Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Eckdaten

  • Stephen Hawking
  • Eine kurze Geschichte der Zeit – Auf der Suche nach der Urkraft des Universums
  • Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1988
  • Übersetzt von Hainer Kober
  • ISBN 3-498-02884-7

Manche Bücher fallen einfach aus dem Rahmen des Normalen heraus und erfordern ein gewisses Lesealter des Rezipienten, damit der eigene Geist auch tatsächlich mit dem darin kommunizierten Wissen Schritt halten kann. So erging es mir mit diesem Werk des berühmten Astrophysikers Stephen Hawking, der 2018 mit 76 Jahren für immer seine Augen schloss. Tatsächlich kaufte ich dieses Werk schon damals, als es erschien, anno 1988, als ich gerade mal zarte 22 Lenze alt war.

Während sich mein jüngerer Bruder das Buch sofort borgte und verschlang, zögerte ich mit der Lektüre. Ganz ehrlich, ich fühlte mich ihr nicht recht gewachsen, denn der Klappentext war doch einigermaßen abschreckend. Schauen wir uns das mal genauer an: »Wenn Sie sich an jedes Wort in diesem Buch erinnern, sind in Ihrem Gedächtnis etwa zwei Millionen Informationen gespeichert: Die Ordnung in Ihrem Gehirn ist um zwei Millionen Einheiten angewachsen. Doch während Sie das Buch gelesen haben, sind mindestens tausend Kalorien Energie in ungeordnete Energie umgewandelt worden. Dies wird die Unordnung des Universums um ungefähr zwanzig Millionen Millionen Millionen Millionen Einheiten erhöhen – also um ungefähr das Zehnmillionenmillionenmillionenfache der Ordnungszunahme in Ihrem Gehirn. Und das gilt nur für den Fall, dass Sie sich an ALLES, was in diesem Buch steht, erinnern.«

Da ich damals schon wusste, dass ich eben kein berauschendes Erinnerungsvermögen besaß und dies mit akkurat geführten Listen zu kompensieren suchte, lässt sich vielleicht begreifen, dass mich das einigermaßen einschüchterte. Und natürlich erinnere ich mich auch heute nicht an ALLES in diesem Buch, das solle ich voranschicken.

Gleichwohl saß der Stachel der Neugierde tief in meinem Fleisch. Ich las damals George Greensteins »Der gefrorene Stern« und befasste mich mit so faszinierenden Themen wie Schwarzen Löchern, der Chandrasekhar-Grenze, Ereignishorizonten, der Expansion des Universums … und exakt um diese Dinge ging es, unter anderem, in Hawkings schon damals berühmtem Buch (wie berühmt es war, kann man schon daraus ablesen, dass es im Laufe des Erscheinungsjahres nach einer Anfangsauflage von 12.000 Exemplaren im August bis Dezember bereits 5 Nachauflagen gegeben hatte – mein Buch entstammte dem 145. Tausend, das im November 1988 aufgelegt worden war). Heute kann man mit Fug und Recht sagen, dass es ein Wissenschaftsbuch-Klassiker ist, und wie ich nach der Lektüre weiß: absolut mit Recht!

Ich zögerte damals aber weiter und ließ das Werk geduldig warten. Ich brauchte tatsächlich die Lektüre zweier weiterer Bücher von Hawking, darunter seine Autobiografie (Rezension in AN 281), bis ich mich nach vollen 35 Realjahren endlich daran machte, dieses Werk zu lesen. In gewisser Weise fand ich es inzwischen ein wenig blamabel, wie viel Furcht mir dieses doch eher schmale Buch, dem ich mich intellektuell nicht gewachsen fühlte, eingeflößt hatte. Zumal ich inzwischen viele sehr viel dickleibigere Werke, auch wissenschaftliche, längst verschlungen hatte.

Nun, kurz gesagt: Das Buch überraschte mich. Es ließ sich über weite Strecken sehr viel leichter und angenehmer lesen als angenommen. Das hatte wesentlich damit zu tun, dass Stephen Hawking dem Leser gewissermaßen einen Crashkurs in der Geschichte der Kosmologie gab – und natürlich war es sehr hilfreich, dass ich in all den Jahrzehnten zuvor reichlich Wissenschaftssendungen gesehen und Zeitschriftenartikel zu den relevanten Themen gelesen hatte. So gesehen war nicht nur das Buch im Laufe der Jahre gereift, sondern auch mein Verstand und mein Wissen über Kosmologie.

Hawking fängt bei den Basics an. Nach einer Einleitung von Carl Sagan spricht er über unsere Vorstellung vom Universum, über die Verflechtung von Mythologie und Astronomie, astrologische Vorstellungen und philosophische Konzepte vom Aufbau des Kosmos. Ausgehend von den alten Griechen rollt er die gedankliche Entwicklung über Jahrtausende auf und kommt schließlich zu den traditionellen Vorstellungen von Raum und Zeit. Verflochten mit seiner eigenen Wissenschaftsbiografie, die erst relativ spät im Buch zu fassen ist – was in der Natur der Dinge liegt – lernen wir viel über die Genese und den Wandel in den Auffassungen zum Kosmos. Stufenweise erklimmt Hawking in seiner Darlegung geduldig eine Ebene nach der nächsten, und wie gesagt, der Anfang liest sich wirklich ganz so, als lausche man alten Bekannten bei der Wiederholung einer vertrauten Geschichte.

Erst allmählich wird der Gedankengang anspruchsvoller, man wächst gewissermaßen in die Zusammenhänge hinein, was eine sehr angenehme Methode ist, Wissen zu akkumulieren. Über die Kapitel »Raum und Zeit« und »Das expandierende Universum«, über Edwin Hubble und andere Größen der Wissenschaftsgeschichte erreichen wir den Bereich der Elementarteilchen … was zunächst wie ein Widerspruch klingt, wenn man doch das ganze Universum in den Blick nehmen möchte. Doch dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Hawking baut gewissermaßen zwei Fronten auf. Exponent der einen ist im frühen 20. Jahrhundert Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie, während die Gegenströmung sich mit dem Bereich der Quantenphysik, Max Planck & Co. auseinandersetzt.

Während also die »steady state«-Theorie eines statischen Universums im 20. Jahrhundert unwiderruflich Schiffbruch erleidet (schweigen wir vom Scheitern all der heute obskur klingenden philosophisch-religiösen Vorstellungen vom Universum), dominieren auf einmal zwei konkurrierende Systeme die Weltsicht im Sehfeld der Physik. Und dann beginnt die Argumentation zunehmend anspruchsvoller zu werden. Wir erfahren von den Elementarteilchen und Naturkräften, die sowohl im Allerkleinsten als auch – und damit fängt die Argumentation endgültig an, den Bogen zu schließen – in den Weiten des Kosmos wirken. Hier haben dann die Diskussionen ihren Raum, wie kompliziert und wie kosten- und zeitintensiv es ist, die Anfangsbedingungen des Universums zu erforschen und nach den Grundbausteinen der Materie zu fahnden, was unabdingbar ist, wenn man letztlich zu umfassender Welterkenntnis gelangen will. Und Hawking berichtet von den modernen Forschungen der Suche nach einer vereinheitlichenden Weltformel, die Einsteins Gedanken und Theorien mit denen der Quantenphysiker in Einklang bringen kann.

Erst in Kapitel 6 (Seite 107) kommt er dann zu dem Thema, das mich einst zum Kauf des Werkes inspirierte: Schwarze Löcher. Zunächst wurden sie theoretisch nachgewiesen, aber es dauerte lange, ehe sie tatsächlich empirisch nachgewiesen werden konnten. Und schnell geht es dann um so seltsame Dinge wie die Frage nach statischen bzw. sich drehenden Schwarzen Löchern und was das für Auswirkungen auf die Kosmologie und die Entwicklung des Universums hat. Darum, wie man deren Massen oder Temperatur und Existenzdauer (!) berechnet, wie man sich ihre Entstehung und ihren Einfluss auf das frühe Universum und die darin vorgefundene Masseverteilung vorstellt. Und es wird rasch noch eigenartiger, weil das Universum sich als sehr viel seltsamer erweist, als sich die Forscher das anfangs dachten (ich deute nur mal die Verschränkung von Teilchen an, die heute nachgewiesen ist und die »spukhafte Fernwirkung«).

Hervorzuheben ist hierbei, dass Hawking dann rasch auch auf eigene Irrtümer in seinen Forschungen und Aufsätzen der Frühzeit hinweist. Das ist, finde ich, ein Punkt, in dem ihm nachhaltiger Respekt gebührt – es ist allgemein bekannt, dass Wissenschaftler ungern zugeben, sich in irgendwelchen Belangen geirrt zu haben. Das fiel selbst Größen wie Albert Einstein schwer. Stephen Hawking ist da völlig uneitel, und sein ganzer Gang durch die Wissenschaftsgeschichte in diesem Buch dokumentiert ja, dass die Wissenschaft im Grunde genommen durch fortschreitende Irrtümer und neue Iterationen, um zu korrekten Ergebnissen zu gelangen, letztlich erst gewachsen ist und ihr Wissen über die Welt entsprechend vertiefen konnte. Ohne diese Fehler wären wir heute nicht so weit, wie wir sind, das wird hier sehr deutlich.

Ein Philosophieprofessor, der zugleich Physiker war, sagte einst einmal in einer Vorlesung, der ich beiwohnte, dass die Wissenschaft das Reich der Ungewissheit sei, wo das Wissen stets nur vorläufig wäre, wohingegen die Religion das Reich der Gewissheit darstelle, bei dem das Hinterfragen schwierig, bisweilen lebensgefährlich sei – zugleich sei dies auch eine Denksphäre von statischer Form, in der Dogmatismus lauere. Indem Hawking skizziert, wie sich die moderne Physik und Kosmologie aus dem Raum der Religion in den der reinen Wissenschaft hinein entwickelte und emanzipierte, dient sein Argumentationsgang ebenfalls der Trennung dieser beiden Sphären. Und ganz ehrlich – ich fühle mich im Bereich der Wissenschaft wohler. Die Religion ist bis heute problematisch.

Doch zurück zum Buch:

Im Grenzbereich der Schwarzen Löcher und der Singularität, die als Ursprung des Universums angenommen wird, treffen sich nach Hawking sowohl die Einsteinschen Vorstellungen von Raum und Zeit als auch die Grundprinzipien der Quantentheorie. Während er nun in den hinteren Kapiteln des Buches konkurrierende moderne Erklärungsmodelle wie die Stringtheorie, die Grand Unified Theory (GUT) und andere Denkansätze diskutiert, wird es dann wirklich sehr anspruchsvoll. Da lohnt es sich nun, nicht mehr Kapitel um Kapitel zu verschlingen, wie es zu Beginn noch möglich ist, wenn der Stoff im Wesentlichen vertraut und bekannt ist … hier sollte man sich dann Zeit nehmen, wenige Seiten am Tag schmökern, gelegentlich auch zweimal oder dreimal die Absätze durchgehen, um sicherzustellen, dass man sie auch tatsächlich in ihren Implikationen begriffen hat.

Hier zeigt sich deutlich, dass mein 22jähriger Jungleserverstand an diesen Seiten in der Tat kapituliert hätte. Heutzutage sind solche Themen wie »Ursprung und Schicksal des Universums«, »Der Zeitpfeil« oder die »imaginäre Zeit« immer noch höchst anspruchsvoll – aber zugleich auch sehr lohnend, gerade für Science Fiction-Leser und Autoren, die sich in diesem Gebiet bewegen.

Ich gebe gleichzeitig zu, während ich dieses Werk nach so langer Zeit endlich las und mich gemächlich und mit Gewinn in die modernen Grundlagen der Astrophysik und Kosmologie einarbeitete, da musste ich mit einem gewissen Lächeln gerade in den höheren Kapiteln immer mehr daran denken, dass ich ja in meinem eigenen Geschichtenwerk, dem Oki Stanwer Mythos (OSM) eine eigene Kosmologie entwickelt hatte, die in einem spekulativen Punkt über Hawking durchaus hinausgeht.

Als der britische Forscher launig über die Frage von interstellaren Reisen nachsinnt und die physikalischen Beschränkungen, die uns insbesondere die Relativitätstheorie auferlegt, da musste ich an meine universale Matrix denken und das Kontinuum des Matrixraumes. Gesetzt den Fall, jenseits der uns bekannten und mit den bekannten Instrumentarien messbaren Naturgesetzmäßigkeiten gäbe es ein Kontinuum übergeordneter Energie und man könne diese Kräfte irgendwann einmal beherrschen, so ließe sich damit so etwas wie überlichtschnelle Raumfahrt sehr wohl realisieren (von anderen Effekten wie einer perfektionierten klimaneutralen Energiegewinnung mal ganz zu schweigen). Man bräuchte sich dann nicht mehr mit Raumzeit-Dilatation oder der mikroskopischen Kleinheit von Wurmlöchern »herumzuärgern«, sondern hätte eine sehr viel elegantere Methode, durch das Universum zu kreuzen. Natürlich ist das spekulativ und Science Fiction, dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Aber ich denke, es ist wichtig zu wissen, dass ich mich, weil so über die Jahrzehnte hinweg gewissermaßen schon kosmologisch im Geiste »gestählt«, auch den komplexesten Gedanken des Buches heute gewachsen zeigte.

Auch 35 Jahre nach der Veröffentlichung dieses Buches ist zu konstatieren, dass eine vereinheitlichende Theorie, die Relativitätstheorie und Quantenphysik miteinander fusionieren kann, immer noch gesucht wird. Insbesondere die Gravitationskraft gibt dabei nach wie vor Rätsel auf und stellt die Wissenschaftler vor Herausforderungen. Die Forschungen dazu sind weit vorangeschritten und haben vielfach längst so weit von der empirischen Realität abgehoben, dass sie sich bisweilen wie reine Phantastik anhören. Um für solche Diskussionen der Jetztzeit gewappnet zu sein, braucht man tatsächlich einen gut lesbaren Führer, der die ganze Entwicklung der Kosmologie über all die zurückliegenden Jahrtausende aufrollt, gewissermaßen einen Crashkurs darbietet. Dieses Ziel erfüllt Stephen Hawkings Klassiker auch nach all der langen Zeit und ungeachtet der seither erzielten wissenschaftlichen Fortschritte immer noch. Insofern würde ich sagen, ist dieses Buch definitiv nicht überholt und lohnt unbedingt die Lektüre, die speziell für jene neugierigen Gemüter geeignet ist, die neu an dieses Thema herangeführt werden wollen.

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