheimliche Wesen etwa irgendetwas aus?
Alvarez sah auf die Uhr. 23.52 Uhr. Es war also noch etwas Zeit.
Der Südamerikaner öffnete die Küchentür.

*

Q. Schlotz:
Er hatte geahnt, dass es Probleme geben würde. Aber dass diese Erdlinge so findig waren, dass sie Vennt außer Gefecht setzten, das hatte ihn überrascht.
Heimlich war er hinterher geschlichen, als sie Vennt inhaftiert hatten. Und kaum waren diese Menschen weg – sie glaubten Vennt zu Recht sicher verstaut in dem Vorratsraum, der über einen altmodischen Riegel und ein schwerfällig zuzuschließendes Schloss verfügte, weiter oben aber über ein vergittertes Fenster. Vermutlich war das vorher einmal irgendwann eine Haftkammer gewesen – , kaum waren die Menschen also weg, da huschte Schlotz in den Küchenraum und glitt langsam um den Tisch herum, auf dem Vennts technische Ausrüstung lag. Mit einem Mikro-Antigrav hob er sich auf Fensterhöhe und blubberte hinein.
„Vennt?“
Der Paparazzo war wie der Blitz an der Tür. Sein Gefieder, das im bewusstlosen Zustand verschiedene Grautöne angenommen hatte, war schon wieder scharlachrot geworden. Er erkannte Schlotz sofort.
„SCHLOTZ!“ Er schien darüber aber gar nicht erbaut. „Schlotz, du schleimiges Stück Aas …“
„Keine Beleidigungen bitte“, korrigierte der Schuurilker lässig. „Ich bin einzige, der dir jetzt noch helfen kann …“
Vennts Stimme veränderte sich, sie bekam einen schmerzlichen Unterton. „Ja, weil ich ein WEIBCHEN unterschätzte …!“
Schlotz blubberte selbstzufrieden. „Siehst du, das kann mir nicht passieren. Ich würde Frauen nie an mich heranlassen, schon gar nicht solche anderer Rassen. Aber du hast da natürlich einen anderen Moralkodex …“
„Wer beleidigt jetzt eigentlich wen?“, fauchte Vennt.
„Ich kann es mir erlauben. Du nicht. Denn wir haben noch acht Zeiteinheiten, bevor die Zeremonie beginnt …“
„Ich weiß doch! Draußen landet gerade das Schiff der Quarzaner!“ Der Vogelartige heulte geradezu. „Sag mir, was du verlangst!“
„Wen ich dich befreien soll, verlange ich die Exklusivrechte …“
„Du bist WAHNSINNIG …!“
„Wenn du das meinst, dann können wir uns jedes weitere Wort sparen.“ Schlotz drehte sich um und wollte die Küche verlassen.
„Du hättest wirklich auf ihn hören sollen“, hörte er Leener aus dem Hintergrund der Räucherkammer sprechen. „Irrationalität wie Hass ist nie ein guter Ratgeber gewes…“
„Ruhe, Leener! RUHE, habe ich gesagt!“
Schlotz bewegte sich weiter.
„SCHLOTZ!“
Der Schuurilker drehte sich um. „Ja?“
„Bitte“, krächzte Vennt, sichtlich angeschlagen. „Gib mir meine technische Ausrüstung zurück. Dann diskutieren wir darüber, ja?“
„Du hältst mich wohl für völlig verblödet!“, gurgelte Schlotz amüsiert. „Damit du dich mit deinem Transiter versetzen kannst, was? Und an deine Zusagen fühlst du dich dann nicht mehr gebunden …“
„Dann drück auf dem Multifunktionsband nur Funktion 11. Nur das, andernfalls werden wir diesen epochalen Moment verpassen …!“
Schlotz zog sich mit seinen schleimigen Tentakeln zum Tisch hoch und blickte mit einem Stielauge auf den Gürtel. „Soso, Funktion 11, ja?“
„Ja! JA!“, schrie der Reporter aus seinem Gefängnis und rasselte an der Tür. „Beeil dich doch! BEEIL DICH!“
„Was passiert …?“
Die Tür ging auf, und ein Mensch erschien, ein seltsam hochgewachsenes, hageres Exemplar mit schwarzem Kopfpelz und dunklen Augen. Der Gesichtsausdruck war undeutbar, aber er schien so etwas wie eine Mischung aus Angst, Überraschung und Wut zu sein.
„SCHLOOOOTZ!“
Der Schuurilker sah, wie der Mensch sich eine lange, blitzende Klinge vom Tisch nahm und auf ihn zustürmte.
Das sah aber aus wie ein Rückfall in die Steinzeit dieses Planeten …
Er stieß sich vom Tisch ab und drückte dabei unwillkürlich die Taste. Direkt hinter ihm hämmerte die Schlachtermesserklinge in den Tisch und blieb darin stecken. Schlotz kroch verzweifelt unter dem Tisch herum und wich entsetzt blubbernd den Fußtritten des Südamerikaners aus.
Er hatte keine Ahnung, was er mit der Befolgung von Vennts Kommando ausgelöst hatte …!

*

18. Sekretär Chan:
Dies war ein wichtiger, epochaler Moment für den Chinesen, der sein Wissen – mit Ausnahme von John Deer – vor jedem verborgen hatte. Er sah, wie der Diskus, der etwa zehn Meter durchmaß, langsam in den Burghof hinabsank.
Auf den bröckeligen Mauern standen die Wachtposten, die nun alle auf den Innenhof achteten.
Die Delegationsmitglieder standen alle am Fenster des Kaminzimmers, das auf den Hof hinausging. Die Butler und Laura waren abwesend, nur die Delegierten selbst befanden sich im Zimmer. Und van Vyne natürlich.
Der war es auch, der etwas aussprach, was bislang noch niemand so recht registriert hatte. Chan hörte aus seiner Stimme spürbare Unruhe heraus. „Wo zum Teufel ist dieser südländische Heißsporn abgeblieben?“
„Ich werde ihn holen, Sir“, bot sich der Butler Mortimer an.
„Aber beeilen Sie sich!“
Der Chinese nahm das alles mit einer gewissen Belustigung auf, genauso wie vor einigen Minuten die Aufregung, weil ein außerirdischer Paparazzo entdeckt worden war. Man musste da viel mehr Muße und Ruhe walten lassen. Hetze und überstürzter Perfektionismus an der falschen Stelle waren definitiv das Falscheste, was sie machen konnten.
Das war das eine, was Sekretär Chan dachte.
Auf der anderen Seite lächelte er verschmitzt in sich hinein bei der Überlegung, dass die Außerirdischen doch überaus menschlich waren: sie hatten ihre Probleme mit der Presse wie irdische Mächte auch, was entweder auf ein fundamentales Naturprinzip hinwies, die prinzipielle Unbezwinglichkeit des Willens intelligenter Wesen, oder was andererseits zeigte, dass es mit der Überlegenheit lange nicht so weit hin war wie vermutet. Viele Menschen neigten dazu, Extraterrestrier eine weitaus höhere, ausgefeiltere Moral und eine überdimensionierte Supertechnik anzudichten. Beides musste möglicherweise relativiert werden. Stark relativiert werden.
Der Butler kehrte zurück, reichlich blass um die Nase.
„Sir … Sie sollten sich das besser ansehen“, sagte er zu van Vyne.
Der Sicherheitschef eilte hastig mit fort.

*

R. Bhentasch Nayike:
Die quarzanische Abgesandte empfand Beunruhigung, als sie sich dem gemauerten Hof näherten. Sie war lange nicht so sicher wie ihr Gefährte, dass die Terraner wirklich begriffen hatten, worauf es bei dem MOMENT ankam. Vielleicht ging es ihnen hier so wie beim Beitritt der Gooner von Vaaj-II vor vierunddreißig Jahren. Damals waren …
„Nayike, du musst dich konzentrieren!“, verlangte Noorik streng, als die Antigravpolster den Gras- und Pflasterboden des Innenhofes berührten. „Haltung!“
„Ich weiß, was ich zu tun habe!“, entgegnete sie eine Spur heftiger als beabsichtigt.
Er nahm das nicht zur Kenntnis. Noorik war, im Gegensatz zu ihr, reiner Intellekt. Er war der Planer, und nur auf Störungen im Plan konnte er empfindlich reagieren.
Sie hoffte, dass es keine Probleme geben würde. Und doch sagte ihr das Unterbewusstsein, dass das der Fall sein MUSSTE. Auf subtile Weise sagten ihr dies ihre Fähigkeiten. Und die Probleme, die man JETZT noch nicht sah, würden die schwerwiegendsten sein.
Die Luke öffnete sich.

*

19. Falkner:
Der Einsatzleiter hockte neben dem qualligen Wesen, das im Gras lag und leicht mit den Tentakeln zuckte. Es sah fast aus wie eine Art von Tiefseequalle, die dennoch fähig war, an der Oberfläche unter normalen Atmosphärebedingungen zu existieren. Ausgestreckt maß es gut zwei Meter. Helle, funkelnde Metallimplantate schillerten im Innern des glockenförmigen Oberkörpers.
„Ich glaube, er ist nur betäubt“, sagte ein Arzt des Armeekommandos leise. „Sie hätten ihm aber vielleicht nicht soviel verpassen sollen.“
„Falke 18 trifft keine Schuld. Er hat seine Aufgabe so erfüllt, wie er musste. Aber ich wüsste doch zu gerne, welche Funktion dieses Wesen in der Delegation einnimmt, und ob wir hiermit eine diplomatischen Zwischenfall verursacht haben.“
Der hochgewachsene Einsatzleiter, der den Tarnbegriff „Falkner“ trug, drehte sich zum Schloss herum und sah, dass der leuchtende Diskus, der einen Durchmesser von vielleicht zehn Metern hatte, in den Burghof gesunken war.
„Es sieht unproblematisch aus“, gab er zu. „Aber wissen wir schon, wie sie denken?“
Er warf einen Blick auf sein Chronometer und stellte fest, dass Mitternacht nahezu erreicht war. Der EPOCHALE MOMENT würde gleich beginnen.
Das war der Augenblick, in dem der Himmel explodierte.

*

S. Schlotz:
Der Terraner eilte geifernd um den Tisch herum, wilde Schreie ausstoßend und immer wieder mit dem Messer fuchtelnd.
Schlotz machte sich immer kleiner und versuchte, den Bewegungen des Messers zu entkommen. Aber er war zu groß, um rasch unter den Tisch zu entkommen.
Sicherlich, es wäre ihm ein Leichtes gewesen, den Transiter zu bedienen und sich zum Raumschiff zurücktransmittieren zu lassen. Aber dann hätte er Vuurtsch die Story überlassen müssen, und das wollte er nicht. Zumal nicht sicher war, ob Vuurtsch überhaupt nahe genug an das Schloss herankam, um Aufnahmen zu machen. GUTE Aufnahmen, wohlgemerkt. Er war nur Praktikant …!
Die Tür öffnete sich, und jemand kam herein, ein Terraner, ganz augenscheinlich, in seltsam dunkle Sachen gekleidet. Er sagte irgendetwas zu dem Berserker, der ihn zurück anschrie, und dann erblickte er Schlotz und wurde aschfahl. Verschwand gleich wieder.
‚HE! IHR SOLLT KONTAKT AUFNEHMEN! Nicht zusehen, wie harmlose Nichtterraner ABGESCHLACHTET werden!’ Fast hätte er das laut geschrien. Aber die Blöße wollte er sich vor Vennt dann doch nicht geben.
Der Moment der Ablenkung reichte, um sein Schicksal fast zu besiegeln.
Alvarez hieb seine Klinge in einen von Schlotz´ Tentakeln.
Der Schmerz war dermaßen überwältigend, dass der Paparazzo automatisch die Transitsequenz auslöste und in seinem Raumschiff landete.
Milchiges Blut tropfte aus der Wunde, die sich automatisch weitgehend verschloss. Das war ein großer Vorteil der Xyluuhr-Meditation – man bekam seinen Körper unter Kontrolle, was nicht nur beim Sex sehr hilfreich war.
Jetzt schaffte er es bis zum nächsten Medoschacht und ließ sich hineingleiten. Eine kühlende Emulsion umspülte den Quallenkörper sogleich, und die Kühle nahm ihm den Schmerz.
„Sprachkommandobereitschaft!“, befahl er.
„Sprachkommando in Tätigkeit“, meldete sich der Computer akustisch.
„Wann bin ich wieder einsatzfähig?“
„In schätzungsweise zwei Stunden vierzehn Minuten galaktischer Normzeit“, kam die Antwort. „Aber du wirst nichts unternehmen können. Vier Schiffe der Bundespolizei haben dich im Gleichrichterschlepp.“
Der Schuurilker fluchte lang andauernd, bis er vor Schwäche eine Pause machen musste. Gleichrichterschlepp hieß, dass jeder Transit von hier aus in den Gefängniszellen der Bundesschiffe endete. Er war also hilflos.
„Dann muss ich also doch alle Hoffnung auf Vuurtsch setzen“, murmelte er blubbernd und gar nicht begeistert.
„Diese Hoffnung musst du fahren lassen.“
„WAS?“
„Ich habe inzwischen Biodaten von Vuurtschs Sensor eingefangen. Schau sie dir an.“ Der Computer blendete eine Holowand ein.
Schlotz reichte ein Blick darauf.
„Betäubt! Die Terraner haben ihn erwischt und betäubt!“ So kam er sich auch vor. Wie betäubt. Es schien alles, restlos alles, verloren zu sein.
Bis der Computer unvermittelt fragte: „Sollen wir uns der allgemeinen Bewegung anschließen?“

*

20. John Deer:
„… hatte ihn fast! Wirklich! Ich habe ihn schon aufgespießt gehabt, noch ein halber Meter mehr, und er wäre von mir zersäbelt worden wie Calamares …“
Esteban y Alvarez war außer sich, als er zur Delegation ins Kaminzimmer stieß. John Deer nahm ihn beiseite und knurrte ihn halb freundlich, halb unfreundlich an: „Mein lieber Alvarez, jetzt sind Sie bitte schön still, ja? Die Delegation erscheint gleich …“
„Ich …“
Auf dem Flur waren schwere Schritte zu hören, und unwillkürlich hielten die versammelten Männer den Atem an.
JETZT war der epochale Moment gekommen. Jetzt!
„Mit Festbeleuchtung!“, stellte Harry Bright kichernd fest, der einen Blick nach außen geworfen hatte. Der Himmel erstrahlte in vielfarbenen Mustern. Soviel zum Thema „Wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen“. Das war wohl nichts gewesen.
Die Doppeltür zum Kaminraum öffnete sich, und die Delegation kam herein.
Es waren zwei menschenähnliche, sehr große Wesen, die jeden Anwesenden noch locker um einen Kopf überragten, selbst die Hünen unter ihnen.
Auch der heißblütige Südamerikaner wurde jetzt ganz still.
John Deer fühlte, wie ein Kloß in seinem Hals zu wachsen schien, als er die sehr blassen, fast bläulichweißen Gesichter der Quarzaner ansah. Er konnte weder von der Kleidung her noch vom Gesichtsschnitt oder den Körperkonturen Männer oder Frauen auseinander halten. Wahrscheinlich waren es zwei Männer.
Sie waren waffenlos, gekleidet in lange weißgoldene Gewänder mit eingewebten Kreissymbolen, die vielleicht Sonnen darstellen sollten.
„Willkommen!“, sagte Deer langsam und deutlich akzentuiert. Er spürte, wie sein Herz hämmerte. ‚Ich bin der Sache vielleicht nicht gewachsen! Ein Glück, dass jetzt keine Reporter da sind …’ „Mein Name ist John Deer, ich bin der Repräsentant der britischen Regierung und entbiete Ihnen die innigsten und freundschaftlichsten Grüße unserer Majestät, der Königin, und der Regierung Ihrer Majestät …“
In einem dunklen Bariton antwortete der offensichtliche Delegationsleiter: „Mein Name ist Noorik, mein Rang ist der eines Bhentasch. Sie können diese Bezeichnung anstelle Ihrer Art von Vornamen verwenden. Das ist ein Gebot der Höflichkeit. Meine Begleiterin ist Bhentasch Nayike. Während ich für Fragen der Logik und Diplomatie zuständig bin, ist ihr Ressort das der Emotionen und sozialen wie sexuellen Fragen. Es mag da Tabus Ihrerseits geben, die wir nicht zu berühren bereit sind und die uns trotz intensiver Forschung verborgen geblieben sind. Nayikes Aufgabe wird es sein, Schwierigkeiten und Probleme auf diesem Gebiet auszuräumen.“
Nayike meldete sich auch sogleich zu Wort. „Wir wissen, dass ihr Terraner eine zweigeschlechtliche Spezies seid. Die unsere ist dreigeschlechtlich, aber unsere Neutra sind … wie könnte man sagen … nicht sehr kooperativ und äußerst scheu, weswegen wir unseren Neutrumpartner nicht mitgebracht haben. Er hätte auch in einer dualsexuellen Gesellschaft keine Akzeptanz gefunden, nehme ich an.
Doch was ich eigentlich sagen möchte, ist Folgendes: mir wäre sehr damit geholfen, wenn Sie mir Ihr jeweiliges Geschlecht nennen würden, wenn Sie die weiteren Delegationsteilnehmer nennen.“
John Deer nickte verständnisvoll. „Natürlich, Bhentasch Nayike. Ich hätte daran denken müssen, dass solch fundamentale Unterschiede rasch zu Quellen des Missverständnisses werden können. Mein eigenes Geschlecht ist männlich.“
Er stellte dann die weiteren Delegationsteilnehmer vor und nannte ihr Geschlecht.
Als schließlich die Reihe an Harry Bright kam, bemerkte der Amerikaner grinsend: „Übrigens, noch eine Nebenbemerkung. Tolles Feuerwerk, das ihr da losgelassen habt. Aber Silvester ist noch nicht.“
Die beiden Quarzaner erstarrten.
‚Mist, ich hoffe, Harry hat nicht irgendein Tabu verletzt …!’, dachte John Deer, peinlich berührt.

Noorik trat ans Fenster und konnte dann nach oben in den Himmel sehen, wo sich immer heftiger strahlende Farben ausbreiteten. Sein langes Gesicht war ausdruckslos, als er sich umwandte und zu seiner Partnerin sagte: „Nayike, führe die Verhandlungen weiter. Ich muss … das Problem ausräumen!“
‚Scheiße’, schoss es van Vyne durch den Kopf, der dabeistand. ‚Scheiße, Scheiße, Scheiße … was ist das jetzt wieder?’
Er sollte es gleich mitbekommen. Der Bhentasch rauschte förmlich aus dem Raum, auf demselben Weg, den er gekommen war.
Und kaum war er verschwunden, da versetzte die stocksteif dastehende Nayike den Versammelten den nächsten Schock. „Warum ist die Delegation unvollständig? Wo ist der Rest?“

*

T. Vennt:
„Ich könnte dich umbringen, Leener! Bei allen Göttern der Galaxis, ich KÖNNTE DICH UMBRINGEN!“
Der Hjool war nach wie vor außer sich, besonders nachdem er gesehen hatte, wie Alvarez schließlich Schlotz durchbohrt hatte. Er saß immer noch in der Falle.
„Nicht … nicht …!“, wimmerte der Symbiont verstört. „Ich kann doch nichts dafür …“
„DU KANNST NICHTS DAFÜR? Du kannst ALLES dafür!“, kreischte Vennt in seinem Purpurgefieder.
Abrupt warf er sich herum und spähte in die dunkle Küche, auf den Tisch, wo sein Multifunktionsgürtel lag.
Und dann keckerte er auf einmal amüsiert. Gehässig.
Im UV-Spektrum funkelte die Taste 11.
Schlotz hatte es noch geschafft, die Taste zu drücken.
„Jetzt habt ihr ein verdammtes Problem“, flüsterte er triumphierend. „Und ich lache DOCH als letzter!“
Er blickte zum Fenster hinaus und sah den Himmel aufflammen in allen Regenbogenfarben. Und er lachte und lachte unbändig.
Leener hingegen fragte sich ernsthaft, ob sein Herr und Meister nun wahnsinnig geworden war …

*

21. Willard van Vyne:
„Unvollständig?“, echoten Willard van Vyne und John Deer synchron. Und der Sicherheitschef fragte weiter: „Es … es gab keine quantitative Angabe der Delegation …“
Nayike neigte leicht den Kopf und korrigierte. „Ich spreche nicht von der Anzahl. Ich spreche von der Parität.“
Tanawa beugte sich zu seinem Kollegen Chan hinüber: „Mein Gott, ich glaube, ich weiß, was sie will …“
„Ich fürchte auch, dass ich es nur zu gut verstehe“, gab der Chinese zurück. „Es ist schlicht logisch.“
„Ich … ich verstehe nicht“, gab John Deer zurück. Auf seiner Stirn hatten sich feine Schweißperlen gebildet. Die Situation schien ihm zu entgleiten.
„Fünfzig Prozent der Menschheit sind nicht vertreten. Einen Beitritt mit nur der Hälfte der Planetarbevölkerung zu schließen, widerspricht den Prinzipien. Wir können den Beitritt so nicht besiegeln.“
„Aber … aber … es sind doch Vertreter Amerikas, Südamerikas, Chinas, Afrikas, Europas …“
„Ihr versteht nicht!“, wehrte Nayike den Wortschwall ab. Und konkretisierte dann. „Ich versuche es auf eine andere Weise klarzumachen. Wo ist euer anderes Geschlecht?“
Da erst begriffen van Vyne und Deer das Dilemma.
‚Mein Gott – wir sind alle nur Männer! Deswegen paritätisch! Wir hätten noch weibliche Abgeordnete einladen müssen …’ Aber er wusste genau, dass es sinnlos war, jetzt noch eine chinesische Abgeordnete (wenn so schnell überhaupt eine zu finden war) oder eine Afrikanerin bzw. Südamerikanerin einigermaßen pünktlich hier herzuholen.
John Deer hatte sich wieder gefasst. „Ich … ich begreife das Problem. Wir … brauchen noch ein paar Stunden, um …“
„Indiskutabel!“, sagte Nayike. „Binnen von vierzig Minuten eurer Zeit läuft der momentane Beitrittsmoment ab. Wann der nächste verhandelt werden wird, steht noch nicht fest, es kann jedoch einige Jahrzehnte dauern. Findet eine Lösung für dieses Problem, und findet sie schnell!“

*

U. Bhentasch Noorik:
„Ich will wissen, was passiert ist!“, schnaubte der Gesandte in der Zentrale der Fährengondel.
„Hoher Bhentasch … wir versuchen Euch schon seit über einer Stunde zu err…“
„Spar dir deinen Atem, Schoch. Hast du deinen bhasch schon betäuben lassen?“
„Hoher Bhentasch …“, keuchte der Squaaler, ganz grau vor Angst. Die unkonventionelle Redeweise und die Drastik der Wortwahl deuteten an, dass der Bhentasch absolut nicht in Laune war, irgendwelche Erklärungen anzuhören. „Die Sache verhält sich so, dass sich der Hjool Vennt am Konferenzort aufhält …“
„WARUM?“
„Er hat sich an EUREN Signalpeilton angehängt“, erklärte ein Squaaler, der allmählich merkte, wie der Zorn seines Vorgesetzten verrauchte. „Und …“
„Was ist da oben los?“
„Wir kämpfen gerade, hoher Bhentasch.“
„KÄMPFEN?“
„Vennt hat ein Koordinatensignal des Konferenzortes ausgeschickt, das wir nicht stören konnten. Alle Reporter, die hier oben warten, sind daraufhin losgeflogen. Sie können nicht alle aufgehalten werden …“
Bhentasch Noorik war schockiert, und er machte keinen Hehl daraus, es zu sein. „Und Sie SCHIESSEN DIE REPORTER AB? SIND SIE WAHNSINNIG?“
„Ich halte mich an Ihre Anordnun…“
„Niemals habe ich eine Anordnung zum MASSENMORD gegeben!“ Der Bhentasch zitterte vor Entsetzen.
Und dann sagte er: „Lassen Sie sie passieren!“
„Ich soll WAS machen?“
Er wiederholte es.
„Aber … die Sicherheit … des Konferenzortes … hoher Bhentasch …“
Daraufhin erläuterte Noorik seinen Alternativplan, den er eben aus der Not geboren hatte.

*

22. Laura Alley:
Das Telefon schrillte unentwegt.
Die schöne Laura Alley hatte sich gerade in die Badewanne sinken lassen, weil ihr gesagt worden war, dass sie für die Zeit der Beitrittszeremonie gewiss nicht gebraucht werden würde.
Und jetzt dieses Telefon!
„Quälgeist!“, knurrte sie, als es auch nach zwanzig Malen nicht nachließ.
Sie wartete dennoch.
Es klingelte weiter.
„MEIN GOTT!“, murrte die blonde Frau, stieg tropfend aus dem Wasser und schlang sich ein langes Badetuch aus Frotteestoff um den Körper, um durch das Badezimmer hinüber zum Wohnzimmer zu hasten.
Das Telefon klingelte munter weiter.
Fast wäre sie über einen Läufer gestolpert, fing sich aber gerade noch und hob ab.
„Alley …!“, keuchte die Frau etwas außer Atem.
„Laura! Kommen Sie sofort herunter!“
Es war die etwas hysterisch klingende Stimme von van Vyne, wie sie nach einem Moment der Verwirrung erkannte.
„Ich bade ger…“
„LAURA! Das ist eine dienstliche Anordnung! Wenn Sie …“
„Ich sagte, ich BADE gerade …!“, fauchte sie zurück, ihn unterbrechend.
Auch van Vyne wurde lauter. „LAURA! Wenn sie nicht SOFORT herunterkommen, haben Sie eine dienstliche Klage am Hals, verflucht noch mal …!“
„Das wagen Sie nicht!“
„Sie haben ja keine Ahnung, was Sie mit Ihrem Starrsinn auslö…“
„Soll ich NACKT kommen?“, kam ihre eisige Replik.
Der Sicherheitschef klang erschöpft, als er klein beigab. „Von mir aus auch das! Es ist egal, was Sie anhaben. Nur kommen Sie so schnell wie möglich. Ich gebe Ihnen allerhöchstens zehn Minuten! Wir …“
„Lassen Sie mich das sagen“, erklang eine auf subtile Weise FREMDARTIGE Stimme, die Laura einen eisigen Schauder über den Rücken laufen ließ. Unwillkürlich vergaß sie das Tuch festzuhalten, das an ihrem schönen Körper herabglitt und auf dem Teppich zu liegen kam.
Die Stimme sprach weiter.
„Kommen Sie, Menschenfrau. Kommen Sie, so schnell es geht. Der Bund kann sonst nicht geschlossen werden. Die Bundzeit läuft in fünfunddreißig irdischen Minuten aus.“
„Ich …“, setzte Laura an, aber da hatte Bhentasch Nayike auch schon aufgehört zu reden und aufgelegt.

*

V. Voo:
„Aber das macht überhaupt keinen Sinn! So etwas hat er noch NIE geduldet!“
„Adjutant Voo, das ist die Anordnung, und sie stammt von Bhentasch Noorik. Wollen Sie gegen den Befehl Ihres obersten Dienstherren verstoßen?“
Voo schrumpfte sichtlich zusammen. „N…nein, natürlich nicht, ehrenwerter Schoch …“
„Dschojasch Schoch, wenn ich bitten darf!“ Der Kommandant des Friedensgeschwaders hatte für diesen Kontaktversuch genug Nerven gelassen, fand er. Da musste man eben jetzt wieder etwas stärker auf die Etikette achten.
„Ehrwürdiger Dschojasch Schoch, verzeiht mir!“, schleimte der Adjutant des Bhentasch sofort. „Aber es ist eine … ungewöhnliche Maßnahme … immerhin ist es meiner Meinung nach doch sinnlos, wenn er einen Personenschirm anfordert, der nur das Anwesen bedeckt … ich verstehe nicht …“
„Ich auch nicht“, gab Schoch zu. „Aber wir fügen uns besser der Anordnung. Er hat jetzt den bestmöglichen Durchblick, und wir könnten mit falschen Überlegungen womöglich alles zerstören.“
Was er wirklich dachte, sprach er natürlich nicht aus: ‚Gut, dass Noorik so detaillierte Anweisungen gegeben hat. Wenn sie falsch sind, trägt ER die Schuld dafür, nicht ich.’
Er hing eben an seinem bhasch …

*

23. Bhentasch Noorik:
„Sagen Sie das den Delegierten: es wird gleich etwas chaotisch werden. Aber sie sollen nicht den Kopf verlieren. Auch ihre Sicherheitstruppen nicht. Ich regele die Angelegenheit.“
„Das hat er gesagt?“, keuchte van Vyne entsetzt, als er von Victor die Worte wiedergegeben hörte.
„Ja, Sir. Und daraufhin ging er auf den Burgeingang zu. Ich nehme an, dass er inzwischen draußen ist.“
„DRAUSSEN …?“
Sein Handy summte aufdringlich.
Der Sicherheitschef hakte es vom Gürtel los und aktivierte es. „Ja …? Nun … ja, das geht in Ordnung … Aber behalten Sie ihn im Auge!“
Er tippte eine weitere Kombination und wartete dann darauf, dass sich jemand meldete. „Hier van Vyne. Hören Sie, es geht um jede Minute! Unsere Gäste sind etwas überraschend. Eines der Delegationsmitglieder ist unterwegs nach draußen … nein, unterbrechen Sie mich jetzt NICHT, Jacob! Es scheint da OBEN irgendwelche Ungereimtheiten zu geben … was? Nein, ich glaube nicht, ich bin mir aber nicht sicher. Sie sollen die Ruhe bewahren … nein, kein Schusswechsel oder irgendwas in der Art …“
Er schwieg, als der „Falkner“ eine längere Erwiderung machte.
„Ein WAS kommt da? Wo herunter? ÜBER UNS?“
„Probleme?“, wollte der Butler wissen.
„Halten Sie die Augen offen“, ordnete van Vyne an. „Es ist an der Zeit für uns … und ja, auf KEINEN Fall feuern! AUF GAR KEINEN FALL!“
Er schaltete das Handy auf Bereitschaft und stieg dann mit fahlem Gesicht wieder hinauf zum Kaminraum, den er für das Gespräch verlassen hatte. Drinnen stand Bhentasch Nayike wie eine Figur, und nur die Augen in dem hohen Gesicht bewegten sich.
Es war 00.28 Uhr.
„Ist Laura nicht schon da?“
„Noch nicht eingetroffen“, sagte Deer langsam. „Wir haben bald keine Zeit mehr.“
„Die Frauen“, seufzte der Amerikaner. „Ewig im Bad.“
„Oh, ich könnte sie gewiss dazu veranlassen, sich zu beeilen“, versicherte Esteban y Alvarez mit einem viel sagenden, verlangenden Funkeln in den Augen.
„Kommt gar nicht in Frage!“, knurrte van Vyne.
Er sah gleich darauf aus dem Seitenfenster, das zum Burggraben hinausging. Und er sah den Bhentasch, wie er, flankiert von zwei Soldaten in Khakiuniformen und Gewehren im Anschlag, über die Brücke ging.
„Er kommt doch nie im Leben rechtzeitig hierher zurück!“, murmelte er.
„Das ist nicht erforderlich“, hörte er auf einmal von Nayike. „Ich kann die Zeremonie alleine vornehmen, ich habe von ihm die erforderlichen Vollmachten. Er ist im Geistesimplantat gegenwärtig, was man von Ihren Frauen nicht sagen kann.“
Bedauern klang aus der Stimme heraus.
„Sagen Sie mir lieber, was da draußen vor sich geht!“, fauchte Willard van Vyne, der das Gefühl hatte, irgendwo in den Tropen in der sengenden Sonne zu stehen.
„Wir bekommen … Besuch. Sie würden wohl sagen, von der … Presse.“
Während alle noch wortlos waren, öffnete sich die Tür und Laura Alley trat ein.

*

W. Vennt:
„Schlagt euch! Schlagt euch!“, keckerte der Meister-Paparazzo der Galaxis wild aus seinem Gefängnis hinter den Gitterstäben. „Das habt ihr alle nicht erwartet, was?“
Über dem Tal war es taghell geworden. Myriaden von Suchscheinwerfern zuckten herab und machten alles zum illuminierten Chaos. Dutzende von Paparazzi-Schiffen verschiedenster Formen und Größen hingen über dem Schloss und sanken beständig tiefer. Schwärme von Gleitscheiben huschten durch das Tal, Fotoroboter glitten herum, jede Menge von Reportern waren mit Antigravgürteln im Einsatz, aufgerüstet wie Cyborgs, um auch ja die besten Fotosequenzen und auf jeden Fall die besten Wortbeiträge zu erhaschen. Das dümmliche Gesicht eines terranischen Attachés wäre wohl Millionen von galaktischen Krediteinheiten wert gewesen an diesem frühen Morgen.
Vennt lachte, bis ihm die Tränen kamen.
Und dann kam das blaue Leuchten, das seine ganzen Träume zerstäuben ließ.

*

24. Falkner:
„Auf gar keinen Fall feuern, sagt er!“
„Der hat gut lachen“, meinte ein Soldat, der das Tal überblickte.
Überall kurvten die seltsamen Gefährte herum. Vogelähnliche, quallige Wesen und solche, die insektoid oder quasi-humanoid waren, verteilten sich rings um das Castle und nahmen dann mit Gleitscheiben und etwas, das wie Scheinwerferbatterien (oder futuristischen Waffensysteme?) aussah, Kurs auf den Konferenzort.
Unablässig sanken Raumschiffe herab.
Hunderte.
Tausende vielleicht.
Das ganze Tal wurde zum Tollhaus.
Und er gab „seelenruhig“ die Vorgabe weiter, dass kein Gebrauch von Waffengewalt zu machen sei, EGAL, WAS PASSIERE!
„Das ist eine gottverdammte INVASION!“, schrie einer der Secret Service-Männer auf. „Denen hätten wir niemals trauen dürfen!“
Das war der Moment, in dem mitten über Slaymont Castle der Himmel aufriss und ein gewaltiger blauweißer Ellipsoidraumer direkt über dem Castle parkte und es in gleißenden Lichtschein hüllte.

*

X. Bhentasch Noorik:
Der Bhentasch hatte das Ende der Brücke erreicht und ging nun weiter, die beiden menschlichen Wachtposten, die ihn närrischerweise begleiteten, waren zutiefst verunsichert.
„Keine Sorge“, sagte er kurz angebunden. „Es droht keinerlei Gefahr.“
„Das sieht aber verdammt anders aus“, murmelte der blonde Mann zu Nooriks Linken.
„Das täuscht nur. Bluff.“
Hinter ihnen schloss sich der vom Polizistenschiff ausgehende Anti-Personenschirm, der verhindern würde, dass Paparazzi-Transite nach innen oder nach außen vorgenommen wurden.
Dann begann der Bhentasch zu funken.

*

25. Laura Alley:
Mit dem notdürftig getrockneten Haar, das Laura grob gekämmt hatte, wirkte sie – in ihren eigenen Augen – eher schmuddelig und unansehnlich. Der Kimono aus ihrer eigenen Garderobe, den sie übergezogen hatte und er hier im schottischen Castle etwa so passend war wie ein Butler auf dem Mond, machte aus dieser schlanken Figur mit dem dunkelgewaschenen Haar aber schon wieder etwas Exotisch-Erotisches.
„Das ist also das, was ihr euer ‚schwaches Geschlecht’ nennt.“
Die Person, die diese Worte in seltsam aristokratisch anmutendem Englisch sagte, zog sofort ihre Blicke auf sich. Laura spürte, wie sie taumelte, als sie die über zwei Meter große Außerirdische sah. Sie bekam kein Wort heraus, obgleich ihr Mund sich öffnete.
„Laura … keine Angst haben“, beruhigte sie van Vyne, der überaus nervös aussah. „Bleiben Sie ruhig …“
„Ich bb…bin doch ru-hi-g …“, brachte sie zitternd hervor.
Ihr ganzer Körper sagte etwas anderes.
Sie starrte diesen Außerirdischen an, der so UNGLAUBLICH GROSS war, so HAGER, so … so … FREMDARTIG. Ja, das traf es am besten …
Der Fremde trat an sie heran und reichte ihr eine lange, feingliedrige Hand. Schmal. Mit sechs Fingern. Er rieb die Finger an Lauras Händen, und auf eine subtile Weise WUSSTE sie auf einmal, dass es eine Frau war. Sie WUSSTE es einfach. Es war … die Art, wie sie sich bewegte, die subtilen Unterschiede von Gestik und Mimik, die Feingliedrigkeit des Körpers …
„Ich bin Bhentasch Nayike, liebe Laura“, sagte die Fremde. „Bhentasch ist unser Titel als Diplomat. Für dich bin ich einfach Nayike, Schwester.“
Sie sah Laura in die tiefen blauen Augen, die sich in den eigenen dunkelblauen widerspiegelten. Das waren Augen, die größer als ihre waren, die fast hypnotisch wirkten. Und beruhigten.
„Ich weiß, dass du Angst hast, Laura. Aber das brauchst du nicht. Du bist eine wichtige Person, die wichtigste im ganzen Raum. Niemand kommt an Bedeutung an dich heran. Ohne dich kann das Bündnis nicht geschlossen werden…“
Sie begriff nicht ganz, sagte aber: „I…ich habe schon keine Angst mehr … Schwester. Aber ich verstehe das alles nicht ganz …“
„Es ist ganz einfach“, begann Bhentasch Nayike die Erklärung.

*

Y. Yollrek-Xaso:
Der Anti-Personenschirm verhinderte, dass die Schwärme von Paparazzi das Schloss selbst besetzen konnten. Als die Reporter das wutentbrannt verstanden hatten, richteten sie außerhalb des Schlosses und der Wälle in allen Lagen, die nur denkbar waren, Fotopositionen ein, selbst in fünfzig Metern Höhe, von wo aus man hervorragend seitlich ins Kaminzimmer fotografieren konnte.
Nur einer, der wirklichen Zorn im Leibe hatte, sauste auf seiner Gleitscheibe hinunter zum Burggrabenufer, wo der Bhentasch Noorik mit seiner „Eskorte“ stand.
Die terranischen Soldaten warfen sich automatisch zur Seite und hätten beinahe auf die Gleitscheibe gefeuert, die einen Meter vor dem Diplomaten in der Luft zum Stillstand kam.
„Nimm meinen Protest zur Kenntnis!“, zeterte Yollrek-Xaso, ein gut einen Meter siebzig großer Echsenkrieger aus dem Lyll-System, dem sich die blauen Schuppen sträubten. „Meine Zeitung Lyll-Coornay wird euch verklagen wegen Behinderung der Öffentlichkeitsarbeit …“
„Sei still, Reporter, und wenn du einen Funken Anstand hast, dann stellst du dich vor und sagst, was du willst. Alles andere registriere ich gar nicht. Damit du weißt, wie du mich anzusprechen hast, ich bin der quarzanische Diplomat Bhentasch Noorik.“
Der Lylloor wurde kleinlauter, als er gegen die arrogante Wortmauer des Quarzaners stieß. Dann fasste er sich wieder und sagte: „Ich bin Yollrek-Xaso, Lylloor aus dem Lyll-System! Ich bin in offiziellem Auftrag hier, um über den Beitrittsmoment der terranischen Menschheit zu berichten. Und du und deine Polizisten, ihr verhindert meine Recherchen, Bhentasch Noorik!“
Der Quarzaner lächelte ein schmales, sparsames Lächeln. „Das ist falsch.“

*

26. Beitrittsmoment:
„Dies ist der Moment des Beitritts“, sagte Bhentasch Nayike um 00.53 Uhr. „Er mag euch unspektakulär erscheinen, aber er hat weit reichende Folgen. Die Menschheit wird von den Segnungen der galaktischen Zivilisationen profitieren, denn der Beitritt auf Zeit gilt für ein Jahrhundert. In diesem Jahrhundert erklärt sich die galaktische Völkergemeinschaft bereit, der Menschheit – in Maßen – Hilfen zukommen zu lassen.“
„In welcher Form?“, wollte der Russe wissen.
„Information, Wissenschaftserkenntnisse, Entwicklungshilfe …“
„Wir sind doch kein Entwicklungsland!“, polterte Harry Bright empört.
„Ihr könnt euch aber so ansehen mit euren ausgelaugten Böden, den pestizidverseuchten Meeren, den Dürren, der fehlenden globalen Klimakontrolle, dem starken Arm-Reich-Gefälle der Welt, den Seuchen, Kriegen, dem Drogenhandel und ähnlichen Übeln mehr. Doch, von dieser Warte aus seid ihr ein Entwicklungsplanet. Die galaktische Gemeinschaft wird euch ein Jahrhundert lang Hilfen zukommen lassen, um diese Entwicklungen zu verändern, umzulenken und zu kontrollieren.“
„Was müssen wir für Gegenleistungen erbringen?“, fragte Laura, die unglaublich neugierig wurde. Weite Horizonte eröffneten sich ihr, von denen sie vorher nicht einmal geahnt hatte, dass sie existierten …
„Dieses Jahrhundert lang ist die Erde ein gesperrtes Gebiet für die meisten galaktischen Völker. Ihr habt einen Überwachungsstatus, könnt Botschafter entsenden und euch umsehen. Dafür werden Entwicklungshilfe-Ingenieure und Touristikplaner hierher kommen.“
„TOURISTIKPLANER?“, keuchte John Deer.
„Natürlich. Wir werden einen schonenden Tourismus in Gang setzen, der die natürlichen Gegebenheiten schont und der euch langsam an die galaktische Gemeinschaft heranführt. Erst in vierzig oder fünfzig Jahren werden die ersten Spaceports gebaut werden, solange findet dieser Tourismus indirekt statt. Ihr werdet das auch weiterhin ‚Kontakte der zweiten und dritten Art’ nennen, nur wenige werden davon wissen.“
Wieder lächelte Nayike ihr sparsames Lächeln.
„Kann man auch … selbst … zu den Sternen reisen?“, fragte Laura fasziniert.
„Natürlich. Schließlich müssen die Menschen auch die Möglichkeit haben, sich andere Welten anzusehen. Es wird größtmögliche Freiheit herrschen.“
„Wie ist das Zeremoniell?“, wollte Sekretär Chan wissen. Er schien ganz ruhig zu sein. „Gibt es eine Urkunde oder etwas, was wir unterzeichnen müssen?“
„Nein“, gab Nayike zu. „Das ist unnötig. Es handelt sich um eine mentale Signatur, die in dem Parapsioncomputer hier gespeichert wird.“
Sie hob ihr Armband, auf dem mehrere dreieckige Felder zu sehen waren, die noch alle rot schimmerten. Die Felder befanden sich in vier abgebildeten Quadranten. „Jeder Quadrant gehört dabei zu einem Geschlecht. In diesem Fall ist eure Rasse zweigeschlechtlich, von uns sind nur zwei geschlechtliche Partner anwesend, deswegen hat der Computer vier Felder generiert. Das ließe sich variieren. Gebt eure Zustimmung oder Ablehnung JETZT!“
„Ich lasse doch mein Land nicht zu einem Tourismuspark werden!“, knurrte Harry Bright.
Ein Licht leuchtete rot auf.
„Ich sage auch Nein!“, meinte der Südamerikaner, und seine Augen schossen brennende Blicke der Wut auf Laura ab.
Sie grinste nur, als das zweite rote Licht aufleuchtete.
Und meinte dann: „Ich bin dafür!“
In dem zweiten Terraner-Feld glühten alle vorhandenen Felder grün auf. Das war logisch, sie war die einzige Frau.
Auf der Quarzaner-Seite schimmerten nacheinander auch alle Felder grün. Die quarzanische Seite war für den Beitritt, insofern war das kein Wunder.
„Ich muss erst mit dem Generalsekretär reden. Solange sage ich Njet!“
Ein weiteres rotes Licht.
„Die … Enthüllungen habe mich etwas überrumpelt“, gestand John Deer beunruhigt. „Und ich muss sagen, dass auch ich erst nähere Informationen einholen möchte … selbst auf die Gefahr hin, dass ich dann die nächste Verhandlung nicht mehr erleben werde.“
Auch sein Licht schimmerte rot.
„Narren!“, stieß Laura hervor. „Ihr habt keine Ahnung, was ihr für eine CHANCE vertut! Ihr fürchtet euch wie kleine Kinder vor der weiten Welt. Männer hatten noch nie ein großes Gespür für den historischen Moment, erst im Nachhinein!“
„Das ist so nicht richtig, liebe Laura“, meinte der Chinese langsam. „Wir sind es gewöhnt, die Unwägbarkeiten des Schicksals als Herausforderung zu begreifen und entsprechend auch zu handeln. Ich sehe immer das Bild des Mah-Jongg-Spieles vor mir, wo man nie weiß, was man als nächstes für einen positiven oder negativen Stein aus der Mauer ziehen mag. Das heißt … die Steine an sich sind neutral, insofern mag jeder zum Positiven oder Negativen führen, aber man ist seines eigenen Schicksals stets selbst Schmied. Ich nehme die Herausforderung also an. Ich stimme FÜR den Beitritt!“
„Das kann nicht Ihr Ernst sein!“
„Hören Sie, das ist unverantwortlich …!“, meinte John Deer.
Nayikes Armband zeigte nun überall grün bis auf das Maskulin-Feld der Terraner. Dann schillerte dort das grüne Licht des Sekretärs auf.
UND DANN WURDE DAS GANZE FELD GRÜN!
„Nein!“
„Verrat!“
„Das ist … UNGEHEUERLICH!“
„Manipulation!“, gellten die Schreie durch den Raum.
Nayike lächelte fein. „Es gibt keine Manipulation. Erinnert euch an meine Worte. Die Parität ist entscheidend. Ein Mann und eine Frau haben zugestimmt, also haben hundert Prozent der Menschheit zugestimmt. In diesen Momenten wird der Beitritt akzeptiert und weiterverbreitet.
Ab jetzt“, sie sah auf die Standuhr, die gerade 1 Uhr morgens schlug, „ab jetzt ist Terra Mitglied des Galaktischen Bundes.“
Und Laura spürte, wie ihr warm ums Herz wurde.

*

Z. Bhentasch Noorik:
„Ihr könnt beobachten, soviel ihr wollt. Aber ihr werdet die Beitrittsverhandlungen nicht stören, weil sie ohnehin nicht mehr zu stören ist. Wenn unser Polizeischiff fort ist, könnt ihr – in Maßen – die Teilnehmer befragen. Wir sind dann aber nicht mehr verantwortlich dafür, wenn die Terraner hysterisch werden und euch womöglich physisch bedrohen. Das müsst ihr unter euch ausmachen.“
Bhentasch Noorik spürte, wie ein warmer Strom prickelnder Energie durch sein Handgelenk zog. Sein Lächeln verstärkte sich. „Jede Handlung, die ihr von jetzt an gegen Terra und deren Öffentlichkeit unternehmt, unternehmt ihr gegen den Galaktischen Bund!“
„Sie sind beigetreten?“, keuchte der Lylloor. „Ich kann das gar nicht glauben! Die Terraner sind doch so … so … rassistisch, so hysterisch, fremdenfeindlich …“
„Ja, manche. Aber zwei von ihnen haben eine bessere Eigenschaft offenbart. Eine, die ihr leider im Übermaß besitzt: Neugierde.“
Und bei sich dachte der Quarzaner, dass es den Paparazzi vielleicht gut anstünde, von jenen Terranern zu lernen, die den Beitritt befürwortet hatten.
Alles in allem aber war er froh, dass sein Plan in Erfüllung gegangen war. Trotz einer Menge von Unwägbarkeiten hatte er es geschafft, die Menschheit von der drohenden Selbstvernichtung durch Überbevölkerung, Kriege und ökologische Selbstzerstörung abzuhalten. Wenn sie erst voll anerkannte Mitglieder im Galaktischen Bund waren, würden sie rasch zu einer prosperierenden Weltraumnation werden.
Und er würde daran teilhaben.
Als kleines, diplomatisches Rädchen im Getriebe.
Mehr wollte Noorik nie.

Epilog:

„Natürlich erkannte die Menschheit im Laufe der nächsten fünfzig Jahre, was für Vorteile es hatte, Mitglied des Bundes zu sein. Man gewöhnte sich allmählich an die seltsamen Besuche von den Sternen, und sehr rasch wurde deutlich, dass der Louvre auch etwas für Quarzaner war, dass man mit Hjools durchaus Geschäfte machen konnte und auch die auch die Nachfahren der Dinosaurier auf der Erde nicht unbedingt einen schlechten Stand hatten. Spätestens als der erste Dinosaurierfilm mit lebenden Hauptdarstellern von den Sternen FÜR Brontosaurier in die irdischen Kinos kam (2064) und alle Kassenrekorde brach, spätestens da war klar, wem die Sympathien gehörten.
Eine große Schar von Diplomaten, früh vergreist und senil geworden, kämpfte noch bis zum Jahr 2048 dagegen, dass die Mitglieder des Bundes die Erde als „Touristikpark Disneyworld Erde“ ausbeuteten. Als jedoch Laura Alley, Ratsrepräsentantin der Erde, nach fünfjähriger Reise durch die Bundeswelten mit ihrem nun zweijährigen Sohn Crysztof, dessen Körper von der elegant-öligen Schuppenhaut ihres callaxianischen Lebenspartners etwas geerbt hatte, zur Erde zurückkehrte und weitläufige Public-Relations-Touren machte, allerspätestens da war den aufgeklärten Menschen klar, dass die gedanklichen Dinosaurier der Vor-Bund-Ära keine Zukunft mehr hatten.
Und die Erde sah goldenen Zeiten entgegen …“
Historiker Tawanake Alley-Green, New Providence II, Luna, 2188 A.D.

ENDE

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