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Von Senex
„Alles ist von Gott vorherbestimmt, El Awrence, alles ist Kismet. Es steht bereits im Buch des Schicksals geschrieben, was geschehen soll!“
„Nichts steht irgendwo fest geschrieben, bevor wir es nicht schreiben, Prinz Faisal! Gar nichts”
Lawrence von Arabien
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Die Geburt einer neuen Macht
1696
Leipzig
Im Jahre des Herrn 1696 war Leipzig bereits eine ganz ansehnliche Stadt, in welcher bereits Anno Domini 1409 die Universität Alma Mater Lipsensis, also die Universität von Leipzig, gegründet wurde. Eine Universität mit allen vier Fakultäten, welche zu jener Zeit üblich waren. Die drei artistischen Fakultäten – also die medizinische, die juristische und die philosophische – sowie die damals als wichtigste angesehene theologische. Seit dem Vertrag von Nürnberg 1555, welcher die Gleichstellung der beiden christlichen Konfessionen und die Freiheit der Wahl und Ausübung derselben im Heiligen Reich als überall in den ‚tiutschen Lanten’, also den deutschen Landen, gültiges Reichsgesetz festschrieb, hatte die Theologie genau genommen sogar zwei Lehrstühle. Den – zumindest in Sachsen größeren – lutherischen, denn sowohl der Kurfürst als auch die Mehrheit der Sachsen hatten sich dem protestantischen Glauben zugewandt, als auch den etwas kleineren vom Papst in Rom unterstützen katholischen. Denn auch die noch dem römischen Glauben angehörige Bevölkerung des Fürstentums sollten in Leipzig weiterhin Theologie studieren nicht nur dürfen, sondern auch können. Ebenfalls im Nürnberger Religionsvertrag war festgelegt, dass die beiden Lehrstühle die Titel, Vorlesungen und Prüfungen der jeweils anderen anerkannten.
Am Augustusplatz entstand von 1556 bis 1566 ein für die damalige Zeit geradezu revolutionär modernes Gebäude für die Protestantisch-Theologische Fakultät, im Geiste der Reformation als Renaissancebau ohne viele der schmückenden Elemente derselben, es fehlten verzierte Säulenkapitäle ebenso wie Halbreliefs auf Friesen und Giebeln. Schmucklos und pragmatisch präsentierte sich der große Bau, dafür war bei den größeren Lehrsälen viel Wert auf perfekte Akustik gelegt, die zumeist auf den Innenhof gerichteten Fenster erhellten die Vortragsräume in einem bis dahin unbekannten Ausmaß. In einem der kleineren Räume referierte Pater Gottlob Friedrich Seligmann vor einigen Studenten über Vorsehung, Schicksal und freien Willen.
„Purgatorium in poenam peccati.“ Mit ausdrucksstarken Gesten und beredter Mimik unterstrich der Pater die Worte seines selbstverständlich auch an der protestantischen Universität noch immer in lateinischer Sprache gehaltenen Vortrages. „Das Fegefeuer als Strafe für die Sünden. Aber welchen Sinn macht eine Strafe, wenn das Begehen einer Sünde bereits von Gott in der Vorsehung vorherbestimmt wurde? Damit würde Gott eine Person bereits vor der Geburt zur Hölle oder zum Fegefeuer verurteilen, und dann wäre Gott kein liebender, ja noch nicht einmal ein strafender Gott, sondern ein sadistischer Teufel. Eine Strafe kann doch nur Sinn machen, wenn ein Mensch in freier Entscheidung gegen ein Gebot Gottes verstoßen kann oder eben nicht. Daher macht es auch keinen Sinn, sich auf eine Ursünde zu be… LEUPOLD!“ Die Stimme des Pater Gottlob Friedrich Seligmann unterbrach seinen eigenen Vortrag und donnerte mit erhöhter Lautstärke durch den Vortragsraum. „Was soll denn das bitte sein? Ich bin mir ganz sicher, die Vorsehung oder der freie Wille des Menschen hat damit nichts zu tun!“ Der Pater war, während er seine Argumente vortrug, durch den Raum gewandert. Ganz so, wie es bei ihm nun einmal üblich war. Am Platz des Studenten Jakob Leupold hatte dessen Zeichnung seine Aufmerksamkeit erregt, er nahm das Blatt, auf dem Jakob Leupold eben gekritzelt hatte, an sich und studierte es. „Was ist denn das für eine – ein – ein DING?“
„Eine Maschine, die mit Dampf Arbeit machen soll“, beschied der Student. „Mann feuert hier einen Ofen an, das Wasser erhitzt sich hier und wird zu Dampf, und – na ja, man sieht ja am Deckel eines Topfes, dass Wasserdampf Kraft entwickelt. Hier soll er nun viel Kraft entwickeln. Vielleicht sogar genug, um ein Bergwerk auszupumpen oder ein Schiff zu bewegen. Oder ein Fuhrwerk.“
Pater Seligman kratzte sich an der Tonsur. „Junger Mann, in Leipzig haben wir weiß Gott schon genug Prediger. Möchtest du nicht lieber Mechanicus werden? Vielleicht interessiert sich ja sogar der Kurfürst für diese Erfindung.“
„Mechanicus?“ Jakob Leupold starrte einige Zeit in endlose Weiten. „Warum denn eigentlich nicht. Gottes Gesetze zu erforschen heißt doch seinen Willen zu erfahren. Mechanicus Leupold, allmählich freunde ich mich mit dem Gedanken an!“ Jakob nickte versonnen. „Ja, tatsächlich, das war ein guter Rat, Pater. Danke!“
Seligmann reichte Jakob das Papier zurück. „Ich werde noch heute eine Empfehlung an den Oberhofprediger Samuel Benedict Carpzov schreiben. Gehe jetzt in mein Büro und zeichne noch drei Kopien von dem Plan, mit Zahlen, wie stark diese Maschine sein soll. Du kannst dazu mein Büro benützen.“
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Dresden
Man sah Friedrich August I, den man im Volksmund auch ‚den Starken‘ nannte, schon am Gesicht an, dass er ein Genussmensch war. Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen liebte prunkvolle Gebäude, von denen er bereits einige projektiert hatte und auch schon verwirklichen ließ, gutes Essen und Trinken. Und natürlich vor allem das schöne Geschlecht. Er war seit 1693 mit Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth verheiratet, seine öffentliche Mätresse war seit 1694 Maria Aurora von Königsmarck und Friedrich August holte sich auch ab und zu bereits die 20-jährige Witwe Anna Aloysia Maximiliane Louise, Gräfin von Esterle in sein Bett – oder aber er bestellte sie zu einem kleinen Schäferstündchen in seinen privaten Arbeitsraum, wo er sich zu eben diesem Zweck eine Ottomane aufstellen hatte lassen. Im Rückblick betrachtet war weder die Person noch der Ort eine schlechte Idee, denn die Gräfin Esterle kam eben in jenem Moment in sein Arbeitszimmer, als der Kurfürst den Brief des Paters Seligmann, welchen der erste Hofprediger an ihn weitergeleitet hatte, weglegen wollte. Die Skizze des jungen Jakob Leupold flatterte zu Boden, Anna Aloysia hob diese einfach der Ordnung halber auf und wollte sie schon in die Mappe zurück zu den anderen Seiten legen, wo sowohl Zeilen als auch Zeichnung sehr wahrscheinlich bald der Vergessenheit anheim gefallen wären. Doch eine Beschriftung zog ihren Blick wie magisch an, und sie sah genauer hin.
„Was ist das doch für ein prächtiges Gerät“, rief sie erstaunt aus.
„Ja, nicht wahr“, protzte Friedrich, der in der Zwischenzeit seinen Hosenlatz geöffnet und seine Mächtigkeit befreit hatte. „Aber – du siehst ja gar her!“
„Gleich, mein lieber Fürst, habt noch ein klein wenig Geduld“, vertröstete die dunkelhaarige Anna Aloysia den Fürsten. „Kommt lieber hierher und schaut Euch diese Zeichnung an, das ist wichtiger!“
„Nichts ist wichtiger als zwei runde Backen, zwei schöne Brüste und ein roter Mund“, verkündete Friedrich August überzeugt.
„Das hier schon.“ Anne machte keine Anstalten, auf die Annäherungen Friedrichs einzugehen. „Dieses Ding hier könnte Sachsen eine Königskrone einbringen! König von Sachsen und Polen, ist das nicht doch noch besser als König in Sachsen von Polen?“
„Wie, was?“ August der Starke ließ den Rock Annas doch wieder fallen und trat neben sie. „Wie soll denn das gehen?“
„Da hat ein junger Mann eine Maschine erfunden, mit der ein Schiff flussaufwärts fahren könnte. Ohne Zugseile, ohne Ruderer, mit erheblicher Geschwindigkeit, wenn ich das richtig lese. Und schwere Lasten heben, etwas für Eure ambitionierten Bauvorhaben, mein Fürst und König. Fuhrwerke mit großen Lasten. Und wäre daran der Kaiser nicht auch interessiert, denn was auf Flüssen funktioniert, ist auch auf dem Meer machbar, der Sohn des Kaiser möchte doch eine Reichsflotte für den Handel mit Übersee bauen lassen! Oje, jetzt lässt er aber ganz traurig sein Köpfchen hängen.“
„Soll er doch hängen“, knurrte Friedrich. „Wenn es an der Zeit ist, wird er sich wieder zu voller Pracht erheben. Denn Ihr hattet recht, meine Teuerste, das hier, das ist wirklich sehr viel wichtiger…“
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Die sechs Pferde zogen die schwere Kutsche der kurfürstlich-sächsischen Post vorwärts durch den nach ausgiebigen Regenfällen der letzten Tage tiefen Schlamm der Straße von Leipzig nach Dresden. Jakob Leupold hatte an diesem Tag, ganze sechs Monate, nachdem ihm Pater Seligmann nahegelegt hatte, Mechanicus zu werden, den weniger zerschlissenen von den beiden in seinem Besitz befindlichen Anzügen angelegt und war unterwegs zu seinem Fürsten. Immerhin wollte Friedrich August I., der Kurfürst von Sachsen, König von Polen und Großfürst von Litauen, höchstpersönlich die detaillierten Pläne der Dampfkraftmaschine des jungen Mannes sehen. Und eine Vorführung unter der Hinzuziehung des Hofmechanicus natürlich. Jakob konnte es kaum glauben, denn drei Mechanici in Leipzig hatten seine Idee bereits als völliges Hirngespinst abgetan, und jetzt sollte er, er ganz persönlich, vor seinem obersten Landesherrn darüber referieren! Allmählich veränderte sich die Fahrt, die Straße wurde besser, je mehr sich die Kutsche der prunkvollen Hauptstadt des Kurfürsten näherte. Dresden.
Im großen Hof des Residenzschlosses zu Dresden erwartete der Ingenieursoffizier und Hofmechanicus Johann Georg Maximilian von Fürstenhoff bereits den jungen Leupold. Er hatte sich vorgenommen, nach Möglichkeit ohne Vorurteile an die Sache heran zu gehen, auch wenn er ziemlich starke Bedenken hegte. Aber vielen Anderen war ebenfalls zuerst Skepsis entgegen geschlagen, und trotzdem hatten sie letztendlich richtig gelegen. Nun also, man würde schon noch sehen. Ein junger Mann mit einer ziemlich großen Kiste auf dem Rücken kam durch das mächtige Tor, ein Wachposten begleitete ihn und zeigte auf den Hofmechanicus. Langsam kam der Mann näher und verbeugte sich tief.
„Jakob Leupold, zu euren Diensten, Hofmechanicus!“
Von Fürstenhoff nickte. „Dann lass‘ Er doch einmal sehen, Mechanicus!“
„Ich bin noch kein geprüfter Meister, Herr“, korrigierte Leupold demütig, wie man es ihm geraten hatte. „Ich habe nur eine Idee gehabt!“ Er öffnete den Kasten, und ein kleiner Wagen mit metallischem Aufbau kam zu Tage. „Es ist nur ein kleines Modell, Herr. Für mehr haben meine Ersparnisse nicht gereicht.“
„Gut, gut“, winkte von Fürstenhoff dem jungen Tüftler weiterzumachen. „Es wird schon reichen. Wenn es funktioniert, werden wir über ein größeres Modell sprechen. Wenn der Fürst einverstanden ist. Was geschieht jetzt?“
„Ich entzünde diesen Kerzenstummel, Herr Ingenieuroberst. Jetzt erhitzt sich das Wasser in den Kesseln – es müsste jetzt heiß genug sein, um Druck zu entwickeln. Ich lege jetzt diesen Hebel hier um, welcher die Maschine mit den Rädern verbindet, und seht, Herr, der Wagen bewegt sich! Nur durch die Kraft des Dampfes.“
„Tatsächlich“, bemerkte Johann Georg trocken. „Das Prinzip funktioniert also doch. Jetzt müssen wir nur noch sehen, ob es sich auch lohnt. Und das wird es wohl eher auf dem Wasser, denn für Wagen auf dem Lande sind Pferde doch noch um einiges billiger als eine solche Maschine, vom Brennmaterial ganz zu schweigen. Schalte Er sein Werk doch jetzt wieder aus, wir werden es dem Kurfürsten einmal zeigen.“
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1699
Dresden
Der schlanke, kleine Mann mit der voluminösen, schwarzen Perücke, der prominenten Nase und der aufgeworfenen Unterlippe strich ein wenig blasiert über seinen schwarz gefärbten Schnurrbart. Leopold I. Ignaz Joseph Balthasar Franz Felician von Habsburg, seit 1658 durch Gottes Gnade Kaiser des Heiligen Reiches deutscher Nation, König von Ungarn, Böhmen, Kroatien und Slawonien, Erzherzog von Österreich und – und – und Inhaber noch einer schier endlos scheinenden Liste von Titel war bereits 59 Jahre alt, als er der Einladung des Kurfürsten von Sachsen folgte und Dresden aufsuchte. Nun stand er mit seiner dritten Gattin Eleonore Magdalena von Pfalz-Neuburg, seinem Sohn Joseph und dem kaiserlichen Hofstaat am Kai an der Elbe und wartete gelangweilt auf die vom Kurfürsten versprochene Überraschung. Die überschlanke Kaiserin umklammerte wie stets ihr Gebetbuch und betete, während König Joseph, der designierte Nachfolger des Kaisers, das meiste Interesse erkennen ließ. Der rotblonde, große Mann, welcher weder die riesige Nase noch die aufgeworfenen Lippen der Habsburger teilte, war von seiner Mutter in die Welt der schönen Künste eingeführt und lernte neben den für ein Mitglied des Adels obligatorischen Sprachen Französisch und Latein noch Spanisch, Englisch und Russisch. Sein Lehrer Maximilian Konrad Fürst von Salm hatte ihm die Trennung von Kirche und Staat nahe gebracht, und diese Lehren war bei dem jetzt 21 Jahre alten Schüler durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen. Kaiser Leopold I. war darüber nicht sehr begeistert gewesen, erkannte aber die Notwendigkeit an, dem Reich eine gewisse Religionsfreiheit gemäß dem Vertrag von Nürnberg zu gewährleisten. Seine Mutter Eleonore Magdalena wiederum betete regelmäßig, dass ihr Sohn Joseph nicht auch noch selbst vom wahren Glauben abfallen würde und zumindest ein wahrer Katholik blieb.
Ein durchdringender Ton erklang nun hinter der Stadtmauer von Dresden, eine schwarze Rauchwolke erschien, und dann schob sich, gegen den Strom fahrend, ein Schiff mit seitlich angebrachten Schaufelrädern an den Kai.
„Hier ist sie, Majestät!“ präsentierte Friedrich August stolz auf das Schiff weisend. „Die ANNA ALOYSIA! Ganze 46 Meter lang, 5,5 Meter ohne die Schaufelräder breit, und 2 Meter Tiefgang. Sie schafft in einer Stunde ganze 8 Kilometer die Elbe hinauf, ohne Pferde am Ufer, ohne Rast oder Pferdewechsel, nur mit Feuer und Wasser!“
„Ist es denn mit unserem christlichen Glauben überhaupt vereinbar, dass wir mit Feuer ein Schiff betreiben wollen?“ Eleonore klammerte sich noch fester an ihr Gebetbuch.
„Wenn es das nicht wäre, dann dürften wir doch auch nicht kochen und braten, Mutter“, beschied Joseph. „Und wir dürften unsere Kamine nicht heizen und unsere Räume nicht erhellen. Da ist doch überall ebenfalls Feuer im Spiel.“
„Aber das ist doch nicht …“
„Wie funktioniert dieses Boot denn eigentlich genau?“, unterbrach Joseph seine Mutter, an König Friedrich August gewandt.
„Ich darf Hoheit an Bord einladen, dort steht der Erfinder, Mechanicus Jakob Leupold“, bat der Kurfürst seinen Gast an Bord. Der König des Heiligen Reiches ließ sich nicht zwei Mal bitten. Er schwang sich behände an Bord der ANNA ALOYSIA, begab sich zum Hinterdeck und begann dort sofort ein Gespräch mit Jakob Leupold, der zuerst ein wenig eingeschüchtert, dann aber immer lebhafter dem interessierten jungen Habsburger sein Schiff und seine Maschine erklärte.
„Ich will das Schiff, und ich will diese Maschine, es ist einfach genial” rief er seinen Eltern begeistert entgegen, als sie in Begleitung Friedrich Augusts näher kamen. „Was man nicht alles damit betreiben könnte! Man kann Gruben trocken halten, Erz aus der Mine transportieren, Waren und Menschen dorthin bringen, so sie benötigt werden! Damit könnten wir Geld sparen und die Schatzkammern wieder füllen.“
„Ich weiß nicht so recht, es wirkt doch wirklich wie ein Teil der Hölle …“, zögerte Leopold, und Eleonore Magdalena nickte nur still dazu, dabei stets das Gebetsbuch umklammernd.
„Man könnte damit auch unsere Soldaten schnell dorthin bringen, wo sie hin müssen“, bemerkte Joseph wie nebenbei. „Und mit Kanonen bewaffnete Fuhrwerke bauen! Wir könnten mächtige, waffenstarrende Festungen auf das Schlachtfeld bringen!“
Leopolds Augen strahlten plötzlich auf. „Was soll denn die Erfindung kosten, Kurfürst?“, wandte er sich an August den starken.
„Eine Krone, Majestät. Eine Königskrone für Sachsen. Das Land habe ich ja schon.“
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1709
Hamburg
Ein schlankes Schiff fuhr die Elbe stromabwärts, in Richtung Nordsee. Der hohe Schlot stieß dunkle Rauchwolken aus, die Schaufelräder an der Seite des Rumpfes klatschen mit mathematischer Präzession ins Wasser und trieben die MARGARETE VON TYROL mit sagenhaften 24 Stundenkilometern ihrem Ziel zu, der freiem und Hansestadt Hamburg. Dort sollten auf kaiserliche Anordnung die neuen, mit Dampfmaschinen ausgerüsteten Kriegsschiffe des Heiligen Reiches gebaut werden. Frankreich und Spanien waren auch nach 150 Jahren noch eine stete Bedrohung für die protestantischen Länder des Reiches, und obwohl Leopold I Katholik durch und durch war, hatte er nach dem Nürnberger Vertrag wie seine Vorgänger im Amt des Kaisers die Abmachung sehr ernst genommen und die Religionsfreiheit im Reich zähneknirschend, aber getreu akzeptiert, um das Heilige Reich, dem nun der Zusatz ‚Römisch’ fehlte, als politische Einheit zu erhalten. Es war eine explosive Zeit, denn nicht alle katholischen Fürsten wollten für den Schutz der protestantischen Länder auch nur einen Soldaten oder einen Dukaten geben, während viele Protestanten sich von den Katholiken bedroht fühlten. Schweden und Dänemark rasselten immer wieder mit dem Säbel und versuchten alles, um die von lutheranischen Fürsten regierten Länder aus dem Reich in ihren eigenen protestantischen Bund zu werben. Zudem versuchten einige der Fürsten des heiligen Reiches immer wieder ihre eigenen Untertanen entgegen der im Vertrag von Nürnberg festgelegten Regeln zu ihrem eigenen Glauben zu zwingen. Dieser Vertrag sicherte aber jedem Bewohner die Freiheit des christlichen Glaubens zu, egal ob katholisch oder protestantisch. So weit, auch orthodoxe Christen oder gar Personen mosaischen oder muslimischen Glaubens als gleichwertig anzuerkennen, ging der Vertrag von Nürnberg aber natürlich denn doch noch nicht. Allerdings gab es aber unter den deutschen Fürsten auch immer wieder starke Unterstützer für die Idee eines nach außen geeint auftretenden Bundes, völlig unabhängig von der persönlichen Religion oder Innenpolitik dieser Herrscher. Derzeit waren das Jakobus von Lautenklang, der Fürsterzbischof von Hildesheim, Franz Anton Reichsfürst von Harrach, der Fürsterzbischof von Salzburg, Friedrich August I., der König von Sachsen und Friedrich I., König in Preußen, welche treu zum Kaiser standen. Dazu kamen noch die drei freien, reichen und mächtigen Hansestädte Hamburg, Kiel und Bremen.
Leopold I hatte seinem Sohn Joseph erlaubt, eine neue, mit leupoldschen Apparaten versehene Flotte auf Kiel zu legen, um die großen Linienschiffe der ziemlich kleinen deutschen Flotte mit wenigen Schiffen, welche über bis zu 86 Kanonen verfügten, zu unterstützen. Brachte es die britische SOVEREIGN OF THE SEAS doch immerhin bereits auf 102 Geschütze in verschiedenen Kalibern. Aus den Erfahrungen, welche die Engländer im Kampf mit der spanischen Armada sammeln konnten und mit neuen Erkenntnissen ausgestattet, entschlossen sich die Hamburger Konstrukteure gemeinsam mit Jakob Leupold für lange, schlanke Schiffe ohne großartiges Heckkastell, welche üblicherweise mit drei Masten als Vollschiff getakelt gesegelt werden sollte. Nur im Gefecht oder bei Flaute war der Kessel zu heizen, um die mitgeführte Kohle für den Ernstfall zu sparen.
Der Bruder des Königs sah missmutig zum Ufer der Elbe hinüber, wo eben die Häuser von Ochsenwerder in Sicht kamen.
„Wäre es nicht besser gewesen, die Schienenwege auszubauen, anstatt Schiffe zu bauen”, murrte Karl. „Das könnte sowohl für den Handel als auch für das Militär seine Meriten haben.“
„Ja, du hast zu einem gewissen Teil sogar recht”, stimmte der deutsche König zu. „Aber nicht ganz. Wir im Heiligen Reich könnten recht gut überleben, mit dem, was wir in den eigenen Landen anbauen. Aber es kommen jetzt vermehrt Schokolade, Zucker, Tabak, Pfeffer und noch einige andere Luxusgüter aus Übersee, und wir können die Leut’ halt nicht ewig davon fern halten. Ich für meinen Teil will es auch gar nicht. Karl, wir brauchen etwas, das die anderen wollen und nicht haben, oder wir besorgen uns die Luxuswaren selber von irgendwo anders her. Dazu brauchen wir aber auch eine kampfstarke Kriegs- und eine eigene Handelsflotte, dazu noch einige Expeditionsschiffe. Die werden auch schon in Hamburg gebaut. Und in Triest, aber dort hat zuerst einmal eine Mittelmeerflotte mit zumindest drei Dampfschiffen den absoluten Vorrang.“
„Und der Transport der Armee?“
Der Kaiser zuckte mit den Schultern. „Da werden fürs erste wohl die Dampfkutschen reichen müssen, soweit das Wetter mitspielt. Immerhin, die Schienenbahn nach Prag ist schon fertig, dann geht es, wie wir es g’rad machen, mit dem Schiff über die Moldau bis nach Hamburg, das ist schon eine gute Verkehrsverbindung. Und Budapest ist über die Donau auch schon mit dem Netz verbunden. Als nächstes werden dann wohl Karlsruhe und Aachen an die Reihe kommen, über einen Schienenweg mit Wien und Bremen verbunden zu werden. Zuerst wollen wir uns aber einmal die FAFNIR ansehen.“
„FAFNIR. Der feuerspeiende Drache des Nibelungenliedes. Es ist wohl doch kein so kleines Schiff geworden?“
Joseph lächelte. „Es ist ein klein wenig gewachsen. Lass dich einfach überraschen!“
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„Ein wenig gewachsen!“ Karl schüttelte den Kopf. „Das Ding ist doch weit länger als die englische SOVEREIGN OF THE SEAS!“
„Dafür ist die FAFNIR aber viel schmaler gebaut und mit einem Geschützdeck weniger auch nicht so hoch.“ Voller Stolz betrachtete Kaiser Joseph das schlanke Schiff mit den beiden Schaufelrädern in den halbrunden Kästen seitwärts in der halben Länge des Rumpfes, den vier Masten und dem hoch aufragenden Schornstein in der Mitte. „Und zudem ist das Achterdeck nicht so weit über dem Rumpf aufragend und weniger voluminös, die Herren Offiziere werden sich eben mit ein bisschen weniger Platz zufrieden geben müssen. Diese vergoldeten barocken Aufbauten sehen zwar gut aus und bieten einen relativ großen Komfort, sind aber bei Manövrieren und im Gefecht nicht sehr praktisch. Du weißt doch, je tiefer der Schwerpunkt…“
„Desto größer die Stabilität. Aber wo hast du diesen Riesenbaum gefunden, um einen so langen Kiel zu… er ist doch aus einem Stück, oder?“
„Jaaa, schon!“
„Aber?“ Karl fixierte seinen Bruder.
„Aber nicht aus Holz! Meister Leupold hat mit – nun ja, es ist Stahl, mit einer Schicht Bronze, damit er in der Bilge nicht so schnell verrostet. Die Holzwand des Rumpfes besteht aus drei Lagen Brettern, kreuzweise verlegt, verdübelt und fixiert, unter der Wasserlinie ist der Rumpf auch noch mit Bronzeplatten beschlagen. Das schützt gegen feindliche Kanonenkugeln ebenso wie gegen Muschelbewuchs.“
„Ein Stahlkiel!“ Karl staunte. „Ist das nicht sehr teuer? Oder besser gesagt – zu teuer?“
„Alles bezahlt, mein Bruder“, grinste Joseph. „Alle sechs Kriegsschiffe und die drei Forschungsschiffe. Vom Rammbug über den unten abgeflachten Boden bis zum einwärts geneigten Spiegelheck. Sowohl die Spanier als auch die Franzosen und die Briten haben dem Herrn Papa eine Menge Gold geboten, wenn das Haus Habsburg auf seine Ansprüche auf die Niederlande verzichtet. Da habe ich ihm geraten, lieber das Geld zu nehmen und auf einen unnötigen Krieg zu verzichtet, denn ohne Kampf bekämen wir ja doch noch nicht einmal eine Elle im Quadrat in Holland. So bekommen wir zumindest neun Schiffe – und sparen das Leben unserer Soldaten. Ich werde es auch in unser Hausgesetz schreiben, Karl. Falls du einmal an die Regierung kommst, verfolge diesen Kurs weiter. Das Heilige Reich deutscher Nation muss zumindest auf der Welt Bescheid wissen. Sende die Expedition aus, sie sollen gute Karten des Globus nach Hause bringen. Die Besten! Und sie sollen Güter und Reichtümer in die deutschen Lande schaffen.“
„Nun gut!“ Karl blickte noch einmal zur FAFNIR. „Und ich werde, sollte ich je wirklich Kaiser werden, weiter an der Flotte arbeiten. Besser wäre es aber, du legtest dir endlich einen Erben zu! Aber zurück zu diesem Schiff. Wie groß ist dieses Monster denn nun eigentlich wirklich?“
„Ach, die FAFNIR ist 275,55 Wiener Fuß (87,2 Meter) lang und 45,188 (14,3 Meter) breit, und sie läuft bei voller Last 16 Knoten (29,6 km/h). Damit ist sie beinahe doppelt so schnell wie die SOVEREIGN. Sie trägt 30 34-Pfünder-Kanonen im unteren Geschützdeck und ebenfalls 30 28-Pfünder im oberen. Dank der Bronzegießer von Tyrol sind es Kanonen mit sehr großer Reichweite.“
„Das sind aber trotzdem nur insgesamt 60 Kanonen gegen die hundert der SOVEREIGN OF THE SEAS!“, rief Karl aus.
„Dann dürfen sich unsere Schiffe eben in kein laufendes Gefecht mit dem Feind einlassen, sondern müssen mit ihrer besseren Manövrierfähigkeiten die feindlichen Gefechtslinien von vorne oder hinten aufbrechen“, konterte der rotblonde Joseph. „Die deutschen Admirale müssen halt neue Strategien und Taktiken für diese moderne Art der Seekriegsführung erfinden. So einfach ist das.“
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1728
Hamburg
Der Navigator erster Klasse, Kapitänsleutnant Jan Doormann, stapfte neben einem Leutnant der Marine des Heiligen Reiches deutscher Nation durch das Tor des Hamburger Marinedocks. Er war ein mit allen Wassern getaufter Seebär, fuhr seit seinem 14. Lebensjahr zur See und war jetzt 32. Ein sorgfältig gestutzter, typisch hanseatischer Backen- und Kinnbart umrahmte das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht, das knapp schulterlange Blondhaar trug er zum Rossschwanz gebändigt.
„Nu, jetzt send wer in de Marinedocks, Lüdnand. Wat es denn loos, dat se meck so geheeimsvol von de KURPFALZ hoole? De is nu nuur met nem Navigationsmaat unterwechs!“
„Wir brauch‘n für einen Sondereinsatz im Nam’n von uner’m Kaiser einfach die besten Leut’. Und man hat dem Generalkapitän von unserer kleinen Flotte halt g’steckt, dass sie einer von die besten Navigatoren im Dienst der deutschen Nationen sind, Pilot!“
„Zuveel der Eehre, Lüdnand! Oobwoohl eck neck schleeckt ben. Wer es denn dee Generalkapetän?“
Leutnant Maximilian Vogel zog leicht eine Braue hoch. „Der Mann heißt Jakob Hahn, Pilot. Schon von ihm g’hört?“
„Der Zitronen-Jakob es Generalkapitän gewoorden? Dat es ja nu n Ding. Nu, meer kommeen wohl gesuund neck Hoose, wenn der Monn dat Sogeen het. Guter Monn, ock wenn er ne Loondrotte est. Und wo geht’s denn hen?“
„In die Südsee, Pilot! Über Kap Horn in den Pazifik, und dann schauen, was es dort gibt! Vielleicht Land zum siedeln, Holz, Kohle, Eisen, unter Umständen auch Edelmetalle.“
Doormann blieb wie angewurzelt stehen. „Wat et doort gebd? Eck hob do gehört, do sol et wohl Inseln geben, wo de Schipper noch gern geseheen wern, und de Mädels solen ock verdommt scheen sin. Worm sol et in de Südsee sein, un een ricktiges Poradies! Ober, wer is det Stürmann?“
„Wir hab‘n Carsten Burmeester verpflichtet.“
„Den Corsten, na det is een guter Mann. Da bin eck in guter Gesellschaft. Und wat for Schipp?“
„Diese drei dort!“
Am Kai lagen drei schwarz gestrichene Schiffe mit einem schmalen, silbernen Streifen vom Bug der Linie der Reling folgend bis unter das flache Heckkastell. Zwei waren etwas kleiner als die Kriegsschiffe des Heiligen Reiches und wiesen nur ein Kanonendeck auf, das dritte aber war ein wahrer Gigant für diese Zeit. „Die MOLDAU und die ELBE sind jede etwas über 237 Fuß lang und 37,3 Fuß breit, ohne die Radkästen“, erklärte Leutnant Vogel stolz. „Die Dampfmaschine schafft eine G‘schwindigkeit von ganzen 19 Knoten. Sie führ‘n, wie sie seh’n, je vier Masten zu 190 Fuß, vom Kiel aus gerechnet. Schonertakelung, damit das Schiff bei weniger Besatzung auch noch gut zu segeln ist. Wir hab’n auf jedem Schiff 30 Kanonen zu 28 Pfund, alle dank der Kunst und der Genauigkeit der Tyroler Glockengießer als Kammergeschütze ausg’führt. Sie wissen schon, voll g’ladene Kammer aufsetz‘n, verriegeln, vorzieh‘n, abfeuern, und einfach die leere Kammer gegen eine volle auswechseln. Das Nachladen geht mehr als doppelt so schnell wie bei den ander’n Kanonen, man muss das Rohr nicht nach jedem Schuss nass auswisch‘n, man muss nicht mehr zwei Mal nachstopf‘n, und die Kammern werden im Laderaum ständig nachgefüllt. Und die Rohre können länger werd’n, weil man ja nimmer mit einem langen Stecken von vorn hineinfahren muss.“
„Und dat dridde Schipp doort?“
„Die SÜDLAND. 397 Fuß lang. 61 Fuß breit. Dafür schafft unser gutes Stück auch nur 16 Knoten. Ist ein wenig breit in den Hüften geworden, die Dame, und hat jetzt auch nicht viel mehr Kanonen an Bord, es sind nur 36 Kammergeschütze zu je 32 Pfund. Zwei davon nach achtern und zwei nach vorne im Bug. Aber sie hat jede Menge Laderaum.“
„Est wohl so `ne Ort Lostesel, dee olle Dome?“
„Nicht nur, Pilot. Generalkapitän Hahn hat an Bord der SÜDLAND sein Quartier aufgeschlag‘n, wegen des Platzes. Wir werd‘n also die Reise auch an Bord dieses Schiffes mitmach’n. Dafür hab’n wir alle gemütlichere Kabinen!“
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Logbuch der SÜDLAND-Expedition, am 25. September @ 1728, der 1. Tag der Expedition.
Heute, am 25. Tage des Septembers im Jahre unser aller Herrn Jesus Christus 1728 gab ich zur Zeit, als die Glocke der Hafenkirche die volle neunte Stunde schlug, den Befehl, die Leinen loszumachen und abzulegen. Die neuen Dampfmaschinen funktionierten wie vorher gesehen und trieben die SÜDLAND mit der MOLDAU und der ELBE im Kielwasser über den Fluss Elbe dem Meere zu. Längs des Flusses wurden uns zu Ehren die Kirchenglocken beider Konfessionen angeschlagen. Der Navigator, Pilot Jan Doormann, erklärte mir, dass es sich hier eingebürgert hatte, für neue Dampfschiffe auf diesem Wege den Segen Gottes zu erbitten. Nach dem Passieren der Elbmündung bei Cuxhaven um 13.15 nahmen wir in Sichtweite der Küste unter Segel Kurs auf jenen Kanal, welcher Britannien vom restlichen Europa trennt.
Der Kaiser hat uns den Maler Johann Gottfried Auerbach aus Thüringen, 31 Jahre alt, sowie den Geographen Johann Michael Frantz, 28, welcher in Halle studierte, und einige Geodäter mitgegeben. Medicus und Chemiker Georg Ernst Stahl versteht sich auch auf Zoologie, und sein Pharmazeut Wilhelm August Libosvar ist ausgewiesener Botaniker. Letztlich sind noch Joseph Handler als Geologe und Johann Dietz als Feldscher an Bord. So Gott will werden wir auf dieser Expedition Land und Schätze für die Fürsten des Heiligen Reiches finden.
Passieren 20.50 den Leuchtturm auf der westfriesischen Sandinsel Schiermannskoog, der den Aachener Nullmeridian der deutschen Kartographie markiert und verlassen hiermit auch die Gewässer des Heiligen Reiches deutscher Nation. Bisher zurückgelegte Strecke 160 Seemeilen, durchschnittliche Geschwindigkeit 13,5 Knoten.
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Etwa zwei Monate später umfuhr die kleine Flottille bei 55°58‘52“ Süd und 73°22‘20“ West nach dem Aachener Nullmeridian oder 67°17‘21“ West nach dem Greenwich-Meridian den südlichsten Teil des amerikanischen Kontinentes. In den Morgenstunden des Ostersonntag 1729 entdeckte der Ausguck eine große Insel, der sofort verständigte Generalkapitän Jakob Hahn trug in seinem Logbuch und auf seiner Karte als ersten Namen der gefundenen Landmasse nach der ältesten Tochter des Kaisers Prinzessin Maria Theresieninsel ein. Später erkannte er, dass hier zwei große Inseln lagen, und auf seine Nachfragen erfuhr er den Namen Māui. Dabei entging ihm, dass der gefragte Inselbewohner damit nur einen schneebedeckten Berg gemeint hatte. Trotzdem wurde dieser Name für Aotearoa nach der Rückkehr der Expedition allgemein verwendet.
Diese Rückkehr der SÜDLAND und ihrer Begleitschiffe fand zehn Jahre später statt, im Jahre des Herrn 1739. Das Heilige Reich Deutscher Nation beanspruchte diese beiden Inseln und den etwas weiter westlichen gelegenen Kontinent, den Jakob Hahn Germania Australia genannt hatte, als seine Kolonien. Dank der zwischenzeitlich stetig gewachsenen Dampfschiffflotte konnte das HRDN diesen Anspruch auch durchaus gegen alle anderen Reiche behaupten. 1740 kam es zu einigen Umbrüchen im Heiligen Reich, Friedrich II. wurde Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen, der Kaiser des Heiligen Reiches Deutscher Nation starb in Wien ohne männlichen Erben und seine Tochter Maria Theresia wurde dank der von ihm verfassten ‚Pragmatischen Sanktion’ Königin von Ungarn und Böhmen sowie Erzherzogin von Österreich. Der Thron des Kaisers aber blieb vorderhand vakant, denn noch konnten sich die Kurfürsten nicht für eine Kaiserin erwärmen. Sie hielten an einem Passus des Salischen Rechts fest, in dem angeblich seit Chlodwig, dem Merowinger geschrieben stand: ‚In terram salicam mulieres ne succedant‘ – In salischem Land sollen Frauen keinen Erfolg haben. Also nicht herrschen, nicht einmal als Regentin. Auch ihre Nachkommen sollten aus der Thronfolge ausgeschlossen sein, wenn ein männlicher Verwandter den Thron bestieg. Dagegen hielten Maria Theresia und ihre Anhänger die Erfolge der Regentinnen wie Fredegunde bei den Merowingern selbst, im Römisch-deutschen Reich waren es Theophanu, Adelheid von Burgund und Agnes von Poitou, Hedwig in Polen, als Herrscherinnen aus eigenem Recht Isabella von Kastilien, Maria von Burgund, die englischen und schwedischen Königinnen und Katharina I. von Russland. Alles in allem hatten all diese Frauen nicht schlechter als ein Mann regiert, manchmal sogar besser. Die Debatten unter den Fürsten dauerte immer noch an, doch bis Ende des Jahres 1740 sollte endlich eine Entscheidung fallen.
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1740
Hamburg
Die Freie und Hansestadt Hamburg an der Elbe war zuerst durch den Fernhandel der Hanse und später die Werften für die neuen Raddampfer reich und mächtig geworden, die Handels- und Ratsherren feierten sich selber und die Stadt mit großen, prunkvollen privaten Häusern und einem riesigen Rathaus, welches sie jedoch den Fürsten des HRDN gerne für die Konferenzen des Reichstages anlässlich der Kaiserwahlen zur Verfügung stellten. Ebenso, wie einige Familien gerne die Fürsten beherbergten, als Investition in die Zukunft. Es wurde ein zähes Ringen der fürstlichen Familien um Macht und Gebiete.
Im Hause Stuever hingen Familienportraits an der Wand, auch wenn die Familie erst seit relativ kurzer Zeit zu den wirklich reichen Leuten gehörte. Die Werft Stuever hatte sich vor 32 Jahren auf das Wagnis eingelassen, zuerst die FAFNIR und später auch die SÜDLAND zu bauen. Beide Schiffe waren nicht nur durch die einigermaßen pünktliche Bezahlung durch das Kaiserhaus ein großer Gewinn für das Haus geworden, sondern hatten ihm vor allem einen soliden Ruf als Spezialist für die neuartigen Dampfschiffe eingebracht. Ebenso solide wie der Ruf des Hauses war auch die Architektur des Stueversen’s Hauses an der Alsterfleet im Neustädter Koopmannsviertel Hamburgs. Natürlich ein Fachwerkhaus, mit dicken Balken, welche die Steine und Ziegel an Ort und Stelle hielten. Kein modernes Schnörkelwerk, ein Haus, welches Jahrzehnte, Jahrhunderte überstehen sollte, um vom Reichtum der Stuevers zu künden. Das dritte und vierte Obergeschoss ragten weit über die beiden anderen Stockwerke und den Kanal, in der dritten Etage war einer der ersten jener hochmodernen Kräne mit Dampfmaschine untergebracht, welche um 90 Grad schwenkbar waren und die Fracht der Kähne in das dahinter stehende Lagerhaus hieven konnte. Gegen die Kälte des Herbstes half ein mit moderner ‚Überschlagstechnik’ hergestellter Kachelofen mit opulent bemalter Keramik im Stil des eben in Mode kommenden Rokoko, hier im Inneren des Gebäudes leistete sich Claas Stuever die Extravaganz dieses modernen Stils. Eine große Anzahl teurer, aber wohlriechender Kerzen auf schmiedeeisernen Lüstern und Kandelabern verbreitete flackerndes Licht und weitere Wärme im hübsch eingerichteten Salon im zweiten Obergeschoss, wo üblicherweise die Familie residierte. Nun wohnte dort allerdings hoher Besuch und benutzte den Salon, um Abgesandte der anderen Kurfürsten zu empfangen.
„Aber Majestät, ich kann Euch hoch und heilig versichern, dass mein König wirklich nichts anderes als nur den allergrößten Respekt für Euer Majestät empfinden”, säuselte der preußische Diplomat, die Fingerspitzen theatralisch an die Brust gelegt.
Die 23 Jahre junge, hübsche Frau war von diesen Worten scheinbar nicht restlos überzeugt. „Und was soll mich dieser Respekt denn kosten?“, fragte sie den Abgesandten Friedrichs II. mit einem Lächeln, dass direkt vom Nordpol zu kommen schien.
„Meine Gemahlin meint…“ Ein ausgestreckt erhobener Zeigefinger seiner Gattin brachte Franz Stephan von Lothringen mitten im Satz zum Schweigen.
„Danke, mein Lieber, aber ich glaub’, dass der Graf Schweritzki und ich keinen Dolmetsch’ brauch‘n werd‘n. Also, Graf. Was hat sich Sein König in Preußen Friedrich II. denn eigentlich vorg‘stellt. So als Gegenleistung für seinen von Ihm überbrachten allerhöchsten Respekt?“
Der altgediente preußische Gesandte Rudolf Graf von Schweritzki hob eine Braue. „Es stimmt also, wat – was man sich von Euer Majestät erzählt. Majestät kommen immer gleich zur Sache!“
„Ja, warum denn auch nicht?“ Maria Theresia erhob sich und schritt zum Fenster, um auf die begradigte Alsterfleet zu blicken. Ihr rotes Kleid mit Korsett und tiefem Ausschnitt brachte ihre jetzt noch schlanke Figur mit der mehr als üppigen Oberweite gut zur Geltung. „Ich hab‘ schließlich vor, mich demnächst zur Wahl zum Kaiser zu stell‘n, und es ist mir klar, dass es nicht billig sein wird, die nötigen Stimmen zu bekommen. Also, nur heraus mit den Forderungen!“
Rudolf von Schweritzki straffte seine hagere Gestalt. „Nun gut, ohne Umschweife. Kaiser Leopold I hat Sachsen vom Fürstentum zum Königreich erhoben und den Wettinern, der Familie Friedrich Augusts I., die erbliche Königswürde von Sachsen verliehen.“
„Ich weiß!“ Die Habsburgerin drehte sich zu Graf Schweritzki um. „Also möchte Sein König mit der Nummerierung neu beginnen? Preußen-Brandenburg als Königreich und die Familie der Hohenzollern erbliche Könige von Preußen? Das ließe sich durchaus machen.“
„Und mein Herr wünscht noch Schlesien!“
Maria Theresia zögerte nur kurz. „Damit wär’ ich durchaus einverstanden. Dafür unterstützt mich Sein König bei der Wahl zur Kaiserin, und die beiden Māui-Inseln gehören allein uns Habsburgern. Dazu ein Nichtangriffspakt, zumindest bis entweder Sein König oder ich das Zeitliche segnet. Von ihm persönlich versprochen“
„Das wäre schon machbar, Majestät.“ Der Preuße trat an den Tisch mit der Karte des Südkontinents Germania Australia. „Und es wäre zudem noch sehr erfreulich, wenn Preußen diesen Fleck hier im Südosten des Kontinents bekäme.“
„Darüber kann ich im Moment leider noch keine fest‘n Zusagen mach‘n. Sachsen, Bayern, Würtemberg, Baden und Hessen sind ja auch noch im Spiel und dürfen mitreden“, wehrte Maria Theresia ab.
„Natürlich“, lächelte der Graf. „Wir werden uns schon alle einigen! Vielleicht könnten Sachsen, Württemberg und Preußen den östlichen Teil ab etwa hier erhalten und unter sich aufteilen, wobei Habsburg keine Einwände erhebt, wenn mein König den südlichen Teil erhält?“
„Warum sollten wir denn, das wär‘ ja eine ganz nette Einigung.“ Die junge Königin von Ungarn und Böhmen sowie Erzherzogin von Österreich reichte dem Preußen ihre Hand zum Kuss. Das kleine Billett, welches dabei von Hand zu Hand wechselte, blieb von Franz Stephan unbemerkt.
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„Mein lieber Kurfürst!“ Maria Josepha Benedikta Antonia Theresia Xaviera Philippine, Ehefrau des Königs Friedrich August II. von Sachsen und Tante Maria Theresias von Österreich betrat die Gemächer des Kurfürsten Karl I. Albrecht von Bayern im Haus der Familie Heens wie ein Sturmwind und hielt dem 53 Jahre alten Wittelsbacher ihre Hand zum Kuss hin.
„Hoheit!“ Natürlich beugte sich der Herzog von Bayern sofort über die schlanken Finger der Königin und hauchte die Andeutung eines Kusses darauf. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte er, auf einen bequemen Stuhl deutend.
„Es ist ein wenig delikat, Herzog.“ Umständlich nahm Maria Josepha Platz, denn die Kleider um 1740 waren noch sehr voluminös und wenig bequem. „Wie sieht Er denn die Zukunft Bayerns?“
„Nun ja, da ich mit Maria Amalia, einer Tochter des verstorbenen Kaiser Karl VI., verheiratet bin, sehe ich gute Chancen, den Kaiserthron für mein Haus zu erringen!“ Karl goss der Königin eigenhändig ein Glas Rotweines ein, holte eine Pfeife aus der Rocktasche und stopfte sie sorgfältig.
„Ich muss gestehen, Kurfürst, dass ich so etwas geahnt habe.“ Maria Josepha nahm einen Schluck. „Hervorragender Wein, Kompliment! Herzog, aus verschiedenen Gründen würden es mein Gatte und ich vorziehen, wenn meine ältere Nichte Maria Theresia deutsche Kaiserin wird.“
„Und nach ihr das Haus Habsburg-Lothringen? Warum nicht das Haus Wittelsbach?“
„Es wäre das Haus Habsburg-Wittelsbach, mein lieber Herzog“, lächelte Maria Josepha süffisant. „Immerhin trägt Habsburg bereits eine – nein, sogar zwei Königskronen, und in Österreich gilt das Salische Erbrecht nicht mehr.“
„In Bayern schon“, betonte Karl. „Aber lassen wir das jetzt. Wie sähe eine eventuelle Einigung denn aus?“
„Man hat mir gesagt, Er präferiert für Bayern ein Gebiet auf dem neuen Kontinent, das nördlich des 22. südlichen Breitengrades und westlich des 139 östlichen Aachner Meridians (133 Ost Greenwich) liegt?“
„Und wenn es wirklich so wäre?“
„Meine Nichte Maria Theresia könnte nicht nur Euren Anspruch darauf unterstützen, sondern auch noch Bayern zum Königreich erheben. Und sie bietet Seinem Sohn die Hand ihrer Tochter. Ja, schon richtig, Maria Anna ist jetzt erst drei Jahre, und Ludwig Maximilian sechs. Aber beide werden einmal erwachsen, und so eine Verbindung ist manchmal recht nützlich. Dafür unterstützt Er Maria Theresia bei ihrem Plan, Kaiserin zu werden.“
„Und Franken?“, wagte Karl I. Albrecht noch einen raschen Vorstoß.
„Meine Nichte kann über Franken nicht verfügen, Kurfürst. Das Gebiet ist nicht in ihren Besitz!“
Karl wärmte seine Hände am Kamin. „Natürlich! Aber ich sehe vielleicht eine Möglichkeit, meine Tochter Maria Antonia Walburga mit dem Pfalzgrafen Iring Konstantin von Nürnberg und Redwitz-Bayreuth zu vermählen. Sie ist sechzehn Jahre alt und bildschön, er ist zwar bereits 48, verwitwet und kinderlos, aber – nun, Hoheit wissen, wie das ist. Wenn also Eure Nichte im Falle des Todes von Iring den Anspruch meiner Familie auf Franken unterstützt und wir das Salische Erbrecht abschaffen, dann – tu felix bavaria, nube.“
„Nicht schlecht ausgedacht. Also die Königskrone für Bayern, dazu noch Franken und der Nordwesten von Germania Australia, und Er unterstützt die Wahl meiner Nichte Maria Theresia als Kaiserin eines Deutschen Bundes?“
„Dann sind wir uns ja einig, königliche Hoheit!“
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Im Hause Hanssen an der Alsterfleet, in unmittelbarer Nähe zum Hause Stuever, erhob sich eine junge Frau von knapp 22 Jahren von einem Fell vor einem Kamin. Die Flammen zeichneten rötliche Schatten auf ihre bloße Haut, ihre Ähnlichkeit mit Maria Theresia von Österreich sowohl das Antlitz als auch die Formen betreffend, war nicht zu übersehen. Der ältere Mann, welcher auf dem weichen Fell liegen blieb, öffnete ein wenig ermattet die Augen und bewunderte den Anblick.
„Wollt Ihr mich bereits verlassen, Erzherzogin Maria Anna?“
„Nur kurz, mein lieber Landgraf! Nur kurz!“
Während der Südland-Konferenz in Hamburg logierte der Kurfürst Landgraf Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt in besagtem Haus Hanssen. Obwohl verheiratet mit Charlotte von Hanau und bereits mit sechs Kindern gesegnet, hatte ihn seine Konkubine Friederica Elisabeth Clotz nach Hamburg begleitet. An diesem Tag hatte er für sie allerdings einen Orchesterbesuch organisiert, der Musikdirektor Hamburgs hatte Vivaldi überredet, einige seiner Werke selbst zu dirigieren. Dem Landgraf lag mehr an anderen Genüssen, wie die Erzherzogin Maria Anna, mit welcher er soupierte, nicht unerfreut feststellen konnte. Das Gespräch über die anstehende Wahl des Kaisers hatte sich rasch vom Tisch zum Fell verlagert.
„Dann sind wir uns also einig, Landgraf Ludwig?“ Der schlanke Finger der Erzherzogin war durch den dichten Brust- und Bauchpelz des Fürsten dem mittleren Meridian gefolgt, während Ludwig begeistert mit ihrer Oberweite beschäftig war.
„Oh ja, Erzherzogin Maria Anna, ich war schon immer auf der Seite Eurer Schwester. Maria Theresia wird Kaiserin, soweit Hessen etwas zu sagen hat. Und so klein…“
„Aber von klein kann hier doch überhaupt keine Rede sein”, unterbrach Maria Anna, ihre Hand hatte ihr Ziel erreicht und griff zu. „Wie überaus erfreulich!“
„Die Krone Eurer Schwester oder…“
„Nicht nur, lieber Landgraf, nicht nur. Auch Euer Kirchturm. Und dieser wächst sogar noch immer!“
„Das muss wohl die kundige Hand machen, die bei ihm angelegt wird, Hoheit!“ Auch die Hände des Kurfürsten wanderten langsam in südlichere Gefielde.
„Das ist wohl das Geheimnis eines guten Werkes“, hauchte Maria Anna. „Vollendet es doch. Jetzt!“
Dies war ein Befehl, den Frau Ludwig nicht zwei Mal geben musste, nur zu gerne kam er diesem nach.
Nun sah er der nackten Frau nach, als sie zu jenem kleinen Alkoven schritt, welcher draußen aus der Mauer ragte.
„Ach Erzherzogin! Eure Rückansicht ist ebenso schön und erregend wie die vordere“, bekannte Ludwig, Maria Anna zwinkerte ihm über die Schulter zu.
„Das wäre vielleicht verhandelbar, Landgraf. Nachdem Maria Theresia Kaiserin geworden ist!“
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Auf der Hamburger Konferenz wurden viele Karten neu verteilt und auch gezeichnet. In Europa verzichtete Maria Theresia zugunsten Friedrichs, der als König von Preußen nun mit der Nummerierung wieder bei I. begann, auf das Gebiet von Schlesien, dazu bekam Preußen sein schönes Stück Land auf Germania Australia, den fruchtbaren Südosten. Das Königreich Sachsen erhielt nördlich davon fruchtbare Küste und ein Stück trockener Wüste, in dem bald Gold und Opale gefunden wurden, der König selbst durfte in seiner Galerie sein neuestes Bild bewundern. Ein Carravaggio, Maria vor dem Kreuz, auf welchem eigentlich nur der Oberkörper Marias zu sehen war, die nach oben auf den nicht dargestellten Jesus blickte. In ihrem Gesicht spiegelte sich alles Leid einer Mutter sowie aller Schmerz der Welt, und ihre Hände schienen immer noch ihr Baby an die Brust zu drücken. Ein wahrhaft geniales Meisterwerk des großen italienischen Malers. Zwischen Sachsen und Preußen lag noch ein Streifen Land welches Württemberg sein eigen nennen durfte, die Schulden des Herzogtums wurden getilgt und Herzog Carl Eugen war ohnehin von Anfang an auf der Seite Maria Theresias gewesen. Bayern bekam den Nordwesten Germania Australias, Franken und Hessen teilten sich den Südwesten. Der Plan Karls I. Albrecht Franken betreffend ging auf, Bayern setzte sich in den Besitz der Pfalzgrafschaft. Der Landgraf von Hessen persönlich konnte sich wie versprochen eines zweiten Schäferstündchens erfreuen, im Laufe dessen er sich der Kehrseite Maria Annas gründlich ergötzen durfte und besaß nun völlig schuldenfrei in Germania Australia das Land südlich des Schwanenflusses. Österreich und den Habsburgern wurde wunschgemäß die beiden Māoi-Inseln zugesprochen, mit jenem vorgelagerten Vulkan, an dessen Hängen der Chemiker Nikolaus Graf Novacek 1849 eine Substanz finden sollte, die Vaporid genannt wurde. Das Salz des Dampfes. 1741 wurde dann das heilige Reich deutscher Nation aufgelöst und der Deutsche Bund gegründet. Mit den Stimmen der damals Großen Fünf, nämlich Preußen, Hessen, Sachsen, Bayern und Österreich wurde das Salische Gesetz im deutschen Bund endgültig abgeschafft und Erzherzogin Maria Theresia zur ersten Kaiserin dieses neuen Bundes gewählt.
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1774 schrieb ihr Sekretär einen Erlass ihrer Majestät wörtlich mit, der in der kaiserlichen Kanzlei für Verwunderung sorgen sollte.
„Geh, Kårl, hast’ schon den neuesten Erlass Ihrer Majestät g’lesen?“
„Na, håb‘ ich noch nicht, Schurli. Was steht den drin?“
„Na jå! Ålso, ålle Kinder soll’n zukünftig in’d Schul’ geh’n und ålle ihre Untertanen soll’n gleich behåndelt werden! Und wer sich keine Schul’ leisten kann, soll entsprechend unterstützt werd’n“
„Wås, wirklich ålle?“
„Jå, då steht ålle, Kårl!“
„Soll das heißen, gånz egal, ob Krowot, Behm oder Maori?“
„Schaut irgendwie fåst so aus! Zumindest – jå, du, so steht‘s hålt då! Ålle“
„Na dånn, Schurli, dånn haben wir als Beamte Ihrer Majestät, der Kaiserin des Deutschen Bundes, Königin von Böhmen, Erzherzogin von Österreich und so weiter und so weiter et cetera pepe hålt die Pflicht, den Erlåss auch durchzusetzen. Zumindest in die habsburgischen Länder, die ånder‘n måchen doch eh, wås woll’n. Machst jetzt eine schöne Aktennotiz und ein Rundschreiben, dass alle unsere Kollegen zur Kenntnis nehmen sollen.“
Ob ihre Allerhöchste Majestät damals eine wirkliche Gleichstellung beider Geschlechter, aller Völker und Religionen unter ihrer Krone anstrebte und tatsächlich die Schulpflicht für alle ihre Untertanen ohne Ausnahme dekretieren wollte, kann im Nachhinein wohl nicht mehr festgestellt werden. Aber dieses Mal sorgte die Bürokratie der Habsburgerreiche jedenfalls für einen großen Vorrat an klugen und gut ausgebildeten Fachkräften.
Als dann am 5. Juli 1777 über Germania Australia eine Sonnenfinsternis stattfand, war auch eine Gruppe britischer Wissenschaftler mit der RESOLUTION unter dem berühmten Kapitän James Cook zur Beobachtung in die Südsee gereist und erhielt die Erlaubnis, dies vom bayrischen Fort Luitpold an der Mündung des Maximilian-Flusses in die Darwin-Bucht aus zu tun. Danach brach der Brite wieder auf, reiste zu den Salomonen und nahm diese für Britannien in Besitz, ehe er auf einer winzigen Insel vor der Insel Neukaledonien, welche er ebenfalls für seinen König George III. in Besitz genommen hatte, von einem Eingeborenen im Streit erschlagen wurde. Angeblich eines Bootes wegen.
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》Ursprünglich sollte dieser Text als Prolog für die nächste Story dienen, aber der Text hat sonst keinen Bezug dazu. Also ist ein Interludium daraus geworden. Die Jagd nach der Krone der Gottgemahlin des Amun folgt demnächst.《