Solares System, Terra
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Die Erde hatte, wie beinahe das gesamte von intelligenten Völkern bewohnte Universum, ein Drogenproblem, und das nicht erst seit gestern. So gut wie bei jeder halbwegs intelligenten Spezies gab es auch auf Terra Menschen, die berauschenden Substanzen verfielen und nicht mehr davon lassen konnten. Personen, die eine Sucht nach physischen und noch weit mehr nach psychischen Stimulantien entwickelten, gab bei den Menschen immer eine Menge. Obwohl die irdische Menschheit im galaktischen Durchschnitt sogar noch zu den 50% der weniger Anfälligen zählte. Knapp, aber doch.
„Gewohnheit, wahrscheinlich“, hatte der Ara Her-Kok Anatre an Bord der HEPHAISTOS spekuliert. „Menschen nehmen so viele stimulierende Substanzen zu sich, dass nur ein relativ geringer Anteil wirklich schwer süchtig wird. Natürlich nur, wenn man nicht nachhilft und absichtlich eine Sucht hervorrufen möchte, um mehr Stimulantien zu verkaufen!“
Selbst die als ‚harmlos‘ eingestuften und legalen Drogen wie etwa Alkohol brachten bei dauerhaftem und übermäßigem Konsum tausendfach Tod und Leid. Natürlich musste man nicht streng Abstinent leben, es sprach nichts dagegen, sich ein Glas Wein oder zwei zu gönnen. Im Gegenteil, 1/8 bis ¼ Liter war, mit Genuss getrunken, sogar als heilsam und gesund zu betrachten. Im Allgemeinen. Auch seine Feierabendbiere mit den Kollegen trinken zu gehen oder sich nach einem üppigen Mahl oder einfach, weil es schmeckte, ein Schnäpschen oder zwei zu gönnen, war noch keine große Gefahr. Sogar gegen gelegentliche Vollräusche war nur aus medizinischer Sicht etwas einzuwenden, außerdem war und ist dieser Zustand und jener am nächsten Morgen ein Grund, rechtzeitig die Bremse zu ziehen. Doch selbst Alkohol konnte bei einem gewissen Prozentsatz der Menschen Sucht erzeugen, eine Abhängigkeit hervorrufen und dann konnte es schlimm werden. Es zerbrachen Individuen und Familien, und dieser Zustand der dauernden Berauschung, den man immer öfter herbeisehnte, führte nicht nur zu Gewaltexzessen. Ganz ähnlich verhielt es sich mit anderen ‚weichen’ Drogen, die zwar nicht unbedingt Gewalt, aber immer einen gewissen Verlust an der Fähigkeit, die Umwelt klar wahrzunehmen, führten. Eine Person, die ab und zu einmal kiffte, konnte man noch leichten Herzens ignorieren, sie machte keine Probleme und von ihr ging keine große Gefahr aus. Verschiedene Länder hatten sogar schon die Legalisierung von Haschisch versucht, mit unterschiedlichem Erfolg. In der Schmerztherapie, auf ärztliche Verschreibung, war Cannabis durchaus erfolgreich, doch leider blieb es ohne Rezeptpflicht ganz selten bei ‚ab und zu einem Joint‘. Das Erlebnis musste immer öfter, immer intensiver wiederholt werden. Der Missbrauch von mehr, und bald, was besonders übel war, auch stärkeren Drogen war zumeist die Folge, eine Überdosis das traurige Ergebnis. Falls man nicht gleich an eine Droge kam, die den Körper schon vorher so nachhaltig zerstörte, dass der Tod als Erlösung betrachtet werden konnte. Im Endeffekt aber konnte man sagen, dass jeder Süchtige Selbstmord beging, damit jemand anderer Millionen verdienen konnte.
Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts war es auf der Erde ganz besonders schlimm geworden. Kokain gehörte schon irgendwie zum guten Ton, war beinahe normal. Man brauchte eben einen Aufputscher, um Schritt zu halten, erfolgreich zu sein, dazu zu gehören und auf der Welle des Erfolgs ganz oben reiten zu können. Fly, fly high, fly to the top! Am Abend brauchte man dann etwas, um das System wieder herunter zu fahren, ruhig zu werden, schlafen zu können. ‚Uppers‘ und ‚Downers‘ waren der Renner, es wurden mit diesen illegalen, aber leicht erhältlichen Substanzen Milliarden gemacht. Die Menschen probierten die unmöglichsten Dinge, wie zum Beispiel Badesalz, aus, manchmal mit den seltsamsten, aber immer riskanten Folgen. Es war beinahe, als könnten sich viele Menschen selber nicht mehr ertragen und suchten nur nach einen Weg, sich selbst und der Welt zu entkommen. Überbevölkerung und eine Einstellung, die Ruhe und Entspannung als Schwäche betrachtete, förderten den Konsum von aufputschenden Mitteln natürlicherweise noch mehr. Selbst im Urlaub mussten so viele Aktivitäten wie nur möglich in einen eng begrenzten Zeitraum gepackt werden, verzichten und mit wenigem zufrieden zu sein war zu einer Schande degradiert worden. Mehr, mehr, immer mehr und natürlich das modernste und neueste war das Motto der coolen Hipster in den so genannten Kulturnationen geworden.
Nach der Landung der Arkoniden wurde klar, dass die Menschheit nicht allein im Universum war, und selbstverständlich, was aber nicht groß publik gemacht wurde, nicht die einzige Welt mit Drogenproblemen. Die GCC unter Perry Rhodan hatte einen wissenschaftlichen Stab eingesetzt, in der Hoffnung, etwas gegen dieses Problem zumindest auf der Erde unternehmen zu können. Der Stab arbeitete immer noch an einer Lösung und feierte nur kleine Siege. Bisher hatten den meisten Erfolg sehr ehrliche kurze Aufklärungsfilme gehabt, die mit brutaler Offenheit in schockierenden Bildern die Auswirkungen nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf geistiger und sozialer Ebene zeigten.
Einige besorgte Bürger liefen gegen die Ausstrahlung dieser Filme zum Gericht und verlangten ein Verbot. ‚Wir dürfen unsere Kinder diesen Bildern nicht aussetzen! Das ist Pornografie und übertriebene Gewalt, vor solchen Darstellungen müssen wir unsere Kinder schützen‘, lautete die Beschwerde. Doch obwohl Richterin Dorothea Bittning aus Tulsa, Oklahoma, zustimmte, dass diese Filme explizit, wenn auch nicht pornografische, so doch sehr direkte sexuelle und gewaltsame Szenen enthielten – manchmal auch im Zusammenhang zueinander stehend – befand sie, dass die Spots doch zur Abschreckung bezüglich des Drogenkonsums geeignet sein konnten und erlaubte die weitere Ausstrahlung nicht nur, sondern empfahl sie sogar. ‚Weil die Gefahr, die von Drogen ausgeht, schwerer wiegt als jene durch diese Bilder und weil sich diese Filme in erster Linie an genau jene Altersgruppe richten, die am meisten in Gefahr sind. Die Bilder sollen schockieren und das tun sie, man müsste sie in den Schulen als Pflichtprogramm zeigen und nicht in den Werbepausen im TV‘. Dann verschwand ihre Ehren auf ihre private Toilette, wo sie sich heftig übergeben musste. Ihre Tochter war Zwölf, und sie konnte nur hoffen. Dann verschwand ihre Ehren auf ihre private Toilette, wo sie sich heftig übergeben musste. Ihre Tochter war Zwölf, und sie konnte nur hoffen.
Zumindest waren die in der Schule verpflichtend angeordneten Tests negativ gewesen, und Margareth zeigte keine Verhaltensauffälligkeiten. Der Drogenkonsum verringerte sich nach der Ausstrahlung dieser Spots in den Schulen Europas und einiger amerikanischer Bundesstaaten immerhin auf die Hälfte, die Zahl der Neueinsteiger schrumpfte um beinahe 90% in jenen Gebieten, in denen die Spots gezeigt werden durften. Große Teile Europas, Kanadas, Australiens und Neuseelands kehrten zur Volksdroge Nummer eins, dem Alkohol, zurück. Hier konnte Personen, die ihre Sucht einsahen und wirklich eine Entwöhnung wollten, bald durch neue Medikamente geholfen werden, die körperlichen Entzugserscheinungen abzureiten. Psychisch war es schon schwieriger, aber es kamen neue und hilfreichere Psychopharmaka auf den Markt. Tabak rauchen war schon ziemlich lange nicht mehr üblich, mittlerweile waren kaum mehr Zigaretten zu erhalten, und die letzten Raucher mussten oft lange Strecken zurücklegen, um ihr Kraut zu erhalten. Denn natürlich gab es regionale Ausnahmen. Dafür florierte die sogenannte E-Zigarette, obwohl passionierte Raucher nie mit ihr zufrieden gewesen waren.
Der Drogenhandel und die Szene waren noch irgendwie, halbwegs, einigermaßen überschaubar gewesen, solange die Drogen aus natürlich gewachsenen Stoffen wie Hanfsamen oder Mohn hergestellt wurden. Es gab auch damals, wie könnte es anders sein, einige Kriege. Besonders nachdem die Briten mehr oder weniger die gesamte chinesische Nation nach Opium süchtig gemacht hatten und ihr Recht, die Droge weiterhin in China verkaufen zu dürfen, mit Waffengewalt und einer Armee durchsetzten. Auf Befehl des chinesischen Kaisers war das Opium der Briten beschlagnahmt und vernichtet worden, für die Kaufleute aus Britannien ein Schlag mit der Faust ins Gesicht, eine Beleidigung, ein Verbrechen. Wie konnten die Chinesen es nur wagen, den freien Handel mit Suchtgift unterbinden zu wollen. Nun, in zwei Kriegen zeigte die westliche Welt dem Reich der Mitte, dass nur Britannien über gut und böse, Recht und Unrecht zu entscheiden hatte. Und jetzt raucht gefälligst unser Opium, ihr schlitzäugigen, verdammten Kulis, damit wir in London mit dicken Gewinnen protzen können! Und unsere Armeen ausrüsten und bezahlen können.
Doch mit dem Aufkommen von Drogen aus dem Chemielabor aus billig und leicht zu besorgenden Substanzen und der immer weiteren Verbreitung von Kokain kämpften die Drogenfahnder auf der ganzen Welt mehr oder weniger auf verlorenem Posten. Wenn man ein Vermögen so kurz einmal in der Garage zusammen köcheln konnte, war die Verteilung auch nicht mehr schwierig, schon war alles wieder verschwunden. Das TBI unter Cesar Alexander gründete das DDD, das Drugs Defense Departement, als zu den üblichen Drogen noch Liquvital kam. Im Rückblick erkannte man jedoch, dass diese Droge nur deshalb so problematisch werden konnte, weil man den Drink, mit dem man die Substanz zu sich nahm, für harmlos hielt. Seither wurde Liquvital in der Psycho- Sexual- und Gewalttherapie erfolgreich eingesetzt, um Hemmungen gezielt und unter ärztlicher Aufsicht aufzulösen. Volljährige Bürger konnten auch eine Liquvital-Kreuzfahrt buchen, sie gingen das Risiko ja offenen Auges ein. Allerdings war das Verlassen des Schiffes erst wieder erlaubt, wenn der Wirkstoff im Körper wieder komplett abgebaut war. Diese schwimmenden ‚Swingerclubs‘ waren an der Grenze zur Legalität, solange aber nur Erwachsene freiwillig an Bord gingen, gab es keinen Grund für ein Eingreifen der Behörden. Allerdings behielt sich das DDD überraschende Kontrollbesuche auf den Schiffen vor, eine ‚Drei-Meilen-Grenze’ und ‚hoheitslose Gewässer’ gab es für das TBI und seine Abteilungen nicht mehr.
Leider war damit das Problem der alten Drogen wie Kokain oder Heroin aber noch lange nicht gelöst. Trotz aller Bemühungen wurden diese Drogen immer noch in Lateinamerika gepflanzt, hergestellt und in die ganze Welt geliefert, sie machten nach wie vor den größten Teil der konsumierten verbotenen Substanzen aus. Und jetzt spritzt gefälligst unser Dope, ihr verblödeten, verdammten Gringos, damit wir uns unsere Villen und blonden Putas leisten können. Und die Waffen und Söldner für unsere Armeen.
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Lateinamerika
Nogales und Ciudad Juarez hatten nicht ganz zu Unrecht einen schlechten Ruf bei den Drogenfahndern. Als Grenzorte zwischen Mexico und den USA waren sie prädestiniert für den grenzüberschreitenden Handel, auch wenn die Polizei auf beiden Seiten nicht zimperlich war und jedes Jahr Rauschgift im Wert von einigen Millionen Dollar beschlagnahmte und vernichtete. Das hundertfache passierte auf die eine oder andere Art doch die Grenze. Und dieser Schmuggel en Detail war noch nicht einmal die Spitze des Eisberges, diese Erfolge waren der vielzitierte Tropfen auf einem sehr, sehr heißen Stein. Neuerdings waren jedoch hochempfindliche elektronische Geräte an der Grenze aufgestellt, die jede Spur eines bekannten Rauschgiftes sogar in Präservativen im Magen oder Darm einer Person aufspüren sollten. Zumindest gaben sie Alarm, wenn der Nanotronik etwas seltsam erschien, dann wurde sofort eine umfassende medizinische Untersuchung in einer angeschlossenen Ambulanz angeordnet. Ein ‚Nein‘ wurde, wenn die Person bis an diese Stelle vorgedrungen war, nicht mehr akzeptiert, no hay vuelta atrás, ellos no pasan. Kein zurück, kein durchkommen. Sollte sich bei der Durchleuchtung mit CT, MRT und unter Umständen sogar PET die Unschuld der Person herausstellen, gab es natürlich nicht nur eine schriftliche Entschuldigung, sondern auch eine großzügige Entschädigung für die benötigte Zeit. Sie musste bislang noch nie ausbezahlt werden.
Wenn aber etwas gefunden wurde, erwartete die Person eine Anklage. Die Strafen waren nicht mehr auf die leichte Schulter zu nehmen, sowohl mexikanische als auch amerikanische Richter schraubten die Höhe der Strafen drastisch in die Höhe, und mexikanische Gefängnisse waren die Hölle. Doch wie immer gingen hier nur die kleinen Fische ins Netz, und die schwiegen eisern. Selbst wenn sie etwas wichtiges gewusst hätten, verschloss die Angst nicht nur um sich selbst, sondern vor allem um die Familien, ihre Lippen.
Neben diesen Städten waren die typischen Tubeway-Siedlungen entstanden, die beiden mexikanischen Äste, die sich in Mexiko-Stadt trafen, nahmen hier ihren Ausgang, und natürlich waren es die Kuppeln mit zweieinhalb Kilometern Durchmesser, als Anfangs- und Endpunkte waren sie selbstverständlich auch Sitz von Verwaltungseinrichtungen. Über die Grenze in die USA führte ‚el Tubo‘ nicht, erst in Kanada wurde wieder eine Trasse geführt. Auch die neue Präsidentin der Vereinigten Staaten wollte diesen Verkehrsweg nicht in den Staaten dulden, vielleicht noch in Alaska, aber sonst keine exterritorialen Enklaven in den USA. No, Sir, never ever!
Bei Veracruz war eine Meerwasserentsalzungsanlage entstanden, mit der die Wüstenstädte mit Wasser versorgt wurden, die General Cosmic wollte das Naturschutzgebiet der Baja California nicht schädigen. Umweltfreundliche Energie für Pumpen stand genügend zu Verfügung, also entschloss sich die Projektleitung für diese Variante. Von Veracruz bis Kolumbien fand man bei der Tubeway allerdings kaum mehr gerade Strecken, man hatte beschlossen, dem Verlauf der Landenge in sanften Kurven zu folgen, statt über das Wasser auszuweichen. Von Kolumbien schwang sich der Hauptast der Straße in einer langgezogenen, kaum merklichen Kurve nahe der Ostküste bis Feuerland, während ein zweiter an der Westküste, oft den alten Inkapfaden durch die Anden folgend, Peru und Chile durchquerte. Überall mit exterritorialen Ansprüchen beiderseits der Straße und den Siedlungen auf diesem Gebiet. In Mittelamerika wurde el tubo von der Bevölkerung begrüßt und durch die meisten Regierungen, zumindest was den Kauf des nötigen Landes betraf, durchaus unterstützt, da sie sich nicht zu Unrecht wirtschaftlichen Aufschwung erhofften. Costa Rica erhielt einen ringförmigen Abzweiger durch die von internationalen Konsortien aufgekauften und unter Naturschutz stehenden Regenwälder, keine Städte dort, aber gut getarnte, kleine Hotels und viele Parkmöglichkeiten am Straßenrand, für Beobachtungen und um einfach die Natur zu genießen.
Die größten Schwierigkeiten hatte der Company ab Kolumbien nach Süden zu nicht die technische Seite bereitet, sondern die menschliche. Wenn auch die Regierungen zumeist bereit waren, den Streifen Land zu verkaufen oder zu verpachten, so gab es doch auch die Privateigentümer. Waren es kleine Bauern oder Viehzüchter, konnte man leicht handelseinig werden, die Stützen, welche den Tubeway trugen, benötigten wirklich nicht viel Platz, die Siedlungen und Zubringer konnte man unregelmäßiger verteilen. Niemand musste wegen el Tubo sein Land verlassen, sondern bekam sogar regelmäßige Mietzahlungen. In einer Gegend, in der Geld und Besitz nur minimal vorhanden waren, kein kleiner Anreiz, ebenso die medizinische Versorgung und die Möglichkeiten zur Bildung. Zuerst war es den Leuten ziemlich egal, ob sie zum Beispiel Brasilianer waren oder von Galacto City aus verwaltet werden sollten. Sie erwarteten von beiden Regierungen nicht sehr viel Gutes, doch so mancher wurde vom Wechsel der Staatsbürgerschaft nach etwa einem Jahr jedoch positiv überrascht. Die Steuern waren beträchtlich gesunken, die Versorgung mit nötigen Hilfsmitteln und die gesamte Infrastruktur hatten sich wesentlich verbessert. Besonders kleine Kaffeepflanzer profitierten von el Tubo, sie waren nicht mehr auf die ausbeuterischen Billigstaufkäufer angewiesen. Der große Markt kam zu ihnen. Wenn die Kaffeebörse zu billig war, die General Cosmic hatte viel Personal mit Kaffee zu versorgen, und wenn die Qualität stimmte, kaufte auch Starlight Enterprises große Mengen frischer Bohnen. Es regelte sich ein, die Bauern bekamen einen fairen Preis, die großen Zwischenhändler ein bisschen weniger Gewinn, es blieb trotzdem noch genug für die Aktionäre übrig.
Mit Großgrundbesitzern war oft schwieriger zu verhandeln gewesen, aber letzten Endes war die Company auch hier erfolgreich genug gewesen und konnte eine durchgehende Trasse bauen. Einmal musste die GCC eine Hazienda in Brasilien erwerben, die einige zehntausend Hektar und tausende Rinder und Schafe umfasste.
„Keine Details, Senores!“ hatte der Besitzer gesagt. „Ganz oder gar nicht!“ Der Preis war nicht billig, aber angemessen, die Company zahlte in Gold und Lithium aus dem Vorrat der STARDUST und legte noch einen Smaragd von der Größe eines Männerdaumens darauf. Aus den Minen von Aranamo VI, als Werbegeschenk. Don Miguel de la Rosas Araguentes Alwara Pinto y Gerana zeigte sich erfreut und vermittelte Adams das angrenzende Gebiet, das einem Freund des Dons gehörte. Nicht ganz so groß, aber gutes Land. Dazu kaufte Adams im Auftrag Rhodans auch tausende und abertausende km2 Regenwald im Amazonasbecken bis hin zur Mündung. Die GCC überwachte ihren Besitz mir einem dichten Netz von Satelliten und ging hart mit eigenen Truppen gegen Holzdiebe und Brandstifter vor. Gleichzeitig unterstützte sie nicht nur mit Bargeld, sondern auch technischer Ausrüstung Regenwaldschutzprojekte in ganz Mittel- und Südamerika, sowie viele der örtlichen einheimischen Wildhüter.
Aber das größte Problem war in Kolumbien ansässig. Die Drogenbosse, die Kartelle, die das Land in Schrecken versetzten und mehr Macht hatten als die Regierung, wollten keine Straße, keinen Zufluchtsort, den sie nicht kontrollieren konnten. Und sie waren nicht bereit, an den Verhandlungstisch zu kommen. Nachdem aber genug Land für eine durchgehende, wenn auch etwas krumme Trasse durch den Kauf von der Regierung und anderen Eigentümern in den Besitz der GCC gekommen war, begann die Company dennoch mit dem Bau. Nachdem eine Kolonne Roboter bei Arbeiten mit Sprengstoff angegriffen wurde, entschloss sich die Bauleitung, einfach anders als gewohnt vorzugehen. Statt zuerst die Straße zu bauen, wurden die Schutzkuppeln als erstes errichtet. Den Bauplatz sicherte ein Schutzschirm, darunter wurden die zwei Kilometer durchmessendem und 800 Meter hohen Kuppeln gegossen, das Innere ausgebaut und dann erst daneben, wieder von Schirmen und zusätzlich Truppen geschützt, die Brückenpfeiler. Mehrfach versuchte Söldner, diese Pfeiler zu sprengen. Doch diese Mietlinge hätten, waren die Bauwerke erst einmal fertig gestellt, eine taktische Nuklearwaffe benötigt, um mehr als nur ein paar Lackschäden zu verursachen. Und über diese Atomwaffen verfügten die Banden doch noch nicht.
Die Ranger in diesem Abschnitt wurden viel näher aneinander stationiert. In jedem Dorf wurde ein ganzer Zug, zwei Platoons zu je 5 Mann untergebracht, an Stelle der schweren, schnellen Schwebebikes von Harley Davidson wurden sie mit kleineren, wendigeren Enduros von Yamaha ausgerüstet. Im Wald wären die schweren Bikes, deren Stärke weite Entfernungen in offenem Gelände waren, sowieso mehr hinderlich als nützlich gewesen. Die Eingänge zu den Kuppeln wurden von zusätzlich stationierten bewaffneten Posten und Robotern der General Cosmic Company bewacht, denen keine Waffe, kein Sprengstoff oder keine Droge entging. Dazu waren noch K9-Staffeln an den Toren unterwegs, Streifenwagen mit gut ausgerüsteten und ausgebildeten Besatzungen überwachten die Straße und kontrollierten auch manchmal Fahrzeuge. Der Unterhalt der Tubeway kam hier zwar um einiges teurer als etwa in Afrika, aber die Maut aus dem Warenverkehr wog das wieder auf. Eines Tages hatte eine bewaffnete Bande eine der Kuppelstädte überfallen wollen. Sie waren mit einigen Fahrzeugen gekommen, die man mit Stahlplatten gepanzert und mit 14 mm MGs bewaffnet hatte. Aus dem Urwald schossen versteckte Mörser und mittlere Granatwerfer. 10.6er rPaks donnerten ihre panzerbrechenden Granaten gegen den Schirm und irgendwie waren die Söldner auch an SMAWs gekommen. Schultergestützte Panzer-Abwehrraketen. Insgesamt war der Überfall keine gute Idee, wie sich zeigte. Gar keine gute Idee. Vom Kugelhagel der Maschinengewehre und den explodierenden Granaten und Raketen völlig unbeeindruckt standen die Ranger in ihren starken Körperschirmen vor der Kuppel und suchten nicht einmal Deckung. Danach hatten die Truppen der Company begonnen, einfach die Panzerung mit ihren Desintegratoren langsam von den Autos zu schneiden. Sie verzichteten darauf, die Angreifer zu betäuben, sie wollten ihnen zeigen, dass diese Bewaffnung und Panzerung einfach lächerlich und machtlos gegen ihre Ausrüstung war. Erst ganz zum Schluss traten die Betäubungsstrahler in Aktion, sandten die immer noch nicht davon Gelaufenen zu Boden und schalteten die indirekt feuernden Geschütze aus. Die Waffen der Kartellsöldner wurden vor deren Augen desintegriert, dann warf man sie unbewaffnet zur Schleuse in den Wald hinaus. Mit einer eindringlichen Warnung, das nächste Mal keine Narkosewaffen mehr zu benützen. Es war der bislang letzte Versuch der Kartelle, mit Gewalt gegen el Tubo vorzugehen. Die Bosse hielten sich vom Tubeway und seinen Siedlungen fern, die GCC blieb auf ihrem Land. Es herrschte derzeit so etwas wie unerklärter Waffenstillstand. Vorerst.
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Eine kleine Völkerwanderung setzte ein, als die Siedlungen am Tubeway durch die Länder Südamerikas in den Dörfern und den ‚informellen Siedlungen‘ – den Favelas, den Villa Miserias, den Pobliciones, wie auch immer man in lokalen Sprachen die Elendsviertel einer Stadt nannte – bekannt wurden. Heimatlose, Vertriebene, Land- und Stadtbewohner, die nie die Chance erhalten hatten, aus den Armenvierteln und Slums zu entkommen, sie alle sahen ihre Gelegenheit und wanderten, manche zu Fuß, viele Kilometer. Regelmäßig flogen Shuttles jene Wege ab, die am häufigsten benutzt wurden, sammelten die hungrigen und erschöpften Menschen auf und brachten sie in eine neue Heimat. Wie in Afrika wurden auch hier die Mittellosen bevorzugt behandelt, ein Renten- und Sozialsystem eingeführt und für Arbeit und Bildung gesorgt. Die General Cosmic hatte viel mehr Land kaufen müssen, als sie eigentlich brauchte und wollte, dazu riesige Rinderherden. Gerade recht für einen Teil der neuen Bürger, der als Gauchos arbeiten konnte und so seinen Anteil zur Versorgung der Bevölkerung an der Tubeway von Lateinamerika beitrug. Andere wurden als Bauern sesshaft, viele von ihnen hatten durch einen der korrupten Politiker ihre kleinen Höfe an die großen Sojafarmer verloren. Die Siedlungen füllten sich rasch, und immer mehr Kinder gingen in die Schulen.
Die Lehrerin Juanita Bassora, selbst als Kind in einem der Favelas Brasiliens aufgewachsen, war eine bildschöne Frau. Am Strand von Rio hatte sie ein Fotograf entdeckt und zu einem gut bezahlten Model gemacht. Der Preis, den sie dafür zu zahlen hatte, war allerdings nicht gering gewesen. Heute noch ekelte sie sich selbst vor so manchem, was sie damals aus Angst, wieder in die Favelas zu müssen, gemacht und mit sich geschehen lassen hatte. Eines Tages wurde sie aufgefordert, in die Schule zu gehen, ihr Manager sah darin einen Marketing-Gag. ‚Armes Mädchen arbeitet sich nach oben und bildet sich!‘ Zu ihrer eigenen Überraschung hatte es ihr gefallen, Juanita lernte leicht, schnell und immer mehr. Eines Tages las sie ihre Verträge, verstand sie endlich und ging gegen einige Punkte gerichtlich vor. Der Richter annullierte den Vertrag, Juanita war frei, aber arbeitslos.
Angebote für Fotoshootings kamen, doch immer noch wollten die Männer eine ganz bestimmte Gegenleistung in Naturalien, bitte, so ist eben das Geschäft in der Branche! Sie hatte gelernt, ihre Augen zu schließen, die Sache über sich ergehen zu lassen und dabei von etwas schönem zu träumen. Sie wusste seit dem Beginn ihrer Karriere an, dass man als Modell nur an Aufträge kam, wenn man willig war. Und eben das wollte sie irgendwann einfach nicht mehr sein, sie meldete sich bei der GCC als Lehrkraft. Einmal, so beschloss sie, wollte sie sich noch hingeben. Einmal noch, um den Posten zu bekommen. Doch zu ihrer Überraschung wurden nur ihre Befähigung und ihre Gesundheit geprüft. Nach einer korrekt ablaufenden klinischen Untersuchung wurde sie aufgefordert, Station Brasilien 10, Fort Guarani, aufzusuchen und dort als Grundschullehrerin tätig zu werden. Juanita konnte ihr Glück kaum fassen und unterschrieb den Vertrag sofort, nie wieder musste sie sich einem Mann hingeben.
„Senorita Juanita?“ Einige Frauen in bunten Baumwollkleidern standen hinter ihren Kindern, die eingeschult werden sollten.
„Si!“ Juanita nickte und zeigte ein warmes und herzliches Lächeln, als sie sich an die Kinder wandte. „Setzt Euch doch, dort auf die Stühle!“ Und zu den Müttern. „Ich werde gut auf Eure Kinder aufpassen, ich verspreche es Euch!“
Eine sehr junge Mutter zog schüchtern den Kopf ein. „Dürfte ich vielleicht hier bleiben? Ich werde ganz ruhig sein, aber ich möchte doch auch lesen und schreiben lernen.“
„Ich auch!“, murmelten einige andere Frauen leise, entschuldigend.
Juanita traten die Tränen aus den Augen, aber sie sagte sehr ruhig und sanft. „Setzt Euch auch, natürlich könnt Ihr mitlernen!“ Die Frauen lernten viel mehr als nur lesen, schreiben und rechnen. Sehr viel mehr…
In einige dieser Siedlungen zogen Stämme von Amazonasindianern, die baten, trotzdem ihre Kultur behalten zu dürfen. Nun liefen viele beinahe nackte Menschen durch die Straßen einer hochtechnisierten Stadt, saßen in Schulen und lernten, Kinder wie Erwachsene. Sie lebten nach den Regeln, die ihnen von ihren Ahnen überliefert wurden und verbanden es mit den Vorzügen der neuen Zeit. Die Zukunft würde den Erfolg dieses Versuches bewerten, die GCC hatte es nicht eilig und ließ den Stamm in Ruhe seinen eigenen Weg finden. In den IT – Büros von Galacto City gewöhnte man sich daran, dass sich eben manchmal auch ein Mädchen mit Topffrisur, einem oben schwarz, unten rot, getrennt durch eine dünne weiße Linie bemaltem Gesicht und mit blankem Busen oder ein Mann mit wilden Streifen an seinem Körper und einem halbmeterlangen Penisfutteral aus Holz ihrer Probleme annahm. In GC war die Welt bunt, und wenn es nach der Regierung und dem Vorstand der GCC ging, sollte sie nach Möglichkeit noch bunter werden. Es gab einige junge Frauen auf dem Staatsgebiet von Galacto City auf der ganzen Welt, die diese Mode imitierten. Mit einer anderer Gesichtsbemalung, nachdem sie darauf aufmerksam gemacht wurden, dass es sich um ein spezielles Muster des einen Volkes handelte. Man fühle sich geehrt, aber bitte eine andere Bemalung für andere Stämme. Mit Respekt und Achtung konnte auch dieses Problem leicht aus der Welt geschafft werden. Es wurden einfach die Farbschemata der betroffenen Völker im Netz veröffentlicht, und die jungen Damen und auch manche mutigen Herren wählten Variationen oder dachten sich ganz neue Muster aus. Die älteren Menschen trösteten sich mit der Gewissheit, dass noch keine Mode ewig gehalten hatte. Wobei einige Männer sicher nicht wirklich gegen den neuen ‚oben ohne’ – Trend waren.
Durch all diese Bemühungen zog sich bald eine drogenfreie Zone durch Mittel- und Südamerika, und es wurde schon an einem dichteren Netz geplant und mit den Regierungen verhandelt, doch nach dem ersten Erfolg waren die Fortschritte unerwartet zähe. Vermutlich sahen einige Papier- Holz- Soja- und Palmölhersteller ihre Felle in Gefahr und sorgten für eine Verschleppung der Verhandlungen. Wahrscheinlich fürchteten diese Unternehmer teilweise wohl nicht zu Unrecht el Tubo und neue Konkurrenten. Europa zum Beispiel importierte aus Neu Elsass große Mengen an Pseudopalmfasern und -fett, die Blätter und Früchte wuchsen beinahe schneller nach, als man sie ernten konnte. Die Station erhielt Sauerstoff, die europäische Industrie Papier und Fett, der Transport kam mit einem Sprungschiff nicht viel teurer als in der präarkonidischen Ära der Transport von Südamerika nach Europa. Als erster Kontinent hatte sich Europa einer neuen, grünen Idee verschrieben und bezog seine Rohstoffe von Außerhalb des Sonnensystems.
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New York, USA
Während die GCC ihre Siedlungen und Straßen baute und damit in einigen Teilen Südamerikas die Aufmerksamkeit der Drogenkartelle auf sich zog, blieb das TBI nicht untätig. Das DDD bereitete einen umfassenden Schlag vor und zog sogar militärische Kräfte zusammen. Außerdem hatte das tripple-D eine neue Geheimwaffe, ein ‚Gespenst‘.
Dieses Gespenst war eine Mutantin und trug den Namen Evé Barstow, nach der 1904 geborenen Evé Curie, der Tochter von Marie Skłodowska Curie, welche zu Barstows Ahnen zählte. Die genetische Veränderung, bedingt durch den Umgang von Madame Curie mit radioaktivem Material ohne ausreichenden Schutz, hatte einige Generationen unerkannt geschlummert. Bei Evé war sie erwacht, als sie auf der Universität Opfer eines Sexualverbrechens, einer sehr gewalttätigen Vergewaltigung wurde. Damals stellte sie fest, dass sie in der Lage war, ihren Geist von ihrem Körper zu trennen und mit den Gedanken wohin auch immer sie wollte zu reisen, während ihr Körper in Trance zurück blieb. Das war ihr eine große Hilfe gewesen, mit dem traumatischen Erlebnis fertig zu werden und wieder ein normales Leben zu führen. Nachdem sie ihre Peiniger mit Hilfe ihrer Gabe ausgeforscht und hinter Schloss und Riegel gebracht hatte!
Cesar Alexander war zuerst ganz selbstverständlich misstrauisch gewesen, als Evé plötzlich an seine Tür beim TBI klopfte und sich als Agentin bewarb. Bernhard Cowles, der für Mitarbeiter zuständige Leiter der Behörde hatte sich Miss Barstows Bewerbung angesehen und unter dem Grund für die Bewerbung die Worte ‚sie brauchen eine Mutantin wie mich‘ gelesen. Zumindest die Selbstsicherheit von Evé Barstow bewundernd, bestellte er die Frau zu einem ersten Vorstellungsgespräch. Nach einer Stunde drückte er ihr einen Zettel in die Hand, brachte sie durch einige Sperren zu einem Lift und sagte nur:
„43. Stockwerk, Raum 4312. Sie werden erwartet!“ Dann griff er zur Gegensprechanlage und rief Cesar an. Der erwartete vorgewarnt die junge Frau, die optisch wie eine junge Sophie Marceau aussah und sich mit rauchiger, tiefer Altstimme vorstellte.
„Ich bin die Erfüllung all Ihrer Wünsche, Mister Alexander!“, sagte sie ganz unverblümt.
„Was wissen Sie denn von meinen Wünschen, Miss?“, fragte der Chef der Weltpolizeibehörde ein wenig verblüfft.
„Ich weiß, dass sie in Ihrer Behörde jemand brauchen, der unsichtbar ist, der Observationen durchführt und dabei nicht entdeckt werden kann!“
„Das wäre schön“, gab Cesar Alexander zu. „Aber seit die Tarnfunktion der arkonidischen Technik allgemein bekannt wurde, achtet man auf Details. Türen, die sich verspätet schließen, Fenster und Vorhänge, die sich bewegen. Man streut Puder auf den Boden, damit Fußabdrücke sichtbar werden und bedient sich Rauch oder farbiger Aerosole, um nach einem schwebenden Unsichtbaren oder einer Sonde zu suchen. Also, wie wollen Sie da eine Entdeckung vermeiden?“
„Indem ich ohne Körper hin gehe“, flüsterte ihm Evé leise zu. „Und dann erzähle ich alles! Oder ich lerne es vielleicht noch, während der Trance ein Tonband zu besprechen.“
„Na schön!“ Cesar Alexander war nicht sehr überzeugt, beschloss aber, eine Probe zu riskieren. „Gehen Sie eine Etage tiefer, rechts um die Ecke ist ein Pausenraum. Wer ist anwesend?“ Evés Augen verdrehten sich kurz nach oben, nur Sekunden später sah sie wieder normal.
„Ein kleiner, kahler Mann in einem blauen Overall und eine künstliche Blondine in einem grünen Minikleid, die ihren Haaransatz nachfärben sollte. Er trinkt Tee, sie typischen amerikanischen Filterkaffee mit Milch und Zucker.“
Alexander drückte auf die Taste der Gegensprechanlage. „Hier Cesar Alexander, wer ist im Pausenraum Etage 42 gerade anwesend?“
Sekundenlang Stille, dann: „Betty Moonlight, Sir. Mister Fox ist gerade eben zur Tür hinaus gegangen, soll ich ihn zurückrufen?“
„Danke, nein, Betty. Sagen sie mir, tragen Sie heute ein grünes Minikleid?“
„Äh, nein, es ist Smaragd, Sir, nicht grün! Und es ist einen Zentimeter länger als Mini!“ Sowohl Evé als auch Cesar mussten grinsen, als wäre Smaragd kein grün oder es käme auf einen Zentimeter mehr oder weniger an!
„Was trinken Sie, Betty, und was hat Mister Fox gehabt?“, fragte der Chef des TBI weiter.
„Filterkaffee, Sir, in der Packung ist eine Mischung aus ein Drittel Bohnen Typ Arabica und zwei Drittel Typ Robusta. Fünf Portionslöffel auf einen Liter Wasser, davon 0,23 Liter mit 0,07 Liter Milch und zwei Stück Zucker. Mister Fox hatte eine Ceylon-Assam Mischung, dem Geruch nach zwei Teile Ceylon auf drei Teile Assam. Ein Löffel auf eine Tasse, also etwa 0,25 Liter. Er hatte schon beinahe ausgetrunken, Sir, daher konnte ich sein Getränk nicht näher analysieren, Sir.“
„Aha, danke, Betty. Trinken Sie jetzt ihren Kaffee in Ruhe zu Ende. Alexander Ende!“ Zwei Tage später unterschrieb Cesar Alexander zwei Verträge. Einen Dienstvertrag mit Evé Barstow und einen Auftrag für einen Gedankenaufzeichner mit Kono Killikioauewa, den sie aus einem arkonidischen Indoktrinator für Hypnoschulungen entwickeln sollte.
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Dezember 2084
Republik Miridan
Mit ruhiger und fester Stimme gab Kya Anach ihre Befehle, obwohl sie nicht mehr viel Hoffnung auf Rettung hatte. Die Flotte der grünen Flagge, vordere Flanke, war bei einem Stellungswechsel von einer starken arkonidischen Robotflotte überrascht worden, welche einen Tag früher als dem üblichen Schema gekommen war. Sie kämpfte eigentlich nur noch, um so viele Feinde wie möglich zu zerstören, damit die anderen Flotten bei ihrem Eintreffen einen bereits geschwächten Feind vorfänden.
„Auf markiertes Ziel, Feuer!“ Das fünfte Schlachtschiff des Imperiums verglühte, doch auch die Admiralin hatte bereits Verluste erlitten. Noch endlose Minuten, ehe die Verstärkung eintreffen konnte.
„FEUER!“ Zu viele Minuten, in denen die versteckten Schiffe zuerst Fahrt aufnehmen mussten.
„FEUER!“ Kya war eine arkonoide Miridanerin, die leicht mandelförmigen Augen, deren äußere Winkel leicht höher als die inneren lagen, die gerade Nase und der sinnliche Mund machten sie in Verbindung mit der dunkel getönten Haut für Menschen sehr apart, trotz ihres haarlosen, rasierten Schädels mit der noch nicht völlig verheilten Brandwunde über dem linken Ohr.
„Masseortung!“, schrie der Offizier an der Ortung, kurz schloss Kya die Augen. Das war das Ende. Die eigene Verstärkung konnte unmöglich schon hier sein, aber wo war die Masse so plötzlich her gekommen?
„Einzelnes Schiff, völlig fremdartige Signatur, kein bekanntes Transpondersignal!“ Also Leichenfledderer, die nicht einmal das Ende des Kampfes abwarteten. Piraten, Freibeuter! Trotzdem, wieso war der Transit durch das Wurmloch nicht angemessen worden? In diesem System konnte sich doch niemand versteckt haben!
„Schiff schleust kleinere Einheiten aus!“ Na schön, sollte die Galaxis eben erfahren, wie Miridaner zu sterben verstanden.
„Fremdes Schiff feuert, drei, vier, sechs Schlachtschiffe der Imperiumsflotte vernichtet!“
„WAS?“ Kya glaubte, sich zu verhören.
„Fremdes Schiff feuert auf Imperiumsflotte! Vier weitere Schlachtschiffe vernichtet!“
„Wollt ihr nur zusehen oder vielleicht auch kämpfen?“, schimpfte die Admiralin mit neu erwachter Energie. „Feuer auf nächstes Ziel, Feuer!“ Im All breiteten sich immer mehr expandierende Gaswolken aus, der Fremde näherte sich mit, relativ zu seinem Kurs, gesenktem Bug und erhobenem Heck. Im Salventakt feuerten sechs Zwillingsgeschütze, beinahe jeder Schuss ein Treffer, wenn beide Strahlen ihr Ziel fanden, brach der Schirm des getroffenen Schiffes zusammen und die Energiebahnen schmolzen sich ihren Weg in den Feind, oft weit genug, um die Reaktionsmasse zur Explosion zu bringen. Die Roboter brachen das Gefecht ab und nahmen Kurs auf das große, unbekannte Schiff, um ihrerseits den Gegner in effektive Schussweite zu bekommen.
„Aus der Flugbahn des Fremden und dann Verfolgung der Imperiumsflotte aufnehmen. Salventakt! Feuer los!“ befahl die Admiralin.
Die BRIGADA INTERNACIONAL hatte zu einer neuen Etappe beschleunigt, der letzten vor einer möglichen Kontaktaufnahme mit den Miridanern.
„ALARM!“ Der Funkoffizier drückte auf seinen roten Knopf. „DefCon 5! 420 Lichtjahre voraus sendet eine Flotte der ‚vorderen Flanke‘ und ruft nach Hilfe. Koordinaten umgerechnet!“
Freyt reagierte sofort. „RO, Daten an Nav. Nav, Kurs auf Gefechtsfeld, Sprung, wenn bereit!“ In Sekunden wurden alle Vorbereitungen Makulatur, der Navigator tippte bereits die Zieldaten in den Rechner.
„Bereit! Achtung, drei, zwo, SPRUNG!“ Das Üben während des Fluges hatte sich gelohnt, die Besatzung war auf Position.
Niemand bemerkte den Transit, der Bug wurde gesenkt, die schweren Geschütze ausgerichtet.
„Hinaus mit den Kreuzern!“ befahl der Admiral, der Orter meldete sich.
„Schussweite in vier, drei, zwei, eins…“
„Feuer!“ ergänzte Moore. Sechs Volltreffer, sechs Explosionen. „Salventakt!“, befahl Colonel Jeff Moore, und wieder explodierten Schlachtschiffe, die Kreuzer machten ihrerseits jeweils zu viert Jagd auf ihre Gegner.
„Achtung! Schirm eins bricht, Treffer mittschiffs! Schirm zwei hält!“
„Sekundärgeschütze freies Feuer auf erkannte Ziele!“ Stimmen schwirrten durch die Zentrale, der typische Gesang der Schlacht.
„Schirm zwei bricht, drei hält, eins wieder bereit!“
„Multiple Ortungen, Admiralin! Die Flotte der weißen Flagge ist eingetroffen!“ Der Ortungsoffizier jubelte richtig. Kya atmete auf.
„Funkspruch an Vizeadmiral Kolp. Schöne Grüße, der Admiral soll nur die arkonidischen Kugelraumer angreifen, das aber mit aller Macht. Tretet den Arkoniden in die Blechhintern! Kräftig!“
„Rote Flotte trifft ein!“
„Flotte der blauen Flagge meldet Eintritt in die Kampfhandlungen!“ Natürlich endete der Kampf nicht ohne Verluste für die Miridaner, aber die bereits verlorene Schlacht wurde doch noch gewonnen, die Roboter aufgerieben. Und es überlebten weit mehr Miridaner, als bei vielen Schlachten vorher.
„Fremdes Schiff ruft uns, Admiral.“ Kya straffte sich. Derzeit war sie die ranghöchste Vertreterin ihrer Heimat, sie war gespannt, wer hier in den Kampf eingegriffen hatte. Auf dem Kommunikationsbildschirm erschien ein Mann mit dunkelblondem Kraushaar und grauen Augen, der eine scharlachrote Uniformjacke zu schwarzen Hosen trug!
„Michael Freyt, Admiral der Flotte der BRIGADA INTERNACIONAL! Mit wem habe ich die Ehre?“
Die Admiral erhob sich und trat vor. „Admiral Kya Anach, Kommandantin der vorderen Flanke.“
Michael Freyt verbeugte sich, als diese schöne, kahlköpfige Frau in dem grauen Overall, den früher schon die arkonidischen Raumsoldaten getragen hatten, vortrat.
„Madame Admiral! Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Bitte schießen Sie nicht auf uns, wir sind hier, um Miridan zu helfen.“
„Warum?“ entfuhr es Kya. „Ich meine, aus welchem Grund wollen Sie uns helfen?“
„Ganz offen und ehrlich?“ Freyt massierte sein Kinn, mit Ausflüchten und Parolen würde er bei dieser Frau nicht weit kommen, er fühlte, wie sie bis auf den Grund seiner Seele zu blicken schien. „Damit unsere Heimat Zeit gewinnen kann. Weil sie wohl das nächste Ziel des Neurogenten wäre, oder das übernächste. Und uns fehlt es an gut ausgebildeten Besatzungen noch mehr als Ihnen, soweit wir gehört haben. Wir könnten nicht einmal die Schlachtschiffe Ihrer Flotte der grünen Fahne besetzen. Und daher hilft uns alles, was Miridan unterstützt, ebenso. Auch wenn wir nur ein Trägerschiff mit acht Kreuzern sind, ein wenig Feuerkraft können wir schon aufbieten! Und wir haben einige schwere Geschütze für ihre Verbündeten dabei.“ Mir einer entschuldigenden Geste, die dem Amerikaner Freyt so vertraut vorkam, als wäre sie von einer Landsmännin gekommen, nahm die Frau ein Pad entgegen, überflog kurz den Bildschirm und drückte ihren kleinen Finger an eine bestimmte Stelle, gab es zurück und wandte sich wieder an Freyt.
„Wir müssen dankbar über jede Hilfe sein, aber wir werden nicht viel zahlen können.“
„Wir wollen keine Bezahlung!“ entgegnete Freyt ruhig.
„Nicht?“ wunderte sich Kya. „Was dann?“
„Verpflegung, wenn unsere ausgehen sollte, die Möglichkeit, eventuell einen Planetenurlaub zu verbringen für Teile der Besatzung“, forderte Freyt. „Und einen Transponder-Code, der zeigt, dass wir unter Ihrer Flagge kämpfen.“
„Ach!“ Ein kleines Lächeln stahl sich auf Kyas Lippen. „Auch unter meinem Kommando?“ Freyt salutierte auf arkonidische Art. „Wer so lange erfolgreich den Robotflotten Arkons standgehalten hat, verdient es, dass wir den Fähigkeiten dieser Person vertrauen. Darf ich Sie einladen, die neueste Verstärkung Ihrer Flotte zu besichtigen?“
*
Reggys System
An Bord der ARK’AMBO
„Feuer!“ eine schmale Frauenhand drückte eine rote Taste tief in die Fassung, auf dem Beobachtungsschirm blitzte es grell auf, kurz war eine metallisch schimmernde, dunkelblaue Kugel zu sehen, dann zeigte sich das All wieder wie vorher.
„Wie groß war die Belastung?“ Kono Killikioauewa und Asante N’Diaye studierten die Aufzeichnungen.
„Nicht ganz 17 Prozent!“
„Das war eine komplette Breitseite eines Schlachtschiffes der STARDUST-Klasse!“ rief Perry Rhodan.
„Soll das bedeuten, dass unsere schweren Schlachtkreuzer mit 600 Meter es jetzt mit fünf von den stärksten Schiffen des Imperiums aufnehmen können?“ fragte Bully.
„Heißt es nicht, Mister Bull!“ antwortete Angel Kleinschmid ruhig und gefasst. „Das bedeutet, dass diese fünf Schlachtraumer schon am ersten Schirm scheitern würden. Wir haben noch zwei zusätzliche geplant, dazu noch die alten, bekannten, auch dreifach gestaffelt.“
Reginald Bull tastete nach einem Sessel und ließ sich schwer hinein fallen. „So fühlt es sich an, wenn der Teufel die arme Seele verführen will“, jammerte er und verbarg das Gesicht in den Händen, dann sah er wieder auf. „Versteht Ihr nicht? Nahezu unbesiegbar, wie Götter! Wir könnten zuerst das ganze arkonidische Imperium erobern und beherrschen, dann – wo ist die Grenze? Wer zeigt uns, wenn wir zu groß, zu mächtig, zu arrogant werden? Wir erhalten eine riesige Macht zum Gebrauch, aber sind wir auch reif genug, sie verantwortungsvoll einzusetzen? Bin ich klug genug? Das ist es, wovon die Bibel spricht, wenn der Verführer kommt. Genau das, die Macht! Nicht Reichtum, nicht sexuelle Eskapaden, es ist beinahe grenzenlose Macht. Nur dass es mir jetzt unmöglich ist, ganz einfach ‚vade retro, Satanas’ zu sagen und mein kleines unbedeutendes Leben wieder aufzunehmen. Ich bin der Versuchung doch schon auf dem Mars und Wanderer erlegen. Die Büchse der Pandora ist offen. Perry, sag doch auch etwas! Deine Verantwortung ist ja noch größer als meine!“
Auch Rhodan war kurz die Luft weg geblieben. „Das bedeutet wirklich wehrhafte Forts um unsere Planeten, und vielleicht schaffen es unsere Kinder, auch die Planeten selbst mit noch stärkeren Schirmen zu schützen. Diese mächtigen Schilde sind für die Defensive, nicht für den Angriff gedacht, Bully. Und so lange ich etwas zu sagen habe, bleiben wir auch dabei. Wir schützen die Menschheit und ihre Planeten, aber wir werden nicht anfangen, andere Planeten zu erobern und zu unterdrücken. Ja, die Menschheit wird sich ausbreiten, aber wenn es nach mir geht, ohne andere Spezies zu verdrängen! Ich möchte nicht wieder in den Kolonialismus zurückfallen, nur dieses Mal in einem riesigen, einem galaktischen Maßstab. Und ich hoffe, dass alle Anwesenden bereit sind, diese Entscheidung mit zu tragen!“
„Och, nicht einmal einen einzigen schönen, muskelbepackten Sklaven mit grüner Haut zum fächeln wollen Sie mir vergönnen, Perry?“ Victoria wedelte sich mit ihrer Hand vor dem Schmollmund Luft zu, dann wurde ihre Mine wieder ernst. „Natürlich schließe ich mich an, das doch überhaupt keine Frage!“
Auch Atlan nickte. „Einverstanden! Aber – wie sieht es jetzt mit der Konverterkanone aus?“
„Und? Ist das auch noch Defensiv, Perry?“, fuhr Bully auf.
„Ist es, alter Freund. Nicht Waffen an sich sind gefährlich und aggressiv, nur Menschen. Wir müssen unsere Verantwortung auf uns nehmen und die Bürde tragen. ‚Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt’.“
„Heinrich, Mister Rhodan?“
„Der IV! Shakespeare.“
Leslie Myers verdrehte die Augen. „Diese Familie ist wirklich süchtig nach diesem Dichter!“
„Wenn sie hersehen möchten, Admiral, wir haben noch einen zweiten roten Knopf vorbereitet!“ Kono Killikioauewa zeigte auf das einfache Schaltpult. „Was sie hier auf dem Bildschirm sehen, ist ein handelsüblicher Schirmprojektor, wie sie auch auf den Schiffen der VIRIBUS-Klasse zu finden sind.“ Asante N’Diaye vergrößerte ein Bild. „Allerdings gespeist von einem herkömmlichen Kraftwerk. Wir haben beides auf einem Asteroiden installiert, dazu haben wir unser Lager ausrangierter Reaktoren geplündert. Ich bin mir jetzt nicht sicher, wie sich die umgebaute Kanone auswirken wird, wirklich erprobt haben wir nur den verstärkten Schirm. Admiral Atlan, wenn Sie möchten, bitte!“
Der Arkonide trat an das Schaltpult und drückte die Taste tief ein. Ein blendende Lichtfülle überschwemmte den 3D–super–HD Bildschirm, überlastete die Augen der Zuseher, welche plötzlich nur noch leuchtende, geometrische Formen sahen, die nur langsam verblassten.
„Eine eindrucksvolle Show“, meine Victoria Rhodan und hielt sich die Augen zu. „Asante, in der Bedienungsanleitung sollten wir vermerken, dass eine Vergrößerung des Zielobjektes nicht direkt mit optischen Aufnahmegeräten vorgenommen werden sollte, sondern mit einem rechnerunterstützten Gerät mit schnell reagierenden Filtern.“
„Schöne, rote Spiralen sehe ich!“ knurrte Leslie Myers. „Wir werden für die Optikfans ein eigenes Zielgerät entwickeln müssen!“
„Wie groß war der Asteroid?“ fragte Atlan, Kono gab Antwort.
„Etwa zwei Kilometer in der Länge und ein bis anderthalb im Durchmesser. Ich könnte die genauen Zahlen von dem Steinbrocken heraus suchen, sobald ich wieder etwas sehe! Warum?“
„Weil!“ Atlans Stimme wurde weich und beinahe feierlich. „Weil wir hier drei Brocken haben, die in unterschiedlichen Richtungen enteilen. Mit insgesamt um einiges weniger der Hälfte der Materie, die der Asteroid vorher hatte.“
„Oh!“ Thoras Extrasinn begann zu arbeiten, ihre ‚normalen’ Gedanken formulierten eine andere Frage. „Wieso kannst Du sehen?“
Atlan lachte laut. „Ich bin nicht das erste Mal dabei, wenn aus einer neuen Kanone ihr erster Schuss abgefeuert wird. Ich habe die Augen fest zugemacht und mit der Hand abgeschirmt. Das hat mir einmal das Augenlicht gerettet, als ich Maria Theresia ein neues Hinterladergeschütz präsentieren wollte und der Oberst Karstszanyi den Ladeteil sabotierte. Mann, hatte die Frau eine Oberweite, und dazu noch… Entschuldigung, bin wieder da! Ich habe also die Augen zu gehabt. Es scheint funktioniert zu haben.“
○
Eine Frau, deren Haut die Ockerfarbe der Himba aufwies, gekleidet in weite, weiße Hosen und einer dunkelblauen Bluse, verließ die CYGNUS und sah sich staunend auf dem Landedeck des Raumhafens der HEPHAISTOS um. Alles hier war so riesig, so weitläufig und absolut künstlich. Eine so rein technische Umgebung hatte sie noch nie gesehen, auf dem Spaceport Juri Gagarin waren überall Topfpflanzen gewesen, und auch an Bord der CYGNUS waren kleine, natürliche Oasen mit Holzvertäfelung geschaffen worden. Hier, auf dem Raumhafen der HEPHAISTOS herrschten nur kalter Stahl und effizienter Einsatz von Energie.
Die Frau kannte lebensfeindliche, tote Gegenden, die Namib war eine der trockensten und tödlichsten Sandwüsten der Erde, und sie hatte dieses Meer aus Sand gesehen. Ihre Klasse der Schule in Palmwag hatte eine Exkursion unternommen, denn immerhin hatte die Namib dem Land seinen Namen gegeben, 50 Grad tagsüber und 0 Grad des Nachts, Jahrzehnte ohne Niederschlag hatten eine schlimme Gegend erschaffen. Doch selbst in den riesigen Sanddünen hatte sie mehr Leben gespürt als hier, obwohl doch viele Lebewesen herum hasteten, die einen in Uniform, mit irgendwelchen Arbeiten beschäftigt, die anderen, in einer großen Gruppe, in der beinahe Jeder Jeden zu ignorieren und übersehen schien, strebten einem Durchgang zu, über dem GATE HEPHAISTOS stand.
„Miss Ashyagada?“, fragte eine weibliche Stimme neben ihr, die Himba fuhr erschrocken zusammen. Eine hübsche, weiße Frau in rauchblauer Uniform stand neben ihr, sie hatte diese Frau nicht kommen sehen. „Ich bin Hera. Willkommen an Bord, ich werde sie führen!“ Die junge Frau folgte der Stewardess, und überlegte.
„Hera! Göttin der Ehe und des Herdfeuers in Griechenland. Ein hübscher Name, Miss Hera!“
„Nur Hera, Miss Ashyagad. Dies ist das Hologramm des Dienstleistungssektors der HEPHAISTOS-Rechner, welcher den Namen Hera trägt. Ihr Name ist auch hübsch. Aber bitte, hier ist das Einwanderungsbüro. Sie müssen keine Angst haben, Lieutenant Colonel Rita Moslowski hat noch niemand gegessen!“
Rita Moslowski aus Norfolk, Virgina, erwies sich als mittelgroße, schlanke und sehr muskulöse Frau, die hinter einem kleinen Schreibtisch saß.
„Bitte, Miss, nehmen Sie Platz. Tee, Kaffee, Cola?“
„Danke, nein, Colonel.“ Ashyagada setzte sich auf die Kante eines Stuhls.
„Setzen Sie sich doch bequemer hin“, riet Moslowski der jungen Himba. „Ich bin kein Schuldirektor oder ähnliches, ich möchte nur mit ihnen plaudern, bis ihr Gepäck gründlich durchsucht ist. Sie glauben nicht, was wir schon alles gefunden haben. Manchmal weiß der Besitzer einer Tasche gar nicht, was man ihm untergeschoben hat. Erzählen Sie mir etwas, damit ich Sie kennenlerne.“ Von Ashyagada unbemerkt leuchtete ein grünes Licht auf, Matta hatte keine bösen Absichten gefunden. „Wie bekommen Sie bei dieser Färbung es hin, dass nicht alles schmutzig wird, was Sie anziehen?“
„Üblicherweise tragen wir nicht viel, was schmutzig werden kann, Colonel!“ erklärte die Himba.
„Und bei Ihnen? Sie tragen doch eine blütenweiße Hose!“ Ashyagada sah zu Boden.
„Permanent Make-up, Ma’am. Die richtige Farbe wird mit einem feinen Zerstäuber mit Hochdruck unter die Haut gespritzt. Nicht ganz angenehm, aber der Erfolg – sie sehen selbst!“
„Am ganzen Körper? Ich meine, wirklich überall?“
„Natürlich, Ma’am. Drei Monate hat es gedauert, aber jetzt färbe ich nicht mehr ab!“
„Na schön. Ich sehe, unsere Jungs sind fertig. Hera bringt Sie zu Ihrem Quartier und auch überall sonst hin. Rufen Sie einfach nach ihr, wenn Sie etwas brauchen. Morgen melden Sie sich bitte bei Asante N’Diaye, auch zu ihm wird Sie Hera bringen. Ich habe gehört, Sie haben eine Idee bezüglich semilinearer pseudomaterieller Quantenfelder formuliert. Beachtlich für eine Studentin in Ihrem Alter. Viel Vergnügen bei uns!“
*
Terra, Kolumbien
Evé Barstows Geist schwebte über den Urwald Kolumbiens, während ihr Körper im TBI – Gebäude in New York sicher ruhte. Seit einiger Zeit war sie beschäftigt gewesen, sich die Ebenen der Drogenhändler nach oben zu lauschen. Irgendwann musste doch jeder Dealer seine Ware bekommen und das eingenommene Geld abliefern. Dieser Lieferant hatte wieder jemanden, dem er unterstellt war, und über dem noch irgend eine Person. So wollte sie sich el Jefe nähern und Beweise sammeln, zumindest genug, um eine Durchsuchungsanordnung beantragen zu können. Vom herunter gekommenen Hinterzimmer in Spelunken, zu billigen Absteigen, günstigen Hotels, die Treffpunkte wurden teurer, die Personen besser gekleidet, doch im Inneren waren sie alle gleich. Evé verachtete diese Männer und noch mehr die wenigen Frauen, die es in höheren Ebenen gab. Dann gab es dieses Treffen in einem Luxushotel in San Diego, Kalifornien, gleich nördlich der Grenze zu Mexiko und der Stadt Tijuana. Don Gonzalo Gabriel Milo de Tiburon y Bahia Moro war nach Amerika gereist und hatte Hof gehalten, ein seltener Glücksfall, da er seine ausgedehnten Ländereien kaum zu verlassen pflegte. Üblicherweise entsandte er nur el Chico, seinen Sohn. Der hatte die Sitzung seines Vaters verlassen und sich mit einem Mann getroffen, Evé hatte kurz entschlossen den Sohn verfolgt. Wenn der Junior sich davon stahl, hatte das etwas Wichtiges zu bedeuten, denn für eine Kleinigkeit ging el Chico ein solches Risiko sicher nicht ein. Was sie dann erfuhr, als die beiden Männer sich mit drei anderen trafen, reichte Cesar Alexander, in Den Haag eine Durchsungsanordnung zu besorgen. Richter Jan Novotny aus Prag unterzeichnete sofort das Formular, als er die Mitschnitte des Gesprächs anhörte. Einige Kompanien Ranger wurden entlang der Tubeway unauffällig verstärkt, Agents des TBI reisten nach Kolumbien. Jetzt musste Evé nur noch den exakten Ort finden. Alle hofften, dass sie es rechtzeitig schaffte.
*
Anna Maria Buenoposa rannte durch den kolumbianischen Urwald. Ihre Lungen pumpten verzweifelt, um noch ein wenig mehr Sauerstoff in die gequälten Lungen zu bringen, ihr Herz raste, ihr war schwindlig, und doch hetzte sie weiter. Sie wusste, dass sie um ihr Leben lief, dass ihr, wenn el Chico und die anderen sie einholten, ein übles Schicksal drohte. Jeder im Lager wusste, was ihm bevorstand, jeder hatte verstanden, was vor sich ging!
Als Perry Rhodan arkonidische Technik zur Erde brachte, machte auch die Medizin einen erheblichen Fortschritt, in allen Bereichen, auch in der Transplantationsmedizin. Nun wäre es eigentlich kein Problem mehr gewesen, aus eigenen Stammzellen ein Organ zu züchten. Aber es gab alte, reiche Patienten und Patientinnen, welche auf ‚organisch gewachsenen, jungen, unverbrauchten Organen, Drüsen und Gliedmaßen‘ bestanden, weil ‚aus den alten Stammzellen ja doch nur wieder alte Organe‘ kommen und sie mit den jungen länger leben wollten, vielleicht ewig. Ein Aberglaube, der sich hartnäckig hielt und verschiedenen menschenverachtenden Verbrechern ein gutes Geschäft verschaffte. So etwa El Chico, Hermano Claudio de Tiburon y Bahia Moro. Der Sohn des Chefs des größten Drogenkartells hatte sein – wie er es zynisch nannte – ‚Ersatzteillager’ inmitten des Dschungels aufgebaut, und wenn ein Opfer gebraucht wurde, konnte es geschehen, dass el Chico vorher eine Jagd veranstaltete. Der Kunde durfte sich das gewählte Organ selbst erlegen, manchmal wurden solche Jagden auch einfach so veranstaltet, Hauptsache, der Kunde bezahlte genug.
Dieses Mal hatte man Anna Maria die Fesseln gelöst und ihr „Lauf!“ zugerufen. Drei Kunden warteten mit ihren schweren Sturmgewehren auf den Beginn der Hetzjagd. Man hatte mit el Chico 30 Minuten Vorsprung vereinbart, der drückte jetzt auf eine Stoppuhr. Und Anna Maria lief, vielleicht hatte sie ja eine Chance, vielleicht konnte sie entkommen. Sie war jung, trainiert, eine hübsche sogenannte ‚Mestizin’. Jetzt flimmerte es vor ihren Augen, sie stolperte weiter, aus weiter Entfernung hörte sie: „Da ist sie! Wir haben sie!“ Die junge Frau stolperte und fiel lang hin, ein Schatten huschte mit schrillem Summen über sie hinweg, sie hörte einen Schuss knallen und eine Stimme, die mit einem weichen Akzent sprach.
„Das war jetzt aber nicht sehr nett, Senores!“ Sie drehte sich mit letzter Kraft auf den Rücken und sah einen Mann auf einem Schwebebike quer stehen, er versperrte ihren Verfolgern den Weg zu ihr. Anna Maria fiel in eine gnädige Ohnmacht.
El Chico und seine ‚Jagdgesellschaft‘ waren wütend, dass sie in ihrem kranken Vergnügen gestört wurden. Im Gefühl der Allmacht auf dem Land seines Vater brüllte Hermano den Uniformierten an. Er war außer sich, noch nie hatte es jemand gewagt, ihm zu widersprechen oder gar an etwas zu hindern – außer el Jefe, seinem Vater.
„Verschwinde von meinem Land, Hijo de Puta! Das ist unsere Beute!“
„Oh!“ Der Mann sprach weiter mit sanfter Stimme. „Dann sind Sie Hermano Claudio Tiburon?“
„Bekommst Du jetzt Angst, Cabron? Verschwinde, sonst suche ich nach Dir, bis Du tot bist“, grinste el Chico und hob die Waffe.
„Sie und ihre Gesellschaft haben eine Frau mit der Absicht zu töten verfolgt?“
„Bist Du blöd, Culo? Klar haben wir uns den Spaß gegönnt, ist doch nur eine halbe Indio! Verschwinde jetzt endlich! Klar?“
Der Mann auf den Schwebebike nickte. „Alles klar. TBI! Lassen Sie Ihre Waffen fallen und heben Sie Ihre Hände. Sie sind vorläufig festgenommen! Wegen versuchten gemeinschaftlichen Mordes in besonders grausamen und schwerem Fall, in Tateinheit mit Folter in Tatmehrheit mit Freiheitsberaubung, Zusatzartikel 2, Paragraphen 1, 2 und 4 der Menschenrechte. Ihre Anklage kann, muss sich aber nicht auf diese Punkte beschränken.“ Die Männer lachten, dann hoben sie die automatischen Gewehre und eröffneten das Feuer, das aber weder Anna Maria noch den TBI Agenten erreichte. Der seinerseits nahm in aller Ruhe die schwere Betäubungswaffe aus der Halterung am Bike und drückte den Abzug, noch ehe seine Kameraden aus dem Unterholz kommen konnten.
„Kümmert Euch um die Zeugin“, befahl er und legte den Jägern Hand- und Fußfesseln an. „Mister Alexander, wir haben die S…- die Bande!“
„Ich habe mitgeschaut, Agent Nuñez. Miss Barstow hat jetzt die Koordinaten des Gefangenenlagers. Bringen Sie das Opfer und die Gefangenen zu Station Kolumbien 12. Dann holen Sie sich das Nest!“
El Sabanera war, seit er denken konnte, Soldat für die Familie Tiburon. Genau wusste er selber nicht, wie alt er war, dreißig, fünfunddreißig, egal. Er hatte sogar seinen echten Namen vergessen, jeder rief ihn nur el Sabanera, die Schlange. Er hatte als Capo der Familie Tiburon kein schlechtes Leben, besonders, seit el Chico ihn hierher geschickt hatte. Essen, Schnaps und vielleicht manchmal auch so ein junges Ding aus dem Lager, bevor es aufgeschnitten wurde. Indios und Mestizen, sowieso wertloses Gesindel. Lärm weckte ihn aus seinem Schlaf und er dachte noch, dass el Venenoso, der Giftige, wieder die Insassen des ‚Ersatzteillagers’ quälte, da flog unvermittelt die Tür auf und el Gusano stolperte in den Raum.
„Capo! Bei der heiligen Madonna, die uns beschützen möge, wir…“ Ein matter, silberner Finger, zart wie ein Nebelhauch und schnell wie ein Blitz griff nach el Gusano und brachte ihn zum Schweigen. Hinter ihm trampelte ein Mann in einem modernen Schutzanzug und Helm in das Zimmer.
„TBI!“ Sabanera nahm den großen, schweren Revolver vom Kaliber .44 Magnum von seinem Nachttisch und richtete ihn auf den Eindringling, zog den Abzug. Ein Blitz, ein ohrenbetäubender Knall, der ihn minutenlang taub machte, und ein leichtes Aufblitzen an der Kleidung des Fremden war alles, was er erreichte. Dieser schlug einfach Sabaneras Waffe zur Seite, drehte ihm mit Bärenkräften die Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen an.
„Sie sind vorläufig festgenommen. Zunächst wegen Beihilfe zum Mord, Freiheitsberaubung und sexueller Nötigung! Später kann, je nach Beweislage, die Anklage noch ergänzt werden. Und glaube mir, wir sind gründlich. Hier ist der Durchsuchungsbeschluss!“ Er warf ein Dokument vor el Sabanero zu Boden. „Wir haben noch einige Kopien!“
„Morgen bin ich wieder aus dem Gefängnis, Idiot! Und dann wird das ganze Tiburonkartell dich jagen. Dich, deine Freunde und deine Familie. Ihr werdet zur Hölle fahren! Glaubt Ihr Gringos wirklich…“
„Morgen seid Ihr alle nicht mehr in Kolumbien“, unterbrach der Fremde mit hartem Akzent. „Ihr habt Euch einen Freiflug nach Europa verdient. Auf Wiedersehen in Den Haag. Und wenn du mich suchen willst, Agent Anderson, Ludwig Anderson, Hamburg. Ich stehe in der Comlist. Und jetzt ab, der Transporter wartet schon!“ Er stieß den Gefesselten in die Heckabteilung einer unauffälligen Fähre, nur im Inneren war das Bild einer Waage umgeben von Palmzweigen, dem Wappen des internationalen Strafgerichtshofes der Vereinten Nationen, zu sehen. Andere Agenten trugen die restlichen, offensichtlich betäubten Wachen in das Shuttle, welches gleich darauf startete.
Benito Nuñez war selbst Mestize aus Brasilien und hatte als Muttersprache portugiesisch gesprochen, für die Arbeit beim TBI hatte er englisch, spanisch und arkonidisch gelernt. Dank der Hypnoschulung ein Sache von wenigen Stunden. Nun nahm er den Helm ab und ging zu dem Gebäude mit den Gittern vor den Fenstern. Mit dem Desintegrator aus seinem Gürtel vernichtete er das Schloss und trat die Tür ein. Wie verängstigte Tiere in einem Zoo drückten sich halb oder ganz nackte Männer und Frauen an die Rückwände. Jeder wusste, er könnte der Nächste sein, jeder hoffte, dieses Mal bitte noch nicht, Santa Madonna, bitte lass mich noch leben. Die meisten Menschen hier waren emotional gebrochen von der Grausamkeit ihrer Wachen und Peiniger. Nuñez und seine Kollegen dokumentierten alles mit ihren Bodycams, als sie die Türen zu den Kerkern öffneten und die Gefangenen, die noch an irgend eine Grausamkeit dachten, die ihnen bevorstehen mochte, in ein größeres, bequemeres Shuttle führten. Erst als sie in das Hotel Station Kolumbien 12 gebracht wurden, Kleidung, Nahrung und die Möglichkeit, sich zu reinigen und zu pflegen erhielten, konnten sie beginnen, an ihr Glück zu glauben und sich ein wenig zu entspannen.
*
Den Haag, Niederlande
Internationaler Strafgerichtshof der Vereinten Nationen
Die Stadt Den Haag liegt am Atlantik, nordwestlich von Rotterdam und süd-süd-westlich von Amsterdam. Sie ist so etwas wie die heimliche Hauptstadt der Niederlande. Nicht nur die königliche Familie residiert in dieser Stadt, auch die meisten Verwaltungsgebäude des niederländischen Staates sind hier hinter zumeist gotischen Fassaden zu finden. Im Norden der Stadt steht, von einer Parkanlage umgeben, am Carnegieplain, der Vredespaleis, der Friedenspalast. Dieser im Stil der Neorenaissance gebaute Backsteinbau beherbergt den internationalen Gerichtshof, der sich mit Vergehen von Staaten beschäftigt, das internationale Kriegsverbrechertribunal und den Internationalen Strafgerichtshof, bei dem auch Privatpersonen bei Menschenrechtsverletzungen angeklagt werden können.
Homer G. Adams hatte die Bildung des TBI als internationale Polizeieinheit analog dem amerikanischen FBI angeregt und dafür sogar die benötigte Zustimmung der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen erhalten. Schwerer war es, die Völkergemeinschaft von einem internationalen Höchstgericht zu überzeugen, doch in mühevoller Kleinarbeit konnten die meisten Delegierten überzeugt werden. Der Den Haager Gerichtshof wurde langsam mehr als ein Revisionsgericht, das die Urteile einzelner nationaler Gerichte überprüfte, sondern agierte bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschenrechte auch schon als erste und letzte Instanz. Die Fälle wurden vor einem Gremium verhandelt, das aus drei Berufsrichtern aus verschiedenen Kontinenten und zwölf Laienrichtern bestand, alle Prozesse wurden öffentlich und live im TriVid übertragen und jeder, absolut jeder, der entfernt mit dem Fall zu tun hatte, besaß das Recht, sich zu Wort zu melden. Über das InfoNet, selbstverständlich. Und ebenso selbstverständlich hatten Volksvertreter das Recht, sich eines ihrer Staatsbürger vor dem Gericht anzunehmen.
Der Justizminister von Kolumbien, Don Christobal Monoya y Bahia Moro, wollte von diesem Recht Gebrauch machen, bei dem Versuch el Chico aus dem Gewahrsam des TBI frei zu bekommen. Er hatte um einen Termin bei dem Präsidenten des Gerichtshofes, dem ehrenwerten Richter Diego Fernando Jesus Felipe Rodriguez aus Monterrey, Mexiko, persönlich nachgesucht und erhalten. Im Eilschritt hastete er die breiten Marmorstufen und die mit Kacheln aus Delft geschmückten Flure. Mit einem „Der Präsident erwartet mich!“ stürzte er in den Vorraum, wo Maria Sofia Ana Valentina Hernandez aus Puerto Limón in Puerto Rico, die private Assistentin seiner Ehren eben mit einem großgewachsenem, blonden Mann sprach.
„Minister Monoya y Bahia Moro? Sie sind ein wenig zu früh, Senor! Der Präsident ist in einer Besprechung, wird aber in wenigen Minuten Zeit haben. Wenn sie sich…“
„Ich wünsche, sofort vorgelassen zu werden“, unterbrach der Kolumbianer unwirsch. „Ich bin Justizminister von Kolumbien und…“
„Ein Gast hier!“ unterbrach nun der Hüne seinerseits den Don. „Wir sind nicht in Kolumbien, sondern in Den Haag. Wenn Madame van Mowleen einen Termin bei seiner Ehren hat, dann warten Sie!“
„Was erlauben Sie sich! Ein Minister hat doch wohl Vorrang…“
„Vor der Ministerpräsidentin des Königreichs Niederlande? Ich glaube nicht!“ Maria Sofia hatte sich wieder gefangen und begegnete dem aufbrausenden Kolumbianer mit Eiseskälte.
Die schwere Eichentür vom Gang öffnete sich wieder, und eine schlanke Frau in einem mehr als eleganten, blauen Kostüm stöckelte in das Vorzimmer.
„Hi, Maria! El Presidente hat nach mir gerufen, in …“ Sie sah auf ihre schlichte Armbanduhr, „… etwa fünf Minuten will er mich sehen. Ich nehme mir noch rasch einen Kaffee!“ Sie legte eine Zwei-Euro-Münze auf den Tisch und trat an die Espressomaschine. Don Christobal musterte die Frau mit feurigen Augen.
„Ich habe den nächsten Termin bei dem Präsidenten!“ Die Frau im Kostüm nahm genießerisch einen Schluck von dem starken, schwarzen Kaffee.
„Mm! Dann sind Sie wohl…“ Ein Blick auf ihr Pad. „Ach ja, Don Christobal Monoya y Bahia Moro? Dann haben wir den gleichen Termin! Ich bin Doortje an de Mool, ich werde die Anklage im Fall Hermano Claudio Tiburon y Bahia Moro vertreten. Ein Verwander von Ihnen?“
„Tut das etwas zur Sache?“, knurrte Don Christobal, und Doortje hob die linke Schulter.
„Eigentlich nicht, ich habe nur versucht, ein wenig höflich zu sein.“ Sie trank ihren Kaffee aus und stellte die Tasse in einen dafür vorgesehenen Behälter.
„Danke, Maria! Ich…“ Die Tür zum Büro des Präsidenten öffnete sich, Präsident Diego Rodriguez hielt sie für eine unauffällige, ältere Dame auf und küsste ihr die Hand.
„Es war mir wie immer eine Freude, Mevrouw van Mowleen.“
„Die Freude war ganz auf meiner Seite, Tu Honor Rodriguez! Senora Maria Sofia! Komm, Jan!“ Die mächtigste Frau der Niederlande nach der Königin verließ mit ihrem Assistenten den Raum
„Frau Staatsanwalt, Don Christobal, kommen Sie bitte herein“, lud der Präsident des internationalen Strafgerichtshofes seine Gäste in sein Büro.
„Ich habe Mevrouw an de Mool dazu gebeten, weil ich mir denken kann, warum Sie mich sprechen wollen, Don Christobal. Bitte, beginnen Sie!“
Der Kolumbianer lehnte sich leicht nach vor. „Ich bin hier, um die Freilassung von Hermano Tiburon zu fordern. Seine Festnahme entbehrt jeder Grundlage!“
„So?“ Doortje rief die Datei der Festnahme auf. „Senor Tiburon gesteht hier eine Verabredung zum Mord!“
„Ich bitte Sie!“ Don Christobal breitete seine Hände auseinander. „Die Senores sind ehrenwehrte und sehr einflussreiche Geschäftsleute aus aller Welt, warum sollten die so ein unwichtiges halbinidianisches Ding ermorden wollen?“
„Nervenkitzel?“ Wieder suchte Doortje nach einer Aufzeichnung. „Hier, Beweise für Freiheitsberaubung, Organhandel, Misshandlung, Mord, Drogenhandel, besonders diese bizarre Trophäensammlung in den Fotoalben, die el Chico in seinem Häuschen aufbewahrt hat! Diese Fotos hier, hier und hier bringen auch el Jefe direkt mit drei Morden, die er eigenhändig begangen hat, und mit Drogenhandel in Verbindung.“
„Diese Aufnahmen wurden widerrechtlich gemacht und sind nicht gültig, falls sie überhaupt echt wären“, erregte sich Christobal mit steigender Lautstärke, Doortje blieb im Gegensatz ganz ruhig.
„Das TBI hatte eine Durchsungsanordnung mit.“ Mevrouw an de Mool legte ihm ein Formular auf den Tisch, eine Kopie vor Richter Rodriguez. „Wir haben sie sogar vorgezeigt, es wollte sie aber niemand sehen!“
„Mit welcher Rechtsgrundlage haben sie das Papier gekommen?“, tobte Don Christobal!
„Mit dieser!“ Ein letzter Film. Die ‚Jäger‘ mit el Chico und Don Christobal selbst an einem Tisch in einem Luxushotel.
„Und wir können mit unserer Beute machen, was wir wollen?“, fragte ein blonder Muskelmann mit amerikanischem Akzent.
„Wir meinen wirklich ALLES?“, ergänzte ein anderer, der Sprache nach Nordeuropäer, und Don Christobal Monoya y Bahia Moro sagte:
„Der Dschungel gibt nichts mehr her. Sie gehört ganz Ihnen. Machen Sie, was sie wollen, sie wird nicht mehr auftauchen!“ Der Justizminister sprang auf.
„Ihr Erscheinen spart es uns, ein Team nach Kolumbien zu entsenden, um sie zu verhaften, Don Christobal.“ Der Richter drückte auf eine Taste, zwei bewaffnete Agenten betraten den Raum, um ihm Handschellen anzulegen.
„Übrigens, sie können in Ihrer Zelle auf el Jefe warten. Er müsste auch bald eintreffen!“
„Ich protestiere“, brüllte Christobal Monoya y Bahia Moro „Ich genieße diplomatische Immunität!“
„Falsch!“ Doortje an de Mool hatte sich erhoben und baute sich kerzengerade vor Monoya auf, blickte ihm kalt in die Augen. „Zum Ersten gelten für den internationalen Strafgerichtshof und das TBI keine Immunitäten, zum Zweiten erlöschen nach einen Beschluss der Vereinten Nationen vom September 2046 sämtliche Immunitäten, wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht und zum Dritten sind Sie seit zwei Stunden von der Regierung der Republik Kolumbien aller Ämter, Pflichten und Ehren enthoben und werden als gewöhnlicher Krimineller geführt. Ihr Präsident war sehr entgegenkommend, als wir ihm die Beweise präsentierten.“ Dann wandte sie sich an die TBI-Agenten. „Abführen, verlesen Sie ihm seine Rechte.“ Eine tiefe Falte entstand zwischen ihren Augenbrauen. „Wir wollen doch keine Formfehler. Überlegen sie sich schon einmal einen guten Anwalt. El Altavoz wird nämlich selbst einen benötigen. Vielleicht bezahlen ja die ‚ehrenwerten und angesehenen Geschäftsleute’ auch ihnen einen Rechtsbeistand!“ Sie trat an das Fenster und sah in den Himmel. „Auf der Rückseite des Mondes soll es sehr schön sein um diese Zeit. Die meisten galaktischen Händler sind schon ausgezogen, sie werden jede Menge Platz haben. Eine Zeit lang.“
*
19. Dezember 2084, 5 Uhr morgens
Terra, Kolumbien
Landhaus von Don Gonzalo Gabriel Miro de Tiburon y Bahia Moro
Don Gonzalo schlief tief und fest zwischen zweier seiner ‚Chicas‘, wie er die hübschesten Mädchen, die er aus den Dörfern auf seinem Land in seine Festung geholt hatte, zu nennen pflegte. Zuerst zu seinem Vergnügen, dann gab er sie an seine Leute weiter. Wenn sie das überlebten, was bei den rohen Mercinarios in seinen Diensten nicht gesichert war, warf er sie wieder hinaus. Und das waren jene, die noch ein wenig Glück hatten. Den Don quälte kein schlechtes Gewissen, er hatte ebenso wenig eines wie die Leute unter ihm. Für Gonzalo gab es nur die Befriedigung seiner Wünsche und Laster, was er sich nicht einfach nehmen konnte, kaufte er. Wie seine Ehefrau Miljena, die er einem russischen Händler abgekauft und geheiratet hatte, damit sie seine Kinder, seine legalen Kinder, austragen sollte. Er brauchte treue Vertreter und irgendwann auch einen Erben. Das blonde, beinahe ätherische Wesen kam mit dem brutalen Leben auf der Hazienda kaum zurecht und wurde kaum besser behandelt als die Sklavinnen, die sich Gonzalo Gabriel hielt. Wenn Besuch anwesend war, hatte sie die Dame zu spielen, daher achtete der Kreole bei ihr darauf, seine Schläge dort zu platzieren, wo das Kleid sie verdeckte. Und er züchtigte sie oft, egal, wie sie sich verhielt, ebenso oft wie alle anderen Frauen.
Dieses Mal hatte er besonders gewütet, wie schon die drei Tage vorher, als er gehört hatte, dass el Chico, sein Sohn verhaftet und nach Den Haag gebracht wurde. Er hatte gewütet und ihr mit seiner von allen gefürchteten Peitsche den Rücken blutig geschlagen. So lange, bis sie wie tot liegen blieb.
Auch Coronel Esteban Cortez von der kolumbianischen Polizei schlief gut, nachdem er den Abend mit einer Flasche Wein und einer von Don Gonzalos ‚Chicas’ verbracht hatte. Der Justizminister der Republik hatte ihn mit seinem schweren Regiment zum Schutz der Hazienda des Don abgestellt. Er war dort gut bewirtet worden und nach Tisch – nun ja, de Tiburon war nicht entgangen, wie er das Mädchen angesehen hatte, er war eben ein aufmerksamer Gastgeber. Auch wenn die Señora derzeit leider unpässlich war.
„Ihr Sohn, sie verstehen, Coronel? Sie macht sich so große Sorgen! Bitte entschuldigen sie die Dona.“
Coronel Cortez hatte abgewunken. „Aber selbstverständlich, lieber Don Gonzalo. Sie muss sich aber doch keine Sorgen machen. Don Christobal ist doch schon nach Den Haag geflogen, er wird Ihren Sohn doch sicher nach Hause bringen“, hatte der Colonel verbindlich gesagt, und Don Gonzalo hatte gemurrt.
„Besser, er tut es. Sonst brenne ich ein paar Dörfer nieder. Und wenn das nichts nützt, nehme ich mir die Städte hier in der Provinz Cauca vor, eine nach der anderen, bis el Chico wieder daheim ist.“ Der Coronel hatte nach dem Abendessen noch seine Comandantes angewiesen, wo sie ihre Schützenpanzer, Flugabwehrgeschütze und Infanteristen zu postieren hatten, dann war er mit der Indio verschwunden. Immer noch hielt er sie umklammert, bei seinem Einschlafen hatte schon an einen befriedigenden Morgen gedacht. An das Wohlbefinden der Frau dachte er dabei natürlich nicht, sie war ja ‚nur’ eine Eingeborene, eine Paez, deren Reservate ganz in der Nähe und zum Teil auf Land in Don Gonzalos Besitz lagen.
Sargento Primera Valentino Sabata schlief nicht. Er hatte Wache in seinem Schützenpanzer der Polizeistreikräfte unter Coronel Cortez. Ebenso sein Nebenschütze Sargento Luis Cabano und der Fahrer Cabo Primero Carlos Falarez. Alle drei waren Kreolen aus Bogota, die voller Ideale zur Polizei gegangen waren. Sie wollten die Gesetze und die Bürger schützen, doch bald war ihnen klar geworden, dass alles nicht so schön in gut und böse zu unterteilen war. Jetzt aber war das Fass am Überlaufen, sie hatten gestern so vieles gesehen, das nicht mit ihrer Ehre und den Gesetzen konform ging. Selbst Teniente Fernando Lopez, der seine Runde machte, konnte seine Leute verstehen, deren Stimmen er durch das offene Luk hörte.
„Maldito, ich bin doch nicht zur Polizei gegangen, um für perverse Sadisten zu arbeiten und die auch noch zu verteidigen!“ Valentinos Bass war nicht zu verkennen.
„Wir sind vom Verteidigungsminister ‚auf Wunsch des Justizministers hierher geschickt worden, und der ist mit dem Schlächter hier verwandt. Una Mano lavo la otra, das gilt auch hier“, nörgelte der MG-Schütze Cabano, und Carlos schloss sich an.
„Cagada! Ich würde am liebsten den Turm umdrehen und die Hütte von la Mierda Tiburon einäschern. Mitsamt diesem Baboso corrupto von Coronel!“
Teniente Lopez schwang sich durch die Luke. „Leiser, Leute! Man hört Euch bis Bogota. Aber ich stimme Euch zu. Ich würde auch am liebsten… Was ist das? ALARMA, ALARMA!“ Lange trainierte und tief sitzende Muster übernahmen das Kommando, und Teniente Lopez erweckte gegen seine Überzeugung die Abwehr der Hazienda zum Leben.
○
Colonel Vanessa S. Clark von den Tubeway-Rangern, Kommandantin für Lateinamerika, Staatsanwältin Doortje an de Mool vom internationalen Strafgerichtshof, Senior Chief Agent Joao Augusto Martinez, der für Südamerika zuständige TBI-Chef, Major Thierrie Catteau von den Panzerstreitkräften der GCC und Don Ramon Laurenzio Pablo de la Santa Cruz Virginis, der neu ernannte Verteidigungsminister der kolumbianischen Republik beobachteten die Hazienda des Tiburon y Bahia Moro durch ihre Nachtsichtferngläser. Gestochen scharf, wenn auch leicht in der Farbe verzerrt, konnten sie selbst winzige Kleinigkeiten erkennen. Der Präsident Kolumbiens und Cesar Alexander hatten diesen Einsatz abgesprochen. Nachdem Don Christobal Monoya y Bahia Moro seiner Ämter enthoben wurde, ereilte seinen alten Freund Hernando Gabriel Valdez noch in der selben Stunde dasselbe Schicksal, als el Presidente von der Verlegung der Polizeieinheiten auf die Hazienda des Drogenbosses erfuhr. Seinen Nachfolger schickte das Staatsoberhaupt zur Beobachtung der gemeinsamen Aktion mit, er wollte Informationen und endlich ein wenig Wohlstand ins Land bringen. In Costa Rica funktionierte es auch, also freute er sich über jeden Erfolg gegen die Drogenmafia. Es waren nur so wenige gute Nachrichten, die Kartelle waren bis in die höchsten Stellen vernetzt.
„Wir dürfen nicht mehr still und leise einen Verbrecher ausschalten!“ hatte Christophoro Claudio la Paz argumentiert. „Wenn wir wieder eine Elitetruppe schicken, dann wird jeder glauben, es war eine interne Sache. Ich bitte das TBI, den Strafgerichtshof und sogar die GCC um Hilfe, aber es muss ein harter, öffentlich zu machender Schlag sein. Man muss sehen, dass das Gesetz offen, öffentlich, hart und unbarmherzig zuschlägt, wenn Beweise vorhanden sind und dann ein gerechtes Urteil gesprochen wird. Ich stelle mich hinter die Macht der Vereinten Nationen und des internationalen Strafgerichtshofes und lade internationale Streitkräfte auf unser Territorium ein, um dem Recht genüge zu tun.“ Das war etwa um Mitternacht Ortszeit gewesen, einem gemeinsamen Antrag aus Bogota, New York und Den Haag konnte sich Galacto City nicht verschließen. Sechzehn flugfähige Kampfpanzer, die zweite Kompanie des ersten gemischten Regimentes vom Typ Skorpion, 11,4 Meter lang, 3,94 Meter breit, 3,22 Meter hoch, ein 144 mm Impulsgeschütz, zwei 25,3 mm Desintegratoren, zwei 26,7 mm Thermostrahler und zwei 12,7 Narkosestrahler, dazu im Heck einen Werfer mit sechs Selbstlenkraketen mit panzerbrechenden Sprengköpfen, dem der Panzer seinen Namen verdankte. Sie waren mit starken Energieschilden ausgerüstet, ihre Schwerkraftaufhebung erlaubte Einsätze auf Welten bis zu über der zweihundertfachen Erdschwerkraft, sie erreichten in günstigem Gelände auf den Ketten fahrend bis zu 120 km/k, im geradeaus Flug eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 1,85. Nicht sehr schnell, wenn man andere Fahrzeuge zum Vergleich heranzog, und auch nicht gerade wendig, aber zwanzig Panzer – nun, allein mit den Nebenwaffen konnten sie dem Feind einen Tag gründlich verderben. Die 144 Millimetergeschütze im Turm konnten im Salventakt selbst die Schirme einer Korvette zermürben.
In den Ferngläsern sah man, wie sehr die Hazienda zu einer Festung ausgebaut war. In der Mitte befand sich ein Turm mit einer blauweiß schimmernden Kugel, fast unsichtbare Netze hingen von hohen Masten, sodass selbst ein unsichtbarer schwebender Körper wahrgenommen werden konnte. Von den Gräben und Minenfeldern hatte Evé Barstow berichtet, und dass erst vor kurzem ein flüchtender Indiopeon eine dieser Sprengfallen ausgelöst hatte. Flugabwehrgeschütze und Raketenwerfer waren aufgestellt, die 40 Polizeipanzer hatten einen engen Kordon geschlossen, Infanteristen hatten sich eingegraben, große Scheinwerfer beherrschten den Platz vor den fensterlosen Mauern. El Jefe war scheinbar wirklich auf alles vorbereitet. Oder besser, auf fast alles. Don Ramon blickte auf die Armbanduhr.
„Gleich 5 Uhr 15. Es geht los. DA“, deutete er nach vor.
Zwölf Skorpion-Panzer brachen mit lautem Krachen durch das Unterholz, während die vier anderen hoch über dem Landhaus schwebten und mit ihrer Gefechtsfeldbeleuchtung den Innenhof taghell machten. Um das Anwesen baute sich ein leuchtender Energieschirm auf, Raketen und Kanonenrohre richteten sich aus.
„Gonzalo Gabriel Miro Tiburon y Bahia Moro, hier spricht das TBI! Schalten Sie den Energieschirm aus und werfen Sie alle Waffen weg. Wir verhaften Sie wegen vorsätzlichen Mordes in drei Fällen in Tatmehrheit mit der Herstellung von Betäubungsmittel in nicht geringen Mengen in Tatmehrheit mit dem Handel derselben in nicht geringen Mengen in Tatmehrheit mit Verstößen gegen das Zollgesetz in Tatmehrheit mit Steuerhinterziehung zum Schaden des Kolumbianischen Staates, sowie mehrerer Vergehen gegen die Menschenrechte der Vereinten Nationen“, schallte die Stimme Doortje an de Mools synchron aus den großen Lautsprechern aller Skorpione. Jeder in großem Umkreis konnte hören, wer da warum gekommen war, Kameras zeichneten alles auf, einige Fernsehsender brachten es nun live als ‚Breaking News‘ in viele Wohnungen der Welt. Auch die Antwort, die über Funk aus dem Haus kam, wurde sowohl über die Lautsprecher als auch die Fernsehsender weitergegeben. Sie war kurz.
„Fuck you, Gringos!“
Doortjes Stimme erklang noch einmal. „Ergeben Sie sich, Tiburon. Ihr Haus ist umstellt!“
Gonzalo meldete sich nicht noch einmal, statt dessen Coronel Cortez. „Hier spricht Coronel Cortez von der kolumbianischen Polizei. Verpisst Euch, Gringos! Ihr habt hier keinerlei Rechte oder Befugnisse!“
„Mein Name ist Don Ramon Laurenzio Pablo de la Santa Cruz Virginis, ich bin auf Wunsch des Präsidenten seit dieser Nacht der Verteidigungsminister von Kolumbien, und ich bestätige die Verhaftung!“
*
Die Stimme dröhnte in den Panzern, Teniente Lopez sah Sargento Primera Sabata an, der erwiderte den Blick, dann zuckte er die Schultern.
„Que se joda todo“, sagte der Panzerkommandant. „Möchte jemand aussteigen?“
„NO!“, rief Sargento Cabano laut. „Fuego, Amigo!“ Das Geschütz schwenkte nach rückwärts und oben, zielte auf die Kugel an der Spitze des Turmes und feuerte. Von den vierzig Polizeipanzern schossen 31 auf den Schirmprojektor.
„Por Derecho y Ley!“, schrie der Sargento Primera in sein Funkgerät, und
„Por Derecho y Ley!“ antworteten die Polizisten, ehe sie aufstanden und ihre Waffen auf das Haus richteten.
„Dafür wird man Euch liquidieren“, brüllte der Coronel. „Man wird Euch standrechtlich erschießen, Euch alle, das schwöre ich!“
„Schwören Sie besser nicht, Senor Cortez. Was ich über Sie erfahren habe, reicht aus, um Sie unehrenhaft aus dem Polizeidienst zu entlassen“, erklang wieder Don Ramon. „Bereits 1991 wurden die Rechte der indigenen Bevölkerung in der Verfassung Kolumbiens verankert, seit 2036 sind sie rechtlich den Kreolen und Mestizen gleichgestellt. Es ist an der Zeit, die Verfassung zu beachten!“
Die vier schwebenden Panzereinheiten landeten in dem Hof der Hazienda, zerrissen die Netze, zwei Kompanien Ranger schwebten mit ihren Tornisterflugaggregaten ebenfalls ein. Ein Schauer aus Narkosestrahlen spielte über die Wände, trotzdem noch vorsichtig drangen die Soldaten im Dienste Den Haags vor. Nicht zu Unrecht, denn ab und zu musste noch einer der Söldner in el Jefes Diensten niedergekämpft werden. Teile seiner Streitkräfte verfügten sogar über einen zwar veralteten, aber durchaus noch funktionierenden Körperschirm, dessen Herkunft noch ungeklärt war. Andere hatten einfach Glück gehabt, dass genügend Wände und Metall zwischen ihnen und dem Energiestrahl gelegen hatten. Die Bodycams der Truppen übertrugen pausenlos, die Berichterstatter mussten nur den richtigen Winkel auswählen. Zwei Mal schalteten alle Sender auf die gleiche Kamera. Einmal, als Sergeant Jones Don Gonzalo fand und ihm Handschellen anlegte, das zweite Mal, als der Trupp von Master Sergeant Fernandez die Ehefrau Miljena fand und lauthals nach einem Sanitäter rief. Auch die Wunden und Narben der anderen Frauen und Männer, die eher als Sklaven zu betrachten waren, wurden haarklein dokumentiert und, wenn noch nötig, behandelt, ehe die Bedauernswerten wieder aus der Narkose erwachten. Mit drei Gefangenenshuttles brachte man el Jefe, seine Söldner und den ehemaligen Coronel Cortez nach Den Haag, ebenso Hernando Gabriel Valdez, den ehemaligen Verteidigungsminister. Dort diktierte Doortje an de Mool alsbald die genauen Anklageschriften für jeden einzelnen Angeklagten. Es wurden dicke Akten, denn immer noch galt der Usus, dem Beschuldigten seine Anklage schriftlich, auf Papier, zukommen zu lassen. Der Prozess vor drei Berufs- und zwölf Laienrichtern wurde auf der gesamten Welt mit großer Spannung erwartet. Käme endlich einer der ganz großen Bosse hinter Gitter? Mitsamt den korrupten Politikern und Söldnern?
In Kolumbien verabschiedete sich Senior Chief Agent Joao Augusto Martinez von Don Ramon Laurenzio Pablo de la Cruz Virginis mit einem kräftigen Händedruck.
„Herr Verteidigungsminister. Sie müssen sich klar sein, dass jetzt ein Krieg beginnt. Wir haben das größte Haupt abgeschlagen, in dieses Vakuum werden andere nachstoßen wollen. Das DDD wird ihr Land im Auge behalten und weiter Beweise gegen die Drogenkartelle und ihre Bosse suchen, wem auch immer wir auf die Zehen treten werden! Das verspreche ich Ihnen.“
Don Ramon umklammerte die Rechte des TBI – Agenten mit beiden Händen. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Sieg gegen eine Familia sehen dürfen. Was immer Sie brauchen, Don Joao, sagen Sie es mir, und so ich dazu in der Lage bin, bekommen Sie es. Sie und Ihre Truppen haben mir heute ein großes Geschenk gemacht. Hoffnung!“
Januar 2085
System Reggy
An Bord der HEPHAISTOS
Kono Killikioauewa fühlte sich wohl auf der HEPHAISTOS. Nicht nur, dass sie ebenso viele Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Arbeit und Forschung wie auf Area 51 hatte, die lockere Einstellung auf der Station passte genau zu ihr. Auch wenn sie zugeben musste, dass die prüde, zugeknöpfte amerikanische Art auch schon in vielen Teilen der USA bei weitem nicht mehr so gravierend war, nur der Chef konnte da manchmal ein bisschen eigen sein. Sie grinste beim Gedanken an Bully, der seine Einstellung schnell angepasst hatte, ebenso wie sie die ihre. Er hatte nur später begonnen, aber erst vor kurzem hatte sie den Vice auf dem FKK-Deck gesehen, wie er in der Sonne gelegen hatte. Locker und unverkrampft, als hätte er es nie anders gemacht. Wenn sie an seinen ersten Besuch auf Area 51 zurückdachte, eine große Veränderung. Sie selbst hatte schon auf dem Mond schnell für die Einführung von lockeren Einstellungen zur Kleidung und Leben gesorgt, soweit ‚Wissenschaftler‘ und ‚locker’ überhaupt zusammen passen konnten. Sie selbst war eine Ausnahme, geboren und aufgewachsen war Kono auf der hawaiianischen Insel Moloka’i und hatte den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend im Wasser schwimmend oder auf dem Surfbrett die Wellen reitend verbracht. Selbst auf der Hochschule war sie noch Schwimmmeisterin gewesen, 2076 hatte sie sich mit 20 Jahren zwei Goldmedaillen bei der Olympiade in Paris geholt. Im 200 Meter und im 400 Meter Freistilschwimmen. Sie hielt sie sich weiter fit, auch als sie 2083 die Leitung des lunaren Forschungsinstituts übernommen hatte.
Ihr Faible für Tattoos hatte 2066 begonnen, als ihr Großcousin Georges Hakkakanalilli im Alter von 16 Jahren mit einer nagelneuen Stammestätowierung geprahlt hatte. Damals war sie zehn gewesen und hatte es unfair gefunden, dass man Mädchen diese Zeichen nicht zugestehen wollte. Als wären Mädchen nicht im Stamm, sondern irgendwie außerhalb, als sollten sie außen vor bleiben. Oder als wären sie der Besitz von jemandem und sonst nichts wert, oder so irgend etwas. Sie entwarf ein eigenes Totem, nach traditionellen Vorbildern mit alten Mustern, aber neu zusammen gestellt und noch nicht benutzt, veränderte das Symbol einer Art Stab für den männlichen Penis in ein Symbol wie ein in die Länge gezogenes griechisches Phi, eine Null mit einem Strich darin von oben nach unten, die stilisierte Abbildung einer Vulva. Darum herum noch einige Muster des alten Stammestattoos, nicht mit Zähnen und Spitzen, sondern gerundet, fertig war das neue Zeichen. Mit sechzehn plünderte sie einen Teil ihres Kontos und stellte die Familie vor vollendete Tatsachen. Ihre Oberarme zierten das neue Symbol, das sich als breites, blaues Band um ihren Bizeps schlang. Papa schimpfte, die Brüder rümpften die Nase und brabbelten etwas von ‚neumodischen, blöden Sitten‘, ‚damit findet die doch nie einen Ehemann’, ‚warum müssen Mädchen Männern alles nachmachen’ und ähnliches. Die Mutter heulte vor lauter Scham, weil die Tochter so vulgär war. Die 18-jährige Schwester ihrerseits fotografierte das Symbol sofort und trug es nur drei Tage später selber, bald trugen immer mehr Mädchen das Tattoo mit einigen Abänderungen, je nach Stamm und Sippe. Und immer weniger Männer störten sich daran. Manche Frauen trugen jetzt auch die ‚echten’ Stammeszeichen, ein kleiner Umbruch in den alten Rollenbildern. Selbst einigen Männern rein hawaiianischer Abstammung gefielen die tätowierten Frauen, sie fanden es durchaus anziehend. Keine große Revolution, aber ein Steinchen war losgetreten.
Seither waren bei Kono noch einige Bilder dazu gekommen, auf den Armen, den Beinen, den Händen und Füßen. Auf dem Rücken am Steiß über dem Po ein Symbol, über dessen Bedeutung sie sich ausschwieg, und auf den Schulterblättern die ausgebreiteten Schwingen eines großen Vogels, dessen Körper auf ihrem Rückgrat abgebildet war und der nach oben flog. Vorne war der Rumpf noch nicht verziert, hier war sie der Meinung, ihr Busen müsste Schmuck genug sein. Ihre Meinung war nicht unberechtigt, bisher hatte sie zumindest noch keine Beschwerden gehört. Auch wenn die zwei hübschen nicht sehr groß waren, sie passten einfach harmonisch zu Konos schlanker Gestalt. Auch ihr Hinterteil selbst hatte noch keine Farbe abbekommen, aus dem gleichen Grund, ebenso das ebenmäßige Gesicht mit den großen Mandelaugen und dem vollen Mund hinter der schwarzen, viereckigen Brille.
Nach ihrem Studium der Hyperwellenphysik hatte sie begonnen, Metaphysik zu studieren, weil sie es unsinnig fand, dass man fundierte Erkenntnisse einfach nicht zur Kenntnis nahm und in Zweifel zog. Sie wollte es diesen möchtegern-intelligenten Gehirnwi***ern und pseudowissenschaftlichen Spinnern während der Vorlesungen so richtig zeigen. Die Spinner zeigten es ihr, die Fragen erschienen ihr immer sinnvoller und wichtiger. Warum, weshalb, wie? Wenn sie glaubte, eine Antwort ganz genau zu wissen, kam die Frage ‚und vorher?‘ ‚und warum passiert das genau so?‘ ‚was geschieht, wenn man es anders macht?‘ Alles, wirklich alles wurde von den Kommilitonen in Frage gestellt, nichts galt als gesichert. Die zuerst idiotisch klingenden Fragen wie etwa: ‚wenn bei einer Transitation in einem Transmitter der Körper entstofflicht und am Zielort re-materialisiert wird, werden die Atome durch den Hyperraum transportiert oder nur die Information, und der Körper entsteht aus örtlich bereits vorhandenen Teilchen? Ist es dann noch dieselbe Person, wenn nur Informationen transitieren? Wenn die Atome transportiert werden, wie weiß welches Atom oder Molekül, wo es hingehört, oder werden sie einfach passend zusammengestellt? Ist das Hornmolekül in meinem Fingernagel vor der Transitation in meinem großen Zehennagel gewesen? Wandert dann ein etwaiger Fußpilz vielleicht vom Fußnagel auf die Finger? Wenn es nach der Transitation wirklich dieselbe Person sein sollte, was macht diese Person denn dann eigentlich aus? Die Atome? Das Bewusstsein? Was ist der Sitz des Bewusstseins? Sind wir hier wieder bei einer spirituellen, unsterblichen Seele? Hat das Ganze nicht etwas von den fernöstlichen Reinkarnationslehren gemeinsam? Gibt es ein übergeordnetes ordnendes Prinzip, eine verbindende, lenkende Energie, unabhängig von der Frage, ob diese Macht Bewusstsein hat oder vielleicht doch nicht? Ach, die kleine Miss Ich-weiß-alles-und-Naturwissenschaft-beantwortet-jede-Frage hat hier keine Antwort parat? Keine Formel, mit der sich das Bewusstsein errechnen lässt?‘ Zuerst hasste sie es, trotz aller beginnender Faszination, später liebte sie das Spiel. Und fand Antworten mit der Naturwissenschaft, die sie ohne das ewige Hinterfragen und in-Zweifel-ziehen nicht einmal ansatzweise in Betracht gezogen und gesucht hätte. Zum Schluss wurde sie Anhängerin der sokratischen Schule und fand genau deshalb Lösungen für Rhodans Wünsche nach technischem Fortschritt.
Im Alter von 24 Jahren, mit zwei Doktortiteln vor dem Namen, hatte sie sich bei der GCC beworben, und dann fing das Lernen von vorne an. Es war Kono leicht gefallen, den frei zugänglichen Teil der Hyperwellenphysik zu studieren, und Metaphysik hatte sie ‚so im vorbeigehen‘ mitgenommen, jetzt kam die Herausforderung. Sie sollte forschen und nebenbei noch einige Dinge lernen, die ihr nach dem Studium am MIT noch fehlten, denn nicht alles Wissen wollte die Company der ganzen Welt mitteilen. Teilweise aus der nicht ganz unberechtigten Furcht vor Missbrauch der Technologien, teilweise natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen. Immerhin musste sie, um weiter möglichst hohe Gewinne zu machen, der Konkurrenz immer einen Schritt voran bleiben. Besonders in der Hyperenergietechnik und im Reisen schneller als das Licht hatte die General Cosmic noch einige Geheimnisse, um ihren sowieso schon ein wenig geschrumpften Vorsprung auf Terra noch ein wenig länger zu halten.
Drei Jahre später wurde sie zu einem Gespräch eingeladen, ein Mann, der sich als John Marshall vorstellte, wollte von ihr einiges wissen. Über ihre Pläne, ihre Träume, wie sie ein Institut organisieren würde, ihre Einstellung der Erde und der GCC gegenüber. Das Geplauder war sehr allgemein gehalten, sie hielt mit ihren Meinungen nicht hinter dem Berg. Kono wusste, dass sie in ihrem Job gut war und konnte sich Ehrlichkeit leisten, später erfuhr sie von der besonderen Begabung John Marshalls. Sie wurde nachträglich noch rot, denn John hatte ihr ganz gut gefallen, und in den Gesprächspausen war kurz die Phantasie mit Kono Killikioauewa durchgegangen. Und dieser Telepath hatte nicht einmal eine Mine verzogen und ihre Träume ignoriert, er hatte sie wieder weg geschickt, um ihre Arbeit fortzusetzen. Nur wenige Tage später hatte man ihr allerdings das Angebot gemacht, die geheimste aller geheimen Forschungszentren als Leiterin zu übernehmen. Sie war etwas über 27 Jahre alt und nahm das Angebot mit Begeisterung an.
Auf dem Mond angekommen studierte sie die Akten der Akademiker und Forscher. Seit Jahren hatten sie, mit drei löblichen Ausnahmen, keinen einzigen Fortschritt auf ihren Gebieten mehr gemacht, sondern teilweise neue Gedankenansätze eher blockiert. Kono setzte sich mit Homer G. Adams und Allan D. Mercant in Verbindung. Mit dem Einen, weil sie unbedingt Ballast abwerfen wollte und musste, mit dem Anderen wegen der Frage, wie man es ohne Gefahr für die Geheimhaltung machen konnte. Ein Hypnoblock war hier das Mittel der Wahl, die Betroffenen konnten sich zwar an alles erinnern, es aber niemandem mehr mitteilen. Eine entsprechende Gratifikation versüßte diese Einschränkung, dann mussten sich die ehemaligen ‚Lunies‘ wieder auf dem freien wissenschaftlichen Feld bewähren. Für manchen der Wissenschaftler wurde das eine echte Herausforderung, die Forschungsmittel flossen nicht mehr einfach so, ohne konkrete Planung und zumindest kleinen Erfolgen. Danach reichte Kono Killikioauewa eine Liste von zwanzig Kandidaten bei Allan Donald Mercant zu einer Sicherheitsüberprüfung ein, die sie gerne für das Forschungszentrum gewonnen hätte. Spinner und Freigeister wie sie selber, denen Fragen und neue Erkenntnisse schon um ihrer selbst willen wichtig waren. Die keinen Posten wollte, um rasch ein paar Lorbeeren einzufahren und das einmal Erreichte danach mit Zähnen und Klauen fest zu halten und den Fortschritt eher zu blockieren als zu fördern. Dazu noch zehn Konservative, welche Bereitschaft zeigten, das Neue zu diskutieren und die Höhenflüge mit dem Boden zu verbinden. Es funktionierte im großen und ganzen ganz gut, denn bei allen nötigen Fähigkeiten, eine davon war Kono extrem wichtig – die soziale Verträglichkeit. Einsiedler sein war in Ordnung, aber die Einstellung ‚ich bin das Genie und ihr seid zu blöd, mich zu verstehen’ sorgte für drei Entlassungen, die ebenso rasch erfolgten wie zuvor die Einstellung.
Gleichzeitig verringerte die kluge Hawaiianerin auch das nichtakademische Personal um beinahe drei Viertel und kürzte den übertriebenen Luxus, den ihr Vorgänger so geliebt hatte.
„Ich brauche doch keine vier Dienstboten, die mir den Arsch abwischen und rund um die Uhr auf meine Befehle warten“, hatte sie gerufen, als sie die Aufstellung der Bediensteten auf der Station sah. Persönliches Personal wurde rigoros gestrichen, kein Butler, kein Dienstmädchen mehr. Die Wissenschaftler, die blieben, nahmen es zur Kenntnis, es waren doch nur drei, und zwei hatten bisher schon darauf verzichtet. Bis auf Josh, aber auch er fügte sich ohne großes Murren dem neuen Reglement.
Die ersten neuen Wissenschaftler trafen ein und übernahmen ihre Labore, bestellten modernere Einrichtung und fragten nach besseren Rechnern. Homer Gershwin Adams, der ewige Centzähler, genehmigte eine moderne picotronische Neuronik ‚nach Maß’.
„Manchmal muss man gutes Geld schlechtem hinterher werfen“, brummte Adams, dann unterschrieb er den Scheck für Starlight Enterprises. Der Rechner kam nur Tage später und schlug mit seiner Rechenleistung alles vorher da gewesene. Nach Crests Vortrag war sie doppelt froh, NATHAN als Kollegen behandelt zu haben und so in Zukunft eine Person, die nie müde wurde, in ihrem Team zu haben.
Kono machte ihrer Arbeitsgemeinschaft einige Regeln von Anfang an klar.
„Wir brauchen Enthusiasmus, Leute“, hatte sie auf der ersten Versammlung gesagt. „Enthusiasmus und ein paar Erfolge. Ich für meinen Teil möchte nicht wie die Made im Speck leben, ohne etwas tun zu müssen. Natürlich kann man wissenschaftlichen Fortschritt nicht erzwingen, manchmal muss man eben sehr viele Frösche küssen, um einen Prinz zu finden. Aber wenn man keinen Frosch küsst, wird nie so ein Blaublut erscheinen. Also, dreht Steine um, küsst Frösche, bis Eure Lippen wund sind, und bringt mir zumindest einen Baron, wenn es schon kein Prinz ist.“ Ein leises Kichern ging durch die Reihen der jungen Frauen und Männer. „Was mich zum nächsten Punkt bringt. Einige werden sich gewundert haben, dass unter uns einige Leute im Arbeitsdress der technischen Abteilung sind. Das ist der Beginn einer neuen Tradition, denn ab sofort nehmen auch nichtakademische Techniker an unseren Besprechungen teil. Manchmal liegt die Lösung eines Problems nicht nur in der Mathematik und der Infinitesimalrechnung, sondern auch in der Mechanik. Und daher möchte ich auch Praktiker von Anfang an mit dabei haben. Bobby Heinlein hat einmal gesagt, dass technische Projekte, die auf dem Reißbrett perfekt aussehen, immer noch den Tod des Testpiloten herbeiführen können. Er brachte das Beispiel einer Kontrolltafel, die nicht mehr erreicht werden konnte, wenn sich der Operator im seinem Sitz festschnallen musste oder größere G-Kräfte auf ihn einwirkten. Ein weiteres kleines Beispiel aus den Anfängen des Überschallfluges, eine Art Legende über den besten Testpiloten seiner Zeit. Ja, es ist lange her. Die Firma Bell hatte die X1 gebaut, raketenbetrieben, wurde von einer B 52 abgeworfen. Ein großer Langstreckenbomber mit Nuklearwaffen aus der Zeit des kalten Krieges, Jules. Na gut, man wandte sich an den tollkühnsten Testpiloten, Chuck Yeager hieß der Typ. Einige Halter von Geschwindigkeitsrekorden hatten schon abgesagt, weil die Versuche des Durchbrechens der Schallmauer bisher immer zum Verlust von Maschine und Pilot geführt hatten. Yeager wollte aber unbedingt den Dämon, der bei Mach 1 wohnte, herausfordern. Am Tag vor seinem Flug prellte er sich die Schulter und konnte daher die Kanzel nicht verriegeln. Man konnte nicht einfach mit der Linken über den Körper greifen und einen Hebel umlegen, man musste mit der Rechten hoch greifen und mit Wucht die Kanzelhaube herabziehen, damit sie einrastete. Chuck hatte Angst, man wolle ihm den Flug verbieten und fragte so nur seinen Freund um Rat. Die Lösung war, so will es die Legende, ein unterarmlanges Stück von einem Besenstiel. Und dann forderte Chuck Yeager mitsamt der geprellten Schulter den alten, mörderischen Dämon heraus und ließ mit der X 1 als erster Mensch den eigenen Schall hinter sich zurück. Also, behandelt die Praktiker gut, Leute, vielleicht braucht ihr einen Besenstiel für einen neuen Rekord. Euer Flug und vielleicht Eure Gesundheit könnten von der Idee eines Nichtakademikers abhängen. Abgesehen davon ist es einfach elementare Höflichkeit, und ich wünsche mir ein entspanntes, höfliches Klima, in dem sich jeder, und ich meine wirklich jeder, wohlfühlt. Gehen wir an die Arbeit!“
Sie hatten einige Erfolge erzielt, im Area 51. Nahrungsmittel aus der Retorte, die sogar ganz gut schmeckten und alles für das Leben nötige enthielten etwa. Das Kanonenboot hatte ein Praktiker zusammengestellt, es enthielt keine neue Technik, nur Verbesserungen der alten, jetzt bedurfte das Model wieder einer technischen Überarbeitung, es gab diese ganz neuen Energiesysteme. Der Abfangjäger II Falcon, die verbesserte Ausführung des Sternenfalken. Die Mantis-Drohne, den Infanterieanzug, die Angriffsdrohnen als Antwort auf fehlende Jagdpiloten. Oh ja, Kono war durchaus zufrieden mit dem, was ihr Institut geschaffen hatte. Und jetzt war sie hier, auf der HEPHAISTOS, der Metall gewordenen Erfüllung vieler ihrer Träume. Sie genoss es, wieder ausgedehnt schwimmen zu können, um den Kopf klar zu bekommen, so groß war das Becken auf dem Mond einfach nicht. Es war fast wieder wie zu Hause, nur leider ohne die Wellen, die man reiten konnte. Auf der Nachfolgestation war ein Wellenkanal geplant. Kono war neugierig, sie hoffte auf einen weiteren Besuch. Lächelnd duschte sie lange und genussvoll, zog sich ihr Tank-Top und die Hotpants an, schlüpfte in hochhakige Sandalen und machte sich zur Besprechung auf.
○
Ein Asteroid schwebte in einem Fadenkreuz, ein kuppelförmiger Energieschirm wölbte sich schimmernd über seine Oberfläche. Plötzlich, aus dem Nichts, erhellte ein grelles, purpurrotes Blitzen den Bildschirm, auf dem Asteroiden war ein rund 1.200 Meter durchmessender und sechshundert Meter tiefer Krater mit absolut glatten Wänden zu sehen. Kein Schutzschirm mehr, keine Maschinen, nichts außer einer perfekten hohlen Halbkugel im Fels.
„Das ist der bislang letzte Versuch!“ Kono Killikioauewa zeigte auf den Bildschirm. „Dieses Ereignis tritt ein, wenn wir die Konverterkanone mit voller Energie feuern lassen, welche die Bauteile der Kanone vertragen. Das selbe Ergebnis wie bei unserem ersten Test, aber dieses Mal waren wir besser vorbereitet, unsere Kameras sind etwas weiter weg aufgestellt gewesen und hatten eine rasche Abblendautomatik. Hier die Zeitlupe.“
Eine spiralige Energiestruktur, die optisch an ein Nordlicht erinnerte, raste durch den Raum, traf auf den Schutzschirm, purpurnes Licht flackerte hell auf, dann war nur noch der Krater zu sehen.
„Das waren jetzt 50.000 Bilder in der Sekunde. Noch langsamer! Wir sind jetzt bei 500.000 Bilder in der Sekunde.“ Die Energiestruktur bewegte sich weit langsamer, von der Auftreffstelle ausgehend umschlossen purpurne Energiefinger den Schutzschirm, diese Strahlen aus den wabernden Energien weiteten sich zu einer Kugel, die zusammenbrach. Der Teil des Asteroiden mit dem Schirmprojektor schien mit rasender Geschwindigkeit davon zu fliegen.
„Moment!“ Bull sprang auf. „Dieses Stück Fels kann doch nicht durch den Rest des Asteroiden fliegen!“
„Warten Sie ab, Bully!“ Leslie Myers lachte leise. „Sie werden noch mehr staunen! Wir spielen jetzt die nächste Kamera ein. 500.000 Bilder!“
„NEIN!“ Thora prallte zurück. „Wenn das kein Trick ist, dann fliegt das Fragment auch hier von der Kamera weg. Wie… zeigen Sie doch bitte die anderen Blickpunkte. Überall das gleiche?“
„Überall!“ Asante N’Diaye schaltete durch die Sequenzen, von jeder Kamera schien sich der Stein linear fort zu bewegen. „Wir haben keine Ahnung, wo diese Versuchsanordnung hin verschwindet. Wir haben einen starken Hypersender mit autarker Energieversorgung an dem Asteroiden untergebracht. Nichts, kein Empfang. Wir messen auch keinen Transit irgendwelcher Art an. Es ist ein ungelöstes Rätsel. Ihre Kanone lässt den Feind verschwinden, Admiral, aber ob und wo er wieder erscheint? Bisher noch nicht einmal die Spur einer Idee!“
„Wir haben noch ein überraschendes Rätsel!“ Leslie Myers startete erneut eine Filmvorführung.
„Das haben wir doch eben gesehen!“ sagte Bull.
„Haben Sie?“ Kono Killikioauewa stützte ihr Kinn auf ihre verschränkten Hände. „Sehen Sie auf den Index, Bully!“
„Fünf Millionen Bilder in der Sekunde?“ schrie Reginald Bull fassungslos auf. „Das sieht kein bisschen langsamer aus als vorher! Wie…? Was…?“
„Darum sprach ich von einem weiteren Rätsel, Bully!“ Leslie lehnte sich zurück und warf ihr Pad auf den Tisch. „Meine Intuition lässt mich hier noch ein wenig im Stich! Nada, nichts, keine wie auch immer geartete Theorie!“
„Sie haben gesagt, bei voller Energie. Was ist mit halber? Ein kleineres Loch?“ fragte Atlan neugierig.
„Nein, Admiral. Kleiner oder größer als 1.200 Meter rund um den Schirmprojektor schaffen wir es nicht. Es gibt eine winzige Schwankungsbreite in der Energiezufuhr, in welcher dieser Effekt eintritt. Darunter, nicht dieser Effekt, darüber verschmorte Kanone.“ Kono Killikioauewa streckte ihren Rücken durch, Asante N’Diaye übernahm die weiteren Ausführungen.
„Wir haben versucht, andere, belastbarere Teile mit ansonst gleichen Eigenschaften einzubauen. Es war frustrierend, denn es funktioniert nicht, das Teil zerschmilzt weiter. Wir stehen vor einem Rätsel.“ Kono stand auf und ging ein wenig auf und ab.
„Der Effekt funktioniert unabhängig von der Stärke des Schirmes, sollte ich noch dazu sagen. Das Ergebnis ist immer genau das gleiche. Alle Materie innerhalb eines gewissen Durchmessers, und zwar exakt 1.210,62439 Meter, rund um den Schutzschirmprojektor ist einfach – weg! Es sei denn, sie wird durch einen unserer neuen Schirme geschützt, dann muss man die Kanone umstellen. Dafür haben wir ein Schaltelement gut versteckt installiert, aber wenn die Umstellung erfolgt, schützt wiederum der alte Schild, sie können gleichzeitig aufgebaut werden.“ Atlan schluckte trocken.
„Jetzt verstehe ich Bully! Das ist eine beinahe ultimative Waffe!“
„Nicht ganz, Admiral.“ Leslie Myers legte ihre Fingerspitzen aneinander und legte sie die Lippen. „Es dauert zum Beispiel 4,8241 Sekunden, bis die Kanone nach dem Schuss wieder bereit ist. Klingt nicht nach viel, ist aber sehr viel langsamer als alles andere, das Schiffe aufbieten können. In fünf Sekunden kann es sein, dass sie viele Treffer einstecken müssen. Und es ist unmöglich, mehr als eines dieser Geschütze pro Schiff zu installieren, näher als etwas mehr als einen halben Kilometer, um genau zu sein, 605,312 Meter im Umkreis darf kein zweites Geschütz stehen. Sonst geschieht nichts. Gar nichts, egal wie viele Stecker und Kabel wir mit dem Stromnetz verbinden.“ Die Runde lachte kurz auf, Christian Hawlacek verbeugte sich grinsend.
„Dann habe ich die Möglichkeit, sechs auf der HEPHAISTOS unterzubringen.“ überlegte Tana laut. „Und zwei auf den Schiffen der GIULIA Klasse.“
„Auch auf der STARDUST-Klasse wären zwei immerhin theoretisch möglich“, rechnete Bully vor. „Da bleibt sogar noch etwas Spielraum.“
„Und zwölf auf der VULCANUS.“ fügte Chris hinzu.
„Auch die drei Forts im Erdorbit können je 6 tragen, wenn sie einmal alle fertig sind“, warf Kono ein. „Bisher gibt es ja erst eines, das zweite ist aber beinahe fertig.“
„Wie soll denn das erste heißen?“ fragte Victoria ihren Vater.
„Fort John Fitzgerald Kennedy!“ antwortete Perry Rhodan. „Nach ‚wir werden noch dieses Jahrzehnt den Mond erreichen, nicht weil es leicht, sondern weil es schwer ist’ J.F.K. Der ‚frag nicht, was Dein Land für Dich tun kann, frage was Du für Dein Land tun kannst’ Kennedy. Und das zweite wird Fort Sergei Pawlowitsch Koroljow heißen. Ohne dessen Konstruktionen hätte von Braun niemals die Redstone-Rakete erschaffen können.“
„Und was geschieht denn nun wirklich, wenn man weniger Energie einsetzt?“ unterbrach Atlan das Gespräch und kehrte damit wieder zum Thema Konverterkanone zurück.
„Im Prinzip das, was uns Kono beim ersten Mal erzählt hat. Zuerst schmort der Wandler der Schirmgeneratoren durch, mehr Energie, sämtliche Sicherungen schmelzen, noch mehr, die Magnetfelder der Meiler brechen zusammen, die Antimaterie wird freigesetzt.“ Leslie bewegte ihre Hände auseinander „BUMM! Aber – sehen Sie doch selbst!“ Wieder erschien das Polarlicht, rotes Schimmern breitete sich aus, auf dem Bildschirm war zu sehen, wie aus dem Energiekonverter der Schildanlage meterlange Blitze schlugen, fast meinte man, das Ozon riechen zu können, der energetische Schild erlosch. „Stärke: 1 APC. Also, ein einzelner Angelpower-Converter. Die Schildanlage entspricht einer Stärke, wie ihn ein 200 Meter schwerer Kreuzer der arkonidischen Flotte führt. Jetzt schalten wir einen zweiten APC dazu.“ Das Polarlicht traf auf den Schirm, der Konverter erhitzte sich und begann rot zu glühen, auf einem zweiten Bildschirm hüllten blaue Überschlagsblitze das Sicherungsgehäuse der Energieversorgung ein. „Diesen Effekt bei einem 800 Meter Schlachtschiff der Tussan-Klasse erreichen wir mit 20 APC, für die Fusuf-Klasse reichen schon zehn. Jeweils die Hälfte, wenn wir nur den Schild beseitigen wollen.“
„Wieviel Energie benötigt man, um bei einer Tussan-Klasse die Antimaterie frei zu setzen?“ fragte Bully.
„40 APC“, informierte Leslie die Runde. „Komplette Vernichtung durch Annihilation.“
„Und den Auflösungsprozess?“ Atlan lehnte sich vor.
„Mit 100! Der Platz dafür beträgt 150 x 50 x 50 Meter plus Abschirmung, unabhängig von der Größe des Ziels. Kono Killikioauewa grinste. „Leider keine Waffe für kleine Schiffe, trotz Angelpower.“
Bully grinste. „Also mir reicht es, wenn die Schirme zusammen brechen. Dann kann man immer noch etwas mit den Wracks anfangen, wie weiland wir und die Ferronen nach der Schlacht um Wega! Und dafür kann man die Kanone auch in ein kleineres Schiff einbauen.“
„Oder in ein Flottillenflaggschiff“, spann Rhodan die Idee weiter.
„Allerdings hat unser Neuzugang in den Feldforschungslaboren eine mehr als interessante Theorie aufgestellt, was den Effekt bei Einsatz der vollen Energie, welche die Kanone verträgt, also 100 APC, betrifft“, ergriff Asante N’Diaye das Wort. „Miss Ashyagada aus Namibia hat zum richtigen Zeitpunkt eine tolle Idee gehabt, auf die ich nie gekommen wäre, mein Kollege an der Universität Windhuk hat mir ihren Aufsatz zukommen lassen. Die Formel weist noch einige Fehler auf, das hat sie in ihrem Exposé auch dargelegt, aber wenn sie recht hat – und nichts spricht dagegen, ganz im Gegenteil – dann haben wir es hier tatsächlich mit einem dem Transmitter ähnlichen Prinzip, aber ohne komplette Entmaterialisierung zu tun.“ Asante rief eine Formel auf, die vor jedem in der Luft zu schweben schien, eine Unzahl von Symbolen und Buchstaben in verschiedenen Schriften. Zwei Lücken sprangen allerdings ins Auge.
„Was…?“ Ratlosigkeit spiegelte sich auf allen Gesichtern wieder.
„Was der fertige Teil der Formel, den wir bisher haben, bedeutet? Nun, man muss nur die richtigen Koordinaten wissen, das Feld richtig ansteuern und kann den Gegenstand egal wo auch immer rematerialisieren lassen. Eine Art Fiktivtransmitter ohne komplette Entmaterialisierung. Der Körper wird nicht entstofflicht, sondern in einem Stück zu einer halbpseudomateriellen Semihyperwelle transformiert und mit regelbarer Geschwindigkeit transportiert. Ich gestehe, besser kann man es nicht ohne diese endlosen mathematischen Gleichungen erklären.“
„Was ist der Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Transmitter?“ fragte Perry Rhodan.
„Außer, dass man keine Gegenstation benötigt, was ja schon für sich gesehen ganz praktisch wäre? Ein Antrieb ohne lange Berechnungen, aber beinahe ebenso schnell wie eine Singularitäts-Transitation, aus dem ‚Stand‘, ohne zuerst Fahrt aufzunehmen? Oder pseudoentstofflicht aus dem Einstein-Universum gedreht abwarten und ungesehen beobachten, ohne große Entfernung zurück zu legen. Transport von Gütern und Menschen von einem Planeten zum anderen, dieser Erweiterung der Formel nach…”, ein Teil der Symbole und Zeichen wurden rot dargestellt, „…funktioniert es mit einer Empfangsstation sogar mit einem minimalen Energieverbrauch. Sie gehen durch eine Tür und stehen auf First, gehen durch ein Tor und sind in Galacto City. Oder sie nehmen in Galacto City auf dem Tubeway den Abzweiger Berlin und fahren fünf Minuten später in Deutschland wieder auf, suchen sich die Ausfahrt Neu Elsass und parken wieder fünf Minuten später vor dem Administrationsgebäude. Die Strecke in Berlin und auf Neu Elsass mit eingerechnet. Stellen Sie sich vor, was das für den Warenverkehr bedeutet, für den Transport und Reisen wären alle unsere Welten wie eine einzige. Kein Umsteigen, kein Umladen. Ohne Zeitverlust, ohne Schmerzen, ohne Ortung durch andere Stationen. Alle unsere Welten wären einen Schritt entfernt. Ein Teil der Gleichungen könnte auch auf einen temporären Aspekt hindeuten.“
„Oh!“ Perry lehnte sich zurück. „Das wäre – eine große Hilfe. Bitte, fahren sie fort!“
„Es gibt nichts zum Fortfahren, Sir. Bisher haben wir nur eine Theorie, eine unvollständige Formel. Und die Technik der Konverterkanone, die diese Theorie zu bestätigen scheint. Wir arbeiten aber selbstverständlich weiter daran! Und wenn es soweit ist, fragen sie nicht mich, sondern Miss Ashyagada. Ich verstehe die Formel nämlich etwa nach der vierten Zeile selber nicht mehr.“ Leslie war während des Vortrages bleich geworden.
„Ich glaube, ich weiß jetzt, wo das Ziel bleibt. Entweder an Ort und Stelle, aus dem Einsteinuniversum gedreht, oder mit rasender Geschwindigkeit unterwegs zum Rand des Universums.“
„Ist das Universum nicht unendlich?“ fragte Bully, und Kono grinste. „Wo ist der Beweis? Und wenn, dann dauert die Reise unendlich lange. Ob man von dort in unsere Welt sehen kann?“
*
Besagte Miss Ashyagada saß in ihrem Arbeitszimmer, hatte die langen, endlosen Beine auf den Tisch gelegt und starrte die Formel an, die der Computer auf den wandgroßen Touchscreen projizierte.
„Wo bist Du? Wo versteckst Du Dich?“ fragte sie in die Luft. Sie hatte ihren Laborkittel aufgeknöpft, mit ihren schlanken, langen Fingern trommelte sie rhythmisch auf ihrem bloßen Bauch. Eins-zwei–drei–vier–fünf–sechs-eins-zwei–drei–vier–fünf–sechs-eins-zwei… Die Symbole und Buchstaben der Formeln begannen ein Eigenleben, verwandelten sich in das Bild einer kargen, trockenen Steppe…
○
„Laryana! Ashyagada!“ hallte eine Stimme auf. Die beiden achtjährigen, mageren Mädchen liefen, mit einem Lendenschurz bekleidet, durch das Dorf. Sie waren wie Schwestern, obwohl ihre Mütter nicht verwandt waren. Sie wohnten nur neben einander, und die Frauen teilten sich die Aufsicht über die stets neugierigen kleinen Mädchen.
„Zeit fürs Wasserholen!“ Laryanas Mutter drückte den beiden Mädchen je zwei Fünfliterkanister in die Hand, und sie liefen los, gemeinsam mit dem Bruder Ashyagadas, der mit seinen fünfzehn Jahren schon einen Speer besaß und an einem Tragegurt zwei Zehnliterbehälter trug und einigen anderen Mädchen und jungen mit Speeren bewaffneten Männern. Die Wasserstelle war einen fast anderthalbstündigen Fußmarsch entfernt, eine alte, verrostete Handpumpe auf einer aufgelassenen Farm, dann wieder anderthalb Stunden zurück. Jedes der Mädchen schleppte zehn Kilo mit sich, der Bruder 20 wie alle anderen Männer. Es war Schwerstarbeit, aber absolut nötig, denn Mensch und Tier benötigten das Nass zum Überleben. Und die Menschen des Stammes waren froh, es überhaupt zu bekommen. Einmal hatte die Pumpe kein Wasser mehr gegeben, Magamumbu hatte einige Zeit gebraucht, bis das Geld für Ersatzteile verdient war, die Frauen sahen es nicht gerne, wenn Männer in der Stadt arbeiteten. Sie wehrten sich aktiv gegen zu große Veränderungen der Lebensweise, aber natürlich konnten sie sich der Notwendigkeit einiger Neuerungen nicht ewig verschließen.
Dann kamen weiße und silberne Männer, die hohe Türme bauten und ein ovales Rohr darauf verlegten. Der Anführer sprach viel mit Laryanas Vater, dem Headman des Stammes, und noch mehr mit ihrer Mutter, die ihm die Umgebung zeigte und dem Weißen erklärte, wie die Himba lebten und wie sie leben wollten. Der machte viele Vorschläge, die von Laryanas Mutter mit Einwänden und Gegenvorschlägen beantwortet wurden. Sie einigten sich, die Weißen ließen von ihren silbernen Metallmenschen viele Teiche und Seen ausheben und überspannten diese Wasserflächen entlang der Röhre mit vier Kilometer durchmessenden und an der höchsten Stelle 250 Meter hohen Kuppel aus einem Material, das man nicht sehen konnte, außer des Nachts, wenn es kühler wurde und das tagsüber verdampfte Wasser an der Innenseite kondensierte, die Tropfen in langen Spuren abwärts rannen, bis sie sich lösten und wie Regen zu Boden fielen. Auf diesen über 12 Quadratkilometer großen Gebieten hatten die Stämme genug Weidegründe für ihre Rinder und für den Anbau von ein wenig Mais oder Hirse, dazu jederzeit frisches Wasser in den Häusern, welche die Himba selber um die Wasserleitung bauen wollten. Nicht aus Stahl oder Beton, sondern aus den traditionellen Baustoffen, die sie selbst herstellen konnten. Lebende Materialien, wie die Himba es nannten. Die Fremden zeigten den Stämmen auch, wie man die Kuppel verlassen und betreten konnte, um zu jagen, dazu noch, wie man mit der Bahn fahren und andere Dörfer besuchen konnten. Fast alle Frauen und die meisten Männer waren zufrieden, zur traditionellen Lebensweise zurückkehren zu können, ohne in der Stadt arbeiten zu müssen. Auch wenn sie sich verpflichteten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Weiter nach Nord und Süd konnten die Fremden nicht bauen, es blieb bei der einen Linie von Ost nach West durch das Kaokoveld, die Regierung in Windhuk hatte einmal eine Strecke abgesegnet, vielleicht später mehr.
Die Fremden hinterließen den Himba noch ein weiteres Geschenk. Auch zwischen den Dörfern waren Wasserstellen angelegt worden, die allmählich den Streifen nördlich und südlich der Röhre in grünes, wildreiches Land verwandelten. Dass auch Löwen, Hyänen und andere Raubtiere kamen, störte die Himba nicht. Jagen war nun einmal riskant, na und? Das war nichts Neues, nichts Besonderes, man konnte ja auch ohne Jagd von einem Rhinozeros, einem Elefanten oder einer Büffelherde auf der Flucht getötet werden. Man musste sich eben da draußen in Acht nehmen. Zumindest Wasser musste niemand mehr von weit her holen, eine große Erleichterung, auch was die Gefahr anging. Die Fremden waren bald weitergezogen, kaum einen Mond hatten die Arbeiten mitsamt den Gesprächen mit der Mutter gedauert. Sie mussten noch viele Abschnitte bauen, sagten sie, bis nach Botswana, wo eine große Nord-Süd-Straße gebaut wurde. Vom Meer ganz weit im Norden bis zum Kap unten im Süden. Laryana und Ashyagada hatten einige der Männer ständig mit Fragen gelöchert, warum sie dies, weshalb sie das machten. Diese Männer hatten den Mädchen erzählt, in Palmwag gäbe es eine Schule. Eine große Schule, in der man die Antworten zu allen Fragen wusste, nun lagen die Mädchen außerhalb des Dorfes auf dem Rücken im Gras und betrachteten die Sterne.
„Keine Fußmärsche mehr, um Wasser zu holen!“ Ashyagada zupfte an ihrer Frisur.
„Keine gefährlichen Tiere mehr!“ Laryana hob die Beine und strampelte damit in der Luft. „Lass uns die Mütter fragen, ob wir nicht zur Schule gehen dürfen.“
Ashyagada zeigte zum Mond. „Die Weißen haben gesagt, dass der Mond aus Steinen ist, so wie die Berge im Norden.“ Laryana nickte. „Und dass die Sterne wie unsere Sonne sind, und dass um diese Sterne ganz viele Planeten wie der, auf dem wir stehen, kreisen.“ Wieder nickte die Freundin, Ashyagada seufzte. „Eines Tages, Laryana, eines Tages werde ich dort hinfliegen.“
Laryana erschrak. „Fort von hier? Von unserem Land, dort ist doch alles ganz anders.“
Ashyagada drehte sich um und sah Laryana mit funkelnden Augen an. „Gerade deswegen will ich ja dahin! Weil es dort anders ist!“
„Nein, ich will lieber hier leben und eine Himba bleiben.“ rief Laryana.
„Oh!“ Ashyagada legte sich wieder auf den Rücken. „Eine Himba werde ich auch bleiben. Immer! Trotzdem will ich reisen, und ich werde es tun!“
○
„Na schön!“ Ashyagada schloss ihren Kittel wieder und redete mit dem Bildschirm. „Heute werde ich dich nicht mehr finden. Aber ich weiß, dass du da bist. Und irgendwann bekomme ich dich heraus, dann werden wir die Formel perfekt vor uns haben. Bisher habe ich noch jeden Fehler gefunden.“ Vor dem Labor zögerte sie nur kurz, ihr Magen knurrte, laut und vernehmlich. Kurz hob sie die Arme und schnupperte an ihren Achselhöhlen, der Geruch hielt sich noch in Grenzen. Rasch noch ein wenig mit einer Zimtstange, die sie immer in der Tasche ihres Kittels hatte, darüber gerieben, damit es ja niemand auf dem Weg zum Strip störte. Sie wollte noch rasch auf einen schnellen Snack, ehe sie nach Hause unter eine schöne, lange Dusche ging.
Am Strip gab es Tag und Nacht geöffnete Lokale, irgendwo war immer etwas Essbares aufzutreiben. Doch Ashyagada liebte besonders einen bestimmten Imbiss, und der lag natürlich am Nacktbadeteil des Strandes. Hier konnte sie alle Kleidung ablegen, wie gewohnt herumlaufen und niemand störte sich daran. Sie hatte nicht prinzipiell etwas gegen Kleidung, und allmählich hatte sie auch eine Anzahl davon in ihrem Schrank hängen, dazu für einige formelle Anlässe Uniformen und einen Raumanzug. Aber ohne alles fühlte sie sich einfach am wohlsten, und damit war sie bei weitem nicht allein, also besuchte Sie diesen Bereich der HEPHAISTOS gerne und oft. Sie breitete ihr Handtuch auf einen Stuhl, setzte sich nieder und entspannte sich, leerte ihre Gedanken vom Alltag.
„Hi, Ashy!“ Lester, der ewig Kaugummi kauende Kellner mit dem breiten Südstaatenakzent und den schmalen Schultern gehörte zu ‚Burgers, Pizzas & Noodles’ einfach dazu, einmal war er einige Tage krank gewesen. Jeder hatte ihn vermisst und nach seinem Wohlbefinden gefragt, er war einfach zu einer Institution geworden. Auch Ashyagada hatte sich bereits nach wenigen Tagen an ihn und seine Schürze mit Michelangelos David, auf der ein nicht dem Original entsprechender riesigen Phallus, der bis zu den Knien der Statue reichte, zu sehen war und die er auf der blanken Haut trug, gewöhnt. „Was darf’s denn sein?“
„Cheeseburger, doppelt Käse, Pommes, Coke“, ratterte Ashyagada rasch herunter.
„Hey, Ashy, nicht so hektisch!“, riet Lester. „Keep Cool, Baby! Chill‘ mal `n bisschen down! `N bisschen mehr Ice, Kleines!“ Betont langsam wandte er sich um und ging zum Tresen, wo er die Bestellung bonierte und weitergab.
Ashyagada lehnte sich zurück und sah auf das Wasser hinaus, bis leises Rascheln neben ihrem Tisch ihre Aufmerksamkeit erweckte. Als sie den Kopf drehte, schritt eben mit elastischen Bewegungen ein Wesen vorüber, komplett mit grünen Schuppen bedeckt, dem Kopf eines Warans und einem langen, peitschenförmigen Schwanz.
„Ein Topsider!“ flüsterte Lester, als er ihr Coke brachte, er hatte den interessierten Blick der Himba bemerkt. „Ein paar junge Abenteurer haben die Erlaubnis erhalten, ein wenig fremde Luft zu schnuppern. Darum sind sie hier, wollen etwas lernen. Das kann ihnen und ganz Topsid nur gut tun, oder?“
Ashy nickte heftig. „Wie mir, Les!“ Der junge Mann legte ihr lächelnd die Hand auf die Schulter, ehe er wieder zur Theke ging.
„Hamburger, doppelt Fleisch, medium gebraten, bitte. Und – ssssst, was trinkt man dazu?“
„Wenn Sie Zucker vertragen, würde ich ein Coke empfehlen, sonst – vielleicht Diet Coke. Oder Pepsi. Wenn’s heiß sein soll, Kaffee oder Tee.“
„Ich werde Kaffee versuchen.“ Der Topsider zeigte seine Zungenspitze. „Entschuldigung, das mit der Zunge ist die Art, wie wir Topsider riechen. Also bitte Kaffee, ich habe schon viel davon gelesen.“
„Vertragen sie Laktose?“ fragte Lester und drehte dich zur Espressomaschine. Kein Filterkaffee auf der HEPHAISTOS, ein kleine Marotte der Chefin.
„Was bitte ist Laktose?“ fragte die Echse ratlos.
„Oh! Besser laktosefreie Milch, oder wollen Sie ihn schwarz?“ Lester klopfte den Filter sauber und füllte frisches Kaffeemehl hinein.
Der Topsider überlegte, dann sagte er zögernd. „Ich habe von einem ‚Americano’ gelesen!?“ Halb Feststellung, halb Frage.
„Gute Wahl!“ Heißes Wasser zischte und presste die Inhaltsstoffe in die Tasse. „Bitte schön!“ Die große Tasse mit dem kleinen Espresso landete vor der Echse, dazu ein Kännchen mit heißem Wasser. „Einfach Wasser hinein, bis er schmeckt. Sie werden es schon lernen!“
Der Topsider schnüffelte mit der Zungenspitze über der Tasse. „Es riecht gut, aber…“
„Ach ja, entschuldigen Sie bitte!“ Lester nahm die Tasse, suchte kurz und füllte den Inhalt in eine Schnabeltasse. „Da habe ich extra ein paar von den Dingern besorgt, und dann vergesse ich es doch. Bitte schön, guten Appetit.“
Vorsichtig probierte das Reptil den Kaffee, dann verzog sich seine Schnauze begeistert. „Köstlich! Bitte noch einen.“
Mit seiner zweiten Tasse drehte sich der Topsider um und bemerkte Ashyagadas neugierigen Blick und nickte ihr zu, rasch entschlossen nahm die Himba ihr Cola und trat zu ihm an die Theke.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie so angestarrt habe, aber – ich habe noch nie eine Person wie Sie gesehen!“
„Sss-sss-sss!“ der Topsider lachte. „Ich bin Wrch Pchogh vom Planeten Topsid. Und Sie?“
„Ashyagada, von der Erde.“ Lange musterten die zwei unterschiedlichen Wesen einander.
„Ich bin Biologe, bitte entschuldigen Sie meine Neugier”, begann der Topsider schließlich höflich und ein wenig unsicher. Mit seiner krallenbewehrten, sechsfingerigen Hand mit den zwei Daumen wies er auf Ashys Brüste. „Diesen Attributen nach sind Sie ein weiblicher Mensch, aber ihre Farbe habe ich in den Büchern bei Terranern noch nie gesehen!“
Ashyagada sah an sich herab. „Ja, ich bin eine Frau, Wrch Pchogh. Die Farbe ist aber nicht echt, dass wir uns so färben, ist nur bei meinem Stamm üblich. Und – sind sie ein Junge oder ein Mädchen? Bei ihnen kann man gar nichts erkennen.“
„Oh, ich bin ein Mann. Wenn Sie genau hinsehen, können sie hier eine von Schuppen versteckte und geschützte Hautfalte erkennen. Dort liegt im Normalfall verdeckt mein Fortpflanzungsorgan. Sind Sie auch Biologin?“ Wrch Pchogh trank noch einen Schluck Kaffee.
„Mathematikerin“, informierte ihn Ashyagada. „Aber Neugierig auf allen Gebieten. Meine Mutter hat immer gesagt, meine Neugier reicht für das ganze Dorf. Zum Beispiel, wie sehen Andruckliegen für ihr Volk aus.“
„Andruckliegen?“, fragte der Topsider erstaunt. „Wozu sollten wir die brauchen. Wir haben Andruckneutralisatoren.“
„Dann”, zog Ashyagada ihren Schluss, „Ist ihr Volk erst in den Weltraum gestartet, nachdem der Neutralisator erfunden war?“
„Phss!“, stutzte die intelligente Echse. „Sie haben recht! Es muss einmal solche Liegen mit einer speziellen Stütze für unseren Schwanz gegeben haben.“
*
System Wega
Im Orbit um Neroona
Ein Mann mit kahlem Schädel, dafür um so prächtigerem, flammenroten Bart und fliederfarbener Haut, die kleinen, schwarzen Augen unter den mächtigen Brauenwülsten hervorzublickend, stand vor dem großen Fenster eines Aufenthaltsraumes der Orbitalstation EN’NOSSI’IE, welche über dem Planeten Wega IV schwebte und sah zufrieden auf das Raumschiff, das in der Nähe gebaut wurde und beinahe fertig war. Ein neuer Typ sollte es werden, ein neues Konzept.
„Die FAUST DES THORT macht sich doch schon ganz gut, oder, Avy?“ fragte Ancha Dhar, wandte sich seiner Begleiterin zu und sah aus seiner Körpergröße von beinahe 190 Zentimeter auf ihre 168 herab. Avy Bhan Hum Gor Mal wandte ihren Blick nicht vom Fenster, als sie nickte. Ihre dunkelvioletten Lippen in dem Gesicht mit der königsblauen Haut verzogen sich zu einem Lächeln.
„Sie wird eine richtige Schönheit, wenn sie erst fertig ist, Ancha.“ Ihre schlanken Finger strichen das dunkle, kastanienbraune Haar aus der Stirn. Beide Personen waren ‚Ferrahandor‘, hervorgegangen aus der Vereinigung von Ferronen und Mehandor, von Ferronen und Terraner oder Mehandor und Terranern. Oder, in der zweiten Generation, aus Terraner-Mehandor mit Ferronen oder sonst irgendeiner Konstellation der verschiedenen Menschen.
In den 30er Jahren des 21. Jahrhunderts nach terranischer Zeitrechnung tobten im System des weißblauen Riesensternes Wega einige Raumschlachten, die das Volk der Ferronen und die von ihm abstammenden Völker auf den verschiedenen Planeten der Wega an den Rand der Vernichtung brachten. Zuerst der Widerstand der Ferronen gegen die topsidischen Rebellen, dann die Schlacht gegen die Mehandor und ihre überschweren Brüder. Nachdem die Kämpfe beendet waren, besaß der Thort, der Herrscher über das System Wega, drei Kriegsschiffe der Überschweren, die LANZELOT, die FERROL und die ROFUS. Noch im gleichen Jahrzehnt baute die GCC eine Fabrik für Strahlwaffen und Korpuskulartriebwerke auf Rofus, übersiedelte beide Werke jedoch bald in den Orbit von Wega IV, den Planeten, den die Ferronen Neroona nannten. Dorthin wurden die Rohstoffe von den Monden und Asteroiden des Systems gebracht, und eben dort wurden auch die Verteidigungsschiffe der Ferronen gebaut, unterlichtschnell, aber feuerstark und wendig, in der typischen Eiform. Ab 2040 waren die fünf von den Mehandor übernommenen Handelsschiffe wieder in der Nähe der Wega und bis hinter das topsidische Reich unterwegs und trieben Handel nicht nur mit den Welten der Topsider, sondern auch mit anderen Völkern dieser Gegend. Nachdem die Bewohner der Wegaplaneten nicht in der Lage waren, fünfdimensional zu denken, war an eine Navigation und Instandhaltung der Raumer durch sie leider nicht zu denken. Das übernahmen nur zu gerne die wieder freigelassenen Mehandor, die nach den Gefechten in Gefangenschaft geraten waren. Und wie überall, wo Frauen und Männer zusammen arbeiten, geschah irgendwann das Unvermeidliche – und es gab auch Nachwuchs, der genetisch zum größten Teil ein Überraschungspaket wurde. Optisch von rein Mehandor bis rein Ferrone oder, in weiterer Folge, auch Terraner. Haut- und Haarfarbe waren völlig unvorhersehbar, nicht alle, aber einige waren auch wie viele Terraner und Springer nach einer entsprechenden Schulung fähig, die Mathematik der fünf Dimensionen zu verstehen und ein Raumschiff sicher zu navigieren oder den Sprungantrieb zu reparieren. Falls man das Versagen desselben überhaupt überlebte. Raumfahrerrisiko, Raumfahrerlos. Allen Ferrahandor gemeinsam aber war die genetische Anpassung an die Schwerkraft von 1,4 g, die auf Ferrol herrschte, daher waren sie, unabhängig von der Optik, entsprechend kräftig. Nicht nur, was die Muskeln anging, sondern vor allem die Organe waren auf die höhere Schwerkraft eingestellt, und auch die Knochen wiesen eine wesentlich höhere Dichte auf, die Gelenke waren stabiler, diese Anpassungen erwiesen sich als ein sehr dominantes Gen. Beinahe ebenso dominant war jenes, welches Schweißdrüsen hervorbrachte, die meisten Ferrahandor schwitzten bei Hitze und Aufregung, vor allem unter den Achseln und auf dem Rücken. Gesetzlich waren sie Ferronen, Untertanen des Thort, aber so wie etwa die Sikhas, die Lorar oder die Tikami wurden sie bald als eigenständige Gruppe anerkannt und wurden neben dem offiziellen Namen Ferrahandor auch als Raumferronen bezeichnet. Als anerkannter Stamm stand ihnen ein Platz im Senat der Völker zu, der 2047 gegründet wurde, und sie nahmen das Recht nur zu gerne in Anspruch. Unter dem neuen Thort wurde Ferrol immer mehr eine konstitutionelle Monarchie mit einem Oberhaus für den Adel, einem Parlament, in dem die Planeten ihre gewählten Vertreter entsandten, den Senat der Völker als Vertretung einzelner Stämme und einem Unterhaus, in welchem der Adel komplett ausgeschlossen war. Die Kompetenzverteilung war noch etwas konfus, doch die Vertreter arbeiteten an einer Verfassung, welche dieselbe klar regeln sollte.
Man fand die Raumferronen auf allen Planeten des Systems, vorwiegend jedoch in der Orbitalstation EN’NOSSI’IE (Vereinigung), welche von diesem Stamm immer weiter ausgebaut wurde und auf welcher die für Ferronen angenehmen 1,4 g herrschten. In der Nähe waren die Waffen- und Triebwerksfabriken, in denen die Gravitation auf 1 g gehalten wurde, weil dort noch einige Terraner arbeiteten und dort auch eine Wohnsiedlung zu Verfügung hatten. Derzeit hatte die EN’NOSSI’IE einen Durchmesser von 800 Metern und eine Länge von beinahe 2000, überall ragten Zylinder von der inneren Walzenstruktur heraus, mit Ausnahme eines 200 Meter langen und 900 Meter durchmessenden Ringes an einem Ende der Walze. Dieser Ring wuchs stetig, die Station wurde immer noch vergrößert. Am Ende dieses Projektes war über die gesamte Länge von 2 Kilometern ein Durchmesser von 900 Metern geplant, dann sollten an beiden Enden je ein 300 Meter langer Ring angebaut werden. Danach, das war noch unklar. Vielleicht eine zweite Station?
Auch auf der ersten außerweganischen Kolonie, dem Planeten Phangha mit 1,6 Gravos, der etwa 35 Lichtjahre von der Wega entfernt um einen unauffälligen braunen Zwerg kreiste, waren die Ferrahandor stark vertreten und bereiteten alles für die anderen Siedler vor. Mit 13 Grad durchschnittlicher Temperatur war Phangha ein wenig kühler als die Erde, doch in der Äquatorgegend stieg das Thermometer auf 35 bis 45 Grad, es musste also niemand frieren. Nur die Polkappen waren naturgemäß etwas größer als auf der Erde.
Bisher hatten die Ferronen zwei Typen von Schiffen gebaut. Wendige, schwer bewaffnete und unterlichtschnelle Einheiten zur Verteidigung des Systems und leicht bewaffnete Handels- und Transportschiffe mit Hypersprungtriebwerken für die Verbindung zu Phangha. Jetzt aber, als die Kolonie immer stärker besiedelt wurde, hatte der Thort den Wunsch geäußert, dass zusätzlich zu den drei Kriegsschiffen der Überschweren eine starke interstellare Kampfflotte aufgestellt werden sollte. Zum Schutz Phanghas. Die Erfahrungen und das Wissen der Mehandor und Terraner flossen ebenso in die Konstruktionen wie die der Topsider, im Wesentlichen wollte der Chefkonstrukteur ein typisch ferronisches Design mit den Anforderungen eines intergalaktischen Kriegsschiffes verbinden. Zuerst wurden allerdings fünf kleinere Kopien der von den Überschweren eroberten Schlachtschiffe mit etwa 500 Meter Länge und 125 Meter Durchmesser und zehn Stück mit 300 Metern Länge und 75 Durchmesser gebaut, die als schwere und leichte Kreuzer klassifiziert wurden, nun sollte ein neues Rückgrat der Flotte gebaut werden. Das erste ferronische Schlachtschiff, die FAUST DES THORT, war knapp vor der Vollendung, in den nächsten Wochen war bereits der erste Probeflug geplant. Von hinten ein gleichseitiges Dreieck mit leicht gewölbten Seiten und abgerundeten Ecken, eine Seite 700 Meter, von oben ein an der dicksten Stelle abgeschnittenes Ei, Länge über alles 900 Meter. Auf jeder der drei Seiten vier große Geschütztürme mit je zwei 130 Zentimeter Thermostrahlern und einem 150 Zentimeter Impulsgeschütz, kleinere Kanonen zur Abwehr von Kreuzern und Jägern in den abgerundeten Kanten, 5 mal 68,5 Zentimeter Zwillings-Desintegratoren in jeder seitlichen und 4 Mal 42,8 Zentimeter Zwilling-Thermostrahler in jeder Heckkante. Beschleunigung 650 km/sec2, Sprungtriebwerk mit großem Aktionsradius, mit Sprungdämpfern ausgestattet, verbesserte Antimaterie-Energietechnik, modernste Nanotronik mit neuralen Verknüpfungen. Einem arkonidischen Schiff ähnlicher Tonnage war die FAUST mehr als nur gewachsen, zumindest im Angriff war die FAUST DES THORT sogar stärker. Der Vorteil der Konstruktion war massierte Feuerkraft nach vorne, alle 36 Hauptgeschütze und die 54 kleineren konnten einen geballten Feuerschlag in Flugrichtung ausführen und verheerende Schäden anrichten. Der Nachteil lag auf der Hand, nach hinten war das Schiff mit den 24 kleinen Thermostrahlern nur schwach armiert und im Abflug sehr gefährdet. Die Taktik sah daher auch keinen Einzeleinsatz dieses Schiffes vor, sondern Unterstützung und Rückendeckung durch einige leichte und schwere Kreuzer. Geplant waren fürs Erste einmal fünf dieser Schiffe, die nach und nach fünf Flotten führen sollten, danach wollte man sehen, was noch zu verbessern war.
Ancha Dhar, dessen Vater ein Mehandor war und dessen Mutter von Ferrol stammte, groß, massig und schwer, das Gesicht typisch ferronisch, war als Kommandant vorgesehen, mit etwas mehr als 28 Jahren war er der jüngste Kapitän, den die Flotte des Thort bisher gesehen hatte. Auf der Akademie war er durch besondere Leistungen aufgefallen, nicht in körperlichen Belangen, wo er etwas behäbig war, sondern in intellektueller Hinsicht. Man sah es ihm nicht an, aber sein Talent für Navigation war legendär, beinahe, als erspüre er den richtigen Kurs und müsse ihn nur noch mathematisch bestätigen. Seine Finger flogen über die Steuerelemente schneller als die Zunge eines Kphoorapt auf der Jagd herausschoss, in Strategie und Taktik hatte es ausgesehen, als versage er völlig. Dann hatte er gebeten, seine Entscheidungen vor einem Ausschuss diskutieren und verteidigen zu dürfen, man spielte die Schlacht am Computer nach und – Ancha gewann nicht nur, er gewann beinahe ohne Verluste. Es schien, als fühle er die Aktionen seiner Gegner bereits vorher und postierte seine Einheiten scheinbar sinnlos, doch im Endeffekt mit tödlicher Präzession. Die blaue Sonne auf goldenem Grund, das Abzeichen eines ‚Captain first Class’, bereits in jungen Jahren war eine Belohnung, die er mit Stolz trug.
Avy Bhan, die Tochter einer terranischen Mutter, die für ihren schlanken Wuchs, das zarte Gesicht und das mahagonibraune Haar verantwortlich war und eines Sikha-Vaters, von dem sie nicht nur den endlosen Namen, sondern auch die eisernen Muskeln und die Gewandtheit in der Bewegung geerbt hatte, sollte den Befehl über die Raumlandetruppen der FAUST DES THORT übernehmen. Die beiden waren nicht nur als Offiziere ein gutes Team, sie waren privat eingetragene Partner und glücklich miteinander. Auf einem Festakt an Bord der EN’NOSSI’IE lernten sich beide kennen, aus einem vergnüglichen Abend wurde Liebe, daraus eine gemeinsame Versetzung auf die FAUST. Die ferronische Marine sah es nicht ungern, wenn Familien gemeinsam auf einem Schiff dienten, die verantwortlichen Offiziere waren der Meinung, dass man besser kämpfte, wenn die geliebte Person anwesend war. Daher gab es auch nur ein Fraternisierungsverbot, wenn es direkte Vorgesetzte und unmittelbare Untergebene betraf, mit Ausnahme bereits verpartneter Paare natürlich.
Avys Mutter Regina Valderosa war als junges Mädchen nach Tschugnor gekommen, um in der Waffenfabrik der GCC auf Rofus zu arbeiten. Dort hatte sie einen Sikha kennen und lieben gelernt, der sie prompt schwängerte und dann ehelichte. Schon als kleines Mädchen wurde Avy von ihrem Vater und dessen Familie im bewaffneten und unbewaffneten Nahkampf unterrichtet und lernte von ihrer Mutter Judo und Karate. Immer wieder wurde Avy nach Ferrol gebracht, um ihre ererbten Muskeln an die erhöhte Gravitation zu gewöhnen und das Mädchen zu stählen. Die kleine Avy zeigte großes Interesse an der Raumfahrt, entwickelte eine kolossale Sehnsucht nach den Sternen und meldete sich zur Ausbildung bei den Raumstreitkräften des Thort. Zuerst wollte man über die für ferronische Verhältnisse schmale und zarte Frau lachen, doch sie bewies allen, aus welchem Stahl sie geschmiedet war und wurde Jahrgangsmeisterin im freien Nahkampf ohne Waffen. Auf Ferrol, unter dem Einfluss der vollen Schwerkraft von 1,4 g. Jetzt, mit 27 Jahren, war sie Major der Marineinfanterie und demnächst Kommandantin von fünf schweren Kompanien Raumlandetruppen an Bord der FAUST.
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M 13, Republik Miridan
Im Orbit um Irrumbur II
Auch die Admiralin der vorderen Flanke Kya Anach stand vor einem Fenster, aber dieses war nicht so riesig wie jenes der Orbitalstation im Wegasystem. Die Hände locker an die Umrandung des transparent gelassenen Stückes Stahl gelegt, das man in die Bordwand eingelassen hatte, betrachtete sie versonnen das Kugelschiff, das mit gleicher Geschwindigkeit wie die BRIGADA INTERNACIONAL, an deren Bord sie sich eben aufhielt, flog und nur handspannengroß zu sein schien. Ihr Flaggschiff, die INNKU’ULULEKO, war ein 5,44 dezidran durchmessender Gigant der Tussan-Klasse, und doch wirkte sie klein gegen das Schiff, in welchem sie sich befand. Die BRIGADA INTERNACIONAL war immerhin 0,884 Dran lang, 1.300 Meter hatte Michael es genannt, und so fast so breit wie ein Schlachtkreuzer durchmaß, 2,72 dezidran, vierhundert Meter, breit – ohne die seitwärts herausragenden ‚Geschützinseln’. Die Raumkugel wirkte zwar klein, im Volumen war die INNKU’ULULEKO diesem Riesen jedoch um mehr als das dreifache überlegen. Aber diese gigantischen Geschütze, die diese halbe Walze führte, machten die BRIGADA zur derzeit mächtigsten Waffe in der Republik Miridan, zwei Meter zehn hatte Michael Freyt das Maß genannt, mehr als der Rumpf eines Jägers durchmaß, etwa 1,4 millidran. Zwölf Respekt einflößende Kanonen dieser Art in sechs Türmen führte das Schiff, von denen zwei simultane Treffer ein Raumschiff der Tussan-Klasse einfach aus dem Weltraum fegten, dazu noch die kleineren Nebengeschütze, die Energiereserven der BRIGADA waren erschreckend, doch ihre Behäbigkeit nicht weniger. Eine halbwegs bewegliche Festung, schnell ging nur das Feuern.
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Die miridanische Admiralin stammte von Eshtok IV, einer warmen und eher trockenen Welt, ihre Familie war seit Generationen Großgrundbesitzer mit einer Menge Schlachtvieh auf den Weiden. Die G’omboee, die sie züchteten, waren entfernt mit den Bisons der Erde verwandt und sahen auch so ähnlich aus. Wenn man von den Hörnern absah, bei dem jeder texanische Longhornbulle neidisch und kleinlaut zugleich geworden wäre. Bis zu dreieinhalb Meter konnten die Spitzen auseinander stehen, bis zu 1.900 terranische Kilogramm konnte ein Bulle schwer werden, die weiblichen Tiere immerhin bis 1.700, eine Schulterhöhe von 260 Zentimetern bei Bullen war ganz normal. Trotzdem war das Fleisch nicht etwa zähe, sondern butterzart und wohlschmeckend, und nachdem die G’omboee stets im Freien waren und ziehen konnten, wohin immer sie wollten, entwickelten sie weiche, lange gelockte Haare zum Schutz vor der Sonne. So war auch die Wolle ein begehrter Artikel, ebenso das Leder. Schon die junge Kya hatte jedoch immer wieder aufbegehrt.
„Ich bin nicht geboren, um mit dem Flugsattel im Staub hinter G’omboeeärschen herzufliegen! Ich will ganz nach oben! Da hinaus, Miridan sehen! Den Sonnenaufgang über den Eisfeldern von T’Helucchii, die Ringe von Pete’ete, einen echten Miridaner! Ich will im Meer von Zi’hiwawa baden, auf dem Mond Mw’Eezie die Flügel anschnallen und im großen Lufttank fliegen. Ich will – in den Weltraum! Und ich werde ins All fliegen!“ Nach der Schule hatte sie sich im Alter von 20 Jahren in Jij’iji, der Hauptstadt Eshtoks, zur miridanischen Marine gemeldet. Die Ausbildung war nicht leicht, sie sollte die Spreu vom Weizen trennen, und das auf harte und brutale Weise. Miridan brauchte Besatzungen für die Raumschiffe, aber nicht jeden. Keinen, der nur einmal Kapitän spielen und eine schmucke Uniform tragen wollte, sondern Frauen und Männer, die es ernst meinten und für welche das Motto ‚Beschützen und Retten’ nicht nur ein Schlagwort war. Die junge Kya ignorierte Muskel- und Kopfschmerzen, sie kämpfte sich immer weiter und weiter nach oben. Sie lernte mehr, als von den Vorgesetzten verlangt wurde, bei den Hypnodokrinatoren war sie ein gewohnter Anblick und kannte bald die Belegschaft bei den Namen. Sie hatte nur ein Ziel vor Augen: mit 50 Admiral werden! Bereits mit vierzig wurde ihr die erste Sonne verliehen, drei Jahre später die zweite. Heute war sie 49 Jahre alt und trug die drei Sonnen des Admirals einer Flanke voller Selbstbewusstsein, sie unterstand nur noch dem Hochadmiral und dem zentralen Generalstab aller Flanken. Und natürlich den Mkubegams, den gewählten beiden Konsuln, welche der Regierung der Republik Miridan vorstanden und die obersten Befehlshaber der Streitkräfte waren. Immer ein Mantide und ein Arkonoide, unterstützt von einem Senat und den Parlamenten der einzelnen Planeten. Kein Zweifel, sie hatte es geschafft, mit eiserner Disziplin hatte sie alle Gefühle und viele Bedürfnisse zurück gedrängt. Sie war ganz allein mit ihrer Karriere verheiraten gewesen, hatte niemand an sich herabgelassen. Bis jetzt. Dieser hagere Terraner, so anders als alle Männer, die sie bis dahin kennen lernte, hatte bei ihr Schmetterlinge im Bauch geweckt. Und nicht nur im Bauch.
Freyt seinerseits bewunderte die Gestalt der Miridanerin, die da am Fenster stand. Schlank, groß, kräftig und doch ausgeprägte, weibliche Formen, lange, elegante Beine, die in runden, festen Bäckchen endeten, manchmal zeichneten sich zarte Grübchen über dem Po ab. Eine schmale Taille, muskulöse, aber nicht übertrieben breite Schultern, feingliedrige Arme und Hände mit langen, schlanken Fingern, dazu eine Nackenlinie, die zum Bewundern und Küssen einlud, eine regelmäßige ovale Kopfform mir hübschen Ohren, in denen sie lange, beinahe bis zur Schulter hängende Kettchen mit einem blauen Kristall trug. Die Brandwunde war mittlerweile verheilt, kurze, rostbraune Löckchen mit dezentem silbrigen Schimmer dazwischen ringelten sich auf dem Kopf, eine Spur dunkler als die rötlichbraune Farbe ihrer Haut. Seine Stimme riss Kya Anach aus ihren Überlegungen.
„Weißt Du, dass in meiner Heimat ein Volk existiert, deren Menschen mit aller Macht eine Haut- und Haarfarbe so wie Du haben wollen?“
„So?“ brummte Kya.
„Ja, sie streichen ihre Haut mit Milchfett, Ockerpulver und Duftstoffen ein, ebenso ihre Zöpfe.“
Kya drehte sich um und hob eine Augenbraue. „Ach?“
„Oh ja.“ Freyt setzte sich im Bett auf. „Eigentlich sind sie sehr dunkelhäutig, fast schwarz, und besitzen schwarze Haare, aber sie finden diese Farbe einfach schön. Selbst heute noch.“
„Was du nicht sagst.“ Sie setzte sich auf die Bettkante.
„Das interessiert dich jetzt wohl überhaupt nicht?“
„Nein!“ Sie lehnte sich gegen das Betthaupt. „Ich mache mir Sorgen. Bisher haben die Robotflotten alle 21 Arkontage angegriffen, der letzte Überfall ist schon 23 Tage her. Was geht da vor, der Neurogent wird sicher nicht aufgegeben haben. Warum greift er nicht mehr an? Da stimmt irgendetwas nicht.“
Freyt streichelte ihre Schulter. „du machst dir Sorgen, weil es nicht zur Schlacht kommt?“
Sie lehnte sich an ihn, nahm seine Hand und führte sie südlicher. „Der letzte Angriff war einen Tag zu früh, jetzt verzögert sich der nächste? Bei einer Maschine? Da steckt eine Teufelei dahinter! Greif ruhig etwas fester zu!“ Michael hauchte wortlos in ihr Ohr, sie erschauerte wohlig und griff nach ihm.
„Na schön, heben wir uns die Sorg…“
Eine Sirene gellte mit ohrenbetäubender Lautstärke, sicher war jeder an Bord jetzt hellwach.
„Alarm! DefCon 4, keine Übung, wiederhole, keine Übung! DefCon 4! Kommandant und Admiral auf die Brücke!“ Die Stimme gehörte zu Major Gustav Feder, dem heutigen Kommandanten der Alpha-Schicht von 00.00 Uhr bis 08.00 Uhr morgens.
„Ich fürchte, doch nicht später, sondern sofort“, japste Kya, während sie in ihre Uniform schlüpfte, und auch Freyt machte sich eiligst fertig. Nebeneinander eilten sie auf die Brücke, wobei sie nur von Colonel Jeff Moore geschlagen wurden, der eine nähere Kabine besaß. Durch das noch offene Schott zur Brücke hörten sie Moores klare, befehlsgewohnte Stimme bereits einen Bericht fordern.
*
Im interstellaren Raum
Ein urweltliches Brüllen entrang sich der Brust von Achiichiphos. Wieder einmal war sein Versuch, die Steuerung zu beeinflussen, erfolglos geblieben, die stetige Enttäuschung brach sich in dem frustrierten Schrei laut Bahn. Schon seit Generationen versuchten das Volk der Tawromeg, die Bahn ihrer Heimatwelt zu ändern. Seit vielen, sehr vielen Generationen. Nicht, dass die Tawromeg nicht gewusst hätten, welchen Effekt welche Schaltungen haben sollten, doch seit ihre Herren, die Gajagjii, die ‚Weißen‘, und die Sanath‘Dharma, die ‚Blauen‘, verschwunden waren, funktionierten diese Befehle nicht mehr. Die Welt reparierte sich selber, es gab zu essen und zu trinken, doch sie waren zur ewigen Reise durch die ewige Finsternis verurteilt. Früher war die ASTI’SPATITRI‘IS, wie ihre Herren die Welt genannt hatten, von einer Sonne zur anderen gereist, man hatte Schotts in der Außenwand öffnen und mit kleinen Flugwagen die Planeten besuchen können. Die Gajagjii und die Sanath’Dharma hatten das sehr oft getan, zumeist hatten sie die starken Tawromeg als Beschützer mitgenommen, wenn es darum ging, irgendwelche Dinge einzuhandeln, Wissen zu vermitteln oder sich einfach mit den Eingeborenen einer Welt zu vergnügen. Doch dann waren von einem Tag auf den anderen die Gajagjii mit ihrer elfenbeinfarbenen Haut und den silbernen Haaren verschwunden gewesen, ohne Spur, es fehlte nicht ein Flugwagen. Die Sanath’Dharma mit ihrer dunkelblauen Haut, den hellblauen Haaren und spitzen Ohren waren sehr viel länger, noch Jahrhunderte, geblieben und hatten noch viele Planeten besucht, doch sie wurden immer weniger, bis die Letzten sang- und klanglos eines Nachts mit einem kleinen Boot verschwanden, die Tawromeg blieben allein zurück. Zuerst hatten sie gedacht, die Sanath’Dharma hätten sich wieder, wie schon öfter vorher, für die lange Reise in die Cryoschlafkapseln zurück gezogen, doch die waren leer, ebenso ein Hangar für zehn der großen Landungsboote! 192 der ‚Blauen‘ hatten die Insel verlassen, und sie kamen nie wieder. Die Tawromeg versuchten, wieder den Planeten anzusteuern, in dessen System sie eben gekommen waren, warum, wussten Sie nicht wirklich. Sie wussten nur, dass es der Wille der Herren und Herrinnen gewesen war, auch wenn diese nicht mehr anwesend waren. Sie hatten immer nach dem Wunsch der Sanath’Dharma die Welt von einem Planeten zum nächsten gesteuert, doch nun gehorchte die Welt nicht mehr. Der grün-blaue Planet drehte sich weiter auf seiner Bahn um eine unbekannte Sonne, und die Wesen darauf, die eben mit dem Gebrauch von Eisen begannen, würden nie erfahren, wie nahe diese Scheibe an ihnen vorbeigeflogen war. Das Wissen, wie die Steuerung funktionieren sollte, wurde von Generation zu Generation weitergegeben, jede neue versuchte ihr Bestes, den Fehler zu finden, das Problem zu umgehen. Umsonst.
„Wieder nichts?“ fragte eine Stimme, Achiichiphos ließ den Kopf sinken. „Es war wohl vermessen, an einen Erfolg zu glauben, wo Generationen vor mir scheiterten!“ stieß er enttäuscht hervor.
„Wenn man handelt, ohne an einen Erfolg zu glauben, sollte man besser weiterschlafen“, rügte Yphieipeleke und legte ihre Hand auf seine breite Schulter. „Wie du habe ich einst geglaubt, die Auserwählte zu sein und bin gescheitert. In dich habe ich große Hoffnungen gesetzt.“ Plötzlich lächelte sie ihn an. „Und vielleicht erfüllst du meine Erwartungen ja noch. Oder deine Tochter, dein Sohn oder ein anderer des Volkes. Wir müssen es eben immer wieder versuchen.“
„Ja, Sprecherin der großen Mutter. Wir müssen es immer wieder versuchen!“
„Gut so, Sprecher des großen Steuermannes.“ Sie setzte sich an das noch funktionierende Pult der astronomischen Station und runzelte die Stirn. „Dieser Stern ist nicht dort, wo er hingehört, und er ist heller!“
„Wo?“ Mit langen Sätzen war Achiichiphos bei Yphieipeleke.
„Dort! Nähern wir uns seit vielen Jahrhunderten wieder einer Welt?“, fragte sie schwer atmend, und mit Tränen in der Stimme fragte Achiichiphos
„Was sollte es nützen, solange wir die Landeschiffe nicht starten können?“
„Vielleicht“, flüstere Yphieipeleike, „Vielleicht funktioniert die Heimat wieder, wenn ein bewohnbarer Planet in Reichweite kommt. Funktioniert denn wenigstens die Kommunikation?“
„Das werden wir noch erfahren, wenn… Große Mutter! Sieh doch, das Lämpchen blinkt! Wir empfangen modulierte Wellen!“
„Und dort bewegen sich zwei – nein, nicht Sterne, denn die bewegen sich nicht. Raumfahrzeuge, Achiichiphos, vielleicht finden wir dort Hilfe! Sende, sende zumindest Bilder!“
*
Republik Miridan
System Irrumbur
„Rapport!“ Ruhig, beherrscht, aber kurz angebunden rief Colonel Jeff Moore, kaum dass er das Schott zur Zentrale der BRIGADA INTERNACIONAL passiert hatte, die ihm folgenden Admiräle Anach und Freyt hörten sowohl die Frage als auch die überraschende Antwort.
„Die Ortung von Patrouillenwing 17 hat einen riesigen Körper mit einer relativ zu seiner Größe geringen Masse angepeilt, der mit Kometengeschwindigkeit in das System fliegt, Sir. Geschwindigkeit und Kurs sind noch gleichbleibend, trotz starker Energiesignatur! Kurs führt ohne Änderung in etwa drei Jahren knapp am zweiten Planeten vorbei, verfehlt die Sonne – und dann wird’s ein Überraschungsei. Es könnte in viereinhalb Jahren auf dem dritten Planeten einen kräftigen Aufschlag geben!“
„Weiter beobachten! Ma’am, Sir?“ Kya und Michael sahen sich an.
„Derzeit scheint kein Grund für eine Panik gegeben.“ meinte Kya Anach, und Freyt stimmte zu.
„Zurück auf DefCon zwei. Vielleicht könnte die Patrouille näher gehen und Kontakt aufnehmen?“, fragte er, mehr im Selbstgespräch, wandte sich an Moore und holte Luft.
„Gute Idee!“ Kya strich über ihre kurzen Locken. „Erlaubnis erteilt!“
Michael schnippte mit den Fingern. „Beinahe hätte ich vergessen, auf die Erlaubnis zu warten!“ knurrte er. „Jeff, schicken Sie Wing 17 los.
‚Fliegerass‘ Ben Hodgen und ‚Red Baron’ Karl Stauffing drückten die Schubhebel ihrer alten Arkonjäger bis zum Anschlag vor und nahmen Kurs auf den georteten Körper.
„Wahnsinn!“ Je näher sie kamen, desto präziser wurden die Daten, Red Baron staunte nur noch. „Wing 17 an BI. Da kommt eine Scheibe auf uns zu, Durchmesser 25,14 Kilometer! Fast 7 Kilometer hoch, eine Kuppel mit einem Scheitelpunkt von 8,27 Kilometern, darunter eine Wald- und Seelandschaft, mit einem Berg in der Mitte. Auf der anderen, ich sage jetzt mal ‚unteren’ Seite der Scheibe – das scheinen Triebwerke zu sein, aber winzig im Verhältnis zur Größe der Kostruktion, und ein riesiger Mast, weiß der Teufel, wozu der dient. 200 Meter Durchmesser, 700 lang. Moment, modulierte Signale auf der Nachbereichsfrequenz. Ich leite weiter!“
RO Bridget Ó’Cinnéide aus Killarney brauchte nicht mehr viel machen, sie war mit ihrer Crew und den Geräten bereits seit längerem in Bereitschaft. Daher musste sie nur noch auf die Taste ‚Ausführung’ drücken, als die Signale die BRIGADA erreichten. Die Rechner prüften die eingetroffenen Signalfolgen, suchten nach identifizierbaren Tonfolgen, setzten Bit für Bit zu Bytes zusammen, testeten, ob sich ein Sinn ergab, begannen wieder von vorne, prüften, ob irgend etwas, irgendeine Zusammenstellung ein Bild oder gar eine Bildfolge ergeben könnte. Wieder und wieder durchliefen die Zeichen eine Routine, bis endlich das Seitenverhältnis von Rasterpunkten einen Sinn ergab. Mehr und mehr Puzzleteile fanden ihren Platz, trotz der neu an Bord befindlichen Neuronik dauerte der Vorgang viele Sekunden, die sich zu Minuten sammelten. Exakt 18 Minuten und 52,85944 Sekunden nach dem Eingang des ersten Signals flackerte das erste Bild auf den Kontrollschirmen. Sobald das Ergebnis kam, legte die rotschopfige Radio-Offizier mit den hellen Sommersprossen um die Stupsnase das Ergebnis in die Zentrale.
„Verdamme mich!“ entfuhr es the Rod. Auf dem Bildschirm stand ein Mann mit breiten Schultern, ausgeprägten Brustmuskeln und kräftigen Armen in einem karperngrünen hautengen Overall, silberne gezackte Streifen führten von den Schultern zum weißen Gürtel, neben ihm eine Frau, untersetzt, die Schultern ebenso breit wie ihre Hüften, mit sehr voluminösem Busen in ähnlicher Kleidung. Keine wirklich außergewöhnlichen Proportionen, die Überraschung waren die Köpfe. Die sahen aus, als wären bei Rindern die Augen nach vorne gewandert, um eine 3D-Sicht zu ermöglichen, und die Münder für besser artikuliertes Sprechen angepasst. Ohne Zweifel waren diese Wesen intelligent. Die Frau hatte kurze Stummelhörner in der Farbe dunklen Honigs, sie war kohlrabenschwarz, die Haut wie das kurze, krause Haupthaar, die Hörner des Mannes waren jedes etwa so lange wie seine Hand breit und goldgelb marmoriert, schneeweiß seine Haut und sein lockiges Haar, das zwischen den Hörnern in die Stirn fiel.
„Wenn die jetzt noch einen Kuhschwanz haben, gehe ich die Wände hoch. Das sind doch – Minotauren!“ Freyt fand die Ähnlichkeit mit diesen Fabelwesen der griechischen Mythologie verblüffend.
„Pullover könnten wir denen schon mal nicht verkaufen“, versuchte Agatha Nyssen den Bann mit einer schnoddrigen Witzelei zu brechen. „Mit den Hörnern würden sie sich darin beim anziehen verfangen!“
„Die Thrmee, die Diener der Gaji und der S‘Dham“, flüsterte Kya Anach leise.
„Du kennst sie?“ Freyt fuhr aus seinen Gedanken.
„Aus Sagen, die von einer Zeit handeln, in der noch sehr lange keine Arkoniden in diesem Sektor waren. Hunderte von Jahrtausenden von heute zurück gerechnet. Die Sagen sind schon uralt, die Mantiden hatten eben das Feuer für sich entdeckt und zum ersten Mal begonnen, zumindest regional in Gruppen zu leben und ihre Männchen nach der Kopulation nicht zu verspeisen. Die Gaji, Wesen, die den Beschreibungen der Miridaner damaligen Arkoniden ähnlich gesehen haben müssen, und die S’Dham, ebenfalls arkonoide mit blauer Haut und…“
„Sag das nochmal!“ unterbrach Freyt, und Moore rief laut auf.
„Blaue Haut wie die Ferronen oder die Fjerolen?“
Kya sah verwundert von einem zum anderen. „Nun, die Mantiden stellten in ihren Gemälden und Statuen die S’Dham als den Arkonoiden ähnlich mit blauer Haut, blauem Haar und blauem Bart, wie ihn Springer tragen, dar. Das ist alles, was ich weiß! Aber sie kamen damals zu den Mantiden und lehrten sie zu schreiben, das Eisen zu schmieden, Häuser zu bauen und Krüge aus Ton zu brennen. Und wie man Farben herstellt und Bilder malt. Michael, du musst einmal den Planeten Miridan besuchen. Die Bilder in der Provinzgalerie sind atemberaubend. So hast du die Mantiden noch nie gesehen!“
„Blauer Bart!“ Spiros Petridis aus der Waffenzentrale drehte seinen Sessel um. „Da fällt mir doch spontan Poseidon ein. Und wo der ist, sind auch Pferde, Stiere und Minotauren nie weit weg! Wenn ein kleiner First Lieutenant so erlauchten Rängen einen Input geben darf!“
„Na klar, da war doch dieser weiße Stier!“ Nyssen schnippte mit dem Finger. „Minos, Dädalus und – wie hieß diese Tusse doch gleich? Die, die sich nach Poseidons Fluch derart in den Stier verknallte, dass sie sich unbedingt von ihm – äh, also, ja, die Mutter des Minotaurus halt!“ Gerade noch rechtzeitig war ihr eingefallen, dass sie auf der Brücke stand.
„Pasiphae“, warf Spiros ein.
„Hast was gut, Spiro! Nächstes Bier geht auf mich! Genau, die meine ich. Auf Kreta, das Labyrinth.“
*
System Reggy
An Bord der HEPHAISTOS
WHAMM! Der Faustschlag traf sein Ziel und verbeulte die Stahlscheibe. Rhodan schüttelte einmal die Hand aus, die er in Erwartung eines Schmerzes verkrampft hatte, dennoch hatte er den Schlag mutig ungebremst durchgezogen.
„So gut wie nichts gefühlt, nur einen ganz leisen Druck.“ Er betrachtete angelegentlich seine Finger. „Alle noch da und bewegen sich ganz normal.“
„Dabei ist der Handschuh gerade einmal 1,4 mm dick, Mister Rhodan.“ Konos Stimme kam aus dem Lautsprecher im Helm. „Verstärkung der Muskelkraft um den Faktor 24. Gehen Sie jetzt einmal zur Wand, versuchen Sie, vorsichtig und langsam die Wand abzutasten. Sie wollen etwas fühlen, wünschen sie es sich!“ Rhodan ließ seine Fingerspitzen über die strukturierte Wand gleiten.
„Ich fühle tatsächlich etwas, Kono!“ rief er. „Die Wand ist aufgeraut, fast wie früher grober Außenverputz!“
„Es ist Gipsverputz, speziell für solche Versuche aufgetragen. Jetzt kommt das Beste. Blicken sie auf das HUD. Nicht blinzeln, einfach an das Symbol denken und es mit dem Blick kurz fixieren.“ Sofort befolgte Perry die Anweisung Konos.
„Wow! Das zoomt ja rasant – oh, ich verstehe, so reguliert man den Zoom, nur mit denken!“
„Nicht ganz, Chef!“ korrigierte Kono. „Dazu müsste das Innenleben des Dings wirklich mehr als nur intelligent sein. Nein, es sind die winzigen und winzigsten unwillkürlichen Augen-, Muskel- und Hautreaktionen, die ihr Wusch verursacht. Diese werden von der Picotronik erkannt und ausgewertet.“
„Na ja, ein bisschen Übung – aber eigentlich ist das Ding beinahe selbsterklärend.“ Rhodan übte weiter, seine Bewegungen wurden immer flüssiger. „Keine komplizierten Schaltungen, sehr übersichtlich, eine gute Sache. Den Versorgungstornister fühlt man kaum, die sanitären Einrichtungen sind hervorragend, nicht einmal auf dem Rücken juckt es. Drei Wochen bei normalen Rationen haben Sie gesagt?“
„Jetzt vier! Wir haben nachgelegt, stärkere ‚Muskeln‘ – mehr Gewicht, das man tragen kann. Außerdem ist der ganze Anzug mit Ausnahme der Handschuhe 2,9 mm stark, da haben wir noch Platz für Sauerstoffpolster gefunden. Und wenn sie sich in den Spiegel schauen, im Bereich der Brust- und der Oberarmmuskulatur haben wir auch etwas aufgepolstert und Sauerstoff eingelagert. Man sieht zwar ein wenig nach diesem Schauspieler aus, der dann Politiker wurde. Moment, wie war doch … Schwarzenegger, genau! Aber – es bringt eine zusätzliche Woche. Man muss ja nicht unbedingt gut aussehen in dem Dress. Oh ja, dieser Sam Hanckock versteht sich auf Material, Sensoren und Steuerung, aber Bobby Niven ist auch nicht ohne.“
„Wer ist denn dieser stattliche, hübsche Mann, Kono?“ Tanas Stimme rollte weich und samtig aus dem Funk. „Ich dachte, Sie wollten Mister Rhodan… Oh! DU sind es!“ Bedauern schwang in ihrer Stimme, Rhodan wollte schon auffahren, doch dann grinste er. Seine Tochter war in total ihrer Rolle, in der sie aufging. Damit musste er leben, Kono gehörte eben nicht zu Eingeweihten, war nicht in der erweiterten Familie. Trotzdem stellte er sich unwirsch.
„Was ist den so wichtig, Miss Tana?“
„Ach, ich dachte, dass du es gerne erführest. Freyt sendet auf Extremrichtstrahl ein Lied. ‚It’s a kind of magic!‘ Wahrscheinlich mit einem der Jamm…“
„Ruf‘ Galacto City! Marshall soll sofort alle Mutanten im Dienst der Company alarmieren, Oberst Campbell die STARDUST bereit machen. Bitte teile Thora, Bully und Atlan die Nachricht mit und bitte diese Personen an Bord der QUICKSILVER. Wir müssen aufbrechen! Kono, schalte die Kamera aus, ich muss mich umziehen!“
„Mister Rhodan, Perry, wenn du in den Miridan Sektor willst, biete ich dir die GIULIA FARNESE an. Wir haben in den beiden Polkuppeln Nord und Süd je ein zwei-zehner-Zwillingsgeschütz und den Prototyp der Konverterkanone. Von den 48 Ringwulst-Zwillingsgeschützen sind die eine Hälfte 2 x 140 Zentimeter Impulsgeschütze und die andere 2 x 135 Zentimeter Desintegratoren. Du findest kein besser bewaffnetes Schiff in Deiner oder der VN – Flotte. Außerdem hat sie ein kleines Geheimnis, ihre Triebwerke schaffen statt 660 Kilometer im Sekundenquadrat bis zu 680. Und sie schafft eine maximale Sprungweite von 40.000 Lichtjahren, ohne Schock. Bitte, komm an Bord. Meinetwegen so, wie du jetzt bist. Ein ordentlicher Infanterieanzug mehr an Bord kann nicht schaden.“
Perry Rhodan zögerte nur kurz. „Na schön, aber es muss schnell gehen! Wann ist sie startbereit? Und sage mir dann, was du der Beschleunigung geopfert hast!“
„T minus 40 Minuten.“ Tanas Stimme war jetzt ohne jede Plänkelei, die Attitüde fiel ab. „Hera, Nachricht an Ghoma, Code Golf Foxtrott, den Code auch an Bord der HEPHAISTOS ausrufen! Landurlaub für die Leute der GIULIA annulliert. Alle Wissenschaftler benachrichtigen, Leslie soll diesmal auch mit. Und Angels Team. Crest soll mit Reginald hier die Stellung halten. Kono, ich lade Sie auch ein, wenn Mister Rhodan einverstanden ist. Mister Rhodan, ihre QUICKSILVER ist allem, was wir haben, an Tempo überlegen. Wir sollten sie hierlassen, wenn wir schnell etwas oder jemand brauchen. Pronto, Kinder!“ Sie klatschte in die Hände. „Der große Mann hat es eilig, und Eure Chefin will ihm zeigen, was wir können!“
*
„Besatzung auf den Posten, wissenschaftliche Teams und Passagiere an Bord. Startbereit bei T minus 9 Minuten!“ Ghoma erstatte Tana Starlight auf der Brücke der GIULIA FARNESE diese Meldung.
„Bringen Sie uns nach Terra, CO! Nächste Station – Juri Gagarin Space Port. Ein Durchgang, wir wollen doch ein klein wenig angeben!“ Tana hatte ihren Anzug wieder auf die weiße Pseudouniform eines Admirals der nassen Marine Terras eingestellt, nur die Absätze wollten so gar nicht dazu passen, und die heute goldblonde Lockenmähne wurde durch eine stylische Sonnenbrille aus der Stirn gehalten.
„Aye, Chefin. Terra, Port Gagarin, ein Sprung. Giulia? Los geht‘s, bitte!“
„Ma volentieri, Signorina Capitana. Sehr gerne, Ghoma!“ Ein glockenheller Sopran erklang aus den Lautsprechern, die Triebwerke im Ringwulst erwachten zum Leben und beschleunigten die FARNESE mit 680 km/sec2 zum Rand des Systems, das nach Reginald Bull benannt war.
Rhodan starrte auf den Beschleunigungsmesser. „Also, Miss Tana Starlight. Was hast du für diese Beschleunigung geopfert?“
„Platz, Mister Rhodan.“ Tana schaute weiter geradeaus und zuckte mit den Schultern. „Ein höherer und breiterer Ringwulst hat eben nicht nur Platz für Geschütze, sondern auch für zusätzliche Stützmassetanks. Es funktioniert so ähnlich wie die alten Nachbrenner bei Strahltriebwerken, die zusätzliche Masse muss allerdings öfter nachgetankt werden. Am besten im solaren System, während die Mutanten an Bord gehen. Ich habe nun einmal gerne volle Tanks bei einem Ausflug, aber genau so gerne wollte ich es einmal vorführen.“
„Woraus besteht diese zusätzliche Masse denn?“, hakte Bully neugierig nach, er war eben immer noch Ingenieur.
„Vorwiegend aus verflüssigtem Methan aus dem Kivu-See in Afrika.“ Tana lächelte schelmisch. „War günstig zu haben, nachdem die GCC die Gegend dort mit billiger Energie versorgt hat.“
Thora mischte sich ein. „Und welche Reichweite hat die GIULIA FARNESE insgesamt?“
„Ndhalmil!“ murmelte Tana leise.
„Eine halbe Million Lichtjahre? Ziemlich konventionell“, merkte Atlan beinahe enttäuscht an. „Das ist auch nicht mehr, als unsere Schiffe schaffen.“ Aber Thora hatte nicht nur bessere Ohren, sondern stand auch näher, und sie kannte allmählich ihre Tochter.
„Nicht so nuscheln, liebes Kind.“ Niemand fiel an der Bezeichnung etwas besonderes auf, Thora war eben älter als Tana, und Frauen neigten gerne zu solchen Bezeichnungen. Auch Arkonidinnen. „Sprich bitte deutlicher!“
„Anderthalb Millionen“, sagte Tana mit deutlicher Aussprache und starrte weiter geradeaus auf den Bildschirm. „Lichtjahre“, ergänzte sie. Die terranische Delegation inklusive Atlan erstarrte. „Die Dämpfer allein verdoppeln die Funktionsdauer der Hyperelemente“, erklärte Tana Starlight. „Und dann noch – na ja, ein paar Tricks meiner Wissenschaftler.“
Rhodan ließ sich schwer in einen Sessel fallen. „Das reicht mir jetzt! Ich gehe in Rente!“, rief er, während Thora lauthals zu lachen begann.
„Mir scheint, die kleinen Menschlein sind ihren arkonidischen Lehrern über den Kopf gewachsen. Da hat Atlan gute Vorbereitung geleistet!“
Der besagte Admiral grinste säuerlich. „Aber dass mir ein Barbar…“, Tana hob drohend den Zeigefinger. „Entschuldige, eine…“, Sie machte mit Daumen und Zeigefinger eine Verkleinerungsgeste. „Also gut, eine halbe Barbarin eines Tages ein neues Hypertriebwerk mit dreifacher Reichweite vorstellt, hätte ich allerdings nicht erwartet! Aber ich entnehme den Worten, dass die VIRIBUS ebenfalls diese Reichweite hat?“
„Aber natürlich, Admiral. Nur die schweren Zwei-zehner und die Konverterkanone hatten wir damals noch nicht, und der Nachbrenner sind auch noch ein Prototyp. Den hat bisher nur die GIULIA FARNESE. Tut mir leid, dass ich Euch so aus der Fassung gebracht habe.“
*
Solares System, Afrika
Botswana
In Afrika verlief die Hauptstrecke der Tubeway von Nord nach Süd ziemlich genau auf dem 25. östlichen Längengrad, kerzengerade von Es Sallum im Norden bis in die Nähe von Bloemfontain in Südafrika, wo sie eine Kurve in südwestlicher Richtung nach Kapstadt nahm. Der Aufbau dieser Verkehrsader durch Afrika war von technischer Seite ein Kinderspiel, unter zu Hilfenahme von Robotern, Bohrmaschinen auf der Basis von Desintegratoren und modernsten Gussverfahren mit teilweise energetischen Gussformen waren die Stützen gut im Boden verankert. Das Überwinden von Höhenunterschieden im Gelände war auch kein Thema, manchmal fuhr die Bahn höher, manchmal weniger hoch über dem Grund, glich nicht ganz, aber ein wenig steile Streckenabschnitte rechtzeitig aus. Selbst tektonische Beben konnte die Tube dank ihrer Konstruktion und der verwendeten Materialien gut überstehen, starke Erdbeben waren in Afrika sowieso selten geworden. Der nahe Osten und die japanischen Inseln würden ganz andere, neue Konstruktionen verlangen, die Ingenieure der General Cosmic arbeiteten daran. Flexible Stellen, lose ineinandergreifende Bauglieder, die nach einem Beben wieder in die richtige Lage gleiten sollten.
Die medizinische Versorgung und die Schulbildung machten die Tubeway-Oasen, oder wie sie regional auch genannt wurden Tubetowns, zum einem Magneten für die Ärmsten der Armen der afrikanischen Bevölkerung. Manche Regierungen entlang des Weges waren nach zähen Verhandlungen bereit, den Bau zu genehmigen, manche mussten regelrecht bestochen werden.
Botswana war eine Überraschung für die GCC. Als der Plan gefasst wurde und erste Verhandlungen mit den Regierungen von Ägypten, Sudan und Südsudan aufgenommen wurden, meldete sich Präsident Josef M’bata in Galacto City, um nach einer Anbindung seines Landes zu fragen. Vielleicht auch einige Strecken in die Naturparks, man könnte so Fotosafaris im Okawangodelta oder den Steppen buchen, ohne die Tiere mit Jeeps zu stören. Sowohl Natur als auch die Wirtschaft könnten davon profitieren. Hotelkuppeln, die man nur über die Straße betreten konnte. Rangerposten in den Schutzgebieten, die Tubetowns bitte außerhalb. Ihr bietet Bildung und ärztliche Versorgung? Ihr könnt uns gegen regionale Warlords helfen, die Diamantenmienen mit unvorstellbarer Brutalität und Grausamkeiten ihren Zwangsarbeitern gegenüber ausbeuten? Willkommen, Brüder, ganz herzlich willkommen, wir nehmen gerne jede, aber wirklich jede Hilfe, die wir bekommen können.
Seit 1966, als das Land seine Unabhängigkeit von der britischen Krone erlangte, galt Botswana als ein Vorzeigestaat in Afrika, nicht ganz zu Unrecht. Demokratische Verhältnisse, Meinungs- und Redefreiheit, Anerkennung und Umsetzung der Menschenrechte wurden ganz groß geschrieben. Natürlich war nicht alles perfekt, so war Homosexualität bis 2019 per Gesetz eine Straftat. Dieses Gesetz wurde zwar nicht mehr exekutiert, existierte aber weiter. Auch gegen die Gewalt Frauen gegenüber wurde erst relativ spät vorgegangen, als es aber dann soweit war, recht effektiv. Die Regierungsmitglieder waren zumindest halbwegs guten Willens, für die Bevölkerung tätig zu werden und nicht nur die eigenen Taschen zu füllen. Sie arbeiteten an einem Programm zur Alphabetisierung der Bevölkerung und an einer Anhebung der medizinischen Versorgung, führten mobile Kliniken ein und legten ein relativ dichtes Netz von kleinen Ärztezentren über das Land.
In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts bescheinigten internationale Gremien dem Staat nicht nur die mit Abstand geringste Korruption in Afrika, die Werte waren besser als bei so manchen europäischen Staaten. Dann kam HIV über Botswana. Die Lebenserwartung sank von durchschnittlich über 60 Jahre auf unter 50, die Ansteckungsrate lag zeitweise bei 18,7 % der Bevölkerung. Ein Umstand, an dem ein unausrottbarer Aberglaube aus der Kolonialzeit schuld trug. Die Engländer glaubten, Geschlechtskrankheiten durch sexuellen Verkehr mit einer noch unberührten, jungen Frau heilen zu können. Je jünger, desto besser, die afrikanischen jungen Mädchen kamen ihnen da gerade recht. Ihre Diener und Sklaven übernahmen diesen Glauben, und als Aids ausbrach, waren die Folgen dieses Aberglaubens leicht voraus zu sagen. Die Regierung suchte und fand internationale Hilfe, innerhalb von 20 Jahren konnte die Rate der Neuansteckung um 50 % reduziert werden. 2020 lag die Lebenserwartung der botswanischen Bevölkerung bei fast 70 Jahren, Tendenz steigend. Die Wirtschaft war durch die schreckliche Krankheit, zu der auch noch Ebola kam, ziemlich zerstört, doch durch den Verkauf von Diamanten schaffte es Botswana mit großer Mühe, das medizinische Netz aufrecht zu erhalten. Bald ging es wieder aufwärts in Botswana, besonders der Tourismus blühte. Und später dann die Aussicht auf diesen Verkehrsweg, eine Entlastung der Staatsausgaben, weil die GCC Schulbildung und Robodocs bot, der Präsident griff nach Rücksprache mit dem Parlament mit beiden Händen zu. Für ihn war es eine Win-Win-Situation. Für den Staat Botswana und den größten Teil der Bevölkerung.
Diamanten waren bald nichts mehr wert, die General Cosmic Company konnte Edelsteine in riesigem Umfang von nie gesehener Rein- und Schönheit auf den Markt werfen. Künstliche perfekte Steine, natürliche mit kleinen Fehlern – wie es gewünscht wurde. Die regionalen Chiefs mussten nach neuen Einkommensquellen Ausschau halten, und sie erinnerten sich an die drei Säulen des organisierten Verbrechens – Glückspiel, Prostitution, Drogen. Die Steppen, sowohl die trockenen als auch die feuchten, waren nicht gut für den Anbau von Drogenpflanzen geeignet, dazu viel zu leicht zu überwachen. Ein Minigleiter reichte völlig aus, um ein großes Gebiet zu überwachen. Für synthetische Drogen war der Transport zu aufwändig, zu schwierig und es war zu riskant, das Dope mit der Tube zu transportieren. Glückspiel? Nun ja, eine Möglichkeit, aber dann müssten sie in die Stadt ziehen, und damit wären sie angreifbar. Sie wählten also Prostitution. Nicht im eigenen Land natürlich, viel zu auffällig und gefährlich. Sie verkauften einfach gefangene Mädchen in die Bordelle der ganzen Welt. Und es gab reißende Nachfrage, niemand kümmerte es, woher die ‚Ware’ kam. Oder – wohin sie verschwand. Oder wie sie verschwand. In Gaborone war man ratlos, wie man dieser bestialischen Seuche Herr werden konnte, denn Beweise waren nicht zu finden. Und wenn eine Militäraktion geplant wurde, wichen die Chiefs einfach in das Nachbarland aus, um wieder zu kommen, wenn die Soldaten weg waren. In dieser Situation ging Präsident Ambombo Dayaka noch einen gewaltigen Schritt weiter als sein Vorgänger. Er gab den Tubeway-Rangern im ganzen Land Polizeigewalt und stattete die Staatsanwaltschaft in Den Haag und das TBI mit allen Rechten in seinem Land aus, internationaler Menschenhandel war aus seiner Sicht nicht nur eine nationale Sache.
Cesar Alexander nahm die Herausforderung an und entsandte einige Agenten, unauffällig, er zog sogar Leute von anderen Ermittlungen ab. Im Laufe von nur drei Jahren wurden 18 große Unternehmungen ausgehoben, in Europa, den USA, Lateinamerika, den russischen Republiken und dem Commonwealth. Große Menschenhändlerringe, die sich nicht nur mit ‚normaler’ Prostitution und Pornographie zufrieden gaben. Teilweise gingen die Erschütterungen bis in höchste politische und wirtschaftliche Kreise, Personen, von denen niemand gedacht hätte, welch dunkles Geheimnis sie verbargen. Das TBI suchte weiter…
*
Republik Miridan
System Irrumbur
„Flotte in Bereitschaft!“ bellte Kya Anach in das Befehlsmikrophon an Bord der BRIGADA INTERNACIONAL. Wieder war von den Patrouillenfliegern eine Masse geortet worden, doch weiter im System, mit großer Geschwindigkeit und stark verzögernd. Wenn die Berechnungen der Nanotroniken stimmten – und warum sollten sie das nicht? – käme das Raumschiff inmitten der miridanischen Flotte neben der BRIGADA INTERNACIONAL zum Stillstand. Sie wollte gewappnet sein.
„Mike, das ist nicht die STARDUST III“, meldete Agatha Nyssen.
„ALA…!“ hob Freyt an, doch the Rod unterbrach ihn.
„Es ist nach dem Transponder die TSS GIULIA FARNESE, Starlight arbeitet doch mit uns zusammen, oder?“
„Mir wäre der Chef mit dem Mutantenkorps lieber!“ knurrte der Admiral. „Aber ja, kein Grund für einen Alarm. Gut Freund! Mach Dich auf etwas gefasst, Admiral Anach.“
„Wie soll ich…“ weiter kam Kya nicht.
„Mein lieber Admiral Freyt!“ Theatralisch legte Tana ihre Hände auf ihr Herz und blickte den alten Haudegen mit schmelzendem Lächeln an. „Sie ahnen gar nicht, wie sehr es mich freut – schon gut, ich gebe Ihnen Ihren Chef, Admiral!“
Rhodans Gesicht erschien statt Tanas, nun, optisch sicher keine Verbesserung, im Gegenteil. Trotzdem atmeten die Veteranen auf, als der Chef zu sehen war.
„Freyt!“ bellte Rhodan sofort los. „Warum haben Sie das Mutantenkorps angefordert?“
„Sir!“ Michael Freyt gab ein Signal. „Ich überspiele ein Bild. Sonst haben wir leider noch keinen Erfolg gehabt!“ RO Bridget Ó’Cinnéide überspielte das Bild der beiden Thrmee gemeinsam mit den Informationen, die sie von Kya Anach erhalten hatten.
„Nein!“ Atlan schlug die Hände vor das Gesicht. „Das ist nicht möglich. Das gibt es nicht! Tawromeg!“
Rhodan fuhr herum. „Tawromeg? Du kennst diese Leute?“
Atlan ließ sich in einen Sessel auf der Admiralsloge sinken. „Es ist besser, eine Sprachaufzeichnung zu starten”, flüsterte Atlan. „Und wenn in einer Stunde oder so ein Glas Rotwein und ein Aspirin bereit sein könnten, wäre das hilfreich. Bitte, die Überraschung war jetzt zu groß. Pasiphaë! Und Evropa, ihr stark geschminktes Gesicht beugte sich über mich und hielt mir eine Dattel vor den Mund. ‚Iss, Geliebter’, flüsterte sie. ‚Du wirst Deine Kraft noch brauchen, mein kleiner Stier…“
*
Auf der Kommandoempore der GIULIA FARNESE lag ein Mann schwer atmend in einem der Kontursessel. Soeben hatte Atlan seinen Bericht beendet, und Rhodan rief in die Runde.
„Kann irgendjemand singen, egal was? Er hat einmal gesagt…“
„Giulia!“ unterbrach Ghoma. „Bitte sing dem Admiral ‚die Rückkehr der erfolgreichen Flotte‘ vor.“ Satte Bässe donnerten aus den Lautsprechern, eine Pauke begann ein Stakkato und ein Dudelsack setzte ein, danach etwas, das nach einer mächtiger Orgel klang. Die sonst sanfte Altstimme des Rechners verwandelte sich in einen hohen Diskant, der sich im Laufe des Liedes noch in die höchsten Töne schraubte!
„Danke! Danke!“ Atlan winkte nach zwei Strophen ab und nahm einen Schluck aus dem Flachmann, den Victoria von einem Serviceroboter vorsorglich aus ihrer Kabine bringen ließ. „Hmpf! Was ist das denn?“, fragte er erschüttert. Christian schnüffelte an der Öffnung, wischte darüber und nahm einen Schluck.
„Sliwowitz. Scharf und keine Farbe, würde der leider viel zu früh verstorbene wiener Kabarettist Helmuth Qualtinger sagen, aber als Schockmedizin gut zu brauchen!“
„Oh ja! Ich erinnere mich. Der Kommissar zum Wirt: ‚Ein Achterl!‘ Der Wirt fragt ‚Rot oder weiß?‘ und der Kommissar gibt zur Antwort: ‚Sliwowitz‘! Der unsterbliche Gag. Unsterblich zumindest, solange ich lebe!“ Atlan schien der Name etwas zu sagen, allmählich kehrte die normale Farbe in sein Gesicht zurück. „Jedenfalls danke für den Schnaps!“ Im Hintergrund ertönten mahlende Geräusche, dann zischte etwas laut, und aromatischer Duft zog durch die Brücke.
„Du hast eine Espressomaschine auf der Brücke installieren lassen?“ Thora fragte es mit Jubel in der Stimme. „Für mich bitte auch einen!“ Sie wandte sich an ihren Mann. „Perry, ich habe dir doch immer gesagt, für ein wenig Luxus muss auch in einer Raumschiffzentrale Platz sein.“
„XO, sie haben la Signora nobile gehört, bringen Sie doch bitte einen zweiten Espresso mit“, rief Victoria über die Schulter zurück.
„Geht klar, Chefin!“ Luther Breckenridge drückte ein zweites Mal auf die Taste, nachdem er ein kleines Tässchen unter den Hahn gestellt hatte. Wieder vernahm man das Geräusch des Mahlwerkes, welches die Bohnen frisch zu feinem Mehl zerrieb, während die Automatik das Sieb säuberte, mit heißer Luft trocknete und dann mit dem frischen Kaffeemehl füllte. Danach wurde das volle Sieb unter die Auslassdüse des Tanks mit kochendem Wasser geführt, nach oben gedrückt und verriegelt, das Ventil öffnete sich und der heiße Dampf zischte durch die Leitung, riss die Geschmacks- und Wirkstoffe mit sich und trat leise blubbernd als Flüssigkeit, eben als Kaffee, aus der Tülle.
„Was Ihr alle an diesem Schlammbad findet!“ Perry Rhodan schüttelte sich, Thora nahm ihr Tässchen in Empfang, küsste Rhodan auf die Wange und genoss den ersten Schluck.
„Dafür werde ich nie Deine Vorliebe für diese geschmacklose, dünne und fade Plörre verstehen, die du in maßloser Übertreibung Kaffee nennst. Merke, wenn Du das Muster am Boden einer dieser kleinen Tassen erkennst …“ Sie hob ihre Mokkatasse hoch. „… verdient das Getränk den Namen Kaffee nicht!“
„Danke, Leute!“ Atlan stand wieder auf den Beinen. „Euer Alltagsgeplänkel hat mir wirklich sehr geholfen! Ich bin wieder voll in der Gegenwart.“
„Sehr schön!“ räusperte Rhodan seine Kehle frei. „Also sind die Minotauren – oder Tawromeg, wie Du sie nanntest – keine blutrünstigen Monster?“
„Nur, wenn Du ihre Herren und Herrinnen angreifst, oder sie von diesen den Befehl zu Gewalt bekommen. Nun, zumindest war das damals so, als ich mit ihnen zusammentraf. Irgend etwas macht aus ihnen die perfekten Diener, als wäre das in ihren Genen …“ Atlan sprach immer langsamer und leiser, verstummte schließlich ganz.
„Deine Begegnung mit ihnen liegt lange zurück, mehr als dreitausend Jahre“, überlegte Victoria.
„Und da waren sie schon tausende von Jahren unterwegs“, spann Rhodan den Faden weiter.
„Es könnte sich ausgehen, ein frühes Experiment der Ara?“ fragte Bully in den Raum.
„Kaum!“, brach es aus Thora heraus. „Diese Gajagjji und die Sanath’Dharma haben den Miridanern geholfen, noch lange bevor Atlan auf die Welt gekommen ist! Unter Orbanaschol war Miridan bereits von Arkoniden besiedelt, und die Mantiden begannen bereits vorher mit der Raumfahrt. Wenn jetzt die Gajagjii und die Sanath’Dharma sie die Metallbearbeitung lehrten, ist das nochmals tausende Jahre vorher. Mindestens. Da gab es noch lange keine Aras!“
„Stimmt!“ Victoria strich sich mit beiden Händen das Haar zurück und schloss die Augen. „Diesen Aspekt habe ich nicht bedacht. Sie müssen älter als die Aras sein!“
„Sehr viel älter!“ bekräftigte Leslie Meyers. „Eine Idee, vielleicht waren die Arkoniden und Atlan nicht die ersten Paladine von ES?“
„Das würde zu ES passen“, knurrte Bully. „Ich habe diesem Wesen noch nie wirklich getraut. Er verheimlicht zu viel! Vielleicht haben die Tawromeg eine Prüfung nicht geschafft, also bekamen sie keine Zellaktivatoren und mussten den anderen dienen.“
„Nein, das passt auch nicht ganz.“ Atlan ging ein paar Schritte auf und ab. „Unter den Sanath’Dharma und den Gajagjii, also den Herren der Tawromeg, gab es ja auch keine Unsterblichen.“
„Sicher?“ Leslie Meyers lehnte sich mit ihrem Po gegen den Tisch in der Mitte und gestikulierte heftig mit den Armen. „Nur weil du keine kennen gelernt hast, und Pasiphaë keine erwähnt hat? Thora, von wie vielen Unsterblichen wusstest du vor deinem Abflug?“
„Sicher?“, die Arkonidin überlegte Sekundenlang. „Sicher von keinem, es waren immer nur Gerüchte.“
„Und hättest du es einem Mann gegenüber erwähnt, wenn du ihm die Geschichte Arkons erzählt hättest? Unabhängig davon, ob du gerade mit ihm intim warst oder nicht.“
„Hätte ich nicht!“ betonte Thora. „Und Crest auch nicht. Falls er mit einer Frau geschlafen hätte, und wäre er an einer etwas längeren Beziehung interessiert gewesen, hätte er sicher nicht gleich von weit hergeholten Gerüchten geredet. Der Mann ist so etwas von verklemmt, ein One-Night-Stand einfach so wäre für ihn nie in Frage gekommen.“ Ghoma drehte sich rasch um und hielt ihre Hand an das Earset, um ihr Grinsen zu verbergen. Thora hatte doch nicht so viel Ahnung von ihrem Onkel, wie sie dachte, oder vielleicht …?
„Quod erat demonstrandum“, sagte Leslie lächelnd. „Also, Atlan, können wir ganz genau, ganz sicher wissen, dass es nie auf einer dieser fliegenden Inseln einen Unsterblichen gab?“
„Ganz sicher?“, fragte Atlan, dann stellte er fest. „Nein, können wir nicht. Es gibt nur Wahrscheinlichkeiten.“
„Das hat überhaupt nichts zu bedeuten”, meldete sich Kono Killikioauewa zu Wort, „ES kann auch Sterbliche als erste Paladine eingesetzt haben. Ein frühes Experiment. Eigentlich wissen wir gar nichts. Ich stelle nur die Frage, warum diese Inseln, wenn sie von ES stammen, nicht mit einem Hyperflugantrieb ausgestattet sind?“
„Sind sie das ganz sicher nicht?“, fragte Victoria. „Bei aller Bescheidenheit, aber hätte Atlan die GIULIA bei ihrem Sprung messen können? Mit den Mitteln, die Rico zur Verfügung hatte?“
„Natürlich nicht!“ betonte Atlan. „Genau so wenig, wie es noch heute jemand möglich ist, einen gedämpften Sprung… Tana? Was sollte dieses kurze Schmunzeln? Ich habe es genau gesehen, junge Dame!“
„Sollten wir uns nicht die Frage stellen, wie wir mit den Tawromeg Kontakt aufnehmen können?“, lenkte Victoria ab. „Vielleicht mit Gucky. Oder Ishi Matsu und Ras Tschubai?“
„Später!“ Thora vertraute auf Atlans Beobachtungsgabe und insistierte weiter.
„Na schön. Ich habe der CYGNUS ein kleines Geschenk für Mister Adams mitgegeben. In Zukunft werden die VN und die GCC getarnte Sprünge anmessen können.“
„Und Du unsere“, bemerkte Bully, Victoria sah ihn mit großen, sanften Augen an.
„Aber ganz selbstverständlich!“ gurrte sie leise. „Das konnte ich schon immer. Ihr werdet doch keine Geheimnisse vor mir haben wollen, oder?“
*
Solares System
Terra, Europa, Den Haag
Friedenspalst, Verhandlungssaal 1 des internationalen Strafgerichtshofes
„Ich erhebe Einspruch!“ Der Rechtsanwalt Joseph McLock aus Chicago sprang auf und wedelte aufgeregt mit den Armen.
„Oh!“ Doortje an de Mool lehnte sich zurück. „Da bin ich aber erstaunt. Jetzt schon? Wogegen erheben Sie denn genau Einspruch, noch ehe dieser Prozess begonnen hat?“
„Gegen den Prozess als solchen selbstverständlich“, donnerte der Anwalt und hieb mit der Faust auf den Tisch. „Diese Anklage ist ungeheuerlich! Mein Mandant ist Vorstandvorsitzender und Haupteigner eines namhaften Konzerns in den USA!“
„Ich verwarne Sie, Herr Anwalt.“ Der vorsitzende Richter Don Diego Fernando Jesus Felipe Rodriguez aus Mexiko, der Präsident des internationalen Strafgerichtshofes, hatte es sich nicht nehmen lassen, in diesen Prozessen den Vorsitz zu führen und dieser Mann ließ sich nicht auf der Nase herumtanzen. Von Niemandem, auch nicht von dem Staranwalt McLock. Er lehnte sich vor und fixierte Joseph. „Wenn in diesem Gerichtssaal irgend jemand auf den Tisch schlägt, dann bin ich das.“ PENG! Der Hammer knallte auf das Holzkissen. „Das klingt dann so, und es bedeutet so viel wie basta, suficiente, full stop, Punkt und aus, enough oder howgh! Also, Herr Anwalt, sollten sie noch einmal auf einen Tisch oder ähnliches schlagen, wird der Hammer fallen, und es wird Ihnen dann nicht gefallen. Überhaupt nicht. Also, bringen Sie Ihre Argumente auf geziemende Art und Weise!“
„Ich entschuldige mich, Herr Vorsitzender, Eure Ehren.“ Mister Mac Lock verneigte sich ruckartig. „Trotzdem bestehe ich auf meinem Einwand!“
„Also, Herr Anwalt!“ Doortje lehnte sich vor. „Wenn ich das richtig verstehe, gründet sich Ihr Einwand allein auf folgendes: Mister Walther Goliath Bruns III ist Vorstandsvorsitzender bei Bruns incorporated und besitzt mehr als 50 Prozent der Aktien. Gleichzeitig sitzt er noch in – Moment – dreizehn anderen Vorständen in leitender Funktion und besitzt ein versteuertes Vermögen von…“ Wieder sah Doortje auf ihrem Pad nach. „…135 Millionen Dollar auf – lassen Sie mich aussprechen, Mister Mac Lock!“
„Herr Anwalt, Sie werden Zeit für Ihr Plädoyer erhalten.“ Don Diego spielte mit seinem Hammer. „Jetzt spricht Miss an de Mool.“
„Danke Herr Vorsitzender.“ Doortje blätterte auf ihrem Pad weiter. „Also, 135 Millionen Dollar auf der Bank of New York, der Washington Commerce, der Philadelphia Credit und sogar der Bank of Hongkong. Ach ja, die 35 Millionen Dollar in Yen Bank of Hongkong sind derzeit gesperrt, zumindest, solange der Prozess läuft. Die Asiatische Föderation hat etwas gegen Mörder, Vergewaltiger und kranke Personen, die Spaß an der Jagd auf Menschen haben.“
„Das ist noch nicht bewiesen“, ereiferte sich der Anwalt. „Es dürfte dieses Verfahren überhaupt nicht geben, das ist unerhört!“
„Warum?“, fragte Doortje ruhig. „Weil er viel Geld besitzt und einflussreich ist? Damit steht er nicht über dem Gesetz!“
„Seine Verhaftung war unrechtmäßig, weil er sich auf Privatbesitz aufhielt und der Agent kein Recht hatte, überhaupt dort zu sein“, argumentierte McLock. „Da könnte ja jeder irgendwo erscheinen und eine Person einfach so festnehmen!“
Die Staatsanwältin seufzte. „Wir hatten sowohl einen Betretungs- als auch einen Durchsuchungsentschluss dieses Gerichtshofes für das Grundstück. Damit war die Anwesenheit des TBI-Agenten gesetzlich gedeckt. Richter Jan Svoboda war der unterzeichnende Richter, er hält sich für eine Aussage zur Verfügung des Gerichtes!“
„Auf welcher Rechtsgrundlage“, tobte Joseph.
„Das ist einfach erklärt“, sagte Doortje nur. „Hören und sehen Sie nur zu!“
Der große Bildschirm an der Wand gegenüber des Richtertisches erwachte zum Leben.
„Und wir können mit unserer Beute machen, was wir wollen?“, fragte der Angeklagte Bruns, und der Angeklagte Solverquist fragte noch einmal nach.
„Wir meinen wirklich ALLES!“
Don Christobal sagte „Der Dschungel gibt nichts mehr her. Sie gehört ganz Ihnen. Machen Sie, was sie wollen, sie wird nicht mehr auftauchen.“ Der Angeklagte Joannis Mandilitarakidos schwieg bei dieser Unterhaltung, doch auch ihm schien das Arrangement zuzusagen.
„Wie sind diese Aufnahmen überhaupt entstanden?“ fragte der Anwalt. „Wenn sie überhaupt echt sind!“
„Mittels eines nanotronischen Aufzeichnungs-Gerätes.“ Doortje an de Mool betätigte die Fernbedienung, der Schirm wurde wieder dunkel. „Glauben Sie wirklich Herr Anwalt, wir hätten keine Zeugen, die das Gespräch an sich bestätigen könnten? Wir halten es nur für sicherer, dass sie keinen direkten Zugang zu diesen Personen und ihren Familien erhalten. Für weniger als 135 Millionen sind schon mehrere Menschen verschwunden. Oder nach einem Prozess als Leiche wieder aufgetaucht!“
„Das ist eine böswillige Unterstellung!“ brüllte McLock. „Es wurde meinem Mandanten nie etwas bewiesen!“
„Es war zwar nur eine allgemeine Bemerkung, aber wenn Sie Ihrem Mandanten diesen Schuh anziehen wollen? Wir werden sehen, Herr Anwalt. Wir werden sehen!“ Doortje blieb ruhig und sah dem Anwalt ins Gesicht. „Eigentlich könnten wir uns weitere Präliminarien schenken und gleich in medias res gehen!“
„Die Aufnahmen verletzen das höchstpersönliche Eigentumsrecht“, warf der Anwalt ein. „Sie hätten nie gemacht werden dürfen. Geben Sie uns einen Grund, warum sie meinen Mandanten bespitzelt haben. Nur einen einzigen!“
„Es gibt keinen“, gab die Staatsanwältin zu. „Eigentlich war ‚el Chico’ Hermano Tiburon unser Ziel. Ihren feinen Herrn Mandanten haben wir nur zufällig erwischt. Aber danach war Gefahr im Verzug. Wir mussten schnell handeln, um diesen geplanten Mord und diese kranke Jagd zu verhindern.“
„Selbst wenn alles korrekt wäre, was wir damit nicht sagen wollen, wäre das nur ein versuchter Mord und kein vollendeter.“ Der Anwalt wand sich.
„Das macht die Angelegenheit ja gleich sehr viel besser“, funkelte der Blondschopf den Verteidiger an. „Ihr Mandant kauft sich gemeinsam mit seinen feinen Freunden eine Mestizin, um sie mit Sturmgewehren nackt durch den Dschungel zu jagen, damit sie danach ihre kranken Gelüste befriedigen können. Sagen Sie, Herr Anwalt, waren Sie auch schon einmal… ich ziehe die Frage zurück und entschuldige mich!“
„Diese Unterstellung ist eine Frechheit!“ brüllte der Verteidiger und schlug mit der Hand auf den Tisch.
„Herr Verteidiger!“ Don Diegos Stimme war schärfer als eine Rasierklinge. „Ich werde Ihnen diesen Ausbruch wegen verständlicher Erregung durchgehen lassen. Aber bitte, beherrschen Sie sich.“
„Und doch, die Frau ist nicht tot, und sie haben keine Beweise, dass solche Verbrechen bereits vorher von meinem Mandanten begangen wurden!“ Der Anwalt brachte weiter Argumente auf den Tisch. „Daher war die Inhaftierung ohne Kaution reine Schikane und ein Akt der Willkür!“
„Oh, tatsächlich?“, gurrte Doortje, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, ihr Gesicht erinnerte an eine Katze, die ans Sahnetöpfchen darf. Sie hob ein dickes Buch mit blauem Einband, eine Waage inmitten eines Kranzes von Ölzweigen darauf, in die Höhe. „Sie sollten diese Gesetze eigentlich kennen, Mister McLock. Es sind die UNO – Gesetze über internationale Strafverfolgung und -vereitelung. Gleich zu Beginn, Paragraph eins, Absatz eins. Ich zitiere ‚Die Teile der internationalen Strafverfolgungsbehörden sind wie folgt. Punkt eins. Bei Verstößen von Staaten und deren Oberhäuptern und/oder Behörden oder Teile von Behörden gegen die Gesetze der Vereinten Nationen entscheidet der internationale Gerichtshof. Punkt zwei. Bei Verstößen gegen die von den Vereinten Nationen beschlossenen Regeln zu Kriegsführung und/oder Besetzung von Gebieten sowie die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Behandlung von Bewohnern besetzter Gebiete, von Minoritäten im eigenen wie im besetzten Gebiet, dem Einsatz von Waffen, die unter die Acht der vereinten Nationen oder die Genfer Konvention fallen, tritt das internationale Kriegsverbrechertribunal zusammen. Punkt drei. Im Falle eines grenzüberschreitenden Verbrechens gegen die Menschheit, die Menschlichkeit, die Menschenrechte und die Menschenwürde sowie Verbrechen gegen Minderjährige, Entführung, Drogenherstellung in nicht geringem Ausmaß, internationalem Drogenhandel in nicht geringem Ausmaß, Organ- und Menschenhandel und anderen in Paragraph vier näher angeführten internationalen Verbrechen entscheidet der internationale Strafgerichtshof. Punkt vier. Die Aufklärung der in Paragraph eins, Absatz eins, punkt drei genannten Verbrechen sowie die in Paragraph vier behandelten Verbrechen obliegt dem Terra Bureau of Investigation und seinen Unterabteilungen, wie sie in Paragraph eins, Absatz eins, Punkt fünf angeführt werden‘. Zitat Ende. Paragraph vier der UNO – Gesetze über internationale Strafverfolgung und -vereitelung, Absatz 2b. Ich zitiere. ‚Der tätliche Angriff mit einer potentiell tödlichen Waffe auf ein Mitglied der internationalen Strafverfolgungsbehörden ist zu den Kapitalverbrechen zu rechnen, daher ist das Gewähren einer Freilassung auf Kaution nicht möglich.‘ Zitat Ende. Ihr Mandant, Herr Anwalt, hat auf einen TBI-Agent in Ausübung seines Dienstes mit einer potentiell tödlichen Waffe geschossen, nachdem dieser sich als Agent zu erkennen gegeben hatte!“ Mehrmals hatte der Verteidiger versucht, Doortje an de Mool zu unterbrechen, umsonst, sie hatte sich nicht darauf eingelassen und einfach ruhig und bestimmt weitergesprochen. Nun schaltete sie an ihrem Pad, wieder flammte der Bildschirm auf.
„Alles klar! TBI! Lassen sie Ihre Waffen fallen und heben Sie die Hände. Sie sind vorläufig festgenommen! Wegen versuchten vorsätzlichen Mordes in besonders grausamen und schwerem Fall in Tateinheit mit Folter in Tatmehrheit mit Freiheitsberaubung, Zusatzartikel 2, Paragraphen 1, 2 und 4“. El Chico, Bruns, Mandilitarakidos und Solverquist begannen zu lachen, das Feuern ihrer automatischen Sturmgewehre vom Typ der alten AK 47 mit dem Kaliber 7,62 mm machte ohrenbetäubenden Lärm, drei Mal dreißig und ein Mal 29 Schüsse landeten im Schutzschirm des Agenten.
„Ihre Anklage kann, muss sich aber nicht auf diese Punkte beschränken.“ Agent Benito Nuñez hatte seine Rede beendet, zog den Narkosestrahler, Doortje fror das Bild ein.
„Das, Herr Anwalt, das ist die Aufnahme der Bodycam von Agent Nuñez. Sie können ihn später ins Kreuzverhör nehmen, wenn sie das wünschen. Das ist ihr Mandant, das ist eine potentiell tödliche Waffe, die er auf den Agenten abfeuert, welcher sich, wie wir alle gehört haben, bereits vorher zu erkennen gab. Möchten Sie eine Pause, um sich mit Ihrem Mandanten zu beraten? Ein Geständnis könnte die Verlegung in einen Block mit Einzelzellen zur Folge haben. Mit eigener Dusche und Toilette, sogar mit eingeschränktem GeoNet-Zugang. Aber wir haben auch Zweierzellen zur Verfügung. Beraten Sie sich! Letzte Chance!“
„Ich wiederhole! Dies alles sind ungültige Beweise, die illegal beschafft wurden! Ich bitte den Vorsitzenden Richter, diese für nicht zulässig zu erklären!“
„Mevrouw an de Mool?“ Szofia Borbéli aus Esztergom an der Donau, die linke Beisitzerin wandte sich an die Anklagevertreterin. „Bitte, erklären sie sich dazu.“
Doortje erhob sich und neigte kurz den Kopf in die Richtung des Richterpultes. „Eure Ehren! Bisher hat die Staatsanwaltschaft doch noch gar keinen Beweis vorgebracht, nicht vorbringen können, sondern nur auf die Anträge, Fragen und Behauptungen der Verteidigung von Mister Bruns geantwortet. Ich möchte anmerken, dass auf Grund des Verhaltens jener Verteidigung bisher noch nicht einmal die zwölf Geschworenen ausgewählt werden konnten.“
McLock sprang auf die Beine. „Ich fordere, dass diese Männer und Frauen sofort durch eine andere Auswahl ersetzt werden! Sie sind bereits voreingenommen durch das wiederrechtlich aufgenommene und vorgebrachte Beweismaterial. Weiters fordere ich die sofortige Enthaftung von Mister Bruns!“
Leise beratschlagten die drei Richter, blätterten in den VN-Gesetzen. Dann fiel der Hammer. „Abgelehnt! Mister McLock, keines dieser Bild- und Tondokumente ist auf ungesetzliche Art und Weise zustande gekommen, sie wären den Geschworenen ohnehin gezeigt worden. Ihr Versuch, den Prozess mit unlauteren Mitteln zu verzögern, wurde zur Kenntnis genommen. Wenden Sie keine Tricks mehr an, die zu Ihnen zurückkehren könnten.“ PENG! Der Hammer fiel, Mister Joseph Mac Lock gefiel es gar nicht!
„Sie ruinieren das Leben von Mister Bruns und seiner Familie“, blaffte er, und Doortje an de Mool antwortete ihm.
„Sie irren, Mister McLock. Das hat Ihr Mandant ganz allein geschafft!“
*
Republik Miridan
System Irrimbur, am Rand des Systems
Eine riesige Scheibe mit einem Durchmesser von 25 Kilometern Durchmesser flog mit Kometengeschwindigkeit in der Nähe eines Sternes der Spektralklasse G grob gerechnet in Richtung der Sonne. Niemand an Bord wusste, dass die Bewohner des Systemes, die sowohl aus mantiden als auch humanoiden Miridanern bestand, diese Sonne Irrumbur nannten. Sie wussten auch nicht viel von diesen Bewohnern, abgesehen von ihrem Aussehen, denn seit einiger Zeit empfingen sie modulierte elektromagnetische Wellen, die ihr Empfänger als Bild interpretieren konnte. Sie waren nicht erstaunt, dass eine intelligente Insektenrasse und eine menschliche zusammen in Frieden leben konnten, ihre früheren Herren hatten oft und oft an solchen Partnerschaften gearbeitet. Genau so oft aber auch dagegen, der Grund war den Tawromeg unbekannt geblieben, sie hatten auch nicht gefragt. Sie waren einfach Diener gewesen, und jetzt waren sie Diener ohne Herren. Sie hofften mit aller Kraft ihrer Herzen, wieder jemand zu finden, der die Aufgabe eines Herren übernehmen würde. Vielleicht hier?
Für die Größe der fliegenden Insel war der zentrale Kommandoraum klein, doch ringsum waren wie bei einem Amphitheater Ränge für mehr als hunderttausend Personen von der Größe der Tawromeg. Immer wieder saßen Frauen und Männer auf den Plätzen und atmeten die Nähe zu den verschwundenen Herrinnen und Herren, den Gajagjii und den Sanath’Dharma. Den Raum mit den Schaltpulten in der Mitte durften allerdings nur wenige aufsuchen. Achiichipos, der ‚weiße Spendende‘, der ‚Sprecher des großen Steuermannes’, Yphieipeleke, die ‚schwarze Empfangende’, die ‚Sprecherin der großen Mutter’, sowie die Auserwählten, aus deren Mitte die designierten Nachfolger bestimmt wurden. Sowohl die Sprecher als auch die Nachfolger konnten auch aus dem Amt scheiden, nicht jeder hielt dem Druck, ständig Entscheidungen treffen zu müssen, lange stand. Dann wurde ein neuer Auserwählter zum Nachfolger bestimmt und die Reihen der Auserwählten wieder gefüllt. Um in Frage zu kommen, musste man als Mann weiß, durchgehend und makellos weiß sein, als Frau ebenso makellos schwarz, und man musste lernen und sich bilden, denn eine schwere Prüfung wartete auf sie oder ihn.
Kaum ein Tawromeg war, auch wenn es so scheinen mochte, dumm. Sie waren langsam und bedächtig im Denken, wogen für und wider sorgfältig ab, prüften jeden Gedankengang drei-, vier-, fünfmal, ehe sie sich des Ergebnisses sicher waren. Und dann hatten sie noch immer ein Problem, auf der Basis dieser Erkenntnisse auch eine Entscheidung zu treffen. Die Natur schien ihnen damit einen Streich gespielt zu haben, ein messerscharfer Verstand mit der Entschlussfreudigkeit eines Forivora. Obwohl, faul waren die Tawromeg in keiner Hinsicht, und wenn ihr Leben oder das eines Schutzbefohlenen in Gefahr war, reagierten sie schnell, instinktiv und zielsicher. Sie hätten ganz ohne Zweifel für jeden Despoten eine ideale Prätorianergarde abgegeben, doch zumindest den Bewohnern der ASTI’SPATITRI’IS, immerhin beinahe zwei Millionen Tawromeg, war dieses Schicksal erspart geblieben. Zwei Millionen waren nicht viel, die Insel hätte mehr als der doppelten Anzahl Tawromeg Platz genug geboten, doch in letzter Zeit war der Kindersegen spärlich geworden. Sollten die Tawromeg ihren Herren und Herrinnen folgen?
Eine kleinere und schlankere Ausgabe Yphieipelekes drehte sich von den Otungsgeräten weg.
„Sprecherin!?“
„Was hast Du gesehen, Kind?“ fragte die höchstrangige Tawromeg, und ging zu Klymatairene.
„Hier, Sprecherin, dieser Lichtpunkt wird immer heller, seit er erschienen ist. Ob hier wohl ein Raumschiff näher kommt?“
„Vielleicht, Klymatairene, vielleicht. Es könnte….“
„Es ist ein Raumschiff!“ Acchiichipos war dazu getreten. „Sieh nur, Yphieipeleke, es wird nicht nur heller, sondern auch größer. Es nähert sich, es strahlt aktiv blauweißes Licht aus, ich kann mir nichts anderes vorstellen. Parankaletros, aktiviere das Sprechgerät und sende, wir kommen ohne feindliche Absicht.“ Dann zuckte er zusammen und wandte sich an Yphieipeleke.
„Verzeih, Sprecherin der großen Mutter. Nur wenn Du Einverstanden bist, natürlich.“
Die schwarze Empfangende staunte über die Entschlusskraft des Mannes. „Wenn Du denkst!“
„Wenn ich diese Anzeigen richtig lese, dann kommt eine große Kugel auf uns zu, Sprecherin!“ Klymatairene meldete sich wieder schüchtern, Achiichipos drehte sich um.
„Wenn wir doch mehr machen könnten! Sende, Parankaletros, so sende doch!“
*
Republik Miridan, System Irrumbur,
an Bord der GIULIA FARNESE
Admiralin Kya Anach staunte, nicht nur die Größe der GIULIA FARNESE sprengte den Rahmen der kugelförmigen Raumschiffe, auch die Beschleunigung war grandios. Ihre kleinere INNKU’ULULEKO der Tussan-Klasse schaffte etwas über 1.700 Dran/Zentitonta2. Vielleicht noch 50 Dran mehr, wenn man bereit war, alles zu riskieren, für kurze Zeit. Und dieser überschwere Gigant mit 6,46 Dezidran Durchmesser wurde von seinen gar nicht so groß erscheinenden Triebwerken mit 2.210 Dran/Zentitonta2 nach vorne geschleudert, wenn sie richtig umgerechnet hatte, und den Anzeigen auf den Instrumenten des Rudergängers nach schien das Maximum noch nicht einmal erreicht.
„Objekt zeichnet“, informierte XO Luther Breckenridge die ‚CO‘ und damit alle auf der Empore, nachdem er eine entsprechende Meldung der Ortung in seinem Earset erhalten hatte.
„Danke, XO!“ Ghomas Blick schweifte über die Brücke. „GIULIA, bitte markieren!“ Ein blauer Kreis legte sich um einen der Punkte, alle Augen richteten sich darauf. „GIULIA, vergrößern“, befahl Ghoma, der Kreis weitete sich aus und zeigte die Scheibe, die mit einer Schmalseite voran in das System einflog.
„Faktor eine Million“, meldete die Neuronik. Deutlich war nun die gigantische flache Kuppel über einem grünen Gebiet zu erkennen, in der Mitte ein Berg ohne Vegetation an der Spitze, dafür schien Schnee darauf zu liegen.
„Ein Kilimadjaro!“ Georges T’Mabanaja aus Kenia saß am Ruder und hatte nur kurz auf die Vergrößerung geblickt, eher er wieder seine Instrumente im Auge behielt.
„Nun, es ist tatsächlich ein weißer Berg!“ bemerkte Thora, und Atlan warf ein.
„Aber kein Vulkan, darauf wette ich!“
Auch das versetzte Kya Anach in Erstaunen. Da waren zwei Arkoniden, dem Aussehen nach Adelige von Arkon I, an Bord eines Raumschiffes der Terraner und unterhielten sich beinahe freundschaftlich mit der Besatzung. Und mit ihr, der rebellischen Kolonialarkonidin. Nicht, dass die stolze Admiralin unter irgendwelchen Komplexen gelitten hätte, sie wusste sehr genau, was sie wert war. Und das war eine ganze Menge. Nicht umsonst war sie die jüngste drei-Sonnen-Admiral und Kommandeuse der kompletten vorderen Flanke. Aber ihre Erfahrung mit den weißhaarigen, dekadenten adeligen Arkoniden von Arkon I, die den damaligen Miridan-Sektor des Kristallimperiums verwalteten, war eine andere gewesen. Damals, als diese Arkoniden noch anwesend waren. Bei diesen zwei Arkoniden war erstaunlicherweise weder von Präpotenz noch von Dekadenz viel zu erkennen, wenn man von einigen manierierten Gesten und gelegentlichen Sticheleien Thoras absah.
„Es war ein langer Weg!“ Kya fuhr herum, eine zarte, schlanke Frau mit ebenso ausgeprägten Lidfalten wie sie selbst, aber schwarzem, kinnlangem Haar und heller Haut, stand neben ihr.
„Entschuldigung, Admiral. Ich wollte Sie nicht erschrecken!“
„Schon gut, Lieutenant first Class Ishi Matsu? Sie sind eine der Telephatinnen auf diesem Schiff?“
„Eine Ehre, Admiralin!“ Ishi verbeugte sich mit starrem Oberkörper aus der Hüfte. „Aber es reicht, wenn Sie mich Ishi nennen, und ich darf Ihnen versichern, dass ich meine Gabe bei Ihnen jetzt nicht angewandt habe. Ihr erstauntes Gesicht hat mir genug verraten. Sie wundern sich über die Donna!?“
„Donna?“ Kya machte ein ratloses Gesicht, über Ishis beherrschtes Gesicht flog für Sekundenbruchteile so etwas wie die Andeutung Lächeln.
„Die respektvolle Anrede für eine Herrin in einer selten benutzten terranischen Sprache. Miss Starlight hat sie aufgebracht und die Floskel verbreitete sich rasant.“
„Nun gut!“ Kya runzelte die Stirn. „Ich bin tatsächlich überrascht. Arkoniden benehmen sich normalerweise nicht so – so…“
„Menschlich?“ Ein großer, sehr dunkelhäutiger Mann war zu ihnen getreten und hatte die Konversation teilweise mitgehört.
„Nun – ja, das trifft es eigentlich ganz gut“, bestätigte Kya und betrachtete, wie der Dunkle an einer Tasse Kaffee nippte.
„Ach, wollen Sie auch einen?“, fragte er, als er den Blick Kyas auf die Tasse bemerkte. „Ich bin Ras. Ras Tschubai.“ Er legte den Kopf schräg. „Ich hole Ihnen wirklich gerne einen Kaffee.“
Kya winkte ab. „Danke, Ras, aber nein.“
„Nun, das mit Thora war nicht immer so“, erinnerte sich Ishi Matsu an die Anfänge der GCC, damals, als die Arkoniden auf dem Mars notlandeten und von Perry Rhodan auf die Erde gebracht wurden. „Crest, der Onkel von Thora dort, war damals, es war vor 55 Jahren, sehr krank und musste auf Sol IV notlanden. Damals war gerade der erste interplanetare Raumflug der Menschen von Sol III, der Erde, unterwegs zu IV, dem Mars. Perry Rhodan, Reginald Bull, Mike Freyt und Rod Nyssen waren mit vier anderen damals auf dem Mars und nahmen Crest mit zur Erde. Geheim. Nach gelungener Heilung war Crest dankbar und lehrte die Menschheit arkonidische Technik, Thora half ihm dabei widerstrebend. Sehr widerstrebend sogar. Für sie waren wir Menschen niedrige Kreaturen, der letzte Abfall. Das haben Sie auch erlebt, Admiral, oder?“ Kya nickte, Ras griff ein.
„So schlimm war es auch nicht, Ishi. Nicht ganz. Aber nahe dran. Fragen Sie Mike, er kann Ihnen die Details von damals berichten, wenn Sie beide einmal die Zeit dafür finden. Oder the Rod, wenn Sie es mit deftigen Worten mögen. Auf jeden Fall, eines Tages kam Thora mit einem ganz seltsamen, irgendwie leuchtendem – schon gut, Ishi, meinetwegen auch befriedigtem – Gesichtsausdruck aus Rhodans Kabine, und dann hieß es plötzlich, die beiden wollen heiraten. Und das haben sie dann auch gemacht. Drei Kinder haben sie bis jetzt.“
„Die adelige Arkonidin und der Terraner?“ Kya konnte es kaum glauben, und Ishi hakte ein.
„Wenn die Gerüchte stimmen, Admiralin, dann sind Sie und Mike Freyt auch so etwas wie ein Paar!“
„Ach ja, die Gerüchteküche!“ seufzte Kya und fuhr sich durch die kurzen, krausen Haare. „Zum Ersten, ja, ich teile mit Michael Freyt ab und zu das Bett. Zum Zweiten, ich bin keine adelige arkonidische Prinzessin aus den höchsten Adelskreisen mit einem ‚dal’ vor dem Namen, sondern eine hart arbeitende Frau aus der tiefsten Provinz. Wir geben in der Republik nichts auf Abstammung und Blutlinie, weder positiv noch negativ. Und zum Dritten haben Michael und ich nicht vor, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Zumindest noch nicht.“
„Ich gratuliere“, mischte sich ein tiefer Bass ein, und eine nicht weniger klangvolle Stimme merkte noch an „Wenn jemand ‚noch nicht‘ sagt, dann wartet er darauf, dass jemand anders den ersten Schritt macht und hofft eigentlich auf baldige Hochzeitsglocken!“
Kya schloss die Augen. „Wäre es nach einem Monat, den man einen Menschen kennt, inmitten eines Krieges dieser Dimension, nicht verfrüht, an Ehe und Kinder zu denken?“, fragte sie.
„Wenn man sich sicher ist”, gab Ishi ihre Meinung kund, „dann ist es nie zu früh, um ‚ich liebe Dich’ zu sagen und glücklich zu sein. Und nie zu früh, um mit Kindern anzufangen.“ Ishi blickte mit plötzlich tränenumflortem Blick in die Ferne. „Ich kann nur – entschuldigt mich bitte…“ Ihre Stimme brach und sie drehte sich weg. Überraschend leise flüsterte der eine Bass von hinten in Kyas rechtes Ohr.
„Sie hat bei einer Explosion vor einigen Jahren ihre zwei Kinder verloren“, und der andere Bass brummte ebenso leise in ihr linkes.
„Manchmal überkommt es sie, bitte einfach nicht beachten, sie glaubt sonst, sie verlöre ihr Gesicht!“ Kya wandte sich um, hinter ihr stand, wie sie es bereits erwartet hatte, das erstaunlichste Wesen, das sie bisher an Bord gesehen hatte. Nicht die schiere Größe von 170 Ghrami (Linien, 1 Linie (math. Symbol 1 /) = 1,47 cm, 170 Ghrami = 250 cm – Anm. des Übersetzers) überraschte sie, Kya hatte schon einem Naat gegenüber gestanden. Auch nicht die Breite, die an der Schulter sicher 103 Ghrami ( ca 120 cm,) betrug, der Brustumfang von 170 Ghrami (250 cm) und der Hüftumfang von 153 Ghrami (225 cm) konnten sie erstaunen, die grüne, schuppige Haut an den sichtbaren Körperstellen nicht schockieren. Das verwunderliche war der Umstand, dass dieser monströse Körper zwei mit Ausnahme der Hauttönung völlig normal wirkende menschliche Köpfe trug. Die völlige Kahlheit beider Köpfe gab ihnen ein menschlicheres Aussehen, der Blick aus den braunen, schwarz umrandeten Augen wirkte sanft und freundlich.
„Iwan Iwanowitsch Goratschin, vielleicht erinnern Sie sich noch?“, sagte der rechte Kopf, Iwan, und der linke, Iwanowitsch, sah den rechten an.
„Natürlich erinnert sich die Admiral an uns, sie ist ja nicht so dämlich wie du seniler Tattergreis!“ Nun wandte der rechte Kopf das Antlitz seinem zweiten Kopf zu.
„Jetzt hör‘ sich einer diesen Jungspund an. Noch kejne Hoor åf de Bitzelach, åber reden wie a Großer!“
„Alter Mann, hüte Deine Zunge!“ rief Iwanowitsch, der linke Kopf. „Erstens – es sennen a Dejne Bitzelach, und zweitens, es ist eine Dame anwesend!“
„Nu, wird varstehn de Schickse jiddisch?“, fragte Iwan, dann wandte er sich wieder an Kya. „Nehmen sie den Jungen nicht zu ernst, kleine Miss Admiral. Er wird manchmal etwas vorlaut. Ich werde…“
„Mutanten hier sammeln!“ rief ein schwarzhaariger Mann in der Nähe Rhodans.
„Ich muss gehen, Gnädigste.“, verabschiedete sich Iwan.
„Entschuldigen Sie uns!“ Iwanowitsch zwinkerte ihr zu. „Ich würde mich ja gerne weiter mit Ihnen unterhalten, aber – he! Hetz‘ nicht so, Alter! Wer weiß, wann wir so eine hübsche Frau wieder zu sehen bekommen!“
Schmunzelnd sah Kya dem Wesen – oder waren es zwei? – nach.
„Eindeutig zwei. Zwei Gehirne in einem Körper“, zwitscherte ein Pelzwesen von etwa 7 Kherei (Kheri = Hand (^), 1 Kheri = 14,07 cm, 7 Kherei = 1,07 Meter, Anm. des Übersetzers) Größe, das aus dem Nichts entstand und einen einzigen, großen Nagezahn und riesige Ohren zeigte. „Bis später“, piepste das Wesen noch, ehe ein dumpfes Geräusch entstand, als Luft in das plötzlich entstehende Vakuum strömte und das Kerlchen verschwunden war. Ratlos sah sich die Miridanerin um, Micheal Freyt kam auf sie zu.
„Du hast einige Mutanten jetzt kennen gelernt?“ fragte er, Kya nahm ihn bei beiden Händen.
„Das habe ich, Mike!“
„Jetzt ist mein alter Rufname bis hierher geraten!“ lachte Freyt, und Kya stimmte ein.
„Es ist dem Wort ‚meiik‘kh‘ aus der antiken Sprache der Mantiden sehr ähnlich. Dort bedeutet es ‚scharf’, so wie in ‚scharfe Suppe’!“
„Ups, ertappt!“ schlug Freyt die Hand vor den Mund. Kya drehte sich zum Bildschirm um.
„Mike?“ fragte sie sehr leise.
„Ja?“
„Du hast mir von dem Volk erzählt, das so aussehen möchte wie ich und sowohl Haut als auch Haare färbt!“ Ihre Stimme klang sanft und zart.
„Ja, habe ich.“
„Wenn wir hier einiges erledigt haben und ein wenig gemeinsame Freizeit haben, möchtest Du mir zeigen, wo sie wohnen?“ Sie sah weiter gerade aus.
„Die Erde? Aber gerne!“
Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Willst Du nicht endlich meine Hand nehmen und ‚mit Recht und Herz’ sagen?“, brach es aus ihr heraus.
„Oh, meinst Du – eine – eine Verlobung?“, fragte Freyt mit brechender Stimme, Kya drehte sich weg.
„Entschuldige! Ich musste es einfach versuchen, ist schon…“, ihre Stimme klang enttäuscht, bis Freyt sie an der Schulter nahm, sie zu sich umdrehte und ihre Hand nahm.
„Mit Recht und Herz?“ Kya Anach nahm seine zweite Hand in ihre und flüsterte:
„Mit Herz und Recht, so bald wie möglich.“ Sie sah ihm tief in die Augen, nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn, zart und innig. Als sie kurz Atem schöpfte, flüsterte er leise.
„Bei uns Terranern kann der Kapitän eines Schiffes eine Trauung vollziehen.“
Ebenso leise flüsterte sie zurück „Dann wollen wir warten, bis Captain Ghoma Dienstschluss hat!“
*
Perry Rhodan hatte sich mit den Mutanten in den Raum unter der Kommandoempore zurück gezogen. In diesem runden Raum mit zehn Metern Durchmesser stand in der Mitte ein Hologrammprojektor, die Wände bestanden bis zu einer Höhe von zwei Metern aus gekrümmten Touchscreens, alles war auf die Betrachtung und Eingabe von Informationen optimiert. Dazu hochwertige Hologramm-Projektoren. Ein Strategieraum, kein Luxus, keine Spielerei, reiner Pragmatismus, nichts sollte vom zentralen Thema ablenken.
„Was wissen wir, Leute?“ fragte Rhodan, in erster Linie natürlich die Telepathen.
„Da drüben sind viele Gedanken voller Hoffnung, dass der Retter naht und sie erlöst!“ Der Ilt warf sich in die Brust. „Und wer könnte besser geeignet sein, sie ins reine Licht der Wahrheit zu führen als Sonderoffizier Lieutenant Guck, der Retter des Universums?“
„Hast Du einen Chaplain an Bord?“, wandte sich Thora an Victoria, die kratzte sich die Haare.
„Lieutenant Peterhoff ist nebenberuflich Seelsorger für so ziemlich alle Richtungen hier an Bord. Sogar die Kh’Entha’Hur gehen gerne zu ihm, wenn sie Probleme haben. Aber, er hat sich dieses hochgestochene Weihrauchgesäusel schon lange abgewöhnt, darum besprechen die Leute ihre Sorgen ja so gerne mit ihm.“
„Ich spreche gewählt und gebildet, wie es einem hohen Geist wie dem meinen zukommt!“ Gucky zeigte mit dem spitzen Zeigefinger seiner kleinen Hand auf Victoria. „Dir, Frau, misstraue ich zutiefst! Wieso kann ich deine Gedanken nicht lesen?“
Die Angesprochene lächelte zuckersüß und strahlend zurück. „Erstens, Gucky, ist es nicht höflich, so auf Menschen zu zeigen. Da du aber keiner bist, kein Mensch meine ich, möchte ich dir verzeihen. Zweitens, du kannst meine Gedanken nicht lesen, weil ich es nicht will. So einfach ist das!“
Gucky pfiff misstönend und schrill. „Das ist ganz, ganz falsch. Woher soll ich denn wissen, was, wer und wie du bist, wenn alles verheimlicht wird?“
Victoria lächelte weiter. „Ich bin Tana Starlight, wer sonst?“
Gucky sprang mit Hilfe seiner Teleportfähigkeit von seinem Sessel direkt zum Fruchtsaftautomaten. „Auch wenn Du hier diese tolle Saftbar hast, glaube ich dir kein Wort. Du bist nicht Tana Starlight – nicht nur, und auch wenn alle hier blocken, ich werde es …“ Gucky kam nicht weiter, es verschlug ihm die Sprache. Ein Impuls, vage bekannt, doch auf überraschende Weise scharf wie ein japanisches Sushimesser, eng gebündelt wie ein Laser, fast professionell, erreichte seinen Geist.
„Lass es!“ Gucky fuhr herum, und Victoria schenkte ihm ihr unschuldigstes, süßes Lächeln. Die braunen Knopfaugen des Ilts verengten sich, der Nagezahn verschwand beinahe, die Ohren drehten sich nach vor. Mit voller Kraft sandte er einen fragenden Impuls auf derselben Frequenz und erhielt eine Bestätigung, sah Victoria intensiv mit stechenden Augen in ihre blaugrau getönten. Die spitzte ihre Lippen und legte unauffällig den Zeigefinger daran, ganz langsam erschien der Nagezahn wieder zu voller Länge.
„Was wollte ich…? Ach ja, ich sollte hinüber springen. Und meine Hilfe anbieten.“
*
Solares System, Union der russischen Republiken
Space Terminal Moscow, unter der MICHAIL GORBATSCHOW
„Gehen Sie bitte zu diesem Lift, Ebene Grün, Etage 27, Kabine 2764. Wenn Sie Hilfe benötigen, sprechen Sie einfach den Namen Deety aus, ein Hologramm des Schiffscomputers wird ihnen gerne jede Frage beantworten und sie, soweit es in seiner Macht steht, unterstützen. Bitte bleiben sie in ihrer Kabine, bis Sie aufgerufen werden, ihre Mahlzeiten werden Ihnen auf das Zimmer serviert. Das 3DTV bietet eine große Auswahl an Kanälen, es sind einige Filme zur Auswahl gespeichert, die Bedienung entspricht dem gängigen Standard. GeoNet und GalNet stehen zur Verfügung. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie viel Glück in Ihrer neuen Heimat Barsoom, Mister Gorolski, Missis Gorolski.“ Der Mann gab dem Paar die Hand. „Bitte dort hinauf.“ Allein geblieben gönnte er sich einen Schluck Tee aus dem Samowar, dann drückte er die Taste für die Lautsprecheranlage. „Familie Irina Gregorewitsch Mischkin, Tisch 3, bitte.“
Irina Gregorewitsch war eine stämmige Sibirerin, groß, stark und gut trainiert. Über ihren hochstehenden Backenknochen blitzten zwei tiefgrüne Augen unternehmungslustig in die Welt, die Wölbung ihrer schmalen Nase war leicht konkav, winzige Fältchen in den Mund- und Augenwinkeln bewiesen, dass sie viel lächelte. In der Tat war der Blondschopf langsam wieder eine zufriedene und zumeist fröhliche Frau geworden, nachdem sie eine Tragödie erleben musste. Im Jahre `85 war sie 34 Jahre alt und hatte ein Diplom in der Tasche, Agrarökonomie und -ökologie. Der Titel ihrer Diplomarbeit lautete ‚Ertragsmaximierung und gleichzeitige positive Umweltbilanzierung“, der Aufsatz wurde vom Professorenstab ihrer Hochschule heiß diskutiert.
„Natürlich muss die Gesamtproduktion ein wenig zurückgefahren werden, damit der Boden sich erholen kann”, schrieb Irina Gregorewitsch. „Auch Windschutzgürtel und regelmäßige Brachen werden sich gut auf den Boden auswirken, die Fauna in den Gürteln könnten die Saat vor unzähligen Schädlingen schützen. Nach einigen nicht ganz so ergiebigen Jahren könnte der Ertrag wieder gesteigert werden. Nicht so viel, wie es mit hochtechnisierten Düngemittel geschehen kann, langfristig wirkt es sich in der Kosten/Nutzen Rechnung positiv aus. Auch wirtschaftlich, wenn man wieder Saatgut selbst aus dem Ertrag gewinnen kann und nicht es nicht kaufen muss.“
Mit 19 hatte ihre große Jugendliebe für ihr erstes Kind gesorgt, er hatte Irina geschwängert und war dann ohne Abschied und Hinterlassung einer neuen Anschrift verschwunden. Auch eine Suche im GalNet hatte keine Ergebnisse zu Tage gebracht. Irina Gregorewitsch entband 2071 ihre Tochter Maria, die mit 12 bereits entschlossen hatte, lieber den Namen Leonidowa, also den Vornamen des Ehemannes ihrer Mutter, als Vatersnamen zu tragen als den des verschwundenen Erzeugers. Mit der Einwilligung des geliebten Stiefvaters wurde ihr neuer Name in das Standesregister eingetragen. Leonid Pavlowitsch Mischkin wurde Irinas zweite und diesmal richtige Liebe. Der 10 Jahre ältere Burjate brachte eine Tochter aus seiner ersten Ehe mit in die Familie, Sofia Leonidowa war ein Jahr älter als Maria. Die Mädchen verstanden sich gut und akzeptierten glücklicherweise den neuen Partner ihres Elternteils, Irina und Leonid hatten aufgeatmet und hofften auf eine glückliche Zukunft. Als sie 2078 heirateten, war ihr Glück komplett, bis das Jahr 2081 kam. Irina Gregorewitsch hatte Leonid Pavlowitsch noch freudenstrahlend von einer neuen Schwangerschaft erzählt, sie feierten diese Nachricht ausgelassen im Kreis ihrer Freunde. Drei Monate lang glaubte Irina, nicht mehr glücklicher werden zu können, und leider behielt sie recht. Drei Monate des höchsten Glücks, dann zog ein sibirischer Schneesturm über das Land, und eben zu dieser Zeit erlitt Leonid eine schwere Herzattacke. Ohne Vorwarnung, ohne vorher Symptome für ein Herzleiden gehabt zu haben. Das Herz hörte auf zu schlagen, aller Versuche der verzweifelten Irina zum Trotz. Natürlich hatte sie sofort den medizinischen Notruf gewählt, doch mehr als Anweisungen konnte der diensthabende Arzt nicht machen. Eine Ambulanz loszuschicken hätte wenig Sinn gemacht, das Fahrzeug hätte das Häuschen nicht erreicht. Als die Ärzte endlich wieder aktiv werden und ihre Zentrale verlassen konnten, war es bereits zu spät, mehr zu tun, als den Tod fest zu stellen. Die Aufregung und der seelische Schmerz verursachten bei Irina die Einleitung der Wehen, vier Monate zu früh. Sofort brachte die Ambulanz sie in die nächste Klinik, ihre Töchter blieben bei der Lehrerin, die fünf Häuser weiter wohnte und in ähnlichen Fällen stets einsprang. Beinahe drei Stunden dauerte die Fahrt mit dem Kettenfahrzeug im hintersten Sibirien, Michael Leonidowitsch war mit allem Einsatz der zur Verfügung stehenden Mitteln leider nicht mehr zu retten gewesen. Vielleicht, wäre die Trubka mit dem Robodoc näher gewesen, doch die Trubkagorod war zu weit entfernt gewesen für eine rasche Hilfe.
So blieb Irina Gregorewitsch allein mit der elf Jahre alten Sofia Leonidowa und der zehnjährigen Maria Leonidowa und übersiedelte in die Trubkagorod Mila Dobronitsch, wo sie an der Hochschule einen Lehrauftrag erhielt. Es ging der Familie Mischkin wirtschaftlich nicht schlecht, sie hatten ein Dach über dem Kopf, Kleidung und essen, dazu ein wenig Luxus. Langsam lernten zuerst die Mädchen, dann auch Irina nach der Tragödie wieder lachen und fanden ein bescheidenes Glück in Mila Dobronitsch. Eines Tages las Sofia während eines Schulprojektes von dem Planeten Barsoom, die erste Siedlung auf dieser Welt sollte Helium genannt werden und lag nahe des Äquators auf einer Halbinsel. Das ganze Jahr über war mit Temperaturen zwischen 26 und 31 Grad Celsius zu rechnen, ein kühler Planet mit großen Polkappen, und er sollte von Menschen aus den russischen Republiken besiedelt werden. Menschen, welche auch die Arbeit, soweit noch menschlicher Einsatz nötig war, in den Industrieanlagen auf dem Nachbarplaneten sowie die Gewinnung von Rohstoffen im restlichen System übernehmen sollten. Die Vereinten Nationen dachten, dass Personen aus dem rauen Klima Sibiriens hervorragend geeignet sein mussten, sich auf diesem Planeten zu akklimatisieren und die vor allem auf den riesigen Wäldern basierende Wirtschaft in Gang zu bringen. Die Wüsten, auch wenn sie kalt waren, konnten bewässert werden, was dann dort gepflanzt werden konnte, würde die Zukunft zeigen. Für den Anfang gab es genug Platz für landwirtschaftliche Nutzung an den warmen Äquatorgegenden.
Sofort zeigte Sofia den Eintrag Maria, die nun fünfzehn- und vierzehnjährigen Mädchen waren Feuer und Flamme, eine solche Gelegenheit durften sie nicht verpassen. Weltraumabenteuer zählten zu ihren liebsten Büchern, und jetzt hatten sie die Chance, unter den Ersten auf einem neuen, noch wilden Planeten zu sein. Tag und Nacht lagen sie Irina in den Ohren, bis diese einen Auswanderungsantrag stellte. Welcher nach einigen Gesprächen mit den verschiedenen Ämtern positiv beschieden wurde. Ihr Diplom und ihre Diplomarbeit kamen ihr dabei zugute, Agrar- und Forstwirtschaft war natürlich wichtig für eine neue Kolonie, die halbwegs autark werden wollte. Jetzt war sie mit ihren Töchtern hier in Moskau, um in das Raumschiff nach Barsoom zu steigen, der Bauch der 700 Meter durchmessenden Kugelzelle des Transportschiffes MICHAIL GORBATSCHOW wölbte sich über ihnen, und eben war ihr Name aufgerufen worden. Die Frau und die beiden Mädchen nahmen ihr Handgepäck auf und gingen vor, zu Tisch Nummer drei. Sergeant Wang Tschu Lai von der Vereinten Nationen Raumflotte sah auf und lächelte ihnen entgegen.
„Guten Tag! Ihre Ausweise, bitte.“
*
Republik Miridan
An Bord der GIULIA FARNESE
Laute schrille Signale zerrissen die relative Ruhe an Bord der GIULIA FARNESE auf ihrem Weg zu der seltsamen Tawromegscheibe, mahnten höchste Wachsamkeit der Besatzung ein, die Cheforterin Sabine Kabalsky aus Berlin hatte auf die berüchtigte große, viereckige, rote Taste gedrückt. Dieser Druck ließ eine gut geölte Symbiose aus Mensch und Maschine anlaufen, Besatzungsmitglieder eilten auf ihre Posten, ohne auf den rituellen Befehl zu warten. Wenn dieser Ton aus den Lautsprechern erklang, flogen Karten, Lesestoff oder was auch immer eine Person gerade in Händen hielt, in irgendeine Richtung. Das Ausrufen der höchsten Defense Condition war nach diesen Tönen mehr als wahrscheinlich, und die Gefechtsstation wieder verlassen, falls es ein Fehlalarm war, konnte man immer noch. Das Credo der erfolgreichen Raumschiffbesatzungen war ‚besser fünfmal umsonst als einmal zu spät gelaufen‘.
„Multiple Transits! Richtung Heck 32,78 Grad West, 14,74 Süd. 50 Schlachtschiffe der Tussan-Klasse, 100 Schlachtkreuzer der Fusuf-Klasse und 500 schwere Kreuzer“, gab Luther Breckenridge die Meldung aus der Ortungszentrale weiter an seinen CO weiter. Kya Anach, die sich mit Mike Freyt in der Nähe aufhielt, erschrak ein wenig, eine solch große Flotte hatte sie in diesem Krieg noch nicht erlebt.
„DefCon 5!“ Ruhig und gelassen gab Ghoma ihre Befehle, während die Beleuchtung auf der Brücke stark reduziert wurde, um die Anzeigen leichter erkennen zu können. „Alles auf Gefechtsposition. Ruder, Kurs auf die feindliche Flotte setzen. GIULIA, bitte Rendezvouskurs berechnen. XO, geben Sie bitte den Admirälen Anach und Freyt je ein Earset. RO, permanente Verbindung auf Miridan Flottenfrequenz und BRIGADA für die Admiräle herstellen.“ Sie warf noch einen Blick auf den heller und größer gewordenen Lichtpunkt, der die Station der Tawromeg markierte. „Ich fürchte, Ihr müsst noch ein wenig warten!“
„Schiff klar zum Gefecht, CO!“ meldete Luther, Ghoma nickte ihm zu.
„Raus mit den Jägern bei 800.000!“ befahl sie. „Freie Jagd nach eigenem Ermessen. Sie sollen sich aber von den Tussans und Fusufs fern halten. Zeit?“ Luther sah auf die Zeitleiste auf seinem Pad.
„2 Punkt 13, Skipper!“
„So?“ Ghoma zog eine Braue hoch. „Seit Sirene oder seit DefCon 5?“
„Sirene, Ma’am!“ bestätigte Breckenridge.
„Dann wird heute ein Umtrunk für die Bravo-Schicht fällig. Neuer Flottenrekord, oder?“, gratulierte Ghoma, und Luther grinste sein breitestes Lächeln.
„Bestätige!“
„Jammer ausrichten!“, befahl Freyt unterdessen über die Sprechverbindung, Kya Anach rief in ihr Mikrophon.
„Flotte sofort hinter Jammer zurückfallen.“ Sie hatten die drei extrem starken Hypersender im Dreieck um die miridanische Flotte postiert, nun war es für die Kugelschiffe einfach, aus den Richtkegeln zu fliegen, als sich die Antennenschiffe mit den enorm starken Sendeanlagen auf die anfliegende Flotte zu drehten und die Piloten sie in den Zielstachel nahmen.
„Kurs Jammer liegt an!“ meldete Commodore Groot.
„Na dann. Jammer los!“ rief Freyt. Die gigantischen Sender begannen ihr Werk und sendeten mit voller Leistung. Freyt sang lauthals mit. Er hatte die Musik von Deep Purple ausgewählt, umgedichtet und neu vom Chor der miridanischen Flotte aufnehmen lassen. Nun waren die Roboter des Neurogenten die ‚Premierengäste‘ der ‚Free Radio Channels auf arkonidischer Flottenfrequenz‘, wie es der Commodore genannt hatte.
„We don’t need no centralism –
we don’t need no mind control –
no dark Years in this Sector –
Regent leave us bios alone…“ Es begann leise, doch mit maximaler Sendestärke, auf den miridanischen Schiffen und der GIULIA empfingen die Funkstationen noch die Echos, die von den Rümpfen der arkonidischen Flotte zurückgeworfen wurden. Dann brachen Kya Anach und Michael Freyt mit größerer Lautstärke hervor:
„Hey, Regent, leave us bios alone –
all in all it’s just another brick in the wall!“
Der Erfolg war auf den Ortungen nicht sofort sichtbar, noch flogen die Arkonschiffe weiter geradeaus auf den Pulk der miridanischen Flotte zu.
Während Victoria Rhodan und ihre Gäste außer den Mutanten wieder auf die Empore kamen, wurden auf dieser für sie bereits mehrere Kontursessel aus dem Boden gefahren. Für die Sonderoffiziere der GCC wurden im Lagezimmer ebenso Sitzgelegenheiten bereit gestellt und selbstverständlich blieben sie auch in Kontakt und informiert.
„Rapport!“ rief Victoria und ließ sich kurz auf den neuesten Stand der Dinge bringen. „Gut so, weitermachen“, lobte sie und fragte „Wann kommen wir in Reichweite?“
„Konverterkanone in 4 Minuten 50 Sekunden“, meldete die Stimme der GIULIA FARNESE. „2-10er in 7 Minuten 14!“
„Jäger starten!“ kommandierte Victoria. Aus den Starttuben wurden die Hawks und die Sturmoviks II geschossen.
Die Hawks waren 17 Meter lang, mit einem rechteckigen Querschnitt mit stark gerundeten Kanten, 2,5 hoch und 5 breit, das Cockpit lag davor in einem 3 Meter langen, 2,5 hohen und 2 Meter breiten elliptischen Teil. Die acht auf vier Seiten des Rumpfes untergebrachten, um 360 Grad schwenkbaren Schubdüsen des hochmodernen Korpuskolartriebwerkes beschleunigten den Jäger mit 970 km/sec2 auf 80 % der Lichtgeschwindigkeit und rissen den Flugkörper im Notfall auch relativ schnell aus seiner Flugbahn. Starke Schirme schützten den Hawk, in der langen gerundeten Nase waren unter dem Cockpit ein schwerer Impulsstrahler und ein ebenso schwerer Desintegrator, Kaliber 0,50 Meter, im Rumpf seitwärts des Cockpitteils ein Werfer für je 3 Marschflugkörper des Typs Lone Ranger untergebracht. Diese Flugkörper wurden von einer einfachen, etwas plumpen, aber für diesen Zweck völlig ausreichenden, billigen Nanotronik mit einer Beschleunigung von 1.200 km/sec2 in das eingeloggte Ziel gesteuert, die Sprengkraft konnte mit ein wenig Glück den Schirmen eines schweren Kreuzers von 200 Metern Durchmesser gefährlich werden.
Die neuen Sturmovik bestanden aus zwei Triebwerken, die 820 km/sec2 Beschleunigung erreichten, und zwischen denen sich ein Cockpit, eine Lebenserhaltung und ein Schirmgenerator befanden. Unter der grob dreieckigen Kanzel für zwei Piloten, welche hintereinander saßen, waren die sechs Rohre für je 2 Desintegratoren, Thermo- und Impulskanonen untergebracht, den Abflug deckten je eine dieser Waffen. Werfer für je 6 Marschflugkörper waren links und rechts montiert, für diesen Einsatz hatte man sich ebenfalls für die ‚abfeuern und vergessen‘ – Lone Ranger entschieden.
„Konverterkanone in drei, zwei, eins…“
„Feuer frei auf erkannte Ziele!“, befahl Victoria, ein dumpfes Geräusch war auf der Brücke zu hören, zwei Raumer der Tussan-Klasse vergingen in der Annihilation ihrer frei gesetzten Antimaterie. Perry Rhodan sah Victoria mit hochgezogenen Brauen an.
„Das erste Mal, dass ich etwas höre, wenn die Geschütze feuern. Bisher hattest Du die perfekte Schalldämmung.“ WHUMPFFF! feuerten die Konverterkanonen und zerstörten zwei Schlachtschiffe. „Wie laut ist es für die Notfallmannschaft vor Ort?“
„Etwa ebenso laut!“ Victoria beobachtete die nächsten angezeigten Treffer. „Es ist eine Übertragung, eine akustische Unterstützung für die Mannschaft.“ Sie zuckte mit den Schultern, wieder ertönte das Feuern der Kanonen. „Ebenso wie die auf dem Bildschirm eingeblendeten Energieimpulse, die ja an sich unsichtbar wären.“ Fünf Sekunden Pause, dann entluden sich die Konverterkanonen wieder mit diesem seltsamen Geräusch, ein weiteres Schiff explodierte. „Ups, da war jetzt ein Fehlschuss dabei,“ bemerkte Victoria. „Die wollen jetzt wohl nicht mehr stillhalten! Wie unfair!“ Tatsächlich begannen die Schiffe der Arkoniden nun mit Ausweichkursen und veränderten Schubwerten aus ihrer Rolle als Tontauben auszubrechen. Die Zerstörungen gingen ein wenig langsamer vonstatten, die Zielcomputer brauchten mehr Berechnungen. Aber immer noch erhielt die GIULIA kein Gegenfeuer, als wäre sie gar nicht anwesend. Auf der Brücke rätselte man darüber, aber niemand konnte einen triftigen Grund finden.
„Vielleicht bringen sie uns nicht mit der Vernichtung ihrer Schiffe in Verbindung?“ mutmaßte Victoria, doch Freyt widersprach.
„Dieses feine Schiff ist doch der mit Abstand größte Brocken hier! Damit müsste er für die Roboter das naheliegendste Ziel sein.“
„Die Form kann es nicht sein“, beteiligte sich Rhodan an den Spekulationen. „Erstens ist die GIULIA trotz aller Kugelform deutlich kein arkonidisches Muster, zweitens ist die Größe ungewöhnlich und drittens fliegen die Miridaner alle die arkonidischen Tussans und Fusufs.“
„Vielleicht befolgen sie schlicht dem alten Befehl, die ungewöhnliche BRIGADA INTERNACIONAL anzugreifen und können nicht umschalten, um eine neue Lage zu berechnen“, überlegte Leslie, doch Thora widersprach ihr.
„Eine Neuronik wird auch mit Überraschungen fertig.“
„Aber vielleicht nicht so gut, wenn die höheren Funktionen abgeschaltet sind!“ meinte Kono. „Ihr habt doch von der ARK’AMBO erzählt, diese Funktionen sollten doch lahm gelegt werden!“
„Ja, das wäre eine Option!“ gab Thora zu.
„Außerdem neigen arkonidische Rechner dazu, Menschen zu unterschätzen!“ feixte Perry Rhodan. „Wäre nicht das erste Ma… Autsch!“
Mit süffisantem Grinsen hob Thora eine Augenbraue. „Hat es weh getan? Na so etwas!“
Die Staffelkommandeuse Captain Sibylle Vartan aus Paris hatte ihren Patz an der Spitze des doppelten Keils der Staffel eins der Beta-Schicht eingenommen. Hinter und etwas ‚unter’ ihr flog ihr Wingman Lieutenant Ciesar OkkrFrrobin, ein Kh’Entha’hur, links Wing zwei, vorne die Kreterin First Lieutenant Berenike Kapetanakis und hinter–unter ihr der Zaliter Lieutenant Amdreok ‚Doc‘ Dokpohin, rechts Wing drei mit dem Frankokanadier Lieutenant Jaques Deneuve und der Schwedin Lieutenant Alva Lundquist.
„Formation beibehalten!“ befahl Captain Vatran. „Wir suchen uns einen zwo-null-null Piraten und pusten ihn ins Jenseits.“ Leises Murmeln bestätigte das Kommando, und gemeinsam machte sich die Staffel an die Verfolgung der Flotte. Im Cockpit eines jeden Jägers befand sich ein geeichter Kreiselhorizont, sodass ein Blick genügte, um jedem Piloten die Angabe der Richtung zu erleichtern, die ihm durchgesagt wurde. In jeder der drei Ebenen, egal in welcher Lage er gerade flog. Zudem gab es noch den Zielschirm, auf dem sowohl der Staffelkommandant als auch der Flightboss Objekte markieren konnten. Ein Blinken forderte Berenikes Aufmerksamkeit, und die Stimme von Vartan klang in ihrem Helm auf.
„Pirat links außen markiert! Stoff, Mädels!“ Die schweren Triebwerke tosten, als sechs Beschleunigungs-Hebel bis an den Anschlag gedrückt wurden. Andrucks-Neutralistatoren verhinderten den Tod der Piloten bei diesen Geschwindigkeiten, doch anderthalb G wurden von den Geräten bewusst nicht kompensiert und zeigten den Piloten vollen Schub an. Es dauerte so auch gar nicht sehr lange, und das markierte Ziel hing vor der Staffel im All.
„Wing Commander feuern Flugkörper. Nach dem Abfeuern der Lone Ranger die Formation auflösen, Kurve 360 Grad, Formation wieder aufnehmen. Wing 2.1 links hoch, 2.2 links tief, 3.1 rechts hoch, 3.2 rechts tief, 1.1 gerade hoch, 1.2 gerade tief. Also, Ziel aufnehmen und los!“
Langsam wanderte das markierte Ziel in das Fadenkreuz der Zielerkennung, und Berenike fixierte es im Zentrum, die Zielnachführungsautomatik würde bis zu einem anderslautenden Befehl den Kurs auf das Ziel halten.
„Ziel fixiert“, meldete sich. Sekundenlang herrschte Schweigen, dann gab die harte Stimme von Vartan den Befehl.
„Lone Ranger in 3, 2, 1, Feuer!“ 3 einfache, aber starke Triebwerke trugen die Sprengköpfen an ihrer Spitze auf ihrem Kurs zu einem schweren Kreuzer, die drei Sprengköpfe erreichten unbehelligt ihr Ziel, rissen den Schutzschirm auf und setzten genug Energie frei, um nicht nur die Schilde auszuschalten, sondern auch einige tiefe Löcher in den Rumpf zu schmelzen und den Kreuzer in ein halbes Wrack zu verwandeln. Das Robotgehirn hatte die sechs Jäger als ‚vernachlässigbarer Faktor’ eingestuft, doch die modernen Kampfmaschinen waren in Beschleunigung und Feuerkraft nicht mehr mit den Jagdmaschinen der Arkoniden vergleichbar. Besonders, was die von den Konstrukteuren auf der Kriegswelt als unnütz und veraltet verachteten Marschflugkörper anging.
„Neuer Anflug mit Energiewaffen!“ befahl Sibylle, und die zwölf Energiegeschütze rissen tiefe Wunden in die Kugel und machten aus dem halben Wrack ein komplettes.
„Ziel wechseln!“ kam das Kommando von Captain Vartan.
Der neue Gegner hatte gelernt, dass die Sprengsätze der Marschflugkörper ernst zu nehmende Gefahren darstellten und reagierten entsprechend. Auch ohne Funkverbindung hatte der Kreuzer vor der Staffel das Schicksal seines Schwesternschiffes registriert und nahm die anfliegende Raketenwelle seinerseits unter Beschuss, um sich danach der Staffel zuzuwenden. Schweres Energiefeuer schlug den sechs Jägern entgegen, die sich für das erste zerstreuten und Staffel Bravo 2 zu Hilfe riefen. Zwölf Impuls- und zwölf Thermokanonen, unterstützt von zwölf Desintegratoren, immerhin 36 schwere Energiewaffen, können auf relativ kleinem Raum ein Inferno bereiten, und die Piloten der Staffeln Bravo eins und zwei waren gut trainiert und wussten zu treffen. Ihr Angriff, der zwar nicht mehr so reibungslos von statten ging, war im Endeffekt ebenso vernichtend für den Kreuzer. Die 20 Staffeln zu je sechs Maschinen der GIULIA FARNESE hielten unter den kleinen Schiffen reiche Beute, wie auch die 30 Sturmovik – Staffeln mit je vier Kampfmaschinen, die große Lücken in die Reihen der leichten Schiffe rissen. Flightboss Egnitha GaMbhour konnte zufrieden sein, als sie ihren Schützlingen den Abbruch befahl und sie in eine Warteposition dirigierte. Es hatte einige teilweise schwere Treffer auf Seiten der Flieger gegeben, doch am Ende hatten sich alle vom Feind lösen können und hinkten, von ihren Staffelkameraden begleitet, zur angewiesenen Position.
Die arkonidische Flotte wurde von der GIULIA FARNESE, welche sie überraschenderweise immer noch ignorierten, und deren Jagdgeschwadern heftig dezimiert, es waren nur noch zehn Schiffe der Tussan-Klasse, die achtzig Schlacht- und etwa 240 schwere Kreuzer, die es letztlich schafften, in die Nähe der Miridaner zu kommen. Die flogen nun in alle Richtungen auseinander, und die Roboterschiffe nahmen völlig unkoordiniert ihre Verfolgung auf. Keine Spur der üblichen Konzentration auf ein Ziel. Es war eher Zufall, welcher Miridaner von wem bekämpft wurde, wenn sich auch die meisten Arkoniden auf die BRIGADA INTERNACIONAL stürzten. Immer noch feuerten die Konverterkanonen und die schweren Polgeschütze der GIULIA FARNESE, zerstörten die Schiffe der Arkoniden, die BRIGADA INTERNACIONAL beteiligte sich mit ihren 2-10ern an der Schlacht, die Miridaner konnten sich immer wieder in Sicherheit bringen und führten ihre Verfolger der GIULIA und der BRIGADA vor die Kanonen. In dieser Schlacht waren die Verluste der Republik Miridan gering, in erster Linie Rumpf- und Triebwerksschäden. Kein Personal!
Keine menschlichen Verluste, nur viele Verletzungen, die meisten davon nicht gravierender Natur. Das erste Mal seit Monaten, dass die Miridaner wieder einen Grund zum Jubeln fanden, die Besatzungsmitglieder fielen einander in die Arme und brüllten vor Begeisterung. Das erste Mal, dass die schwarze Wolke der riesigen Verluste die Freude über den Sieg nicht trübte und sie neue Hoffnung schöpfen konnten.
„Die Jammer waren eine gute Idee, Chef!“ Michael Freyt studierte die Aufzeichnungen. „Und als die Kommunikation zusammen gebrochen war, sind sie auch hinter Zieldarstellungsdrohnen hergeflogen und haben ihre Feuerkraft auf einen Täuschkörper verschwendet, bis sie selbst ausgeschaltet wurden.“
Perry Rhodan nickte. „Dieses Mal hat es gut funktioniert. Hoffen wir, dass unsere Glückssträhne noch etwas anhält. Tana, könnten wir bitte wieder zu dieserScheibe zurück kehren?“
„Natürlich, Chef!“ Rhodan zuckte zusammen, als Victoria ihn betont mit der Bezeichnung ansprach und dabei mit dem Auge schelmisch zwinkerte. „CO, sie haben den großen Mann gehört? Bitte!“
Ghoma nickte kurz. „Jawohl, Chefin. GIULIA, bitte wieder Kurs auf die vorhin angesteuerte Basis nehmen!“
*
Solares System, Europa, Den Haag
Internationaler Strafgerichtshof, Sitzungssaal 1
„Bitte erheben Sie sich! Die Ehrenwerte Beisitzende Richterin Szofia Borbéli, Europa!“ Die Stimme des Gerichtsdieners Haakon Salmanson hallte durch den großen Sitzungssaal, als er den ersten Namen rief. Leises Rascheln ertönte, als die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung, die Angeklagten und das zahlreiche Publikum der Anweisung folgten. Die grauhaarige, hagere Ungarin im schwarzen Talar trat aus einer Tür, die zu ihrem Büro führte und blieb hinter den linken Stuhl des Beisitzers stehen.
„Der Ehrenwerte Beisitzende Richter Geoges Demmer, Australien!“ Der Australier war ein ausgetrockneter Hüne, dem man die Beschäftigung mit Extremsportarten abnahm. Freeclimbing, zu Fuß durch die australische Wüste, der große Mann zeigte kein Gramm Fett. Er blieb vor dem Sessel rechts des Vorsitzenden stehen.
„Der Höchst Ehrenwerte Vorsitzende Richter Don Diego Rodriduez, Lateinamerika!“ Während Don Diego zu seinem Platz schritt, intonierte der Gerichtsdiener die Eröffnungsfloskel.
„Tretet vor, auf dass ihr gehört werdet und Gerechtigkeit walte! Es wurde vorgetreten, ein Verbrechen zu melden, das Gericht ist zusammengetreten, um die Schuld zu prüfen und wo möglich zu sühnen! Höret her, und erfahret, wie Gerechtigkeit geschieht.“
Don Diego nickte seinen Besitzern zu und ergriff das Wort. „Ich möchte nun eine Minute innehalten, falls jemand ein stilles Gebet sprechen möchte.“ Man hätte die überall gesuchte Stecknadel fallen hören können, und nach der Minute absoluten Schweigens sprach der Richter wieder.
„Bitte Platz zu nehmen!“ Er setzte sich auch selbst, dann fuhren er und seine Beisitzer ihre Dienstpads hoch. „Wir verhandeln hier und heute gegen den Angeklagten Walter Goliath Bruns III, den Angeklagten Björg Solverquist und den Angeklagten Joanis Mandilitarakidos. Die Anklage wird vertreten durch Mevrouw Doortje an de Mool und Herrn Franz Raaber. Für die Verteidigung sind erschienen Mister Joseph McLock für Mister Bruns, Mister James J. Bosland für Mister Solverquist und Mister Achill Kymasignomatis für Mister Mandilitarakidos. Meine Damen und Herren, ich möchte gleich hier und jetzt bitten, sich einer sachlichen, höflichen Sprache zu bedienen und keine allzu vulgären Worte zu verwenden. Und nun wollen wir beginnen. Die Sitzung ist eröffnet!“ Don Diego klopfte mit seinem Hämmerchen auf das Kissen aus Holz.
„Miss an de Mool, ich bitte um die Verlesung der Anklage.“ Doortje erhob sich und trat in den freien Platz vor dem Richterpult, wo sie von ihrem Pad ablas.
„Eure Ehren, ehrenwerte Geschworene. Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten Walter Bruns, Björg Solverquist und Joanis Mandilitarakidos folgendes zur Last. Am 25. Mai des vorigen Jahres trafen sich die Angeklagten mit Hermano Tiburon und Christobal Monoya in einem Hotel in Kalifornien und verabredeten dort mit den genannten Personen eine perfide Jagd für den Dezember 2084 auf eine junge Frau mit tödlichen Waffen auf dem Gelände von Gonzalo Tiburon. Die junge Frau sollte danach dem Gericht nicht bekannten Wünschen der Angeklagten dienen, um danach ermordet zu werden. Im Verlauf der Ausführung dieses Planes kam es zu einen Angriff mit potentiell tödlichen Waffen auf einen Beamten des TBI, welcher sich bereits zu erkennen gegeben hatte.“ Doortje legte ihr Pad auf den Tisch der Anklagevertreterin und wandte sich an die Geschworenen. „Man kann es auch einfacher sagen, meine Damen und Herren. Ohne Juristen–blabla. Diese Männer…“ Doortje wies mit ihrem Zeigefinger, dessen Nagel spitz gefeilt und leuchtend rot lackiert war, auf die Angeklagten und fixierte einen nach dem anderen mit festem Blick, die Verachtung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Diese reichen, übersättigten Männer wollten sich nicht damit begnügen, irgendwo auf der Erde ganz legal ein paar Hirsche oder Hasen zu töten und dann zu ihren Frauen ins Bett zu steigen, sie wollten einen Menschen töten, der ihnen kein Leid zugefügt hatte. Dass es ausdrücklich eine Frau sein sollte, legt einen bestimmten Schluss sehr nahe, den ich bitte, jetzt nicht explizit ausführen zu müssen. Wir werden Ihnen Beweise vorlegen, meine Damen und Herren. Eindeutige Beweise. Vielleicht wird Ihnen die Verteidigung wieder einreden wollen…“ James Bosland sprang auf und wollte Luft holen, doch noch zuvor klopfte der Hammer Don Diegos. PENG!
„Miss an de Mool, wir sind noch nicht bei den Plädoyers. Bitte kehren Sie auf Ihren Platz zurück!“
„Selbstverständlich, Herr Vorsitzender. Ich bitte das Gericht um Entschuldigung!“
„Mister McLock“, wandte sich Don Diego an den Verteidiger. „Wie bekennt sich Ihr Mandant Bruns?“
Der Anwalt hatte sich erhoben. „Nicht schuldig, Euer Ehren!“, antwortete er.
„Wird Ihr Mandant Angaben zur Sache machen?“, fragte der Richter weiter, dem üblichen Procedere folgend.
„Nicht zu diesem Zeitpunkt, Herr Vorsitzender.“
„Das wird so zu Protokoll genommen. Mister Bosland, wie bekennt sich Ihr Mandant Solverquist?“
Auch Bosland war aufgestanden, als der Richter ihn ansprach. „Nicht schuldig, selbstverständlich, Euer Ehren!“ Don Diego nickte, er hatte nichts anderes erwartet, ebenso wenig überraschend war die Antwort auf die Frage, ob sein Mandant aussagen wollte.
„Nicht zu diesem Zeitpunkt, Euer Ehren. Die Anklage muss seine Schuld beweisen, nicht er seine Unschuld!“
„Wie sie wünschen, dann wird das ins Protokoll aufgenommen.“ Achill Kymasignomatis stand schon auf den Beinen, als der Richter die Formel sprach.
„Wie bekennt sich Ihr Mandant Mandilitarakidos?“
Als Achill die Antwort zu Protokoll gab, ging ein Raunen durch die Zuseher, Solverquist sprang auf, brüllte „Jevla Gris!“, während Bruns versuchte, seinen Platz zu verlassen, dem Angeklagten Mandilitarakidos „damn traitor“ zuschrie und versuchte, sich auf ihn zu stürzen. Die Posten packten ihn nicht gerade sanft an den Schultern und zwangen ihn wieder auf seinen Stuhl, was ihn nicht hinderte, seinem Mitangeklagten mit der Faust zu drohen. Die beiden anderen Verteidiger rissen geschockt die Augen auf, und auch Doortje an de Mool sprang überrascht auf. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht mit dem einen Wort, das Achill Kymasignomatis nun sprach.
„Schuldig!“ Dreimal knallte der Hammer auf das Holzkissen.
„Ich rufe die Angeklagten Bruns und Solverquist zur Ordnung, oder ich muss ein akustisches Abschirmfeld anordnen. Wenn der Angeklagte Bruns sich nicht an die Regeln hält, kann durchaus auch ein Fesselfeld zur Anwendung kommen. Mister Kymasignomatis, ist Ihr Mandant bereit, Angaben zur Sache zu machen?“
„Das ist er, Herr Vorsitzender!“ Der Verteidiger sah offen zum Richtertisch, neben ihm sein Mandant hielt den Kopf gesenkt.
„Für das Protokoll, hat Ihr Mandant einen Deal mit der Staatsanwaltschaft abgeschlossen?“, fragte Richter Rodriguez direkt, und ebenso direkt kam die Antwort.
„Meines Wissens nach, nein“, während Joannis Mandilitarakidos leise den Kopf schüttelte.
„Theoú, óchi pléon na drapetévis, ich möchte reinen Tisch machen. Echi jinei áskopo. Kein Deal, keine Entschuldigung, keine Vorteile. Es muss endlich ein Ende haben“, murmelte er leise.
„In diesem Fall bitte ich den Angeklagten, im Zeugenstand Platz zu nehmen.“ Mandilitarakidos erhob sich schwerfällig, er wirkte wie ein gebrochener Mann, als er die freie Fläche vor dem Richterpult überquerte und sich hinter dem Pult des Zeugenstandes auf den dort bereitstehenden Stuhl setzte. Rasch erledigte der Vorsitzende Richter die die Präliminarien. Name, Alter, Herkunft, Wohnsitz. Alles, das bestätigen sollte, dass die richtige Person ihre Aussage machte. Dann bat der Richter den als Zeugen zur Vernehmung anwesenden Angeklagten, seine Sicht der Dinge dar zu legen.
„Wir, meine Mitangeklagten und ich haben tatsächlich bei Hermano Tiburon und Christobal Monoya eine Mestizin gekauft, mit dem Vorhaben, sie zu jagen, zu missbrauchen und schließlich zu töten. Es gibt keine beschönigenden Worte für unser Vorhaben, und es ist die volle Wahrheit, hohes Gericht.“ Joannis faltete einmal mehr die Hände.
„Frau Staatsanwältin, bitte“, wies der Richter Doortje an, mit dem Kreuzverhör zu beginnen.
„Ich muss sagen, Mister Mandilitarakidos, ich hätte nicht erwartet, dass Sie uns diese Tatsachen heute gestehen. Warum?“
Die Andeutung eines Hauches von Lächeln huschte über das Gesicht von Mandilitarakidos. „Ich musste meiner Familie Zeit erkaufen. Zeit, um unterzutauchen. Ich möchte sie nicht mit hineinziehen, was ich getan habe, ist schlimm genug. Sie haben nichts damit zu tun, verstehen sie? Eleni kann nichts dafür, dass ich ihre Art von romantischer und verträumter Erotik nicht teile.“
Doortje an de Mool blitzte den Griechen an. „Das fällt Ihnen reichlich spät ein!“ Joannis zuckte nur mit den Schultern und atmete tief durch, an de Mool fuhr fort. „Vielleicht können Sie uns etwas über die Hintergründe erzählen, warum es zu dieser Jagd kommen sollte?“
Der Grieche senkte den Kopf und sah auf seine ineinander verschränkten Hände auf dem Pult. „Ich muss ausholen, verstehen werden Sie mich vermutlich trotzdem nicht“, begann er. „Ich habe jung geheiratet, eine hübsche, nette, aber ein wenig langweilige Frau. Dann habe ich plötzlich viel Geld mit einer Idee verdient, zu Beginn alles gut angelegt, manches, um ehrlich zu sein, an der Steuer vorbei, auf geheimen Nummernkonten. Einen Teil werde ich dem Gericht nachher sogar preisgeben. Um es kurz zu machen, meine Frau langweilte mich, ich ging in Bordelle. Dort stellte ich fest, dass mich gefesselte, wehrlose Frauen erregten, und bald wollte ich mehr, nicht mehr gespielte Schläge, sondern echte Schmerzen und Striemen sehen. Nun, mit dieser Vorliebe bin ich nicht allein, wenn man genug Geld hat, kann man im GeoNet alles finden. Sogar geheim, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich konnte mir gute Programmierer leisten, die keine Fragen stellten. So lernte ich nicht nur, aber auch meine Mitangeklagten kennen. In Bordellen, in denen die Betreiber die Frauen einfach kauften und dann uns vorwarfen, anders konnte man es nicht nennen. Als auch dieser Reiz abstumpfte – was soll ich sagen, diese Jagd sollte als zusätzlicher Nervenkitzel dienen.“ Joannis zuckte die Schultern. „Es war ein Teufelskreis aus Macht und Begierde, ein Rausch. Ich fühlte mich groß, unantastbar, mächtig. Offenbar bin ich nichts davon.“
„Und der Angriff auf den Agenten?“ hakte Doortje nach.
„Groß, unantastbar, mächtig. Mächtig dumm auf jeden Fall.“
„Danke! Herr Vorsitzender, die Staatsanwaltschaft behält sich die Option offen, den Angeklagten bei Gelegenheit noch einmal aufzurufen!“
„Kreuzverhör?“, fragte Don Diego die anderen Verteidiger.
Joseph McLock quälte sich auf die Beine. „Ich beantrage eine Unterbrechung der Verhandlung, um mich mit meinem Mandanten zu beraten.“
„Das halte ich für ratsam!“ beschied Don Diego Rodriguez. „Wir unterbrechen die Sitzung für eine Stunde!“
*
Republik Miridan
An Bord der GIULIA FARNESE
Victoria Rosheen Marba Katharina Rhodan öffnete im Bademantel die Tür ihrer Suite. „Komm herein, Les!“ sagte sie kurz und zeigte auf das Sofa. „Bitte setz Dich doch!“ Danach ging sie zur Hausbar und goss ein Glas Grappa ein, das sie mitsamt der Flasche vor Leslie Myers hinstellte.
„Ist es nicht noch etwas früh, um mit…
„Wie alt bin ich, Les?“ unterbrach Victoria ihre Freundin.
„Vicky, ich weiß, wie alt Du…“
„Wie alt in Zahlen? Bitte, Les!“
„Na schön, Du bist jetzt 50. Zwei Jahre jünger als ich.“
Victoria stand auf, zog ihren Bademantel aus und präsentierte sich ihrer Freundin ohne eine Faser am Körper.
„Wenn Du nach Komplimenten angeln willst, solltest du dich vor Chris so hinstellen!“ brummte Leslie.
„Sieht das nach fünfzig aus, Les? Ich habe ein Kind geboren, sieht man meinem Bauch oder meinen Brüsten etwas davon an? Irgendetwas? Sieht mein Hintern”, Victoria drehte sich um, „auch nur annähernd wie fünfzig aus? Ist nicht mein Körper – entschuldige den Ausdruck – so makellos wie der einer halb so alten Frau, wenn überhaupt?“
„Du bist halbe Arkonidin!“ argumentierte Leslie. „Du hast, wenn die richtigen Gene durchschlagen, gerade ein Viertel Deiner Lebensspanne hinter dir. Was wundert dich also?“
„Das!“ Victoria zeigte auf eine Stelle an ihrem linken Oberarm, Leslie sah genau hin.
„Tut mir leid ich sehe…“
„September 59. Eine etwas ungeschickte junge Frau mit einem sehr heißen Instrument, vielleicht erinnerst du dich noch daran? Und an die Wunde?“
Leslie wurde rot. „Das war doch nicht absichtlich. Ich war… Moment!“ Sie riss Victorias Arm zu sich und musterte ihn eingehend. „Es war doch Dein linker Arm, oder? Zeig einmal den Rechten.“
Victoria hielt ihr beide Arme entgegen. „Nichts!“
Die Tochter Rhodans nickte und wies auf ihr Knie. „Seit meinem fünften Lebensjahr war hier eine Narbe. Weg. Schwangerschaftsstreifen, weg. Ich hatte Probleme mit einem Zehennagel, weg. Schlaffe Brüste, hängende Pobacken? Weit davon entfernt. Les, was ich in meinem Leben gesoffen habe, müsste irgendwie in den Blutwerten zu sehen sein. Ein wenig zumindest. Nichts, nichts, nichts!“ Sie blätterte die Laborergebnisse auf den Tisch. „Aber das stärkste kommt zum Schluss!“ Victoria öffnete eine Bilddatei auf ihrem Pad. „Ein Scan meines Körpers, der Check, der alle fünf Jahre gemacht wird. Sieh Dir den linken Oberschenkelknochen an!“
„Was sollte ich sehen?“ fragte Leslie.
„Mit zehn hatte ich einen Schiunfall. Warte, hier sieht man es deutlich. Dieses Bild ist fünf Jahre alt!“
„Das – das – kann nicht sein!“ Leslie kippte den Grappa und goss sich einen weiteren ein. „Du bist doch Victoria Rhodan, oder nicht? Vielleicht ein Double?“
„Säßest Du hier und ich zeigte Dir alles?“ Victoria nippte an ihrem Prosecco.
„Ich habe noch eine Frage an Dich, Les. Erinnerst Du Dich an dieses Armband?“ Victoria hob den rechten Arm.
„Sehr gut sogar. Eine Sternstunde unseres Entwicklerteams. Du wolltest damals doch diesen mikrominiaturisierten Schutzschirmgenerator und wir haben ihn entwickelt! Ein mit Willenskraft verstärkter Schirm!“ Leslie lächelte stolz.
„Oh ja, und ich trage ihn seither Tag und Nacht, Les. Aber damals, wer hat daran gearbeitet. Du, Angel, Bruno, Franz hat ein Tor aufgestoßen, aber wer noch? Und wo ist diese Person heute?“
„Das war… Augenblick, es war – mir fällt es nicht mehr ein. Irgend Jemand war da noch!“ Leslie überlegte krampfhaft und nahm noch einen Schluck. „Ich muss mich doch erinnern können. Und sie müsste…Hmmmpf!“
„Ja genau! Hmmmpf. Genauso weit war ich selber schon. Ruf doch einmal die Konstruktionsdatei auf, da müssten doch die Entwickler vermerkt sein. Schon wegen der Provision!“ Victoria schlüpfte in einen Anzug, während Leslie eine Verbindung zum internen Netz der GIULIA FARNESE herstellte.
„Gute Idee! Oh, wir sind ja gar nicht zu Hause! Ich finde die Datei nicht.“
„Leslie, auf der GIULIA sind alle Daten der HEPHAISTOS gespeichert.“ Wieder nippte Victoria an ihrem Glas. „Sicherheitsbackup, Deine Idee! Wo ist die Datei Angelpower?“
„Hier ist sie doch“, öffnete Leslie die besagte Datei, Victoria sah nicht einmal hin. „Es ist alles da, außer diesem Armband! Wer ist damals eigentlich auf die Idee gekommen, drei Bänder herzustellen?“
„Na, das war… Oh!“
„Ja, oh! Ein silberfarbenes Panzerarmband, ein rotgoldener, breiter Reif mit dem Starlight Stern und ein gelbgoldenes Schuppenarmband. Sag mir einmal, Les, habe ich jemals, irgendwann einmal, etwas silbernes getragen? Oder einmal etwas mit solch breiten Kettengliedern? Habe ich jemals einen breiten Reif getragen? Oder irgendetwas aus Rotgold? Wie also kamen wir auf die Idee?“ Victoria warf ein Etui auf den Tisch. „Ich möchte, dass Du dieses Armband in Zukunft trägst. Ich weiß, du magst Weißgold, es passt also zu Deinem restlichen Schmuck. Vielleicht wirkt es auch bei dir, wenn du Pech hast, steht dir ein verdammt langes Leben bevor. Weißt du eigentlich, dass ich Gucky mit einem Gedankenimpuls zum Schweigen gebracht habe?“ Sie spielte mit dem Schuppenband um ihr Handgelenk.
„Gucky?“ Leslie war fassungslos. „Wer bekommt eigentlich das dritte Band?“
Victoria lächelte, ein wenig traurig, ein wenig wehmütig. „Ich habe es zuerst Reginald angeboten, aber der hat gesagt, dass er lieber in der tiefsten Hölle schmoren möchte, als dieses Ding auch nur mit der Zange anzurühren. Einmal wollte er es sich für ein Rendezvous mit einem Mädchen ‚ausborgen‘, er bekam einen kräftigen elektrischen Schlag. Wir haben es noch einmal versucht, es war ein sich steigerndes Prickeln, das immer unangenehmer wurde. Ich fürchte, wer immer es war, hat das Band für Chris auserkoren.“
„Wie romantisch!“ Theatralisch verdrehte Leslie die Augen! „Ewig in Liebe verbunden – sind zwei Herzen, die sich nicht gesucht und doch gefunden! Zwei Menschen strahlen einander an – weil keiner ohne den andern mehr kann!“
„Du solltest Hochzeitsbilletts dichten!“ Spielerisch schlug Victoria lachend nach Leslie. „Übrigens, war es zu früh…?“
„Scht!“ Leslie nahm noch einen kräftigen Schluck, „auf wen oder was auch immer.“
⊙⊙⊙
Irgendwo, irgendwann,
Außerhalb der Zeiten, außerhalb der Welten
Seit dem Bestehen der Galaxis gab es tausende Spezies, die den Himmel nicht nur betrachteten, sondern ihn auch zu erreichen versuchten. Drei davon waren besonders erfolgreich, eine humanoide Säugerspezies, eine bestimmte, aufrecht gehende Reptilienart und eine Insektenrasse, der irdischen Gottesanbeterin ähnlich. Sie hatten sich in verschiedenen Wellen über einen großen Teil der Galaxis verteilt, bombten sich selbst in die Steinzeit oder wurden von anderen in die Primitivität zurückgeworfen. Jahrmillionen und Jahrmilliarden vergingen, die Spezies fanden einander wieder, vermischten sich, verloren abermals den Kontakt zu einander, ewig gleich, ewig im Wechsel. Einmal beherrschten die Humanoiden, dann die Mantiden, dann wieder die Reptilien die Galaxis, sie schlossen Friedensverträge miteinander, Bündnisse gegen dritte, Menschliche und Reptilien schlossen sich gegen ein anderes menschliches Reich zusammen, in jeder nur erdenklichen Konstellation, dann wieder herrschte in einem großen Teil der Galaxis Stille, weil es keine überlichtschnelle Raumfahrt mehr gab. Bis sie wieder entdeckt wurde.
Seit diesem Auf-und-ab der Kulturen und Zivilisationen gab es besonders begabte Wesen aus allen Stämmen, deren Geist mächtiger und fähiger war als der anderer. Es ist nicht möglich, die Geburt eines Geisteswesens wie ES festzustellen, man ging davon aus, dass es wohl nicht an einem Tag geschehen sein konnte. Welche Intelligenzen es schafften, ihre Körper von Materie zu Energie zu transformieren und ihren Geist darin weiter leben zu lassen, kann heute nicht mehr festgestellt werden, doch ist bekannt, dass immer mehr Individuen in diesem mächtigen Wesen aufgingen. ES wuchs weiter, wurde größer und mächtiger, immer wieder gab ES manchen Völkern der Galaxis Hilfestellung zu Entwicklung. Auch die Mantiden und Reptilien fanden Schutz und Hilfe, entwickelten sich immer wieder, immer schneller.
Das erklärt, warum beinahe alle Homoniden wie Menschen, Ferronen, Arkoniden, Bhekoniden, Goszuls und viele andere miteinander zu gut 99,95 % ihres Erbgutes teilten, auch so verschieden wirkende Reptilienarten wie Chrk’Ochkror und Topsider waren ähnlich eng verwandt. Man konnte wohl davon ausgehen, dass die mantiden Miridaner in der Galaxis eines Tages ebenfalls auf Verwandte treffen würden. Irgendwann, irgendwo, die Galaxis war groß. Kh’Entha’hur und Tawromeg hatten bei weitem weniger mit den Menschen oder Arkoniden gemeinsam, die Verwandtschaft betrug nur 98,91 beziehungsweise 98,85 Prozent.
Man kann wohl davon ausgehen, dass auch bei den anderen Spezies Wesen mit Geisteskräften vorkamen, und es ist ebenso anzunehmen, dass auch diesen das gleiche gelingen konnte, nämlich ihre Körper vom Geist zu trennen und zu reinen Energiewesen zu werden. Völlig unberechenbar ist allerdings, ob es nun mehrere Energiewesen gab oder sie sich vielleicht temporär oder ständig zu einem Über-ES vereint hatten. Wahrscheinlich wird sich dieses Wissen nur jenen Wesen erschließen, die eines Tages ebenfalls lernen, sich ihres Körpers zu entledigen, um als Geisteswesen weiter zu leben.
ES lächelte zufrieden, also hätte gelächelt, wäre ein Gesicht vorhanden gewesen. Alles entwickelte sich gut, seine Paladine waren zum größten Teil erwählt oder auf dem Weg. Die spezielle Mischung aus Zoltral- und Rhodangenen hatte sich als günstig erwiesen, besonders das erste, weibliche Wesen war fähig und würde eine große Hilfe sein, wenn es zum Kampf kommen würde. Das zweite war verloren für IHN, aber das Dritte zeigte bereits gute Anlagen. Auch die arkonidischen und menschlichen Paladine hatten nicht nur hervorragende Vorarbeit geleistet, auch sie waren SEINE Hüter für diesen Teil des Universums gewesen. Zum ersten Mal könnte es gelingen, alle drei Spezies zu vereinen, ohne einander zu unterjochen, eine große Union von freien Welten, von verschiedenen freien Wesen bewohnt. ES bedauerte, nicht direkt eingreifen zu dürfen, doch das hätte den Regeln des Spieles widersprochen und ES und andere wie ES dem Blick des GEGNERS offenbart, zu früh, viel zu früh. ES hatte seine Vertreter gut gewählt, für die Verschmelzung guter Gene gesorgt und einige Paladine sogar gezielt gezüchtet, während der Planet unter dem Schutz des Besten Ritters bis dato stand. Auch seine Gene waren in den großen Plan geflossen, wieder und immer wieder. Manche Kämpfer in der physischen Ebene hatte ES lange und gut ausgebildet, in heißestem Feuer geschmiedet, sie standen bereit, wenn es Zeit war. Falls es Zeit wurde. Das ewige Spiel konnte in die nächste Runde gehen…
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