Blanvalet 6210, 2020
480 Seiten, TB
Übersetzt von Marianne Schmidt
ISBN 978-3-7341-6210-7
Wie man alleine schon am Titel erkennen kann, ist Madeleine „Max“ Maxwell inzwischen schon eine ganze Weile am St. Mary’s Institut für Historische Forschung tätig, denn sie hat sich inzwischen durch diverse Missionen ihren alten Doktortitel erarbeitet und gilt nun als voll anerkannte Historikerin im Korps der Zeitreisenden, die gewissermaßen unter dem Radar der Öffentlichkeit Recherchemissionen in der Vergangenheit durchführen.
Seit Max´ fast tödlich verlaufender Mission in der Kreidezeit vor 67 Millionen Jahren hat sie etwas erkannt, was die Marvel-Kenner der Loki-Fernsehserie auch mitbekommen haben und was ihre Missionen grundlegend novelliert: Während sie normalerweise nur beobachten sollen, um keine Zeitverwerfungen und Paradoxien auszulösen, ist es ihnen durchaus möglich, Objekte, die kurz darauf unwiderruflich zerstört worden wären, zu sichern und so für die Nachwelt zu erhalten. Dies begann mit einem Tannenzapfen aus grauer Vorzeit und wurde gegen Ende des vergangenen Bandes auf die jüngere menschliche Vergangenheit angewandt, nämlich um von der Zerstörung bedrohte Dokumente der Bibliothek von Alexandria zu retten.
Leider machten Max und ihr Team dabei erneut die Bekanntschaft mit einem finsteren Zeitsaboteur namens Ronan, den seine Biografie unschön mit St. Mary’s verbindet. Er versucht, von einem unbekannten Ort in Raum und Zeit, Profit aus Zeitveränderungen zu schlagen. Auch in diesem Band laufen ihm Max und ihre Gefährtinnen und Gefährten wieder über den Weg … aber ich sollte vermutlich anders anfangen.
Zu Beginn begleitet Max ihre Freundin Kalinda Black bei ihrer Abschluss-Wunschmission, die (für mich wenigstens) sehr an einen Todeswunsch erinnerte und auch beinahe tödlich ausgeht: Kal möchte unbedingt ins Jahr 1888 nach Whitechapel springen, um die Identität von Jack the Ripper zu ermitteln.1 Die Geschichte endet grässlich blutig, indem sie beinahe zerstückelt wird, und Max erleidet auch üble Verletzungen. Ganz zu schweigen davon, dass sie herausfinden, warum Jack the Ripper nach 1888 nie mehr in Erscheinung trat – das ist im Grunde genommen ihre Schuld.
Nach diesem haarsträubenden Abenteuer und gerade frisch genesen, stolpern sie unvermittelt in das nächste hinein: Mit einem Mal ist nämlich ihr Geliebter, der Techniker-Chief Leon Farrell spurlos verschwunden … na ja, nicht ganz spurlos. Auf einem Spiegel findet sich eine Koordinatenangabe, die er aber sicherlich nicht selbst angebracht haben kann. Das Pikante daran: Sie weist in die Zukunft!
Der Zeitpunkt wird nicht klar benannt, aber soviel kann man als sicher annehmen – es handelt sich um eine Falle für Max. Und sie nimmt die Herausforderung sehenden Auges an und landet … im zukünftigen St. Mary’s, das überfallen worden ist. Hier trifft sie nicht nur auf den unvermeidlichen Ronan und seine Zeitbanditen, sondern auch auf ihre persönliche Nemesis Isabella Barclay, von der Max im ersten Band rigoros aus St. Mary’s hinausgeworfen und fast zugrunde gerichtet wurde.
Doch die eigentlichen Probleme haken am Schluss des ersten Romans „Miss Maxwells kurioses Zeitarchiv“ ein, womit man merkt, dass die Geschichten fast fließend ineinander übergehen: Dort wurde in St. Mary’s der Gegenwart ein verstecktes Dokument von William Shakespeare gefunden … eines freilich, in dem er suggeriert, im britischen Thronfolgestreit des 17. Jahrhunderts sei nicht Maria Stuart hingerichtet worden, sondern Elizabeth I. Dies wiederum würde die gesamte britische Geschichte umstülpen.
Irgendwo also muss im 17. Jahrhundert eine fatale Abzweigung stattgefunden haben, verursacht durch Zeitreisende. Und so reisen Max und ihre Kollegen nach Edinburgh im Jahre 1567, um die englische Geschichte wieder ins Lot zu bringen …
Das ist natürlich nicht die gesamte Geschichte. Ich erzähle nichts über Dr. Alexander Knox und das Rote Haus, ich lasse auch die urkomische Geschichte mit der Rettung der Dodos heraus und warum Max Augenzeugin wird, wie in Ninive der König Sanherib ermordet wird und was sich daraus entwickelt … ich kann nur sagen, dass auch dieser zweite Band der Serie wirklich voller Überraschungen steckt, mitunter so obskure, dass ich ein wenig am Zweifeln war, ob die Protagonisten noch alle Tassen im Schrank haben. Dass kann man sich zwar immer bei den Forschern von St. Mary’s und ihren Schülerinnen und Schülern fragen (besonders nachdrücklich bei der Mauritius-Geschichte um die Dodos zu bemerken, wo ich fast Tränen lachte). Aber als Max allen Ernstes ein Auto im See versenkt, dachte ich, jetzt ist sie wirklich komplett gaga.
Ein Aspekt der Geschichte, recht weit hinten, war indes sehr faszinierend für mich, weil er mich an eine vertrackte Zeitreisegeschichte in meinem Oki Stanwer Mythos (OSM) sehr erinnerte. Zeitreisen, das ist nichts Neues, sind ziemlich vertrackt, gerade dann, wenn man auf Gegner mehrmals stößt. Denn man muss sich dann immer fragen: Wann findet eigentlich die erste Begegnung statt? Diese Frage stellt sich hier bezüglich Ronan im 17. Jahrhundert in Edinburgh, von dem sie ahnen, dass er für die Abweichung verantwortlich ist. Da er schon jede Menge ihrer Kollegen umgebracht hat, wäre seine Ausschaltung zwingend geboten … dummerweise hat er diese Taten noch nicht begangen. Würde man ihn nun also ausschalten, würden die Historiker von St. Mary’s womöglich ihre eigene Existenz bedrohen.
Im OSM betrifft das einen Zeitreisenden namens Jaal, der mit Genuss als Massenmörder unterwegs ist, der nur Chaos und Zerstörung verbreitet. Eigentlich müsste man ihn schnellstmöglich aufhalten … aber er springt kreuz und quer durch Zeit und Raum, und es ist schwer zu sagen, an welchem Punkt seiner Zeitlinie man ihn erwischt. Und bislang muss man ihn einfach gewähren lassen.
Wie das im Fall Ronan aussieht, müsst ihr dann selbst mal nachlesen … ich fand das Buch wieder äußerst unterhaltsam und vergnüglich und war, leider, schon wieder binnen von 3 Tagen durch.
Ein kurzer Hinweis noch bezüglich des Titelmotivs – es ist schön zu sehen, wie Max hier mit einem Kompass abgebildet wird, aber sucht im Roman nicht nach einer entsprechenden Stelle, denn einen solchen Kompass gibt es nicht in realiter (wiewohl der Begriff schon fällt). Generell ist es äußerst schwierig, den originalen Titel einigermaßen passend in eine deutsche Entsprechung zu konvertieren. Hier greift in der Regel ein eher schnippischer Humor, der aber dem Timbre der Serie sehr zupass kommt.
Alles in allem gebe ich jedenfalls wieder eindeutige erneute Leseempfehlung!
© 2025 by Uwe Lammers
Braunschweig, den 5. April 2025
1 Es war, nebenbei bemerkt, wirklich originell, wie oft ich in jüngster Vergangenheit über Jack the Ripper-Stoffe stolpere. Für den Rezensions-Blog las ich den Clive Cussler-Roman „Die Rückkehr der Bestie“ (worin es um Jack the Ripper geht). Und dann schenkt mir eine gute Freundin vor wenigen Tagen den Roman „Doktor Doyle jagt Jack the Ripper“. Und hier dann ein weiteres Mal … fast so, als wenn mich der Schlächter von Whitechapel verfolgt, nicht wahr?