Filmbesprechung von Uwe Lammers

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Die Eckdaten

  • Indiana Jones und das Rad des Schicksals (OT: Indiana Jones and the Dial of Destiny)
  • Ein Film von James Mangold nach einem Drehbuch von John-Henry Butterworth, David Koepp und James Mangold
  • Erscheinungsjahr: 2023
  • Länge: 154 Minuten
  • Hauptpersonen: Harrison Ford, Phoebe Waller-Bridge, Mads Mikkelsen, Toby Jones, ferner Karen Allen, Antonio Banderas, John Rhys-Davies u.a.
  • Produziert von Walt Disney Pictures, Lucasfilm
  • Musik: John Williams

Indiana Jones ist Kult, man kann es nicht anders sagen. Als also vor ein paar Jahren die Gerüchteküche zu brodeln begann, es werde womöglich mit dem doch nicht mehr taufrischen Harrison Ford in der Hauptrolle einen fünften Kinofilm um den Archäologen, Abenteurer und Schatzsucher geben, war ihm die mediale Aufmerksamkeit weltweit sicher. Die Zeit war ein wenig ungünstig für den Dreh dieses Filmwerks, da die Drehzeit in das Jahr 2021 fiel, in dem bekanntlich die Corona-Pandemie nahezu zum Stillstand der Filmindustrie weltweit führte. Während man vielen Werken, die in dieser Zeit entstanden, deutlich ansieht, dass sie im Ausnahmezustand realisiert wurden – man braucht sich da nur die personalarmen Filme „Die Ausgrabung“ (mit Ralph Fiennes in der Hauptrolle) oder die Verfilmung des Buches „Der Schwarm“ von Frank Schätzing in der gleichnamigen – eher mäßig gelungenen – Serie anzusehen, war das diesem Werk kaum anzumerken.

Man kann sagen, dass der Film lange erwartet wurde, da erste manifeste Vorstellungen schon im Jahre 2016 kursierten. Dennoch dauerte es bis 2021, bis die Dreharbeiten in den Pinewood Studios bei Londin und auf Sizilien realisiert werden konnten. Nachdem ich den Film mehrmals gesehen habe, was ist dazu zu sagen? Die Kritiken waren schließlich reichlich durchwachsen. Schauen wir uns die Handlung an.

Die Handlung

Der Film besteht aus zwei Teilen. Im Prolog sehen wir den mittels digitaler Technik erstaunlich verjüngten Harrison Ford (diesmal wurde dieselbe Verfremdungstechnik wie bei dem Davy Jones-Darsteller in „Fluch der Karibik“ dazu genutzt, den gealterten Schauspieler auf das Filmalter des Jahres 1945 zu trimmen, was ihm wirklich außerordentlich gut getan hat). Er ist in geheimer Mission mit seinem Kollegen Basil Shaw (Toby Jones) unterwegs und im Kampf mit den allseits beliebten Nazis kurz vor Kriegsende. Jones soll die Heilige Lanze aufspüren, die Hitler in seine Gewalt bekommen möchte. Als er sie nach turbulenten Minuten schließlich in einem Nazi-Zug voller Antiquitäten findet, erweist sie sich als Fälschung, wie Indy durch Augenschein feststellt.

Aber im Zug befindet sich auch der Astrophysiker Jürgen Voller (Mads Mikkelsen), ebenfalls ein Nazi, der ein echtes Relikt der Vergangenheit dabei hat, die so genannte „Antikythera“, die angeblich der griechische Wissenschaftler Archimedes geschaffen haben soll. Er versucht vergebens, seine Vorgesetzten von deren Wert zu überzeugen, da er sicher ist, im Gegensatz zur Lanze verfüge sie über magische Kräfte. Im Laufe des Kampfes im Zug bringt Indy die Antikythera an sich und kann mit Shaw entkommen. Voller verschwindet aus der Geschichte.

Blende in die Haupthandlungszeit, den August des Jahres 1969. Henry Jones jr. lehrt in New York und wird hier nun ordentlich in den Ruhestand versetzt. Da sein Sohn Mutt im Vietnamkrieg gefallen ist, hat er sich von seiner Frau Marion Ravenwood-Jones entfremdet und lebt von ihr getrennt. Während Menschen zum Mond vorstoßen, sieht sein eigenes Leben völlig unbedeutend aus. Ihm ist menschlich – wie er es sieht – nichts mehr geblieben.

Aus diesem glanzlosen Leben reißt ihn das Auftauchen von Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge) jäh heraus. Sie ist Basil Shaws Tochter und seine Patentochter. Wie sich allmählich herausstellt, möchte sie Jones die Antikythera abluchsen, um sie anschließend zu Geld zu machen, da sie wesentlich von Antiquitätenverkäufen lebt. Doch überraschenderweise gibt es noch eine Fraktion, die sich für das Artefakt interessiert, das Indy – entgegen seinem Versprechen, das er Basil einst gab – nicht zerstört hat.

Basil Shaw nahm an, die vollständige Antikythera – Voller besaß damals nur die Hälfte davon – tauge als Zeitmaschine, und man müsse sie unbedingt vernichten. Indy hielt das für ein Hirngespinst, in das sich Shaw verrannt hatte.

Dummerweise sind die Männer, die nun Helena und die Antikythera jagen, anderer Ansicht. Und ihr Anführer ist Voller, der als rehabilitierter Nazi nun in den Diensten der US-Regierung steht … die er aber kaltblütig verrät, als sich ihm die Chance bietet, seinen Traum von einst zu verwirklichen. Was interessiert ihn die Gegenwart? Er will die Vergangenheit verändern, dann ist die Gegenwart sowieso nur noch eine blasse, substanzlose Chimäre (hier sieht man gewisse Parallelen zu „Men in Black III“).

Während nun Indy in New York wegen der Morde gesucht wird, die Vollers Schergen anrichteten, verfolgt er Helena mit Sallahs Hilfe nach Tanger, wo der junge Dieb und Flugenthusiast Teddy Kumar zum Cast stößt. Der Junge spielt – hey, es ist ein Disney-Film! – nachher noch zentrale Rollen. Dennoch kann Voller die Antikythera erbeuten. Aber Helena und Indy, nunmehr zwangsweise Verbündete, suchen eine wichtige Ergänzung des antiken Mechanismus vor der griechischen Küste, wo schon die Antikythera gefunden wurde, einen ebenfalls antiken Wegweiser. Sie können, Vollers Schergen immer auf den Fersen, den Wegweiser finden, der ihnen den Pfad zum Versteck der zweiten Hälfte weist und zum verschollenen Grab des genialen Griechen. So gelangen die Suchenden nach Syrakus und entdecken zu ihrer Verstörung im Grab des Archimedes eine moderne Armbanduhr!

Wenig später gerät Indy in Vollers Hände, der ihm nun seinen Plan enthüllt, der noch wahnwitziger ist als das, was man sich sonst so vorstellt: Er will den vollständigen Mechanismus dazu nutzen, mit einem Flugzeug durch die Zeit reisen. Ziel: Adolf Hitler am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zu töten und dann – mit seiner Kenntnis zukünftiger Entwicklungen bis 1969 – ein besserer Naziführer zu sein und so zu helfen, dass die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewinnen.

Tatsächlich funktioniert der Zeitreisemechanismus. Aber sie gelangen nicht dorthin, wohin sie wollen …

Ich finde – wie manche Kritiker – auch, dass die Anfangs-Vergangenheitsblende mit weitem Abstand das Faszinierendste war, was dieser Film aufbot. Natürlich mussten es wieder die Nazis sein, die Lieblingsbösewichte von Hollywood im Einst und dann später mit schneidigen schwarzen SS-Uniformen auch im Jahre 1969. Aber das, was mancher kritische Zuschauer so ablehnte, nämlich den Zeitreise-Schluss, mochte ich ebenfalls nicht gerade wenig. Das hatte zum einen mit der faszinierenden Verschränkung mit den früheren Historienfilmen zu tun, die hier mit der modernen Filmtechnik bemerkenswert umgesetzt wurde. Zum anderen mag man mir diese Einschätzung nachsehen, weil ich nun einmal sowohl Historiker wie SF-Freund bin und Zeitreisen grundsätzlich liebe. Wenn man das – wie in diesem Fall – auch noch mit expliziten Schatzsucher-Abenteuergeschichten kreuzt, ist eigentlich meine Sympathie schon programmiert, das geht gar nicht anders.

Dabei konnte ich durchaus über manche ordentliche Inhaltsschnitzer hinwegsehen. Die meisten davon werden die Filmzuschauer kaum mitbekommen haben, schätze ich. Ich nehme mal drei davon heraus und beleuchte sie für einen späteren Genuss des Filmes mal näher.

Ad 1: Die Heilige Lanze

Es ist richtig, dass es dieses Artefakt gab und gibt. Üblicherweise wird dieses Artefakt, das eigentlich nur die Lanzenspitze ist, mit der Geschichte von Christus´ Kreuzestod in Verbindung gebracht. Der Legende zufolge war es der römische Soldat Longinus, der mit der Lanze in Jesus´ Seite stach, um festzustellen, ob er schon tot sei. Dieses Erlebnis soll auf ihn so kathartisch gewirkt haben, dass er später zum Christentum übertrat und dass das Relikt magische Kräfte erhielt. Hitler war in der Tat von diesem Objekt besessen, schon bevor er Führer der NSDAP wurde. Die Heilige Lanze wurde damals in der Hofburg in Wien aufbewahrt und während des Zweiten Weltkrieges nach Nürnberg verschleppt, wo die alliierten Soldaten sie fanden.

In der Tat haben wissenschaftliche Analysen ergeben, dass es sich dabei um eine aus dem Mittelalter stammende Fälschung handelt. Das kann man aber durch bloße Anschauung – anders, als im Film dargestellt – nicht erkennen, und 1945 war der Fälschungscharakter unbekannt. Inzwischen ist die Heilige Lanze wieder in Wien. Anders also als im Epilog des Films, wo sie sich in Indys Besitz in New York befindet.

Ad 2: Die Antikythera

Dieses antike Artefakt ist eine faszinierende Sache und durchaus keine Fiktion. Antikythera ist allerdings der Fundort an der griechischen Südküste, wo in den Jahren 1900 und 1901 von griechischen Schwammtauchern primär antike Bronzestatuen in einer Tiefe von 60 Metern gefunden wurden. Und zwar – da ist der Film nicht unpräzise – direkt an einem Steilabhang. In realiter lag dort aber das gesamte Wrack, es war durchaus nicht zerbrochen, das hat dann die filmische Dramaturgie hinzugefügt. Unter den hier gefundenen Statuen aus Stein und Bronze befand sich auch ein unförmiger Rostklumpen, der bis 1958 (!) unbeachtet im Magazin des Nationalmuseums von Athen lag (hier flunkert als der Film munter, der ihn 1945 schon voll restauriert in Vollers Hände spielt). Erst eine Röntgenfotografie zeigte dann nämlich, dass sich in dem Klumpen ein raffinierter technischer Mechanismus verbarg, der sich als eine astronomische Uhr herausstellte. Sie war im Jahre 80 vor Christus neu eingestellt worden, kurz vor dem Untergang des Schiffes.

Davon, dass sie von Archimedes gefertigt worden ist oder es irgendeinen Zusammenhang zur Belagerung von Syrakus im 3. vorchristlichen Jahrhundert gibt bzw. davon, dass sie zerbrochen war und im Gesamtzustand eine Zeitmaschine darstellte, die auf Zeitfrakturen eingestellt werden könnte, kann indes keine Rede sein … das ist dramaturgische Neudichtung des Films.

Ad 3: Antike Schiffswracks

Außerdem fiel mir natürlich auf, dass bei der Darstellung des antiken Schiffswracks gar mächtig gemogelt wurde. Wer antike Schiffswracks im Mittelmeer kennt, der weiß natürlich bestens, dass sich dessen Holz nur dann erhalten hat, wenn es kurz nach dem Untergang unter Sand tief vergraben wurde (andernfalls machen ihnen der Zahn der Zeit und der des Schiffsbohrwurms Teredo navalis schnellstens den Garaus). Nicht umsonst sind römische Schiffswracks auch aus jüngerer Zeit heutzutage nur noch an ihrer Last an Amphoren und Ballaststeinen am Meeresgrund zu erahnen – sofern sie nicht völlig von Korallen überwuchert wurden. Die nicht ernst zu nehmende Tauchganggeschichte in den griechischen Gewässern spricht darum eher naive Gemüter an, als dass sie in irgendeiner Weise realistisch ist.

Aber, wie gesagt, das sind Details, die Spezialisten auffallen – die meisten Kinozuschauer, die vielleicht mehr in „Fluch der Karibik“-Filmen und anderen Disney-Produktionen zuhause sind, in denen es von pittoresken Schiffswracks wimmelt, haben das vermutlich gar nicht wahrgenommen.

Mit einigem Erschrecken habe ich wahrgenommen, wie alt speziell John Rhys-Davies geworden ist. Es gibt Schauspieler, die sich erstaunlich gut halten, zu denen ich den seligen Sean Connery, Michael Douglas oder eben auch Harrison Ford zähle. Rhys-Davies gehört leider nicht dazu, dementsprechend kurz und eher peinlich ist seine Rolle im Film ausgefallen.

Wenn ich nun letztlich urteilen sollte, welchen Rang dieser Film unter den fünf Abenteuern des Indiana Jones einnimmt, so würde ich sagen, dass er nach „Jäger des verlorenen Schatzes“ und „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ ohne Frage auf Rang 3 kommt.

Und ganz im Ernst, Freunde: Ich fand eine Zeitreise in die griechisch-römische Antike sehr viel reizvoller und (in Maßen) plausibler als dieses bizarre UFO-Abenteuer im vierten Film „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil inzwischen längst erwiesen ist, dass der Mitchell-Hedges-Schädel, der dort eine so wichtige Alibirolle spielt, eine französische Fälschung aus dem 19. Jahrhundert ist, den Frederick Mitchell-Hedges nicht in Mittelamerika fand, sondern in London Mitte des Jahrhunderts auf einer Auktion erstand. Die Legende um die Kristallschädel ist erst danach von ihm wesentlich selbst in Umlauf gebracht worden und von seiner Tochter Anna bis zu deren Tod 2007 weitergetragen worden.

Ich halte also „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ ungeachtet der oben genannten historischen Ungenauigkeiten und munteren Ergänzungserfindungen für einen unterhaltsamen, sehenswerten Film und einen würdigen Abschluss der Filmreihe.

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