Story von Alexander “Tiff” Kaiser

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Prolog:

„Captain Hibiki?“
Der junge Mann reagierte nicht.
„Ryoga-kun?“
„Was? Oh, Entschuldigung, Colonel Ino. Was haben Sie gesagt?“
Der Andere, ein kleiner, blondhaariger Junge in der Uniform der UEMF mit den Abzeichen eines hochrangigen Stabsoffiziers, lächelte freundlich. Was an ihm irritierend niedlich aussah. „Ob Sie Ihren Abschied nehmen oder in der United Earth Mecha Force bleiben wollen.“
Nun war der junge schwarzhaarige Mann wieder in der Realität angekommen. Er sah ins Rund der Versammelten, sah Akira Otomo, sein ganz persönliches Idol, sah Megumi Uno, die den Spitznamen „Lady Death“ wohl verdient und auf dem Mars mehrfach bewiesen hatte, sah Yoshi Futabe, den wahrscheinlich tödlichsten Eagle-Piloten der Welt, und natürlich sah er auch Joan Reilley, seine direkte Vorgesetzte. Auf der anderen Seite des Konferenztischs standen Sakura Ino, die große Schwester des Colonels und Kommandeurin des Verbandes, und neben ihr wie ein treuer Schatten Kei Takahara, der in der schwierigsten Situation überhaupt das Kommando über die GRAF SPEE übernommen und sie damit wahrscheinlich alle gerettet hatte, während er und Akira unten auf dem Mars gegen den Core gekämpft hatten. Dazu kamen die Kapitäne der anderen drei Schiffe ihrer erfolgreichen Flottille. Eine illustre Runde, der allerdings noch einige Gesichter fehlten. Darunter die Slayer, die noch auf dem Mars weilten und mit ihren überlegenen Kräften halfen, die Schäden der Schlacht zu tilgen. Dafür aber stand dieses rothaarige Mädchen dort, das angeblich schon mehrere tausend Jahre alt war. Besonders war es auf jeden Fall, denn immer wenn er Kitsune-chan ansah, fühlte er ihre Kraft, ihre Energie wie ein körperliches Feld, das ihn wegzudrängen drohte.
„Wenn es nicht allzu viel Mühe macht, würde ich auf jeden Fall noch gerne an Bord bleiben, bis wir wieder die Erde erreicht haben“, sagte Ryoga.
Leises Gelächter antwortete ihm.

„Ernsthaft, Ryoga“, sagte Akira. „Was willst du tun? Auch wenn wir die Anelph befriedet haben, jedenfalls vorerst, bleibt dieser Sektor des Universums ein gefährlicher Flecken. Früher oder später werden wir und die Naguad aneinander geraten, und ich würde dann das Wann und Wie gerne selbst bestimmen.“
Ja, das sah Akira ähnlich. Wie immer strotzte der junge Anführer ihrer Expedition und – zur Zeit – Anführer der UEMF vor Selbstbewusstsein und Kraft. Seine Persönlichkeit war schon immer stark gewesen, aber Ryoga sah, dass mit ihm etwas auf dem Mars passiert sein musste, was ihn noch einmal stark in diese Richtung gepusht hatte. War es die Nahtoderfahrung gewesen? Für eine unglaublich lange Zeit hatten sie alle geglaubt, dass Legat Taylor ihn getötet hatte. Bis zur erlösenden Nachricht, dass er, Akira Otomo, unverletzt geblieben war, war Ryoga jede verdammte Minute wie eine Stunde vorgekommen. Er konnte die Tatsache nicht verneinen, dass er sich mitten zwischen den Reihen der UEMF-Soldaten wohl fühlte. Sicher spielte dabei eine Rolle, dass sie alle in seinem Alter waren; immerhin verfügten die Kronosier mit dem Temporalresonator über eine Waffe, die jeden Menschen, der sein KI nicht beherrschte, binnen Sekunden einfrieren, und, wanderte das Feld weiter, damit auch töten konnte. Die ganze Flotte, die Piloten der Mechas und auch die Infanteristen, Jungen und Mädchen wie Ryoga, waren nicht älter als vierundzwanzig gewesen, das Höchstalter, um vom Resonatorfeld nicht erfasst zu werden. Mit dieser Streitmacht hatten sie schließlich den Mars erobert.
„Ich denke, wenn wir den OLYMP erreicht haben und den Resonatortorpedo runterschalten, der die gesamte UEMF-Führungsspitze in der Zeit einfriert, werde ich einen Urlaub antreten. Danach werde ich mich entscheiden, ob ich in der UEMF bleibe.“ Seine Augen füllten sich mit Tränen, obwohl er das nicht wollte. „Eventuell ist dies nun der einzige Ort, an den ich tatsächlich zurückkehren kann.“
Seine offenen Worte machten die anderen Anwesenden betroffen. „Wie meinst du das?“, fragte Akira.
Ryoga atmete kurz aus und wieder ein, hielt die Tränen zurück, so gut er konnte. „Ich bin Kampfsportler. Mein Ziel war es immer, daraus einen Beruf zu machen. Als Profi auf Landesebene, bei Olympia oder als Lehrer. Aber…“ Ryoga hielt eine Hand hoch. Die Aura des deprimierten Löwen formte sich dort. Sie war erschreckend kräftig, gut angepasst an seine Stimmung. „Aber seit die Slayer meine Fähigkeiten als KI-Talent erkannt und mich trainiert haben, bin ich kein normaler Mensch, kein Kampfsportler mehr. Ich bin etwas anderes, und gewiss bin ich niemals ein Olympionike.“

Akira nickte dazu mit steinerner Miene. Er verstand. Aber würde er auch den Rest verstehen, den Ryoga mit sich wie Bleigewichte herumschleppte?
„Dazu kommt, dass meine Familie, meine Freunde, alle meine Bekannten in irgendeiner Form dem Kampfsport verbunden sind. Dem Kampfsport, nicht dem Krieg. Ich aber war im Krieg, ich habe im Krieg getötet, und ich weiß nicht, ob ich jetzt noch unter ihnen einen Platz haben werde. Sicher werden sie mich ehren, wenn ich als Rekrut gegangen bin und als Captain zurückkehre, aber werden sie es verstehen? Werden sie mich verstehen? Oder sehen sie mich als den Mörder, der ich bin?“
Akira kam um den Tisch herum und legte seine Rechte schwer auf Ryogas Schulter. Ihm, dem man dreitausend Tote zuschrieb, von seinen Händen gefallen, er verstand. Ryoga wusste das, sah es in seinem Blick. „Captain Hibiki, ich werde dir keinen Vortrag über Notwendigkeiten halten, keinen über Pflichten und dergleichen. Wie sollte ich, war ich doch selbst nicht stark genug, um nicht zu töten. Jeder dieser Toten ist eine abstrakte Zahl für mich, den Wenigsten habe ich in die Augen gesehen wie Taylor, und ich will auch nicht, dass sie mehr für mich werden als abstrakte Zahlen. Du aber hast sie gesehen, in ihre Augen geblickt und bist nicht zerbrochen. Ich fürchte, du bist stärker als ich, Ryoga.“ Ein müdes Lächeln stand auf seinem Gesicht, als er die Hand von Ryogas Schulter nahm und sie ihm als geballte Faust hinhielt. Captain Hibiki stieß seine eigene rechte Faust dagegen.
„Egal, wie es sich für dich entwickelt, mein Captain, du wirst hier zwischen uns immer einen Platz finden. Und falls du die Schule wechseln musst, komm auf die Fushida. Dort sind sie verrückte Typen wie mich gewöhnt.“
„Oder Yoshi“, wandte jemand ein und erntete dafür Gelächter.
„Was wollt Ihr mir denn damit sagen?“, fragte der junge Futabe, aber sein Grinsen verriet, dass er nicht ernsthaft verärgert war.
„Ich danke dir. Ich danke euch allen. Ich denke, ich… Sobald wir den Resonatortorpedo abgeschaltet haben, sobald es wieder eine funktionierende UEMF gibt, muss ich die Dinge einfach auf mich zukommen lassen.“
Und so sollte es auch geschehen.

1.

Zwei Wochen später war es soweit. Captain Ryoga Hibiki, mittlerweile mit dem Silver Star für herausragende Tapferkeit ausgezeichnet, erhielt nach der Rettung des OLYMP die berühmte Frage, die alle Freiwilligen des Zweiten Marsfeldzugs gestellt bekamen: Bleiben oder ins Zivilleben zurückkehren? In seinem Fall war das die Schule. Für die überwiegende Mehrheit war das Abenteuer, das große, blutige, bleihaltige Abenteuer, vorbei. Sie wollten zurück in ihre alten Leben. Die UEMF stellte dabei sicher, dass es ihnen auch gelang. Sie erhielten Pflichttermine bei UEMF-Psychologen, um kampfbedingten Stresstraumata vorzubeugen, die nicht wenige von ihnen entwickeln würden. Der kleinere Teil entschied sich dafür, in der UEMF zu bleiben, denn die Gefahr war laut der Anelph, denen sie den ganzen Ärger verdankten, noch lange nicht vorbei. Denn nach ihnen kamen die Naguad, eine ebenfalls menschenähnliche Spezies, die einen ausgeprägten Expeditionsdrang hatte, den man ernst nehmen musste. Sehr ernst nehmen musste.
Es gab noch zwei weitere Gruppen. Die eine war die Gruppe der Reservisten, derjenigen jungen Menschen, die zwar in ihre alten Leben zurückkehren wollten, aber für den Notfall bereit standen. Sie verpflichteten sich für regelmäßigen militärischen Dienst, um ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem neuesten Stand zu halten. Die andere Gruppe, die kleinste von ihnen, war die der Unentschlossenen, die derjenigen, die nicht wussten, was ab hier zu tun war. Sie teilte sich in zwei Sparten ein. In jene, die Gefallen an der UEMF gefunden hatten und probieren wollten, ob ihnen das Zivilleben doch irgendwie lieber war, und jene, die nicht sicher waren, ob sie noch in ihre alten Leben passten. Ryogas Gruppe.

Urlaub bedeutete, in sein altes Umfeld, seinen alten Freundeskreis zurückzukehren. Würde das klappen? Konnte er einfach wieder zu Ranma gehen und mit ihm einen weiteren ihrer zahllosen Kämpfe ausfechten? Auf dem Mars war er zum Killer geworden. Was, wenn er Ranma tötete? Was, wenn aus irgendwelchen Gründen das posttraumatische Stresssyndrom einsetzte, was, wenn er glaubte, wieder auf dem Mars zu sein und jemanden in vermeintlicher Notwehr tötete? Seine Hände zitterten. Ryoga legte sie zusammen, und das Zittern wurde weniger. Nicht, dass es verschwand, aber es wurde weniger.
Oh, er hatte Angst. Große Angst vor dem, was jene Menschen sagen würden, die er als seine Freunde betrachtete. Was würde Akane sagen? Was ihre Familie? War es wirklich richtig, wieder im Dojo der Familie Tenoh aufzutauchen? Was war mit Akari? Bevor er sich freiwillig gemeldet hatte, hatte es so ausgesehen, als würden er und sie ein Paar werden. Er hatte Akari nichts von seiner Entscheidung gesagt und war ohne jede Erklärung einfach in einem Rekrutierungsbüro verschwunden. Konnte er erwarten, sie wieder sehen zu dürfen, nachdem er sie so schäbig behandelt hatte? Aber er hatte Angst gehabt, weit größere Angst. Angst davor, was ihr, was den Tendos, ja selbst was Ranma und seinen Eltern passieren würde, wenn er es nicht tat, wenn er nicht auf dem Mars kämpfte. Was die Kronosier mit ihnen tun würden, wenn sie niemand aufhielt. Er hatte seinen Teil leisten wollen, um Akari zu beschützen. Konnte sie das genauso sehen, oder sah sie nur, dass er ohne ein Wort gegangen war?

Der Transporthubschrauber, der ihn von der Titanen-Station nach Tokyo brachte, setzte unvermittelt auf. Unvermittelt für ihn. Sie waren da?
„Aussteigen! Haltestelle Tokyo!“, rief der Jumpmaster, während die Heckklappe des Hubschraubers nach unten schwenkte. „Schönen Urlaub euch allen!“, fügte er hinzu und drückte hier und da bei den etwa zehn Leuten, die auf den Passagiersitzen saßen, die Rechte, bevor sie sich abschnallen konnten. Er kam auch zu Ryoga, öffnete seinen Gurt und zog ihn an der Rechten aus dem Sitz. „Besonderer Service von Colonel Otomo, Sir“, sagte er grinsend. Er war mindestens fünfzig Jahre, ein hochdekorierter Veteran im Range eines Master Sergeants, und nannte ihn Sir. Das war zwar formell richtig, denn Ryoga hatte ein Offizierspatent, aber dennoch war es ein merkwürdiges Gefühl. „Für Sie wartet ein Taxi direkt am Hubschrauber mit dem Auftrag, Sie nach Hause zu fahren.“
Ryoga lächelte dünn. Stimmt, seine Fähigkeiten hatten sich verbessert, seit er auf dem Mars gekämpft hatte, sogar dramatisch verbessert, aber seine beiden größten Schwächen hatten sich nicht verbessert. Eine davon war sein Orientierungssinn, der praktisch nicht vorhanden war. Das war allerdings ein Familienproblem. Kein Hibiki war besonders gut darin, sich zu orientieren. Nicht mal ein Navigationsgerät war eine große Hilfe, denn was ein echter Hibiki war, der ignorierte unbewusst die Kursbeschreibungen der Computerstimme. „Meinen aufrichtigsten Dank, Master Sergeant.“
Der große, aber schmale Mann lachte wohlwollend. „Für Ryoga Hibiki, den Berserker, ist das Teuerste gerade gut genug.“
Für einen Moment legten diese Worte einen Schatten über Ryogas Verstand, aber wirklich nur für einen Moment, weil es als Lob gesagt worden war. Er versuchte sich selbst an einem Lächeln. „Sie machen mich verlegen.“
Der Sergeant verzog seine Miene zu einem Schmunzeln. „Jemanden wie Sie, der mit einem Silver Star nach Hause kommt, kann gar nicht genug gepampert werden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sie vor einem halben Jahr noch ein normaler Oberstufenschüler waren.“
Ryoga verstand diesen Mann. Ryoga sah, was ihn antrieb. Seine Motive waren ehrlich, aber auch von Schuld getrieben. Der Schuld, zu alt gewesen zu sein, um an seiner Stelle kämpfen zu können, wie er es als seine Pflicht ansah.
„Schon gut“, hörte Ryoga sich sagen, „ich bin vielleicht ein halbes Jahr dabei, aber Sie dienen seit Anfang an dem Kampf gegen die Kronosier.“
Diese Worte machten nun den alten Soldaten verlegen.
Ryoga grinste ein wenig müde. „Wir sehen uns, Sarge. Halten Sie die UEMF intakt, bis ich wiederkomme.“
Er salutierte gespielt. „Natürlich, Captain. Wenn Sie wieder hier einsteigen, wird die UEMF frisch poliert auf Sie warten.“
„Das ist ein Versprechen, oder?“, hakte Ryoga im Scherz nach, erntete ein Schmunzeln und kam endlich dazu, seinen Seesack aufzunehmen und von Bord zu gehen.

Draußen wartete tatsächlich ein Taxi auf ihn. Der Fahrer nahm respektvoll seine Mütze ab und verbeugte sich vor Ryoga, bevor er „Captain Hibiki“ die Tür zum Fond aufhielt. Ryoga erwiderte die Verbeugung, was den Taxifahrer wirklich verlegen machte und ihn drängte, einzusteigen.
„Sahkuji-Koen?“, fragte er, um sicherzugehen.
Ryoga nickte. Das war der Nachbardistrikt von Furinkan, in dem sich die Kampfschule der Tendos befand. Der Fahrer nannte die Straße, und Ryoga nickte erneut. Auch wenn er sich schlecht orientieren konnte, so hatte er doch ein ziemlich gutes Gedächtnis. Ein Umstand, der schon öfters dazu geführt hatte, dass er mit Hilfe anderer Personen den einen oder anderen Weg doch noch gefunden hatte. Vorausgesetzt, er fand so eine hilfreiche Seele.
Der Taxifahrer war eine solche. Er fuhr zügig, aber nicht überhastet, drückte nicht ein einziges Mal auf die Hupe und entschuldigte sich mehrfach bei Ryoga für den Verkehr. Nicht, dass der sich beschwert hatte oder dem Fahrer die Schuld geben wollte.
Nach einer halben Stunde Fahrt begann die Gegend vertrauter zu werden, obwohl er noch immer nicht zu sagen gewusst hätte, wo genau er war. Aber als das Taxi in seine Straße einfuhr, war dieses Gefühl wie weggewischt. Als der Fahrer dann vor dem richtigen Haus hielt, vor seinem Haus, dem Haus seiner Familie, überwältigte es ihn vollends. „Ich bin Zuhause.“
Der Fahrer bedankte sich mehrfach dafür, ihn als Passagier gehabt zu haben, öffnete die Tür für ihn und trug seinen Seesack bis zur Türschwelle. Dann zog er sich mit ausgesuchter Höflichkeit zurück und lehnte eine Bezahlung ab. Die UEMF hatte ihn bereits bezahlt, und ein Trinkgeld brauchte es nicht, wenn Captain Hibiki sein Passagier gewesen war.

Ryoga war daher etwas irritiert, als er die Haustür aufschloss. Eine solche Behandlung war er nicht gewohnt. Und als er die Tür öffnete, erfuhr er gleich die nächste ungewohnte Behandlung. Ein Rudel Hunde eilte auf ihn zu, schwanzwedelnd, bellend, an ihm hochspringend. Natürlich, das mussten Shirokuros Welpen sein, mittlerweile fast erwachsen. War er denn so lange fort gewesen? Auch seine Hündin begrüßte ihn an der Tür, wenngleich sie ihren Kindern den Vortritt dabei ließ, ihren Meister zu begrüßen. Und das wurde er ausgiebig. Die Hunde liebten ihn abgöttisch. Ryoga brauchte seine Zeit, um all die Liebe über sich ergehen zu lassen und zu erwidern, bis das Hunderudel genug von ihm hatte.
Endlich konnte er sich Shirokuro widmen, die sich ausgiebig streicheln ließ. „Hast du auch schön aufs Haus aufgepasst?“, fragte er, ihre Ohren gnibbelnd. „Sind Mama oder Papa Zuhause?“ Eine dumme Frage. Höchstwahrscheinlich waren sie das nicht. Höchstwahrscheinlich irrten sie wie üblich durch die Nachbarschaft. Oder durch Tokyo. Oder über die Insel Honshu. Aber sicher war das nicht. Vater war schon ein paar mal auf Hokkaido gelandet und hatte sich einmal sogar aus Seoul gemeldet. „Komm. Küche.“
Wie erwartet war sie verlassen, wie auch das ganze Haus. Auf dem Tisch standen Tupperschalen mit Briefen an seinen Vater, Essen, das Mutter für Vater zubereitet hatte, als sie den Weg nach Hause gefunden hatte, aber alles schon abgelaufen. Nichts davon war für ihn gedacht, aber immerhin wussten sie ja, dass er in der UEMF war, um die Welt zu retten. Aber vielleicht war etwas nicht Verdorbenes im Kühlschrank, sodass er nicht selbst einkaufen gehen musste. Wer wusste schon, wo er dann landen würde?

Er erstarrte, als sein Blick auf den Kühlschrank fiel. Jemand hatte Zeitungsberichte mit Magneten an der Außentür befestigt. Berichte über die UEMF, Berichte über den Marsfeldzug, Berichte über ihn. Einer der Berichte zeigte ihn bei der Entgegennahme des Silver Stars, als Akira ihm das Band um den Hals gehängt hatte. Ein Bericht daneben zeigte seine Eltern in einer Zeitung, die die andere Zeitungsseite mit der Ordensverleihung in die Kamera hielten und dabei unglaublich stolz wirkten. Ryoga fühlte einen dicken Kloß im Hals, als er zum Kühlschrank ging und die Zeitungsseite abnahm, um den Bericht zu lesen. „Wir sind sehr stolz auf ihn, sagte Mutter Hibiki“, las Ryoga laut. Tränen flossen seine Wangen hinab. „Er hat eine schwere Zeit und schwere Entscheidungen getroffen, aber nur, damit die schweren Zeiten nicht zu uns kommen, sagte Vater Hibiki.“ Die Tränen füllten seine Augen so sehr, dass er nichts mehr sah. Er wischte sich mit der Linken die Augen aus und hängte den Zeitungsartikel wieder an seinen alten Platz. Zumindest hier würde er immer einen Ort haben, zu dem er zurückkehren können würde.
Shirokuro fiepste leise, und Ryoga bückte sich, um sie zu streicheln. Es war ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass dieses Haus immer noch sein Zuhause war.

Ryoga öffnete den Kühlschrank. Im Eisfach waren tiefgefrorene Okonomiyaki. Sie waren ohne Umverpackung und so zahlreich, dass sie das Eisfach förmlich verstopften. Sie erinnerten ihn spontan an Ukyo und ihr Okonomiyaki-Geschäft. War sie damals eine Freundin von ihm gewesen? Er wusste es nicht. Aber wenn sie Freunde waren, würde das, was er inzwischen getan hatte, dann zwischen ihnen stehen?
Er zog eine der Teigscheiben hervor. Sie war dick mit Fleisch und Gemüse belegt und mit Käse überbacken. Ryoga war sich sicher, dass er sie nur in den Ofen legen musste, um etwas Leckeres zu essen zu bekommen.
Zwischen den Okonomiyaki steckte ein Zettel fest. Er zog ihn hervor. Es war eine Bittschrift in Ukyos Handschrift. „Bitte komm heil zurück, Ryoga.“ Er begriff. Diese Okonomiyaki waren alle für ihn, und seine Eltern hatten sie für ihn gehortet. Deshalb quoll das Eisfach auch über mit ihnen. Er nahm drei weitere Scheiben hervor und legte sie in den Backofen. Er würde jede einzelne dieser Mahlzeiten essen. Jede einzelne.
Im Hintergrund ratterte ein automatischer Futterspender, und die Hundemeute stürmte wieder in die Küche. Eine gute Idee, um fünf Hunde auch dann zu versorgen, wenn weder Vater noch Mutter im Haus waren. Schwanzwedelnd verspeiste die Meute die Mahlzeit. Als sie sich zurückzogen, war noch genug Trockenfutter für einen Hund in der Auffangschale, aber Shirokuro wartete mit ihrer Mahlzeit, bis Ryogas Okonomiyaki fertig waren. Erst als er die vier dick belegten Teigscheiben gegessen hatte, ging sie mit einem zufriedenen Nießer zum Napf und fraß. Ryoga trat dazu und kraulte ihr den Nacken, während sie fraß. Das gefiel ihr sehr gut. Wirklich, hier war er noch Zuhause. Wenigstens eine Sache in seinem Leben war im Lot.

2.

Nach einer kurzen und verdammt schlechten Nachtruhe war Ryoga früh aufgestanden und mit Hilfe seines neuen Handynavis und der Hilfe einiger freundlicher Bürger bis zum nächsten Convini-Store gekommen, in dem er den Lebensmittelstand des Hauses Hibiki auf „normal“ gesetzt hatte. Erstaunlicherweise hatte er bepackt wie er war den Rückweg ganz allein gefunden. Höchstwahrscheinlich, weil er zu bepackt war, um sich darum sorgen zu können, ob er sich wieder verlief. Allerdings verstand er die vielen nett gemeinten Anträge nicht, die ihm Hilfe beim Tragen angeboten hatten. Es waren doch nur fünfzehn Taschen gewesen.
Danach hatte er für sich und die Hunde Frühstück gemacht und eine Runde Nassfutter für alle ausgegeben. Natürlich nur zwei Dosen, denn der Futterautomat spendete seine Ration unerbittlich, und er wollte nicht, dass die Tiere sich überfraßen. Dennoch bedankten sich Shirokuros Welpen mit viel, viel Hundeliebe, bevor sie Ryoga mit der Tageszeitung allein ließen.

Tee trinkend blätterte er in der Zeitung und las verschiedene Artikel von internationalem Interesse. Einige Hardliner behaupteten im Interview, Akira Otomo sei nicht bei Verstand gewesen, als er dem kompletten Mars, allen Kronosiern und all ihren Helfern Generalamnestie erteilt hatte. Ryoga musste an sich halten, um die Zeitung nicht zu zerknüllen. Verdammt! Er war da gewesen! Er hatte geholfen, Martian City zu erobern! Er hatte mit bloßen Händen einen Daishi Alpha zerstört! Und er war da gewesen, als Joan Reilley ihr großes Marskonzert gegeben hatte, bei dem Akira die Generalamnestie ausgesprochen hatte. Für die normalen Menschen, für die niederrangigen Kronosier. Damit verbunden war eine Pflichtzeit in der UEMF, das erwähnten diese Hetzer natürlich nicht. Und der Rat sowie führende Spitzenleute waren selbstverständlich von der Generalamnestie ausgenommen. Man würde ihnen den Prozess machen. Einen gerechten Prozess. Ryoga konnte nicht verstehen, warum diese Männer ausgerechnet den Mann diffamierten, der sie alle gerettet hatte. Bis er es verstand. Sie wollten Macht, Macht auf seine Kosten.
Er las weiter und fand im Regionalteil einen interessanten Bericht über das Nudelhaus von Shampoos Ur-ur-Großmutter Cologne. In den Himmel gelobt wurde die Küche, und der schnelle Lieferdienst gelobt. Es gab auch ein Foto, auf dem Shampoo und Oma zusammenstanden. Shampoos Vater und ein paar der Kellnerinnen waren ebenfalls zu sehen, aber nicht Mousse. Das verwunderte Ryoga jetzt doch, denn Mousse, der Meister der versteckten Waffen, war immer da, wo auch Shampoo war. Eigentlich.
Ryoga las den Artikel zu Ende, aber er konnte keinen Hinweis auf Mousse finden. Ob er seine Liebe zu Shampoo aufgegeben hatte, um nach China zurückzukehren? Das konnte er sich nicht vorstellen. Mousse war genauso stur wie kurzsichtig. Und ohne Brille war er so blind wie ein Maulwurf am Tag.
Er schob den Gedanken beiseite und blätterte weiter. Schließlich landete er bei einer Anzeige, die eine Hochzeit ankündigte. Ono Tofu und Kasumi Tendo gaben sich in einigen Tagen die Ehre, einander den Bund fürs Leben zu versprechen. Das machte Ryoga dann doch baff. Wie viel hatte er in dem halben Jahr verpasst, das er in der UEMF verbracht hatte?

Er spürte eine neue Energie in sich, eine starke Kraft, die ihn vom Stuhl hochtrieb. Ja. Er würde es tun. Er würde zum Dojo der Tendos gehen, und sei es nur, um Kasumi zur Hochzeit zu gratulieren. Leider würde er nicht dazu kommen, sein kleines Handicap auszuprobieren, das ihn beim Kontakt mit kaltem Wasser in ein schwarzes Ferkel verwandelte. Akane und die Familie Tendo würden ein halbes Jahr Abwesenheit von P-chan reichlich merkwürdig finden, und Captain Yamada, besser bekannt als Blue Slayer, hatte ihn gewarnt, ohne Not in die Ferkelgestalt zu schlüpfen. Seit sie miteinander trainiert hatten, brauchte er weder kaltes Wasser für die Verwandlung, noch heißes Wasser, um wieder ein Mensch zu werden. Wie sie gemeinsam herausgefunden hatten, war das schwarze Ferkel eine KI-Rüstung. Als er damals bei den Tausend Quellen in die Quelle des ertrunkenen Ferkels gefallen war, hatte er sehr viel natürliches KI aufgenommen. Dies hatte sich mit seinem eigenen, bereits beträchtlichen KI verbunden und ihn dazu gezwungen, beim Kontakt mit kaltem Wasser die Rüstung des Ferkels anzunehmen. Dank Hina, also Captain Yamada, konnte er den Vorgang jetzt kontrollieren und steuern. Er wurde nicht länger gegen seinen Willen ausgelöst. Natürlich hatte die UEMF sofort Arno Futabe zu den Quellen geschickt, um das Phänomen zu erforschen, und der hatte die Quelle auch gefunden. Soweit Ryoga wusste, hatte es keinen Kampf gegeben, aber verwundert wäre er nicht gewesen, denn er hatte wirklich üble Erinnerungen an den nahen Berg und das Volk der Phoenix-Menschen, das in ihm lebte. Akane wäre bei ihrem Kampf beinahe dort gestorben. Alleine der Gedanke versetzte ihn in Aufruhr.
Ja, seine KI-Rüstung, ein Produkt dieser Umgebung, er konnte sie jetzt nicht nur kontrollieren, sondern auch die Größe variieren. Auf dem Mars hatten die kronosischen Infanteristen nicht schlecht gestaunt, als sie von einem schwarzen Rieseneber mit drei Meter Schulterhöhe umgerannt worden waren, der auch noch unverwundbar gewesen war, zumindest gegenüber herkömmlichen Kugeln.
P-chan würde es nicht mehr geben. Vor allem, weil er sonst Hina nie mehr in die Augen gucken können würde. Als er noch jünger gewesen war, da war P-chan Teil eines Spiels gewesen. Jetzt aber, nach allem, was er erlebt hatte, wäre es eine ziemlich miese Lüge gewesen. Und viele Dinge hatten zu enden, damit andere neu beginnen konnten.

Ryoga verabschiedete sich von der Hundemeute und nahm sicherheitshalber ein Taxi zum Dojo in Furinkan. Er hatte sich bewusst dafür entschieden, seine Uniform zu tragen. Die Felduniform, nicht die Gala-Version. Aber er hatte auf die Feldmütze verzichtet und lieber sein altes Stirnband umgebunden. Es hatte ihm auf dem Mars Glück gebracht, also hoffte er auch diesmal auf seinen positiven Effekt. Seine normale Seitenwaffe, die Typ 97 Panzerbüchse, hatte er verständlicherweise in der Kaserne gelassen, eine Waffe, die normalerweise von drei Mann bewegt werden musste und die nur sehr wenige Menschen wie er selbst allein handhaben konnte. Die verließ das Depot nicht so ohne weiteres; und im Stadtbild wäre es auch nicht angemessen gewesen, ganz davon abgesehen, dass er nicht nur mit der Waffe extrem aufgefallen wäre, sondern auch damit, dass er sie mit einer einzigen Hand tragen konnte. Stattdessen hatte er seinen neuen Schirm mitgenommen, den er sich in den ruhigeren Tagen auf dem Mars selbst gebaut hatte, nachdem er den alten beim Kampf gegen die Kronosier ruiniert hatte.

Das Taxi brachte ihn bis vor die Haustür der Tendos. Die Vertrautheit des Ortes schlug über ihm zusammen. Wie lange hatte er hier in der Gestalt eines Ferkels gelebt? Wie oft war er als Ryoga hier gewesen? Wie oft hatte er seine Zweikämpfe mit Ranma abgehalten, die ihm nun, nach einem halben Jahr in einem echten Konflikt, so kindisch vorkamen, wie sie wirklich gewesen waren? Aber halt, das war nicht richtig und auch nicht gut, so zu denken. Alleine seinen Kämpfen mit Ranma hatte er es zu verdanken, dass er stärker geworden war. Dass er der junge Mann geworden war, der dann von Joan Reilley in der Infanterie aufgenommen und von Hina Yamada in KI-Beherrschung trainiert worden war, um noch stärker zu werden. Vielleicht, nur vielleicht sollte er doch einen kleinen Kampf mit Ranma wagen, einfach um zu schauen, um wie viel er stärker geworden war? Aber… Nein. Natürlich würde er das nicht tun. Die Gefahr, ihn zu töten, ungewollt, weil er seine Kräfte nicht weit genug drosseln konnte, war zu groß für Ranma.
Er stieg aus, bezahlte den Taxifahrer so großzügig, wie der Mann es bei „Captain Hibiki“ zuließ, nahm seinen Schirm auf und das kleine Päckchen mit dem Geschenk für Kasumi und Doktor Tofu. Dann ging er den langen, langen Weg zur Haustür, vorbei am Teich, in dem er sich so oft verwandelt hatte, um so etwas Kindisches zu tun wie in Akanes Bett zu schlafen. Darüber war er jetzt hinausgewachsen. Eventuell.
Kurz sah er sich um, versuchte, Happosai zu entdecken, den kleinen, zwergenhaften Meister von Ranmas und Akanes Vätern, der so winzig, und doch so mächtig war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der perverse alte Knacker woanders zu finden sein würde als in der Nähe der drei Tendo-Schwestern. Aber zu sehen war nichts. Als er allerdings auf das KI achtete, erkannte er mehrere Quellen, und eine von ihnen bedrohlich riesig, geradezu monströs, auf dem Dach des Dojos. Das konnte Happosai sein. Und wenn er es war, dann war Ryoga stärker als er, wie er mit Verblüffung, aber auch Zufriedenheit feststellte.
Also ging er weiter bis zur Haustür und klopfte höflich an. Er hatte zögern, mit sich hadern, sich vielleicht auch wieder abwenden wollen, aber er hatte geklopft, bevor er hatte zweifeln können. Und dann war es zu spät.

Die Tür ging auf. „Ja, bitte… Ryoga? RYOGA!“
Der junge Hibiki war viel zu überrascht, um etwas zu erwidern, als die junge Frau um seinen Hals fiel. Wie sie ihn drückte, als wäre sie eine Ertrinkende. Er spürte, wie ihre Tränen seine Schultern benetzten. „Ryoga! Ich bin so froh, dass du wieder da bist. Dass du zurückgekommen bist!“
Zögernd nur legte er die Arme um die junge Frau und drückte ganz leicht zu. Akane Tendo war ein zäher Brocken, eine Kampfsportlerin und eine der stärksten Frauen, die er kannte, in mehr als einer Hinsicht, aber es gab einige wenige Dinge, die er in diesem Leben niemals würde tun wollen. Akane auf irgendeine Art zu verletzen stand auf dieser Liste ganz oben.
„Ich bin wieder da, Akane“, sagte er mit rauer Stimme.
„Ja, das bist du, Ryoga. Das bist du.“ Sie hob den Kopf, betrachtete ihn durch ihren Tränenschleier und drückte ihm einen Kuss auf die linke Wange. „Wir haben uns die ganze Zeit Sorgen um dich gemacht, als Ranma herausgefunden hatte, dass du dich der United Earth Mecha Force angeschlossen hast. Und als wir gehört haben, dass du nicht in der Heimatflotte dienen würdest, sondern zum Angriffsteam gehörst, waren das nicht unbedingt weniger Sorgen.“
Zögernd ließ er Akane wieder los, und auch sie nahm ihre Hände zurück.
„Aber das ist egal. Es zählt nur, dass du wieder da bist und dass es dir gut geht! Komm rein! Hey, Papa, Kasumi, ratet mal, wer gerade gekommen ist!“
Akane zerrte ihn ins Haus, ohne dass er wirklich etwas dagegen tun konnte, und das war ehrlich gemeint. Die Kraft, die sie aufbrachte, hatte etwas von seinem Kampf mit dem Daishi Alpha. Was zum Henker ging hier vor?
Kasumi sah aus der Küche auf den Flur. „Oh, das ist ja Ryoga-chan!“ Sie ließ alles fallen, was sie in den Händen hielt und legte beide vor ihren Mund. „Ryoga-chan, wir haben uns ja alle so große Sorgen um dich gemacht. Ranma und Akane haben sich wenigstens regelmäßig gemeldet, aber auf dem Mars warst du so weit weg…“ Sie kam auf den Flur und schloss den jungen Offizier ebenfalls in die Arme. „Willkommen zurück, Ryoga. Aber wenn du rein willst, musst du deine Schuhe ausziehen und den Schirm hier lassen.“
Noch immer peinlich berührt zog er also die Armeestiefel aus und stellte den Schirm gegen die Wand.
Akane griff danach. „Ist das ein neuer Schirm?“ Sie hob ihn ohne jedes sichtbare Zeichen von Kraftanstrengung hoch und spannte ihn auf. „Gefällt mir gut, ist nur etwas leicht.“
Leicht? Ryoga zog die Augenbrauen hoch. Er war fast doppelt so schwer wie der Schirm, der auf dem Mars geblieben war.
Akane spannte ihn wieder zu und stellte ihn zurück. „Achtzig Kilo etwa.“
„Fünfundachtzig“, sagte Ryoga.
„Das ist ja eine ganze Menge“, sagte Kasumi. „Du bleibst doch zum Essen, oder?“
„Eigentlich bin ich hier, um dir und Doktor Tofu zur Hochzeit zu gratulieren.“ Er reichte ihr das Päckchen. „Hier, eine Kleinigkeit von mir.“
„Aber, aber. Das wäre doch nicht notwendig gewesen, Ryoga-chan. Dass du heile zurückgekommen bist, das ist doch unser größtes Geschenk.“ Sie nahm das Päckchen höflich an und stellte es auf einen reichlich zugestellten Tisch im Flur ab. Dort standen weitere Päckchen in verschiedenen Größen, augenscheinlich alles Geschenke zur Hochzeit.

„Papa, wo bleibst du denn? Ryoga ist da!“, rief Akane in den Flur.
„Ryoga? Sag das doch gleich!“ Der große, schnurrbärtige Mann kam vom Dojo ins Wohnhaus und eilte auf ihn zu. Soun Tendo streckte ihm die Rechte entgegen und legte die Linke auf Ryogas Schulter. „Es tut gut, dich wiederzusehen, mein Junge. Schön, dass du in einem Stück nach Hause gekommen bist. Aber komm doch rein. Kein Grund, im Flur herumzustehen. Nabiki hat bald Dienstende und dürfte auch gleich eintreffen, und Ranma erwarten wir noch den Abend zurück. Der wird sich freuen, dich zu sehen. Kasumi-Schatz, was ist denn mit Ono-kun? Wollte er nicht auch schon hier sein?“
„Er wird sich leicht verspäten. Es gab einen Notfall in der Klinik. Aber er sagte, er schafft es noch vor dem Essen.“
„Das ist gut. Notfall?“
„Shampoos Vater hat einen Bandscheibenvorfall.“
Die Augen Soun Tendos weiteten sich. Das war gewiss keine schöne Nachricht. Aber Ono Tofu war einer der besten Ärzte, die Papa Tendo kannte. Bei ihm war Shampoos Vater sehr gut aufgehoben.
„Autsch. Ryoga-kun, tritt doch bitte ein. Wenn wir heute nicht schon feiern würden, wäre jetzt ein Anlass dafür.“
„Äh, wenn ich ungelegen komme, dann…“, stammelte er.
„Papperlapapp!“ Akane griff nach seiner rechten Hand und zog ihn in den Flur. Wieder war da diese unwiderstehliche Kraft, diese Stärke. Was war hier los?
Akane zog ihn in Richtung Wohnzimmer, ihr Vater folgte. „Unterhaltet ihn mir gut. Er ist ja eigentlich mein Gast“, sagte Kasumi, bevor sie wieder in der Küche verschwand.
„Was gibt es denn zu feiern?“, fragte Ryoga.
„Ranma ist befördert worden. Nach der Schlacht hat er den Bronce Star erhalten, und gestern ging sowohl sein Reservestatus durch, als auch seine Beförderung zum First Lieutenant“, sagte Akane fröhlich.
„Was?“
„Was?“
„Befördert? Ich dachte, er…“
Akane wies ihm einen Sitzplatz zu und setzte sich neben ihn. Papa Tendo setzte sich ihm gegenüber hin. „Es ist viel passiert, während du auf dem Mars warst, Ryoga-kun“, sagte Soun Tendo.
Akane nickte zustimmend. „Als du im Rekrutierungsbüro warst, hat das uns alle sehr schockiert. Aber Ranma war der Erste, der gesagt hat, dass man Colonel Otomo und Major Uno die Rettung der Welt nicht alleine aufbürden sollte, und dass du nicht der Einzige sein solltest, der hilft, ihre Last zu tragen. Es hat fünf Tage gedauert, aber dann ging er auch in ein Rekrutierungsbüro. Da war natürlich die Planung und die Personalfragen der Mars-Mission schon erledigt. Aber für die Speerspitze wurden noch dringend Leute gebraucht. Tja, und dann bin ich auch in die UEMF eingetreten, und Nabiki, Mousse und Tatewaki Kuno ebenso. Wir kamen alle in die Speerspitze, wo wir dann auch Konatsu getroffen haben, der bereits am ersten Tag eingetreten war und in der Gegenspionage arbeitet. Wir haben versucht, mit dir in Kontakt zu kommen, aber das Einsatzteam wurde abgeschirmt, um Infiltrationen zu erschweren, deshalb haben wir auch nicht viel gehört. Das tut mir leid. Wir alle hätten dir gerne gesagt, wie stolz wir auf dich sind, und wie viel Angst wir um dich hatten.“
„Moment, Moment!“ Ryoga legte eine Hand vor sein Gesicht. „Langsam mit den jungen Pferden. Was ist passiert? Ranma ist First Lieutenant? Du bist in der UEMF? Wie bitte? Und ja, ich weiß, was die Speerspitze ist! Wegen der Resonatortorpedos der Kronosier wurden jene Schiffe in der Spitze der Abwehrformation ebenfalls mit Soldaten und Freiwilligen unter vierundzwanzig bemannt, um zu verhindern, dass die Kronosier die Crews der vorderen Schiffe abschlachten und um den nachfolgenden Schiffen die Chance zu erkaufen, Resonatortorpedos abschießen zu können. Eine wichtige und gute Entscheidung. Aber… Hä?“
Akane zuckte mit den Schultern. „Wie ich schon sagte. Wir waren uns sehr schnell sehr einig, dass die UEMF mit dem Angriff des Resonatortorpedos auf den OLYMP in einer absoluten Notfallsituation war, und dass wir, als wir aufgerufen wurden zu helfen, auch etwas tun mussten. Aber erst nachdem du ohne zu zögern hingegangen bist, da haben auch wir uns ein Herz gefasst.“ Ihre Hand berührte ihn an der Schulter, ihr Lächeln war ein wenig wehmütig. „Die Kämpfe waren hart, aber wir haben den Kronosiern Saures gegeben und die Erde verteidigt. Die Speerspitze war eine ganz schöne Überraschung für sie, weil wir damit einen Kordon für die erfahreneren Mannschaften hatten, und wir haben eine Menge Schäden eingesteckt. Aber wir wurden gut trainiert und hatten nur wenige Verluste.“
„Ich kapiere immer noch nichts. Eigentlich bin ich in die UEMF eingetreten, damit Ihr das nicht müsst…“, sagte Ryoga.
„Oh, das hättest du uns so auch sagen müssen. Nicht, dass wir auf dich gehört hätten“, sagte sie, kniff die Augen ein wenig zusammen und lächelte.

„Ich muss zugeben“, sagte Soun Tendo, „es hat mir sehr viel Angst gemacht, dass nicht nur mein Schwiegersohn, sondern auch zwei meiner Töchter zur UEMF wollten. Aber Kasumi konnte ich gerade noch zurückhalten. Gut, Nabiki arbeitet wie der Freund von Ukyo im Geheimdienst in der Spionageabwehr, und sie soll darin recht gut sein. Aber Ranma und Akane waren doch etwas sehr exponiert, nicht wahr, Kapitän Tendo?“
Akane wurde rot. „Äh… So exponiert man an Bord einer Foxtrott-Korvette nun mal ist, Papa.“
„Als Kapitän der Foxtrott-Korvette, solltest du vielleicht noch hinzu fügen, Akane-chan.“
Nun wurde sie ganz rot. „Das macht mich ganz verlegen. Das klingt so angeberisch.“
Ryoga hatte die Augen ganz weit aufgerissen. „Was? Du hast ein Schiff bekommen?“
„J-ja. Sie haben mich getestet, als feststand, dass ich in die Speerspitze komme, und dann wurde ich als Schiffsoffizier ausgebildet, und weil ich Talent hatte und sie Leute brauchten, bekam ich den Second Lieutenant-Rang und mein eigenes Schiff.“
„Okay, okay, das ist in Ordnung. Und du bist ja auch wieder heile rausgekommen, den Göttern sei Dank. Und was war mit den anderen?“
„Ranma ist Hawk-Pilot geworden. Seine Fähigkeiten und Reflexe haben ihn dazu prädestiniert. Sie haben ein spezielles Titanen-Bataillon aufgebaut, ausschließlich aus den jungen Freiwilligen, und Ranma hat eine Kompanie kommandiert“, sagte Akane. „Seine natürliche Führungsqualitäten, weißt du, Captain? Wir haben während der Abwehrschlacht einiges zusammen erledigt und gemeinsam eine November versenkt.“
Ryogas Gesicht wurde lang. Dann, urplötzlich, begann er so laut zu lachen, dass Akane und ihr Vater erschrocken zurückzuckten. Erst als Kasumi ihm eine Tasse Tee vorsetzte, ebbte sein Gelächter ab. Ryoga wischte sich Tränen aus den Augen und sagte: „Entschuldigt. Ich habe nicht über euch gelacht, sondern über mich. Ich habe mir die schlimmsten Dinge ausgemalt, wenn ich nach Hause komme, wenn ich meine alten Freunde besuche. Ich hatte so viel Angst vor unserem Treffen, davor, was Ihr sagen würdet, und dann…“ Seine Augen füllten sich mit Tränen. Sie liefen seine Wangen herab. „Und dann finde ich heraus, dass Ihr euch auch in Lebensgefahr gebracht habt. Ich dachte, wenn ich gehe, dann müsst Ihr das nicht, und… Und…“ Mit dem rechten Ärmel wischte er sich über die Augen.
Akane legte einen Arm auf seine Schulter. „Es war gut so. Es war gut so, wie es passiert ist, wie wir es getan haben. Wir haben geholfen, die Erde vor den Kronosiern zu retten. Und wir waren in der UEMF, deshalb hatten wir ein paar Insider-Informationen darüber, wie es dir und den anderen auf dem Mars ergangen ist. Gestehe uns zu, dass auch wir nicht wollten, dass unsere Angehörigen einen Kampf aufgezwungen bekommen, den sie nie wollten. Ich wäre gestorben, wenn Kasumi zur UEMF gegangen wäre.“
Die älteste Tendo-Tochter sah für einen winzigen Augenblick mürrisch drein. „Ich habe im Lazarett geholfen.“
„Und das kann man dir gar nicht hoch genug anrechnen, Schwester. Aber ich wäre jeden Tag zweimal gestorben, wärst du an der Frontlinie gewesen.“

„Das wären wir wohl alle“, erklang eine weibliche Stimme vom Eingang. Nabiki kam herein, noch immer in Uniform, und ließ sich neben ihrem Vater nieder. „Hallo, Ryoga. Ich habe im Dienstticker schon davon gelesen, dass du Urlaub hast. Warum bist du nicht gestern schon vorbei gekommen?“
Unsicher, noch immer die Augen gerötet, sah er die Jüngste der Tendo-Töchter an. „I-ich habe mich nicht getraut.“
„Oh“, sagte Nabiki, aber nicht mehr. Sie nahm von Kasumi dankbar eine Teetasse entgegen und trank schweigend.
Erst als ihr Vater sie sehr auffordernd ansah, sagte sie nach einem langen Seufzer: „Der psychologische Dienst hat damit öfter zu kämpfen. Fast die gesamte Marsattacke von Akira Otomo bestand aus Freiwilligen, die vorher keine Soldaten waren. Etwa jeder Fünfte hat wahnsinnige Angst davor, in sein altes Leben zurückzukehren. Nicht, weil er nicht mehr weiß, wie Zivilleben geht, sondern weil er Angst hat, dass er wegen der Veränderung, durch die er gegangen ist, von seinem Umfeld nicht mehr akzeptiert wird. Er hatte Angst, dass wir ihn nun für etwas Schlimmes halten, Papa.“
„Unsinn“, sagte Soun Tendo. „Du hast dir vollkommen umsonst Sorgen gemacht, Ryoga-kun. Wir sind Kampfsportler. Unsere Traditionen und unsere Kunst hat viel mit Krieg zu tun, viel mit der Akzeptanz der Tatsache, dass wir dazu öfter als andere gezwungen sind, unsere Leben zu riskieren, damit jene, die unsere Kunst nicht beherrschen, nicht ums Leben bedroht werden. Ich respektiere und akzeptiere deine Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, um die Menschen aus deinem Umfeld zu beschützen, Ryoga Hibiki. Solange ich lebe, bist du ein willkommener Gast in diesem Dojo und in diesem Haus.“ Dazu nickte er gewichtig.
Ryoga spürte die Rührung in sich hochkommen wie eine Welle. Er sah auf seine Knie und beobachtete ein paar Tränen, die herab fielen. „Vielleicht habe ich mir doch zu viele Sorgen gemacht.“
„Natürlich hast du das, Ryoga“, sagte Akane bestärkend. „Vor allem, weil Ranma und ich auch durch diese Gefühle gegangen sind. Den einen Moment salutiert noch deine Crew vor dir, und im nächsten Moment stehst du daheim vor der Haustür und weißt nicht, ob du hinter der Tür überhaupt noch willkommen bist, nachdem du Menschen getötet hast. Für mich war es nicht so schwer, wieder über diese Schwelle zu treten, weil ich wusste, dass ich immer Papas Tochter sein würde. Für Ranma war es schwerer, sehr viel schwerer, weil er in einem Hawk viel dichter dran war am Feind. Zum Glück hat Opa Happosai die richtigen Worte gefunden…“
„Hat er?“, fragte Ryoga erstaunt. „Ich dachte, er interessiert sich nur für Damenunterwäsche.“
Soun Tendo lachte, jedoch nur für einen Moment. „Es gibt einen Grund dafür, dass er so ist wie er ist, einen Grund dafür, dass Saotome-kun und ich seine Schüler sein wollten. Was wir, zugegeben, oft genug bereut haben.“

In diesem Moment trat Genma Saotome ein, ausnahmsweise nicht in seiner Pandagestalt, die wie Ryogas Ferkel-Erscheinung auch nur eine KI-Rüstung war. „Ryoga-kun. Willkommen zurück.“
Kasumi stellte ihm einen Tee hin. „Ist das alles, was du ihm zu sagen hast, Genma?“, fragte sie.
„Was soll ich ihm denn sagen, was er nicht schon weiß? Dass ich böse mit ihm bin, weil Akane-chan und mein Sohn wegen seinem Beispiel in den Krieg gezogen sind? Dass ich stolz auf ihn bin, weil er getan hat, was er tun musste, als es an der Zeit war, es zu tun? Dass er seine Kämpfe gefochten und überlebt hat, was mich auch mit Stolz erfüllt?“ Genma sah zu ihm herüber. „Du bist sehr stark geworden. Ich kann es an deiner Aura sehen. Du hast noch einen weiten Weg vor dir, aber du bist auch schon sehr weit gekommen.“
„Danke. Ich wurde in KI-Fragen von den Slayern ausgebildet.“
„Es ist nicht nur dein KI“, sagte Genma. „Auch dein Geist, deine Persönlichkeit, haben sich verändert. Zum Besseren. Du bist jetzt in vielen Dingen stärker als je zuvor.“
Ryoga wusste nicht warum, aber diese Worte waren es, die ihm letztendlich die Sicherheit zurückgaben, die er so lange vermisst hatte. „Danke, Saotome-san. Diese Worte bedeuten mir viel.“
„Deshalb habe ich sie gesagt“, sagte Genma. Er nahm seinen Tee und trank einen Schluck. „Ono-kun verspätet sich?“
„Ranma auch“, sagte Kasumi. „Wir warten solange.“
„Gut. Dann haben wir ja Zeit. Ryoga, erzähl uns ein paar Dinge über den Marsfeldzug. Dinge, die du erzählen darfst.“
Das machte ihn verlegen, aber es trocknete auch die letzten Tränen. „Mal sehen, was fällt denn nicht unter die Geheimhaltung? Ach ja: Joan Reilley ist in Wirklichkeit viel kleiner, als sie im Fernsehen wirkt.“
„Du hast Joan Reilley getroffen?“, rief Akane aufgeregt.
„Ich habe direkt unter ihr gearbeitet, sozusagen. Ich habe eine ihrer Kompanien geführt und war ihr Stellvertreter.“
„Hast du auch Megumi Uno gesehen?“, fragte Akane noch aufgeregter.
„Das bleibt nicht aus, wenn man Offizier in der gleichen Angriffsformation ist. Und bevor du fragst, ich bin auch perdu mit Akira, mit Makoto, mit Yoshi und mit allen Slayern.“
Eine gespenstische Stille erfüllte den Raum. „Äh, Leute?“
„Ich glaube“, sagte Soun Tendo, „du wirst eine ganze Menge Fragen beantworten müssen, Ryoga-kun.

3.

Kurze Zeit später kamen zuerst Doktor Tofu und nicht sehr viel später Ranma nach Hause. Da hatte Ryoga schon etliche Anekdoten und Geschichten zum Besten gegeben, und nach einer aufregenden, herzlichen Begrüßung und beim guten Selbstgekochten von Kasumi erzählte er noch ein paar weitere Geschichten. Nach dem Essen, das gewohnt großartig war, vereinnahmte Ranma den alten Rivalen und schleifte ihn in den Dojo.
„Du wirst dich doch jetzt nicht mit mir schlagen wollen?“, fragte Ryoga argwöhnisch. „Das ist für später eine gute Idee, da wir augenscheinlich beide dazu gelernt haben. Aber den Abend würde ich damit jetzt nicht kaputt machen wollen.“
„Keine Sorge, Captain. Ich möchte nur mit dir reden. Es wäre übrigens schön, wenn du noch ein wenig bleibst. Akane und ich haben da auch eine oder zwei Geschichten, die wir erzählen könnten. Das ist nicht so spannend wie das, was die Leute vom Zweiten Marsangriff direkt aus Akiras Umfeld erzählen können, aber man kann sie sich anhören.“
„Ich bleibe gerne noch ein wenig. Um was also geht es hier?“
Ranma betrat den Dojo und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden. Ryoga gebot er, ihm gegenüber Platz zu nehmen. „Ich stimme dir zu. Wir sollten die nächsten Tage einen Kampf ausfechten, am besten auf einem Kasernengelände, einfach um zu schauen, wie stark wir geworden sind. Aber das ist heute wirklich nicht das Thema. Zuerst einmal muss ich dir einiges sagen. Ich bin vom Fluch der Verwunschenen Quellen, der mich beim Kontakt mit kaltem Wasser in ein Mädchen verwandelt, geheilt worden. Arno Futabe hat mich konsultiert. Ich kann die Verwandlung nun willentlich auslösen und auch variieren. In einem begrenzten Umfang. Er hat mir erklärt, dass es sich dabei um eine KI-Rüstung handelt, etwas, was die Dämonen wie Kitsune-sama benutzen.“
„Arno Futabe kenne ich. Ich habe mit ihm gearbeitet.“
„Ja, davon hat er erzählt. Es ist doch schön zu wissen, dass ich jetzt nicht mehr ständig auf der Suche nach heißem Wasser sein muss, um wieder ein Mann zu werden.“ Er zwinkerte Ryoga zu und schaute dann demonstrativ hinter ihm.
Ryoga verstand. Akane stand oder saß dort und hörte zu. Sein großes Geheimnis, dass er ihr kleines Haustier P-chan gewesen war, war also noch nicht ans Tageslicht gekommen. Ryoga wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. Erst mal nickte er nur in Ranmas Richtung, um zu zeigen, dass er den Wink verstanden hatte. „Was ist eigentlich mit Mousse? War er auch in der Speerspitze?“
„Ja. Hat ein Team mit Kuno gebildet. Die beiden sitzen auf einem Eagle. Mousse ist der Schütze, Kuno der Pilot. Ein sehr erfolgreiches Gespann.“
„Und sie wollen…?“
„Erst mal in der UEMF bleiben, soweit ich weiß. Vor allem Mousse, weil ein Krieger aus einem echten Krieg bei Shampoos Stamm einen besonderen Stellenwert hat.“
„Du meinst, er hat jetzt Chancen bei Shampoo.“
Ranma nickte zustimmend. „Ähnliches gilt für Ukyo. Sie ist nicht in die UEMF eingetreten, aber ihr Ninja-Freund ist es. Wie ich aber gehört habe, hat sie alle paar Tage eine Okonomiyaki für dich bei deinen Eltern abgeliefert.“
„Ja, der Eisschrank quillt über. Ich habe mir welche aufgetaut und gegessen. Das hat in mir den Wunsch geweckt, eine frisch gebackene von Ukyo-chan zu essen.“
Ranma lächelte. „Als wir weg waren, war es Ukyo, die sich um jene gekümmert hat, die hier geblieben sind. Deine Eltern, zum Beispiel. Vater Tendo. Kasumi, Shampoo, Kodachi Kuno. Sogar um meinen Vater hat sie sich gekümmert. Ich kann ihr nicht genug danken, dass sie den Laden hier zusammengehalten hat.“
„Ja, das kann ich auch nicht. Ich bin sicher, ihre Besuche haben es meinen Eltern leichter gemacht, dass ich in Gefahr war.“
„Und damit sind wir auch beim Thema“, sagte Ranma. Er streckte den Rücken ein kleines Stück durch, um mit Ryoga auf Augenhöhe zu kommen. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, die arme Akari ohne ein einziges erklärendes Wort sitzen zu lassen?“
Ryoga saß da wie vom Donner gerührt. „Ich…“
„Die ersten Tage war sie verwirrt, weil sie nicht wusste, wo du warst. Hat sich Vorwürfe gemacht, sich die Schuld gegeben, hat dich verzweifelt gesucht. Als dann klar war, dass du der UEMF beigetreten bist, um am Marsfeldzug teilzunehmen, konnten wir sie nur mit Mühe und Not davon abhalten, den OLYMP anzugreifen und dich wieder nach Hause zu holen.“
Ryoga erstarrte bei diesen Worten. Akari hätte garantiert einen Weg gefunden, das zu tun. Sie konnte so furchtbar stur sein.
„Ukyo und Katsunishiki, ihr Lieblingssumoschwein, haben es dann geschafft, sie wieder auf die Erde zurückzuholen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Auch dass sie sich selbst einschreibt konnten wir gerade so verhindern, weil wir wohl nicht zu Unrecht angenommen haben, dass du ausgerechnet das nicht wollen würdest.“
Ryoga nickte. Sagen konnte er nichts, denn in seinem Hals steckte ein dicker Kloß.
„Was ich damit sagen will, ist, dass ich es schön finde, dass du zuerst zu uns gekommen bist, Ryoga. Aber dein erster und wichtigster Weg hätte dich zu Akari Unryuu führen müssen, du alter Esel. Und wenn du dich alleine nicht traust, komme ich gerne mit. Aber sei versichert, sie liebt dich, und sie hat die ganze Zeit eine wahnsinnige Angst um dich gehabt. Und wenn sie wüsste, dass du Zuhause bist, oder jetzt in diesem Moment hier, dann würde sie mit Katsunishiki durch die Haustür brechen, um dich zu finden.“ Ranma räusperte sich. „Auch einer der Gründe, warum wir es ihr nicht sagen.“ Ranma erhob sich. „Ich hole dich morgen um neun Uhr ab. Dann besorgen wir Blumen und ein paar Süßigkeiten und wir besuchen Akari. Das heißt, ich liefere dich da ab und verschwinde, sobald es mir möglich ist. Ich hoffe, das gibt dir das nötige Selbstvertrauen.“
„Ich weiß das zu schätzen, Ranma.“
Der junge Hawk-Pilot trat an Ryoga vorbei und tätschelte ihm auf die Schulter. „Ach, eines noch, ein persönlicher Wunsch. Kannst du es arrangieren, dass wir Akira und Megumi treffen? Und mit wir meine ich die ganze Familie.“
Ryoga war überrascht. „Ich… Ich kann ihn und die anderen fragen.“
Ranma lächelte. „Eine gute Antwort. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer. Komm, sobald Akane dich wieder rausrückt. Sie schaut ganz so aus, als hätte sie einiges auf dem Herzen.“
Ryoga zuckte zusammen. Er erinnerte sich nur zu gut daran, dass sie ihn an diesem Abend sehr oft berührt und sogar auf die Wange geküsst hatte. Warum, wusste er nicht, denn für jeden, auch für Außenstehende war klar, dass sie Ranma liebte, und niemanden sonst. Das war für seine ehemals romantischen Gefühle für sie ein schwerer Schlag, aber nicht zu schwer. Er war in die UEMF gegangen, um Akari zu beschützen, nicht wegen Akane.
Ranma tätschelte noch einmal seine Schulter und verließ dann den Dojo.

Akane erhob sich an der Tür und trat ein. Sie setzte sich Ryoga gegenüber und sah verlegen zur Seite. „Ryoga, ich weiß, das ist vielleicht etwas viel verlangt, aber ich habe eine Bitte.“
„Eine Bitte? Worum geht es?“
Akane druckste verlegen. „Ich habe mich gefragt, ob… Nun, um der alten Zeiten willen… Ich meine, ich vermisse ihn schon ziemlich und so… Und da dachte ich… Da dachte ich…“
Unvermittelt sah sie ihm in die Augen. Ihr Blick war entschlossen, geradezu trotzig. Dann schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen wie bei der Fürbitte im Tempel. „Kannst du dich der alten Zeiten willen für eine kurze Zeit wieder in P-chan verwandeln? Bitte, bitte?“
Entgeistert sah Ryoga die junge Frau an. „Wo-woher…?“
Akane rollte mit den Augen. „Hast du wirklich gedacht, mir ist nie aufgefallen, dass du nie mit P-chan im gleichen Raum zu finden bist, Ryoga? Hallo, ich bin mit Ranma verheiratet, einem Mann, der bei Kontakt mit kaltem Wasser ein Mädchen geworden ist. Ich habe viel Zeit mit Mousse und Shampoo verbracht. Und ich war an den Verwunschenen Quellen, wo sogar eine Quelle gemacht wurde, die KI-Rüstungen nach meinem Vorbild erzwingt. Denkst du, ich kann nicht bis drei zählen?“
„Aber… Warum hast du nie etwas gesagt?“, fragte Ryoga entgeistert.
„Na, weil es Spaß gemacht hat. Weil ich dich mag und wir Freunde sind. Weil wenigstens was los war, wenn P-chan unterwegs war. Und weil du als Ferkel mein Haustier warst, und nichts sonst, Ryoga Hibiki.“
Der junge Captain sah sie fassungslos an. „Okay…“
„Und weil es Ranma geärgert hat. Er war so oft gemein zu mir, und P-chan war immer für mich da…“ „Das ist ein Grund, das sehe ich ein“, lachte Ryoga. „Dann wird es natürlich verständlicher. Nicht besser, aber verständlicher.“ Ein breites Grinsen erschien. „Na, wenn es um die alten Zeiten geht…“
Vor den Augen Akanes verschwand Ryoga Hibiki. Nur seine Uniform blieb zurück. Aus dieser Uniform wühlte sich ein kleiner, schwarzer Schatten hervor, der ein Halsband trug, das sehr an Ryogas Stirnband erinnerte. Es war ein schwarzes Ferkel, das vor Aufregung und Freude quiekte.
„P-chan!“, rief Akane begeistert und breitete die Arme aus. Das Ferkel sprang ihr direkt in die Umarmung, und das Mädchen drückte ihr Haustier voller Freude und Zufriedenheit an sich. „Was habe ich dich vermisst, mein kleiner P-chan.“
Worte, die das Ferkel mit noch freudigerem Quieken erwiderte.
Ein leises Räuspern klang vom Gang vor dem Dojo auf.
„Keine Sorge, Ranma. Du bekommst nachher noch genug Zuneigung von mir, versprochen.“
Ranma Saotome lachte leise. „Ich nehme dich beim Wort, Schatz. Aber macht nicht zu lange. Nicht, dass jemand nachschauen kommt, wo Ihr beide bleibt.“
„Na, ein bisschen kannst du mir die Familie doch vom Leib halten, oder?“, fragte sie neckisch.
„Ein bisschen schon.“ Ranma klopfte gegen die Tür, um sich zu verabschieden und ging zurück ins Wohnzimmer der Tendos, während Akane Ryoga in seiner KI-Rüstung als P-chan mit Zuneigung überschauerte. Das versprach, ein recht interessanter Abend zu werden. In mehrerlei Hinsicht.

* * *

Am nächsten Morgen, und natürlich viel zu früh, denn es war spät geworden, hielt ein offizieller UEMF-Wagen vor dem Haus der Hibikis. Es war eine große Limousine mit offizieller Standarte, und am Steuer saß ein Sergeant Major mit mehr Dienstjahren in den Streitkräften, als Ryoga bereits am Leben war. Ranma Saotome stieg aus, strich sich über seine Ausgeh-Uniform und klopfte an der Haustür des Hibiki-Haushalts.
Ein vollkommen übernächtigter Ryoga öffnete. „Ist schon neun?“
„Es ist zehn. Wann bist du ins Bett gegangen?“
„Weiß nicht. Habe mich auf dem Heimweg verlaufen.“
Ranma lachte auf. „Manche Dinge ändern sich eben nie. Aber du hast es doch nach Hause geschafft, weil du ausnahmsweise das Navi deines Handys benutzt hast?“
„Halb und halb. Ich bin in eine junge Dame gelaufen, groß, gut gebaut, langes, braunes Haar, sehr japanisch. Die hat mich nach Hause gebracht.“
„Sie hat dir nicht zufällig eine Münze vor die Nase gehalten, mit einem Loch in der Mitte?“
„Doch, das hat sie, aber ich habe das nicht verstanden. Aber das Beste ist, ich dachte in der ersten Sekunde, vor mir steht ein kleines Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt.“
„Na, du musst aber ganz schön an KI-Kraft zugelegt haben, wenn du nicht mal gemerkt hast, was passiert ist“, sagte Ranma mehr zu sich selbst. „Also, Ryoga, es ist schon zehn. Wirf dich in deine Gala-Uniform, häng dir den Silver Star um, und dann fahren wir raus zu Akari.“
„Mit dem Ding?“, fragte er, auf die Limousine deutend. „Ist das nicht etwas protzig?“
„Wenn du schon hinfährst, um dich zu entschuldigen, dann schadet es sicher nicht, wenn die UEMF zeigt, dass sie deinen Dienst wertzuschätzen weiß, Captain Hibiki. Keine Sorge, ich weiß, was ich tue.“
„Das wäre ja echt mal was Neues, Ranma.“
„Du willst alleine fahren, oder wie?“
Ryoga wurde bleich. „Okay, ich ziehe mich ja schon um. Unterstehe dich, mich allein zu lassen.“

Ranma grinste zufrieden, als er Ryoga ins Haus folgte. Der war zu seinem Zimmer durchgestartet, um seine beste Uniform hervor zu kramen. Die Schachtel mit dem Silver Star lag jedoch im Flur. Ranma nahm sie an sich und betrachtete Orden und Reverszeichen. Bei ihm hatte es immerhin zum Bronce Star gereicht, und beide Auszeichnungen waren nicht oft vergeben worden, weder auf dem Mars, noch in der Speerspitze. Sie konnten beide zufrieden sein mit dem, was sie in der UEMF erreicht hatten. Aber Ranma ließ sich zwar zur Reserve versetzen, doch er hatte so eine Ahnung, als wenn der Silver Star auch für ihn nicht allzu lange warten würde. Immerhin war die Existenz der Naguad überall bekannt, seit die siegreiche Flotte vom Mars zurückgekehrt war.
Es dauerte einige Zeit, dann stand Ryoga tatsächlich in Gala-Uniform vor ihm, in der leichten Ausführung mit leichten Schuhen und ohne Seitenwaffe, und statt der Schirmmütze trug er wieder sein Stirnband, aber er hatte alle Auszeichnungen angelegt, die er auf dem Mars erworben hatte.
„Halt still“, sagte Ranma, entnahm der Schachtel das Ordensband und legte es Ryoga um den Hals. „Das I-Tüpfelchen, Captain Hibiki. So kannst du ihr unter die Augen treten.“
„Danke.“

Sie stiegen in die Limousine. Die Fahrt würde dauern, und der Fahrer war nicht unbedingt mit Gesprächigkeit gesegnet. Also fragte Ranma nach ein paar Minuten: „Was hast du vor? Weißt du schon, ob du wie ich Reservist werden willst? Oder gehst du mit auf die Expedition, die Akira Otomo plant?“
„Eventuell habe ich das nicht alleine zu entscheiden“, sagte Ryoga mit ernster Stimme. „Es hängt davon ab, was heute passiert.“
Ranma lachte leise und drückte die Schulter des Anderen. „Ich bin ja bei dir, Ryoga.“
„Und ich weiß das wirklich zu schätzen. Weißt du, ich hatte oft und viel Angst, als wir auf dem Mars gekämpft haben. Ich bin auch ein paarmal knapp mit dem Leben davon gekommen, das kann ich dir sagen. Aber all das verblasst jetzt vor der Angst, diesem Mädchen unter die Augen zu treten. Was, wenn es schief geht? Wenn ich es vermassle? Wenn sie mich nicht mehr sehen will? Wenn sie genug von der Ungewissheit hatte und mich nicht mehr…?“ Er schluckte hart, dann hustete er röchelnd aus dem Magen heraus.
Ranma öffnete die Bar des Wagens und zog kaltes Wasser hervor. Er schenkte Ryoga ein Glas ein. „Trink.“
Gehorsam nahm er einen Schluck. Das Wasser beruhigte, verdünnte die Magensäure. „Danke“, sagte er. „Besser.“
Ranma nickte zufrieden. „Aber kannst du dir vorstellen, Akira Otomo zu begleiten?“
„Vorstellen schon. Doch wir können kaum den ganzen Stadtteil mitnehmen, oder? Und ich möchte mein Leben hier, meine Freunde, nicht noch mal so lange allein lassen.“
Ranma nickte verstehend. „Ein Raumschiff ist zwar eine fliegende Stadt, wie man so schön sagt, aber eben keine richtige Stadt. Leider.“
Den Rest der Fahrt verbrachten sie damit, Anekdoten über ihre Einsätze auszutauschen.

Als sie ihr Ziel erreicht hatten, stiegen sie aus, beide jeder Zoll Veteranen der UEMF, die durch bittere Kämpfe gegangen waren, stolz und hochaufgerichtet, und… hochgradig nervös. Zumindest Ryoga. Als Ranma die Türglocke betätigte, sah Ryoga ihn mit Entsetzen im Blick an. „Meinst du, sie wird uns reinlassen? Meinst du, sie schickt mich wieder fort? Meinst du, sie…“
Die Haustür öffnete sich. Ein leises, fragendes Quieken erklang.
Ranma und Ryoga sahen gemeinsam in Richtung Tür. Dort stand ein großes, geflecktes Schwein, das mit seiner Klaue die Tür geöffnet hatte. „Katsunishiki?“, fragte Ryoga.
Das Schwein quiekte vorsichtig bestätigend. Argwöhnisch betrachtete es die beiden Soldaten. Ein fragendes Quieken erklang.
„Was? Nein, ich bin es, ich, Ryoga Hibiki!“
Entsetzt weitete das Schwein die Augen. Dann kam es ganz nahe an Ryoga heran und betrachtete ihn sehr genau. Es quiekte erneut.
„Meinen Schirm? Den habe ich Zuhause gelassen.“ Er nahm sein Stirnband ab und hielt es dem Schwein vor die Schnauze. „Erkennst du wenigstens das wieder?“
Argwöhnisch betrachtete das Schwein das Stirnband, sehr, sehr genau, aber mit jeder Sekunde veränderte sich das nachdenkliche Quieken. Schließlich quiekte Katsunishiki sehr erfreut auf, warf Ryoga voller Enthusiasmus um und stupste ihn mit seiner Schnauze. Dann quiekte er noch aufgeregter und lief zurück ins Haus.
Ranma half dem Freund auf die Beine. „Hat uns nicht erkannt, das Schwein.“
„Die Uniformen. Die kennt er wohl nicht. Ich…“ Ryoga verstummte, als das Schwein zurückkehrte, dabei ein junges Mädchen mit langen Haaren vor sich herschiebend.
„Was ist denn so wichtig, dass du dich so aufführst? Man könnte meinen, die Welt geht unter, Katsunishiki…“
„Akari…“, sagte Ranma.
Die junge Frau, vom Sumoschwein schon fast bis zur Tür bugsiert, sah herüber. „Ryoga? Ryoga, bist du es?“
„Es steht zumindest auf meiner Brust“, sagte er und deutete auf das Emailleschild mit seinem Nachnamen.
„RYOGA!“ Mit einem beherzten Sprung war sie bei ihm und fiel ihm um den Hals. „Ryoga! Du bist zurück! Dir geht es gut! Ich bin so froh!“
Überrascht schloss er die Arme um Akari. „Ich bin zurück vom Mars, Akari.“
Eine Zeitlang tat sie nichts anderes als ihn zu umarmen und vor Erleichterung zu schluchzen. Sie weinte hemmungslos an seiner Brust und wirkte dabei doch irgendwie glücklich. Als sie sich gefasst hatte, sah sie ihn freudestrahlend an. „Du hast überlebt. Und es ist noch alles dran an dir. Du bist zu mir zurückgekommen, und… Und…“
Katsunishiki quiekte leise. Ranma nickte zustimmend. „Ja, du hast Recht. Überlassen wir die beiden sich selbst.“ Das Sumoschwein quiekte erneut. „Tee? Aber gerne doch. Und ja, wir können danach eine Partie Go spielen.“ „Quiek?“ „Nö, ich habe nichts vor. Ich kann ihn hierlassen oder warten, bis er wieder weg will. Das entscheide ich nach dem Tee.“
Ryoga und Akari merkten davon nichts, denn sie waren vollkommen voneinander eingenommen. Langsam reckte sich das Mädchen, langsam kam Ryoga ihr entgegen. Momente, bevor sie sich küssen konnten, stockte Akari. „D-du bist doch noch Single, richtig? Du hast doch niemanden auf der Mars-Mission kennengelernt, oder? Die Slayer sollen ja alle ziemlich hübsche Mädchen sein.“
„Oh, das sind sie, und ich habe sie auch alle kennengelernt, aber ich bin dir absolut treu geblieben.“ Ryoga stockte. „Äh, bist du…? Ich meine, ich war über ein halbes Jahr weg, und wir waren nie offiziell zusammen, daher kann ich es dir nicht verdenken, wenn…“
„Nein, auch ich war dir treu, Captain Hibiki. Und jetzt beeil dich, sonst wird das hier nie was.“
Ryoga lachte leise auf, dann küsste er das junge Mädchen.

4.

„Hey, Ryoga, konntest du was arrangieren?“
„Klar, Ranma. Ich bin zu Akira Otomo gegangen und habe gefragt, ob er ein paar meiner Freunde kennenlernen will, die auch in der UEMF gedient haben. Und er hat geantwortet: „Mein Captain, aber natürlich doch. Für dich immer. Hey, ich gebe in meinem Garten einfach eine Party. Bring deine Freunde mit und auch ihre Familien, okay?“
Ja, und jetzt erwarten uns Akira und Megumi mit unseren Familien diesen Sonntag um zwei zum Familiengrillen.“
„Hahahaha. Nein, ernsthaft, hast du was erreicht?“

Ranma konnte nicht so ganz glauben, wo er sich gerade befand. Es war ein großer Garten mit einem geschmackvollem Teich vor einem zweistöckigen Holzhaus mit großer Veranda. Wie gut gepflegt der von einer Mauer umgebene Garten war, konnte er nicht erkennen, denn er war gut gefüllt. Überall standen Sonnenschirme herum oder waren Sonnensegel gespannt, es ging eine leichte Brise, weil zwei Hawk zusammengeschusterte Propeller mit ihren vollmodulierten Händen drehten, und das waren nur zwei von sechs der Giganten, die das Haus umstanden, und überall sah man bekannte Gesichter. Kurz und gut, er befand sich im Garten von Eikichi Otomos Haus. Und nicht nur er, sein Vater war auch hier, und die Tendos, die Hibikis, soweit sie hergefunden hatten, Mousse und Shampoo, Ur-ur-Großmutter Cologne, Ukyo und Konatsu, Akari mit ihrem Sumoschwein, und, und und. Das war aber noch lange nicht alles. Joan Reilley war mit ihrer kompletten Band vor Ort und schien tatsächlich Musikinstrumente an Verstärker anzuschließen, er hatte schon Yoshi Futabe gesehen und gemeint, ein hübsches rothaariges Mädchen in einem wirklich niedlichen, sehr kurzen Sommerkleid, das ihn passiert hatte, sei in Wirklichkeit Colonel Makoto Ino… Er WAR im Garten von Eikichi Otomos Haus!
„Habe ich dir zu viel versprochen?“, fragte Ryoga grinsend, während er Ranma ein Getränk reichte.
„Zu viel sicher nicht, aber das habe ich echt nicht erwartet. Du bist ein Zauberer, Ryoga.“
„Guck mal da hinten, die große Blondine. Sakura Ino, Kommandeurin des Verbandes der BISMARCK und Akiras Cousine. Der kleine Junge daneben ist der jüngste Commander der UEMF, Kei Takahara. Der Dicke daneben ist Tetsu Genda, Kapitän eines Begleitschiffs der BISMARCK. Hey, da hinten sind Hina Yamada und Akane Kurosawa, beide Slayer. Hey, Hina-chan, Akane-chan!“
„Ryoga! Was für eine Überraschung!“, rief Hina. Die beiden Frauen kamen herüber.
„Ranma, das sind Captain Yamada und First Lieutenant Kurosawa. Dies ist…“
„Ranma Saotome“, sagte Akane. Sie schüttelte ihm die Hand. „Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht vom Dämon im Erdorbit gehört hätte. Ist der tödlich lächelnde Schatten gar nicht hier? Das hätte ich erwartet, da sie doch Ihre Frau ist, Saotome-san.“
Ranma wirkte verlegen, während er auch Hina die Hand schüttelte. „Sie war gerade noch bei mir. Dann war ich so baff darüber, wo ich tatsächlich bin, und dann…“
„Der tödlich lächelnde Schatten?“, raunte Ryoga.
„Sie meint Akane. Meine Akane.“
„Richtig. Davon hast du nichts gehört, Ryoga? Akane Saotome hat sich einen Namen damit gemacht, wie sie ihre Korvette geführt hat. Riskant, waghalsig, und fast immer sehr erfolgreich. Sie hat den Tarnmodus auf eine Weise ausgenutzt, die viele in der Flottenführung nicht für möglich gehalten hatten, gerade nicht bei einem Beuteschiff, über das wir nur unzureichende Unterlagen hatten. Sie hat einfach gemacht. So etwas imponiert mir. Ah, da ist sie ja, bei Akira am Grill! Akane Saotome, hallo!“
Erschrocken fuhr Ranma herum. Tatsächlich stand Akane am Grill. Neben ihr stand ein braunhaariger, groß gewachsener Mann in ihrem Alter, bewehrt mit einer dunklen Sonnenbrille, einem leichten weißen Shirt, auf dem Blue Lightning stand, eine Grillzange in der Hand, das Fleisch wendend. „Gehen wir rüber“, sagte Hina fröhlich. Ryoga zog Ranma mit sich, der nicht reagierte.
„Mein Captain“, sagte Akira Otomo, als Ryoga mit den beiden Mädchen näher kam. „Diese Party war eine richtig gute Idee. Ich fühle richtig, wie der Stress der letzten Wochen aus mir entweicht… Und ich bereit bin für den nächsten Stress. Hey, ich habe deine Freundin schon kennengelernt. Sie steht bei Daisuke und Sarah an der Salatbar. Ich hoffe, ihr Sumoschwein hat gute Manieren. Hina, wo hast du Doitsu gelassen? Ich dachte, er wollte dich abholen.“
„Er kommt gleich. Er sagte, er müsse vorher noch mal kalt duschen“, antwortete sie und drehte sich einmal um die eigene Achse, um ihr kurzes Sommerkleid zur Geltung zu bringen.
„Absolut verständlich. Absolut nachvollziehbar. Ich nehme also an, Mamoru duscht auch noch mal kalt, Akane-chan?“, sagte er grinsend, auf ihre sehr kurze Hose bezogen.
„Nein. Er streitet sich schon seit einer Stunde mit so einem alten Knacker über die Bedeutung weiblicher Unterwäsche. Die Seite kenne ich nicht an ihm, ehrlich nicht.“
„Alter Knacker… Das ist garantiert Happosai, der Sensei meines Vaters.“
„Und meines Vaters“, sagte Akane, die andere. „Entschuldige, dass wir ihn mitgebracht haben. Aber es hieß ja, wir sollten alle kommen, auch die schwarzen Schafe der Familie.“
Akira winkte großzügig ab. „Keine Sorge, tödlich lächelnder Schatten, hier kann sich jeder selbst verteidigen, falls er das theoretische Gespräch praktisch erproben will.“ Er reichte Ranma die Hand. „Du bist dann sicher Ranma Saotome, der Dämon im Erdorbit, richtig? Ich habe einige spektakuläre Dinge über dich gehört.“
Aufgekratzt wie ein Schuljunge bei seinem Idol schüttelte Ranma die Hand des Gleichaltrigen. „U-und ich habe so viel über Sie gehört, Otomo-sama! Sie sind der beste Soldat, den die UEMF hat!“
„Akira für dich. Wenn ich Ranma sagen darf.“
„Okay. Akira.“
„Ryoga, sag doch mal, bin ich der beste Soldat der UEMF? Oder bin ich nur ihr bester Mörder? AUTSCH! Schatz, nicht auf den Po, das tut doch weh!“
„Stell dich nicht so an“, flötete Megumi Uno. Sie drückte sich an Akira. „Was mich angeht, so bist du der derzeit beste Soldat der UEMF, weil du diesen verdammten selbstmörderischen Einsatz zum Erfolg geführt hast. Und das ist es, was zählt. Hey, Ranma, ist schon ein bisschen her.“
Ryoga sah erstaunt dabei zu, wie Lady Death Ranma die Hand gab. „Äh, habe ich da was verpasst?“
„Vater und ich wurden mal von Commodore Thomas angefordert, um ihrer Nahkampfausbildung mehr Schliff zu geben. Freut mich wirklich, dich wiederzusehen, Megu-chan. Ich kann sehen, dass du stärker geworden bist.“
„Du kennst sie schon? Muss ich mir Sorgen machen?“, fragte seine Akane.
„Sorgen? Worum geht es?“, klang eine Mädchenstimme auf.
„Yohko-chan. Kennst du schon Akane und Ranma Saotome? Sie waren beide bei der Speerspitze. Akane, Ranma, das ist meine Schwester Yohko, in den Streitkräften bekannter als Lilian Jones.“ Akira zuckte die Achseln. „Ist eine längere Geschichte.“
„Ich kenne Yohko Otomo“, sagte Ranma bestimmt. „Freut mich. Ranma Saotome.“
„Und ich kenne Akane schon. Freut mich sehr, Ranma Saotome. Es ist immer erstaunlich, nach der Legende auch den Mann zu treffen.“
Ranma räusperte sich verlegen. „Legende halte ich jetzt wirklich für übertrieben.“
Yohko verdrehte die Augen. „Oh nein, nicht noch einer von dieser Sorte. Ich dachte, mein großer Bruder würde seine eigenen Leistungen genug für alle runterspielen.“
„Niemand spielt die Leistungen von Akira Otomo herunter“, versicherte Ryoga.
„Außer Akira Otomo.“ Sie sah auf wie ein witternder Wolf. „Oh. Oh. Papa ist da. Ich gehe ihn begrüßen. Aber wir reden nachher noch, Ranma. Wir auch, Akane.“

„Eikichi Otomo kommt?“, fragte Ranma aufgeregt.
Akira, eifrig die Würstchen, die Steaks und den Tofu drehend – die Toriyaki-Spieße nicht zu vergessen – nickte. „Ich habe doch gesagt, es wird eine Familienparty. Jeremy kommt auch noch, also Commodore Thomas. Und meine Großeltern. Und meine neue kleine Schwester Akari, die… Okay, das führt vielleicht etwas zu weit, das auf die Schnelle zu erklären. Ist auch etwas unglaubwürdig.“
„Ich bin vor drei Jahren in eine Quelle gefallen, in der ein junges Mädchen ertrunken ist, und seither habe ich mich beim Kontakt mit kaltem Wasser in dieses Mädchen verwandelt. Du meinst so abgedreht?“, fragte Ranma.
„Wow, Mann, das ist harter Tobak. Okay, ich versuche es mal. Akari ist ein Oni, dessen Schrein ich versehentlich zerstört habe. Sie wollte mich töten, ich habe mich dagegen gewehrt, und sie hat verloren. Als sie dachte, ich würde sie zerstören wollen, hat sie sich mir angedient. Ich habe sie in meinen Haushalt aufgenommen, und sie ist die sechste Slayer geworden. Auf dem Mars hat sie ihr Leben geopfert, um den Magier Torah zu vernichten, dabei wurde sie als Mensch von etwa dreizehn Jahren wiedergeboren.“
Ranma sah Akira in die Augen. „Nicht abgedreht genug.“
Akira lachte. „Okay, die Runde gewinnst du, Ranma. Immerhin habe ich deinen Vater schon als Panda durch den Garten laufen gesehen. Hey, hat jemand Thomas gesehen? Sein Steak ist fertig.“
Akane Kurosawa nickte. „Ich weiß, wo er steht. Ich hole ihn.“
„Und wo wir schon dabei sind, was darf ich euch auflegen? Ryoga? Ranma? Akane hat schon zwei von diesen schreckliche Tofu-Würstchen aus Europa gewählt.“
„Für den Anfang. Es ist immer gut, leicht zu beginnen“, rechtfertigte sie sich.

„Ryoooogaaaa“, schnurrte jemand hinter ihm.
Der wandte sich um. „Ah, Kitsune. Schön, dich wiederzusehen. Ich nehme an, Okame ist demnach auch hier?“
Der Rotschopf nickte in Richtung eines großen Wolfshunds, der sich mit Steakhappen füttern ließ. „Eifrig am Schnorren, der Große. Aber sag mir, wirst du mir untreu? Mir wurde gesagt, du bist mit deiner Freundin hier. Bin ich dir nicht mehr genug?“
Ranma sah Ryoga entsetzt an. „Darf ich das hören?“
Ryoga machte eine abwehrende Geste. „Das klingt jetzt nicht so gut für mich, aber so war es auch gar nicht! Wir waren Kameraden im Feld und haben viel zusammen gemacht. Entweder ich und sie mit meiner Panzerbüchse, oder wir beide in voller KI-Rüstung! Wir sind wirklich, wirklich gute Freunde, aber…“
„Und genau deshalb necke ich dich ja!“ Kitsune grinste breit. „Du zeigst mir jetzt deine Freundin, aber sowas von sofort, Ryoga-Schatz, hast du verstanden?“
„Okay, okay, ich gebe mich geschlagen. Aber leg mir schon mal ein Steak auf, Akira. Schw… Ein Rindersteak, bitte.“
„Geht klar, mein Captain. Und du, Ranma?“
„Rindersteak klingt doch gut.“
Ryoga zog Kitsune mit sich, seine Freundin suchend. Akira legte die beiden Steaks auf und nahm einige fertige Sachen vom Grill und rief ein paar Namen. Es klang wie das Who is who der Einsatzelite der UEMF.
Dann sah er Ranma und Akane an und sagte: „Ihr habt doch sicher von der neuen Bedrohung gehört, den Naguad. Und vom Plan, möglichst viele evakuierungswillige Anelph aus ihrem Heimatsystem zu holen.“
Ranma nickte. In seinem Nacken kribbelte es. Etwas in ihm sagte ihm, dass die nächsten Worte Akira Otomos sehr wichtig werden würden.
Akane seufzte ergeben. „Ja, haben wir. Also schlag los und überrede uns, Akira Otomo“, murrte sie.
Eine weiße Katze huschte zwischen ihren Beinen entlang, dicht gefolgt von einer weißen Ente. Erstaunt sah Akira beiden hinterher.
„Das ist normal“, erklärte Akane. „Also, was möchtest du uns sagen, Akira?“
Der Anführer des Zweiten Marsangriffs grinste. „Ich möchte euch etwas über das Projekt AURORA erzählen und euch bitten, darüber nachzudenken.“
„Wir sind sehr gespannt“, erwiderte Akane.
„Das ist eine maßlose Untertreibung“, sagte Ranma, der genau wusste, die nächsten Worte von Akira Otomo würden sein Leben komplett auf den Kopf stellen …

ENDE

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