Artikel von Uwe Lammers

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Erinnerungen an Keith Laumer (1925-1993)

Einleitung: Der amerikanische SF-Autor John Keith Laumer starb am 23. Januar 1993 in Brooksville, Florida, an den Folgen seines zweiten Schlaganfalls. Obwohl er seit den 60er Jahren im deutschen Sprachraum in SF-Romanen präsent war, muss heute wohl davon ausgegangen werden, dass er weitgehend in Vergessenheit geraten ist. So findet sich beispielsweise in dem facettenreichen Artikel „Lachende Aliens, schmunzelnde Androiden und skurrile Abenteuer im All“ von Christian Hoffmann und Udo Klotz, leider keine Spur von ihm. (Vgl. Christian Hoffmann & Udo Klotz: Lachende Aliens, schmunzelnde Androiden und skurrile Abenteuer im All, in: Time Machine 7, Januar 2023.) Das ist umso bedauerlicher, als sich im Januar 2023 sein Todestag nun zum 30. Mal jährt. Ich denke, es ist an der Zeit, ihn zumindest im Rahmen eines kurzen Gedenkartikels wieder ans Tageslicht zu befördern und zu zeigen, dass sein umfangreiches (und dennoch in Deutschland nur zum Teil veröffentlichtes) Werk eine Wiederentdeckung lohnt. Die folgenden Ausführungen basieren zentral auf dem relativ ausführlichen deutschen WIKIPEDIA-Artikel zu Keith Laumer.

Ich stieß auf Laumer im Frühjahr 1988, als ich entzückt erkannte, dass ein Terra Astra-Roman von ihm (Zeitlabyrinth, Nr. 383) auch als ausführlicheres Taschenbuch existierte. Es ist bis heute einer meiner Lieblingsromane von Laumer. (Vgl. Keith Laumer: Time Trap, 1970, dt.: Zeitlabyrinth, 1972.) Durch Kontakt mit einem Gifhorner SF-Fan, der zufällig auch Laumer-Fan war und eine ganze Reihe seiner Romane veräußern wollte, gelangte ich erst durch ihn und dann auf antiquarischem Weg an eine ganze Reihe weiterer seiner Werke. Insgesamt handelte es sich um 28 seiner Bücher, die so in meine Bibliothek gelangten und nahezu alle mit Vergnügen durchgeschmökert wurden. Und dennoch handelt es sich dabei nur um einen kleinen Teil seiner Werke, die er zwischen 1959 und etwa 1991 verfasste.

Das Leben von Keith Laumer und sein Einfluss auf sein Schreiben: John Keith Laumer, der sich als Autor stets nur Keith Laumer nannte, wurde am 9. Juni 1925 in Syracuse, New York, geboren. Augenscheinlich wanderte seine Familie recht bald von dort aus nach Oklahoma, wo er die Phillips University in Enid besuchte, und von dort aus weiter nach Kansas, wo er in Coffeeville das Junior College abschloss. Da es sich um die wechselvolle Zeit der Großen Depression in den Vereinigten Staaten handelte, darf man annehmen, dass seine Kindheit und das Berufsleben seiner Eltern recht turbulent verliefen.

1943 trat er, gerade volljährig geworden, in die US-Armee ein und absolvierte seinen Kriegsdienst in Europa. Im Anschluss daran studierte Laumer Architektur, kehrte dann aber 1953 wieder zum Militär, diesmal zur Air Force. Auch hier hielt es ihn nur kurze Zeit. 1956 trat er einen Posten im Außenministerium an und war unter anderem zeitweise Diplomat in Rangun, Birma (heute Myanmar). Während dieser Zeit entdeckte er, wie der WIKIPEDIA-Artikel zu ihm verlauten lässt (Stand: 17. Oktober 2020), seine wahre Berufung: das Schreiben phantastischer Geschichten.

Während seine erste SF-Geschichte mit dem Titel „Greylorn“ in Amazing 1959 erschien, arbeitete er immer noch als Diplomat, quittierte aber den diplomatischen Dienst bereits ein Jahr später und kehrte nun zur Air Force zurück. Aufgrund der Art und Weise, in der Laumer besonders in den Abenteuern um den Weltraum-Diplomaten James Retief vom Corps Diplomatique Terrestrienne (CDT) die galaktische Diplomatenszene karikiert, muss geschlossen werden, dass seine eigenen Erfahrungen mit Dienstwegen und bürokratischen Entscheidungen so unschön ausfielen, dass sie ihm den Diplomatendienst für immer vergällten.

Während seiner erneuten Zeit bei der Air Force entstanden ab 1962 die ersten SF-Romane, beginnend mit „Worlds of the Imperium“ (1962, keine deutsche Ausgabe vorhanden). Der 1965 erschienene Folgeband „The Other Side of Time“ wurde dagegen 1973 als „Invasion aus der Null-Zeit“ in Deutschland veröffentlicht. 1965 war außerdem das Jahr, in dem Laumer sich entschied, das Wagnis einzugehen, freiberuflicher Autor zu werden, was er bis an sein Lebensende bleiben sollte.

In den folgenden Jahren entwickelte er eine rege Publikationstätigkeit. Zwischen 1963 und 1971 entstanden insgesamt 7 Romane und Novellensammlungen um den Diplomaten James Retief vom CDT, in denen Laumer ohne Frage seine Erfahrungen im diplomatischen Dienst verarbeitete, ergänzt um zahlreiche Details, die seiner militärischen Laufbahn entsprangen. Die bisweilen schlitzohrigen Abenteuer des hemdsärmeligen und den diplomatischen Gepflogenheiten auf höchst unorthodoxe Weise abgeneigten Retief führten in der Regel zu erfolgreichen Missionen, für die die inkompetenten Vorgesetzten die Lorbeeren einheimsten. Sie lesen sich in der Mehrheit höchst erfrischend und speisen sich gerade aus den inneren Widersprüchen einer zaghaft-ängstlichen Diplomatie, die mit den mitunter robusten Handlungen Retiefs nicht Schritt zu halten verstehen. Üblicherweise erkennt der Leser, dass Retiefs beherzte Handlungsweise, die z. T. in handfester Unterstützung lokaler Guerilla besteht, letztlich realistischer und angebrachter war als die Appeasement-Politik der eigenen Diplomaten.

In Deutschland ist leider publizistisch nicht bekannt, dass Laumer noch acht weitere Bücher mit Retief-Abenteuern füllte (das letzte ist „Reward for Retief“, 1989!). Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass James Retief mit weitem Abstand die Person ist, die Laumer als Person am ehesten mental abbildete und ihn in seinem Schreiben am längsten prägte.

Weitere Zyklen, die er neben dem eingangs erwähnten „Imperium“-Zyklus (4 Romane, von denen nur der zweite auf Deutsch vorliegt, der letzte, „Zone Yellow“, wurde 1990 geschrieben), sind:

  • Lafayette O’Leary (vier Romane zwischen 1966 und 1984, von denen nur die ersten beiden, „Das große Zeitabenteuer“ (1968) und „Universum der Doppelgänger“ (1972 ), in Deutschland erschienen sind;
  • Invaders (ein Zweiteiler, der unter den Titeln „Invasoren der Erde“ und „Feinde aus dem Jenseits“ (beide 1969) bei Moewig veröffentlicht wurde);
  • Time Trap (der erwähnte Roman „Zeitlabyrinth“ (1972) ist der erste von zwei Romanen, kurz vor seinem Tod kehrte Laumer mit „Back to the Time Trap“ (1992) dorthin noch einmal zurück, der Roman ist in Deutschland nie erschienen), und
  • Bolo (acht Romane zwischen 1976 und 2010, wobei nur die ersten drei von Laumer allein sind, danach wurden die folgenden von William H. Keith und David Weber vollendet. In Deutschland ist keiner davon erschienen)

Neben diesen zyklischen Werken erschienen zahlreiche Einzelromane zwischen 1963 und 1991. Soweit es aus dem WIKIPEDIA-Artikel hervorgeht, handelt es sich dabei wenigstens um 22 weitere Romane, von denen erfreulicherweise 13 bei uns veröffentlicht worden sind.

Hinzu kommen außerdem 14 Kurzgeschichtensammlungen aus den Jahren 1967 bis 1991, von denen vier in Deutschland erschienen sind. Nach Laumers Tod wurden aus seinem Nachlass wenigstens noch weitere 8 Storysammlungen veröffentlicht, die bei uns sämtlich unbekannt sind. Ein deutliches Zeichen dafür, wie umfangreich offensichtlich der Materialnachlass war, von dem Epigonenautoren und Herausgeber nach Laumers Ableben gezehrt haben.

Im Jahre 1971 erlitt Keith Laumer einen ersten Schlaganfall, der für Jahre seine schriftstellerische Karriere völlig paralysierte. Allerdings erholte er sich schließlich davon und konnte – wenn auch nicht so erfolgreich wie zu Beginn – schreibend an die Zeit davor wieder anknüpfen. Schließlich zog er nach Brooksville, Florida, wo er dann am 23. Januar 1993 im Alter von 67 Jahren an den Folgen seines zweiten Schlaganfalls verstarb. Über seine Familie wird in dem Artikel nichts weiter mitgeteilt.

Nachleben: Soweit ich dem genannten Artikel entnehmen kann, hat Laumer in erster Linie zu Lebzeiten Aufmerksamkeit von Bibliografen des phantastischen Genres auf sich gezogen, beginnend 1974 mit Donald Tuck in „The Encyclopedia of Science Fiction and Fantasy through 1968“ (Chicago 1974). Die letzte deutsche bibliografische Würdigung zu Lebzeiten erfolgte im „Lexikon der Science Fiction Literatur“ (München 1991), herausgegeben von Hans Joachim Alpers, Werner Fuchs, Ronald M. Hahn und Wolfgang Jeschke. International setzte sich dagegen die Auseinandersetzung mit seinem Werk fort bis zu John Clutes „The Encyclopedia of Science Fiction“, 3. Auflage (Online-Ausgabe), Version vom 15. März 2018.

Eigene Einschätzung: Meine eigene Lektüre von Laumers Romanen liegt schon relativ lange zurück. Der letzte Band von ihm wurde 2017 gelesen. Ich las Laumer zu erheblichen Teilen abenteuerlich-überdrehten Raumzeitabenteuer und Zeitreisegeschichten, in denen er mit Parallelwelten, Doppelgängern, Überwesen und rege ineinander verschachtelten und mehrheitlich witzig-ironischen Handlungen brillierte, zu einer Zeit, als ich für derlei Literatur sehr empfänglich war. Heute und nachdem ich manche seiner Werke wiederholt gelesen habe, finde ich es sehr bedauerlich, dass die letzte deutsche Übersetzung eines Romans von ihm aus dem Jahr 1984 datiert. Die wirklich werkgetreuen und stilsicheren Übersetzer haben sich ihre Meriten eigentlich erst später erworben, sodass man bei den deutschen Übersetzungen von Laumers Romanen eher von einer hölzern-schematischen 08/15-Übersetzung reden muss. Dass sie auch in dieser Übertragung gut funktionieren, beweist in meinen Augen, wie geschickt Laumer mit Humor in seinen phantastischen Geschichten umzugehen verstand.

Mag es auch der Tatsache entsprechen, dass seine Romane nach seinem Schlaganfall 1971 nicht mehr das vorherige Niveau erreichten, so ist doch unleugbar anzuerkennen, dass er mit eiserner Disziplin und Spaß am Schreiben bis kurz vor seinen Tod weiter engagiert an seinen Werken gearbeitet hat und weiterhin rege Publikationstätigkeit entfaltete.

Ich würde darum sagen, es wäre höchste Zeit, dass sich ein deutscher Verlag mal wieder dieses amerikanischen Vielschreibers entsinnt und seine Romane in neuer Übersetzung vorlegt. Vielleicht wäre auch eine Ausgabe der Sachbuchreihe „SF-Personality“ für Laumer durchaus angebracht. Genügend Stoff dafür gäbe es gewiss. Ungeachtet der nicht eben optimalen Übersetzungen lohnt Laumers buchstäblich vielseitiges Werk eine Neuentdeckung – gerade für all jene, die die humorvoll-vergnügliche Science Fiction schätzen und sie in der Gegenwart vermissen.

© 2023 by Uwe Lammers, Braunschweig, den 4. Februar 2023

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