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Rhodans Tochter – Geschichte einer Halbarkonidin
Eine Perry-Rhodan-Fortsetzungsstory von Senex
Fly, Robin, fly…
November 2083
Reggys System
An Bord der KLEOPATRA
Leonhard Kleinschmid, 26, Lieutenant, Vierter Offizier und Stellvertretender LI der KLEOPATRA, räkelte sich im Sessel des Kommandanten. Ein Blick auf die Uhr, es war eben 02.31, es waren noch mehr als fünf Stunden bis zur Ablösung, wenn um 08.00 die Bravoschicht ihren Dienst antrat. Der junge Leutnant war zwar nicht auf der HEPHAISTOS geboren, dort aber seit seinem 15. Lebensjahr in die Schule gegangen und hatte seine Ausbildung abgeschlossen. Die Erde kannte er nur noch von Erzählungen seiner Eltern und einigen wenigen Urlauben, zumeist zu Besuch bei seinen Großeltern. Sein Vater war Triebwerksingenieur, er hatte die Korpuskulartriebwerke mit mehr Leistung um beinahe ein Drittel verkleinert. Seine Mutter arbeitete eben an einem völlig neuen Konzept der Energiegewinnung auf pseudo- sub- paraatomarer Grundlage. Eigentlich verstand nur ihr eiligst zusammengestelltes Team, was eigentlich gemeint war, wenn sie von einem PSP (oder PPS oder SPP)-Meiler sprachen. Aber weniger Aufwand für die Wartung, weniger Platz, mehr Energie und mehr Sicherheit war für jeden zu verstehen, also bekam das Team rund um Angel Platz und Mittel zum Forschen. Der junge Leonhard hatte die technische Begabung seiner Eltern geerbt, dazu einen kräftigen Schuss Abenteuerblut, er hatte nicht nur das HIT mit Auszeichnung abgeschlossen, sondern auch die Lehrgänge an der HEPHAISTOS Space Academy.
Der dienstführende Kommandant der Alpha-Schicht rechnete nicht damit, dass irgend etwas geschehen könnte. Der Umbau war so gut wie fertig, bei dem Bau des Schiffes war die schnelle Umrüstung mit noch geheimen Zusatzaggregaten, neuen Minimeilern und verbesserter Bewaffnung bereits vorgesehen gewesen, sodass die Arbeiten rasch voranschritten. In wenigen Tagen wurde die HELENA erwartet, dann sollte die KLEOPATRA bereits halbwegs fertig sein. Leonhard drückte auf einen Knopf und studierte das Energiediagramm von Meiler zwei. Seit dem Einbau kam es immer wieder zu Fluktuationen, gering, aber vorhanden. Er hasste es, wenn Maschinen nicht perfekt liefen, zur Not müsste eben ein neues Exemplar eingebaut werden. Auch wenn die anderen drei Aggregate vollauf genügten, um die KLEOPATRA in einen feuerspeienden Drachen zu verwandeln, der es mit einer kleinen Flotte aufnehmen konnte, für Leonhard kam nur höchste Präzision in Frage. Immer wieder schweifte sein Blick durch die Brücke. Der Ortungsoffizier unterhielt sich mit dem Navigator, die Rudergängerin schäkerte mit dem Feuerleitoffizier, alle waren entspannt, wie es normal für diese Wache und diese Zeit war. Jeder behielt seine Anzeigen trotz der Unterhaltung im Auge, der Blick schweifte immer nur kurz zu den Gesprächspartnern. Wie es Profis gewohnt waren.
„Ortung! Multiple Transits, Steuerbord hoch, keine Transponder!“ Leonhard wischte mit einer Bewegung die Diagramme von seinem Schirm, während er schon Befehle und Nachrichten rief.
„Defcon 4, Kommandant auf die Brücke! Com, rufen Sie die Schiffe. Ruder klar für Kursänderung. Nav, bereithalten. Feuerstand, Ziellösungen vorbereiten!“ Überall im Schiff wechselten Anzeigen auf Wänden und über Schotts von einer grünen Zwei auf eine orangerote 4, Sirenen machten die Besatzung auf die geänderte Defense Condition, kurz DefCon genannt, aufmerksam. Die 32 versenkbaren Geschütztürme wurden aus-, alle Meiler wurden auf Maximum hochgefahren. Der 600 Meter durchmessende Gigant erwachte beinahe schlagartig zum Leben.
„Bestätigung von der HEPHAISTOS! Feindlicher Anflug. Jägerunterstützung der Station macht sich bereit“, rief der Kommunikationsoffizier.
„Verdammt!“ Grigol vom Planeten Zalit sprintete mit seinen Staffelkameraden zu den warmlaufenden Gonzales Abfangjägern, schnellen, leichten Einsitzern, nach der schnellsten Maus von Mexiko Speedy Gonzales benannt. Einer Zeichentrickfigur. Die KLEOPATRA hatte fünfundzwanzig Staffeln zu je vier Maschinen an Bord. „Einmal ein gutes Blatt, und dann so etwas! Diesmal hätte ich Euch den A… die Hosen ausgezogen!“ Rechtzeitig war ihm eingefallen, dass die Staffel keine reine Herrenrunde mehr war, auch wenn Cora wie ein Mann fluchte, soff und spielte.
„Sag’s doch, den Arsch aufgerissen!“ brüllte Cora zurück, während sie den Helm aufsetzte. „Und das eh nur in Deinen Träumen, Baby. Alpha Staffel drei, startbereit!“
Janosch war gerade dabei, sich in den grünen Augen von Sysun zu verlieren, sein Mund näherten sich dem des grünhaarigen Mädchen von Bhekon II, welches er schon lange verehrte. Heute hatte er sich endlich ein Herz gefasst, und siehe da, die junge Dame war durchaus nicht abgeneigt. Ihre Lippen berührten sich sanft, während sie sein Haar zauste und sich an ihn drückte. Das Licht wechselte, die Sirenen tobten. Beide rannten, ohne sich umzusehen, in unterschiedliche Richtungen zu ihren Stationen davon, nicht ohne einige Worte der Fäkalsprache von sich zu geben.
Poalnanis von Ekhon hatte eben einen Becher von dem Zeug aus dem Automaten geholt, das man hier Kaffee nannte und einen ersten Schluck genommen. Als die Sirenen den Alarm ausriefen, zuckte er zusammen, die heiße Flüssigkeit ergoss sich über Gesicht, Hände und Brust, während seine Füße bereits automatisch seinem Posten zuliefen. Was ihn nicht daran hinderte, laut zu fluchen.
Yvonne wollte sich eben mit einem Pad in einen der kleinsten Räume an Bord des Schiffes auf eine längere Sitzung zurück ziehen. Stirnrunzelnd warf sie das Pad auf den nächsten Sessel und raste los. Musste eben der Anzug mit dem Problem fertig werden und ihren Hintern sauber machen. Für das, was nach Dehydrierung und Aufarbeitung übrig blieb, mussten notgedrungen die Reinigungsroboter her und das Cockpit säubern. Den Feind konnte man eben schwer anrufen und ihm sagen: ‚Hey, komm in zehn Minuten wieder, ich sitze im Crapper!‘. Der Gegner würde kaum darauf Rücksicht nehmen. Mit hundertfach geübten Bewegungen schwang sie sich auf den Rücksitz des schweren Jagdbombers vom Typ Sturmovik, benannt nach einem berühmten Erdkampflugzeug, und drückte den Helm fest auf den Kopf.
„Alpha Staffel eins, startbereit!“ Auch von diesen Einheiten waren hundert Einheiten an Bord der KLEOPATRA untergebracht.
Iwakolani dalKarawaela und Jens Karlson unterbrachen ihre Musikwiedergabe, die Ohrhörer landeten in den Taschen der Sitze, sie beugten sich vor und erweckten die Korvette Nummer 5 mit raschen Handgriffen zum Leben. Auf dem Feuerpult der Korvette warf Sören Jakobs sein Buch in die Ecke und im Kommandantensitz richtete sich Commander Sahra Rubinstein zu ihrer ganzen Größe von 158 Zentimetern auf und aktivierte die Kommandocodes.
„Alle Felder grün! KLEOPATRA Korvette 5 KAILA gefechtsbereit!“ Sechs dieser Kugelschiffe im Durchmesser von 60 Metern hatte die KLEOPATRA an Bord.
Das Schott zur Brücke der KLEOPATRA glitt lautlos auf und Ghoma betrat ihr Reich, gleich hinter ihr Luther Breckenridge. Leonhard sprang auf, schaltete noch einmal kurz und überließ der Kommandantin ihren Platz.
„Schirme bereit zum Hochfahren. Polkuppel und Kanonendecks feuerbereit, alle 6 Korvetten klar zum Ausschleusen, Außenschotts geöffnet. Alarmstaffeln 32 Abfangjäger Gonzales und 32 Jagdbomber Sturmovik startklar, alle Stationen grün, außer diesem verdammten Meiler zwei! Schiff gefechtsklar, Skipper!“
„KLEOPATRA, Zeit?“ die Anzeigen auf allen Schirmen wechselte auf eine grüne Digitaluhr, die 0.00.02.58 anzeigte. „Knapp drei Minuten. Das ist nicht schlecht, meine Damen und Herren. Von DefCon zwei auf vier wirklich nicht schlecht! XO, bitte lassen Sie die Leute wieder auf Bereitschaft wegtreten und sagen Sie ihnen ein ‚gut gemacht‘. Wird noch besser werden, wenn die Leute sich eingespielt haben. Danke, Luther! Mister Kleinschmid, was meinten Sie mit ‚diesem verdammten Meiler zwei‘? Ich dachte, der LI hätte das Problem in den Griff bekommen?“
„Ma’am!“ Als hätte er einen Stock verschluckt, baute sich Leonhard Kleinschmid vor seiner Vorgesetzten auf. „Die Fluktuation ist im Toleranzbereich, aber nicht vollständig behoben. Bei jedem anderen Schiff würde ich sagen, schon in Ordnung, wir haben noch drei, der vierte ist ja doch nur eine Sicherheitsreserve. Aber wir haben die Chefin an Bord, wenn wir losfliegen, Ma’am, daher denke ich, dass wir noch einmal über einen Austausch nachdenken sollten.“ Ghoma rief die Diagramme, die Kleinschmid vorher studiert hatte, wieder auf den Schirm.
„Ziehen Sie sich das Stöckchen aus Ihrem Allerwertesten und kommen Sie mal her, erklären Sie mir, was ich mir da eigentlich ansehe.“
***
„LI, ich habe mir die Leistungsdiagramme von Meiler zwo noch einmal angesehen und mir erklären lassen. Warum ziehen Sie keinen Austausch in Erwägung?“ Björn Hammerquist wischte sich den Schweiß von der Stirne, in den Maschinenräumen herrschte manchmal eine Backofenhitze.
„Ich dachte, wir bekämen es mit Bordmitteln in den Griff, Skipper. Immerhin ist die Sache nicht nur teuer, sondern auch Zeitaufwändig. Wenn Sie erlauben, ich wollte noch einen Versuch starten, ehe wir aufgeben. Übrigens mit einer Idee, die mein Vertreter hatte. Wenn es nicht funktioniert, müssen wir einen neuen Meiler übernehmen.“
„Nun gut, Ihr Revier!“ Ghoma nickte überlegend. „Mir persönlich ist es lieber, gleich hier alle Probleme zu lösen, solange wir noch nicht abgeflogen sind. Also werde ich noch keine Klarmeldung weitergeben. Bitte, lösen Sie das Problem, LI. Nehmen Sie sich lieber jetzt die Zeit, die Sie eben brauchen, bevor wir zu früh unsere Einsatzbereitschaft melden. Danke, Mister Hammerquist. Warum ist es hier so heiß?“
Björn zuckte mit den Schultern. „Die Werft hat bei der Klimaanlage gepfuscht, die hat ihren Geist aufgegeben. Info ist an Ihr Pad und an die Buchhaltung unterwegs. Wir bestellten Klasse 1 und bekommen haben wir billigen Plastikschrott mit undichten Kühlschlangen. Ist nur eine Kleinigkeit, in einer Stunde läuft wieder alles rund.“
„Dann, LI, möchte ich sie nicht länger stören. Sie sorgen sicher für genug Ersatzteile, oder?“ Ghoma wandte sich zum Gehen. „Geben Sie bitte Bescheid, wenn alles klar ist, aber mir ist lieber ordentlich als schnell!“
„Danke, Skipper. Da jubelt das Herz eines LI!“
„Keine Vorschusslorbeeren.” Ein Schmunzeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Sie werden mich noch verfluchen, wenn ich verlange, dass sie ein Teil mit Gummiband und Spucke reparieren!“
„Dann beten Sie, dass ich genug Spucke habe. Gummibänder sind kein Problem“, lachte Björn.
***
Berenike Kapetanakis steuerte ihre Gonzales mit jubelndem Herzen und leichter Hand durch den Asteroidenschwarm, hinter sich wusste sie ihren Flügelmann Amdreok Dokpohin. Die KLEOPATRA hatte auf einem der Asteroiden eine Zielmarkierung ausgebracht, diesen Asteroiden galt es, mit den Bordwaffen unter Beschuss zu nehmen. Möglichst effektiv natürlich. Die Gonzales-Jäger waren nicht viel mehr als eine Kanzel mit Lebenserhaltungssystemen über einem überschweren Impuls- oder Desintegratorgeschütz. Dahinter ein starkes Triebwerk mit vier um 360 Grad schwenkbaren Schub- und mehreren Lagekontrolldüsen, zwischen diesem Triebwerk und der Pilotenkanzel ein Meiler mit eben ausreichender Abschirmung. Dieses Triebwerk erreichte eine Beschleunigung von 800 km per Sekundenquadrat, die höchste erreichbare Geschwindigkeit bei etwa 80 % der Lichtgeschwindigkeit. Der starke Gravoausgleicher ließ eben so viel Beharrungskräfte durchschlagen, dass der Pilot ein Gefühl für die Manöver bekam. Die Landung erfolgte mit einem Gravtriebwerk auf drei Teleskopstützen, für den Schutz sorgte ein Energieschirm. Links und rechts waren je drei Werfer für Raum – Raumraketen befestigt, die eine respektable Sprengkraft entfalteten, falls sie ihr Ziel erreichten. Auf großartige aerodynamische Verkleidung hatte man ebenso verzichtet wie auf Tragflächen oder ein Leitwerk, auch in der Atmosphäre flog dieser Jäger mit Antigrav und Schubkraft. Gegen das Verglühen musste ein Prallschirm helfen.
Diese Maschinen sollten in erster Linie Verwirrung stiften, den Gegner ablenken und Aufmerksamkeit auf sich ziehen, auch wenn ein Geschwader von drei Staffeln einer Korvette schon einige Probleme bereiten konnte. Wenn wirklich ein Abschuss gelang, war das schon ein willkommener Bonus, aber das war eben nicht die primäre Aufgabe. Üblicherweise griffen die Gonzales in Zweierteams an, jeweils einer mit einem Desintegrator und einer mit einem Impulsstrahler.
„Ziel aufgenommen!“ Berenikes Alt klang in Amdreoks Kopfhörer. „Steuerbord vier, hoch zwo!“ Amdreok sah die Markierung nun auch.
„Bestätigt!“ Sein Bass hatte ein beruhigendes Timbre.
„Erster Anflug mit Desintegrator, dann versuchst Du mit dem Impuls an die gleiche Stelle den Asteroiden aufzubrechen. Wenn nötig, zweiter Anflug nach gleichem Schema.“ Die junge Kreterin hatte zwar noch nicht viel Kampferfahrung, aber jede Menge Instinkt, dem Zaliter fehlte es zwar ebenfalls an Erfahrung, er war aber durch nichts aus der Ruhe zu bringen und ein hervorragender Schütze. Beide trainierten schon lange zusammen und ergänzten einander, einmal hatten sie schon eine brisanter Situation zu lösen gehabt, sie hofften, sich auch bei einer echten Feindberührung beweisen zu können. Vor dem Bug von Berenikes Jäger sah die Pilotin das typische grüne Flimmern des Desintegrators, als sie den Auslöser drückte. Auf dem Asteroiden vor ihr entstand ein Krater, der sich schnell vertiefte. Dann zog sie hoch, von Amdreoks Gonzales sprang es wie ein glühender Blitz genau in die Mitte des Kraters über, ehe er die Schnauze in Verhältnis zum Asteroiden senkte und ‚unter‘ ihm hindurchflog, um wieder Kurs auf seine Flügelkommandantin zu nehmen, die ihm entgegen kam. Hinter ihnen verwandelte sich der Asteroid in einen Haufen Splitter.
„Bravo Staffel eins, Wing zwei an Flightboss, Ziel zerstört!“ meldete Berenike an die KLEOPATRA.
„Flightboss, bestätige, Ziel zerstört. Bravo Staffel eins, Wing zwei, Rückkehr in den Hangar. Bravo Staffel zwei, Wing eins, los. Euer Anflug!“ Beide Gonzales-Jäger zogen lange Feuerschweife hinter sich her, als sie zum Mutterschiff zurückkehrten. Berenike schloss vorübergehend den Funkkanal zur KLEOPATRA und jubelte.
„Ich fühle mich erst so richtig lebendig, wenn die Fackel hinter meinem Arsch richtig Fahrt macht!“
„Yep!“ rief Amdreok zurück. „Lass uns einmal richtig Stoff geben! Die vollen achthundert Kilometer per Sekundenquadrat!“
Auf der KLEOPATRA wurden eben Jaques Deneuve und Alva Lundquist in ihre Sitze gepresst, als das Katapult sie durch die Startröhre jagte. Nach Überschreitung des Sicherheitsabstandes flammten ihre Triebwerke auf.
„Bravo Staffel zwei, Wing eins an Flightboss, sind unterwegs!“ Lieutenant Commander Egnitha GaMbhour schaltete ihr Mikrophon aus.
„Sind sie zufrieden, Flightboss?“ Ghoma war hinter die schlanke Kh’Entha’Hur mit dem herben Gesicht getreten, das von einem kräftigen pferdeähnlichem Gebiss dominiert wurde.
„Skipper, fragen Sie den Flightboss niemals, ob er zufrieden ist. Sie werden immer ein ‚nein‘ zur Antwort bekommen. Ein Flightboss, der wirklich zufrieden ist, muss krank sein.“ Egnitha kratzte sich an den spitzen, felligen Ohren, die nach allen Seiten beweglich waren. „Aber meine Schäfchen vom Gonzalesgeschwader machen ihre Sache zumindest nicht schlecht!“ Ghoma nickte und wanderte weiter. Commander Luther Breckenridge, hinter dem sie auf ihrer Wanderung vorbeikam, flüsterte ihr zu.
„Wenn die Eiserne nicht schlecht sagt, haben die Leute wirklich gute Arbeit geleistet.“
Ghoma schmunzelte. „Habe ich fast vermutet, XO. Geht es voran?“
„Es geht, Skipper! Unsere manuellen Geschützmannschaften sind zumindest keine Gefahr für die KLEOPATRA selbst, wenn einmal der Notfall eintritt und wir keinen Feuerleitrechner mehr haben.“
Die Kh’Entha’Hur waren Bewohner des 9. Planeten eines roten Riesen, der das Ende seiner Lebensdauer beinahe erreicht hatte. Beinahe im astronomischen Sinn, einige Jahrhunderte würde er wohl noch überstehen. Die Kh’Entha’Hur wussten natürlich Bescheid, die Spezies war nicht dumm und ihre Astronomen beherrschten ihr Metier durchaus. Daher hatten die Kh’Entha’Hur, der überlichtschnellen Raumfahrt nicht mächtig, mit dem Bau großer Generationsschiffe begonnen. Bis Tana Starlight sich einmal in ihrem System verstecken wollte und ein Kontakt zustande kam. Sie konnte sich der Sorge eines Volkes um ihre Urenkel nicht verschließen und half mit Technik aus. Ein geeigneter Planet, der sich zumindest in der äquatorialen Gegend gut besiedeln ließ, konnte auch gefunden werden. Auf dem vierten Planeten des neuen Systems fanden sich seltene Elemente, die für die überlichtschnelle Raumfahrt gebraucht wurden, Hemghat baute sie mit Vergnügen ab, selbst nach der Zahlung von Lizenzen an die Kh’Entha’Hur blieb im ein satter Gewinn. In der neuen Heimat fanden die Kh’Entha’Hur auch sehr schnell eine Frucht, die gebrannt und destilliert nicht nur als hervorragender und schmackhafter Digestiv, sondern auch als Mittel gegen die Symptome diverser viraler Atemwegserkrankungen reißenden Absatz fand. Seit dem ersten Kontakt gab es an Bord der HEPHAISTOS auch einige Angehörige dieser Spezies.
Eine Hilfe dabei war natürlich, dass die Kh’Entha’Hur nicht nur ziemlich humanoid waren, durchschnittlich etwa 180 Zentimeter groß, schlank, zweibeinig, zweiarmig und ein Kopf, sondern dass sie auch sauerstoffatmend waren, vom Wärmebedürfnis im menschlichen Normbereich lagen und ein Verdauungssystem aufwiesen, das die gleiche Nahrung wie die Menschen benötigte. Selbstverständlich gab es Unterschiede. Das Gebiss etwa, dass sehr prominent aus dem Gesicht ragte und an irdische Pferde erinnerte, der mit kurzem Pelz bedeckte Kopf mit den spitzen, ebenfalls an Pferde erinnernden Ohren und die Pferdemähne, die in der Stirn begann, mit etwas kürzerem Haar über das gesamte Rückgrat verlief und über dem Steißbein in einem prächtigen Pferdeschwanz endete. Oder die Milchleiste, deren sechs Milchdrüsen symmetrisch zu je drei auf der Brust bis zum Nabel verteilt waren und die jede mit ein wenig Fettgewebe umgeben war, bei weiblichen wie bei männlichen Vertreter dieser Spezies. Bei letzteren waren sie allerdings ohne Funktion.
Weibliche Kh’Entha’Hur waren zu phänomenalen Gedächtnisleistungen fähig. So hatte Egnitha sowohl den Zustand als auch die Position des Mutterschiffes, der ausgeschleusten Korvetten und der zweihundert Jäger ihrer Geschwader in Relation zueinander stets im Kopf und konnte die Kurse ihrer ‚Schäfchen‘ stets koordinieren, selbst wenn alle gleichzeitig im Einsatz waren. Auch die Positionen der Feindeinheiten flossen in die Kalkulation ein, man konnte beinahe von einem biologischen Supercomputer sprechen. Die männlichen Exemplare dieser Spezies verfügten über eine Muskelkraft, die man den schlanken Wesen nicht ansah, etwa das doppelte bis dreifache der menschlichen, wenn man mit Durchschnittswerten rechnete. Dazu kam ein hervorragender Instinkt und schnelle Reflexe, wenn man Infanterie benötigte, waren sie durchaus eine Bereicherung. Oder als Piloten.
„Patrouillenflug Bravo Sturmovik 5 an Flightboss, alles in Ordnung!“ Routinemäßig meldete Ynvoe dalHuertal regelmäßig den Zustand der Staffel ihrer Vorgesetzten. Vier Sturmovik – Jagdbomber rasten auf Mystery zu, streiften die Atmosphäre und rasten weiter in Richtung PamKin. Die Sturmovik waren benannt nach der sowjetischen Iljuschin IL 2, einem berühmten Schlachtflugzeug aus den 1940er Jahren. Auch bei diesem Typ hatte der Planer auf aerodynamische Komponenten verzichtet, das Cockpit für zwei Piloten mit den Lebenserhaltungssystemen und der Meiler war zwischen zwei starken Triebwerken mit je zwei um 360 Grad schwenkbaren Schub- und mehreren Steuerdüsen untergebracht, welche dem Sturmovik eine bisher unerreichte Manovrierfähigkeit verliehen, die Bewaffnung bestand aus je zwei schweren Desintegratoren und Thermostrahlern sowie 12 Raum – Raumraketen vom Typ Schildknacker, die Beschleunigung betrug 730 Kilometer per Sekundenquadrat, die maximale Geschwindigkeit 0,75 LG. Im Heck war ein schwenkbares schweres Impulsgeschütz verbaut, der Copilot konnte so im Abflug noch ein wenig nachlegen. Eine Staffel Sturmovik konnte einem leichten Raumschiff schon den Tag verderben. Und genau dafür waren sie auch konzipiert.
Wie alle Jagdflieger, ob in der leichten Gonzales oder der schweren Sturmovik, fühlte sich auch die Kolonialarkonidin Ynvoe nur richtig wohl, wenn sie am Steuer ihrer Maschine saß. Dieser Rausch der Geschwindigkeit, dieses hautnahe Gefühl, das Vakuum nur Zentimeter entfernt, der absichtlich nicht auf volle Leistung geschaltete Andruckabsorber, sodass man jedes Manöver nicht nur sehen, sondern erleben konnte – das machte den Reiz aus, warum die Piloten in die Kisten stiegen. Auf einem großen Schiff fühlte man nicht, wenn ein Manöver ausgeführt wurde. Ynvoe konnte sich gar nicht vorstellen, einen Tag nicht zu fliegen.
***
Munagura machte sich allmählich Sorgen. Seit vielen Tagen hatten sie kein Land mehr gesichtet, allmählich wurde die Wasservorräte der drei Schiffe auf ihrem Weg nach Norden knapp. Das Wetter war zwar schwül, doch keine Wolke war am blauen Himmel zu sehen. Sie leckte ihre spröd gewordenen Lippen und starrte auf den Horizont.
„Admiral!“ Navigatorin Kolmasara zeigte in den Himmel. Vier glühende Kugeln rasten, Feuerschweife hinter sich herziehend, in einer perfekten Karo-Formation über den Himmel, stiegen wieder hoch und verschwanden im Westen.
„Kurs ändern!“ rief Munagura. „Vier Strich West! Die Ahnen haben uns ein Zeichen gegeben!“ Die noch junge Kommandantin der Expedition war nicht besonders strenggläubig, dennoch vertraute sie auf das Zeichen. Eine Entscheidung, die diesmal ihr Leben und das ihrer Mannschaft rettete. Zwei Tage später verließ sie den Zirkumpolarstrom und erreichte die Südspitze eines Kontinents und einen Fluss mit reichlich Süßwasser. Nachdem sie vorsichtshalber Posten aufgestellt hatte, erlaubte sie ihren Besatzungen abwechselnd ein erfrischendes Bad und sprang selber übermütig in den Fluss. Das große Hindernis war zum ersten Mal erfolgreich bezwungen.
*
Nome, Alaska
Die Passagierfähre der Alaska Airlines mit dem stilisierten Inupiatgesicht auf der Flanke schwebte langsam über dem Flugfeld von Nome, Alaska.
„Nun, Akiri, einen flüchtigen Auftragskiller gefunden, überwältigt und ins Gefängnis gebracht zu haben, möchte ich nicht Misserfolg nennen.“ Sam graute schon vor dem Aussteigen. Noch war es mollig warm, doch außerhalb der Kabine war alles tief verschneit. Akamoku runzelte die Stirn.
„Es war aber kein Schläfer, und man hat uns ausgesandt, um genau die zu finden.“
Rick sah aus dem Fenster. „Vielleicht hat ja eines der anderen Teams einen echten Fisch an der Angel. Kann ja nicht immer uns treffen. Immerhin haben wir die Liste im SQ aufgetrieben.“
„Ja!“ grummelte Sam. „Und vielleicht ist Cesar Alexander noch sauer wegen New York und schickt uns deshalb in dieses Wetter!“
„Wie Du gesagt hast, Sam, ein Auftragskiller ist ja auch kein Misserfolg!“
Mittlerweile hatte die Fähre angedockt und die Luken geöffnet. Die TBI-Agenten nahmen ihr Handgepäck und verließen gemeinsam mit den wenigen anderen Passagieren die Kabine.
„Danke, dass Sie mit Air Alaska geflogen sind, Sir.“ Die Stewardess schenkte Sam ein strahlendes Lächeln, das weit über Professionalität hinausging. „Danke für ihr Vertrauen, Ma’am. Auf Wiedersehen, Ma’am”. Rick und Akiri lächelten sich zu. Das Lächeln der Stewardess war bei ihnen schnell wieder die studierte, freundliche Maske geworden, und Sam hatte die Sonderbehandlung überhaupt nicht bemerkt. Oder sie ignoriert.
Im Terminal erwartete sie ein Mann mit einem Schild, auf dem Akamoku – Kenda – Bold mit dickem Filzstift händisch gemalt war.
„Guten Tag, wir sind Akamoku”, Sam wies zuerst auf Akiri, dann auf Rick. „Kenda, und ich bin Bold.“
„Wie geht es Ihnen. Ich bin State Trooper Steve Montauk.“ Er reichte ihnen die Hand. Steve war klein und bullig, sein Gesicht wies seine Ahnen als Inupiat aus. „Ich bin mit einer Beaver aus Chikitacha gekommen, um sie abzuholen. Haben Sie warme Kleidung mit?“ Die drei Polizisten sahen sich an.
„Reicht das nicht?“ Kenda trug wieder dicke Cordhosen, einen Schipullover und gefütterte Stiefel, einen Parka hatte sie in der Tasche. Steve lachte laut auf.
„Für Nome reicht es, wenn Sie sich erst eingegewöhnt haben. Kommen Sie, ich habe Ihnen von der hiesigen Trooperstation drei Isos besorgt. Dort sind Toiletten und Umkleideräume. Die Isolieranzüge wurden für den Mars entwickelt, die NASA wollte ja ganz schnell eine Siedlung bauen. Nachdem Rhodan mit einem viel besseren Anzug zurückgekommen ist, haben sie uns das Zeug billig verkauft. Sind trotzdem herrlich warm. Mützen habe ich auch.“
Wenig später marschierte das Quartett über das Flugfeld.
„Es hat angenehme 12 Grad Minus, sie haben sich einen schönen Tag ausgesucht.“ Sam brummte und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.
„Das mit der Beaver war kein Scherz? Sie meinen eine De Havilland DC 2 Beaver? Die da?“
„Na klar!“ tätschelte Montauk das Flugzeug. „Hat so 130 Jahre auf dem Buckel, ist aber noch top in Schuss. Der Antrieb ist natürlich elektrisch, sonst noch alles Originalteile. Oder in Handarbeit nachgebaut!“
„Da fühle ich mich doch gleich viel sicherer”, murmelte Rick Kenda und Akiri schaute immer noch fassungslos auf die Antiquität.
„Warum nehmen wir nicht einen Gleiter?“
„Zu weit, zu unwegsames Gelände, wir müssen schon fliegen!“ Steve öffnete den Einstieg. „Und seit niemand mehr unser Öl braucht, gibt es die Zahlungen der Regierung an die Einheimischen und die Steuervergünstigungen nicht mehr. Also sind viele Inupiat wieder zur alten Lebensweise zurück gekehrt, zwangsläufig. Es wurde weniger Geschäft gemacht, viele Gesellschaften und Geschäfte sind abgewandert, wir waren froh, dass wir uns die Umbauten an den Fliegern leisten konnten. Gravmotoren können sich vielleicht die großen Minengesellschaften leisten, aber nicht die Polizei oder die State Troopers von Alaska. Also, bitte einsteigen oder hierbleiben!“
„Na schön“, warf Kenda ihren Koffer in den Laderaum und schwang sich in die Kabine.
„Was tut man nicht alles für die Menschheit”, stellte Akiri den ihren dazu und suchte sich ebenfalls einen Platz. Sam kam als Letzter.
„Wenn das Ding vom Himmel fällt, rede ich drei Inkarnationen nicht mehr mit Euch.“
„Dauert noch einen Moment, ich muss die Gleitkufen und die Tragflächen noch enteisen.“ Steve Montauk schaltete den Motor ein, die Luftschraube am Bug des Flugzeugs erwachte zum Leben und bildete einen flirrenden Kreis. Vorsichtig gab der Pilot etwas mehr Energie, langsam bewegte sich die Maschine vorwärts.
„Das reicht fürs erste. Tower Nome, Beaver Trooper Tango Bravo Sierra 548, erbitte Starterlaubnis Ziel Chikitacha.“ Immer noch im Schritttempo bewegte sich die Beaver in einer ausholenden Kurve über das Flugfeld.
„Tango Bravo Sierra, Freigabe für Runway one. Kein Verkehr, wann immer Sie wollen.“
„Roger!“ Die Beaver bewegte sich jetzt schneller, erreichte den Beginn der Startbahn und schwenkte ein. Kurz stand das Flugzeug vibrierend still, der starke Elektromotor summte lauter, die Blätter der Luftschraube wurden unsichtbar durch die rasche Drehung. Steve fuhr die Bremszacken in die Kufen, der Propeller zog die Beaver schneller und immer schneller werdend über die Piste. Ein sanfter Zug am Steuerhorn, die Steuerflächen am Heck bewegten sich und frei stieg die Maschine in den blauen Himmel Alaskas, flog eine Kehre und nahm Kurs nach Nordwesten.
Ruhig zog das Fluggerät der State Troopers seine Bahn, Steve saß entspannt im Pilotensitz. Unter ihnen zog eine endlose, zerklüftete Küste vorbei, das Eis reichte bereits an vielen Stellen weit in den Ozean, ab und zu unterbrochen von eisbedeckten Flüssen. Tief verschneit präsentierte sich das Inland, da und dort konnte man eine Karibuherde beobachten, ein Rudel Wölfe war auf der Jagd, Seeadler zogen majestätisch ihre Kreise. Auch die drei TBI-Agenten begannen langsam, sich zu entspannen.
„Ruhiges Wetter, keine Unwetter in der Vorschau. Das Glück sollte uns bis zur Landung treu bleiben!“ rief Montauk nach hinten. „Wird zwar eine Nachtlandung, aber wir haben gute Scheinwerfer. Morgen soll es ein wenig Wind geben.“
„Bei unserem Glück wird es ein Sturm und er beginnt heute noch!“ knurrte Sam. „Ich hätte in Nome bleiben sollen. Die Stewardess hätte mir sicher ihre Phonenummer gegeben!“ Er hatte das strahlende Lächeln also doch registriert, aber pflichtbewusst darüber hinweg gesehen.
Die Dunkelheit brach zu dieser Jahreszeit im hohen Norden früh herein, es wurde wie angekündigt eine Nachtlandung. Zum Glück wehte nur mäßiger Wind, auch der leichte Schneefall, der sie die letzte Strecke begleitet hatte, wirkte sich noch nicht besonders hinderlich auf die Sicht aus.
„Wird noch mehr werden“, versprach Montauk. „Kommen Sie mit, ich bringe Sie zu George.“ Während zwei Angestellte die Beaver in den Hangar schoben, brachte Steve seine Gäste zu einem großen Mitsubishi Suburban mit dem Wappen der State Troopers an den Türen und dem rot-blauen Lichtbalken auf dem Dach. „George Miller hat ein paar Zimmer, die er vermietet. Seine Familie ist mit dem Ölrausch gekommen und geblieben. Ab und zu verirrt sich ein Jäger oder ein Fischer hierher, oder ein Goldsucher, der vom Leben in der Wildnis eine Zeit die Nase voll hat. Nebenbei hat George auch den Minimarkt und die Bar. Er kommt so halbwegs auf seine Kosten und kann überleben.“
Als sie die Tür öffneten, wehte den Ankömmlingen ein intensiver, fremdartiger Geruch mit den Dampfschwaden entgegen.
„Ah, George macht heute Muktuk. Ihr Glückstag, Agents.“
„Eine einheimische Spezialität?“, vermutete Rick, und Steve Montauk nickte zufrieden.
„Walhaut mit dem Speck daran. Eine Delikatesse, sie werden schon sehen.“ Sam schluckte hörbar. „Oh, vielleicht hat ja George noch Karibustew von gestern“, tröstete Steve lachend. „Muktuk ist etwas für uns Inupiat. Nalauqmiut müssen sich wohl erst an den Gedanken gewöhnen.“
„Also, ich probiere es!“ sagte Akiri. „Aber ist der Walfang nicht verboten?“
„Eingeschränkt“ antwortete Steve. „Ebenso wie die Karibujagd. Keine Flugzeuge, keine Motorschiffe, keine Sprengharpunen oder Schusswaffen. Wurfharpune und Kajak, die sind auch billiger. Wir können alles selber herstellen. Ich habe ja gesagt, wir sind zu einem großen Teil zum Lebensstil der Vorfahren zurück gekehrt. Die Karibus dürfen natürlich mit Gewehren bejagt werden, aber Munition ist nicht unbedingt billig.“ Er rieb sich über das Gesicht. „Leider haben viele von uns Inupiat die Bildung der Nalauqmiut vernachlässigt und ihre Kinder lieber auf die Jagd mitgenommen, statt sie auf die Schule zu schicken. Ich hatte Glück, ich durfte beides erleben. Deswegen bin ich Trooper geworden. Die GCC hat zwar ein paar Schulen gestiftet, sogar mit Wohnheimen, aber es ist ein warmer Tropfen im Eisfeld. Sehen Sie sich um. Wir haben Fisch, Karibus, Seehunde und einige Goldminen. Es gibt nicht genug Arbeit für Ungebildete, da hilft nichts. Ohne die Ölabfindung, die jedem Inupiat zugestanden war, müssen wir eben sehen, wie wir wieder ohne Bargeld über die Runden kommen. Oder zumindest mit wenig. Einmal im Monat kommt der Fischfrachter und holt von der Fabrik unten den gesäuberten und eingefrorenen Fisch, der dann auf den Tischen der USA teuer serviert wird, während wir hier kaum etwas dafür bekommen. Also verspeisen wir das meiste selber und verkaufen gerade genug für Munition. Und vielleicht ab und zu ein Bier, Schnaps ist in Chikitacha übrigens verboten.“
Ein Bär von einem Mann mit langem, grauen Vollbart und einer Halbglatze tauchte aus den Nebelschwaden.
„Hi, Steve”, begrüßte er den Trooper. „Das sind wohl die angekündigten Agents vom TBI. Lassen Sie mich raten. Akamoku, Kenda, Bold?“
„Meine Reisetasche hat mich verraten, stimmt’s?“ Mit unbewegtem Gesicht stellte Akiri ihr Gepäck auf dem Tresen ab, George Miller lachte laut und dröhnend und reichte ihr die Pranke über die Theke.
„Willkommen, kleine Miss! Sie gefallen mir jetzt schon!“ Er hielt auch Kenda und Bold seine Hand hin. „Hi! Ich bin George. Hotelbesitzer, Wirt, Krämer und Schnapsschmuggler.“ Kenda blickte erstaunt zu Trooper Motauk.
„Schauen Sie mich nicht an, Agent.“ Steve hob beide Hände in Schulterhöhe. „Außerhalb der Stadt ist Schnaps von den Gesetzen der USA erlaubt, und sobald er die Stadtgrenze überquert, ist es die Zuständigkeit des Sheriffs, den Willen des Stadtrates durchzusetzen. Der wartet aber schon auf George, wenn er Nachschub holt, um die erste Flasche zu bekommen. Willkommen in Alaska!“
George lachte unverhohlen. „Wenn der Sheriff so wäre wie unser Trooper, hätte ich es viel schwerer. Aber gut, Steve hat drei Zimmer bestellt. Gleich die ersten drei, Schlüssel stecken. Viel Spaß hier in Chikitacha.“
Die Agents trugen ihre Gepäckstücke über die knarrende Treppe nach oben. Die Farbe war kaum noch vorhanden, sie mochte einmal blau oder grün gewesen sein, und gab den Blick auf die Verkleidung aus Pressspanplatten frei, die auf die Isolierschicht genagelt war.
„Trautes Heim!“ murmelte Rick Kenda und Akiri fragte:
„Halber Stern oder gar keiner?“ Der allgegenwärtige Geruch von Stew und Muktuk hing in den Wänden, durchmischt mit dem nach uraltem Tabakrauch, Teer und von Schweiß. Wahrscheinlich würde diese Duftmischung nie wieder aus dem billigen Schuppen aus Brettern, Wellblech, Pressspan und der Isolierung aus dickem, zwischen die Wände gestopften Seegras zu vertreiben sein. Zumindest war die Temperatur gestiegen, seit sie durch den Windfang gekommen waren, erfrieren mussten sie also nicht unbedingt.
„Ich hoffe, ihr habt Eure Flanellpyjamas eingesteckt“ murmelte Sam, und Rick meinte nur:
„Und einen Hoodie, dazu dicke Socken. Ich wünsche mir das Montreal Hilton wieder zurück!“
„Und Ian?“
„Der hat mich wenigsten warm gehalten!“
***
„Verdammt!“ Akiri biss in ihr Dosenbrot, das sie mit Margarine und Honig bestrichen hatte. „Seit drei Tagen ist dieser Sturm, man sieht die Hand vor Augen nicht, wenn man hinausgeht! Was noch nicht einmal Einheimische machen, außer das Bier geht aus und sie taumeln hierher!“
Rick umklammerte ihre Kaffeetasse mit beiden Händen und wärmte sie. „Und eiskalt ist es auch. Ich trinke meinen Kaffee schon schwarz, damit er länger heiß bleibt. Den Weg in die Kneipe finden sie wahrscheinlich mit der Nase. Einmal im Kreis, Witterung aufnehmen und gegen den Wind stemmen.“ Alle drei waren in warme Cordhosen und dicke Pullover gekleidet, mit dicken Socken in gefütterten Hausschuhen. Die Tür klapperte, ein eisiger Lufthauch drang trotz des Windschuppens vor der Tür in den Gastraum.
„Georg, reich mir mal ein Oly rüber!“ brüllte der Ankömmling und schälte sich aus seiner isolierten Pilotenjacke. Die Muskulatur sprengte beinahe das T-Shirt, das er darunter trug, wahrscheinlich ein beabsichtigter Effekt. Dann nahm der die Fliegerbrille ab, hing sie mit dem Bügel in das Shirt, den Agenten wurde eiskalt, wenn sie den Mann nur ansahen. Der Mann kam mit seiner Dose Olympus-Bier zu ihrem Tisch.
„Hi, Leute! Ich bin Hank! Hank Barton, ich bin Pilot für die ‚Gray River‘ – Goldmine. Aus dem Ort hier arbeiten eine Menge Männer in der Mine, einige Wochen, und dann kommt die Ablösung. Ich bringe sie hin und zurück, manchmal habe ich auch dringende Fracht. Stevie, also Trooper Motauk, hat mir gesagt, dass drei Agenten vom TBI gekommen sind, wegen der Sache mit dem Außerirdischen vor fünfzehn Jahren?“
Sam stand auf. „Freut mich, Mister Barton!“
„Jeder nennt mich ‚Fly’, also bitte, nennen sie mich auch so.“
„Niemand nennt ihn so!” rief ein Gast herüber, und ein zweiter ergänzte:
„Nur er selber hätte es gerne!“
„George, gib Nathan und Jock doch noch’n Oly!“ brüllte Hank. „Also, Agents, wie ich sagte, bevor die Säufer sich einmischten, nennen Sie mich Fly!“
„Gerne, Fly. Akiri, Rick, ich bin Sam. Bitte, nehmen Sie Platz. Wissen Sie etwas über den Mann?“
„Na klar! War so’n trockener Typ. Hat gesagt, daheim bei ihm gäb’s auch so’n Gebiet wie das hier, und es gefällt ihm so gut, dass er Urlaube dort aufziehen wollte. So auf die Art ‚zurück zum Wesentlichen, zurück zum ich‘. Gewand selber nähen, Essen selber schießen, Waffen und Boote selber bauen. Sogar im Iglu wohnen. Leben wie die Inupiat halt, seltsame Ideen hatte der Typ. Ich mein, wer will schon in einer Eishütte schlafen? Ein romantischer Spinner, dacht‘ ich. Aber zuerst wollt‘ er’s hier selber ausprobieren, hat sich `n Kajak geschnitzt und ist mit selbstgenähtem Gewand hinaus gepaddelt. Das Kanu und den Parka hat man gefunden, den Typ nicht mehr.“
„Also das, was auch im Polizeibericht steht.“ Sam hatte den Bericht auf sein Pad geholt.
„Ja. Aber was nicht im Bericht steht, weil niemand zuhören wollte, damals ist kurz nachher ein Typ in der Mine aufgetaucht. Durchschnittstyp, wie ein Inupiat gekleidet. Der hat gebeten, dass man ihn nach Chikitacha mitnimmt. Hat Papiere gehabt, die zwar alt, aber in Ordnung waren.“
„Und?“ Rick nahm einen großen Schluck Kaffee. „Wo ist der Zusammenhang?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber die Nähte bei dem Parka, den der Typ anhatte, waren mit den gleichen Stichen wie diejenigen, mit welchen der Alien sich eine Jacke genäht hat. Und mit violettem Garn.“
„Was hat es mit dem violetten Garn auf sich?“ Fly blickte in drei ratlose Gesichter, Akiri hatte dem Ausdruck verliehen.
„Also, der Sheriff hat das auch gefragt, na, ist ja auch ein Nalauqmiut.“
„Was in drei Teufels Namen ist dieses Nuulockmi-Dings eigentlich?“
Hank Barton lachte laut. „Nalauqmiut ist ein Nicht-Inupiat. Früher ein Weißer, jetzt auch alle anderen. Aber gut. Violett, Agents, ist hier eine Damenfarbe. Kein Inupiat-Mann würde Violett tragen. Oder zum Beispiel auf ein violettes Schneemobil steigen, lieber nimmt er einen Hundeschlitten. Die Mine musste ihre Shuttles umlackieren, keiner wollte mit den violetten fliegen. Ich auch nicht, alle hätten mich ausgelacht!“
„War der Mann denn eigentlich Inupiat?“
„Nein“, Fly kratzte sich an der Nase. „Aber die Muster am Parka sollten Inupiatmuster darstellen. Auf einem Männerparka Männermuster in Frauenfarbe? Klingt nach selbstgemachten Kleidern. Aber ein Weißer, der sich Inupiatkleidung selber macht? Es ist etwas faul an der Sache. Ich bin zwar nur ein halber Inupiat, aber mir kommt’s verdammt noch mal seltsam vor.“
„Na schön“, Sam zückte Stift und Pad. „Beschreiben sie mir den Typen mal. Wissen Sie einen Namen von den Papieren?“
„Namen keinen, Beschreibung gerne. Und ich bringe Sie zur Mine, die sollten die Personalien aufgeschrieben haben.“
***
Kathrin Jackson Base
Area 51, Luna
Thora, Rhodan und Bull durchschritten den langen Gang, der Area 51, die geheime Forschungseinrichtung der GGC von der ‚General Pounder Spaceforce Base‘ trennte. Wieder wurden sie von Generalleutnant Vaclav Prochaska begleitet.
„Ich bin neugierig auf Professor Killikioauewa“, meinte Thora und schüttelte ihre weiße Mähne. „Die junge Dame hat sich ja eine ganze Menge vorgenommen!“
Bully wedelte mit der Hand. „Das sind ein Haufen verrückter Freaks und Nerds, wenn ihr mich fragt“, urteilte er. „Aber ich muss zugeben, erfolgreiche Freaks. Bald sind wir soweit, dass wir wirklich etwas gegen den Hunger auf der Welt machen können. Und wenn dann irgendeiner von den Politikern etwas von ‚nationaler Angelegenheit‘ faselt, wenn wir Lebensmittel und Medikamente zu den Ärmsten bringen wollen, dann…“
„Was dann, Bully?“ Rhodan machte ein sorgenvolles Gesicht.
„Dann liefern wir über ‚Care‘, das ‚Internationale rote Kreuz‘ oder sonst eine humanitäre Organisation. Oder Onkel Homer gründet eine. Wenn wir genug zu Essen haben, sollen andere nicht verhungern müssen.“
Rhodan hieb ihm die Rechte auf die Schulter. „Wie recht Du hast, alter Freund!“
„Sir!“ Prochaska öffnete das letzte Schott. „Ich lasse Sie dann hier, Sir. Bitte rufen Sie mich, wenn Sie abzureisen wünschen.“ Er salutierte, dann schlich ein Schmunzeln über sein Gesicht und erreichte beinahe die blauen Augen. „Ich habe noch etwas vorzubereiten.“ Das Schott glitt lautlos zu, und wieder war das Schild ‚Area 51, Dreamland‘ zu sehen. Jemand hatte dazu gekritzelt: ‚Der Traum von gestern ist überholter Schrott von morgen. Bob H.‘, eine andere Handschrift empfahl ‚Träume nicht, lebe es – Frank N. Furter!‘ und eine dritte Meinung verkündete: ‚Ich habe einen Traum! – M. L. King‘.
„Zivile Undiszipliniertheit“, murrte Reginald Bull, doch Rhodan lachte dieses Mal nur.
„Von dieser Bande habe ich mir so etwas schon gedacht. Lass ihnen den Spaß, Bully!“
„Hallo, Chef!“ Auch dieses Mal begrüßte die Leiterin der Station, Professor Kono Killikioauewa ihre Gäste. „Schön, dass Sie uns wieder besuchen. Donna Thora, Mister Bull!“ Auch heute hatte die mittelgroße Hawaiianerin an Stoff gespart, wie überhaupt die Bewohner von Area 51 bequeme Kleidung vorzogen – kein Wunder in einer stets bestens temperierten Umgebung.
„Danke, Yoyo. Sie wollten uns etwas zeigen?“ Die mandelförmigen Augen verengten sich, Yoyos Mundwinkel gingen nach oben.
„Wollte ich das? Was war es nur? Verzeihen Sie einer zerstreuten Professorin!“ Bulls Augenbrauen rutschten nach oben und er holte tief Luft, wohl um eine seiner geharnischten Strafpredigten vom Stapel zu lassen, doch Thoras Lachen fuhr ihm in die Parade.
„Sie sind eine schlechte Pokerspielerin, Yoyo!“
„Stimmt. Ich ziehe Schach vor. Aber kommen Sie bitte weiter.“
Yoyo Killikioauewa führte ihre Gäste dieses Mal in eine andere Richtung.
„Wir haben ein wenig nachgedacht, Chef. Wir haben damals einfach die arkonidischen Raumjäger nachgeschnitzt und nur unsere verbesserten Andruckabsorber eingebaut. Jetzt hat Jake gedacht, wenn wir schon bessere Absorber und Triebwerke mit besserem Leistungsverhältnis haben, warum machen wir uns nicht gleich über neue Jäger mit höherer Beschleunigung, besseren Schirmen und stärkerer Bewaffnung her. Und da ist er, der Sternenfalke!“ Rhodan stockte der Schritt, seine Augen weiteten sich.
„Das Ding erinnert an die alte F 16. Die habe ich noch auf einer Oldtimer Flugshow gesehen“, rief er mit Begeisterung in der Stimme. „Wozu eigentlich die Flügel und das Leitwerk?“
„Äh… die Maschine muss vielleicht auch mal in der Atmosphäre fliegen, da kann so etwas doch hilfreich sein!? Und wir bringen die schweren Raum – Raumraketen besser unter?!“
Thora musste herzhaft lachen. „Und jetzt die Wahrheit, Yoyo! Bitte!“
„Na schön!“ Killikioauewa grinste von einem Ohr zum anderen. „Das Ding schaut einfach hammer- super- wahnsinns- affengeil aus!“
„Das tut es! Welche Spezifikationen?“ Thora zwängte sich unter den Jäger und streichelte seine Flanken, ihre Augen leuchteten.
„Ein Mann Besatzung, Beschleunigung 780 Kilometer pro Sekundenquadrat in den unteren Geschwindigkeitsbereichen. Nachdem die Masse mit der Geschwindigkeit wächst, nimmt die Beschleunigung bei gleichbleibendem Schub nun einmal ab. Nicht zu ändern – im Moment. Vmax ist daher bei 0,8 Lichtgeschwindigkeit, darüber gibt das Triebwerk auf. Und wieder – derzeit noch! Länge 16,4 Meter, in der Verkleidung unter dem Cockpit ein schwerer Impulsstrahler und ein Desintegrator. 4 schwere Raketen. Energieschirm. Flitzt in die Höhe wie Spucke von der heißen Herdplatte! Unser erster Prototyp.“
„Reife Leistung! In 10 Monaten einen neuen Raumjäger konstruiert!“ Auch Rhodan kletterte auf die Maschine.
„Oh, das war nicht so schwer. Die meisten Komponenten gab es doch schon. Wir haben es einfach neu zusammengestellt. In etwa das gleiche wie bei unserem Kanonenboot.“
„Kanonenboot?“ Bully machte große Augen.
„Dort drüben, Mister Bull.“ Yoyo wies auf einen weiteren Flieger.
„Drei Mann Besatzung, drei Schlafkojen, Miniküche, ein kleines Bad für Katzenwäsche, Zähneputzen und andere Bedürfnisse. Letztere natürlich chemisch. Wasser und Lebensmittel für drei, vielleicht auch vier Wochen. Wenn man sparsam isst. Diesmal ohne großartige aerodynamische Verkleidung, zwei Triebwerke, 720 Kilometer per Sekundenquadrat Beschleunigung, Vmax 0,7 Licht, Länge 32 Meter. In Flugrichtung zwei schwere Impulsgeschütze, ein ‚Dachturm‘ mit zwei schweren Desintegratoren und zwei Thermostrahlern, ein Heckturm auch mit je zwei. Achtzehn Raum- Raumlenkraketen. Steuerbar sind die Geschütztürme und die Lenkraketen von den beiden Copiloten, wer halt gerade Zeit hat. Natürlich auch nur unterlichtschnell, aber ziemlich bissig!“ Sie grinste beinahe hinterhältig, sie kannte Reginalds Vorliebe für solche Art von Kleinraumschiffen. „Probeflug, Mister Bull?“
„Warum nicht?“ Er kletterte an Bord, Yoyo folgte ihm und setzte sich in einen der Copilotensitze, klemmte sich ein Earset hinter das linke Ohr. „Kilo Bravo zero one an Tower KJB, Startfreigabe erbeten.“
„Kilo Bravo zero one, Freigabe jetzt. Gib Stoff, Yoyo!“
„Also, Mister Bull. Abflug.“
Langsam schwebte das Kanonenboot in die Schleusenkammer, das Innenschott schloss sich und vor Bully erschien der samtschwarze Sternenhimmel über dem Mond. Die Erde stand am Horizont, wie eine wunderschöne blaue Perle. Vorsichtig bewegte Bull den Beschleunigungshebel, das Boot schoss aus der Schleuse.
„Wow!“ Bully schrie überrascht auf, bewegte zart den Steuerhebel. Sofort reagierte das Gerät auf die kleinste Bewegung des Knüppels, raste auf seinem eigenen Feuerschwanz senkrecht in die Höhe.
„Vollen Stoff, Mister Bull!“ Der reagierte und zog den Hebel an den Anschlag.
„Ach Du heilige Sch…! Das ist hervorragend! Da können die Arkonjäger einpacken und nur noch weinen!“
„Der Sternenfalke macht noch etwas mehr, Mister Bull. Wollen Sie nicht eine Kehre fliegen?“ Reginald bewegte den Hebel, allmählich bekam er ein Gefühl für die sensible Steuerung.
„Yippie! Ich wünsch’ mir so ein Teil!“ Bully war aus dem Häuschen und machte eine Siegesrolle! „Wo ist – ah, hier! Gibt es ein Signal für den Hangar?“
„Natürlich! Tower KJB, erbitten Peilung für Kilo Bravo zero one, Versuchshangar 2.“
„Peilung steht, Yoyo. Sieht so aus, als hättest Du jede Menge Spaß gehabt.“
„Sekundär, Tower. Mister Bull war am Knüppel!“
„Zufrieden, Mister Bull?“ Das Luk sprang auf und Yoyo sprang heraus, gefolgt vom aufgekratzten Bully.
„Das war wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Danke, Yoyo!“ Er küsste sie lachend auf beide Wangen. Die Hawaiianerin lächelte befriedigt und winkte Rhodan und Thora zu. „Und wie gefällt Ihnen unser Spielzeug?“
„Professor, wir sind begeistert! Sie haben unsere Erwartungen mehr als erfüllt.“ Yoyo verbeugte sich lachend. „Freut mich. Eine Verstärkung für die Forts, und ich denke, an Bord der Schiffe kann man diese Jäger und Boote auch brauchen. Aber eigentlich ist unser neuestes Forschungsprojekt ein anderes. Das hier war einfach, nur etwas für unsere Bastler. Darf ich bitten?“
In einem Labor hing ein grauweißer Strang Gewebe zwischen zwei Platten.
„Achtung!“ in dem Labor setzten ein Mann und eine Frau Schutzbrillen auf und traten hinter eine transparente Wand.
„Fang im Mikrovoltbereich an und dann steigern“, winkte der Mann seiner Kollegin zu, die langsam einen Schalter betätigte, ebenso langsam bewegten sich die Platten zueinander. „Aus, langsam zurück!“
„Was haben wir gerade gesehen?“, fragte Perry Rhodan.
„Nun, Bob wollte einen neues Isolierstoff testen, dabei hat er einen Stoff gefunden, der unter elektrischer Spannung kontrollierbar kontraktiert. Wie ein Muskel. Wenn wir es schaffen, das richtig zu steuern, haben wir einen ganz gemütlichen, weichen, anschmiegsamen Anzug, der Ihre Kräfte verzehnfacht. Dann könnten die Marines auch stärkere Schirmgeneratoren und genügend Wasservorräte mittragen. Von ordentlich Feuerkraft ganz zu schweigen. Da liegt noch viel Tüfteln vor uns, bis die Steuerung so funktioniert, dass man den Anzug anzieht wie einen Raumanzug, den Verschluss zumacht und einfach losläuft. Und bis er ebenso bequem ist wie ein Raumanzug, die falsche Muskulatur soll nicht viel dicker als ein Isothermanzug der Nasa für den Mars werden. Für die Steuerung dachten wir an so etwas wie positive Rückkopplung, versteifende Querstreifen zum Schutz der Gelenke und ähnliches. Fragen Sie in einem halben Jahr nochmal nach. Mal sehen, wie es wird.“
Yoyo brachte ihre Gäste noch in einen riesigen Felsendom. Dort stand auf vier dünnen Beinchen ein metallener aufrechter Torso, etwa drei Meter groß, zwei Arme endeten in beinahe menschlich anmutenden Händen, aus der Brust ragten die Mündungen von zwei Energiestrahlern, zwei Arme, unter denen mit den Händen, waren schwere Waffen. Das ganze wurde von einem Kopf gekrönt, der dem einer Gottesanbeterin nachempfunden war, mitsamt Antennen.
„Das, Lady, Gentleman, das ist der Kommandobot Mark V Mantis. Er soll gelandete Robotertruppen koordinieren, dafür ist er mit einer extra starken Nanotronik ausgestattet.“ Übergangslos wurde Yoyos Gesicht ernst. „Wir haben uns gegen Neuroniken entschieden, es wäre mir persönlich schrecklich, eine Intelligenz in den sicheren Tod zu schicken oder bei einer Evakuierung eventuell zurück zu lassen. Auch wenn es eine künstliche sein sollte! Ich möchte diese Art KI – Kampfroboter nicht entwickeln und werde es auch keinesfalls tun. Nicht verhandelbar!“
Erstaunt blickte Perry Rhodan die junge Frau an, dann glitt ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht. „Danke, Professor! Vielen Dank. Ich hatte ganz ehrlich an dieses Dilemma gar nicht gedacht. Aber ich schließe mich Ihrer Meinung an, keine Intelligenz soll geopfert werden, wenn es sich vermeiden lässt. Keine Kampfroboter mit KI! So wollen wir es halten. Ich freue mich, einem wahrhaft ethisch denkenden Menschen diesen Posten gegeben zu haben!“ Er wandte sich wieder dem Mantis zu. „Wieso die vier Beine?“
„Vier sind für eine Bewegung ohne Stabilisierungskreisel ausreichend, die Beine sind ohnehin eher für den Stand und nur für geringe Strecken. Die strategischen Standortsveränderungen sollen eher mit dem Flugaggregat vorgenommen werden.“
„Und der Kopf?“ wollte Thora wissen. „Irgendwie erinnert er mich an eine halbintelligente Spezies auf Irduna V.“
„Der Entwickler ist nebenbei Entomologe“, konnte Yoyo wieder schmunzeln. „Hat sein Hobby so stark erkennbar auf die äußere Gestaltung abgefärbt?“
Reginald Bull ging um die Maschine herum. Irgendwie beschlich ihn ein mulmiges Gefühl, er hatte das Gefühl, der Roboter verfolge jeden seiner Schritte.
„Ist das Ding aktiviert?“, platzte es aus ihm heraus.
„Natürlich, Reginald. Er analysiert jede Bewegung um ihn herum auf eine eventuelle Bedrohung. Da sie avisiert sind, werden sie derzeit als sicher eingestuft. Sollten Sie allerdings eine Waffe ziehen, wird die erste Reaktion ein Betäubungsschuss und ein allgemeiner Alarm sein. Nun ja, die Betäubung wird nicht funktionieren, die Waffen sind nicht angeschlossen. Er würde also versuchen, Sie mit den Greifhänden außer Gefecht zu setzen. Noch ist seine Programmierung auf nicht letale Gewalt eingestellt. Kommen Sie bitte mit. Alle drei.“
„Generalleutnant? Wir sind soweit!“ Ein starkes Energiefeld verstärkte das Fenster zum Felsendom, in den nun einige Space-Marines in voller Kampfausrüstung stürmten und das Feuer auf den Mantis eröffneten. Kein Strahl kam auch nur in die Nähe des Robots, der sich rechtzeitig in starke Energieschirme hüllte. Irisierend wurden die tödlichen Schüsse absorbiert, der Mantis zog seine vier Beine an den Körper und richtete seine Waffen auf die Angreifer. Harmlose Lichtstrahlen griffen mit höchster Präzision nach den Soldaten. Nachdem dieser Beschuss wirkungslos blieb, setzte sich der Bot in Bewegung und hob die Arme mit den Händen. Waffen und Körper wirbelten in verschiedene Richtungen davon.
„Mantis, aus!“ Mitten in der Bewegung erstarrte der Robot und schwebte an seinen Platz zurück, klappte die Beine aus und nahm seine alte Position wieder ein, während die Marines ihre Waffen wieder einsammelten. „Dieser Kommandobot wurde nicht zu schwer bewaffnet, er ist eher defensiv armiert. An den Soldatenbots arbeiten wir noch. Jetzt haben Sie aber wirklich alles gesehen, was ich anzubieten habe. Also, an technischen Neuigkeiten, meine ich!“ Bully hob fragend die Augenbrauen und musterte die Frau von oben bis unten.
„Mittagessen?“ Er leckte sich die Lippen.
„Bekommen Sie, Reginald!“
***
HEPHAISTOS, Reggys System
„Ma?“ Reginald Starlight schob seinen Kopf durch das Abschirmfeld, Tana Starlight schaltete ihr Pad auf Standby.
„Komm nur, Reginald.“
„Ma, bevor die KLEOPATRA fertig ist und Du aufbrichst, möchte ich Dir gerne Marie France vorstellen.“ Er zog ein junges, schwarzhaariges Mädchen mit an den Tisch, Tana musterte die Freundin ihres Sohnes. Eine karibische Schönheit saß vor ihr, etwa so alt wie ihr Sohn, ein wenig mollig vielleicht, mit üppigen Formen.
„Hi! Ich bin Tana!“ Sie reichte dem Mädchen die Hand.
„M- Marie- Marie France Meunier. Ich bitte um Entschuldigung. Reginald hat mir nicht gesagt, was er vorhat. Ich bin überrascht. Aber ich freue mich, Reginalds Mutter kennenzulernen.“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit. Bist Du schon achtzehn, Marie France?“
„Seit einer Woche, Madame.“
„Tana! Dann darf ich Dich ja fragen, ob Du ein Glas Wein oder Sekt möchtest.“
„Danke, äh, Tana. Ja bitte. Rotwein bitte.“
Tana schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, hier hat man nur den zalitischen Rosé! Dafür das beste Steak vom Weidesaurier.“
„Natürlich“, wurde Marie France rot. „Bitte einen Rosé.“
Tana lächelte Marie France freundlich an. „Du sind also das Wunder, das meinen Sohn zu einer Balleinladung gebracht hat?“
„Er hat gefragt, Tana. Ich war selber ganz überrascht!“ Leise lächelte Marie vor sich hin.
„Selbstverständlich.“ Tana lächelte stärker. „Es sind immer die Männer, welche auf der Jagd sind!“ Beide Frauen sahen sich in die Augen, verstanden sich wortlos. ‚Die Männer sind die Jäger, aber erst, wenn wir Frauen es wollen. Sonst gibt es auf die eine oder andere Art eine kalte Dusche für ihn’ sagten ihre Blicke. Die Hände verschränkt und das Kinn darauf gestützt sprach Tana weiter. „Ich glaube, ich muss jetzt ein paar Spielregeln formulieren. Ich hätte zwar nicht gedacht, sie so schnell zu brauchen, aber es ist gut. Also, da Du jetzt praktisch zur Familie gehörst, solltest du vielleicht ebenfalls zum ‚du‘ übergehen. Zweitens, ich werde mich nicht, ich wiederhole nicht in Eure Beziehung mischen und ich werde, so schwer es mir fallen wird, keine ungebetenen Ratschläge von mir geben. Sollte ich es doch tun, bitte macht mich darauf aufmerksam. Gut, zuletzt, ich hatte Glück, meine erste Liebe hat recht lange gehalten. Ich sehe allerdings in meiner Umgebung, dass dieser Umstand eher die Ausnahme darstellt. Jetzt wird es schwierig. Marie France, ich möchte, dass du meine Worte wörtlich und ohne versteckte Drohung verstehst. Ganz direkt gesagt, falls du dich in Liebesdingen umorientieren solltest und aus irgendeinem Grund mit meinem Sohn Schluss machst, dann geht mich das nicht das Geringste an! Es ist DEIN Recht, dir einen Partner zu nehmen oder ihn zu verlassen, aus welchen Gründen auch immer!“ Tana lächelte wehmütig. „Manchmal kann man eben nicht mehr miteinander, niemand ist schuld.“ Sie wurde wieder ernst. „Sind wir uns einig?“
„Ich habe nicht vor, Reginald zu…“
Tana winkte ab. „Ich wünsche Reginald und Dir alles Glück der Erde. Meinetwegen auch ‚bis der Tod Euch scheidet‘, wirklich. Aber – Gunnar war ein guter Mann, eines Tages hat er mich trotzdem verlassen. Sag niemals nie, Kind.“
„Gut, Tana. Ich sage nicht nie, aber im Moment kann ich es mir schwer vorstellen!“ Marie France lächelte zu Reginald hinüber und ergriff seine Hand. „Jetzt, wo er sich für mich entschieden hat.“ Er nahm die Hand und führte sie an seine Lippen.
„Danke, dass Du ‚ja‘ gesagt hast.“ Ihre Augen versanken ineinander, und Tana schmunzelte. Sie hatte Maries Blick deutlich lesen können. ‚Aus Dir mach ich einen Mann, der nicht nur intelligent, sondern auch vernünftig ist.‘ Was konnte sich eine Mutter besseres wünschen?
„Ich glaube, ich beginne dich zu mögen, Marie France Meunier!“ sagte sie leise, doch das Mädchen hatte sie gehört und unterbrach den Blickkontakt zu Reginald.
„Danke, Tana Starlight. Ich glaube, ich dich auch.“ Beide brachen in Gelächter aus und prosteten einander zu.
***
Montreal, Kanada
Captain Rick Kenda, TBI, erwachte vom Geruch nach frisch gebrühtem Kaffee. Richtigem, gutem Bohnenkaffee. Sie räkelte ihre langen Glieder in der molligen Wärme und öffnete die Augen. Richarda lag in einem bequemen Doppelbett, vor den Fenstern wehte ein Schneesturm und zwang die Quebecer in ihre unterirdische Stadt. Die Schränke waren modern, aber aus warmem Holz, der Stil und die sparsamen Akzente wiesen eindeutig auf das Zimmer eines Junggesellen hin. Rick schwang sich aus dem Bett, schlüpfte in einen bereitgelegten Bademantel, von dem sie die Ärmel nur wenig aufschlagen musste, und folgte dem Geruch des Kaffees, in den sich nun auch noch der Duft nach bratendem Speck mischte.
Akiri, Rick und Sam hatten von der Verwaltung der Mine tatsächlich einen Namen erhalten, die Zukunft würde weisen, ob er etwas Wert war. Das Phantombild, das Sam nach Flys Angaben gezeichnet hatte, war auf jeden Fall unterwegs nach New York, die ‚Spooks’ hatten schon ihre Rechner angeworfen und ließen diese nach möglichen Übereinstimmungen suchen. Die Agenten aber hatten vier Tage Urlaub zugestanden bekommen. Akiri wartete auf ihren Flug nach Tokio, Sam war unterwegs nach Galacto City und Rick telefonierte.
„Moss?“
„Ian, ich habe ein paar Tage Urlaub. Hast Du Lust, mir eine Sehenswürdigkeit von Montreal zu zeigen?“
„Rick? Wann kommst Du?“ Ian Moss klang ehrlich erfreut, von Kenda zu hören. „Ich hole Dich ab. An welche Sehenswürdigkeit hast Du gedacht, Rick?“
Kenda grinste in sich hinein. „Ich dachte an den ‚Moss-Tower‘, wenn es nicht ungelegen kommt”, sagte sie leise.
„Wir haben doch in Montreal gar keinen… Oh!“ Es hatte ein wenig gedauert, bis der Cent gefallen war. „À votre service, Madame!“
Ian hatte sie am Flughafen erwartet, sie waren mit seinem schweren Pickup in seine Wohnung mit Aussicht auf den Lac Saint Louis gefahren, bereits im Lift hatten sie sich gierig und verlangend geküsst. Kaum dass die Tür der Wohnung ins Schloss gefallen war, hatten sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen und einfach zu Boden geworfen, dann hatte Captain Kenda einmal alle Sorgen loslassen und vergessen können…
„Guten Morgen!“ Ian stand mit seinen Boxershorts in der Küche und angelte die letzte Speckscheibe aus der Pfanne, die er dann weg stellte. Sie drückte sich an seinen Rücken und umfasste ihn, streichelte seinen Bauch und seine Brustmuskeln, währen sie ihr Kinn auf seine Schulter legte und sein Ohr küsste. Kurz genoss Moss das Gefühl, dann machte er sich frei und wies auf einen Tisch mit Sesseln.
„Setz Dich. Die Eier sind gleich fertig.“
„Ach, unwichtiger als ein Frühstück! Und das, nachdem ich dem Mann meine Unschuld geopfert habe“, jammerte Kenda, während sie Platz nahm.
Moss grinste. „Unschuld?“ Er ging auf das Spiel ein. „Ich war froh über die zusätzliche Schalldämmung, die ich eingezogen habe. Sonst könnte ich meinen Mietvertrag jetzt vergessen! Iss jetzt!“
„Jawohl, mein Herr und Gebieter”, salutierte Kenda übertrieben, grinste und griff nach einem Stück gebratenem Speck. „Schmeckt gut. Ich werde noch fett und bekomme einen riesigen Hintern. Womit soll ich das alles wieder abtrainieren? Und Du wirst schuld sein!“
„Versprochen?“ Ian nahm sich ebenfalls eine tüchtige Portion. „Du brauchst sowieso etwas Fleisch auf die Rippen.“
Sie öffnete den Bademantel und sah stirnrunzelnd an sich herab. „Tatsächlich?“ Sie hob ihr Bein und tastete mit den Zehen. „Oh! Da ist jemand aber ganz anderer Meinung!“
Rick nahm einen Schluck Kaffee. „Oh!“ Schnell schloss sie den Bademantel wieder und setzte ihr Bein ab. „Wir sollten uns Zeit für das Frühstück nehmen. Hast Du noch von diesem Kaffee?“
***
Der falsche Kamin erfüllte die Wohnküche Ians mit flackerndem, gemütlichen Licht, als die Sonne untergegangen war. Draußen tobte immer noch der eisige Schneesturm, doch in seiner Wohnung war es angenehm wohlig warm. Er betrachtete Richarda, die eben aus der Dusche kam, ihre wohlgeformten Glieder. Er konnte es kaum glauben, dass diese Frau gerade ihn angerufen hatte und ihren Urlaub mit ihm in Montreal verbringen wollte. Noch mehr Glück, auch er hatte ganz kurzfristig vier freie Tage bewilligt bekommen. Er hatte gerade noch Zeit gehabt, in seinen Wagen zu springen, um sie abzuholen. Sie war am Skyport aufgefallen. So große Frauen sah man nicht oft, und ihre eleganten Bewegungen, die an einen Panther erinnerten, zogen noch mehr Blicke auf sich. Mehr als ein neidischer Blick aus Männeraugen hatten ihn getroffen, als die dunkelhäutige Schönheit ihr Handgepäck losließ und ihm um den Hals fiel, um ihn zur Begrüßung erst einmal herzhaft zu küssen. Auch jetzt, als sie die Arme erhoben hatte, um ihre Haare zu trocknen, sich seinem Blick ganz hingab, konnte er seine Augen nicht abwenden. Sie bemerkte es, strahlte ihn an und drehte sich langsam im Kreis.
„Gefalle ich Dir?“ fragte sie über die Schulter, wackelte mit dem Gesäß und drehte sich weiter. Dann kam sie zu ihm, der auf der Couch saß, er zog sie näher und vergrub sein Gesicht in ihrem Bauch, seine Hände fuhren ihren Rücken abwärts. Sie drückte sich an ihn und beugte langsam ihre Knie.
***
Ian ergriff das lange, scharfe Messer und prüfte fachmännisch die Schneide. Offensichtlich damit zufrieden, setzte er den ersten Schnitt, rasch, ohne zu zögern, gleichmäßig tief zog er die Klinge über das Fleisch, setzte dicht daneben wieder an, wiederholte den Vorgang, bis ein gleichmäßiges Karomuster zu sehen war. Dann würzte er das Roastbeef mit Salz, Pfeffer und einer Spur Rosmarin. Rick presste den Saft aus den Orangen, der für die Sauce gebraucht wurde, während Moss das Fleisch anbriet. Immer wieder unterbrachen sie ihre Arbeit, weil einer von ihnen – oder eigentlich beide – einen Kuss wollten. Nur während des Bratvorganges konzentrierte sich Ian ausschließlich auf das Fleisch, drehte und wendete es, bis es von allen Seiten richtig angebraten war. Dann packte er das Roastbeef in einen viereckigen Glasbräter, goss den Orangensaft an und schob das Ganze in das Backrohr, stellte den Küchenwecker auf 40 Minuten. Er bückte sich, um noch einmal im Rohr nach dem Rechten zu sehen, der Anblick seines blanken Hinterteiles und der Kochschürze, die er vorgebunden hatte, war für Richarda zu verlockend, mit lautem Klatschen landete ihre Rechte auf der behaarten Backe.
„Na warte! Mein ist die Rache, sprach Ian Moss, und Gott muss sich begnügen mit dem, was er übrig lässt!“ Lachend verfolgte er die kichernde Richarda durch die Wohnung bis ins Schlafzimmer. Dort aber waren die Rachegedanken auch schon vergessen.
***
„Wir sind hier im ‚la tour Villeneuve‘, er ist benannt nach Gilles Villeneuve, einem Rennfahrer vor mehr als hundert Jahren. Das ist sein Bild, in jedem Lift hängt eines davon, er ist ganz in der Nähe geboren. Der Turm ist das höchste Gebäude von Montreal und mit seinen fast 900 Metern immer noch eines der höchsten weltweit, gebaut wurde er in den 2060ern. Besonders bei Nacht ist der Ausblick von den Terrassen unbeschreiblich. Nachdem der Schneesturm aufgehört hat, möchte ich in dir zeigen.“ Rick und Ian waren mit der Metro auf die Île de Sœur gefahren, immer im warmen, Ian hatte ihr versprochen, dass sie nicht ins Freie müsste. Der Anblick der Hügel mit ihren tausenden Lichtern, die sich in den Armen des St. Lorenzstromes spiegelten, war überwältigend. „Ich mache gerne Reisen”, erklärte Ian. „Aber zu Hause möchte ich hier sein, in der ‚Belle Provence‘.“
Rick nickte. „Ich kenne das Gefühl. Wenn ich an GC denke, den Blick auf den Goshun-See, die vielen Parks, ringsum die Wüste. Die schwebenden Gondeln der öffentlichen Verkehrsmittel, der GCC – Tower.“ Sie lehnte sich an ihn. „Da habe ich das gleiche Gefühl wie Du jetzt.“
„Und trotzdem bist Du hier?“ er legte seinen Arm um ihre Schulter.
„Trotzdem.“ Sie drehte sich zu ihm, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn. „Es hat keine Zukunft, Ian. Es kann keine haben. Aber trotzdem wollte ich Dich wieder sehen.“
***
Die Abflughalle des Montreal Shuttle Service Terminal war erfüllt von wartenden und eilenden Menschen. Erfahrungsgemäß würde es in der Boardingzone ruhiger sein, doch Richarda und Ian zögerten den Abschied noch ein wenig hinaus.
„Ian, ich..“
„Ich auch”, unterbrach er sie. „He, ich bin selber Cop! Ich kenne das, warum denkst Du, bin ich nicht verheiratet. Wenn Du wieder nach Montreal kommst, ruf mich an, ja?“
„Vielleicht besuchst Du mich einmal in GC? Wenn ich wieder aus New York zu Hause bin.“
„Ich ruf Dich an, Schönheit!“
„Und ich Dich, Cowboy!“ Ein letzter inniger Kuss, Kenda ging hüftschwingend zum Eingang der Gates, wandte sich noch einmal um, lächelte Kenda zu und ließ ihr Ticket scannen. Dann verschwand sie durch das Drehkreuz. Ian Moss wartete noch etwas, schüttelte den Kopf frei und ging zu seinem Wagen.
„Zentrale, Moss meldet Bereitschaft. Standort Shuttle Terminal, fahre zur Stadt.“
„Zentrale bestätigt, Captain Moss!“
Das Shuttle der TWA mit dem Ziel New York flog über die Niagarafälle nach Südsüdost. Kenda holte ihr Pad hervor und lud die neuesten Informationen herunter, es wurde Zeit, sich wieder auf den laufenden Stand zu bringen. Bald würde sie wieder als TBI – Agent im Dienst sein, aber bei dem Gedanken an vier Tage ohne Nachrichten, aber mit Ian stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen und ein kleiner Kloß in ihren Hals. Ob es wohl ein Wiedersehen geben würde? Sie hoffte es…
Anker auf und Leinen los!
Dezember 2083
Irgendwo im Universum
An Bord der ATZ I
Es war der Tag der Ahnen. In jeder Sippe der galaktischen Händler wurde ein solcher Tag gefeiert, wenn auch nicht von jedem Clan zum selben Datum. Es war ein Tag, welcher der Erinnerung an die Vorfahren gewidmet war, ihr Leben, ihre Taten, ihre Geschäfte. Genau genommen waren es ja drei Tage, damit jede Schicht der Besatzung eines Springerschiffes ihren freien Tag bekam, den ganzen Tag, denn es musste natürlich jederzeit die Kampf- und Manöverbereitschaft der Schiffe gewährleistet sein. So teilten sich jeweils zwei Schichten den Dienst der dritten, damit diese in aller Ruhe ihre Gedenkfeiern abhalten konnte. Üblicherweise zogen sich die Schiffe einer Sippe an diesen Tagen in einen engen Orbit um eine einsame Sonne zurück, wo die Wahrscheinlichkeit einer Störung so gering wie möglich war.
Auch die Art der Gedenkfeiern war natürlich von Sippe zu Sippe unterschiedlich, die Händler waren bei aller Tradition und Treue zueinander und zu ihrem Volk große Individualisten, das einzig verbindende waren die Stammbäume mit den Abbildungen der genetischen Codes, die auf jedem Schiff der weitläufigen Familienverbände aufbewahrt wurden, und in die jede Geburt mit DNA-Profil eingetragen wurde. Einmal im Jahr landete jeder Patriarch auf der gemeinsam verwalteten Hauptwelt, wo sich auch der physische Hauptsitz der Springerbank befand, dann wurden die Stammbäume auf den neuesten Stand gebracht, Geburten, Schiffswechsel, Todesfälle. Alles wurde in den Sippenrollen, wie die Händler sie auch im Zeitalter der nanotronischen Speichermedien nannten, eingetragen. Theoretisch konnte so jeder Springer jederzeit auf jedem Schiff seine Urahnen seit der Gründung der Sippen zurückverfolgen. Für so manchen wäre die Überraschung groß gewesen, von welcher Familie er ursprünglich stammte. Üblicherweise wurden diese genetischen Profile allerdings nur herangezogen, wenn ein Paar den Wunsch nach einer Partnerschaft und Fortpflanzung verspürte. Die Clans gingen so wenig Risiko wie nur möglich ein, was genetische Unverträglichkeiten, Inzucht und Erbkrankheiten anging, trotzdem wurden natürlich immer wieder Kinder mit verschiedenen Handicaps geboren. Aber irgendeine sinnvolle Beschäftigung fand sich dann doch für jeden, und niemand musste verhungern.
Heute gedachte die Sippe Atzgols also ihrer Vorfahren und hatte sich dazu in das System eines braunen Zwergsterns zurück gezogen. Menschen von der Erde hätten die Sonne als Spektralklasse L eingeordnet. Das System bestand aus einem Planeten und seinem Mond, beides lebensfeindliche und karge Himmelskörper, ohne Lufthülle, ohne Wasser, ohne Wert für die galaktischen Händler, ideal, um ungestört zu bleiben. Der Zwergstern verfügte über immerhin genug Corona, um noch einen veritablen Ortungsschutz und größtmögliche Sicherheit zu bieten. Alle fünf Schiffe der Sippe hatten sich eingefunden, der weitschichtige Familienverband war, soweit noch am Leben, zu größten Teil versammelt. Mehr als tausend Clanmitglieder hatten sich im Festsaal eingefunden, hatten sich, nach Familien und Familiengruppen eingeteilt, unter großen Bildschirmen, auf denen die hervorstechendsten Genmerkmale der Familien und Gruppen abgebildet waren, versammelt und warteten. Stetiges Gemurmel erfüllte jetzt noch den Raum, man begrüßte einander, suchte den näheren Kontakt zu dem einen oder mied den anderen. An diesem Tag schwiegen traditionell die unvermeidbaren Zwistigkeiten, die in jeder Menge Menschen, selbst in den engsten Familienkreisen, vorkamen. Deswegen suchte man aber nicht unbedingt die Nähe eines Menschen, den man nicht wirklich mochte. Man hielt ihm nur die Treue. Und heute war der Tag, an dem die engen Banden und Loyalitäten der Sippe und der Familie neu geknüpft und bekräftigt wurden. Auch wenn die Händler tausende Götter von hunderten Planeten inklusive der arkonidischen anriefen und bei ihnen fluchten, im Herzen glaubten sie zwar an eine ordnende Macht, eine übergeordnete Energie im Universum, nicht aber an eine oder mehrere allmächtige Gestalten, die für Gebete empfänglich waren oder diese gar verlangten. Aber sie wussten dafür etwas anderes ganz genau. Sie wussten um die Macht von Ritualen, nicht um ‚Götter‘ zu beeinflussen, sondern Menschen. Selbst wer den Sinn des Rituals genau kannte, war empfänglich für seine Macht, auch der Zeremonienmeister konnte sich ihm in den wenigsten Fällen entziehen.
In der Mitte des Raumes war ein Pult mit einigen Utensilien aufgebaut, dort stand Atzgols engste Familie. Seine Mutter, seine zwei Brüder mit ihren Frauen und ihren Kindern, seine fünf Söhne und nun auch Maghra, die man über den Ablauf der Zeremonien informiert hatte. Für sie war es das erste Mal, dass sie diesen Tag mit ihrer neuen Familie beging, bisher hatte man sie immer als ‚Sippenmitglied ohne Familie‘ geführt. Auf dem Wasserplaneten von Atzgols Stern war der Tag ohnehin nur symbolisch und kurz gefeiert worden, der Patriarch nie anwesend. Planetar lebende Sippenmitglieder mussten eben damit zurechtkommen, es blieb die Gewissheit, dass sie ein anderes mal an diesem Tag an Bord eines Schiffes sein konnten. Vor kurzem erst in die engere Familie adoptiert, fühlte sich Maghra bereits geborgen und wohl behütet, als echtes Familienmitglied. Ihre Onkel hatten sie mit familiären Umarmungen begrüßt, einer ihrer Cousins hatte ihr vertraulich zugezwinkert.
„Ich habe es Dir prophezeit, Cousine, ich habe Dir immer gesagt, in Dir steckt eine Menge Köpfchen. Ich freue mich für Dich und mit Dir. Willkommen!“ flüsterte er ihr ins Ohr. Ihre Vergangenheit war natürlich kein Geheimnis, und jeder ihrer neuen männlichen Verwandten hatte sie in ihrem früheren Leben bereits besucht, vorbei, kein Thema mehr. Keine Anzüglichkeiten, keine abfälligen Bemerkungen, sie war Atzgols Tochter, das allein zählte.
Der Patriarch Atzgol ging gemessenen Schrittes durch den Raum und trat an das zentrale Pult. Dort füllte er destilliertes Wasser in einen Diffuser und fügte einige wohlriechende ätherische Öle dazu, schaltete den Vernebler ein und startete den Antigrav. Das Gerät stieg in die Höhe und flog von Familiengruppe zu Familiengruppe, auf Bahnen, die schon vor langer Zeit festgelegt waren. Die Düfte erfüllten nach und nach den Raum, in jeder Familie nahm das Oberhaupt einen bereitstehen großen Glaskelch mit gutem zalitischen Rosé, nahm einen Schluck und ließ jedes Familienmitglied von dem Wein trinken. Rituelle Worte und Segen wurden gesprochen, gute Wünsche formuliert, und immer wieder, von allen die Worte:
„Blut von meinem Blut!“ Den Rest des Weines kippte er in einen weiteren Kelch, welchen er mit den anderen Oberhäuptern seiner Großfamilie teilte.
„Geist von meinem Geist!“ intonierten die Familien. Dann teilten die Höchsten dieser Familiengruppen einen Kelch mit dem Oberhaupt der Sippe, mit Atzgol, der zuvor natürlich mit seiner Familie die Zeremonien ebenfalls durchgeführt hatte.
„EINE SIPPE, EINE KRAFT!“ rief die Menge, als Atzgol den Kelch leertrank und in einer Klarstahlschale zerschmetterte. Heute nur noch Sitte, hatten in alten Tagen die Seher, die Priester aus den Scherben das Glück der Sippe gelesen. Vor tausenden Jahren, als sie noch an Götter und Schicksale glaubten.
Jedes Clanmitglied hatte nun symbolisch mit dem Patriarchen getrunken und ‚ein Opfer gebracht‘, wie man den Vorgang immer noch nannte, alle waren ein Stamm, eine Sippe, mit unlösbaren Banden verbunden. Dann setzten sich die Anwesenden auf bereitgelegte weiche Polster, um in stiller Einkehr der Ahnen und der Vergangenheit zu gedenken, die Stärken und Leistungen der Alten in die Gegenwart zu holen und die Bindungen im hier und jetzt zu stärken. In Atzgols Gedanken schlichen sich Erinnerungen an einen unseligen Tag, damals, als sein Vater Atztak noch Patriarch war. Damals, es schien ihm wie gestern zu sein. Damals, als der Ortungsoffizier seltsame Echos aus dem System einer blauen Riesensonne erhielt. Damals…
***
„Ortung an Patriarch. In dem System dieser blauen Riesensonne querab unseres Kurses gibt es Aktivitäten unbekannter Art!“ Atztak verließ sein Büro und suchte die Brücke auf.
„Nähere Informationen?“ Der Offizier hatte das letzte aus seinen Ortungsgeräten heraus geholt.
„So seltsam es klingt, Herr, aber dort scheinen Topsider gegen Topsider gekämpft zu haben, es gibt noch schwache Echos. Ein arkonidisches Schlachtschiff dürfte auch involviert gewesen sein, und dann gibt es noch Schwingungen, die nicht eindeutig zu identifizieren sind. Als kämen dort uralte Ionentriebwerke zum Einsatz.“ Atztak erinnerte sich an eine Sage aus grauer Vorzeit, von der er früher, in Kindertagen gehört hatte.
„Soll es in dieser Gegend nicht auch einen Planeten des ewigen Lebens geben? Als Kind habe ich von meiner Mutter davon gehört.“
„Ich auch, Herr!“ Ofghor lachte. „Aber ich würde mein Bankkonto eher auf die Möglichkeit eines neuen Marktes setzen, wenn ich wetten müsste, was wir dort finden!“
Auch Atztak lachte laut und nicht unzufrieden. „Unzweifelhaft! Ganz unzweifelhaft. Phantastische arkonidische Ammenmärchen!“
Cochnor wandte den Kopf. „Der Mathematiker Pierein von der ATZ III hat einmal errechnet, dass es diese Welt tatsächlich gibt, Herr. Und sie soll in dieser Gegend liegen, das ist richtig!“
Atztak lachte noch lauter. „Schön, Cochnor. Du darfst Kurs auf die Riesensonne nehmen und sehen, was es mit diesem Märchen auf sich hat. Aber vorsichtig, wenn sich dort einige Idioten noch immer die Schädel einschlagen sollten, möchte ich zuerst wissen, ob sich ein Risiko lohnt und tatsächlich etwas zu holen ist. Wir wollen Geschäfte machen, keinen Krieg. Also, wenn ich bitten darf…“, Ein sarkastisches Grinsen ließ ihn die Zähne blecken, „…möglichst unauffälliges Erscheinen und so schnell wie möglich in einen Ortungsschatten.“
Der Transit geschah gleichzeitig mit dem einer topsidischen Flotte, die aus dem System sprang. Die ATZ I konnte so unbemerkt auf einem Mond des äußersten Planeten landen. Sofort wurde eine passive Drohne ausgesandt, die über den Horizont blickte und zuerst einmal die elektronischen Ohren spitzte, es herrschte rege Kommunikation im System. Zumeist, das machte es für die Funker Atztaks leichter, in der Sprache des großen Imperiums. Sehr Interessant, Arkoniden, Ferronen, Terraner und diese Echsen von Topsid, in zwei Lager gespalten. Ein Handelsvertrag zwischen Ferrol und Terra? Zuerst lachte der Offizier an der Kommunikationsanlage knurrend und zornig, dann Atztak selber.
„Handel ohne uns? Das wird es nicht geben! Es ist unser Monopol! Aber zuerst einmal weiterlauschen, dieser Riesenkugel sind wir allein nicht gewachsen. Richtspruch an die ATZ II, unsere Flotte soll sich in der Nähe bei folgenden Koordinaten sammeln.“ Dann überlegte er kurz. „Was soll’s, Atzmar soll Topthor anrufen und die Situation schildern. Ein paar von den Kampfraumern der Überschweren könnten wir gegen diese STAHDU gut brauchen, auch wenn die Arkoniden wertlose Schlafmützen sind. Aber er soll versuchen, einen guten Preis auszuhandeln!“
Beinahe wäre in der Fülle der Informationen drei winzige, aber die Zukunft entscheidende Hinweise untergegangen. Doch Meikhja war eine aufmerksame Zuhörerin, der nicht leicht etwas entging, und so erfuhr Atztak, dass die Terraner für einen Arkoniden die Welt des ewigen Lebens suchten und bereits eine Spur gefunden hatten, zumindest ihrer Meinung nach. Atztak beschloss, sich noch weiter in Geduld zu üben. Unsterblichkeit – der Preis war schon ein wenig Aufwand und ein gewisses Risiko wert. Dann kam einer dieser Leichtkreuzer, welche die STAHDU an Bord hatte, in das System gesprungen und wurde eingeschleust. Atztak fluchte laut und anhaltend, zerzauste seinen sonst so gepflegten Bart.
„Hat denn keiner den Absprung des Zwerges geortet? So weit weg kann der nicht liegen! Nicht bei der Reichweite eines Leichtkreuzers!“ Betretenes Schweigen antwortete dem Patriarchen, es hatte tatsächlich niemand auf Absprünge in der Umgebung geachtet.
Einige Zeit später verließ das große Arkonidenschiff das System der blauen Riesensonne, nur sechs Leichtkreuzer blieben im System der von den Terranern ‚Wega’ genannten Sterns zurück. Die Ortungsgeräte der ATZ I verfolgten die Flugbahn der STAHDU und tatsächlich gelang es Atztak, das Schiff vorerst unbemerkt von System zu System zu verfolgen, bis ein Sprung die STAHDU zu einem unsichtbaren Gravitationsfeld mitten in die Leere zwischen den Sternen führte. Atztak überlegte rasch. In einem Planetensystem konnte man mit viel Glück und Geschick bei der Auswahl des Ankunftsortes seinen Sprung tarnen, und Atztaks Offiziere waren auf allen Raumstürmen geritten, aber mitten im Nirgendwo war jedes Verstecken unmöglich. Er wandte sich per Richtspruch an seine von Topthor verstärkte Flotte, er musste die Terraner jetzt wohl stellen und das Geheimnis von ihnen erzwingen. Also übersandte er der Flotte die Koordinaten und gab den Sprungbefehl.
39 Schiffe Atztaks und zwanzig Kriegsschiffe Topthors materialisierten in der Mitte von – einer Menge Nichts. Nun, nicht ganz Nichts, denn natürlich gab es die übliche Materiedichte, zumeist Wasserstoff und Heliumatome. Und – eine viertel STAHDU, nun nur noch eine achtel, das arkonidische Schiff war verschwunden. Atztak raufte seinen Bart, den er erst vor kurzem wieder in Form gebracht hatte und der beinahe bis zu seinem Gürtel reichte.
„Atztak, hast Du gesehen, was ich gesehen habe?“ Auf einem Kommunikationsschirm war das grünhäutige, breitflächige Gesicht eines Überschweren erschienen. Diese Unterart der galaktischen Händler lebte vom Kampf, mit dem Kampf und für den Kampf. Ihre Flotte wurde von der Gesamtheit der Springer unterhalten, ein gewisser Prozentsatz jedes Gewinnes ging an die Zentralbank und wurde nach einem Schlüssel den Kampfflotten zur Verfügung gestellt. Dafür konnte jeder Patriarch jederzeit wirklich schlagkräftige Schiffe anfordern, wenn seine bewaffneten Handelsschiffe zu schwach schienen. Zu einem gewissen Preis natürlich, falls es zum Kampf kam, auch wenn Überschwere den Kampf liebten, ihr Leben war teuer, ebenso wie ihre Ausrüstung.
Die Schiffe der Überschweren waren etwas wuchtiger als die üblichen Handelsschiffe gebaut, die üblicherweise ein Längen–Durchmesserverhältnis von 1:5 aufwiesen. Die Schlachtraumer waren im Normalfall etwa 700 Meter lang und 155 im Durchmesser, was ein Verhältnis von 1:4,5 ergab. Die Handelsraumer der Sippen hatten bis auf seltene Ausnahmen acht bis zehn Geschütze an Bord, zumeist Thermostrahler, die Schlachtraumer 35, in den Schiffen herrschten die von dieser Subspezies bevorzugte doppelte Erdschwerkraft. Im Schnitt etwa hundertfünfzig Zentimeter groß, erreichte die Schulterbreite der Überschweren fast immer das gleiche Maß, wer den Begriff ‚Quadratschädel’ geprägt hatte, musste einen der ihren vor Augen gehabt haben. Sie liebten es physisch und rau, Philosophen und Künstler fand man nicht unter ihnen. Als Ideal galt ihnen eine einfache Lebensweise, Entbehrungen gehörten zum Alltag. Jeder Anführer bis hin zum Patriarchen musste sich regelmäßig im Kampf Mann gegen Mann beweisen, mit bloßen Händen und Füßen, treten galt nicht als unehrenhaft, nur beißen, kratzen und spucken. Wurde er schwach, löste ihn ein anderer ab. Die Ehre, das Oberhauptes einer Sippe zu sein, konnte man nicht erben, man musste sie sich erkämpfen. Ihre Bärte trugen sie, in der Mitte geteilt, im Nacken mit teilweise wertvollen Spangen aus edlen Metallen mit vielen Edelsteinen zusammen gebunden, um im Kampf nicht von ihnen gestört zu werden, das Haar war meistens möglichst kurz geschoren. Ihre Frauen hatte noch kaum jemand zu Gesicht bekommen, die wenigen Informationen besagten, dass sie sich optisch nur durch das Fehlen der Bärte und das Tragen nackenlanger Frisuren unterschieden. Da die einzigen, die je eine nackte Überschwere gesehen hatten, ihre Familienangehörigen waren, die man lieber nicht danach fragen sollte und wollte, blieb ihre Figur weiterhin ein ungelöstes Geheimnis der Galaxis. Aber ihre Männer werden sie zweifellos bezaubernd und schön gefunden haben und umgekehrt, immerhin war die Spezies noch nicht ausgestorben.
„Topthor!“ Atztak lachte bellend. „Ich bin froh, dass Du fragst. Ich habe schon an meinen Geräten, meinen Augen und meinem Hirn gezweifelt!“
„Verdammt! Na schön!“ Topthor schlug mit der Faust nach einer Strebe, um sich abzureagieren. „Es war kein Transit, wie wir es gewöhnt sind. Warten wir ab? Vielleicht erscheint die Arkonkugel genauso wieder, wie sie verschwunden ist.“
„Wir sind ihr bis hierher gefolgt.“ Atztak zog einen Kamm hervor und ordnete seinen Bart, eine offensichtliche Übersprungshandlung. „Ich schlage vor, dass ich meine Schiffe locker verteile und ein möglichst großes Gebiet mit den Sensoren abdecke, während Du die Schlachtschiffe und ein paar von meinen Einheiten kampfbereit hältst.“
Topthor kratzte sich am Kinn unter seinem Bart. „Der Vorschlag klingt brauchbar. Einige Zeit können wir schon noch investieren. Machen wir es so.“
Atzgols Laune war auf einem Tiefpunkt angelangt. Kaum war dieses Gespräch mit Topthor beendet, hatte ihn sein Vater Atztak zu sich bestellt.
„Sohn, ich will kein Wort der Widerrede hören. Du packst Deine Frau und Dein Kind, dazu noch meine Frau, meine Mutter und Deine Brüder. Du bringst sie zur ATZ XV und schickst mir Onkel Atznar. Übernimm das Kommando über die XV, ich gebe Dir einen schriftlichen Befehl mit. Dann steuerst Du die XV an den äußersten Überwachungsring und bleibst dort.“
„Vater…“ hatte Atzgol angehoben zu sprechen.
„Ich habe gesagt, keine Widerworte. Ich vertraue Dir unsere Familie an, verstehst Du? Du bist jung und halbwegs intelligent!“ Ein solches Lob hatte Atzgol selten zu hören bekommen, er staunte und hörte weiter zu. „Es ist wichtig, dass jemand überlebt, was immer geschieht. Ich gebe Dir die XVI und die XVII auch mit. Der Preis hier ist gewaltig und lohnend, aber wie immer ist das Risiko bei einer solchen großen Chance auch verdammt hoch. Ich gehe es ein, aber die Familie, die Sippe muss überleben.“ Der Alte umarmte seinen Sohn, ein selten praktizierter Zuneigungsbeweis. „Und jetzt bring Deinen schwabbeligen Hintern und Deinen Hohlkopf auf die XV und nimm die Familie mit! Keine Diskussionen mehr, beim eisigen Arsch, was bin ich doch gestraft mit Dir renitenten Sohn! Werde, wenn mir etwas geschieht, ein kluger Patriarch. Und jetzt, Abflug, rasch, rasch!“
So war Atzgol in eine Fähre gestiegen und mit der Familie auf das andere Schiff gewechselt. Dort hatte er seiner Frau die Einrichtung seiner neuen Wohnung überlassen und war mit der XVI und XVII an den Rand der Flotte geflogen, um dort ein möglichst großes Raumgebiet zu überwachen. Dann war die STAHDU auf ebenso seltsame Art und Weise, wie sie verschwunden war, wieder erschienen. Langsam, als stiege sie aus einem unsichtbaren See, kam das Schiff zum Vorschein.
„Terraner und Arkoniden!“ Topthors Stimme dröhnte aus allen Lautsprechern der Flotte und wurde sicher auch auf der STAHDU gehört. „Deaktivieren Sie Ihre Schilde und ergeben Sie sich.“ Auf den Schirmen erschien das Bild eines hageren Mannes mit graublauen Augen und einer Arkonidin.
„Wer immer Sie sind, ich gebe Ihnen die Chance, einfach abzuziehen. Dann wird Ihnen nichts geschehen. Niemandem muss hier und heute sterben!“
Topthor lachte rau. „Sie sind nicht in der Lage, Drohungen auszusprechen oder Forderungen zu stellen, Terraner! Entweder geben Sie jetzt auf, oder Sie sterben. Zwanzig meiner Schiffen ist auch ein Schlachtraumer wie der ihre nicht gewachsen! Sie haben genau dreißig Ihrer Sekunden. Ab jetzt!“
„Dann sollten Sie sich von Ihrer Familie verabschieden!“ Rhodan blickte den Überschweren kalt an. Topthor hob die Faust in Schulterhöhe und holte tief Luft.
„Feuer!“ Die Arkonidin neben Rhodan musste den Ansatz der Geste und ihre Bedeutung erkannt haben, ihr Befehl kam dem Topthors zuvor.
Atzgol würde das Folgende nie wieder vergessen. Purpurfarbene Strahlen griffen unvermittelt nach acht der Schlachtschiffe der Überschweren, die Schirme brachen sofort in sich zusammen und boten die Stahlwände schutzlos den folgenden Thermos-, Impuls- und Desintegratorstrahlen dar, das Wirkungsfeuer brach durch die Außenhüllen und die Schlachtraumer explodierten. Noch ehe Topthor etwas sagen konnte, hatte er acht Schiffe verloren, er riss die Faust nach vor und gab damit den Befehl, das Feuer zu erwidern. Das Feuer aus den Geschützen der restlichen 12 Schlachtschiffe Topthors tastete nach den Schilden der STAHDU, die kurz flackerten und beinahe zusammen brachen, ehe die Korpuskulartriebwerke die STAHDU beschleunigten, sie aus dem Fokus der Energiewaffen brachten und die Schirme sich wieder stabilisierten. Einige Thermostrahlen waren zwar durchgeschlagen, aber weit genug abgeschwächt, dass sie nur geringe Schäden anrichteten.
Die Schiffe Atztaks schlossen auf, um ihr Feuer mit dem der Schlachtschiffe zu vereinen, die STAHDU einzukugeln und die Schilde doch noch zu überlasten. Rhodan und Thora waren immer noch auf den Bildschirmen der Springerschiffe zu sehen.
„Letzte Warnung, wenn Sie nicht sofort abdrehen und sich entfernen, wird das ihr letzter Fehler!“ Rhodan sprach eindringlich, doch Topthor lachte nur zornig.
„Niemals, Terraner! Ihr müsst sterben, wenn Ihr Euch nicht ergebt! Versteht ihr! Sterben!“, tobte der Patriarch der Überschweren. Und wieder griffen acht purpurne Strahlen nach ebenso vielen Schiffen Topthors und brachten die Schirme zum Zusammenbruch, wieder durchbohrte das Wirkungsfeuer der STAHDU die Schiffswände und brachte Meiler zur Explosion oder setzte die Schiffe anderweitig außer Gefecht. Wieder und wieder tasteten die unbekannten Strahlen nach den Schiffen Atztaks, die Angriff auf Angriff flogen, die nachfolgenden Waffen zerstörten mitleidlos ein Schiff nach dem anderen, kein Schild konnte den neuartigen, nie gesehenen Strahlen widerstehen. Topthor ergriff mit seinem letzten Schiff, das zwar schwer beschädigt, aber noch sprungfähig war, die Flucht und übersandte das Absetzsignal. Atzgol wartete nicht lange. Er befolgte den Befehl seines Vaters und des Überschweren, er floh, wartete am vereinbarten Fluchtpunkt auf Überlebende. Eine geschlagene Flotte traf ein, Atztak und Topthor hielten sofort eine Konferenz ab.
„Der Terraner muss etwas gefunden haben!“ Topthor lachte brüllend, bei ihm ein Zeichen seiner Wut. „Eine solche Waffe gab es noch nie bei den Arkoniden!“
„Aber die Zeit!“ wandte Atztak ein. „Die Zeit reichte doch niemals zu einem Einbau von acht solcher Waffen!“
„Der Sage nach sollen die Wesen, welche die Welt der Unsterblichkeit bewohnen, auch Meister der Zeit sein!“ Während er sprach, drosch Topthor auf seinen Kommandantensessel ein. „Bei den acht Titten von Brghuphul, meine TOP I ist ein halber Schrotthaufen, neunzehn meiner Schiffe sind mit Totalschaden verloren. Das kann so nicht stehen bleiben. Ich rufe den Rest meiner Flotte, und dann nehmen wir uns das System mit dieser blauen Riesensonne vor. Dort wird doch jemand wissen, wo dieser Terraner ist! Und dann empfehle ich ihn der Gnade der Herrin mit dem gefrorenen! Ich kenne keinen Pardon mehr mit ihm! Ich will Rache nehmen und die Unsterblichkeit! Wie viele kampffähige Schiffe hast Du noch, Atztak?“
Atztak überschlug rasch seine Tabellen. „20 Unbeschädigte oder mit leichten Schäden!“ Topthor lachte rau und begann, seinen Bart neu zu ordnen.
„Nun gut, ich kann noch 32 hierher beordern. Dann Sprung zum System.“
„In der Zwischenzeit könnte ich vielleicht drei oder vier Schiffe zum Schlachtfeld senden, vielleicht gibt es noch Überlebende zu bergen. Ich habe nicht viel Hoffnung, aber will auch nichts unversucht lassen!“ Atztak fuhr dich mit beiden Händen über das Gesicht. „Zudem ist es üblich“, kam er einem Einspruch zuvor, Topthor nickte schließlich.
„Rette, wen Du kannst! Drei Schiffe.“
Die drei Schiffe waren die XV, die XVI und die XVII, die den Befehl erhielten, sich für ihre Mission Zeit zu nehmen. Sie fanden nicht mehr viele Überlebende in den Wracks. die Terraner hatten selber schon gesucht, doch die meisten Angehörigen der Sippen hatten lieber Selbstmord begangen und die Schiffe, wenn möglich, selbst gesprengt. Die 15 Springer, die Atzgol fand, waren in einem Wrack versteckt und hatten keine Gelegenheit zur Sprengung gefunden, waren aber den Suchrobotern der Terraner entgangen. So kehrte er zum Treffpunkt zurück und wartete. Nach einer Woche wusste Atzgol endgültig, dass diese drei Schiffe der letzte Rest seiner Sippe waren und er der neue Patriarch. Er schwor, den Kampf seines Vater fortzusetzen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Eines Tages würde die Strafe über die Terraner und ihr Oberhaupt hereinbrechen. Eines Tages wäre die Ehre der Sippe Atz wieder hergestellt und eines Tages konnte er wieder das Leben eines normalen Springers führen. Irgendwann würde es so weit sein!
***
Er erhob sich, legte den Kopf in den Nacken und bedeckte das Gesicht mit den Händen, alle Sippenmitglieder taten es ihrem Patriarchen gleich.
„Lasst uns das Leben und die Familie feiern! Bitte, seid meine Gäste!“ Nach diesen Worten breitete er seine Arme aus und trat beiseite, im Boden zeigte sich ein Spalt, durch den eine lange Tafel mit reichhaltigem Buffet gehoben wurde. Atzgol hatte die Sippe wiederholt zu Wohlstand geführt, heute bewies er, dass der Clan noch über einige Mittel verfügte. Es wurden die besten Gerichte und Weine von dutzenden Welten angeboten, der Tag der Ahnen endete wie immer in einer Schlemmerei. An den folgenden Tagen würde Atzgol den Ritus noch zwei Mal wiederholen. Jeder hatte das Recht, mit dem Patriarchen einmal im Jahr zu trinken, zu opfern und letztendlich zu essen. „Blut von meinem Blut, Geist von meinem Geist, eine Sippe, eine Kraft“ hielt Familie und Clan zusammen. „Gestern, heute, morgen, bis wir alle längst wieder zu Atomen zerfallen sind“, wie es die Oberhäupter der Familien bei Geburten und Adoptionen gerne intonierten.
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New Orleans, Louisiana, USA
New Orleans! The ‚Big Easy‘, zwischen Lake Pontchartraine und dem Mississippi gelegen, war eines der emotionalen Ventile der USA. Hier regierte die ‚Sünde und das Laster‘, wie viele Prediger unermüdlich jammerten. Ganz besonders ausgelassen ging es im ‚French Quarter‘, das man auch ‚Vieux Carre‘ nannte, zu. In dieser Stadt war vieles erlaubt und alltäglich, das im Rest der Staaten verboten war, von wenigen Orten wie Las Vegas – wo allerdings das Glückspiel im Vordergrund stand – oder Los Angeles mit Hollywood – wo alles, das nicht Durchschnittlich war, im Vordergrund stand – einmal abgesehen. Durch das French Quarter, und hier wiederum speziell durch die Bourbon Street zog abends der süßliche Geruch von Cannabis in dicken Schwaden von den Balkonen und Galerien mit den hübschen, durchbrochenen Geländern und Pfeilern aus Schmiedeeisen, unverändert seit über 350 Jahren. Die Polizei sperrte die Straße der Bourbonen jeden Abend, wenn die Feiernden ausgelassen und johlend durch diese Straße zogen. Voodoo- und Souveniershops teilten sich den Platz mit hochkarätigen Speiselokalen, hervorragenden Jazz- und teuren Nachtclubs, dazwischen eine Nische von etwa acht mal zwei Meter mit einer Theke, wo ausschließlich des Nachts der für New Orleans typische Hurrikane Punch verkauft wurde, in Gläsern oder großen Glasballons zum Umhängen mit Trinkhalmen. Dort hatte ein Stripclub weit geöffnete Türen und Fenster, um Kunden anzulocken, wenige Meter weiter zogen sich junge und weniger junge Frauen – allesamt Touristinnen – auf einer Bühne unter dem Johlen und Beifall der anderen Gäste bis auf die Unterhose oder sogar noch weiter aus. Die vom Publikum zur Siegerin der Show Gewählte bekam eine Urkunde und einen Zweiliterkrug ‚Big Ass Beer‘, zwei Stunden später begann der nächste Wettbewerb.
Nirgendwo war abends auf den Straßen so viel blanke Haut zu sehen, manche Frauen trugen Hot Pants, die aus weniger Stoff bestanden als das ganze Jahr über ihre Unterhöschen. Im Dezember, Jänner und im Hochsommer, wenn es in der Stadt unerträglich heiß und übelriechend wurde, war es etwas ruhiger im Big Easy, aber Oktober, wenn das ‚Open Air Jazz- and Bluesfestival‘ auf dem Lafayette Square stattfand, oder im Februar zum Superbowl kochte die Stadt, und das nicht eben auf kleiner Flamme. Wenn irgendwo in den USA eine Prostituierte (so dieses Gewerbe in diesem Staat und der Stadt überhaupt erlaubt war) auf die Straße ging, trug sie meistens mehr an Kleidung als die meisten Touristen in dieser Stadt, und professionelle Damen im French Quarter konnten auf der Straße kaum weniger tragen, als sie tatsächlich anhatten. Schuhe und ein winziges Stoffblättchen, das irgendwie befestigt war und eigentlich keinen Raum für Phantasien oder Spekulationen bot. Vielleicht noch ein wenig Glitzerspray und natürlich jede Menge Farbe im Gesicht. Die Polizei verhielt sich als einzige zurückhaltend im French Quarter und drückte alle Augen zu, solange es nicht zu Gewalttaten kam. Dann konnten die Polizisten auch schon ziemlich hart durchgreifen, aber wegen nackter Haut und etwas Dope bewegten sie ihre Pferde keinen Schritt mehr. Als letzte Stadt hielt New Orleans noch an den Berittenen fest, auf der Bourbon Street hatten sie sich mehrmals gut bewährt. Schon der erhöhte Aussichtspunkt brachte in diesem Gewühl von menschlichen Körpern große Vorteile.
Tagsüber war New Orleans eher ruhig und verschlafen, vor allem die Besucher – von denen es in der angenehmen Jahreszeit oft mehr gab als Einheimische – tankten Kraft für die nächste Nacht. Oder behandelten ihren Kater vom Vortag. Oder beides. Touristen kamen allerdings auch während des Tages durchaus auf ihre Rechnung. Zum einen war die Bezeichnung ‚Nachtclub’ im Vieux Carre etwas irreführend, zum anderen hatte New Orleans bei weitem nicht nur Sex zu bieten, auch wenn das der Besucher bei seiner Ankunft nicht sofort bemerkte, denn er drängte sich geradezu auf.
Aber da waren zum Beispiel die schon erwähnten schmiedeeisernen Balkon- und Galeriegeländer, die von diesen Balkonen und Galerien hängenden oder sich an den Stehern hochrankenden Blumen, architektonische kleine Meisterleistungen, die Canal Street, auf der immer noch die liebevoll restaurierten ‚Trams‘ unterwegs waren. Die Mississippi – Promenade mit dem ‚Du Monde‘, wo man die besten Krapfen, hier Begnets genannt, auf dieser Seite des Atlantik speisen konnte und hervorragender Bohnen-, aber auch Zichorienkaffee als Attraktion serviert wurde. Das ‚Café Beignet‘, ebenfalls hervorragendes Gebäck anbietend, im ‚Music Legend Park‘, einer kleinen Grünfläche an der Bourbon Street, wo beinahe täglich live Jazz und Blues gespielt wurde. Die Brücke über den Lake Pontchartraine, liebevoll restaurierte 40 Kilometer, zwei Brücken mit je zwei Fahrspuren. Eine River-Cruise bis Natchez oder Vicksburg. Oder man buchte eine Swamp-Tour durch die Sümpfe der Mississippimündung. Die Restaurants im Vieux Carre waren zumeist hervorragend, wer besser speisen wollte, musste natürlich auch mehr zahlen. Dennoch waren auch die Imbissstände durchaus schmackhaft, besonders der etwas scharfe ‚Alligator Poo’boy‘ hatte es vielen angetan. Ein Hotdog, jedoch mit einem scharfen Würstchen aus dem Fleisch des Alligators.
Paul Camper hatte einen Voodoo-Shop an der Dauphine Street, zwischen Canal und Iberville Street. Es war kein großer Laden, aber es war in der Miete eine gemütliche kleine Wohnung einen Stock darüber inbegriffen, und Paul hatte sein Ein- und Auskommen. Besonders das ‚Museum of Death‘ schräg gegenüber brachte gute Kundschaft. Die Bourbon und die Basin Street waren nicht weit weg, und Paul schätzte durchaus die Einkaufsmöglichkeiten an der Basin, aber am meisten liebte er es, in seiner Freizeit durch das Vieux Carre zu streifen. Vormittag, wenn die Touristen noch in den Betten lagen, besuchte er das Hard Rock Café in der Bourbon oder den Fat Catz Music Club in der St. Louis Street. Der Barmann von der Vormittagsschicht im Fat Catz war begeisterter Saxophonist, und Paul liebte die Klänge dieses Instrumentes. Er hatte sich mit ‚Fasthand‘ Bill angefreundet, der ihn die Grundzüge des Spielens lehrte. Paul Camper war mit Feuereifer und durchaus ein wenig Talent bei der Sache, aber bis er den ‚Saint Louis Blues‘ beherrschte, wäre noch viel Arbeit nötig.
Trotzdem liebte Paul den Club, nach dem Frühstück in einem Starbucks suchte er ihn regelmäßig auf. Die Vormittagsband hatte zwar nicht die Qualität der am Abend spielenden Formation, die Sänger waren oft billige Amateure, aber sie hatten Spaß an der Sache, und das war zu hören. Paul mochte Rock, Jazz und Blues, mit einer Musik, die durchaus ähnlich dem Hard Rock klang, war er aufgewachsen, auch wenn Musik im Leben eines Springers keine große Rolle spielte. Man nahm die ‚Freaks‘ zur Kenntnis, tolerierte ihren Spleen und ließ bei Zeremonien ihre Musik vom Speicher laufen, aber von seiner Musik leben konnte keiner der galaktischer Händler. Paul war ein solcher Freak, schon immer gewesen, jetzt endlich konnte er seine Neigung ausleben. Na schön, davon LEBEN konnte er davon immer noch nicht, aber er durfte regelmäßig die Musik hören, bald hatte er auch Jazz und Blues kennen gelernt – und liebte diesen Stil mittlerweile noch mehr als den Rock.
Manchmal vertraute er seinen Laden abends seiner Angestellten an und ging in die Bourbon Street. Dort stellte er sich an eine Hurrikane Punch Theke und beobachtete das wilde, ausgeflippte Treiben auf der Straße. Paul war zwar galaktischer Händler, aber auch ein Mann, und so genoss er die angebotenen Aus- und Einblicke durchaus. Und manchmal wurde in der aufgeheizten Stimmung und den Rauchschwaden auch etwas mehr daraus, nicht wenige Besucher und Besucherinnen kamen ja genau deswegen am Abend in das French Quarter.
In letzter Zeit allerdings hatte Paul Camper durchaus auch Sorgen. Ein Kontakt in New York war verstummt, und bisher konnte er nichts weiter in Erfahrung bringen. Wenn Maabehl aufgeflogen war, wie sicher war er dann hier? Noch einmal ging er Schritt für Schritt sein Untertauchen durch. Die Sache mit den gefälschten Papieren – in Alaska waren die Sicherheitslücken im Rechnersystem so groß, ein Schlachtraumer der Überschweren hätte genug Platz zum manövrieren gehabt. Ein Satz kanadischer Papiere, damit er von der Mine aus Alaska verlassen konnte. Ein Satz grönländische, Knut Rasmussen war auch in Grönland angekommen, diese Papiere hatte er in Toronto auf dem Schwarzmarkt verkauft. Mit einem anderen Satz war er über die ‚Rainbow Bridge‘ zwischen Ontario und dem Staat New York, welche die Niagarafälle überspannte, in die USA zurückgekehrt.
In Memphis, Tennessee, wurde er schließlich zu Paul Camper, geboren und aufgewachsen in Tampa, Florida, die Eltern hatten in einem Trailerpark gehaust und ihr Geld versoffen. Irgendwann hatte sich der junge Paul, so die offizielle Version, auf die Beine gemacht und sich bis Tennessee mit Aushilfsjobs durchgearbeitet. Jetzt hatte er ein wenig Geld gespart und wollte das College besuchen, schloss es ab, während er weiter kleine Jobs annahm, für Miete, Essen und Bücher. Seine ‚Eltern‘ waren nach seiner Abreise in ihrem Trailer gestorben, Zigaretten und Propangasflaschen konnten eine tödliche Mischung sein. Der Agent, der sich nun Paul Camper nannte, saß zu diesem Zeitpunkt in einer öffentlichen Bibliothek in Anchorage, doch er ergriff die Chance und schrieb in die offiziellen Dateien der Behörden in Tampa, Florida, einen Sohn, der seit einiger Zeit abgängig war. Während seines Collegebesuches kontaktierte ihn die Polizei von Tampa, um ihren Vermisstenfall endgültig abschließen zu können und ihm die traurige Nachricht vom Tod seiner Eltern zu übermitteln. Nach dem Schulabschluss zog es ihn wieder nach Süden, er ließ sich in New Orleans nieder und mietete den kleinen Laden, nach zwei Jahren konnte er sich eine Angestellte leisten. Teilzeit. Eigentlich schien sein Konto gut ausgeglichen zu sein, er hatte jede Menge falscher Fährten gelegt, seine Identität als Paul Camper war ein heliumdichtes Schott.
Wahrscheinlich hätte er sich aber doch noch größere Sorgen gemacht, wäre er Zeuge der Landung eines auffälligen Shuttle auf dem Louis Armstrong International Air and Space Terminal New Orleans geworden. Die Passagiere verließen ihre Fähre nicht wie üblich über eine angedockte Gangway, sondern luden ihr umfangreiches Gepäck direkt in einen Kleinbus mit dem Logo eines bekannten Filmstudios, das überall auf der Welt Aufnahmen für eine ziemlich seichte, aber beliebte und berühmte Soap Opera machte. Schöne Frauen, stattliche Männer, die entweder über viel Geld verfügten oder schicke Uniformen trugen und natürlich die ständig wechselnden Beziehungen untereinander waren die Zugpferde, das TBI hatte im Vorfeld die Erlaubnis eingeholt, das Firmenlogo benützen zu dürfen.
Der Fahrer des Gleiters war ausgestiegen und auf den ersten Mann, der ausgestiegen war, zugegangen.
„Commander Moore?“ fragte er neutral, und der Mann drehte sich um und rief in die Fähre:
„Boss, komm doch mal!“ Der junge Commander sprang wie ein Gummiball aus der Schleuse
„Sie müssen Cooper Flemming vom FBI sein“, reichte er dem Fahrer die Hand. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass wir in Ihrem Revier tätig werden.“ Cooper ergriff die Hand und hob eine Schulter.
„Natürlich wäre es mir lieber gewesen, auf die Terrabehörden verzichten zu können. Aber wie die Situation ist, haben Sie das nötige Equipment, wir nicht. Also können wir auf Sie nicht verzichten. Gegenüber dem Laden des Verdächtigen ist ein Hotel, das ‚Saints‘. Wir haben eine Suite mit Blick auf die Dauphine Street in einem unteren Stockwerk und einige Zimmer für Sie reserviert.“ Der FBI Agent grinste. „Natürlich unter ‚Galactic Love‘, immerhin soll die Sache echt wirken. Wer ist denn der Star?“
Lachend holte Moore ein Phone aus der Tasche. „Ihr Auftritt, Ma’am!“
Eine leicht bekleidete Dame kam aus dem Shuttle, schüttelte das blonde, lange Haar aus und setzte eine Sonnenbrille auf. Auf hochhackigen Schuhen balancierend, die langen Beine kaum verhüllt vom kurzen Rock, eine Hand in die schlanke Taille gestemmt, kam sie hüftschwingend auf das Duo zu, sah aber an ihnen vorbei.
„Lester! Sag bloß, ich soll mit diesem Bus fahren“, quengelte sie, mit spitzem Zeigefinger auf das beanstandete Objekt zeigend, und steckte eine Zigarette in eine lange Spitze. „Ich habe doch extra eine Limousine bestellt!“ Coopers Augen weiteten sich, sein Blick wanderte von dem Gesicht, dessen Schönheit unter dem grellen Makeup kaum zu erkennen war, zu der großzügig zur Schau gestellten Oberweite, dem frei liegenden Bauchnabel über die Hüften und Beine.
„Darf ich vorstellen? Detectiv Lieutenant Agnetha Lund aus Visby auf Gotland, Schweden.“ Moore grinste immer noch, die Attitüde fiel von der Frau ab, als sie Flemming die Hand reichte.
„Guten Tag, Agent. Glauben Sie, ich kann ein paar Leute überzeugen?“
Cooper konnte nicht mehr anders, er brach in lautes Gelächter aus. „Die Leute werden sich wundern, dass die Folge nie zu sehen sein wird. Verdammt, DL Lund, sehen sie echt aus!“
„Das soll es ja wohl auch!“ Der blasierte Gesichtsausdruck und die affektierte Gestik waren wieder da. „Wollen wir noch lange hier herumstehen und warten? Können wir nicht endlich aufbrechen? Wo ist meine Limousine?“
Im Saints wunderten sich die Reinigungskräfte. Schon seit Tagen hing das Schild ‚Ich hatte eine höllische Nacht, bitte nicht stören‘ vor der Tür zur Suite von Miss Lund, die ‚Galactic Love‘ für sie gebucht hatte. Ihr Team, zumeist Männer, kamen und gingen, es wurde vom gigantischen Männerverbrauch der Schauspielerin geflüstert, immer unter vorgehaltener Hand. Oder musste sie für ihre Rolle so viel proben? Oder – wurde etwa schon gedreht, und es hielten sich deshalb immer so viele Leute in dem Zimmer auf?
„Zimmerservice!“ Agnetha Lund öffnete die Türe, gekleidet in einen eleganten, blauen Hosenanzug und eine weiße Seidenbluse.
„Bitte, stellen Sie es dorthin. Neben den Tisch!“ Lester Moore zückte einen mittleren Schein und drückte ihn der Dame vom Hotel in die Hand.
„Danke, Miss. Für einen Kaffee!“ Drei Kameras standen auf Stativen im Wohnzimmer der Suite, Mikrophone hingen an langen Galgen.
„Also, Leute. Kurze Pause, heute will ich Take 20 in den Kasten bekommen!“ Die Servicekraft schloss die Türe hinter sich, alle nanotronischen Geräte wurden wieder auf den Voodoo-Shop gegenüber gerichtet.
„Wer will die Anchovispizza?“ Lund winkte, und Agent Woods reichte ihr den Teller.
Binnen weniger Stunden machte unter den Angestellten des Saints die Nachricht die Runde: ‚Im Saints wird eine Folge Galactic Love gedreht! Und sie filmen schon Innenszenen!‘ Die Nachricht erreichte auch die anderen Anwohner der Rue Dauphine, es wurde von Mund zu Ohr getragen. ‚Agnetha Lund und John Kratovsky spielen in einer Folge GL, die in New Orleans spielt‘. Auch Paul Camper hörte davon, daher erstaunte es ihn nicht, als einige Tage später auf der Bourbon Street mehrere Kameras aufgebaut wurden, die Polizei einen Block abriegelte und die Passanten bat, nach links und rechts auszuweichen und möglichst natürlich zu wirken, man drehe einige Szenen für eine beliebte Soap. Es geschah, was nur allzu menschlich war. Niemand benahm sich natürlich, der Regisseur raufte sich die Haare und schrie, Agnetha küsste John ein Dutzend mal und verließ schließlich mit den laut gerufenen Worten: „Ich gehe jetzt in die Bar dort, ich brauche einen Kaffee und eine verdammte verschließbare Tür!“ gereizt und genervt den Drehort. Dabei stieß sie mit einem Mann zusammen und schien es nicht einmal zu merken. Paul sah ihr fasziniert nach, Agnetha hatte einen wirklich sehenswerten Po. Dann ging er weiter, es gab nichts mehr zu sehen und der ‚Fat Catz Music Club’ wartete schon.
„Alexander!“ bellte der Chef des TBI in sein Phone. Seine Stimmung war nicht die allerbeste, eben hatte er wieder erfahren, dass eines seiner Teams zwar einen gesuchten Verbrecher dingfest machen konnte, der aber zu 100 % ein irdischer Mensch war. Sicher konnte man nicht unbedingt von Misserfolgen sprechen, aber den Schläfern von Schwarzer Elch brachten sie ihn keinen Schritt näher. Cesar Alexander war zwar ein geduldiger Mensch, aber endlich, endlich ein positives Ergebnis wäre zu schön gewesen.
„Sir! Wir haben einen!“ Alexander schloss die Augen, beinahe wäre das Phone auf seinem Schreibtisch gelandet.
„Bestätigen Sie!“ flüsterte er, während er zu einem Glas Wasser griff.
„Sir, TBI Commander Lester Moore meldet eine bestätigte Identifizierung. DNS Schnelltest zeigt die typischen arkonidischen Abweichungen vom menschlichen Genom. Detective Lieutenant Agnetha Lund hat durch Übertragung genug Material erhalten.“ Cesar Alexander atmete durch. Jetzt nur nicht zu schnell handeln, er hatte noch das Desaster von New York in Erinnerung, den plötzlichen, völlig überraschenden und überzogenen Freitod der Agentin, der ein leiser Verdacht gereicht hatte, um aufzugeben.
„Wie funktioniert die Tarnung?“ fragte er, und er konnte Commander Moore lachen hören.
„Bestens, Sir. Wir haben jede Menge Material aufgenommen, meine Leute schreiben gerade an einem Skript, der die Lücken zwischen den Außenaufnahmen füllt. ‚Wir müssen doch sagen können, wie es zu diesen Aufnahmen kommt!‘ Vielleicht können wir ‚Galactic Love‘ das Material ja anbieten. Wäre für die Zukunft als weitere Tarnung gar nicht schlecht.“ Auch der Chef des TBI lachte ein wenig befreit.
„Dann beobachten und filmen sie schön weiter, Commander!“
Lund und Kratovsky spielten weiter das Liebespaar, sie eine Bürokraft, er ein Fire Fighter vom FDNO. Der Mann in Uniform. FBI Agent Cooper Flemming spielte den Nebenbuhler, den Mann mit Geld. Auf der Canal, der Bourbon und der Dauphine Street gewöhnte man sich daran, das Team mit den Kameras zu sehen, oder auch abends allein oder in Gruppen einige Lokale unsicher machend. Nebenbei wurde jedes Wort, jede Bewegung, jeder nanotronische Kontakt von Paul Camper aufgezeichnet.
‚Galactic Love‘ sendete die Folge unter dem Titel ‚Liebe, Laster, Leidenschaft im Big Easy‘. Trotz des schwachen Namens wurde die Folge zehnmal hintereinander prämiert. Lange Zeit führte sie Liste der Besten Soap Folgen an, die Fans betrachteten sie als die authentischste aller gedrehten Geschichten. Sogar Frauen schwärmten für Agnethas Spiel. ‚Sie ist so überzeugend, sie ist einfach Spitze!‘ Naturgemäß schwärmten Männer weniger von ihrer Schauspielkunst, die wenigsten gestanden es jedoch ein.
***
Reggys System
Tana Starlight steuerte den kleinen 30 Meter durchmessenden Diskus selbst von der HEPHAISTOS zur KLEOPATRA, die ersten zehn dieser Boote dieser neuen Serie hatte sie an Bord ihres Schiffes genommen. Die nächste Lieferung war für Mercant von der GCC vorgesehen. Victoria trug wieder die Frisur jener ägyptischen Königin, nach der sie ihr erstes wirklich großes und schwer bewaffnetes Schiff benannt hatte. Weiße, enge Hosen, weiße Schuhe, wie immer hochhakig und ein kurzer, zweireihiger Blazer im Marineschnitt des 20. Jahrhunderts, ebenfalls weiß, auf blanker Haut getragen, bildeten ihre Kleidung an diesem Tag. Neben ihr lag auf dem Boden eine weiße Kapitänsmütze, auch sie wirkte wie eine Tellerkappe der nassen royal Navy.
„Du siehst heute im wahrsten Sinne des Wortes blendend aus!“ hatte Chris Hawlacek gefrotzelt, als Tana ihr Gewand präsentierte. „Ein Glück, dass Du zumindest schwarzes Haar dazu trägst.“
Tana hatte ihm wenig damenhaft die Zunge herausgestreckt. „Nicht nur das Haar, mein lieber!“
Chris war ein Schaudern durch den Körper gelaufen.
„Du meinst…?“
„Keine Chance!“ sie hatte schelmisch lächelnd mit dem Zeigefinger gedroht. „Zumindest nicht jetzt! Wir müssen los, unser Gepäck ist schon verstaut.“ Christian hatte sich noch einmal umgesehen.
„Dann also los!“ Mit diesen Worten hatte er eine Tasche mit den letzten Sachen ergriffen.
Etwas querab ihres Kurses lag das Schwesternschiff der KLEOPATRA, die HELENA, rings um diese wuselten hunderte von Lichtern, kleine Arbeitsraumer, die mit Umbauarbeiten beschäftigt waren. Wenn auch, wie bei der KLEOPATRA, die wahren Geheimnisse und Umbauten im Inneren verborgen lagen.
„Ist sie nicht wunderschön?“ Tana wies auf die KLEOPATRA und genoss den Anblick des neuen Schiffes, dessen Hülle im gleichen Rauchblau lackiert war, wie es Tana auch für die Uniformen gewählt hatte. Ein Phantasieportrait der Königin aus Alexandria sah den Anfliegenden über die gemalte bloße Schulter von den nördlichen gemäßigten Breiten, wie Chris die Position in Anlehnung an einen irdischen Globus lachend genannt hatte, schelmisch lächelnd entgegen. Statt der Uräusschlange prangte auf dem Kopfschmuck der achtstrahlige ‚Starlight-Stern‘, die gleichen Sterne verliehen den Augen ihr strahlendes Funkeln. Auf der dem Portrait gegenüber liegenden Seite war in karolingischen Minuskeln, in arkonidischen Blockbuchstaben und der Verkehrsschrift der Springer der Name des Schiffes angebracht. Nicht, dass es im Zeitalter der Transponder nötig gewesen wäre, aber alte Gewohnheiten sterben langsam. Der selbe Künstler verzierte übrigens eben das Schwesternschiff mit einem anderen Portrait, das – wie konnte es anders sein – ein griechisches Gesicht mit griechischer Frisur zeigen würde.
„Ich frage mich, wieso ging die Nachrüstung der STARDUST schneller von statten als bei der KLEOPATRA?“ Chris saß auf dem Sitz des Copiloten und staunte die sechshundert Meter Kugel ebenfalls an. Der Ringwulst war im Verhältnis fast dreimal so groß wie bei einem Standardschiff, die achtzehn Geschütztürme zwischen den Triebwerken beanspruchten ziemlich viel Platz.
„Die STARDUST wurde von einem erfahrenen Team umgebaut, die Besatzung der KLEOPATRA ist jung und unerfahren, mit Ausnahme der Kommandantin. Die haben etwas länger gebraucht, dafür kennen sie jeden Winkel und jede Schraube. Ich glaube, das war den Zeitaufwand wert.“ Sie legte ihre Hand auf die seine und drückte sie. „Ich liebe Dich, Chris. Nicht nur wegen Deiner verrückten Ideen oder Deines tollen Klavierspiels. Nicht nur, weil Du ein zärtlicher und phantasievoller Liebhaber bist. Du machst mich glücklich, Chris! Und heute bin ich besonders glücklich!“
Chris erwiderte den Druck. „Dann danke ich Dir, dass ich Dich glücklich machen darf, denn Du bist tief in meinem Herzen. Ich liebe Dich auch, Tana Starlight!“
Lächelnd nahm Tana Starlight Kontakt zur KLEOPATRA auf. „KLEOPATRA, PB 01 erbittet Landeerlaubnis!“
„PB 01, Erlaubnis erteilt. Öffne Bucht 01!“ Der leichte Akzent verriet eine Kolonialarkonidin. Ein Lichtschein erschien, als sich in der Bordwand der KLEOPATRA ein Außenschott öffnete, mit leichter Hand manövrierte Tana das Patrouillenboot in die Schleuse. Sie verankerte das Boot, fuhr die Meiler in Ruhezustand, nur noch die Energie für Licht, Luftumwälzung und den Lift blieb über. Tana nahm ihre Kappe, setzte sie auf die schwarzen Haare, dann fuhren sie und Chris nach unten und warteten, bis das Signallicht in der Schleusenkammer für die Umweltkontrolle auf ‚grün‘ sprang und damit eine lebensfreundliche Umgebung anzeigte. Tana öffnete den Ausstieg, wandte sich noch einmal Christian zu, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn zärtlich.
„Bis später, Liebling. Beeile Dich, auf die Brücke zu kommen, die wissenschaftliche Station wartet schon auf dich. Ich komme gleich nach, du weißt ja, heilige Tradition. Der Ranghöchste oder Besitzer ist stets der Letzte auf der Brücke!“
Tief atmete Tana Starlight durch, als sie vor der Brücke angekommen war. Lautlos glitt das Brückenschott auf, mit glänzenden Augen und einem glücklichen Lächeln trat Tana ein und musterte das Treiben. Ein gepfiffener Dreiton begrüßte sie.
„Chefin auf der Brücke“, meldete der Bordrechner. Ghoma wandte sich Tana zu und salutierte, Beifall klang von allen Stationen auf.
„Erlaubnis zum Betreten der Brücke?“ fragte Tana, wieder einer uralten Tradition folgend.
„Erlaubnis erteilt“, antwortete Ghoma ebenso formell. Dann streckte sie Tana beide Hände entgegen. „Willkommen auf der KLEOPATRA, Tana. Herzlich willkommen! Und danke!“
„Nun, Ladys und Gentlemen, ich bin kein Freund großer Worte. Statt dessen möchte ich einen alten deutschen Dichter zum Vorbild nehmen. In seinem Faust sagt Goethe ‚der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen. Indes Ihr Komplimente drechselt, kann etwas Nützliches geschehen.‘ Also, Skipper!“
„Chefin?“
Tanas Augen blitzten Unternehmungslustig. „Anker auf und Leinen los!“
„Aye! Anker auf und Leinen los!“ Ghoma schmunzelte amüsiert, sie hatte diese alten Befehle aus der nassen Marine gelesen. „Ruder, bringen Sie uns auf Sprungkurs! Das erste Ziel?“ Tana trat an das Kartenhologramm und legte ihren Finger auf einen roten Riesen.
„Sehen wir uns hier einmal um! Lassen wir uns überraschen!“
„Nav! Sprung berechnen. KLEOPATRA! Bitte ebenfalls berechnen.“ Und zu Tana gewandt. „Sehen wir einmal, wie die Werte der Navigation aussehen. Im Notfall möchte ich Leute, die einen Sprung zu Fuß berechnen können!“ Tana nickte bestätigend.
„Nur zu, Skipper. Ihr Schiff!“ Sie setzte sich auf den Platz des Besitzers, nahm ihre Mütze ab und beobachtete den Bildschirm. Ein tiefes Seufzen kam aus ihrer Brust, endlich war sie wieder unterwegs.
Achtzehn Triebwerke nahmen ihre Arbeit auf und sandten lange Feuerzungen in die Schwärze des Weltalls. Erst langsam, dann immer schneller nahm die sechshundert Meter durchmessende Kugel mit dem breiten Ringwulst Fahrt auf und flog dem Rand von Reggys System entgegen.
„KLEOPATRA, hier HEPHAISTOS. Viel Spaß, Tana!“ Leslie Myers sah vom Bildschirm der Kommunikationsanlage, Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand formten ein ‚V‘. V für Victory – oder aber auch Victoria, ein letzter intimer Gruß, unauffällig versteckt. „Komm bloß gesund wieder, oder ich versohle Dir den Hintern, bis er so rot leuchtet, dass du eine Alarmleuchte ersetzen kannst!“ Sie wischte mit Daumen und Zeigefinger von den Augenwinkel über die Nasenflügel. „Also, mach dir eine schöne Zeit und – na ja, alles Gute eben!“
Reginald drängte sich vor die Kamera. „Guten Flug, Mutter! Ich wünsche dir eine schöne Zeit, Marie France lässt auch grüßen! Ich – ach was! Ich liebe dich, Ma!“ Tana winkte zurück.
„Ich Dich auch, Reginald! Keine Angst, ich komme zurück! He, ich habe eines der stärksten bekannten Schiffe mit, mir passiert schon nichts. Und ich melde Euch meinen Kurs. Die STARDUST hat mich Vorsicht gelehrt. Wir haben genug Relaisstationen an Bord, um in Verbindung zu bleiben. Macht Euch auch eine schöne Zeit ohne Euren Sklaventreiber.“ Tana sandte noch einen symbolischen Kuss zurück.
„KLEOPATRA, hier HELENA, viel Glück, Chefin. Wir geben auf die HEPHAISTOS acht, keine Sorgen!“
„Danke, HELENA. Starlight schaltet ab, wir melden uns später wieder!“ Immer schneller werdend raste die KLEOPATRA zum Rand des Systems. Ein Weg, der nun einmal immer noch Stunden dauerte.
Kurz vor der Transitzeit betrat Tana Starlight wieder die Brücke und wandte sich an Ghoma. „Skipper, wollen wir?“
Die große Frau aus dem Volk der Springer nickte. „Wir wollen. Nav und KLEOPATRA stimmen überein, also – KLEOPATRA, Sprung!“ Das Schiff verschwand aus dem System der F–Sonne Reggy …
… und wurde sofort wieder am Rande eines Planetensystems, welches um einen roten Riesenstern kreiste. Eine alte Sonne, die den größten Teil ihres Brennstoffes bereits verbrannt hatte, ein Stern, dessen Leben sich allmählich dem Ende zuneigte und der bald erlöschen würde. Bald natürlich nur in astronomischen Dimensionen gedacht. Anders als der Stern, den der Planet der Kh’Entha’Hur zuvor umkreiste, hatte er noch Jahrtausende vor sich, ehe er endgültig verlöschen würde. Christians Finger tanzten über die interaktiven Bildschirme der wissenschaftlichen Station ebenso schnell und virtuos wie über die Tasten seines Klaviers. Der Universalgelehrte freute sich ungemein, mit diesen Instrumenten, die auf dem neuesten Stand der Technik waren, spielen zu dürfen. Seine Neugier auf jedem Gebiet war einfach grenzenlos.
Die Ortungsgeräte spielten und zeichneten Planeten- und Mondbahnen auf, erstellten eine genaue Karte des Systems mit extrapolierten Umlaufbahnen. Gleichzeitig lauschten viele Geräte nach modulierten Signalen auf allen bekannten Frequenzen, zeichneten optische und elektromagnetische Schwingungen auf, verglichen und analysierten.
„MV – Stahl geortet. Planet XIII!“
Ghoma trat zu Christian. „Molekülverdichteter Stahl? Sicher?“
„Ortung bestätigt. Eindeutig MV!“
„Interessant.“ Sie wandte sich zu Tana, die glücklich lächelte. „Wollen wir nachsehen?“
„Deswegen sind wir hier, Skipper. Bitte bringen Sie die KLEOPATRA in eine Umlaufbahn!“
„Nun dann!“ Auch Ghoma gefiel der Gedanke ausnehmend gut, so ein kleines Abenteuer käme gerade recht. „Wir haben alle die Chefin gehört! Führen wir die Anweisung aus. Los geht’s!“
„Bravo Staffel fünf, Wing eins!“ Ben ‚Zombie‘ Jones raste mit seiner Gonzales durch die dünne Atmosphäre des dreizehnten Planeten, seitlich hinter ihm seine Flügelfrau Schwygha ‚Bombe‘ dalKostran. „Nähern uns Koordinaten!“ Der Wing korrigierte den Kurs leicht. „Sieht so aus, als wäre hier einmal eine Stadt an einer Küste gestanden. Das Wasser muss aber schon lange weg sein, zu wenig Atmosphäre, wie auf dem Mars. Man erkennt nur noch die Muster im Sand. In der Mitte dieser Ruinen eine ganz schön große Kuppel aus MV – Stahl. Ich meine richtig groß. Nicht ganz sechs Kilometer!“ Zombie und Bombe legten ihre Jäger schräg und zwangen sie in eine Kurve.
„He, Zombie!“ die Kolonialarkonidin von Aja’aschan hatte ihren Blick in die Runde gehen lassen, das war ihre Aufgabe als Rückendeckung für den Wing Commander. „Dort drüben ist eine dunkle Linie, wie ein Canyon!“
„War wohl einmal ein Tiefseegraben. KLEOPATRA, erbitten Erlaubnis zur Aufklärung.“ Egnithas Stimme umgehend kam aus den Headsets.
„Bravo Fünf eins, Erlaubnis erteilt. Berichten Sie weiter!“
„Roger, KLEOPATRA!“ Die Strecke war für die Gonzalez eine Kleinigkeit, sie kurvten ein und folgten der Linie. „Bravo Fünf eins an KLEOPATRA. Tatsächlich ein Tiefseegraben, größer als der Grand Canyon. Da unten gibt es tatsächlich etwas mehr Luftdruck, Wasser und Pflanzen. Keine Anzeichen für eine tierische Lebensform, aber aus der Höhe sagt das nicht viel! Sollen wir tiefer gehen?“ Es trat eine kleine Pause ein, dann kam wieder die Stimme der Kh’Entha’Hur wieder.
„Negativ, Bravo fünf eins. Wiederhole, negativ! Warten sie auf Bravo fünf zwei und ein Landeboot.“
„Bravo Fünf eins, verstanden! Warten ab!“
Tana erhob sich. „Chris, kommst Du mit? Ghoma, vielleicht könnten Sie noch vier Leute zur PB 01 schicken.“
„Chefin!“ Ghoma runzelte die Stirn. „Wollen Sie wirklich selber gehen?“
„Natürlich!“ Tana nickte heftig und bestimmt. „Das ist doch der Sinn der ganzen Sache! Ich will endlich wieder hinaus. Also, vier Personen, volle Infanterieausrüstung. Chris, wir auch, Expeditionsanzug, volle Lebenserhaltungs- und Verteidigungssysteme, bewaffnet. Wir gehen auf Nummer Sicher!“
„Vier Infanteristen, geht klar!“ Ghoma wusste, dass weiterer Widerstand sinnlos war, sie hatte ihre Warnung deutlich genug formuliert.
Der Diskus schwebte langsam auf seinen Antigravfeldern tiefer, gefolgt von vier Gonzales-Jägern in Schrittgeschwindigkeit.
„Wahnsinn!“ Chris betrachtete die Schluchtwände. „Das erste Mal, dass ich so einen Tiefseegraben zu Gesicht bekomme. Die Luft wird dichter, eine halbe Atmosphäre etwa. Ich schätze, auf dem Grund werden es etwa 0,65 sein. Da vorne vielleicht 0,75, da geht es noch weiter hinunter. Der Fluss ist ziemlich schmal, bewässert aber einen ganz schön breiten Streifen.“ Leicht bewegte Tana Starlight ihre Hand über die Touchscreen-Steuerung des Bootes, korrigierte vorsichtig die Flugrichtung und hielt die Mitte des Canyon.
„Da vorne ist so etwas wie ein See!“ Tana nahm Kurs auf die freie Wasserfläche. „Vielleicht kann man von dort unter die Vegetation sehen. Anzüge schließen!“
Staunend sahen Tana, Christian und die vier Infanteristen durch die Klarstahlkuppel des Patrouillenbootes an das Ufer. Von oben hatten die Pflanzen rötlich grün ausgesehen, doch unter dem Blätterdach, nahe des Bodens war eine Blütenpracht in vielen verschiedenen Farben zu erkennen, die Staubgefäße schienen grell zu leuchten.
„Wahrscheinlich Biolumineszenz“, stellte Chris fest. „Dann gibt es auch Tiere, die davon angezogen werden sollen.“
„Ich glaube, ich sehe eines!“ Woltheer, ein Infanterist aus dem Volk der Kh’Entha’Hur, zeigte auf eine Stelle, zoomte dann auf einem Bildschirm den entsprechenden Ausschnitt heran. Ein kleines Tier, etwa so groß wie ein menschliches Fingerglied, stakste auf acht langen, dünnen Beinchen herum, schob sich unter einen Blütenkelch und streckte die Beine.
„Ich gehe stark davon aus, dass das die Bestäuber sind. Energie gegen Fortpflanzung, für beide Seiten ein guter Deal!“ Chris war begeistert, Woltheer zog die Nase kraus und warf die Stirnmähne aus dem Gesicht.
„Also, ich bin kein Biologe, ich bin nur ein männlicher Kh’Entha’Hur, aber selbst ich weiß, dass irgend etwas diese Tiere fressen muss. Und irgendwann selbst gefressen wird.“
Christian schlug ihm auf die Schulter. „Völlig richtige Überlegung. Wir werden schon dahinter – wow, habt ihr das gesehen?“ Urplötzlich war ein roter Schatten über den Bildschirm gehuscht, der Bestäuber war nicht mehr zu sehen.
„Aufzeichnung zurückfahren und langsam abspielen!“ rief Tana, und Christian rief.
„Bin schon dabei!“ In Zeitlupe konnten sie erkennen, wie ein schlangenförmiger Körper mit weit aufgerissenem Maul auf den Bestäuber zuraste, die Kiefer klappen zusammen, kein Bestäuber mehr. „Das war ein Mordstempo“, rief Chris. „Also, langsamer als eine Pistolenkugel, aber in etwa wie der Pfeil von einem Langbogen. Was muss das Vieh für Muskeln haben?“
„Annäherungsalarm!“ Lautes Pfeifen begleitete die Computerstimme. „Kiel, unter Wasser nähert sich ein Körper!“ Sofort schaltete Tana Starlight den Auftrieb höher und ließ das Boot steigen. Unter ihnen teilte sich das Wasser, ein torpedoförmiger geschuppter Leib brach durch die Wasseroberfläche und verschwand wieder.
„Der wäre uns wohl kaum gefährlich geworden“, lachte Tana auf. „Viel zu klein!“
„Also, große Landtiere werden wir hier umsonst suchen!“ Chris stand von seinen Geräten auf. „Ich möchte mich nicht absolut festlegen, ohne mit einem Biologen und einem Planetologen gesprochen zu haben, aber meiner Meinung hat der rote Riese in der Vergangenheit einige Male ganz kräftig gerülpst und dabei den größten Teil der Atmosphäre in das All geblasen. Oder es war eine sehr, sehr, sehr große Explosion im Spiel. Oder eine Unmenge kleiner, vor ziemlich langer Zeit. Das Wasser ist der Gashülle gefolgt, was wir hier sehen, ist ein kümmerlicher Rest, um den sich wahrscheinlich neue Spezies entwickelt haben. Anpassung war schon immer eine Stärke des Lebens.“
Tana nickte. „Sehen wir uns einmal die Kuppel an!“
Der feine Staub rieselte senkrecht zu Boden, ohne verweht zu werden, als Tana in die Hocke ging, eine Handvoll hochhob und durch die Finger rieseln ließ.
„0,1 Atmosphären Druck“ klang Christians Stimme in den Headsets.
„Bei 0,86 % Erdschwerkraft muss eine Katastrophe die Lufthülle zerstört haben“, meinte Tana und stand langsam auf. Sie waren am Ende einer langen, geraden Straße von etwa 5 Kilometern Länge gelandet, die vom Stadtrand bis zur Kuppel lief, diese umrundete und dann wieder 5 Kilometer gerade zum ehemaligen Strand lief. Drei solcher Straßen bildeten so einen sechszackigen Stern. Am Ende dieser Straße, an der sie gelandet waren, stand links und rechts je eine Statue, links eine männliche und rechts eine weibliche, welche sich ansahen und die Arme nach einander ausstreckten.
„Bombe!“ Tana umrundete die weibliche Statue. „Bitte steigen Sie in Ihren Gonzales und prüfen Sie nach, ob es ähnliche Statuen auch am Beginn der anderen Straßen gibt.“
„Aye, Ma’am!“ die Kolonialarkonidin rannte zu ihrem Jäger.
„Und machen sie doch schöne 3D Fotos“, rief Christian ihr noch nach.
Chris nahm selbst Messungen dieses Statuenpaares von allen Seiten vor, speicherte eine 3D Aufzeichnung für spätere Analysen.
„Beinahe perfekte menschliche Proportionen“, murmelte er. „Der Hirnschädel vielleicht ein wenig zu groß, ebenso die Augenwülste, dazu dieser Stirnkamm. Das Kinn eher schmal und spitz, die Nase etwas zu lang, der Mund zu schmal. Der ganze Kopf ist etwa 4 % zu groß im Verhältnis zum Körper, nach menschlichen Maßstäben. Ziemlich schlank und feingliedrig, lange und elegante Finger, aber zumindest diese Lady hier hat stark ausgeprägte sekundäre Geschlechtsmerkmale. Ich schätze, eine alte Rasse. Und eine tote dazu.“
„Welches Material?“ Tana versuchte, den großen Statuen in die Gesichter zu sehen und den Ausdruck zu deuten.
„Kristalliner Kohlenstoff, mein Schatz. Diamant!“
„Oh!“ Tana Starlight zog die Nase kraus. „Diamonds are a girls best friends“, trällerte sie grinsend, und Chris hielt dagegen.
„Diamonds are for ever”, sang er. Sie legte ihm die verschränkten Hände auf die Schulter und sah noch einmal zu den Statuen, dann die Straße entlang.
„Für einen Ring etwas zu groß!“ lachte sie. „Ist hier noch irgend etwas anderes zu orten? Energie, Hohlräume, sonst etwas auffälliges? Nein? Dann wollen wir gehen. Vorsichtig, Waffen bereit!“
Erinnerungen
Jänner 2084
Solares System, Luna,
Es ist auf der Erde viel über die Einrichtungen auf dem Mond bekannt geworden. Die KJB, der Port Gagarin mit dem Tax free Shop, die General Pounder Spaceforce Base, die John Glenn Space Academy, das riesige Giordano Bruno Radioteleskop auf der Rückseite, welches mit der Katherin Johnson Base mit einer Magnetbahn verbunden war, auf dem luftleeren Mond ein sehr ökonomisches Verkehrsmittel. Selbst die Existenz der Area 51, der geheimen Forschungseinrichtung der GGC war letztlich durchgesickert, auch wenn die genaue Lage nach wie vor ein streng gehütetes Geheimnis war, und irgendwo auf Luna gab es noch eine Raumschiffwerft, auch wenn die größte Fertigungsanlage für Raumschiffe derzeit in der Umlaufbahn des Merkur entstand.
Es gab allerdings noch dazu einen dunklen, schwer bewachten Ort, dessen Lage ein streng gehütetes Geheimnis war. Einen Platz, auf den weder die UNO, der internationale Gerichtshof in den Haag oder die Verantwortlichen der GCC stolz waren, auch wenn er eine traurige Notwendigkeit darstellte. Man nannte diesen Ort ‚Sixpack‘ oder ‚the Caves‘, auch ‚Becatratz‘ war bei den unteren Chargen des Personals und der Wache im Umlauf. Der offizielle Name in den Papieren der UN und des internationalen Gerichtshofes lautete ‚Internationale Haftanstalt Luna‘. Hier verbüßten die vom Gerichtshof in den Haag verurteilten Straftäter ihre zumeist lebenslangen Strafen. Und nachdem sich das UN-Tribunal verständlicherweise nicht mit Lappalien abzugeben pflegte, sondern nur wirklich schwere und internationale Fälle verhandelte, war in diesem Gefängnis eine ‚illustre‘ Gesellschaft versammelt. Organisiertes Verbrechen, Drogenhandel, Verbrechen gegen die Menschheit, Terrorismus, Menschenrechtsverletzungen, Menschenraub und -Handel, Kriegsverbrechen, und nicht zuletzt Verbrechen gegen Kinder fielen in die Zuständigkeit des UN-Gerichtes und des TBI.
Den Namen ‚Sixpack’ hatte die Haftanstalt erhalten, weil sechs zylinderförmige Hallen mit einer Länge von 900 Metern und einem Durchmesser von 150 aus Klarstahl halb in der Mondoberfläche eingegraben waren und mit jeweils einer Spitze an eine große Kuppel stießen. Die unteren, eingegrabenen Bereiche enthielten die nötigen Lebenserhaltungssysteme und Gravgeneratoren, die Wartung erfolgte intern durch Roboter, die zur Not ferngelenkt werden konnten. Ersatzteile, Nahrungsmittel und ähnliches kam per Rohrpost, mit Kapseln, in denen man unter Umständen gerade ein Neugeborenes aus dem Komplex hätte schmuggeln können.
Angeblich waren ‚the caves‘ das sicherste Gefängnis, das überhaupt gebaut werden konnte. Ohne Raumanzug war es unmöglich, den Komplex zu verlassen, und die Wachmannschaft in der Kuppel konnte nicht einmal dann einen beschaffen, wenn es um Leben und Tod oder ihre Familien ging. Die Ablösung fand unter Bedingungen statt, die von externen Posten streng über Kameras überwacht wurden. Einige Kampfdrohnen schwebten unerreichbar hoch unter den Decken, ausgerüstet mit einer Unzahl an nicht letalen und wenigen sehr präzisen, aber tödlichen Waffen, mit hochwertigster Neuronik ausgestattet. Einziger möglicher Schwachpunkt war natürlich wie immer die medizinische Abteilung. Ärzte und Pflegepersonal mussten nun einmal ab und zu direkten Kontakt mit den Patienten haben, auch wenn selbstverständlich die Hauptarbeit von Robodocs übernommen wurde. Überall in die Decken waren außer modernsten, hochauflösenden Kameras auch Lähmstrahler montiert, Betäubungsgas konnte eingeleitet werden, und das Personal der Wache zog es vor, lieber den gesamten Zylinder, ja, lieber den gesamten Komplex zu betäuben und danach die Leute in Ruhe zu sortieren, als auch nur das geringste Risiko einzugehen. Ärzte und Pflegepersonal kannten die Gefahr natürlich, bekamen aber entsprechend hohe Risikozuschläge ausbezahlt.
Nicht lange, nachdem die ersten Bosse hier eingeliefert wurden, hatte mehr als eine Bande versucht, ihren Capo mit Geiseln frei zu pressen. Das TBI zeigte sich zwar nicht Verhandlungsbereit, zog aber das Mutantencorps der GCC zu Rate. Die meisten Geiseln überlebten relativ unbeschadet, was man von den verhinderten Erpressern nicht ohne Einschränkungen behaupten konnte, die überlebenden Geiselnehmer durften dann tatsächlich ein Wiedersehen mit ihrem Boss feiern. Auf dem Mond. Eine bittere Lehre für Drogenkartelle und andere verbrecherische Organisationen, die solche nicht zielführenden Versuche allmählich eingestellt hatten.
Zwei dieser Bauwerke des Sixpacks beherbergten für einige Zeit ganz spezielle Gäste, nämlich die Überlebenden der galaktischen Händler, der Überschweren und in einem speziellen Habitat auch einige Topsider, welche nach den Schlachten im System der Wega in die Hände der Terraner gefallen waren. Für die Überschweren hatte man einen Teil der Halle extra mit einer Schwerkraft von 2 G eingerichtet, immerhin wollte man nach Möglichkeit resozialisieren und nicht quälen oder gar foltern. Obwohl das zugelassene TriVid-Programm durchaus den gegenteiligen Schluss zulassen könnte, denn neben Dokumentationen waren in erster Linie seichte Komödien und triviale Soaps erlaubt. Zumeist handelte es sich bei den gefangengenommen Springern natürlich um Techniker, Buchhalter, Verwalter und ähnliches, meistens Frauen und sogar Kinder, die Brücken- und Geschützbesatzungen hatten den Kampf nicht überlebt, viele der Männer hatten Selbstmord begangen. Im Laufe der Zeit waren diese Insassen jedoch weniger geworden, die meisten hatten sich damit abgefunden, nun unter anderen Vorgesetzten zu arbeiten. Und manche hatten die Chance zum Aufstieg auch nicht ungern genutzt, vor allem Frauen waren bereit, das Patriachat, das in der Atz-Sippe zu dieser Zeit sehr gepflegt wurde, extremer aber noch von den Überschweren, gegen ein emanzipierteres Weltbild zu tauschen, in dem Frauen und Männern gleiche Rechte zustanden.
Seit der Mitte der siebziger waren so auch grüne Gesichter, rote Haare und eine Körpergröße von 140 bis 150 Zentimetern, einer entsprechenden Schulterbreite und zumeist, bedingt durch den Frauenüberschuss, noch breiteren Hüften keine Seltenheit in den Kuppel der KJB. Breit gebaute Kinder verlangten – und verlangen immer noch – nun einmal entsprechend breit gestellte Hüftknochen, das war eine evolutionäre Notwendigkeit. Die Frauen der Überschweren trugen ihr Haar jetzt länger, ein Zopf war bei ihnen modern geworden, der bis zur Mitte des Rückens reichte. Auch die Männer, welche auf ihre Bärte natürlich nicht verzichten wollten, schoren das Haar nicht mehr extrem kurz. Haar hin, Glatze her, aber Hände weg von den Bärten, in dem Punkt konnte man mit ihnen einfach nicht diskutieren. Wozu auch?
Wie immer waren es vorwiegend die jüngeren oder die Kinder, welche die Veränderungen herbeiführten. Als das erste überschwere Mädchen zu einem Jungen sagte: ‚He, ich will keinen abendlichen Box- und Ringkampf mit blauen Flecken und dicker Lippe, um Kinder zu bekommen, ich möchte Blumen, Komplimente und Zärtlichkeiten‘, war der Umsturz nicht mehr aufzuhalten. Das TriVid und ‚Galactic Love‘ hatten den Widerstand gebrochen und der Erde einen unblutigen Sieg erkämpft. Ende der zwanzig-siebziger hatten einige der Springer sogar eine Reiseerlaubnis erhalten und durften sich auf der Erde und GCC – Schiffen aufhalten, an der John Glenn Academy gab es die ersten Studentinnen und Studenten, eine junge Dame aus dem Volk der Überschweren wurde sogar als Kadett zugelassen und absolvierte alle Lehrgänge in Rekordzeit. Man arrangierte sich, man passte sich an, man unterschrieb Verträge, man wurde immer mehr zu Terranern. So leerten sich langsam, aber sicher, die beiden Hallen und würden irgendwann dem Rest angegliedert werden.
***
Khumunol brüllte laut, das Feuer drohte ihn zu verschlingen, rings um ihn war nur noch ein Inferno aus Flammen und Hitze, aus schmelzendem Metall, brennendem Kunststoff und verkohlender Haut. Eine Sirene tobte und kündigte den baldigen Zusammenbruch der Magnetfelder an, welche die Antimaterie von den Wänden der Reaktionskammer fern hielten. Sollten sie wirklich versagen, würde der Schlachtraumer TOP V in einer riesigen Annihilation vergehen. Eine neue Sonne würde für den Zeitraum eines Sekundenbruchteiles sogar die riesige, blaue Wega überstrahlen, ein letztes Fanal für das stolze, zum Untergang verurteilte Schiff. Khumunol hatte seinen letzten Befehl erhalten, mitten im Wort war die Brücke von einem Energiestrahl getroffen worden. Er hatte den Tod seines Kapitäns und der Brückencrew gesehen, ehe nur noch statische Störungen über den Bildschirm gehuscht waren. Daraufhin hatte er den Knopf gedrückt, welcher das Magnetfeld des Annihilators herabfuhr. Gleich würden Materie und Antimaterie miteinander in Reaktion treten. Nicht die schlechteste aller Todesarten, er wünschte nur, es ginge schneller, ehe ihn die Flammen verzehrten und noch mehr peinigten! Fremde, arkonidische Roboter hasteten durch den Maschinenraum der TOP V, Schaum erstickte Brandherde, Medobots versorgten seine Brandwunden, stillten den Schmerz, kühlten seine Haut. Und dann, dann verklang das Alarmzeichen. Schmerzen, wahnsinnige Schmerzen tobten plötzlich in seiner Kinnlade und Khumunol erwachte brüllend und um sich schlagend!
Auf seiner Brust saß rittlings Shaumauntha, seine Ehefrau, und holte eben zum nächsten Schlag aus. „Ich bin wach!“ stöhnte er, und sie erhob sich.
„So kann es nicht weitergehen!“ Shaumauntha schüttelte den Kopf und verbarg dann ihr Gesicht kurz in den Händen, dann sah sie wieder auf und raffte ihr zerrissenes Nachthemd notdürftig um ihren Körper, wollte trotz aller Zuneigung nicht, dass Khumunol in seinem Zustand ihre Nacktheit sah, ein Beischlaf würde das Problem nicht mehr lösen. Schon lange nicht mehr. „Du brauchst Hilfe! Und es wird immer schwerer, dich aus deinem Traum zu wecken. Ich kann nicht mehr, Khumunol, entweder du nimmst professionelle psychologische Hilfe in Anspruch – oder ich verlasse dich. Ich muss dich verlassen, um selbst zu überleben. Entscheide dich!“ Tränen flossen über die grünen Wangen, sie versuchte nicht einmal mehr, diese zu verstecken, das rote Haar klebte wirr auf ihrer Stirn. Die überschwere Frau war endgültig und total verzweifelt, am Ende ihrer Kraft angelangt, man sah es ihr an, der Zusammenbruch stand nahe bevor. Das schockierte Khumunol am meisten, und er versprach, baldigst einen Psychologen aufzusuchen. Das würde er unter allen Umständen jetzt machen, denn das Versprechen war einem Springer heilig, egal, wem und unter welchen Umständen er es gab.
Der Mann war nicht größer als Khumunol, aber sehr dick. Extrem dick sogar. Sein Umfang konnte mit dem eines Überschweren durchaus mithalten, seine Schulterbreite allerdings nicht. Den Kopf des Mannes umgab ein schütterer, grauer Haarkranz, sein Gesicht wurde von einem kurzen, grauen Bart umrahmt. Er lag, seine plumpen Finger auf dem Bauch verschränkt, in einem Sessel und beobachtete seinen Patienten mit halb geschlossenen Augen. Der rutschte nervös auf der Couch herum und fragte sich, was bei allen Asteroidenteufeln er hier eigentlich machte. Aber – er hatte es Shaumauntha versprochen, und er war ein Springer, ein galaktischer Händler stand zu seinem Wort. Der Mann hatte sich als Professor Karl Poin vorgestellt und ihm dann einen Platz angeboten.
„Also, Mister Khumunol, was kann ich für Sie tun?“, begann der Psychologe das Gespräch, der Springer raufte unruhig seinen Bart.
„Meine Frau hat gesagt, ich soll zu Ihnen gehen“, brummte er abweisend. „Weil ich ein paar Alpträume habe!“
„Und was wollen Sie? Sie ganz persönlich?“, bohrte Poin nach, ohne sich zu bewegen.
„Ich? Ich will mein Leben zurück! Ich möchte frei sein, an Bord eines Schiffes! Dann könnte ich wieder frei atmen!“ Khumunol rieb sich mit der Rechten über das Gesicht. „Ich bin ein Kriegsgefangener, obwohl ich nichts getan habe, außer auf meinem Heimatschiff die Maschinen zu warten. Dafür bin ich ausgebildet. Beim Schwanz des Hungho, ich darf noch nicht einmal hier im Gefängnis bei den Maschinen Hand anlegen.“
„Das könnte man arrangieren, Mister Khumunol. Ihr Ehrenwort, Ihre Unterschrift auf einem Vertrag würde reichen, sie könnten das Gefängnis verlassen.“
„Sie meinen… ich könnte wieder auf einem Raumschiff durch das Weltall reisen, als Wartungsmonteur, als Mechatroniker?“
Poin verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. „Derzeit fliegen nicht sehr viele Schiffe der GCC durchs Weltall, außer nach Ferrol. Aber ja, sie könnten sich um einen Posten bewerben. Galaktische Händler halten sich doch buchstabengetreu an ihre Verträge. Ihr Volk auch, Mister Khumunol?“
„Das Wort und die Unterschrift sind die einzigen Sachen, die uns heilig sind!“ Khumunol war aufgesprungen und lief aufgeregt auf und ab.
„Dann sprechen wir noch über etwas anderes. Lieben Sie Ihre Frau?“
„WAS?“ brüllend fuhr der Überschwere herum. „Warum fragen Sie mich das? Soll sie als Druckmittel für mein Wohlverhalten dienen?“
Poin winkte ab. „Nein, ich dachte nur, wir unterhalten uns ein wenig, und Sie haben gesagt, Ihre Frau hat Sie geschickt. Ergo nehme ich an, es liegt Ihnen etwas an ihr.“
„Das ist – ich möchte nicht über diese Dinge mit Fremden sprechen!“ Fahrig ließ sich Khumunol wieder auf dem Sofa nieder.
„Also gut!“ Poin stemmte sich in eine etwas aufrechtere Position. „Dann sprechen wir über Ihre Ängste!“
Wie eine Kanonenkugel raste Khumunol durch den Raum und prallte gegen einen Energieschirm. „ICH HABE KEINE ÄNGSTE!“ tobte er. „Sagen Sie das nie wieder!“ Seine Fäuste trommelten gegen den Prallschirm, Poin auf der anderen Seite blieb völlig ungerührt.
„Wenn Sie keine Ängste haben, warum sind Sie dann hier?“, fragte er, als der Springer Luft holen musste.
„Ich habe Alpträume“, brüllte Khumunol. „Seit Jahren muss mich meine Frau regelmäßig aus diesem Inferno befreien, und es wird immer schwerer für sie! Ich träume von der TOP V! Es brennt, es brennt unerträglich heiß, das Magnetfeld des Antimaterie – Annihilators ist dabei, zusammen zu brechen, endlich ist es so weit, und dann kommen diese terranischen Roboter, löschen das Feuer und stellen das Kraftfeld wieder her! Ich habe versagt, verdammt noch einmal! Versagt!“
„Warum denken Sie, versagt zu haben?“ Poins Stimme blieb ganz ruhig.
„Weil ich eigentlich das Schiff sprengen musste”, flüsterte Khumunol. „Ich habe den Schalter umgelegt, der das Magnetfeld herunter fahren sollte. Es hat nicht funktioniert. Die TOP V ist den Terranern nicht allzu schwer beschädigt in die Hände gefallen, damals, bei der Schlacht um die Wega!“
Poin nickte. „Soweit ich weiß, die V, die XVII und die XXI. Alle konnten repariert werden und bilden heute noch den Kern der Home-Fleet von Ferrol. Die XII, XV XX und XXV hat Perry Rhodan zur Erde mitgenommen und wieder in Dienst gestellt. Heute fliegen sie in Ferrols Diensten als Begleitschutz für Handelsraumer ins Topsid – Imperium.“
„Ja!“ bekümmert blickte Khumunol zu Boden. „Ich bin wohl nicht der einzige, der versagt hat! Wir alle von Halle VI haben versagt, und die von Halle V auch. Wir haben überlebt, als wir mit den Schiffen untergehen sollten und es nicht sind.“ Tränen flossen über das grüne Gesicht, und Khumunol verbarg es in seinen großen Händen. Krampfhaft zuckten seine Schultern, als die Emotionen sich ihren Weg an die Oberfläche bahnten. „Unsere Kinder haben uns verlassen, weil sie uns verachten“, schluchzte Khumunol, „Wir sind schlimmer als Parias! Wir sind fast schon Verräter an unserem Volk!“
„Haben Sie Kinder?“ fragte Poin, und Khumunol nickte weinend.
„Eine Tochter. Sie hat sich als Kadett in der John Glenn Academy beworben und wurde angenommen. Sie müsste nächstes Jahr ihren Abschluss machen und hat uns geschrieben. ‚Ich habe meinen Platz gefunden, und er ist immer dort, wo ich bin. Liebe Grüße, Eure Tochter.‘ Sie hat sich für die Flottenschule qualifiziert! Was soll sie von einem Versager wie mir halten?“
„Seltsam.“ Poin hielt einen altmodischen Briefumschlag in die Höhe. „Wissen Sie, was das ist? Ein Gesuch Ihrer Tochter. Sie bittet, dass Sie ihrer Abschlussfeier dieses Jahr beiwohnen dürfen. Ja, Ihre Tochter hat ganze Arbeit geleistet und wird ein Jahr früher fertig. Und will, dass Sie ihr die ersten Sterne an den Kragen stecken. Hier!“ Er projizierte den Brief auf einen Bildschirm auf Khumunols Seite. „Der Direktor hätte Sie noch darauf angesprochen, aber dann haben Sie um dieses Gespräch gebeten, da konnte ich es Ihnen mitteilen. Also! Was wollen Sie mehr? Ihre Tochter hat so viel für Sie übrig, dass sie ihrem Vater bei ihrem Abschluss eine Ehrenrolle zugedacht hat. Verachtung sieht ein wenig anders aus. Sie bekommen eine Kopie des Briefes, zeigen Sie ihn Ihrer Frau. Und jetzt reden wir weiter über Ihr angebliches Versagen! Wie kam es dazu?“
***
32 Schlachtraumer der Überschweren und 17 Handelsraumer Atztaks rematerialisierten in einem Pulk am Rande des Systems der Wega und nahmen bewusst langsam und bedrohlich Kurs auf Ferrol, boten ein Bild mühsam zurück gehaltener und gezügelter Macht zur Zerstörung und Vernichtung. Ihnen standen sechs arkonidische Leichtkreuzer mit sechzig Metern Durchmesser, einige Topsiderschiffe von etwas 300 Meter Länge und die Ionenbetriebenen Schiffe der Ferronen gegenüber. Keine Gegner für die kampferfahrenen Überschweren und ihre Kriegswalzen, die im bekannten Teil der Galaxis berühmt, aber auch berüchtigt waren. Auch die Topsider hatten bereits Erfahrungen mit diesen Schiffen gemacht, mit den 35 Geschützen, die jeder Raumer der Überschweren an Bord hatte, war nicht zu scherzen. So zogen sie sich vorsichtig zurück, und auch die arkonidischen Kugelschiffe folgten diesem Beispiel, nachdem sie von den Echsen gewarnt wurden.
„Wo ist Rhodan und die STAHDU?“ polterte Topthor sofort über die Sprechverbindung los.
„Abwesend!“ kam eine knappe Antwort, die nicht einmal von einem Bild begleitet wurde.
„Dann, Ferronen, Terraner und Topsider, habe ich folgende Befehle!“ brüllte Topthor laut. „Die Schiffe Atztaks werden auf Ferrol landen und einen festen Handelsposten errichten. Im großen Imperium und den angrenzenden Gebieten handelt niemand ohne uns, wir haben das Monopol! Die Topsider dürfen gehen, wohin immer sie wollen, und ihr, Terraner, ihr schafft mir die STAHDU und Rhodan her. Mit dem Geheimnis der Unsterblichkeit, oder aber wir berechnen den Wert von Rofus neu. In fünf Stunden möchte ich das Geheimnis in Händen halten, ansonst sprechen unsere Waffen, und das wird den Bewohnern von Rofus nicht gefallen! Ich will hoffen, dass ihr mich verstanden habt!“ Topthor schaltete den allgemeinen Sprechverkehr ab und behielt nur die Verbindung zu Atztak.
„Ist das Dein Ernst, Topthor?“ Atztak war kreidebleich und raufte seinen prächtigen Bart. „Du willst wirklich das Feuer auf Rofus eröffnen? Das ist gegen das Gesetz der Springer! Ohne Gefahr einen ganzen Planeten zu vernichten…“
„Ich vernichte keinen Planeten, ich setze nur ein paar Leute unter Druck!“ versetzte Topthor unwirsch und lachte grollend. „Jetzt kümmere Dich schon um Deinen Handelsposten! Halte Dich kampfbereit, wir werden uns bald wehren und unsere Interessen verteidigen müssen!“ Der Patriarch landete mit der ATZ I auf Ferrol und ließ die anderen 16 Schiffe in der Umlaufbahn. Ganz wohl war ihm bei dieser Sache nicht, aber irgendwie war das Kommando an die Überschweren übergegangen, und Atztak wagte keinen Widerspruch mehr. Andererseits, natürlich waren die Ferronen ihm gegenüber machtlos, also konnte es sich schon lohnen. In dieser Zeit wurde Atztak, der stolze Patriarch zu einem Fatalisten. Seine Familie war in Sicherheit, soweit man im All von Sicherheit sprechen konnte. Die Sippe würde überleben, ob er mit ihr, war nicht mehr wichtig. Atztak schloss sein Hauptbuch ab.
Und dann, keine drei Stunden später, war die STAHDU aus der Kugellinse einer Singularität gebrochen, zwölf Leichtkreuzer hatten einen Kegel mit der STAHDU an der Spitze gebildet und waren aus allen Rohren feuernd in die Reihen der Überschweren geflogen. Rhodan hatte überraschend auf jeden Funkkontakt verzichtet, sein Schiff hatte pausenlos diese purpurnen Strahlen ausgesandt, die jedes Schiff seiner Schirme beraubten, die Leichtkreuzer und schweren Geschütze der STAHDU hatten mit beinahe chirurgischer Präzision die Brücken und die Geschütztürme vernichtet. Nur Sekunden nach diesem ersten Angriff war Topthors Flotte auf 26 Schiffe zusammen geschmolzen. Der Patriarch der Überschweren tobte! Er hatte nicht erwartet, dass Rhodan gnadenlos und ohne vorherige Ankündigung angreifen würde, so etwas hatte er dem Terraner nicht zugetraut. Er hatte erwartet, dass Rhodan aus Rücksicht auf die Bewohner von Rofus zuerst verhandeln würde, aber kaum war die STAHDU aus dem Transit gekommen, waren die Leichtkreuzer in die Formation eingeschwenkt und hatten beschleunigt, der kleine Verband war völlig überraschend über die Springer gekommen. Keinen Schuss hatte Topthors Flotte auf die STAHDU bei diesem Anflug abgegeben, jetzt erst, im Abflug, wurden die terranischen Schiffe von vereinzelten Schüssen verfolgt. Acht Schiffe waren bei diesem ersten Anflug kampfunfähig geschossen worden.
„Ich lösche jedes Leben auf Rofus aus, wenn sich Rhodan nicht ergibt!“, brüllte Topthor in sein Mikrophon. „Ich werfe eine Arkonbombe auf Rofus“, drohte er, auf seinem Bildschirm erschien eine Arkonidin mit der Ausstrahlung einer Statue aus poliertem Eis, wunderschön anzusehen, aber kälter als selbst die Hölle Arkons.
„Was kümmert es eine Zoltral, was ein primitiver Emporkömmling wie du willst! Mach nur, zerstöre das Leben auf Rofus, vernichte den Planeten, mache was immer du willst, aber meine Strafe für dich wird angemessen sein! Schon für das Wagnis, an eine Arkonidin aus adeligem Haus Forderungen zu stellen, wirst du büßen!“ Thora war ganz die stolze Kommandantin, die Arkonidin, von der ein Angehöriger einer niederen Spezies Unterordnung und Gehorsam fordern wollte. Es war ihr derzeit unmöglich, anders zu handeln. Sie schlug hart und brutal zurück, weder ihre Erziehung noch ihre Ausbildung ermöglichten eine andere Entscheidung. Das Bild Thoras verschwand vom Bildschirm, machte den Blick wieder frei auf die terranische Flotte, welche ihren zweiten Anflug startete. Dieses Mal schlug der STAHDU schweres Feuer entgegen, die kleineren Schiffe der Terraner stoben auseinander, kehrten aus anderen Richtungen zurück, feuerten ihre Geschütze konzentriert ab. Die Kanoniere der Springer versuchten, diese lästigen Schiffchen aus der Existenz zu fegen, doch sie weigerten sich, getroffen zu werden. Grell flammten die Schirme der STAHDU wiederholt auf, ehe der Pilot es immer wieder schaffte, das Schiff aus dem Fokus der Geschütze zu bringen oder die Leichtkreuzer wieder das Feuer auf sich zogen. Dann verfügte Topthor nur noch über 18 kampfbereite Raumer, die STAHDU verzögerte ihre Fahrt, immer weiter feuernd, auch die Leichtkreuzer griffen wieder und immer wieder an. Nur noch zehn Schiffe, die nun versuchten, sich abzusetzen.
Kapitänleutnant Franz Ludwig von Hochberg von der europäischen Marine war ein erfahrener Skipper, der mit seinen Gegnern schon oft erfolgreich Katz und Maus gespielt hatte. Selbst alten Zerstörerkapitänen der Asiatischen Föderation hatte er oft genug mit seinem U-Boot eine lange Nase gedreht. Als die UN bei den Seestreitkräften der Welt anfragte, ob sich jemand freiwillig für den Dienst bei der GCC – Flotte im Weltall melden wollte, hatte Franz Ludwig nicht lange gezögert. Sein Vater, Friedrich Wilhelm von Hochberg, zuerst deutscher, später europäischer Admiral zur See, hatte seinem Sohn beigebracht, dass die edelste und vordringlichste Aufgabe eines Soldaten darin bestand, jede Art von Zivilbevölkerung zu schützen. Nun arbeitete der Kapitänleutnant Seite an Seite mit Japanern, Afrikanern, Ostblockern und Amerikanern, die Feinde von Gestern waren Kameraden von heute.
Der Kaleun hatte die Kommunikation selbstverständlich mitgehört, und als sich von einem der Schiffe ein Gegenstand von der Größe einer Bombe löste, zögerte Franz Ludwig nicht lange. Mit der gesamten Beschleunigung, die seine Korvette hergab, raste er, aus allen Geschützen feuernd auf dieses kleine Objekt zu, konzentrierte sein Feuer auf diesen winzigen Punkt. Niemand aus der Besatzung hatte eine Sekunde gezögert, seine Entscheidung mitzutragen, die Korvette LANCELOT raste an der TOP I vorbei, ein Desintegrator erfasste die mögliche Arkonbombe und zerstörte sie.
„Wir haben unsere Pflicht erfüllt!“, konnte Franz Ludwig noch rufen, dann brachen die Schilde der LANCELOT zusammen, die Thermokanonen der TOP I durchschlugen die Stahlwände wie Butter, Antimaterie trat aus, in einem riesigen Blitz verging das sechzig Meter durchmessende Kugelschiff. Mit ihm zehn tapfere Männer von allen Kontinenten, aus allen politischen Lagern, vereint im Wunsch, Milliarden Wesen einer unschuldigen Zivilbevölkerung zu retten. Erfolgreich zu retten.
Die Namen der Zehn von der LANCELOT waren die ersten, die auf dem John-Maynard-Memorial in Galacto City verewigt wurden, ohne Rang und Herkunftsland, nur mit dem Titel ‚Terraner’. Es sollten allerdings nicht die letzten bleiben, die Tradition, auf Rang und Herkunft zu verzichten, wurde beibehalten. Sie alle waren nur noch Terraner. ‚Sie gaben ihr Leben zum Schutz unbeteiligter und unschuldiger Zivilbevölkerung mit Mut, der über die reguläre Dienstpflicht hinausging‘ stand über den Namen, das Denkmal zeigte einen Steuermann, der, von Flammen umgeben, in einer Jacke, von der bereits Flammen züngelten, ein Ruder festhielt und den Blick angestrengt nach vorne richtete.
Nach dem Angriff auf Rofus und der Explosion der LANCELOT war Thora durch nichts und niemand mehr zu bremsen gewesen. Schon die Drohung allein, eine Arkonbombe auf einen bewohnten Planeten werfen zu wollen, hätte gereicht, sie mit der STAHDU zu einer Kampfmaschine verschmelzen zu lassen, der Abwurf besiegelte das Schicksal der Schlachtflotte Topthors endgültig. Selbst ein primitives Volk rottete man nicht einfach aus, auch nicht aus der Sicht einer stolzen, ein wenig arroganten Arkonidin. Gerade, dass sie sich noch an Perry Rhodans Bitte erinnerte, die Schiffe nicht ganz zu vernichten, vielleicht konnte man ja einige noch gut verwenden. Und auch die Ferronen brauchten eine neue, schlagkräftige Verteidigung. Hätte sich ein Schiff von Topthor losgesagt, als dieser mit dem Atombrand und der völligen Vernichtung von Rofus gedroht hatte, Thora hätte diesem Kapitän freien Abzug gewährt. Keiner von ihnen hatte jedoch diesen Weg gewählt, sie alle hatten trotzig bis zum bitteren Ende gekämpft. Der neuen TOP I, erst seit Stunden Flaggschiff Topthors, gelang als einzigem Schiff der Überschweren schwerstens beschädigt die Flucht, doch weder der überschwere Patriarch noch das Schiff wurden je wieder gesehen. Seine Entscheidung, eine der schrecklichsten Waffen einzusetzen und auf einem bewohnten Planeten einen unlöschbaren Atombrand zu entfesseln, machte ihn nicht nur unter seinesgleichen, sondern bei allen Völkern der bekannten Galaxis zum Geächteten. Es war das Ende der Sippe Topthors, aber natürlich nicht das des Volkes der Überschweren, das diesen Akt einstimmig verurteilte, gesamt.
Atztak hatte innerlich bereits aufgegeben. Er griff zwar noch an, als Topthor es befahl, aber er wusste, er war verloren, und mit ihm seine Flotte. Trotzdem gab er den Start- und Feuerbefehl, beinahe teilnahmslos registrierte er die Verluste, setzte sich selbst ans Ruder und nahm Kurs direkt auf die STAHDU. Den Feuerorkan, der sein Schiff erreichte, bemerkte er nicht mehr. Atztak starb schnell, und mit ihm die Besatzung der ATZ I. Nach dem Ende des Patriarchen erstarb allmählich das Feuer der Handelsraumer, immer mehr zogen sich, noch ehe Topthor sein Verbrechen versuchte, aus der Schlacht zurück, ihre Kapitäne waren des sinnlosen Kampfes müde. Sie schalteten ihre Schirme aus und öffneten die Außenschotts ihrer Schleusen, als Zeichen der Ergebung. Die Besatzungsmitglieder dieser Schiffe waren bald wieder in Freiheit, und viele verdingten sich in der irdischen Flotte, die GCC hatte heliumdichte Verträge vorbereitet. Wie Rhodan in einer Rede vor den gefangengenommen Springern sagte:
„Wir müssen und dürfen froh und zufrieden um jeden Fachmann sein, der bei uns anheuert, noch haben wir sehr wenige eigene. Und jeder, der nur hinter Gittern sitzt, weil er der falschen Seite angehört hat, aber kein anderes Verbrechen begangen hat, ist eine Verschwendung. Mit Verzeihen werden wir eine gemeinsame Größe erreichen, Wohlstand und Zufriedenheit für möglichst viele Personen unabhängig von Alter, Herkunft, Religion oder Geschlecht. Lesen Sie die Verträge, und ich werde jedem die Hand reichen, der einschlägt.“ So leerte sich die Halle V von Becatraz ziemlich rasch wieder, nur einige wenige Hartnäckige hielten an ihrem Status fest und mussten bleiben.
***
Khumunol weinte immer noch, zu lange hatte sich alles in ihm aufgestaut und nicht an die Oberfläche gedurft. Er bemerkte nicht, wie der Prallschirm verging und Poin auf seine Seite kam, den Brief seiner Tochter und einen Vertrag ablegte und wieder zurück kehrte.
„Wollen sie Rhodans Hand ergreifen, Mister Khumunol?“ Der nickte müde, immer noch tränten seine Augen, doch der große Anfall war vorbei.
„Ich werde den Vertrag genau studieren, Professor. Ganz genau. Und dann wahrscheinlich unterschreiben. Und ich werde meiner Frau sagen, sie soll den Vertrag lesen!“
Der Überschwere ging gesenkten Kopfes in seine Wohneinheit und zeigte Shaumauntha den Brief ihrer gemeinsamen Tochter. Dann las er den Vertrag mit der GCC ganz genau, nahm einen Stift und unterschrieb, setzte seinen Daumenabdruck darunter und seufzte laut auf.
„Du solltest Dir den Vertrag auch ansehen“, sagte er zu Shaumauntha, die drückte seinen Kopf an ihre breite Brust, umfing diesem mit ihren Armen.
„Das habe ich doch schon seit Wochen, mein Lieber! Jetzt lass uns gehen. Gemeinsam!“ Khumunol drückte auf den Rufknopf der Kommunikation und hielt den unterschriebenen Vertrag vor die Kamera.
„Ich gratuliere Ihnen, Mister Khumunol!“ sagte der Wachhabende. „Bitte begeben sie sich in Raum 19. Ich wünsche Ihnen alles Gute!“ Nach vielen Sicherheitseinrichtungen saß das Paar dann im Transitraum und wartete auf eine Transportkapsel und Raumanzüge.
„Schau doch einmal!“ Khumunol wies ganz begeistert auf die Sterne über dem Glasdach der Magnetbahnkapsel, ein Feuerschweif zog über den Himmel. „Das war ein mittelschweres Triebwerk, wahrscheinlich ein Planetenhüpfer!“ Er war ganz aufgeregt, jeder Beschleunigungsring entlockte im ein Lachen. Shaumauntha lächelte nur still und zufrieden vor sich hin. Natürlich war es noch ein weiter Weg, auch Khumunol wusste nur zu gut, dass noch viele Gespräche mit einem Psychologen folgen mussten. Aber ein Anfang war gemacht, sie waren auf dem Weg in eine bessere Zukunft, in ein neues Leben! Dann endlich waren sie angekommen und schälten sich nach dem Druckausgleich im Schleusenraum der Magnetbahn aus den Anzügen. Leichte, neutrale Kleidung in ihrer Größe lag schon bereit, bis sie sich nach ihrem Geschmack etwas besorgen konnten. Das Schott glitt auf, ein großer, hagerer Mann mit stahlgrauen Augen kam auf sie zu und hielt Shaumauntha und Khumunol die Hand hin.
„Willkommen in der Freiheit! Ich halte mein Versprechen und reiche Ihnen meine Hand. Schlagen Sie ein?“
Und sie gaben Perry Rhodan die Hand. „Wir schlagen ein, Mister Rhodan. Wir schlagen ein.“
***
Gopkar Sektor, Unbekannter Roter Riesenstern
Victoria war allein in ihrer Kabine auf der KLEOPATRA. Nachdenklich schritt sie auf und ab, nickte ab und zu oder schüttelte den Kopf. Offensichtlich rang sie mit einer Entscheidung. Schließlich nahm sie sich ein kleines Gläschen Grappa und startete die Stereoanlage, scrollte im Inhaltsverzeichnis bis ‚S‘ und wählte Carlos Santana. Die vollen, warmen, dunklen Töne einer hervorragenden Gitarre, von einem Ausnahmemusiker aus dem 20 Jahrhundert gespielt, erfüllten den Raum, als das Intro zu ‚Samba Pa Ti‘ begann. Victoria Rosheen warf sich in einen gemütlichen Sessel und nippte an ihrem Grappa. Seit Wochen waren sie schon auf dem 13. Planeten des roten Riesen und versuchten, das Geheimnis der Kuppel zu ergründen, ohne Erfolg. Der Geschmack des Alkohols rollte über ihre Zunge und verursachte ein angenehmes Glühen in der Kehle. Sie beschloss, noch einmal alle Fakten durchzugehen, ehe sie einen Mutanten anforderte. Sie erinnerte sich, damals, nach der ersten Landung auf ‚Tricky Secret‘…
Als Tana und Chris mit den vier Leuten über die breite Straße gingen zu der Kuppel gingen, sahen sie sich fortwährend wachsam um. Es hatte sich bestätigt, am Ende jeder Straße standen zwei Statuen aus Diamant, nicht exakt gleich, aber doch sehr ähnlich. Vom Boden aus war die Zerstörung der Gebäude noch stärker als vom Flugzeug aus zu erkennen, die nackten Stahlskelette ragten in den Himmel, der dehydrierte Beton und das Glas hatten Schutt- und Staubhaufen am Boden um die Stahlträger gebildet, die weit auf die Straßen reichten und teilweise ineinander übergingen. Weit vor ihnen ragte die graue Kuppel aus MV – Stahl etwa drei Kilometer hoch in den schwarzen Himmel, bildete eine perfekte Halbkugel, halb von der Sonne beschienen, ein optischer Effekt zeichnete die Konturen der dunklen Seite etwas heller als den Sternenhimmel in den Augen der Betrachter ab. Die zwei Frauen und zwei Kh’Entha’Hur der wenigen Infanteristen an Bord der KLEOPATRA hielten ihre zweihändigen Desintegratoren schussbereit, sicherten nach allen Seiten, besonders den Kh’Entha’Hu wäre kaum eine Gefahr entgangen – wenn sich denn eine gezeigt hätte. Auf dem Marsch ereignete sich genau gar nichts, dann standen sie vor der Kuppel, die Krümmung der Wand war kaum mehr zu sehen, fugenlos, glatt erhob sich das Monument aus Metall, als hätte man es gestern gegossen und aufgestellt.
Christian Hawlacek machte sich sofort mit einer Unzahl von Instrumenten an die Arbeit, versuchte Dicke, Alter, Verunreinigungen und vor allem Nähte, die auf einen Eingang deuten konnten, zu bestimmen. Eine langwierige Prozedur, denn er musste Meter um Meter nach feinsten Fugen untersuchen. Tana sah sich um, die Straße führte in zwei Bahnen um die Kuppel, dazwischen war ein Streifen, auf dem in regelmäßigen Abständen eine Statuengruppe aus Bronze stand, wieder jeweils eine nackte Frau und ein nackter Mann.
„Mein Vater hatte so etwas ähnliches!“ Margit Standig, eine der Infanteristinnen ging um ein Paar herum. „Nur war seines aus Kunststoff. Er war Arzt, und es war ein anatomisches Modell, das die Muskulatur unter der Haut darstellte. Die Haltung ist bei allen Paaren ähnlich, aber sehen Sie! Hier sind die Augenwülste sehr prominent, genau so der Stirnkamm. Dort ist dieser Kamm gar nicht vorhanden, die Augenwülste kaum. Dafür ist der Körperbau weniger bullig. Beinahe arkonidisch.“
Tana ging einige Paare ab, stets von Margit gesichert. „Sie haben absolut recht. Als wäre die Diamantfamilie die perfekte Verschmelzung dieser einzelnen Merkmale.“
„Dort hinten!“ Margit wies auf eine Figurengruppe weiter weg. „Da wird es noch anatomischer, dort fehlen Haut und Muskeln.“
„KLEOPATRA!“ Tana schaltete einen Kanal zum Schiff frei. „Bitte landen Sie, Ghoma. Die KLEOPATRA wird als planetares Basislager dienen. Ich brauche den biologischen Stab, einige Physiker aller Sparten, und wenn sich Planetologen umsehen möchten, nur zu. Ich glaube, das wird noch etwas dauern. Senden Sie Korvetten zu den anderen Planeten, sie sollen sich umsehen, ob etwas interessantes zu finden ist, setzen Sie ruhig auch die Jadgstaffeln ein, ich möchte vor allem von diesem Planeten einen schönen 3D-Globus auf meinem Rechner. Sie wissen ja, worauf es ankommt. Sergeant Standig, Sergeant My’irthan, bitte kommen Sie mit. Chris, ich werde einmal rund um die Kuppel gehen, wenn die Wissenschaftler eintreffen, bitte koordiniere sie. Mit den Biologen möchte ich dann vielleicht auch noch einmal in den Graben, vielleicht wollen sie ein paar Proben sammeln.“ Christian brummte nur, er war konzentriert in seine Arbeit versunken. „Christian?“
„Wie? Was?“ er hob kurz den Kopf. „Klar, Runde um die Kuppel, Koordination, Graben! Alles gehört!“ Schon klebte der Blick wieder an den Instrumenten. Tana schmunzelte leise in sich hinein, die nächsten Stunden könnte sie vor Christian einen Striptease auf das Parkett legen, er würde es kaum bemerken. Nicht sofort zumindest, aber später würde er jede Bewegung und Mimik nachvollziehen können, als liefe ein Film in seinem Hirn ab.
„Das hier ist ein arkonoides Skelett. Die typischen Knochenplatten des Brustkorbes!“ Margit strich mit der Hand über einen Unterschenkelknochen aus Bronze. „Und sehen Sie sich dieses Fußgelenk an. Jedes Knöchelchen ist genau abgebildet.“
Auch Tana strich bewundernd über die feine, exakte Arbeit. „Stimmt. Das Skelett ist eindeutig arkonoid. Aber das weibliche daneben ganz eindeutig nicht. Es ist viel zarter und feiner, der Hirnschädel größer, die Brustplatten vierfach unterteilt, oder anders gesagt, vier breite Rippen. Ich kann hier drei Spezies unterscheiden. Eine bullige mit Augenhöcker und Stirnkamm, die arkonoide und diese zarten, elfenhaften Wesen. Zusammen sind sie dann wohl diese Wesen, die wir als Statuen aus Diamant gesehen haben.“
„Ein Zuchtexperiment?“ Ghüsteef, der Kh’Entha’Hur umkreiste wachsam bleibend die Gruppe und hatte kaum einen Blick für die Bronzen.
„Vielleicht auch ein angestrebtes Ideal, eine Analogie, dass die Zivilisation sich aus drei einander ergänzenden Spezies zusammen gesetzt hat“, spekulierte Tana. „Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber natürlich ist auch eine biologische Verschmelzung nicht ausgeschlossen.“
„Wow! Einen hübschen – Hintern hat der Knabe gehabt, der Modell gestanden ist!“ Margit Standig stand vor einer neuen Gruppe und bewunderte dieses Mal die Darstellung eines nackten Mannes aus dem elfenähnlichen Volk.
„Von der Ausstattung ganz zu schweigen“, lachte Tana unverhohlen und bewunderte die Vorderseite. „Natürlich nur, wenn der Künstler naturalistisch gearbeitet hat!“
„Warum sollte er gerade hier übertreiben?“, überlegte Margit und fuhr mit der Zunge über ihre Lippen, um sie zu befeuchten. „Die Arkonoiden sind jedenfalls ziemlich treffend dargestellt.“
„Dann“, witzelte Tana. „Dann sollten unsere Männer möglicherweise froh sein, das es diese Spezies nicht mehr gibt. Einige hätten sicher glatt Minderwertigkeitskomplexe bekommen!“
Der Kh’Entha’Hur warf einen Blick darauf und zuckte mit den Schultern. „Was ist daran besonderes?“ fragte er. „Ist doch ganz normal groß.“
„Hmm!“ Margit musterte ihren Kollegen von oben bis unten. „Wenn ich dich nicht schon unter der Dusche gesehen hätte, müsste ich dich jetzt einen Aufschneider nennen.“
„Hier sieht man die männlichen inneren Organe der bulligen Spezies und die der weiblichen Elfen.“ Tana war fasziniert und verfolgte mit ihrer Maxi Lite einige Verbindungen zwischen einzelnen Teilen. „Seht Euch das an, drei innen liegende Hoden. Mich würde interessieren, wie da die Wärmeregulierung funktioniert hat. Ein Herz, scheinbar mit sechs Kammern und eine wirklich riesige Lunge.“
„Warten Sie, Chefin!“ Margit wurde ganz aufgeregt. „Diese Stirnkammleute haben doch auch riesige Füße und große Hände?“ Rasch lief sie zu einer anderen Gruppe zurück. „Sehen Sie das? Das sieht doch wie Schwimmhäute zwischen den Zehen aus. Zwischen den Fingern sind sie ziemlich verkümmert!“ Tana und Ghüsteef waren ihr gefolgt, der Kh’Entha’Hur immer die schwere Waffe im Anschlag.
„Stimmt! Eindeutig Schwimmhäute.“ Tana erforschte mit den Fingern die Struktur, leuchtete in die dunklen Schatten.
„Ein Wasservolk! Ob die genetisch kompatibel waren?“ Margit beleuchtete die Schultern. „Richtig stromlinienförmig, typische Schwimmer!“
„Ich würde sagen, nicht ohne Nachhilfe.“ überlegte Tana, wieder die feinen Oberflächen bewundernd.
„Doch eine Analogie?“ fragte Standig.
„Sind wir Kh’Entha’Hur eigentlich mit Menschen kompatibel?“, wollte Ghüsteef wissen.
„Nein. Eine Vermischung unseres Erbgutes ist nicht ohne einige Stunden im Labor möglich.“ Tana lächelte den Mann an. „Aber wir mögen und schätzen Euch Kh’Entha’Hur trotzdem als gute Freunde.“
„Das hört man doch immer gern!“, lächelte der Kh’Entha’Hur zurück.
„Sehen wir uns die Organe einmal weiter an.“ Tana ging wieder zu der Gruppe, die ihre Organe präsentierte.
„Jetzt machen auch die innen liegenden Hoden Sinn“, überlegte Margit.
„Korrekt“, stimmte Tana zu und betrachtete die Eingeweide aus Bronze. „Und wie sieht es in ihr aus? Okay, normales Herz mit vier Kammern, aber – sind das drei Nieren? Magen-Darmtrakt ziemlich menschlich, Gebärmutter, Eierstöcke nichts auffallendes, könnte durchaus von einem Menschen sein!“
„Was ist das hier?“ wies Margit auf ein Organ.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung!“ beschied Tana. „Da müssen die Biologen Antworten finden. Wir müssen jede dieser Gruppen mit Lasermesstechnik erfassen, damit wir ein 3D – Modell erstellen können!“
„Auf jeden Fall sind es Säugetiere wie wir!“ meinte Ghüsteef. „Vielleicht ein bisschen sehr viel Gewebe um die Milchdrüsen, aber dafür nur zwei, wie bei Euch Menschen!“
„Richtig“, gab Tana dem Kh’Entha’Hur recht. „Gehen wir weiter!
Von Gruppe zu Gruppe gehend erreichten sie schließlich wieder den Ausgangsort ihrer kleinen Exkursion.
„Es sind etwa 300 Gruppen, verschiedene Zusammenstellungen der Spezies und verschieden weit in die anatomische Tiefe gehend. Aber es findet sich von jeder der drei Arten sowohl eine weibliche wie eine männliche, von einer ‚normalen‘ Aktdarstellung bis zum Skelett, irgendwo in diesen Gruppen.“ Tana unterhielt sich mit den Biologen und einigen Technikern. „Bisher ist keine Gefahr aufgetreten, trotzdem, nehmen Sie bewaffnete Wachen mit, sehen Sie sich die Statuen an. Und machen Sie Laseraufnahmen für eine Punktwolke, je dichter, desto besser. Ich möchte hier nichts zerstören, aber ich möchte es doch studieren und eine Kopie an die John Glenn Academy senden. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. Bitte gehen Sie an Ihre Arbeit!“
Tana Starlight blickte in die Runde. Die Techniker waren mit den Laserscannern abgezogen und bauten ihre Geräte an der ersten Statuengruppe auf, während andere die Straßenzüge und Ruinen ins Visier nahmen. Jedes Team wurde von zwei Posten begleitet, die misstrauisch in die Runde sicherten und ihre Waffen schussbereit hielten. Gut! Nur nicht nachlässig werden, eine Falle konnte immer zuschnappen, und wer wusste schon, was geschehen konnte, wenn ein Laserstrahl auf einen bestimmten Punkt traf. Chris war immer noch dabei, die Kuppel abzusuchen. Vorerst war er mit seinen Instrumenten zur nächsten Hauptstraße gezogen, wo er nachdenklich die Wand betrachtete, während ein Gerät das Metall mit allen möglichen Strahlen bombardierte.
„Etwa 2 Meter Wandstärke, 0,97 Atmosphären Druck im Inneren. Irgendwo da drinnen laufen Generatoren zur Energiegewinnung, ähnlich denen der Arkoniden. Mehr kann ich noch nicht sagen, Tana“, berichtete er und wollte sich am Bart kratzen, stieß mit der Hand jedoch an den Helm. „Merde!“
Perlendes Lachen kam von Tanas Lippen. „Mit dem Küssen müssen wir wohl warten, Schatz.“
„Was? Oh! Ja!“ Christian tauchte aus seinen Gedanken auf. „Wird besser sein. Verdammt! Kein Spalt, keine Ritze, keine Naht! Nichts, rein gar nichts. Eine perfekte Kuppel! Das Ding kann doch nicht von innen gegossen worden sein! Vielleicht kommt man von unten hinein, der Stahl geht weiter in den Untergrund, als ich messen kann.“
Grübelnd starrte Tana auf das Metall. „Irgendwie erinnert das Bauwerk an Atlans Überlebenszylinder. Nur um vieles größer, und das passt auch zu den arkonoiden Lebensformen. Hmm! Ich glaube, ich muss einmal telefonieren!“ Sie drehte sich um und ging zur KLEOPATRA, es waren ihr einige Lücken in der Hypnoschulung bewusst geworden. Arkonidische Kolonialgeschichte war gerade eben so gestreift worden, und auch die Computer der Starlight Enterprises enthielten darüber keine Informationen. Tana hatte es nie für wichtig erachtet, nun aber bedauerte sie es.
***
„Mister Rhodan!“ hauchte Tana verführerisch lächelnd, als die abhörsichere Leitung von ihren Räumlichkeiten über die Funkzentrale der KLEOPATRA und die HEPHAISTOS nach Galacto City stand und Perry Rhodan auf ihrem Bildschirm erschien. „Wir müssen uns endlich einmal privat sehen, nur wir zwei Hübschen!“
„Wenn Du es genau wissen willst, kleiner Spatz, dann hört derzeit deine Mutter und sonst niemand mit!“ Perry Rhodan blickte schmunzelnd vom Bildschirm, sofort löste sich Tanas Attitüde auf und machte einer nüchternen Victoria Platz.
„Hi, Dad, Hi, Mom! Ich sende Euch einige Bilddaten. Wir sind im Gopkar Sektor auf etwas gestoßen, und ich wollte fragen, ob hier einmal eine arkonidische Kolonie oder etwas in der Art war?“ Thora erschien auf dem Bildschirm und setzte sich, ihrer Tochter zulächelnd, auf Rhodans Schreibtisch. Allmählich war ihr Bäuchlein schon ziemlich gerundet, man sah ihr die Schwangerschaft bereits deutlich an, trotzdem – oder vielleicht auch deswegen – sah sie umwerfend aus. Perrys Augen strahlten auf, wenn er seine Frau ansah.
„Danke, meine liebe Tochter, es geht uns gut, meine liebe Tochter. Dein kleines Brüderchen befindet sich auch wohl, Reginald tritt schon ganz kräftig. So wie du, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Ups!“ Victoria lachte! „Entschuldige bitte, Mama. Wie geht es Euch? Seid Ihr alle bei guter Gesundheit? Hat Onkel Reginald endlich eine feste Freundin? War im Gopkar Sektor eine arkonidische Kolonie?“
Perry Rhodan hatte ein paar Knöpfe gedrückt. „Im Gehirn der STARDUST ist nichts verzeichnet. Was sagt Dein Gedächtnis, Schatz?“
Thora schüttelte den Kopf. „Nein! Es ist mir auch nicht bekannt, dass dort ein Schiff oder eine Flotte verschollen wäre. Alle Verluste einwandfrei aufgeklärt. Sind das die Bilder?“ Die Arkonidin bestaunte wie schon ihre Tochter die hervorragenden Arbeiten der Bildhauer und Bronzegießer.
„Das ist kein arkonidisches Skelett!“ rief Thora.
„Aber es passt doch?“ Victoria sah genauer hin.
„Eben nicht!“ Thora wies auf das Abbild. „Sieh doch mal, das Schlüsselbein. Es ist rund, wie das eines Menschen!“ Sie blendete das Bild eines Knochens neben den beanstandeten. „Arkonidische Schlüsselbeine sind breiter, aber flacher. Es macht funktionell keinen Unterschied, aber optisch. Und hier, die zwei auf beiden Seiten existierenden blind endenden Rippenbögen, die von der Wirbelsäule ausgehen, sie sind länger, auch eher einem menschlichen Skelett ähnlich. Wir Arkoniden haben diese nur rudimentär. Und dann die Brustplatten. Unsere besitzen eine ebenmäßige Oberfläche, hier gibt es dicke und dünne Stellen, als wären 12 Rippenpaare – so viele, wie der irdische Mensch hat – zusammen gewachsen. Eigentlich ist es Deinem Knochenbau recht ähnlich, Victoria! Ein wenig menschlich, ein wenig arkonidisch.“ Die Arkonidin wurde immer aufgeregter. „Vielleicht hat Haparghar ja doch recht, dann wäre das vielleicht eine Urahnenrasse!“ Victoria und Perry runzelten fragend die Stirn.
Thora strich sich über den runden Bauch und beruhigte sich etwas. „Eine umstrittene Theorie, die niemand wirklich ernst genommen hat. Haparghar hat festgestellt, dass im ganzen bekannten Raum humanoide Spezies in vielen verschiedenen Phasen der kulturellen Entwicklung existieren, manche mit Brustplatten wie wir, manche mit Rippen wie die Menschen mit zwölf, und alles mögliche dazwischen. Mit Knochenkämmen am Schädel und mit Brauenwülsten. Siehe Ferronen. Von Affenähnlichen bis zu Raumfahrenden. Alle sind genetisch kompatibel genug, um Kinder miteinander zu bekommen. Du, mein Kind, bist der lebende Beweis, dass die Krone der Entwicklung – also wir Arkoniden – durchaus von einem primitiven Halbaffen – wie es die Terraner leider heute noch sind – schwanger werden kann, ohne künstliche Befruchtung sogar. Drei mal, möchte ich empört hinzufügen.“ Sie hob unterstreichend einen Zeigefinger, Perry Rhodan schmunzelte milde.
„Eine große Kanone schießt eben nicht mit Platzpatronen“, sagte er selbstgefällig und polierte seine Fingernägel am Hemd, blies dann affektiert darauf. Spielerisch warf Thora mit einem Stift nach Perry.
„Und dann muss ich mir auch noch einen Scharfschützen aussuchen. Zum Glück geht ja nicht jeder Schuss ins Blaue gleich ins Schwarze!“ Sie beugte sich zu Rhodan und küsste ihn kurz, aber innig.
„Mama?“ Victoria räusperte sich, Thora ließ von ihrem strahlenden Mann ab.
„Ist ja gut, ich rede schon weiter! Also, aus diesem Umstand hat Haparghar geschlossen, dass es bereits vor langer, sehr langer Zeit ein Imperium, Reich, Republik, was auch immer, in der Galaxis gab, das aus irgendeinem Grund untergegangen ist und nun finden wir unsere Verwandten wieder. Er nannte es die Uhrahnenrasse – Theorie. Vielleicht haben Deine Funde damit zu tun.“
Victoria nickte etwas geistesabwesend, sie war tief in Gedanken.
„Was hast Du vor, Victoria?“ wollte Perry Rhodan wissen. „Wie willst Du in die Kuppel vordringen?“
Victoria Rosheen sah auf. „Wenn wir keinen Eingang finden, gar nicht. Ich möchte nicht mit Gewalt etwas zerstören, besonders, da dieses Gebilde noch unter Druck steht und Energie verwendet wird. Wer weiß, was ich damit anrichte, möglicherweise lebt noch jemand oder etwas in dem Gebilde. Ich melde mich auf jeden Fall wieder, vielleicht wäre das eine Angelegenheit für einen Teleporter. Aber unter Umständen ist auch das eine riskante Sache, wir haben ja noch überhaupt keine Ahnung, was oder wer hier dahinter steckt. Ich dachte, vielleicht hätten hier arkonidische Kolonisten mit anderen Spezies eine gemeinsame Kultur erschaffen. Oder sich vermischt, und als die Sonne zu unwirtlich wurde, in die Kuppel zurück gezogen. Das Bauwerk erinnerte mich an Atlans Azorenversteck. Na schön, wir forschen noch weiter. Schöne Grüße an alle, ich melde mich wieder!“
„Moment!“ rief Thora, als Victoria die Hand ausstreckte. „Hast Du schon bedacht, dass es umgekehrt gewesen sein könnte?“
Victoria Rosheen runzelte fragend die Stirn. „Umgekehrt?“
„Natürlich!“ Perry Rhodan schlug sich mit der Hand vor die Stirn. „Nicht aus drei mach eine, aus einer Spezies mach drei! Das wäre möglich!“
„Oh!“ unwillkürlich zuckte Victoria zurück. „Man züchtet Wesen, welche den Ozean ausbeuten, Arbeiter und vielleicht auch Soldaten für das feste Land und einen Adel mit großem Hirn. Eine – unappetitliche Vorstellung!“
„Nicht, wenn Du zum Adel gehörst. Lies doch mal ‚Brave new World’ von Aldous Huxley.“ Rhodan verschränkte die Finger und legte sie unters Kinn. „Aber ich gebe zu, mich begeistert dieser Gedanke auch nicht wirklich.“
„Das Universum ist kein netter Ort. Nicht immer!“ Thora stand auf, trat hinter Perry, stützte ihre Unterarme auf seine Schultern und küsste seinen Scheitel. „Aber Ihr seid schon wieder voreilig. Was, wenn sich einige für ein physisches Leben mit einem starken Körper entschieden haben, ob im Wasser oder zu Lande, und einige für einen spirituellen Weg, vielleicht sogar psychisch Begabte, ähnlich unseren Mutanten.“
Jetzt machte Victoria die selbe Geste wie ihr Vater, ein Anblick, der Thora zum Schmunzeln brachte. „Also, Du meinst, einige planten einen Weg, ähnlich wie ES in gegangen ist?“
„Schon möglich!“ Thora lächelte ihre Tochter sanft an. „Nimm Dich in Acht, mein Kind! Und alles Gute für Euch, viel Vergnügen! Schöne Grüße auch an Chris! Habt Ihr schon Erfolg gehabt mit…?“ Thora wackelte vielsagend mit den Augenbrauen und streichelte ihren gerundeten Bauch.
Victoria lachte fröhlich. „Sieht so aus, als müssten wir noch üben, Mom. Wie hast Du es ausgedrückt? Nicht jeder Schuss trifft auch ins schwarze! Nicht schwanger, zumindest noch nicht!“
„Dann viel Glück, Dein Vater und ich drücken Dir die Daumen!“ Perry Rhodan verzog säuerlich sein Gesicht, Thora klatschte mit der flachen Hand auf seinen Hinterkopf. „Drück gefälligst die Daumen und wünsch Deiner Tochter Glück, geliebter Pavian. Lächelnd! Chris ist schon in Ordnung. Diese Väter! Kein Mann wird je für ihr kleines Mädchen gut genug sein!“ Und in arkonidischer Sprache fügte sie hinzu „Männer!“
Jetzt musste Victoria noch lauter lachen, es tat ihr wohl. „Ich bin sicher, er will nur mein Bestes, Mama. Aber er wird sein zweites Enkelkind sicher genau so mögen wie Reginald!“
„Und Dich auch, mein Spätzchen!“ grinste Rhodan. „Außerdem bin ich stolz auf Dich! Ich lasse ein Raumschiff bereitstellen und sag Gucky Bescheid, falls Du ihn brauchst. Auf den kleinen Racker kannst Du Dich verlassen. Melde Dich wieder einmal, wir freuen uns immer!“
Victoria saß noch einige Zeit überlegend vor dem Kommunikationsschirm, als lautes Summen einen neuerlichen Anruf meldete, einer ihrer Wissenschaftler, der Exobiologe Holger Lussken, wollte sie sprechen.
„Chefin, die Skelette sind nicht arkonidisch, sie sind halb menschlich. Es gibt da einige Ungereimtheiten. Sind sie mit der Theorie von der Uhrahnenrasse des Arkoniden Haparghar vertraut?“
Victoria rollte ihre Augen himmelwärts. „Ansatzweise“, antwortete sie trocken.
***
Es war bereits tiefe Nacht, als Victoria die Hand ausstreckte und das Bett neben sich leer vorfand. Seufzend machte sie Licht, schwang ihre endlos langen Beine aus dem Bett und tapste nackt, wie sie war, in den Wohnraum ihrer Suite. Das flackern wechselnder Bilder auf einem Monitor bildete die einzige Beleuchtung, Chris war, in einen Bademantel gehüllt, immer noch in die Computerauswertung seiner Messungen vertieft. Sie tastete nach dem Lichtschalter und dimmte die Beleuchtung etwas heller, Christian fuhr auf.
„Habe ich Dich geweckt? Entschuldige bitte, ich wollte Dich nicht stören!“
„Du hast mich nicht geweckt!“ sagte sie gähnend. „Aber ich habe ein leeres Bett gespürt und wollte nachsehen, was Du machst”. Sie setzte sich rittlings auf seinen Schoß. „Christian, Du solltest Pause machen. Und wenn Du noch so lange, noch ein paar Stunden auf die Zahlen und Kurven schaust, Dein Gehirn wird nichts Neues mehr erkennen. Nicht jetzt, nicht ohne Pause. Komm schon. Beschäftigte Dich erst einmal mit diesen Kurven.” Sie nahm seine Hände und legte sie auf ihr Hinterteil „Und mit diesen!“ Sie nahm seinen Kopf und zog ihn zwischen ihre Brüste, rückte seine Schenkel entlang näher. „Morgen wirst Du vielleicht einen Eingang in die Kuppel finden, heute nur noch mich“. flüsterte sie und sorgte dafür, dass die Zahlen auf dem Monitor nicht mehr wichtig schienen.
„KLEOPATRA, Bildschirm aus!“ rief sie, und zu Chris gewandt: „Wir müssen doch noch ein wenig üben!“
***
Ferrol, Marineakademie des Thort
Großer Festsaal
Conrad Derringhouse war ein alter Mann, der sich jedoch auch mit 85 Jahren noch kerzengerade und die rostrote Uniform der Ferronischen Raumwache in Ehren hielt, obwohl er bereits in Pension war. Der weißhaarige Mann mit den tiefen Falten im Gesicht ergriff die Hand der 70jährigen Sitha Aini von Rofus, die für ihn immer noch die Verkörperung der Schönheit war, die er nach 50 Jahren wie am ersten Tag liebte und drückte sie zärtlich. Sie wandte sich ihm lächelnd zu und spitzte die Lippen zu einem Luftkuss, eine Sitte der Menschen, die sich gerne zu Eigen gemacht hatte. Conrad lächelte versonnen zurück. Wer hätte sich das alles vor ungefähr sechzig Jahren vorstellen können?
Vor etwa fünfzig Jahren, als er mit Perry Rhodan als einer der ersten Menschen das Sonnensystem verlassen hatte, war er überzeugt gewesen, bald wieder nach Hause zu kommen. Sein Schicksal aber hatte nur gelacht und einen anderen Lauf genommen. Es wurde abgeschossen, es folgte der Absturz über Rofus, seine Rettung durch das Mädchen aus dem Volk der Sikha und seine Flucht, die Eroberung der STAHDU. Und seine große Liebe für Sitha Aini, welche ihn gerettet hatte und die er nicht mehr verlassen wollte! Nie mehr! Dann war Perry Rhodan nach Wanderer aufgebrochen, ihm hatte er das Kommando über sechs Korvetten aus den Beständen der STAHDU während seiner Abwesenheit anvertraut, die Sicherheit seiner außersolaren Freunde und Verbündeten in seine Hände gelegt. Er war so stolz gewesen und versprochen, sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen. Er war auf vieles stolz gewesen, doch eine gewisse Demut, eine Ehrfurcht hatte ihn nie verlassen, ebenso seine Großmütigkeit anderen gegenüber. Seine Untergebenen hatten ihren Kommandanten verehrt und ihm vertraut!
Kurz vorher hatte Perry Rhodan die ersten UN – Freiwilligen aus den Flotten der Erde rasch mittels Hypnoschulung in der Handhabung der Korvetten ausgebildete und in das Wegasystem bringen lassen, um hier einen ersten Verteidigungscordon zu bilden, 60 Seesoldaten, zumeist aus den U-Bootflotten der terranischen Staaten, die nun die ersten Vertreter der Menschheit sein sollten. Sie hatten geübt und trainiert, Probealarme abgehalten und Zielanflüge auf Gesteinsbrocken durchgeführt. Die Asteroidenschürfer hatte es gefreut, die Geschütztreffer hatten viele Gesteinsbrocken zerkleinert und Erze leichter auffindbar bemacht. Sie alle, der Kommandant Derringhouse und seine Männer, wollten sich bewähren, diese ersten 60, diese ‚Ritter der Tafelrunde‘, wie sie sich selber gerne nannten. Nach einer Sage, die um die Welt gegangen war. Und sie waren zusammengewachsen, sie wurden zu Mannschaften, die sich vertrauten und blind verstanden, die Mannschaften entwickelten sich zu einem großen, eingespielten Team, sogar die persönlichen Eigenheiten, die der Einzelne nicht ablegen konnte, wurden berücksichtigt. Dunkelhäutige Afrikaner, Asiaten mit der ausgeprägten Augenfalte, Europäer mit heller oder dunkler Haut, roten, brünetten, blonden oder schwarzen Haaren, Amerikaner, die ständig auf ihren Kaugummis herumbissen und aussahen wie eine Mischung aus allen anderen, sie waren die 60 Ritter auf den sechs Schiffen. Sie nannten sich so, und so fühlten sie sich.
Conrad hatte das Flaggschiff der kleinen Flottille natürlich ARTUS genannt, die anderen fünf Schiffe waren die LANCELOT, die GALAHAD, die PARCIVAL, die GAWAIN und die TRISTRAM, bemannt mit Besatzungsmitgliedern, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, nur noch als Menschen zu gelten. Auf der Erde wurden unterdessen noch mehr Männer und Frauen ausgesucht, es galt, nicht nur sechs weitere Korvetten zu besetzen, sondern auch die STAHDU zu einem mächtigen Instrument zu machen, und ein wenig mehr Besatzung war dazu schon nötig, trotz der Neuronik, die Conrad immer noch ein wenig Gänsehaut verursachte.
Die Ritter hatten sich zusammen gefunden, waren gut auf einander eingespielte Freunde geworden, kaum Anträge auf Versetzung waren eingegangen. Der einzige kam von zwei Japanern aus Tokio, die seit ihrer Schulzeit nicht miteinander auskommen konnten und ständig stritten, zeitweise so heftig, dass ihre Kameraden nicht mehr zusehen wollten und konnten. Danach war Ruhe eingekehrt, was nicht bedeutete, dass man sich nicht gegenseitig freundschaftlich aufzog oder damit prahlte, welche Schnippchen man dem anderen doch geschlagen hatte.
„Wenn Ihr Rundaugen aus Europa wüsstet, wie oft unsere U-Boote ‚DER OSTEN IST ROT’ oder ‚MAO TSE’ vor Euren Häfen Urlaub gemacht haben! Wir hätten da so viele Minen legen können, Eure Flotten wären nie auf See gekommen!“
„Sankt Petersburg ist verdammt schön, besonders der Hafen! Hätte ich nicht gerne zerstört! Und der Nevsky Prospekt erst, den bin ich öfter einmal entlang geschlendert, wenn wir davor gelegen sind.“
„Habt Ihr eigentlich je den Peilsender gefunden, den wir an der Freiheitsstatue angebracht haben?“ So und ähnlich liefen die Hänseleien und Spötteleien, doch wenn die Sirenen erklangen, war alles vorbei. Auch darauf war Deringhouse mehr als stolz gewesen, darauf, dass solche Menschen ihn als Kommandanten akzeptierten.
Dann waren 49 Walzenraumer im System der Wega materialisiert, eine massive Bedrohung. Die Ritter waren auf ihre Posten geeilt und hatten sich kampfbereit gemacht.
„Grkht’Khogh ruft Drng’Choss. Kommanndant, ssehen Ssie auch auff Ihrrenn Monittorenn, wass ich ssehe?“, hatte sich der Admiral der Topsider gemeldet. „Das sind 32 Schlachtschiffe der Überschweren, jedes mit fast 40 Kanonen. Eines von denen könnte Ihre kleine Flotte besiegen, wenn Sie viel, sehr viel Glück haben, zwei. Aber 32 niemals! Ziehen Sie sich vorerst zurück! Rufen Sie Rhodan über die Rofusbasis, vielleicht hat er ja eine Möglichkeit. Aber ich fürchte, selbst mit der STAHDU wird es eine knappe Angelegenheit!“
Conrad hatte dem Rat Grkht’Koghs Folge geleistet und die Ritter etwas zurück genommen, dann hatte er Rhodan gerufen. Als Topthor nach Rhodan fragte, hatte er nur kurz angebunden reagiert, und als der Überschwere sein Ultimatum stellte, konnte Rhodan bereits mithören.
„Geduld, Conrad! Sagen Sie auch dem Thort, wir lassen ihn nicht im Stich. In zwei, spätestens drei Stunden sind wir da!“ Rhodan hatte Wort gehalten, nicht weit von der Position der Tafelrunde war die STAHDU nach einem perfekt berechneten Sprung aus dem Transit gekommen, nach den vorher erhaltenen Befehlen wurde die Formation eingenommen und der erste Angriff geflogen. Als bei ihrem zweiten Angriff das Gegenfeuer erfolgte, hatten die Ritter gemeinsam mit den restlichen Korvetten ihre eigenen Angriffe geflogen, die Strahlen der STAHDU hatten Schutzschilde eliminiert, die kleineren Schiffe hatten mit ihren Desintegratoren den Zusammenhalt von Molekülen zerrissen, hatten Terajoule an thermischer Energie mit den Thermostrahlern und kinetischer Energie mit den Impulsgeschützen in die Stahlwände gepumpt, Geschütz um Geschütz zum Schweigen gebracht, hatten mit beinahe chirurgischer Präzision die Kommandobrücken, deren Lage im vorderen Drittel in der Mitte der Achsen die Geschützmannschaften dank Thoras Wissen genau kannten, ausgeschaltet und damit die Schiffe effektiv gelähmt, ohne sie zu zerstören. Einige explodierten danach von innen heraus in einer Antimaterie-Annihilaton, von der Besatzung selbst zerstört. Dann hatte die TOP I die Bombe geworfen und die LANCELOT hatte ihren Opfergang angetreten. Ihr Kommandant war überzeugt gewesen, dass es sich um eine Arkonbombe handelte. Genau war das allerdings nie feststellbar gewesen, aber fast jeder, selbst die anderen Springer, war davon überzeugt.
Letztlich hatten sieben Schiffe der Überschweren wieder in Dienst gestellt werden können, den Rest hatte man für deren Reparatur ausgeschlachtet. Andere umkreisten nun antriebslos auf verschiedenen Bahnen die Welten der Wega und erfüllten ihre Aufgaben als Ortungs- und Funksatteliten, oder später auch als Basen für die einfach lichtschnelle Verteidigungsflotte des Systems. Die GCC hatte ein Werk für Korpuskulartriebwerke und eines für Impulsgeschütze auf Rofus gebaut, und obwohl die Ferronen die fünfdimensionale Mathematik nicht verstanden, um die Triebwerke und Geschütze Zellen konstruieren und bauen konnten sie. Die Home Fleet wuchs, relativ kleine, aber beschleunigungsstarke Boote, dazu schwer bewaffnete Defensiveinheiten.
Zwei der drei Schlachtschiffe, die der Thort für die Home Fleet des Wegasystems übernommen hatte, wurden FERROL und ROFUS genannt, das dritte sollte eigentlich auf den Namen THORT hören. Doch der Herrscher hatte auf einem ganz anderen Namen bestanden. Es sollte nach dem Willen des obersten Herrschers LANCELOT heißen, und er bekam natürlich seinen Willen. Die zehn Handelsraumer Atztaks wurden aufgeteilt und die fünf, die im System der Wega verblieben, vorerst der Verteidigung zugeteilt. Später sollten freigelassene Springer als Navigatoren und technisches Personal auf ihnen Dienst versehen, um damit wieder Handel zu betreiben. Es funktionierte erstaunlich gut, beide Seiten waren durchaus zufrieden.
Deringhouse lehnte das Angebot Rhodans für eine Zelldusche ab, er wollte mit seiner zukünftigen Frau, seiner großen Liebe, die seinem Antrag bereits zugestimmt hatte, alt werden. Der Thort bat Deringhouse, die Verteidigung des Wegasystems zu organisieren, dafür hatte man ihn zum obersten Admiral der Raumstreitkräfte des Thort befördert. Er trug die sechs blauen Sonnen auf goldenem Grund, die Abzeichen seines Ranges, welche ihm der Herrscher persönlich verliehen hatte, auch heute an seiner Uniform. Perry Rhodan gewährte Conrad seinen Abschied mit den besten Wünschen, und der ehelichte nach dem Ritus der Sikha Sitha Aini. Es sollte den Wünschen der Gäste nach eine glückliche Ehe werden, und sie wurde es wirklich. Drei Kinder hatte Sitha Conrad geschenkt. Sein Sohn machte sich als Künstler in der Hauptstadt einen Namen, unter Terry Derry wurde er im gesamten System noch bekannter als sein Vater. Seine ältere Tochter führte erfolgreich ein großes Handelshaus, seine jüngere wurde als hervorragende Herz- und Transplantationschirurgin berühmt. Conrad Derringhouse war stolz auf seine erfolgreichen Kinder, von denen jedoch keines seine Sehnsucht nach den Sternen geerbt zu haben schien.
Ein wenig bedauerte Conrad diesen Umstand schon, aber er war vernünftig genug, seinen Kindern bei ihrem Lebensweg freie Hand zu lassen. Diese Sehnsucht nach dem Weltall hatte allerdings seine Enkel ergriffen, Derrad sollte heute nach Beendigung seiner Ausbildung zum Offizier ernannt werden. Grund genug für den Opa, seine Uniform, die er seit seiner Pensionierung zehn irdische Jahre vorher nicht mehr getragen hatte, in die Putzerei zu bringen und wieder anzuziehen. Sie passte noch, Sitha hatte ihren alten, aber immer noch recht vitalen Mann umarmt, ehe sie sich in die Festkleidung ihres Stammes hüllte. Dann waren sie in der Orbitalstation, einem der ausgeschlachteten Springerschiffe, auf der 0,7 G herrschten, nach Ferrol geflogen. Die große Schwerkraft der Wegaplaneten hatte Derringhouse mit zunehmendem Alter ein wenig zu schaffen gemacht, also war er mit seiner Pensionierung ins All gezogen, Sitha hatte ihn wie selbstverständlich dorthin begleitet, sie waren zusammen überall glücklich.
Und so saßen sie, wie alle Verwandten der zukünftigen Raumoffiziere im Publikum und lauschten den Reden der Ausbildner und Flottenoffiziere, die den üblichen Sermon von sich gaben und mit vielen Worten das immer gleiche Nichts sagten, das aber mit zu Herzen gehenden Floskeln. Ehre, Mut und natürlich Opferbereitschaft. Die zehn von der ersten LANCELOT wurden mit einem Appell geehrt und ihr Vorbild hervorgehoben, wie es seit fünfzig Jahren üblich war. Lange Zeit hatte Derringhouse solche und ähnliche Reden selbst gehalten, und doch, jetzt eben erfüllte es ihn mit dem gleichen Stolz wie damals. Er war dabei gewesen, er hatte die zehn gut gekannt!
Dann wurden die Kadetten endlich namentlich vor die Front der angetretenen Klasse gerufen, die Abzeichen mit den Winkeln der Kadetten wurden von den Schulterklappen gezogen und durch solche mit goldenen Sonnen auf schwarzem Grund ersetzt. Eine neue Generation Fähnriche machte sich unter dem Applaus der älteren bereit, zumindest das System der Wega für sich neu zu entdecken. Und dann bekam der alte Mann weiche Knie, denn einer der ersten, die seinem Enkel gratulierten, noch ehe Sitha und er ihn erreichten, war Reginald Bull, der extra dafür angereist war und nun den alten Kameraden umarmte. Conrad war kein sentimentaler Mann, aber jetzt hatte er Tränen des Glücks in den Augen.
Tricky Secret
Jänner 2084
Reggys System
Der Roboter sah aus wie eine große, mechanische Spinne, und im Prinzip war er das eigentlich ja auch. An einem quaderförmigen Körper saßen acht dünn wirkende Beine mit je drei Gelenken, deren maximale Spannweite etwa 15 Meter betrug, der Rumpf war fünf Meter lang, zwei breit und einen hoch. Davor saß der Kopf in der Form eines Würfels mit einer Seitenlänge von drei Metern, unzählige feine Messgeräte mit einer Unzahl von Sensoren steuerten den Bot und seine Instrumente auf wenige Ångström präzise, die picotronische Neuronik war die modernste seiner Art. Der Hinterleib war ebenfalls rechteckig, sechs Meter lang, drei breit und zwei hoch, er empfing über einen Miniaturtransmitter einen steten Strom an Atomen, leitete sie zu den Enden der Beine weiter, dort wurden sie zu Molekülen geformt und auf bereits vorhandenen abgelagert. Die drei Teile waren mit flexiblen Gelenken verbunden, unablässig arbeiteten die Beine, von deren Spitzen dunkelviolette Lichtstrahlen ausgingen, lagerten Molekül auf Molekül, Schicht um Schicht ab, es sah aus, als würden sie den Körper, über den sie krochen, aus Licht weben. Es entstand hier im beinahe perfekten Vakuum unter den Bedingungen, die zwar leicht verständlich, aber nicht ganz korrekt schwerelos genannt wurden, ein homogener Körper ohne Nähte und Schwachstellen. Zumindest in der Theorie, die Praxis stand nun auf dem Prüfstand.
Fünf dieser Bots wanderten in gleichmäßigen Abständen um die bereits etwa anderthalb Kilometer durchmessende und fünf Meter hohe, runde Platte, ‚oben‘ und ‚unten‘ bestand sie aus 75 cm massivem Klarstahl, dazwischen wurden dreieinhalb Meter von einer dreidimensionalen Wabenkonstruktion aus gleichmäßigen, versetzt angebrachten Hexagongittern gebildet. Kabel- und Wartungsschächte sowie die Aussparungen, in denen später der Zentral- und die sechs inneren Lifte entstehen sollten, waren bereits zu erkennen. Eine kleine, von zwei Personen bemannte Arbeitsfähre schwebte knapp über der Konstruktion, die Greifarme dicht an den Körper gezogen. Nur die Sensoren waren ständig in Bewegung, vermaßen die Platte, prüften die Zusammensetzung des Materials.
„Auf das Mikron genau nach Plan“, jubelte Reginald Starlight, der die Messinstrumente wie ein erfahrener, doppelt so alter Techniker bediente. „Die Reintegratoren arbeiten hervorragend, die Mittelplatte sieht schon sehr gut aus!“ Leslie Myers steuerte das Boot und sah aus dem Fenster.
„Ja, sieht ganz ordentlich aus!“ brummte sie, Reginald stutzte.
„Ist etwas nicht in Ordnung, Leslie?“
Sie seufzte. „Dieses Monster, das wir hier bauen! Es schlägt sich einfach ein wenig auf mein Gemüt. Zum Teufel, in jeder Berechnung, in jeder Konstruktion stecken hunderte winziger Fehler, Toleranzen, die einander aufheben. Außer man macht den einen einzigen Fehler, die eine Fehlberechnung, der sie alle potenziert und alles in einer Katastrophe enden lässt.“
„Aber…“
„Ja, ich habe gesagt, sieht gut aus, sieht machbar aus, probieren wir es doch mal! Aber bin ich Gott, der Gerechte? Verdammt. Ich bin nicht einmal einer seiner Abgesandten, also bin ich nicht vollkommen und unfehlbar. Was, wenn ich jetzt zum ersten Mal einen großen, wenn ich den Riesenfehler meines Lebens gemacht habe!“
„Aber…“
„Es geht mir gar nicht ums Geld, Reginald. Geld kann man wieder verdienen. Es mir geht um die Menschenleben, die sich diesem Monster anvertrauen sollen!“
„LESLIE!“
„Warum brüllst Du denn so, Reg?“
„Damit Du mir endlich einmal zuhörst, Leslie.“ Reginald nahm ihre rechte Hand zwischen seine Pranken. „Erstens bist Du der klügste Mensch, den ich bisher kennenlernen durfte. Zweitens ist meine Ma auch nicht dumm, und die hat das Ganze auch noch einmal berechnet. Nicht nur nachgerechnet, sondern von Anfang an neu durchgerechnet. Schritt für Schritt. Zwei Dutzend Statiker, Mathematiker, die Neuronik der HEPHAISTOS, alle haben kontrolliert, jeden Vorgang geprüft, wieder und wieder, die Unterschiede im Ergebnis waren marginal. Aber wir haben noch dreimal kontrolliert, die Berechnungen sind gut und die Konstruktion ist stabil. Sogar sehr stabil, selbst wenn wir herkömmlich bauen sollten. Und – bevor irgend ein Mensch an Bord geht, wird alles noch fünfmal getestet! Mutter hat mir beigebracht, dass Papier billig ist, aber Leben teuer. Ich glaube, mit Papier hat sie so etwas wie Schreibfolie gemeint. Also, ich denke, wenn wir weiter vorsichtig bleiben, wird es schon gut gehen. Vielleicht setzen wir das Projekt in den Sand, aber wir bringen zumindest niemand um.“
Leslie lächelte dünn. „Gott bewahre dir deinen Optimismus, Reg!“ seufzte sie. „Ach die schöne Unbeschwertheit der Jugend, wer die im Alter noch einmal erleben dürfte!“
Reginald schmunzelte. „Zitierst Du wieder aus der Thora oder dem Talmud?“
„Nope. Ein Meyrismus. Zitieren erlaubt.“
***
Marie France Meunier war eine selbstbewusste junge Frau, die genau wusste, was sie wollte. Und das war gut so, denn es gab auch dem ein wenig unsicheren Reginald mehr Halt und Selbstvertrauen. Die Unsicherheit Reginalds war durchaus verständlich, denn viele Mädchen wollten den ‚Starlight‘, der Nimbus des Namens zog sie magisch an. Marie France aber wollte nur den jungen Mann hinter dem Namen, den etwas schüchternen, leicht tollpatschig wirkenden Jüngling. Auch wenn sie, wie so viele, durchaus Respekt vor den Leistungen und dem Menschen Tana Starlight hatte. Aber sie, Marie France Meunier, war ja auch nicht irgendwer, sie war auch etwas wert, sogar eine Menge! Reginald musste irgendwie gefühlt haben, dass sie ihn und nicht den Erben seiner Mutter wollte, denn er begann, ihr ‚den Hof‘ zu machen und ihr langsam Vertrauen zu schenken. Soweit, dass er sie als erstes Mädchen seiner Mutter vorgestellt hatte.
Als Reginald von seiner Inspektionstour mit Leslie zurück kam, wartete die karibische Schönheit schon vor der Schleuse auf ihn.
„Äh, Leslie, darf ich dir Marie France Meunier vorstellen? Marie, das ist Leslie Myers. Wir arbeiten gemeinsam an einem Projekt. Brauchst du mich noch, Leslie?“ Reginald war nicht mehr der coole, lässige Jüngling, er musste es auch nicht mehr sein, Marie France hatte sich doch schon für ihn entschieden. Und ihr war er anders lieber, nämlich so, wie er wirklich war. Den ‚Eis Reginald‘ hatte sie mehrmals abblitzen lassen, erst als er Gefühle offenbarte, hatte sie einem Date zugestimmt. Und einem zweiten. Danach noch vielen, vielen anderen Treffen mit Reginald. Leslie betrachtete das Paar.
„Für heute nicht mehr, Reg. Viel Spaß!“
Die junge Frau sah der Intuitionistin nach. „Das war die Leslie Myers? Ich bin ehrlich von ihr beeindruckt. Sie hat innere Stärke, sie strahlt Ruhe und Kompetenz aus, sie besitzt das, was mein Vater eine große Aura nennen würde!“
„Hat sie, durchaus. Was wollen wir zwei jetzt machen?“ Reginald nahm die Hand seiner Angebeteten.
„Hm – mal überlegen! Geht die Tür hier auf? Wo geht es hier bloß hin?“
„In ein Arbeitsboot. Von dort komme ich eben.“ Reginald strich sich mit beiden Händen die Haare aus der Stirn.
„Zeigst Du mir so ein Ding einmal?“ Marie France zog Reginald durch das Schott.
„Gerne!“ Reginald folgte ihr. „Da kenne ich mich wenigstens so richtig gut aus.“
„Das hier ist die Startautomatik, aber es ist alles gesichert, damit nichts passiert.“ Reginald deutete auf einige Schalter oben auf einem Pult.
„Es passiert also nichts, wenn ich auf die Knöpfe drücke?“ Marie France beugte sich neugierig vor, ließ aber die Hände auf dem Rücken, sorgfältig bedacht, nirgendwo an einen Schalter zu kommen.
„Oh nein, zuerst muss hier die Klappe geöffnet werden, dann der Hebel darunter umgelegt. Schau her, er ist auf ‚AUS‘.“ Er drückte wahllos ein paar Tasten, nichts geschah.
„Erfreulich. Ist das der Knüppel für die Energie?“ Sie hatte die Hände vom Rücken genommen und beherzt zugegriffen.
„Nicht von der Fähre“, keuchte Reginald gepresst.
„Na so etwas aber auch“, flüsterte Marie France und drückte sich eng an ihn. „Sollte ich mich so geirrt haben?“ Sie zog seinen Kopf mit beiden Händen zu sich und küsste ihn. „Hast Du schon viele Mädchen hier vernascht?“, fragte sie leise in einer Pause.
„Ich…“, begann Reginald.
„Sei ruhig und küss mich noch einmal“, wisperte sie mit belegter, rauer Stimme. Es war ein Glück, dass der Konstrukteur an den versenkten Hebel unter einer Sicherungsklappe gedacht hatte, denn sonst wäre vielleicht auch noch die Fähre explodiert.
Natürlich hatte Marie France noch mehr Träume als ‚nur‘ einen Mann, auch wenn sie ehrlich in Reginald verliebt war. So wünschte sie sich zum Beispiel einen Titel, den sie selbst erarbeitet hatte. Mindestens einen Doktor in Bionik, um genau zu sein. Sie war auf dem besten Weg dorthin, und wenn sie es schaffte, gerne auch noch einen in Philosophie. Glücklicherweise hatte die UGC seit einiger Zeit externe Studenten zugelassen, nur für die Semesterprüfungen war das Erscheinen im Stammhaus in Galacto City Pflicht. Und selbstverständlich für die Aufnahmeprüfung, die auch für externe unerlässlich war. Nur noch zwei Monate Zeit, um zu lernen, dann würde sie zum ersten Mal die HEPHAISTOS verlassen, um ihren Qualifikationstest in Galacto City abzulegen. Die CYRANO hatte ihren Flugplan seit einigen Jahren bereits diesen Klausuren an der Universität angepasst. Victoria Rhodan hatte viel für Bildung und Forschung übrig, ihre Erfahrungen mit scholastischen Einrichtungen waren allerdings nicht die Besten. Aber sie wusste auch, dass manchmal die Doktorwürde einer angesehenen Universität mehr zählte als Wissen und Erfahrung, also sollte der Nachwuchs ihrer Angestellten auch die Möglichkeit haben, einen solchen Titel zu erwerben, wenn er darauf Wert legte. Es gab einige Studenten, die dieses Angebot gerne annahmen, so auch Marie France.
Reginald sollte den gleichen Flug nehmen, auch für ihn stand seine Aufnahmeprüfung an. Die UGC hatte keine Ahnung von seinen Forschungen, und so sollte es auch noch eine Zeit bleiben. Für die Universität sollte er ein Kandidat und danach ein Student unter vielen bleiben, wenn alles glatt lief. Er hatte eigentlich auch einen Besuch bei seinen Großeltern eingeplant, aber nun stand er vor dem Problem, wie er Marie France das erklären sollte. „Übrigens, ich besuche heute Opa Perry und Oma Thora" war nicht wirklich eine gangbare Option. Nicht nur, dass er keinesfalls als Rhodan durch das Leben gehen, sondern sich alles selbst erarbeiten wollte, er hätte damit auch das Inkognito seiner Mutter preisgegeben. Und das sollte selbst Marie France noch nicht erfahren. Nun ja, ein wenig Zeit blieb ja noch zum überlegen.
Und weil Marie France ehrgeizig war und ihren Doktor machen wollte, fragte sie, während sie wieder in ihre Bluse schlüpfte: „Lernen bei dir?“
Er fuhr ihr mit der Hand durch das schwarze Haar, folgte mit dem Zeigefinger zärtlich der Kinnlinie und seufzte. „Wird wohl besser sein!“
Sie biss zart in seinen Finger und gab ihm danach noch ein schnelles Küsschen auf die Nasenspitze. „Du kleiner Nimmersatt! Zuerst wird jetzt einmal gelernt! Hopp, hopp, in die Hose, dann gehen wir zu dir und büffeln. Nur noch zwei Monate bis zur Prüfung! Allez, Allez! Und ich bin nicht wie du! Mir reicht es nicht, ein Skript einmal durchzulesen, um dann beliebig daraus zitieren zu können und auch noch alles zu verstehen. Ich muss ackern wie ein Gaul!“ Sie drehte sich um und bückte sich, um das Arbeitsboot zu verlassen. Reginald klopfte Marie France noch einmal auf das einladend und verführerisch gespannte Hinterteil.
„Autsch! Lass das jetzt und komm endlich!“
„Gut, gut, wir gehen lernen. Ich helfe idr dabei, du wirst deinen Test schon bestehen!“ Reginald drängte sich durch das Luk und lachte glücklich.
***
New Orleans, Louisiana, Terra
Der mittelgroße, etwas korpulente, europäisch wirkende Mann mit den schwarzen Haaren in Desirees Oyster Bar griff zu seinem Austernmesser und öffnete geschickt die Schalen, löste die Moluske mit der Gabel von ihrer Schale und beträufelte das zuckende Fleisch mit Zitronensaft, ehe er die Auster mit deutlichem Genuss schlürfte, kurz verträumt kaute und schluckte, mit ein wenig Champagner nachspülte, während sein großer, hagerer, japanisch aussehender und sehr asketisch wirkender Freund mit seiner Gabel in seiner Portion Meeresfrüchte mit Reis stocherte.
„Mädchen, ich hätte gerne noch sechs von diesen köstlichen Austern!“ Der Mann winkte einer Bedienung und reichte ihr einen 20 Dollar-Schein. „Für das nette und charmante Service!“
Die junge dunkelhäutige Frau lächelte ihn dankbar mit weißen Zähnen an. „Gerne, Sir! Kommen sofort!“
Der Japaner schaute den Europäer erstaunt an. „20 Dollar? Eine Menge Trinkgeld, schon das zweite Mal heute!“
Andre Noir grinste Kitai Ishibashi an. „Es ist nicht wirklich zu viel. Weißt Du eigentlich, wieviel so ein Mädchen hier verdient, damit alte Böcke wie wir ihr auf die Titten und den Hintern glotzen können? Meiner Meinung nicht genug, Servicekräfte in der Gastronomie leben vom Trinkgeld! Wenn ich mir also etwas ansehen darf, sollte ich mich erkenntlich zeigen!“
„Ich bin kein alter Bock“, meinte Ishibashi ruhig, und Andre grinste noch stärker.
„Ach, du bist wohl so einer von diesen zölibatären Zen-Mönchen. Dann war es also dein böser Zwilling im ‚Arkonides‘, der den jungen Dingern so intensiv in den Ausschnitt gestarrt hat! Du bist doch Kitai, oder? Ich meine, der Kitai Ishibashi?“
Ishibashi zuckte mit den Schultern, grinste dann aber zurück. „Na schön, also sind wir halt zwei alte Böcke. Aber die jungen Dinger im ‚Arkonides‘ legen es doch auch darauf an, dass man genau guckt! Also – gönne ich mir halt ab und zu ein paar Blicke!“
Noir füllte sein Sektglas nach und hob es Kitai entgegen. „Auf uns alte Böcke, die dankbar den jungen Dingern hinterher sehen!“ Er nahm einen Schluck, rollte ihn genießerisch im Mund, ehe er ihn schluckte. „Hm, hätte nicht gedacht, hier einen echten Veuve Clicquot zu bekommen.“
„Auf junge Mädel und alte Böcke!“ Kitai hob sein Bierglas.
Die beiden Angehörigen des GCC – Mutantencorps waren nach New Orleans gekommen, nachdem dort ein Schläfer positiv identifiziert worden war. Cesar Alexander hatte um die Entsendung von psibegabten Agenten, am besten Hypno und/oder Suggestor gebeten, und sowohl Mercant als auch Rhodan hatten einem Einsatz sofort zugestimmt. Die beiden wurden als das richtige Gespann für diese Art von Arbeit ausgewählt. Zuerst hatten sie es allerdings für nötig gefunden, das Umfeld etwas zu sondieren. Besonders die Erfahrungen, die Andre Noir als Söldner gesammelt hatte, drängten ihn, nicht auf gänzlich unbekanntem Terrain tätig zu werden. Fluchtwege mussten erkundet werden, Verstecke gefunden, Verbindungswege erforscht. Der Feinschmecker und Genussmensch Noir hatte auf ihren Erkundungsgängen über die Bourbon Street dieses niveauvolle und teure Austernlokal gefunden, er war begeistert und von einem Besuch desselben nicht mehr abzubringen gewesen. Ishibashi seinerseits konnte lebenden Austern nichts abgewinnen, noch nicht einmal geräucherte Muscheln mochte der Japaner. Er hatte Andre aber trotzdem begleitet, das Angebot an Meeres- und Flusstieren war riesig, das Bier kalt, die Bedienung hübsch.
Das Desirees war ein sehr altes Lokal der gehobenen Klasse, trotzdem wusste Dakota, die Urenkelin des Gründers und derzeitige Geschäftsführerin dieses Lokals, dass man in New Orleans keine züchtig bedeckten Servierkräfte einsetzen sollte. So trugen ihre Mädchen eine grau-gold gestreifte Uniform mit großem Ausschnitt und extrem kurzen Höschen, den ‚Big Easy Style‘ eben. Aber auch die weiblichen Gäste kamen optisch durchaus auf ihre Rechnung, das männliche Personal hatte noch weniger an. Das Oberteil der Herren beschränkte sich auf eine altmodische Fliege um den Hals. Grau-gold gestreift, selbstverständlich, die Shorts waren kurz und eng. Falls einer ihrer Angestellten bei der Ausstattung ein wenig schummeln sollte, war das für Dakota durchaus in Ordnung. Hauptsache, die Gäste hatten etwas, wo sie hinsehen konnten und waren zufrieden. Das Speisenangebot ließ, solange man nicht auf das Fleisch von Landtieren bestand, kaum Wünsche übrig, die Wein-, Sekt- und Champagnerkarte las sich wie das Who is who der großen Winzer der Welt. Auch Bier und natürlich alkoholfreie Getränke waren zu haben, und was selbstverständlich auch nicht fehlen durfte, war der berühmte Hurrikane Punch. Seit neuestem hatte das Lokal sogar Fisch- und Weinspezialitäten aus dem großen Imperium auf der Karte. Dakota hatte, wie ihr Vater, lange gezögert, doch letztendlich einen Koch gefunden, der moderne und klassische Elemente mischte und neue Kreationen entwarf. Eben auch Speisen und Getränke aus den intergalaktischen Gebieten, zusätzlich zur klassischen Cayun-Küche. Es hatte sich bewährt, nicht umwerfend, aber genug, um lohnend zu sein. Dakota war nicht unzufrieden, nur ihr Sohn machte ihr Sorgen. Der Junge wollte unbedingt in den Weltraum, sie fragte sich, warum bloß? Immerhin, hier war doch der Big Easy, the Homeland of Jazz! Hier gab es alles, dass das Herz eines jungen Mannes begeistern sollte, selbst wenn er nicht für Frauen schwärmte. Nun ja, immerhin zeigte ihre Tochter zumindest ein wenig Interesse am Kochen. Irgend Jemand musste das Lokal doch einmal weiterführen.
***
Naturgemäß war es im Vieux Carre nicht weiter auffallend, neue Gesichter zu sehen, es kamen immerhin täglich neue Besucher in diese Stadt. Es war eher schon auffällig, wenn das gleiche Gesicht länger als zwei bis drei Tage regelmäßig in einem Lokal auftauchte. Paul Camper hatte ein sehr gutes Gedächtnis, besonders was Gesichter anging, und dieser Asiate, schon allein auffallend durch seine Größe und seine hagere Gestalt, war nun schon zum dritten Mal im Fat Catz. Und das Vormittags. Camper wurde etwas misstrauisch und beschloss, ihn genauer zu beobachten.
Es war Vormittag, für den Februar selbst in New Orleans ein warmer Tag. Das Fat Catz war daher noch nicht allzu stark frequentiert, aber das war Campers liebste Zeit hier. Jamie King, ein dunkelhäutiger Krauskopf mit strahlenden Lächeln und riesigen Pranken bearbeite hingebungsvoll seinen klassischen Bass, am Piano saß Caroll Lewis, ihre langen, schlanken Finger flogen schemenhaft über die Tasten, ihr langes Haar verdeckte immer wieder ihr schmales Gesicht und Campers Freund spielte am Saxophon, seit der alte Saxophonist der Formation ausgefallen war. ‚Fasthand' Bill hatte seinen Job übernommen, statt seiner servierte nun Catherine die Drinks, eine dralle Blondine, die auf Grund ihrer Figur sicher mit jeder Menge Trinkgeld rechnen durfte. Der Japaner saß an der Bar und trank schon das dritte Diet Coke, langsam, bedächtig, die Ellenbogen auf dem Tresen abgestützt. Der Band hatte er bereits einmal ein spendables Geschenk gemacht, damit sie ‚Big Boy‘ spielten, einen der uralten Bluestitel. Carolls Alt war gut genug, um den Gesangspart zu übernehmen, auch wenn sie nicht ganz an Dana Gillespies rauchige Stimme heranreichte. Trotzdem hatte der Asiate diesem Titel andächtig mit geschlossenen Augen gelauscht, dann hatten seine Augen wieder Catherine gesucht, im Spiegel hinter der Bar konnte man den ganzen Raum sehen. Flüchtig schmunzelte der Schläfer, als er dieses Interesse bemerkte. Catherine war schon einige Blicke wert, vorne wie hinten, die Stammgäste hatten ihr Motto ‚ansehen ja, anfassen nein‘ schnell gelernt. Die meisten auf die sanfte Art, einige wenige auf eine weniger nette Tour, und beschränkten sich nun auf das Anblicken. Aber natürlich hatte Catherine nicht prinzipiell etwas dagegen, angefasst zu werden, es musste eben nur – die Richtige sein.
Kitai Ishibashi stand auf, ging zur Band und wünschte sich ein Stück von Clara Bley. ‚Who will rescue you‘, mit dem kristallklaren und langen Pianosolo. Dann setzte er sich auf seinen Platz und legte die Unterarme auf die Theke. Als das Saxophon mit dem Intro begann, schloss er wieder die Augen, von allen Gästen unbemerkt gingen seine geheimnisvollen Kräfte unsichtbar auf die Reise und verstärkten das vorhin geknüpfte geistige Band zu Paul Camper, ohne von diesem gespürt zu werden. Vorsichtig drang er in den Geist des Springers, sondierte seinen Gedankeninhalt. Es würde einerseits leichter als befürchtet, der Mann hatte jetzt schon die Hoffnung, Atzgol würde noch möglichst lange der Erde fernbleiben, denn er genoss seinen Aufenthalt durchaus. Er hoffte, noch lange in dieser Stadt bleiben zu dürfen, bei Jazz und freiem Leben. Auf der anderen Seite stand das Pflichtbewusstsein, die Treue, die er seinem Patriarch gegenüber empfand, und das musste dem Suggestor seine Arbeit erschweren. Kitai verneigte sich im Geist vor seinem Gegner, der durchaus mit seinem Verständis von Ehre konform ging. Die Pflicht stand über allem anderen, ihre Erfüllung brachte Zufriedenheit und Ehre. Beinahe bedauerte Kitai Ishibashi, Panvlaat einen Teil seiner Ehre rauben zu müssen, denn der Springer sollte die Seiten wechseln. Aber nur beinahe bedauerte er es, denn auch er folgte entschlossen seiner Pflicht.
Leider erbrachte die telepathische Suche nur eine Liste von Städten, denn Panvlaat wusste leider auch nicht, welche Tarnexistenzen seine Kollegen‘ angenommen hatten. Man benötigte ein winziges Zusatzprogramm für eine Social Media App, um kurze ‚alles in Ordnung‘ – Nachrichten zu senden und zu empfangen. Und diese Nachrichten waren der einzige Kontakt. Es war noch nicht vorgesehen, dass zwei Schläfer sich trafen, noch lange nicht. Darum wollte man aus dem Schläfer einen Gegenspion machen, jemand, der die Behörden rechtzeitig warnen konnte, wenn das Signal eines Tages kommen sollte. Aber schon allein die Liste mit den Städten war viel, sehr viel wert, Vorbereitung war in einer Auseinandersetzung eben bereits die halbe Miete. Ishibashi verstärkte seinen suggestiven Druck auf Paul Camper langsam immer mehr, baute Suggestion um Suggestion auf, verstärkte hier einen Zweifel, milderte dort einen anderen. Die letzten Töne des Musikstückes verklangen leise, Kitai kehrte gedanklich in seinen Körper zurück, öffnete die Augen, sah auf seine Uhr und beglich seine Rechnung, nicht ohne großzügiges Trinkgeld zu geben. Ohne sich umzusehen verließ er das Lokal und war fürs Erste zufrieden. Es würde noch ein wenig Zeit dauern, aber Panvlaat würde die Seiten wechseln. Schon bald. Er wusste es nur noch nicht.
***
Tricky Secret
An Bord der KLEOPATRA
Die letzten Klänge des ‚Samba Pa Ti' von Carlos Santana verklangen, und Tana Starlight nippte noch einmal mit geschlossenen Augen an ihrem Grappa. Das leichte Aroma von Birnen im Traubengeschmack, dass der im Mund verdampfende Alkohol freilegte und auch als Geruch in die Nase kroch, die Wärme, die sich sanft durch die Kehle in den Magen bewegte, sie genoss es mit jedem ihrer Sinne. Dann begann Carlos mit dem Intro zu ‚Black Magic Woman', und Tana hing weiter ihren Erinnerungen nach.
***
Sie hatte es ohne große Anstrengung geschafft, dass Chris an jenem ersten Abend nach der Landung an ihren Kurven weit mehr interessiert war, als an jenen auf dem Bildschirm. Es war ein zärtlicher, langsamer Akt geworden, mehr ein Wärme suchen und spenden als einfacher Sex. Den sie damit weder abwerten noch ihn missen wollte, aber diesmal – es war einfach etwas Besonderes geworden. Nur, das mit dem Eingang in die Kuppel, das wollte auch am nächsten Tag nicht klappen. Und am übernächsten. Und in den nächsten Tagen und Wochen auch nicht. Sie hatte dann eine Exkursion in den Canyon organisiert, während Chris weiter wie besessen versucht hatte, irgendwo einen Gang zu finden, einen Einstieg, irgend etwas, um hinein zu kommen. Sie hatte eine Zoologin und einen Botaniker an Bord der PB 01 genommen, dazu noch die Sergeanten Margit Standing und Ghüsteef My'irthan.
Die Zoologin Doktor Rosheen Kutrel war Kolonialarkonidin von Phoolgha, als solche von der Dekadenz der Bewohner des Arkonsystems nicht stark betroffen. Sie war groß und schlank, hatte weiße Haare und dunkelbraune Haut. Ein Ergebnis langer Stunden in der Sonne, wenn nötig, unter einer künstlichen. Viele Männer fragten sich, ob diese Bräune wohl nahtlos ihren Körper bedecken mochte, Tana hätte diese Frage beantworten können. Ja, sie war nahtlos braun, ein Effekt des FKK – Abschnittes auf dem Sonnendeck der HEPHAISTOS, auf dem sie einander regelmäßig sahen. Noch keine 40 Jahre alt, zählte Rosheen bereits zu den Kapazitäten auf dem Gebiet der Exozoologie. Eigentlich sollte sie nur kurze Zeit auf der HEPHAISTOS verbringen und einige Vorträge halten, doch daraus wurden einige Jahre. Als sie gehört hatte, dass Tana mit der KLEOPATRA eine längere Reise plante, so ganz einfach ins Unbekannte losfliegen wollte, war sie sofort losgestürmt. Die Exozoologin hatte von Hera den Aufenthaltsort Starlights erbeten und erhalten, war mit der Wucht eines Naturereignisses an Giovanna vorbeigestürmt und hatte dann von Tana die Erlaubnis erhalten, mit an Bord gehen zu können.
Der Botaniker Professor Doktor Walter Stein war bereits über 50, den hellblonden Haarkranz um die Halbglatze trug er lang, zu einem Rossschwanz gebunden, der graue Vollbart war sorgfältig geschnitten. Mittelgroß und schlank, hielt er sich fit und trainierte regelmäßig. Er war aus Leipzig und hatte an der Humboldt-Universität in Berlin studiert. Dort hatte er eine genetische Verwandtschaft zwischen den terranischen Eichen und einem Strauchgewächs von Ferrol festgestellt, die Fachwelt hatte nur amüsiert den Kopf geschüttelt, viele unverblümt gelacht. Mittlerweile war nicht nur diese spezielle Verwandtschaft wissenschaftlich nachgewiesen, doch Stein hatte die Erde verbittert verlassen und unterrichtete nun den Nachwuchs auf der HEPHAISTOS in Botanik. Eine Tätigkeit, die ihm viel Zeit für Forschungen bot. Seine Studenten vergötterten ihn wegen seiner zweideutigen Bemerkungen, die stets in Schwarze trafen. Auch er war von der Möglichkeit einer solchen Reise begeistert, auch er war sofort zu Tana geeilt, um in die Besatzung aufgenommen zu werden.
Die fünf Personen enterten das Beiboot, die Marines waren froh, wieder mit dabei zu sein. Tana hatte lange überlegt, ob es notwendig wäre, Infanteristen mit an Bord der KLEOPATRA zu nehmen, nach etwa anderthalb Sekunden wusste sie, dass nicht ob, sondern wie viele die Frage war. Kampfdrohnen oder -Roboter waren für vieles gut, aber nicht immer die geeignete Wahl. Sie hatte sich für fünfzig entschieden, denn sie wollte ja keine Kriege führen. Aber manchmal wünschte man sich eben eine ordentliche Leibwache. Dazu kamen noch etwa 300 Kampfdrohnen, von denen man hoffte, sie während des Fluges inaktiv lassen zu können. Oder ihre Hände nutzbringend statt vernichtend einsetzen zu dürfen. Eben räumten 50 von ihnen den Schutt von den Stahlträgern, in die Nähe der Kuppel wollte Chris diese Maschinen aber nicht lassen. Tana pflichtete bei.
„Rein aus dem Bauch heraus gesagt, lassen wir sie besser nicht in die Nähe der Kuppel“, hatte Chris argumentiert.
„Dein Bauch ist gut genug für mich! Ich habe auch so ein seltsames Gefühl. Nein, nicht das, ein anderes! Nimm jetzt deine Finger da weg“, hatte Tana gelacht, ihn umarmt und geküsst. Das Thema Drohnen in der Nähe der Kuppel war damit erledigt.
Victoria dalRhodan fuhr die Systeme des Patrouillenbootes hoch und ging die kurze Checkliste durch.
„Also, Ladys, Gentlemen, dann wollen wir mal! Schnallen Sie sich an, klappen Sie die Tischchen ein und bringen Sie Ihre Sitze in eine aufrechte Position“, sagte sie in ihr Mikrophon, dabei zufrieden lächelnd.
„Wie bitte?“ Rosheen hatte ganz erstaunt auf Tana geblickt.
„Eine Redewendung aus den Anfängen des Passagierfluges auf der Erde!“ Ghüsteef hatte aus der Kuppel geschaut, Stille breitete sich aus, als ihn alle ansahen.
„Was? Ich habe da einen alten Film in 2D im Speicher gefunden. ‚Emanuelle‘ war der Titel, da steigt eine Frau in ein Flugzeug und beginnt nach dem Start herumzuspielen, an ihrer …“
„Danke“, unterbrach Walter Stein den Kh'Entha'Hur. „Sie müssen jetzt nicht die ganze Handlung dieses Sexfilmes erzählen. Erstens kennen ihn wohl alle, außer vielleicht Rosheen, zweitens haben wir jetzt nicht die Zeit, aber der wichtigste Punkt ist, dass der Film grottenschlecht und langweilig ist.“ Und an Rosheen gewandt. „Falls Du ihn nicht gesehen haben solltest, ich kann dir besseres Anschauungsmaterial empfehlen, meine Teuerste.“
„Tatsächlich?“ Rosheen neigte fragend den Kopf zur Seite, sie kannte ihren Kollegen zur Genüge. „Ich hoffe, jetzt kommt nicht die ‚Geschichte der O‘, denn das ist nicht mein ganz Gebiet. Das ist wohl eher etwas für einen Psychiater!“
„Aber nein, meine Liebe.“ Walter wackelte obszön mit den Augenbrauen. „Wo denkst Du hin! Natürlich meinte ich 3D und im Original! Ich …“
„Fliegen wir. Flirten könnt ihr, wenn wir wieder an Bord sind! Frechheit! Dieses Turteln, wenn ich nicht mitspielen kann! Ich werde noch neidisch“, unterbrach Tana lachend das Geplänkel und startete die PB 01.
Margit Standig sah aus der Kuppel auf den ehemaligen Meeresboden. Das lange brünette Haar hatte sie zum Zopf geflochten und diesen um den Kopf gewunden, damit er die Arbeit des Anzuges nicht stören konnte. Die große, breitschultrige Frau war gerne bei der Infanterie, obwohl sie ziemlich intelligent war. Sie arbeitete auf einen Offiziersrang hin, aber Abenteuerlust und Adrenalinsucht standen dem zur Zeit noch etwas entgegen. Margit fühlte sich nur dann richtig wohl und lebendig, wenn sie einer möglichen Gefahr, etwas Unbekanntem, etwas Staunenswertem entgegen ging. Unter ihr zeichnete sich immer noch die Riefelung der seit vielen Jahrhunderten, ja, Jahrtausenden verschwundenen Wellen ab. In der Zeit, als Atlantis unterging, war diese Sonne schon uralt gewesen. Ihr Tod hatte lange vorher begonnen, und sie starb immer noch.
„Was ist Zeit?“, flüsterte Margit, und Ghüsteef flüsterte ebenso leise zurück.
„Eine Illusion, wenn man die Priesterinnen fragt. Wenn man eine Sonne ist, sind tausende Jahre ein Blinzeln, für eine Mkha – also, so etwas wie eine Mücke – ist ein Mondzyklus eine unvorstellbare Ewigkeit. Aber, ist das wichtig? Das Gestern ist nur Erinnerung, nur einige Gedanken im riesigen Universum. Die Zukunft kann jetzt, in einer Sekunde in einem Feuerball oder auch still und unauffällig in einigen Jahren enden! Also, was bleibt, ist das Heute, das Hier, das Jetzt. Und nur das ganz allein zählt auch. Ist es in der Minute des Todes wichtig, ob du auf 50, 100, 200 oder 5000 Jahre zurückblicken kannst? Wenn du dir die Vergangenheit sowieso schon so zurechtgerückt hast, dass sie für dich angenehm ist und die Wahrheit nur noch ein vager Schatten?“
„Amen!“ Walter Stein hatte zugehört. „Gebt dem Mann einen Orden, oder besser noch, einen ordentlichen Drink, von dem hat er ganz bestimmt mehr als von einem Stück Blech auf der Brust! Verdammt, besser kann man es gar nicht ausdrücken!“
„Kann er haben, Prof“, rief Victoria. „Den Drink, meine ich. Wir buchen ihn dann von Ihrem Konto ab. Was soll es sein, Ghüsteef? Terranischer Cognac? Arkonidischer Ha'as’kar? Such Dir was Gutes aus!“
Ghüsteef leckte sich die Lippen und bleckte das prominent aus seinem Gesicht ragende Gebiss. „Dann Portwein von Terra, Vintage Port von Burmeester, bitte!“
„Exzellente Wahl, Ghüsteef. Ich lasse ihn von der HEPHAISTOS kommen, einverstanden, Prof?“ Walter Stein verzog das Gesicht.
„Oh, meine Dukaten“, deklamierte er mit weinerlicher Stimme.
„Ich warte, bis wir zurück sind“, zeigte sich der Kh'Entha'Hur kooperationsbereit, und Walter konnte wieder lächeln.
„Danke! Zurück auf der HEPHAISTOS machen wir dann gemeinsam eine Flasche leer!“
Victoria stellte den Diskus schräg und tauchte mit einer Kurve in den Canyon, der einst tief unter einem Ozean gelegen hatte. Unter ihnen sah man wieder das orange-grüne Blätterdach der Vegetation.
„Große Blätter, um möglichst viel Licht einzufangen. Darunter muss es ziemlich dunkel sein!“ Stein kroch beinahe in einen Bildschirm, der den Grund der Schlucht in hoher Vergrößerung zeigte.
Margit Standig schmunzelte. „Unter den Blättern ist es ziemlich hell, Professor. Die Blüten leuchten in allen möglichen Farben!“
„Aus sich heraus? Sie reflektieren nicht das Sonnenlicht, sondern leuchten selber? Das ist eher selten. Das ist sogar sehr selten!“ Professor Stein war begeistert. „Kann ich das einmal sehen?“
„Dafür sind wir hier, Prof!“ Victoria steuerte tiefer. „Dort vorne sieht es nach einem guten Landeplatz aus.“ Eine unbewachsene Insel ragte aus dem Fluss.
„Es muss einen Grund geben, warum hier keine Vegetation existiert!“ Ghüsteef sah wachsam aus der Kuppel und dann wieder auf die Bildschirme. „Ist es sicher, dass der Boden aus Sand und Steinen besteht?“
„Hm!“ Victoria überprüfte noch einmal alle Instrumente. „Sieht danach aus. Aber natürlich bleiben wir vorsichtig. Ist ja eine unbekannte Welt hier!“
Das diskusförmige Patrouillenboot schwebte reglos dicht über der Insel, dann fuhren sechs Teleskopbeine aus. Langsam sank das Boot tiefer, die Auflagenteller der Beine erhielten Kontakt zum Boden. Ebenso langsam sank es noch tiefer, bis die Unterseite nur noch etwa zweieinhalb Meter über den Geröll zum Stillstand kam. In der Mitte schob sich ein Zylinder von zwei Metern Durchmesser nach unten. Ein Teil der Wandung glitt nach links und rechts auseinander und gab den Blick auf eine seltsame Gestalt frei, ein grob dreieckiger Rumpf ruhte auf zwei fragil scheinenden Beinen, das obere Armpaar endete in Greifhänden, das untere in schweren Thermostrahlern. Der Kopf des Wesens erinnerte an einen Helm aus dem Mittelalter, auf der Stirn war der Starlight-Stern zu sehen, aus dem waagrechten Sehschlitz glomm es mattrot. Ein Kampfroboter der Starlight Enterprises, zwei Meter groß, natürlich ebenfalls rauchblau lackiert, auf der Brust die Bezeichnung RK 423. Die Starlight Enterprises stellte ihre Roboter in Modulbauweise her, je nach Bedarf konnte man sie mit Beinen oder einem Flugaggregat ausstatten. Oder aber mit beidem, durch das obere Armpaar konnten Kampfbots auch für Arbeiten eingesetzt werden, und dafür waren Beine manchmal ganz nützlich. Hinter dem Robot waren eine schwer bewaffnete menschliche Frau und ein noch schwerer bewaffneter Kh'Entha'Hur zu sehen, die beide geschlossene Schutzanzüge von rauchblauer Farbe trugen. Aus dem Wald beobachteten unzählige Augen diesen Vorgang, doch kaum ein Gehirn dahinter konnte mit diesen Bildern etwas anfangen.
RK 423 trat einige Schritte nach vorne, testete den Untergrund mit seinem Gewicht. Die kleine, stetig rotierende Antenne auf seinem Kopf erlaubte ihm völlige Rundumortung im elektromagnetischen Bereich, Infrarot-, UV-, optische und Bewegungssensoren schenkten ihm eine Wahrnehmung, auf die man sich verlassen konnte.
„Ich habe es mir gedacht, ich kenne keine Lebensform, die sich mit Metall anlocken lässt!“ Walter Steins Stimme tönte aus den Headsets der Infanteristen, dann eine sanfte Frauenstimme.
„Ich schon! Es gibt auf einem Mond im System BZK 498/41 eine Spezies, deren Männchen gezielt vor der Paarungszeit Metall in ihren Körper aufnehmen, in ihrem Exoskelett wieder ablagern und schwer gepanzert ihre Kämpfe austragen. Nach der Kampfzeit bauen sie das Metall rasch wieder ab, um die Weibchen zu begatten. Danach beginnt die Suche nach Metall erneut!“ Rosheen lachte leise. „Wenn es um Fortpflanzung geht, lässt sich die Natur einiges einfallen.“
„Na schön! Meinetwegen“, gab sich Stein geschlagen. „Dann werft doch endlich das Steak hinaus, damit es weitergeht!“
Margit lächelte und machte eine Bewegung zu Ghüsteef, eine Geste, die es in jeder militärischen Zeichensprache gab, wenn auch höchst inoffiziell. ‚Der Alte ist wieder einmal ungeduldig‘ sollte sie bedeuten, der Kh'Entha'Hur grinste zurück.
„Das habe ich gesehen“, lachte Stein. „Ja, ich bin ungeduldig. Werft den Fleischklumpen schon hinaus!“ Das Stück Fleisch kam nicht weit von den Füßen des Robots zu liegen, der völlig bewegungslos stehen blieb.
„Bewegung“, meldete dieser, und tatsächlich bewegten sich ein wogender, rötlich schimmernder Teppich auf das Fleisch zu. Die hochauflösenden Kameras zeigten hunderte, tausende kleiner Tiere, winzig wie Ameisen, mit vergleichsweise riesigen Sprungbeinen und kurzen Vorderbeinen, die in Scheren mit drei Gliedern endeten. Große, halbkugelförmige Facettenaugen erlaubten eine weiträumige Sicht rundum. In wenigen Sekunden hatten die Tiere das Fleisch erreicht und schnitten mit ihren Zangen kleine Stücke ab, die sie davontrugen. Über der Szene lag ein Knistern wie welkes Laub, und der Köder verschwand wie im Zeitraffer.
„Sollen wir die Kartoffel hinterher werfen?“ Margit war von der Geschwindigkeit, mit der ihr Köder verschwunden war, beeindruckt.
„Ja, werfen Sie, bitte!“ Rosheen blieb, wie fast immer, ruhig und höflich. Die Knolle kam nicht weit von der Stelle entfernt zum Liegen, wo vorher das Fleisch gelegen hatte, sprang noch einmal auf und kullerte zur Seite. Noch ehe sie ruhig liegen blieb, waberte der Teppich wieder aus Gesteinsspalten und Ritzen, noch schneller wurde die Kartoffel entfernt.
„Ich glaube, das Aussteigen ohne Raumanzug stellt ein ziemliches Risiko dar“, seufzte Stein. „Schade! Ich habe mich schon gefreut, ich war neugierig auf den Geruch der Pflanzen.“
„Vielleicht auch mit Anzug. Meldet sich jemand freiwillig?“ Tana war immer noch vorsichtig, Margit ging aus der Schleusenkammer.
„Wenn sie uns noch nicht bemerkt haben, warum dann jetzt?“ Trotzdem hielt sie ihre Waffe schussbereit.
Sie ging ein paar Schritte, blieb dann stehen.
„Bewegung“, warnte der Robot, und Margit wich zurück.
„Moment!“ rief Rosheen. „Bleiben Sie noch einmal stehen!“
Wieder meldete die Kampfmaschine: „Bewegung!“
„Gehen sie ein paar Schritte, egal in welche Richtung. Am besten einen Kreis, an dessen Ende die Schleusenkammer steht. Steigen Sie sofort ein und schließen Sie das Schott!“ Margit folgte den Anweisungen der Zoologin, lief einen Kreis, sprang in die Schleuse und Ghüsteef drückte den Hebel nach unten. Die Außenschotts schlossen sich, der Lift wurde eingefahren.
„Seht doch!“ Rosheen Kutrel zeigte aufgeregt auf den Bildschirm. Solange Margit Standing in Bewegung gewesen war, hatten sich die Tiere nicht bewegt, doch als die Infanteristin still stand, hatten sie sich in Bewegung gesetzt. Wo eben noch der Lift war, versuchten sie verzweifelt, eine Spur ihrer Beute zu finden. „Sie reagieren auf eine bestimmte Art von Bewegung, beziehungsweise auf deren Ausbleiben. Wahrscheinlich waren die Erschütterungen des Robots zu stark oder zu hart, um sie zu einer Reaktion zu bewegen.“
„Hinterhältige kleine Biester“, fluchte Stein. „Verderben uns den ganzen Ausflug!“
„Ach!“ Victoria wiegelte etwas ab. „Durch einen Körperschirm werden sie ja wohl nicht kommen. Allerdings ziehe ich es vor, nicht einmal eines dieser Tiere an Bord zu haben.“
Rosheen hatte ihren Anzug geschlossen und stand in der Schleusenkammer, die PB 01 war ein wenig gestiegen, der Lift würde in der Luft enden. Kein Problem für einen modernen Raumanzug mit Flugaggregat, sie schwebte sanft wie eine Feder zu Boden, nachdem die Schotts sich geöffnet hatten. Während sie tiefer sank, aktivierte sie den Körperschirm. Diese Abart des Prallschirmes zeichnete genau die Körperkonturen nach, man konnte damit also Geräte bedienen und Proben nehmen. Nach ihrer Landung musste sie auch gar nicht lange warten, der rote Teppich kam heran und unzählige Tiere wimmelten über die Arkonidin und versuchten, etwas fressbares zu finden. Natürlich erfolglos, ihre Zangen glitten an der Energiebarriere ab, also gaben sie nach und nach auf. Nur um sofort wieder zu kommen, wenn Rosheen ein paar Schritte machte und danach stehenblieb. Es fiel der Zoologin nicht schwer, einige Experimente zu machen und auch einige Proben zu sammeln. Sie nahm nach ihren Versuchen nicht an, eine intelligente Spezies vor sich zu haben.
Ehe sie wieder auf das Boot zurück kehrte, würde sie sich einer genauen Untersuchung durch 423 unterziehen, man lernte als Exozoologe schnell, dass man nie, niemals zu vorsichtig sein konnte. Die Geschichte NO'ROMO wurde allen Studenten wieder und immer wieder eingebläut. Ein Wesen hatte sich auf einem noch unerforschten Planeten an Bord geschmuggelt, binnen einiger Stunden war beinahe die ganze Besatzung tot. Der erste Offizier hatte die Vorkommnisse aufgezeichnet, eine Nachrichtendrohne gestartet und danach das Schiff mit dem Wesen und sich selbst durch Antimaterie-Annihilation vernichtet. Na schön, das Wesen war ein wenig größer gewesen, aber was wusste man schon von diesen Tieren. Es gab – und gibt immer noch – Routinen, die in Fleisch und Blut übergingen.
Rosheen und 423 flog direkt von der Insel über den Fluss zum Waldrand, wo Walter Stein mit Margit und Ghüsteef zu ihnen stieß, während Victoria die Bordwache übernahm. Eine Frage der Ausbildung, sie schimpfte mit sich selbst, keinen Piloten mitgenommen zu haben. Aber sie flog leidenschaftlich diese kleinen Scheiben, und trotz der besten picotronischen Neuronik wollte sie das Boot nicht allein lassen. Auch Rosheen Kutrel hatte davor gewarnt, und so hatte Victoria schweren Herzens auf einen Ausflug verzichtet. Zumindest derzeit, wenn alle anderen wieder an Bord waren, konnte sie immer noch aussteigen.
Die nach unten geöffneten Blüten glühten geradezu in der Dunkelheit unter dem Blätterdach, in vielen verschiedenen Farben schienen sie um die Gunst der kleinen Bestäuber mit den langen Beinen zu buhlen. Walter war begeistert und untersuchte mit seiner picotronischen Lupe die Blüten im Detail.
„Das sind verschiedene Arten, möchte ich kühn behaupten!“ rief er, und auch Rosheen bewunderte die insektenartigen Bestäuber.
„Au!“ Margit griff sich ans Bein, neben ihrem Fuß lag mit zerschmettertem Kopf eines der Sprungtiere, welche auf die Bestäuber Jagd machten. Trotz des Körperschirmes war noch eine Menge kinetischer Energie durchgekommen, als Margit ihren Fuß zufällig in die Flugbahn des Wesens bewegt hatte. Rosheen Kutrel griff sofort danach
„Diese Energiefreisetzung ist erstaunlich, dieses Tier ist eine lebende Spannfeder“, rief sie. „Diese Muskeln ziehen den Körper zusammen, und dann setzen sie ihre angespannte Kraft explosionsartig wieder frei. Es ist ein kleines Wunderwerk!“
Walter Stein wies auf den Wald. „Vier dreiundzwanzig, mach einen Weg frei und geh voran.“ Staunend und die prachtvollen Farben bewundernd drang die Gruppe in den Wald vor. Und die Leute kamen mit vielen Proben zurück, die sie im Labor der KLEOPATRA in Ruhe untersuchen konnten…
***
„Mit dem hätte ich auch gerne einmal gespielt!“ Tana öffnete halb die Augen und kehrte in die Gegenwart zurück, Chris war nach Hause gekommen.
„Mit Carlos Santana?“, fragte sie, während sie die Musik leiser machte.
„Na klar, der Mann war ein Genie!“ Chris beugte sich über Tana und küsste sie. „Meiner Meinung nach der beste Gitarrist der Geschichte. Da kommt nicht einmal Keith Richards mit!“
„Tatsächlich? Möchtest Du einen Grappa?“, fragte sie träge mit halb geschlossenen Lidern.
„Äh, nein danke! Wollen wir etwas essen?“
„Klar!“ Tana schwang ihre Beine zu Boden und stand auf. „Gib mir nur etwas Zeit zum Duschen.“
***
Master Sergeant Sysun D'Ghun von Bekhon II jauchzte laut und fröhlich! Unter den Einflüssen ihrer Umwelt hatten aus unerfindlichen Gründen die Haare der dort geborenen Kolonialarkoniden eine grüne Farbe angenommen, die Palette reichte von hellem Türkis bis Smaragd. Mit dieser Ausnahme waren die Bekhoniden physisch typische Arkoniden, psychisch waren sie etwas, das man nur noch als Adrenalinjunkie bezeichnen konnte. Sie suchten die Gefahr, die Anstrengung und das Abenteuer in jeder Art, die Frauen ganz besonders. Der Auftrag war also ganz nach ihrem Geschmack: ‚Nehmen Sie ihren Zug Dragoner und überprüfen Sie Gelände und Bodenbeschaffenheit zwischen hier und dem Tiefseegraben. Sehen Sie nach, ob sie vom Boden aus irgendwelche Artefakte finden können.‘
Das Wort Dragoner war ein Überbleibsel aus der Zeit, als noch Pferde im Krieg zum Einsatz kamen, damals bezeichnete es berittene Infanterie. In Sysuns Zeit bestanden die Pferde allerdings aus Klarstahl, Picotronic und einem Antrieb, wie er bei Gleitern benutzt wurde. Genau genommen war der Basisentwurf eine Easy Nuke von Harley-Davidson mit einem Cockpit aus Klarstahl, das von der Seite wie ein abgerundetes Dreieck aussah. Zwei breite Landekufen mit aufblasbaren Schwimmkörpern an den Seiten, unter dem Cockpit zwei starr in Flugrichtung feuernde Thermostrahler, wie sie üblicherweise in Robotern verbaut wurden. Bis zu 700 Stundenkilometer schnell, klein, wendig und bissig waren sie zur Unterstützung von Landeunternehmen oder zur Aufklärung gedacht. Tana hatte zwar keine Invasion vor, aber für solche Aufgaben wie diese jetzt doch fünfzig Exemplare von Harley-Davidson gekauft, den Rechner ausgetauscht und neu bewaffnet in Dienst gestellt. Und sie hatte zwei Züge zu je zehn Dragonern mit diesen Aufklärern an Bord der KLEOPATRA genommen. Vor kurzem hatte die Master Sergeant von Leutnant Deiddesh, dem Befehlshaber der beiden Dragonerzüge, den Befehl erhalten, ihre Mannschaft war aufgesessen und losgefahren.
Weit ausgeschwärmt jagten die zehn Aufklärer über den ehemaligen Meeresboden.
„Sarge, Wilson, Position Lima Able, ich glaube, ich sehe etwas!“
„Halt! Wilson, Bericht!“ forderte Sysun Korporal Wilson von ganz links außen auf.
„Ich bin mir nicht sicher, Sarge, aber es scheint gigantisch zu sein.“ Sysun fasste einen schnellen Entschluss. Auch wenn es ein Abweichen von der Route darstellte, so flexibel musste ein Infanterist des 21. Jahrhunderts schon sein.
„KLEOPATRA, gehen Sichtung von Lima Able nach. Richtung 173.6 Grad! Erste Dragoner, aufschließen zu Lima Able.“
Je näher sie dem Objekt kamen, desto besser sah man die gigantischen Ausmaße des Objekts.
„Bei Ghorts Blechei…“ Sysun verschluckte den Rest des Fluches und staunte. „Das gerade Deck muss an die 400 Meter breit sein! Und das ganze Ding sicher ein schönes Stück über einen Kilometer lang!“
„1.327,592 Meter!“ Wilson hatte mit dem taktischen HUD – Visier seines Helms nachgemessen. „402,284 Meter das gerade Deck, 201,140 der Radius des gekrümmten Teiles.“
„Ich glaube, ich weiß, was das ist!“ Private Salomon Rubinstein schwang sich aus seiner Maschine, sie hatten eine Strecke vor dem Objekt gehalten. „Das, Freunde, ist ein verdammter tauchfähiger Flugzeugträger! In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Studien für ähnliche Schiffe auf, oder besser in den Ozeanen Terras, aber nur etwas über zweihundert Meter. Also – der Koloss könnte einmal der nassen Marine angehört haben.“
„Aber warum liegen dann nicht mehr Schiffswracks herum?“ Sysun überlegte laut. „Womit ich nicht sagen möchte, dass du unbedingt Unrecht hast. Trotzdem, für mich wirkt es fast wie eine halbierte Springerwalze mit einem ziemlich großen Buckel auf der Seite.“
„Ich frage mich, warum die Jäger nichts gefunden haben. Und warum die Kuppel als einziges MV-Stahlobjekt geortet wurde.“ Private Saloumne Mahmadhi legte den Kopf in den Nacken und verdunkelte die Sichtscheibe ihres Infanteriehelmes, den sie alle statt der Kapuze trugen, noch etwas mehr als von der Automatik vorgesehen.
„Na ja!“ Private Rubinstein zeigte auf den Gelände um das Gebilde. „Wahrscheinlich war es bei ihren Überflügen nicht zu sehen, unter den Überhang können die besten Instrumente nicht schauen.“
„Schaut irgendwie aus, als hätt‘ sich der Pilot seitlich in den Hang eingebaut!“ Korporal Karl Hodina aus Wien ging vorsichtig auf das Ding zu, ein Ortungsgerät in der Hand. „Und das ist kein MV-Stahl. Das ist was ganz anderes!“
Der Kh'Entha'Hur Sissat Hi'Minun deutete auf die Plattformen, welche, auf jeder Seite drei, von dem ebenen Deck ausgingen. „Diese zwölf Geschütze in den sechs Türmen haben ein riesiges Kaliber! Wenn die feuern, sollte man besser nicht im Weg stehen. Falls sie Energie so effizient bündeln wie unsere.“
„Apropos Energie!“ Korporal Charlene Hobbs aus Ottawa kniff die Augen zusammen und zoomte mit ihrem taktischen Helmvisier die Geschütze heran.
„Was für'n Po?“ warf Hodina ein.
„Sicher nicht dein viel zu fetter und faltiger!“ antwortete Charlene. „Ich meine, so ein Kaliber – ich schätze von hier aus einmal eineinhalb bis zwei Meter – braucht nicht nur jede Menge Power, wenn es feuert. Bei der Masse ist doch schon die Ausrichtung ein wahnsinniger Kraftakt. Also ist da eine immense Energieversorgung nötig. Entweder besteht ein wirklich großer Teil des Schiffes aus Meilern, oder sie benutzen ein völlig anderes System.“
„Antimaterie schon einmal ziemlich sicher nicht!“ Hodina hielt sein Gerät immer noch auf das Wrack gerichtet. „Energetisch ist das Ding toter als die Mumie von Ramses.“
„Und?“ Private Charlotte Darling aus Sidney machte kurz ein ratloses Gesicht. „Oh, ja, kein Magnetfeld, Annihilation. Alles klar.“ Die drahtige Australierin hatte blitzschnelle Reaktionen, war eine meisterhafte Schützin und flog den Aufklärer mit traumwandlerischer Sicherheit. Zudem war sie durchaus nicht dumm, aber seltsamerweise dauerte es bei ihr oft etwas länger, bis der ‚Groschen fiel‘. Man hatte sich daran gewöhnt, sie war eine gute Kameradin, das allein zählte.
Sysun schaltete einen Kanal zur KLEOPATRA. „Leutnant, haben Sie mitgehört?“
„Laut und deutlich, Master Sergeant.“ Major Di Tian-Ling meldete sich sofort an Stelle des Kompaniekommandanten. „Bleiben Sie vor Ort, der Skipper sendet Ihnen ein paar Wissenschaftler mit einem Infanterielandungsboot. Sorgen Sie für größtmögliche Sicherheit!“
„Verstanden!“ Die Bekhonidin wandte sich an ihre Mannschaft. „Also, Ihr habt es gehört! Mahmadhi, Rubinstein, nach links, erkunden Sie den Weg. Wilson, Hobbs, sichern Sie die zwei. Hodina, Hi'Minun, dort nach oben, nehmen sie das Ortungsgerät und den Bewegungsmelder mit. Der Rest bleibt bei mir. Hurtig, Leute, wir bekommen hohen Besuch!“
Major Di war aus der Asiatischen Föderation und hatte in Hongkong eine gediegene Ausbildung in militärischem Objektschutz, Betriebssicherung und Industriespionage hinter sich gebracht. Eines Tages hatte der zarten Frau das Leben in der AF nicht mehr gefallen. Sie hatte heimlich wie viele ihrer Landsleute das Land verlassen und wollte in den Dienst der GCC treten, um ins All zu kommen. Wie das Leben spielte, hatte sie in Galacto City eine Person getroffen, die ihr eine Stelle bei Tana Starlight empfohlen hatte. Sie war auf gut Glück zum Captain der CYGNUS gegangen, der hatte bei der Chefin nachgefragt. Kurz danach war sie eingestiegen und auf der HEPHAISTOS gelandet. Wie vielen anderen hatte ihr die Stelle gut gefallen, sie war geblieben und hatte schließlich das Kommando über die Bodentruppen der KLEOPATRA erhalten. Sie war bisher mit ihrer Stelle mehr als zufrieden und fühlte sich wohl.
Leutnant Deiddesh hatte das typische Aussehen einer Zaliterin, was auch nicht weiter verwunderlich war, denn sie stammte von dort. Sie hatte den Funkverkehr der zweiten Dragoner verfolgt und die Major sofort dazu gerufen, als ein Fund sicher war. Während der zweite Zug der Dragoner über die Entdeckung spekulierte, hatte Major Di Ghoma informiert und diese hatte den Rest ebenfalls mitgehört. Rasch trommelte sie Planetologen, Exobiologen, Mathematiker und Ingenieure zusammen und ließ zwei Infanterielandungsboote fertig machen.
Diese Boote vom besaßen ein kantiges, nicht sehr ansprechendes Design, die Vorderseite war stark abgeschrägt, ebenso war das obere Drittel der Seitenwände leicht nach innen geneigt. Die vordere Platte bestand aus gewölbtem Klarstahl, dessen Beschichtung den Ausblick erlaubte, während sie von außen blickdicht war. An der Oberseite war bei den Fahrzeugen vom Typ ‚Husar‘ ein flacher Geschützturm mit einem schweren Thermostrahler Kaliber 7,5 Zentimeter, dort war ebenfalls beschichteter Klarstahl zum Einsatz gekommen. In diesem Turm war auch der Platz des Kommandanten untergebracht, der dadurch eine hervorragende Rundumsicht hatte und nebenbei auch als Richtschütze fungierte. Der Pilot saß in der Bugkanzel und hatte eine gute Sicht in Fahrtrichtung, rechts neben ihm war der Platz des Orters und Funkers. Selbstverständlich konnten auf einigen Bildschirmen Radar- oder Infrarotbilder der Umgebung aufgerufen werden, der Kommandant und der Steuermann waren stets in der Lage, die Umgebung, zumindest was Hindernisse und Bewegung betraf, zu erkennen und einzuschätzen. Das Boot wurde mit dem gleichen Feldantrieb wie ein Shuttle bewegt, zusätzlich verfügte es über zwei Panzerketten mit Elektroantrieb. In früheren Zeiten, ehe man zu den Sternen flog, hätte man solch ein Landungsboot wohl ‚flugfähiger Schützenpanzer‘ genannt, mit einer Länge von 8,5 Metern, einer Breite von 3,5 und einer Höhe von 2,65 bot es außer der Besatzung von drei Mann noch einem Zug zu zwei Gruppen, also zehn Infanteristen, Platz und konnte mit einer Reisegeschwindigkeit von 600 Stundenkilometern rasche Stellungswechsel vornehmen, mit dem Kettenantrieb schaffte das Fahrzeug immerhin 98 km/h auf halbwegs ebenem Grund. Üblicherweise wurden für Auf- und Absitzen der Infanterie das Heck geöffnet, doch war auch, falls es die Situation erforderte, seitwärts eine einfache Drehschleuse für einzelne Personen untergebracht.
Heute liefen statt der Infanteristen Wissenschaftler durch die weit geöffneten Heckklappen in ein spezielles Boot vom Typ Humboldt, welches im Prinzip gleich gebaut, aber 9,85 Meter lang, 3,95 breit, ebenfalls 2,65 hoch war und statt der Geschütze eine Unzahl von Sensoren aufwies. Ihre Assistenten schleppten alle möglichen Messgeräte, die sie in den verschiedensten Fächern verstauten. Sowohl Wissenschaftler als auch Assistenten trugen selbstverständlich den vollen Schutzanzug mit Schirmgenerator und im Gürtelholster eine Waffe, je nach Vorliebe einen Desintegrator, Impuls- oder Thermostrahler. Es handelte sich bei dem etwas größeren Boot um ein speziell für wissenschaftliche Forschungen gebautes Fahrzeug, nicht bewaffnet, aber gut geschützt. Die KLEOPATRA hatte von diesen Humboldts 20 Exemplare an Bord, dazu 40 Husaren-Boote.
Und fünfzehn echte Kampfflugpanzer, die Kürassiere. 12,7 Meter lang. 4,57 breit. 3,35 hoch. Der Turm kantiger, größer, die Hauptbewaffnung bildete ein Kaliber 12,6 Zentimeter Impulsstrahler, die Sekundärbewaffnung bestand aus einem Kaliber 13 mm Desintegrator und einem 18,7 mm Thermostrahler. Die Besatzung bestand aus sechs Mann, denen ausklappbare Kojen für den Schlaf bei längeren Einsätzen zur Verfügung standen. Die Kürassiere waren waffenstarrende fliegende Festungen, furchteinflößende, respektheischende Maschinen, welche selbst bodengebunden auf ihren Ketten fahrend noch 82 Stundenkilometer schafften.
Die zweite Fähre, welche zur Unterstützung der ersten Dragoner startklar gemacht wurde, war ein Husar, dieser sollte zehn Kampfdrohnen an den Fundort bringen. Tian-Ling war zum ersten Mal die Hauptverantwortliche für die Bodentruppen, sie wollte alles außer den Kampfpanzern vor Ort bereit haben. Dank ihrer Greifhände waren die Bots eben universell einsetzbar. Anders als die Jagdeinheiten wurden die Landungsboote nicht per Katapult gestartet, sondern schwebten sanft aus dem Hangar und nahmen nebeneinander Kurs auf Sysuns Zug, welche bereits einen Peilsender in Betrieb genommen hatte. Schon während des Fluges glitten die Finger der Wissenschaftler über die Touchscreens ihrer Pads, erweckten die geballte Kraft der Sensoren zum Leben, während im zweiten Boot die Robots stoisch und reglos auf einen Befehl warteten. Sie kannten keine Ungeduld, keine Langeweile und keine Aufregung, all das war nicht in ihrer Programmierung enthalten. Ohne gegenteiliges Kommando würden sie Jahrtausende so sitzen bleiben.
„Ich hatte es mir nicht derart gigantisch vorgestellt“, gestand der Ingenieur la Paz Sysun gegenüber ein. „Ich habe Ihre geschätzten Größen zwar gehört, aber mein Gott, wenn man es sieht, mit eigenen Augen, ist es Wahnsinn.“ Benito la Paz aus Costa Rica war Techniker und Metallurge. Gemeinsam mit der Bekhonidin schritt er auf das Gebilde zu, fünf der Roboter bildeten einen Kreis um sie. Mahmadhi winkte ihnen mit der linken zu, mit der rechten hielt sie das Sturmgewehr mit dem Lauf schräg nach oben. ‚Alles ruhig, keine Probleme‘ bedeutete die Geste.
Aus der Nähe betrachtet zeigten sich deutlich Spuren von Zerstörung.
„Das Ding kommt aus einem Feuergefecht, so viel ist wohl ziemlich klar.“ Benito wies auf einige Schmelzspuren. „Thermostrahler oder etwas ähnliches, diese glatten Löcher weisen auf Desintegratoren hin, aus denen hier werde ich aber nicht schlau. Vielleicht Raketensprengköpfe, aber sicher bin ich mir nicht. Sagen Sie bitte den Landungsbooten, sie sollen bis hierher kommen? Meine Kollegen werden schon mit den Hufen scharren.“
„Gerne, Ingenieur la Paz!“ Sysun schaltete auf Befehlsfrequenz. „Landungsboote vorrücken. Zweite Dragoner, hier sammeln!“
Starke Lampen vertrieben die Dunkelheit in den Gängen des Gebildes, die fünf mitgeführten Kampfroboter leuchteten die Umgebung gründlich aus.
„Der Gang ist minimal höher als die in unseren Schiffen!“ Sysun bestimmte die Höhe mit Hilfe ihres taktischen Displays im Helm. „Genau 3,296 Meter. Falls sie aufrecht gegangen sind, dürften sie etwa unsere Größe gehabt haben!“ Ihre Finger strichen zart und vorsichtig über die Wände. „Auch die Struktur ist unseren Schotts sehr ähnlich.“ Hi'Minun, Hodina, Darling und Hobbs hatten Sysun mit fünf Kampfroboter begleitet, als sie durch ein großes Leck in das Innere vorgedrungen war. Gehen wäre auf Grund der Schräglage, die etwa 40 Grad betrug, ein Problem geworden, also hatten sie ihre Antigravaggregate aktiviert und schwebten durch einen langen Gang. „Wenn ich die Lage der Durchgänge richtig interpretiere, dann ist das ‚Flugdeck‘, wie Rubinstein es genannt hat, tatsächlich oben und der runde Teil der Kiel. Ich sehe ein verkeiltes Schott, das einen Spalt offen steht. Hodina, setzen Sie das Endoskop ein. Schauen Sie mal nach.“
Der Angesprochene kniete hin und schob eine winzige Kamera mit Lampe durch den Spalt. „Riesiges, technisch aussehendes Zeug, Sarge. Keine Ahnung!“
„La Paz?“ Jetzt hielt sich Sysun nicht mehr mit Titeln auf. „Sehen Sie die Übertragung?“
„Danke, Miss Sysun, gestochen scharf“, kam die Antwort von außerhalb, wo die Wissenschaftler an den Bildschirmen saßen und alles mit ansahen. Ein leises Lächeln flog über die Lippen der Bekhonidin, verschwand ebenso schnell.
„Sarge oder Sysun reicht!“
„Gut, Sysun!“ La Paz konnte sich nicht mit einem militärischen Ton anfreunden. „Das könnten tatsächlich Energieerzeuger sein. Ihr Korporal Hobbs hatte recht, hier wurde eine Menge Energie erzeugt.“ Unwillkürlich ballte Charlene die rechte und riss den Ellenbogen zur Hüfte, legte die Hand aber sofort wieder an ihre Waffe. Ein tadelnder Blick der Master Sergeant streifte die Kanadierin, welche die Kritik mit einem kurzen anspannen der Kiefer- und Halsmuskeln zur Kenntnis nahm und sich damit auch entschuldigte. Der Spähtrupp schwebte vorsichtig weiter.
„Das scheint einmal ein Liftschacht gewesen zu sein!“ berichtete Sysun weiter, während die Wissenschaftler an ihren Bildschirmen dank der Kamera, die für das taktische ‚HUD‘ in jedem Helm eingebaut war, jeden Schritt verfolgen konnten. Gleichzeitig wurde natürlich alles aufgezeichnet, optisch, IR, UV, das gesamte Spektrum, auch das elektromagnetische. Von den Feldern ihrer Anzüge getragen, schwebte die Gruppe langsam nach oben.
„Offenes Schott!“ meldete Hi'Minun, und alle verhielten davor. Langsam arbeitete sich Sysun durch die Öffnung. Was sie sah, nahm ihr für einen Moment den Atem.
„Ich bin hier auf einem Laufsteg, die Halle ist nach dem HUD 78,3 Meter hoch, 987 Meter lang und geht über die gesamte Breite des Schiffes. Ich kann riesige Außenschotts auf beiden Seiten erkennen. Unter mir, auf einem der Schotts, liegt eine kleinere Ausgabe des Schiffes. Also, von der Optik halbe Springerwalze, auf der Oberseite zwei Geschütztürme mit einem schweren Kaliber, nach dem äußeren Anschein Thermostrahler. Länge 369 Meter, Breite 98. Höhe 49. Ziemlich zerstört, man erkennt an der Hülle multiple Treffereinwirkungen. Nach dem Absturz des Mutterschiffes und dem Ausfall der Energie dürfte das bereits beschädigte Schiff von innen gegen das Schott gefallen sein.“
„Plausible Theorie!“ Die Stimme von La Paz klang in ihrem Helm. „Der Größe nach könnten hier neun bis zehn dieser Boote gestanden haben. Sehen wir weiter!“
Das nächste offene Schott brachte die Gruppe wieder in einen langen, breiten Gang.
„La Paz, ich schätze, wir müssten von der Höhe ziemlich in der Mitte sein, in der Breite etwa ein Viertel an der Backbordseite, ein Drittel nach einem Ende zu. Vorne und hinten kann man ja nicht unterscheiden.“ Sysun hatte eine gute Orientierung, wollte aber sicher gehen.
„Korrekt!“ La Paz konnte die Signale gut orten und wusste genau, wo sich der Stoßtrupp aufhielt.
Sie überlegte kurz. „Wir gehen zuerst links, der Weg ist kürzer, den langen können wir nachher erkunden.“ Die Bekhonidin war ganz in ihrem Element, Adrenalin kochte in ihren Adern, machte sie glücklich und zufrieden. „Ein Quartier. 4 Betten in zwei Etagen, Stuhl, Tisch, Türen, alles vorhanden.“ Sysun ging in den Raum. „Eine Kleinigkeit über zwei Meter, gute Länge für ein Bett. Das Vakuum, das hier beinahe herrscht, hat das Metall gut konserviert. Tisch und Stuhl könnten auch aus einem arkonidischen Onlineversand kommen.“ Vorsichtig versuchte sie eine Tür zu öffnen, sie rollte leicht beiseite. „Hier hängt Kleidung, buntes Zeug. Ich werde nicht hin greifen, es könnte zerfallen. Oh, schon geschehen, die Vibrationen waren wohl schon zu stark!“
„Wir haben alles aufgezeichnet, kein Problem. Machen Sie bitte weiter, Sysun.“ Natürlich bedauerte la Paz die Zerstörung der Kleidungsstücke ebenso sehr wie die Master Sergeant, aber damit war zu rechnen gewesen. Ein Wunder, ein Glücksfall, dass zumindest ein kurzer Blick möglich gewesen war.
Der Stoßtrupp drang weiter vor, Sysun berichtete. „Hier ist ein Schott, das eine andere Farbe hat. Versuche, diese Tür zu öffnen. Ah, die Nasszelle. Leicht zu erkennen, auch die wie vom Versandhandel. Metall, aber sonst wie daheim!“
„Verständlich! Wenn diese Spezies ein aufrecht gehender Sohlengänger mit zwei Beinen und Endoskelett ist, wird sein Hinterteil mit kleinen Variationen in der Größe eben genau so aussehen wie Ihrer, und dann wird auch die Latrine eine gewisse Ähnlichkeit haben.“
Sysun sah sich um. „Zehn Toiletten, nur durch halbhohe Wände getrennt, ohne Tür. Keine ausgesprochene Privatsphäre. Zehn Handwaschbecken. Auch die könnten wir auf der KLEOPATRA haben. Gegenüber die Tür hat eine ähnliche Farbe gehabt. Ich werde versuchen, ob es auch eine manuelle Tür ist. Ist es. Oh, hier haben wir die Duschen. Überhaupt keine Wände! Hier hat man wirklich nichts von Privatsphäre gewusst. Das ist schlimmer als in der Kaserne.“ Sysun war verwöhnt, an Bord der Starlight Flotte hatte jeder seinen eigenen Raum, auch wenn er winzig war. Aber niemand musste sein Zimmer teilen, Tür zu, allein sein. Ein Luxus, den sie manchmal nicht missen wollte.
„Hier sind Schriftzeichen. Wenn hier nicht ein ganzer Roman steht, dann ist es wohl eine Buchstabenschrift.“
„Eine sehr ästhetische Schrift“, konnte sich Hodina nicht verkneifen, und Hobbs nickte nach einem kurzen Blick.
„Erinnert optisch an eine Schrift, ich glaube Nepal oder Tibet. Was ist? Schaut ihre keine Dokus?“
Hodina murmelte etwas.
„Sprich lauter, Charly!“ forderte ihn Charlene auf.
„Es heißt Karl, danke. Und ich sagte, nicht nur schön, sondern auch klug!“ Charlene holte Luft, Sysun unterbrach sie sofort. „Macht zu Hause weiter, Kinder, wir haben noch jede Menge Arbeit. Und hier könnt ihr ja doch nicht aus dem Anzug. Weiter!“
„Das könnte die Zentrale sein! Ich frage mich, warum gerade hier das Schott offen ist!“ Sie betraten einen großen Raum. Erhöht in der Mitte ein Podest mit drei Stufen, auf dem ein Sessel stand, dessen Polsterung lange schon zu Staub zerfallen war, die Mechanik war deutlich zu sehen. In einem drei viertel Kreis einige Stationen mit Schaltpulten und Bildschirmen, hinter dem Sessel drei Schotts, durch das mittlere waren sie eben gekommen.
„Also, selbst wenn bei dem Absturz noch jemand an Bord war, jetzt ist nur noch Staub zu finden. Vielleicht stammten ein paar von den Metallteilen, die wir gefunden haben, von Raumanzügen. Aber ich fürchte …“
„Sarge!“ Darling hatte ein Paneel geöffnet, dahinter hingen einige Raumanzüge, man sah, dass der Zahn der Zeit bereits kräftig genagt hatte. „Also wenn da jetzt NASA oder GCC oder so etwas darauf stände, könnte man meinen, Menschen hätten die Dinger hergestellt.“
„Na schön, zurück zur Schleuse. Jetzt sollen die Techniker weitermachen. La Paz, wir kommen zurück. Sie dürfen jetzt hinein, aber bleiben Sie vorsichtig, lassen Sie sich von Robotern begleiten. Wenn mein Team zurückkommt, stehen weitere Einheiten zur Verfügung.“
„Master Sergeant!“ kam Major Dis Stimme über die Kommunikation.
„Ma'am?“ D'Ghun blieb stehen.
„Ich schicke zwei Fähren mit einem Zug Infanterie zur Verstärkung, mit kompletter Ausrüstung zur Errichtung eines Lagers. Übernehmen Sie bis auf weiteres das Kommando vor Ort. Gut gemacht bisher, Sarge!“
„Danke Ma'am! Also, Kinder, nicht trödeln. Big Mama macht sich sonst Sorgen um uns!“
Fortsetzung folgt …