Das fantastische Fanzine

Die Sternenfahrt | Buch 1: Die Suche nach Kertes | Kapitel 5

Fünftes Kapitel der Fortsetzungsgeschichte von Alexander “Tiff” Kaiser, Fortsetzung von: Die Sternenfahrt | Buch 1: Die Suche nach Kertes | Kapitel 4: Der Stand der Dinge von Roland Triankowski

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„Wenn Sie nichts dagegen haben, Riho, würde ich gerne ein paar meiner Offiziere und Vertreter auf Ihr Schiff einladen, um die Einsatzbesprechung abzuhalten. Vorausgesetzt, Sie vertrauen mir und sehen es nicht als Versuch an, Ihr Schiff zu übernehmen.“
Riho Zypher, der uneingeschränkte Herrscher des Wurmlochausbauschiffs AVATAR, winkte großzügig ab. „Ich denke, diesen Gag haben wir tot geritten. Selbstverständlich bin ich einverstanden. Wie lange wird es dauern, bis Ihre Leute an Bord kommen und auf wie viele soll ich mich einstellen?“
„Es sind fünf Fähren von fünf Schiffen auf dem Weg, drei von militärischen Einheiten, eine von einem Lazarettschiff, die letzte von einem Trossschiff“, informierte das Bordgehirn. „Geplante Ankunftszeit zweihundertelf Se … in etwa dreieinhalb Standardminuten.“
Riho sah den General mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Sie lassen auch nichts anbrennen, was?“
„Die Fähren sind in der Tat gestartet, kaum dass die Trägerschiffe in Reichweite waren. Wir erwarten etwa zwanzig Gäste, relevant sind pro Fähre jeweils einer, die anderen drei sind Stabsangehörige. Nur die wichtigsten Stabsangehörigen. Ich wollte einen Massenauflauf auf Ihrem Schiff vermeiden. Natürlich sind alle Stäbe per Holo zugeschaltet, aber die Repräsentanten werden diese Kommunikation moderieren und nur zur Konferenz zulassen, wenn es relevant ist.“ Aris Stondra deutete auf die Strandbar. „Können Sie uns bitte einen Konferenztisch für uns beide, meine sechs zivilen Begleiter und fünf weitere, hm, Personen erstellen, dazu sechs weitere Tische mit holographischen Anzeigen für jeweils drei Personen in der Peripherie für die Unterstützung?“
„Aber natürlich“, sagte der Wurmlochbaumeister. Er brauchte nicht mal zu winken, da fiel der bisherige Tisch scheinbar zu Staub, und mit ihm die Stühle. An ihrer Stelle erhob sich bald ein kreisrunder Tisch mit elf bequemen Sesseln. Rings um diese wurden die anderen fünf Tische erstellt. „Benötigen Ihre Leute auch eine Möglichkeit, sich niederzulassen, Lieutenant Miarr?“
Die gepanzerte Infanteristin winkte ab. „Nicht unmittelbar. Wir werden auch nur als Mäuschen teilnehmen, nicht als aktiver Part der Konferenz.“
„Mäuschen?“, echote Riho.
„Ein Nagetier von Terra, das es in verschiedensten Ausführungen gibt, Säuger, Größe je nach Art von Daumenlänge bis Armlänge eines normalen Terraners“, referierte AVATAR. „Gilt als Kulturbegleiter, und trotz größter Anstrengung der Föderation, diese Wesen nicht über den gesamten Föderationsraum zu verschleppen, sind sie auf achtzehn Welten nachgewiesen. Ich gehe davon aus, dass „Mäuschen spielen“ sich auf die geringe Größe bezieht und eine gewisse Unbemerkbarkeit meint, so eine Art stiller Beobachter. Richtig, Lieutenant?“
„Ja, das ist eine sehr korrekte Formulierung“, erwiderte die Infanteristin.
„Nur achtzehn Welten? Waren Sie doch erfolgreich dabei, die Ausbreitung der Mäuschen zu verhindern?“, hakte Riho nach.
„Wie man es nimmt“, warf Myu ran Tau ein. „Auf den meisten Welten, auf denen die Mäuse eingeschleppt wurden, haben sie sich nicht etablieren können und wurden vom bestehenden Ökosystem ausgemerzt. Das ist ein Phänomen, das wir schon öfters beobachtet haben. Auf Terra kommt es viel öfter vor, dass eine neue Spezies in ein endemisches System einbricht und es kippt; auf den meisten Föderationswelten ist das aber die Ausnahme. Oder um es auszudrücken: Mäuse sind für die meisten räuberisch lebenden Organismen eine zu leichte Beute, nur auf Terra und den achtzehn anderen Welten konnten sie sich durch ihre sehr hohe Reproduktionsrate festsetzen. Ich nehme an, auf Ihrem Heimatplaneten gibt es keine von Terra eingeschleppten Mäuse?“
Riho zog die Stirn kraus. „Keine eingeschleppten Kleinnager von Terra, aber eigene Spezies in dieser Kategorie, allerdings hauptsächlich echsenbasiert, warmblütig, Wirbeltiere, aber Eierleger. AVATAR kann dazu ein Dossier bereitstellen. Aber ich denke, wir schweifen ab. Wo sind unsere Gäste, Kumpel?“

„Sie haben eingeschleust. Da ich die Gelegenheit hatte, die Fahrzeuge bereits zu präparieren, werden sie jeden Moment hier sein“, sagte das Bordgehirn.
„Und wen empfangen wir genau?“, fragte Riho in Richtung des Generals.
„Nun, zuerst ist da Admiral 0011100111. Stören Sie sich nicht an dem Namen, es ist nur eine Simplifizierung für uns Organische. Nennen Sie ihn einfach James. Ja, er identifiziert sich als männlich.“
„Ein Roboter?“, fragte Riho staunend. „Ehrlich, ich habe schon viel gesehen, das können Sie mir glauben, Aris. Aber ein Roboter, der eine Flotte kommandiert, war noch nicht darunter.“
„Eine künstliche Intelligenz im Rang eines Voll-Admirals. Nicht ganz so beeindruckend wie Ihr AVATAR, aber dafür um einiges mobiler“, warf Myu ein.
„Höre ich da leichte Kritik an mir?“, mockierte sich das Bordhirn.
Der Hausherr überging die Frage. „Wen erwarten wir noch?“
„Vice Admiral Kelly, die stellvertretende Kommandeurin. James und sie arbeiten schon mehrere Jahre zusammen und fahren grundsätzlich auf verschiedenen Schiffen, nur für den Fall, dass einer von ihnen ausfällt.
Dann kommt noch General Staund. Er ist Kommandeur der 51. Sturmarmee, die teils auf den Materialschiffen, teils auf den Flottenschiffen mitfliegt. Die 51. ist eine Hit&Run-Einheit für schnelle, harte Schläge. Sie ist im begrenzten Umfang auch zu Garnisonsdiensten fähig, aber ich denke nicht, dass wir eine Föderationsgarnison brauchen werden, nachdem die Rau vertrieben wurden.
Admiral Bagata wird ebenfalls erscheinen. Sie ist die Nummer drei in der Flotte und kommandiert die Frachter, die Zeugschiffe und die Materialschiffe.
Und, um die Runde komplett zu machen, erwarten wir Professor Kull. Er gehört nicht zum normalen Stab der Flotte, sondern seine Schiffe wurden kurzfristig auf meinen persönlichen Befehl ausgehoben, und er mit seiner Position betraut. Er ist Kommandeur einer Flotte von vier Lazarett- und zwei Materialschiffen. Damit hat er auch das Kommando über die PARACELSUS, das eigentliche Lazarettschiff der Achten Flotte. Da ich annehme, dass wir eine scheußliche Situation vorfinden werden, habe ich kaum nach dem Auslesen der Speicher AVATARS Befehl gegeben, so viele Lazarettschiffe wie möglich zusammenzuziehen und der Achten zuzuteilen. Das war das Beste, was wir in der kurzen Zeit hingekriegt haben. Aber zwei Geschwader der 1001. Flotte werden in einigen Tagen dazu bereit sein, uns mit weiteren fünfzehn Lazarettschiffen und Zeugschiffen zu folgen. Wir werden retten, was immer wir retten können, Riho.“
„Und dafür sind wir Ihnen dankbar“, ließ sich Kea vernehmen, während sie zielsicher auf der Schulter Rihos landete. „Ich nehme an, obwohl keine Sitzmöglichkeiten für uns geschaffen wurden, sind wir ebenfalls eingeladen, teilzunehmen?“
„Die Rückenlehnen der Sessel sind hoch genug für euch“, wies AVATAR den Kresh zurecht. „Ihr müsst nicht immer eine Extramuschel bekommen, nur weil Ihr Spaß daran habt die Schale zu knacken.“
„Ja, ja, reg dich ab, Blechkiste. Ich will nur sichergehen, dass wir hier nicht unter ferner liefen registriert werden, sondern als vollwertige Mitglieder der Besatzung.“
„Apropos Besatzung. Riho, wollen Sie eine neue haben?“, fragte Aris.
Der Mann von Mau’hi blinzelte. „Bitte, was?“
„Sie können eine Crew an Bord nehmen, wenn Sie das wünschen. Wenn Sie meinen, dass dies Ihnen und dem Schiff hilft, natürlich. Und ich biete es an, ohne jede Form von Forderung als Gegenleistung.“

„MEIN KÖNIG!“, durchbrach ein lauter Ruf das Gespräch. Die Anwesenden sahen in Richtung des Rufenden, es war einer der Eingänge in die Biosphäre. Ein Mann in Zivil ging mit eiligen Schritten auf sie zu. Vor der Gruppe um Aris Stondra verneigte er sich knapp, aber deutlich, bevor er aufsah und mit freudig strahlenden Augen seine Worte wiederholte. „Mein König. Es tut meinen alten Augen gut, Euch wohlauf zu sehen.“
„Mein Herr. Sie sind…?“, fragte Aris verlegen.
„Kull, Majestät. Sumantha Kull. Von Austoris.“
Verstehen glomm in Aris’ Augen. „Austoris. Nun gut. Ihr seid Chevier im Dienste der Kaiserin?“
„Jawohl, Majestät. Die Kaiserin hat mich vor acht Jahren für meine herausragende Arbeit in der Föderationsforschung im Bereich Medizin und Zellularbiologie in den Orden befohlen. In der Heimat bin ich ein Cham, was mir erlaubt“, sagte er in Richtung der anderen Zuhörer, „in bestimmten Fällen im Namen der Kaiserin zu sprechen.“
„Herzog. Professor Kull ist ein Herzog und damit Teil des Oberhauses, einem Element des Regierungssystems von Austoris“, informierte Myu die Anderen, während die restlichen Neuankömmlinge wesentlich gemütlicher zu ihnen herantraten. „Bisschen viel, um es jetzt zu erklären.“
„Er nennt Sie König, Aris“, sagte Riho nicht wenig irritiert.
Jlen Kenderson, der Chefdiplomat, lachte laut und röhrend auf. „Das war noch einige Zeit vor Norik, dem Kampf, der den guten Aris zum Nationalhelden gemacht hat, vor etwa siebzig Jahren.“
Jemand anderes lachte auf, und dieser Jemand schien genau zu wissen, was daran so lustig war.
Die anderen vier Gäste mit ihrem Gefolge kamen heran. Gelacht hatte ein groß gewachsener Terraner in Flottenuniform, der die Insignien eines Voll-Admirals trug. „Austoris war das Größte und das Hässlichste, woran ich je habe teilnehmen dürfen. Hallo, Aris.“
„Hallo, James.“ Der General reichte dem Flottenoffizier die Hand. „Was machen die künstlichen Synapsen? Musstest du schon welche austauschen lassen?“
„Was Ihr Fleischlinge immer mit unseren Ersatzteilen habt. Im Gegensatz zu dir, Aris, werde ich fünftausend Jahre alt, bevor ich überhaupt in die Verlegenheit komme, irgendetwas an meinem neuronalen System ändern oder reparieren zu müssen. Ich stelle vor: Vize-Admiral Jelene Kelly.“
Er deutete auf den riesigen Burschen neben sich, der, grünhäutig und fast zwei Meter zwanzig groß, mit breitem, aber nicht hässlichem Gesicht aus funkelnden violetten Augen die Welt musterte. „Angenehm“, klang eine Sopranstimme auf, die das Aussehen Lügen strafte. Das, und die beiden kräftigen Erhebungen im Brustbereich, die zuzustimmen schienen, dass der Gigant eine Sie war, eine weibliche Okra. „Wir kennen uns noch nicht, General, aber ich bin sicher, ich werde das Erlebnis genießen. Ein Großteil von dem, was Sie tun, wird an der Akademie gelehrt. Teilweise zur Nachahmung, teilweise als schlechtes Beispiel.“
Aris lachte nicht wirklich. Das taten nur seine Augen.
„Major General Hekto Staund“, stellte James einen weiteren seiner Begleiter vor, einen Alvaren. Alvaren waren in der Föderation weit verbreitet, vielleicht nicht so sehr wie die Völker der Rollenspielwelt, aber ihre Herkunft von Alvar, einem Planeten, der fast zwei Gravos Schwerkraft hatte, prädestinierte sie für harte körperliche Arbeit. Und natürlich das Soldatentum. Der einen Kopf kleinere Humanoidenähnliche gab Stondra die Hand. „Hab schon viel von Ihnen gehört, General. Und ehrlich gesagt fürchte ich mich ein wenig.“
James lachte erneut. Es war ein wenig blechern und der einzige Hinweis darauf, dass dort kein Mensch, sondern tatsächlich eine Maschine stand. „Und du tust gut daran, Hekto. Mein letzter Begleiter, nachdem sich der Professor selbst vorgestellt hat. Litha Bagata, meine Krämerin.“
Eine selbst für eine Lilith kleine, zarte Person, nicht einmal einen Meter vierzig groß und so zerbrechlich wirkend, dass man einem Okra in ihrer Gegenwart sagen wollte, er solle nicht zu heftig einatmen, um sie nicht zu verschlucken, trat mit gerunzelter Stirn vor. „Das habe ich jetzt nicht gehört. Hallo, General Strondra. Ich bin die Zeugmeisterin der Flotte. Wir haben zusammengerafft, was wir konnten und auf die Schnelle auf die Tragos abzustimmen in der Lage waren. Wir können kurzfristig bis zu dreihunderttausend von ihnen intensiv versorgen, und das für zwei Wochen. Dazu das Zehnfache ambulant, auch für zwei Wochen. Dann sollte weiterer Nachschub eintreffen.“
Aris schüttelte die zarte, kleine Hand, die aber ziemlich kräftig zupacken konnte. Er nickte. „Wenn wir nach Ssom kommen, werden wir das Material hoffentlich auch brauchen. Ich möchte Ihnen allen Riho Zypher vorstellen, den Eigentümer, Kommandant und Chefdiplomaten der AVATAR und damit der Allianz.“
Hände wurden geschüttelt, kurze Worte ausgetauscht, dann stellte Aris sein restliches Team vor und sah Riho auffordernd an.
Der nickte verstehend und sagte: „Darf ich Sie alle an den Tisch bitten? Dies ist immerhin eine Einsatzbesprechung, und die EXCALIBUR wird nicht ewig brauchen, um das Wurmloch nach Ssom auf Passiergröße zu erweitern.“
„Exakt acht Stunden und einunddreißig Minuten, was uns die Gelegenheit gibt, die Dreiunddreißigste komplett nach Flora zu holen. Einerseits, um das System zu bewachen, andererseits, um uns rauszuhauen, falls wir diesmal in die Scheiße greifen sollten. Eigentlich kennen wir die Rau, aber … Kertes.“ Der Roboter wirkte leicht indigniert, als er das sagte.
„Natürlich. Kertes. Würden die Rau über die Waffen dieser Archivwelt verfügen, könnte es sein, dass sie uns waffentechnisch überlegen sind. Dann müssten wir hart und schnell zuschlagen, bevor uns alle Rau waffentechnisch überlegen sind“, sinnierte der Admiral. Er grinste breit und offenbarte dabei, dass sein Zahnfleisch eine für Menschen ungewöhnliche Farbe hatte: Blau. „Erinnert ein wenig an Austoris, was, Aris?“
„Ein wenig.“
„Also, langsam interessiert mich wirklich, was auf Austoris passiert ist. mein König“, sagte Riho sarkastisch.
„Nach der Einsatzbesprechung stehe ich Ihnen Rede und Antwort, Riho“, sagte Aris.

Sie nahmen Platz, die Kresh flatterten auf und suchten sich ihre Plätze auf den Lehnen, die Adjutanten setzten sich an ihre Tische und schalteten die Flotte und diverse Diplomaten dazu.
Über dem Konferenztisch lief ein Film über die Lage des Planeten der Tragos ab, soweit AVATAR Daten von den Tragos erhalten hatte. Dieser Film brach relativ schnell ab.
„Sperrung der Kommunikation. Eine übliche Methode der Rau“, sinnierte Jelene Kelly. „Auch der Rest des Angriffs passt zu ihrem Schema. Angriff mit einer Drei zu eins-Überlegenheit, Etablierung des sicheren Orbits, anschließend Bombardierung jeder erkannten Bunker-, oder Abwehrstellung. Dabei schonen sie größere Siedlungen und Städte, soweit sie es können. Nicht aus humanitären Gründen.“ Die große grüne Frau schlug ihre kräftigen Zähne zusammen, was ein klackendes Geräusch erzeugte, das durchaus Ähnlichkeit mit jenem Geräusch hatte, das ein schwerer Industriehammer erzeugte, wenn er niederfuhr.
„Ist bekannt“, sagte James. „Es ist jetzt schon einige Zeit her, dass dieser Kampf begonnen hat, und der offene Widerstand der Tragos dürfte gebrochen sein. Was wir wissen, ist, dass die Rau ihre Opfer je nach Bedarf entführen, was uns eine gewisse Hoffnung lässt, dass es nicht nur noch Tragos auf Rût gibt, die sich verbergen oder einen Guerillakrieg führen, sondern auch in den Siedlungen und Städten. Das macht unsere Strategie normalerweise recht einfach, aber … was ist schon normal in diesen Zeiten? Man hat uns über den Museumsplaneten Kertes gebrieft, und hätte ich einen menschlichen Körper, hätte ich längst eine Panikattacke gehabt. Die Rau im Besitz dieser antiquierten Waffen …“
Riho hob eine Hand. „Dies ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, um darauf hinzuweisen, dass die AVATAR vor meiner, hm, Wiedergeburt in etwas verwickelt war, was man als letzten Angriff eines Gegners bezeichnen könnte, der Teil des Staatengebildes sein könnte, das Kertes eingerichtet hat. Allerdings war dies vor ein paar Tausend Jahren, nicht vor siebzigtausend Jahren. Dabei handelte es sich um Gigantraumschiffe mit der Fähigkeit, Planeten zu zerstören. Was sie auch ausgiebig gemacht haben.“
Am Tisch wurde es totenstill. Selbst die Zuarbeiter an den eigenen Tischen verstummten bei den Worten Rihos.
„Was zum …? Was?“, rief Myu aufgeregt. „Wissen Sie, was das heißt, wenn Schiffe der Kerti noch operiert haben, als es die Föderation bereits gab?“
„Operiert haben ist richtig. Nach dem, was wir wissen, konnte die AVATAR diese Giganten fortlocken und zerstören. Was einiges erklärt, unter anderem meine …Wiedergeburt. Der Haken ist, das kertische Imperium ist vor siebzigtausend Jahren untergegangen, und vor dreitausend Jahren könnten, ich betone, könnten Relikte der Kerti aktiv geworden sein und beinahe die Allianz vernichtet haben, bevor es der AVATAR gelang, genau das zu verhindern und ihrerseits die Kerti zu vernichten. Haken dabei ist leider, dass wir keine Ahnung haben, ob nicht noch mehr Schiffe der Kerti in dieser unserer Zeit existieren. Einsatzfähig sind. Vielleicht von den Rau kommandiert werden.“
Kea flatterte von ihrem Sitzplatz auf, landete vor Riho, und hieb ihm mit einem Flügel knapp vors Gesicht. „Ich dachte, Raumfahrer sind abergläubisch. Warum malst du dann so ein Schreckensszenario ins Hologramm?“, tadelte sie.
„Weil es nichts bringt, die Dinge schön zu reden.“
„Da hat er recht“, bestätigte Aris. Er besah sich das Hologramm und sagte: „Im Gegensatz zu den Rau können wir nicht warten, bis wir den Orbit in unserer Hand haben. Wir müssen so schnell es geht landen und möglichst viele Orte schützen oder befreien, in denen es noch Tragos gibt. Das setzt unsere Einheiten in der Armee einer gewissen Gefahr aus.“
General Staund schnaubte amüsiert. „Wenn wir es nur mit den Rau zu tun haben, ist es nicht wirklich eine Gefahr. Ihre Schilde sind primitiv, und ihre Waffen können unsere Schilde nicht durchdringen. Eigentlich. Die Frage ist, wenn die Rau Kertes entdeckt haben und plündern, wie schnell können sie Waffen herbeischaffen oder gar bauen? Schaffen wir vollendete Tatsachen. Sprung ins System, Eroberung einer sicheren Zone im Orbit, Gefechtslandung und Sicherung der größten Städte, in denen es noch Tragos gibt. Derweil sichert die Flotte den Orbit und vernichtet jedes Rau-Schiff im System. Und mit vernichten meine ich, den Antrieb zerschießen und das Schiff entern, um jeden Trago befreien zu können, der eventuell droht, verschleppt zu werden. Wir können nicht alle, nicht jeden retten, aber verdammt noch mal, wir sind die Föderation, und wir werden es zumindest versuchen.“
Die anderen Teilnehmer klopften mit ihren Fäusten auf die Tische, um die Worte von Staund zu bestätigen.

„Was uns zu unserem Hauptproblem bringt“, sagte Bagata. „Wer spielt das Versuchskaninchen?“
„Das was?“, fragte Riho.
„Versuchskaninchen. Ursprünglich die Bezeichnung für einen Nager, der für Laboruntersuchungen missbraucht wurde, mittlerweile ein geflügeltes Wort für jene, die sich bei, hm, Experimenten einer Gefahr aussetzen“, erklärte die Lilith.
Einer der Adjutanten meldete sich bei James, der kurz auf eine Stimme hörte, die nur er vernahm, dann dazu nickte. „Captain Zuc hat das 3. Geschwader angeboten. Es ist das modernste meiner Flotte, und zudem besteht es aus Leichten und Mittleren Einheiten, sodass wir keines unserer Bastionsschiffe gleich beim ersten Angriff riskieren. Und ich denke, wenn wir einen Teil der Flotte alleine kämpfen lassen, um herauszufinden, ob der Feind kertische Waffen hat, sollten sie in einer Größe operieren, in der ihnen normale Rau nicht gefährlich werden können.“
„Einverstanden. Das 3. geht zuerst durch das Wurmloch“, sagte Aris. „Sobald sie Feindkontakt hatten und Zuc einschätzen kann, mit welchen Waffen die Rau kämpfen, ziehen wir den Rest nach. Und dann muss es wirklich schnell gehen.“
Sein Blick ging zu James. „Schalt Zuc zu uns rüber.“
Der Android nickte. Über dem Holo erschien der Oberkörper eines Felinoiden in der Standarduniform der Föderationsflotte mit den Abzeichen eines Captains. „Sir, Captain Pee Phi la Zuc.“
„Freut mich, Zuc. Sie sind Orombianer?“
„Ja, Sir.“
„Noch besser. Ich schätze die Orombianer für ihren kühlen analytischen Verstand“, lobte er.
Der Katzenartige verzog die für normale Katzen zu breite Mundpartie zu einem Grinsen. Er fühlte sich gelobt, und das wohl zu Recht.
Stondra machte eine skeptische Miene. „Zuc, ich will, dass Sie eines verstehen. Wenn es schlimm kommt, wenn es hart kommt, halten wir Ihnen den Rückweg so lange auf wie möglich. Aber wenn die Rau Kerti-Waffen haben und diese einsetzen und Sie nicht in der Lage sind, dies zu kompensieren, sind Sie auf sich allein gestellt und dürfen auf der anderen Seite keine Hilfe erwarten.“
Der Felinoide straffte sich. Die schwarz getigerten Ohren zuckten leicht. „Sir, das ist mir bewusst. Ich sehe dann zu, so viele meiner Leute wie möglich wieder raus zu schaffen. Notfalls verschwinden wir im Dilatationsflug, während Sie das Wurmloch schließen.“

„Moment mal, Moment!“, warf Riho ein. „Verstehe ich das richtig? Sie können ein Wurmloch wieder schließen?“
Die Blicke, den ihm die anderen Anwesenden zuwarfen, waren geprägt von Erstaunen. „Natürlich können wir das“, sagte Myu ran Tau. In ihrer Stimme klang die Gegenfrage mit, ohne dass sie sie aussprach. „Können Sie das nicht?“
Riho Zypher lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Das bedeutet also, wenn Ihr 3. Geschwader auf ernsthafte Schwierigkeiten trifft, machen Sie das Wurmloch wieder dicht.“
Aris schüttelte den Kopf. „Nein, Riho. Wir machen dann jedes Wurmloch dicht, das von der Föderation aus in die Nähe des Rau-Raums führt. Wird ein wenig dauern, aber, ja, wir können es. In solch einem Notfall werden wir noch zwei oder drei zusätzliche Bauschiffe zur Unterstützung bekommen. Ich habe eines bereits in Bereitschaft gerufen. Es kann in fünf Tagen hier sein.“
Kea schlug mit den Flügeln. „Wie? Wie machen Sie ein Wurmloch wieder dicht?“
„Wir machen es nicht wirklich dicht. Nur unpassierbar“, erklärte Atiella Rouven. „Genau so, wie wir natürlich existierende Wurmlöcher passierbar machen können, sind wir in der Lage, sie künstlich wieder zu degenerieren. Das vermögen wir auch bei Wurmlöchern, die nicht künstlich stabilisiert und ausgebaut wurden.“ Ein Lächeln glitt über ihre Züge. „Ich bin sicher, die AVATAR kann das Verfahren ebenfalls anwenden. Es ist Verschlusssache, aber ich nehme an, dass der Föderationsrat dafür stimmen wird, dieses Wissen ausgerechnet mit einem terranischen Wurmlochbauschiff zu teilen.“
„Uff“, machte Riho. „Die Föderation wird ja immer interessanter.“
„Und Sie kratzen nur an der Oberfläche, Kapitän“, sagte Lynda Danvers. „Wir haben Ihnen und der Allianz noch wesentlich mehr zu bieten, das verspreche ich.“

Aris erhob sich. „Bei den Einzelheiten der Einsatzplanung werde ich nicht unbedingt gebraucht. James, übernimmst du?“
„Danke, dass du mich meine Arbeit machen lässt“, spöttelte der Androide milde. „Ich denke, du wirst Herrn Zypher mitnehmen wollen.“
Riho sah auf. „Die Einsatzplanung ist für mich nicht so wichtig wie der fertige Plan, weil die AVATAR nicht an der Front eingesetzt werden wird, außer die Front kommt zu mir. Ich nehme an, Sie wollen mich sprechen, General.“
Stondra nickte. „Gehen wir ein Stück. Ich möchte Ihnen aus erster Hand erzählen, was in Austoris passiert ist.“
Kull sah sich genötigt, etwas einzuwerfen. „Nur Gutes, und nur mit den besten Absichten. Von den Toten abgesehen, aber das ist verzeihbar.“ Seine Stimme klang beharrlich, so als wolle er einen unumstoßbaren Fakt herbeischwören.
Auch Riho erhob sich, und gemeinsam gingen sie zur Strandbar. Erneut flog Dyka auf und landete auf der Schulter des Generals.

An der Bar angekommen schenkte Riho beiden den schon bekannten Fruchtsaft ein. „Wird mir gefallen, was ich zu hören bekomme?“
„Ich bin sicher, das Bordgehirn kann Ihnen alle Daten zum Thema Austoris direkt ins Gehirn laden. Das ist aber nicht das Gleiche, wie wenn Sie es von mir hören. Ob es Ihnen gefällt, weiß ich nicht. Ich kann nur berichten.“
Der Kommandant der AVATAR schon Aris sein Glas zu. „Also gut. Berichten Sie. Was ist passiert?“
Aris Stondra seufzte und schnaubte leise aus. „Ich habe vor etwa achtzig Jahren ein Kriegsverbrechen begangen, indem ich eine unseren Streitkräften vollkommen unterlegene Spezies angegriffen, zum Krüppel geschossen, ihre Planeten erobert und ihre Regierung aufgelöst habe. Und das ohne jedes Mandat vom Föderationsrat und ohne, dass Austoris irgendeine Form von Feindseligkeit gezeigt hat. Abgesehen von einer so starken Xenophobie, dass die Austorianer nicht nur jeden Versuch der Kontaktaufnahme unterbunden haben, sie haben auch auf jedes Föderationsschiff geschossen, das ihr System angeflogen hat.“
„Ah, verstehe. Und Sie haben die Austorianer gemeijit?“ „Ge-was?“
„Verzeihung, das ist ein geflügeltes Wort in der Allianz, die sich auf die Expedition von Perry nach Japan bezieht, wo er mit Waffengewalt die Selbstisolierung Japans aufgesprengt und seine Märkte für den Westen geöffnet hat.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin ein großer Fan der prästellaren Geschichte der Erde.“
„Ich verstehe. Und so vollkommen Unrecht haben Sie nicht. Lassen Sie mich erzählen“, sagte Aris.

„Ich habe mir damals James’ Flotte geschnappt und mit Hilfe meiner Vollmachten unter mein Kommando genommen. Dann haben wir getarnte Späher ins Austo-System geschickt und die Verteidigung der Austorianer ausgespäht. Damals waren sie prästellar, aber bereits interplanetar. Ihre Waffentechnologie hatte aber das Atomraketenzeitalter noch nicht überschritten. Neben Austoris hatten die Austorianer noch Heleb und Lunda besiedelt, zwei weitere Planeten in der Biozone ihrer Sonne. Alle drei Welten wurden durch Orbitalhabitate gedeckt, die mit Atomraketen bestückt waren. Dazu kamen Abschusssilos auf allen drei Planeten, alleine auf Austoris über fünfhundert mit jeweils zwanzig interkontinentalen Raketen, die den Orbit erreichen konnten. Darüber hinaus verfügten sie über etwa dreißig militärische Raumfahrzeuge, auch atomar bestückt. Die normale Schlagkraft der damaligen Zeit umfasste eine Reichweite von einer halben Megatonne bis zu fünf Megatonnen. Zwei Superraketen mit fünfzig Megatonnen Sprengkraft gab es auch noch auf dem austorischen Orbitalhabitat.“
„Für eine prästellare Spezies eine Menge“, sagte Riho.
„Sie sagen es. In der Tat hatte sich der Planet erst vor wenigen Jahrzehnten endgültig zusammengeschlossen und einen Kaiser als Oberhaupt gewählt. Die Waffen stammten noch aus der Zeit der Kleinstaaterei und wurden dann einfach nicht mehr aufeinander gerichtet, sondern eben auf das Weltall.
Jedenfalls waren diese Daten relativ leicht zu bekommen, und der Rest war mehr oder weniger ein Kinderspiel. Ich nahm die achtundsiebzig Kampfeinheiten der Flotte, sprang ins System und griff sowohl jedes interplanetare Schiff als auch die Orbitalhabitate an; zugleich übernahm es ein Teil der Flotte, die Raketenbunker auf den Planeten zu eliminieren und nach weiteren, versteckten zu suchen. Die ganze Schlacht dauerte vom ersten bis zum letzten Schuss etwa zwei Stunden im Weltall und noch einmal sechs Stunden, bis unsere Infanteristen auch den letzten Widerstand auf den Habitaten, in den Raumschiffen und in den militärischen Einrichtungen des Planeten beendet hatten. Anschließend landete ich mit dem Flaggschiff der Achten auf dem größten Raumhafen und forderte den Kaiser zur bedingungslosen Kapitulation auf. Eine weitere Stunde später nahm ich – übrigens nach etwa sieben Attentatsversuchen auf meine Person – die Kapitulation an und fügte Austoris und das gesamte Sonnensystem als Protektorat formell der Föderation an.“

„Das klingt in der Tat so, als hätten Sie mehr als ein Gesetz der Föderation gebrochen“, sagte Riho. „Also, wo ist die Pointe? Gab es eine Seuche, die die xenophoben Austorianer nicht allein bekämpfen konnten, sie aber? Oder stand eine Naturkatastrophe bevor, die nur die Föderation aufhalten konnte? Einen höheren, wichtigeren Beweggrund, der ausgerechnet Aris Stondra wer weiß wie viele Tote in Kauf nehmen ließ, um die xenophoben Austorianer vor sich selbst zu retten? Kommen Sie, Aris, ich weiß, unter so einem Geschehen tun Sie es nicht.“
Der General lächelte dünnlippig. „In der Tat. Es gab, ah, eine größere Bedrohung. Eine, der die Austorianer alleine nicht gewachsen waren. Eine, die sie nicht wahrhaben wollten. Eine, die sie ausgerottet hätte. Zumindest ihre Kultur und ihre Identität. Und ein paar Millionen ihrer Bürger.“
„Und die beste Methode war damals, die Austorianer vor sich selbst zu retten, indem Sie Ihre Verteidigung zu Klump geschlagen haben?“, fragte Riho.
Aris nickte. „Richtig. Denn sofort nach der Unterzeichnung der Kapitulation und der Beitrittserklärung Austoris’ als Protektorat in die Föderation war das ganze Sonnensystem Föderationsraum, und ich hatte damit Rechte. Zum Beispiel war es mir nun erlaubt, das Sonnensystem zu verteidigen. Ich zog den Rest der Flotte nach, dazu etliche Materialschiffe, und begann, die Verteidigung der Orbitalhabitate auf Föderationsstandard zu verbessern. Ebenso verfuhr ich, so weit es die Zeit zuließ, mit einigen der moderneren Schiffen der Austorianer. Besserer Antrieb, Schilde, bessere Waffen. Es war wichtig, dass sie quasi doch irgendwie aus eigener Kraft mithelfen konnten, den kommenden Feind abzuwehren. Sehr wichtig für ihr Selbstwertgefühl, nachdem ich genau das gerade zerschlagen hatte. Am Ende einer arbeitsreichen Woche hatten James und ich das System der Sonne Austo so gut es ging auf ein Verteidigungsniveau gebracht, das dem der Föderation sehr viel näher kam als den alten Waffensystemen der Austorianer. Tja, und dann kamen sie auch schon.“ Aris exte sein Glas. „Hätten Sie vielleicht etwas Härteres für mich, Riho?“
„Was? Ja. Natürlich. Ist Schnapps in Ordnung? Dreiundvierzig Prozent.“
„Ein kleiner wird nicht schaden.“

Riho schenkte ein kleines Glas mit einer klaren Flüssigkeit voll. Aris kostete, schüttelte sich kurz und trank es ganz aus. „Können Sie etwas mit dem Namen Qel anfangen, Riho?“
„Nicht sofort und nicht, dass ich es je gehört hätte. Was ist das Qel? Oder wer sind die Qel?“
„Gute Fragen. Die Qel, so muss es heißen, sind stark parasitäre Lebensformen, die sich einer Gemeinschaftsintelligenz untergeordnet haben. Die Qel überfielen andere Spezies, bohrten sich in ihre Gehirne und übernahmen dort das Kommando. So lebten die Qel auf ihrem Heimatplaneten, wo sie sich damit begnügten, in einer Art Symbiose mit der höchstentwickeltsten Lebensform ihrer Heimatwelt zu leben, einer halbintelligenten Echsenrasse.
Dann besuchten Raumfahrer ihre Welt, und die Qel taten das, was sie nun mal taten, sie wechselten auf die weiter entwickelte Lebensform über, um das Überleben als Art zu sichern.“
„Ach du heilige grüne Scheiße, heißt das etwa …?“
„Ja. Die Raumfahrer brachten die Qel auf ihre eigene Heimatwelt, und dort gelang es den Parasiten, sich inflationär auszubreiten. Damit nicht genug, sie übernahmen die ganze Spezies. Und mit ihr auch die leistungsfähigen Gehirne dieser Spezies. Die Qel machten einen Entwicklungssprung zu wahrer Intelligenz, und das Kollektiv wurde zu einer Überintelligenz. Der einzige Vorteil: Das Über-Ich kann nur mit Lichtgeschwindigkeit kommunizieren. Alle Teile der Qel, die nicht im gleichen Sonnensystem sind, sind von der Hauptintelligenz getrennt. Aber das hat …“
„Soll ich fortfahren? Das hat die Qel nicht aufgehalten. Nachdem sie die eine raumfahrende Spezies übernommen hatten, stand ihnen der Sinn nach mehr. Sie nutzten die Raumfahrtmöglichkeiten der Spezies Null und suchten nach weiteren Spezies, die sie übernehmen konnten. Ich gehe davon aus, dass der Parasit nicht so multimobil war, dass er zu jeder der vielen raumfahrenden Spezies im Universum automatisch einen Schlüssel hatte. Aber zu den Austorianern.“
„Stimmt. Nach etlichen Jahrzehnten ihrer Expansion gelang es unseren Explorern, das kleine Reich zu entdecken, das die Qel sich zusammengeraubt hatten. Und das auch nur, weil sie mit Völkern im Krieg standen, die sie nicht hatten übernehmen können. Diese waren übrigens in der Lage, die Parasiten zu entfernen. Eine Koalition von ihnen versuchte genau dies zu tun und attackierte die übernommenen Spezies und Welten. Die Qel gerieten unter Druck und beschlossen, auf größere Jagdgründe auszuweichen.“
„Die Föderation.“
Aris nickte. „Die Föderation. Die Austorianer waren dabei nur ein Zwischenschritt. Die Gemeinschaftsintelligenz hatte bereits hunderte Agenten vor Ort und die Xenophobie künstlich geschürt, um sich damit einen sicheren Hafen und ungestörte Ausbreitungsmöglichkeiten zu schaffen. Es besteht kein Zweifel, dass wir in der Lage gewesen wären, eine weitere Expansion auf Föderationsgebiet zu verhindern, aber die Austorianer …“

Riho nickte. „Ich verstehe. Sie haben Austoris gerettet, aber gegen den Willen der Austorianer. Zumindest gegen das, was sie für ihren eigenen Willen hielten. Es gab also noch eine Schlacht, und die Qel fielen in das Austo-System ein, das sie für vorbereitet und schwach hielten.“
„Richtig. Und dank der Beschränkung auf Lichtgeschwindigkeit in ihrer Kommunikation waren die Agenten nicht in der Lage, die Angreifer zu warnen. Da wir aber in der Lage waren, die Infizierten aufzuspüren, konnten wir etliche Parasiten extrahieren, vor allem aus Militärs, Regierungsmitgliedern, Wirtschaftsführern, und dergleichen. Als die Qel auf den Rücken ihrer zusammengeraubten Spezies ins System sprangen, liefen sie in eine Falle. Eine, die ich in aller Eile aufbauen musste, weil wir leider sowohl die Qel als auch ihre Gegner erst sehr kurzfristig entdeckt hatten. Wir versuchten natürlich, die Wirte zu schonen, wo wir es konnten, dennoch wurde es ein furchtbares Gemetzel. Letztendlich konnten wir ein paar Millionen Intelligenzen aus den Händen der Qel befreien, aber fast ebenso viele waren gestorben. Damit war der Versuch der Qel, zu fliehen, gescheitert, und sie wurden von dem Bündnis besiegt. Wir beteiligten uns übrigens nach einem formellen Beistandspakt mit dem Bündnis an der Operation und befreiten im Laufe mehrerer Jahre die anderen von den Qel übernommenen Welten und Wesen.
Letztendlich konnten wir die Qel bis auf ihre Ursprungswelt zurücktreiben und dort die letzten parasitär beherrschten Intelligenzen befreien. Anschließend versiegelten wir den Orbit und erklärten ihre Heimatwelt zum verbotenen Planeten. Das Bündnis wollte lieber die Oberfläche atomar glasieren, aber egal was die Qel angerichtet hatten, letztendlich waren sie auf ihrer Heimatwelt Symbionten, und außerdem wichtige Forschungsobjekte. Deshalb konnte die Föderation sich durchsetzen.“

„Ich kann nicht sagen, dass ich anders gehandelt hätte“, gab Riho zu. „Aber eines interessiert mich noch. Warum nennt Kull Sie König und Majestät?“
Aris verzog die Lippen zu einem sarkastischen Gesicht. „Als keine Notwendigkeit mehr bestand, das Austo-System zu beherrschen, bot ich an, die Protektoratsfloskel auszusetzen und alle Föderationsschiffe und alles Föderationsmaterial wieder abzuziehen. Natürlich bis auf jenes Material, das die Austorianer brauchten, um sich selbst verteidigen zu können. Aber die Austorianer waren schon einen großen Schritt weiter. Sie hatten den alten Kaiser abgesetzt und eine Kaiserin gewählt, die progressiv und xenofreundlich war. Sie strebte auch vom ersten Moment ihrer Regentschaft eine Vollmitgliedschaft in der Föderation an.Also durchaus positiv, das Ganze.“
„Der Königstitel“, erinnerte Riho.
„Nun, das war etwas, mit dem ich nicht rechnen konnte. Da die Föderation, oder vielmehr ich die Austorianer besiegt hatte, galt es nach guter alter austorianischer Tradition, mir einen Preis zuzusprechen. Nein, es war nicht die Kaiserwürde, die hätte ich sowieso abgelehnt. Stattdessen wurde mir ein symbolisches Amt zugetragen, das mir als Sieger über Austoris die Autorität gewährte, die mir als Sieger zustand. Man rief mich zum König aus, natürlich ohne mich vorher zu konsultieren, ob ich das überhaupt wollte. Seither bin ich also Vize-Oberhaupt des Austo-Systems.“
„Ist das mit Annehmlichkeiten irgendwelcher Art verbunden?“
Aris lachte leise. „Alle paar Jahre muss ich mal vorbeischauen und ein paar Staatsakte mitmachen. Und wenn mir Austorianer über den Weg laufen, begegnen sie mir entweder als erklärte Todfeinde, das ist aber nur eine sehr kleine Gruppe, oder aber sie zeigen positive Reaktionen. Wobei die von Herzog Kull schon sehr positiv ist, wie ich anmerken muss. Sie würden es überzogen nennen, Riho.“

Der Wurmlochbauer prustete in sein Glas, als er sich dermaßen ertappt fühlte. „Aha. Und Norik? Was war da los? Auch die Qel? Die Rau? Noch eine invasive Spezies?“
Nun lachte Aris etwas lauter. „Oh, das. Das Norik-System hat sich mir ergeben.“
„Was?“
„Ich bin damals eingeladen worden, um das etwas rückständige System dabei zu beraten, welche Reformen erfolgen müssen, damit es in der Föderation aufgenommen werden würde. Wir stellen da durchaus einige Ansprüche. Rechte, Normen, Gesetze, so was halt. Um eine Welt so sehr zu transformieren, dass sie der Föderationsnorm entspricht, dauert oft Jahrzehnte. Das war den Norikanern eindeutig zu lange, also haben sie sich mir, kaum dass ich auf ihrer Hauptwelt gelandet war, ganz hochoffiziell ergeben, und zwar mir stellvertretend für die Föderation. Die schlauen Köpfe der Norikaner hatten sich nämlich gedacht, dass Reformen einfacher durchzuführen sein würden, wenn die Föderation sie dabei direkt unterstützte, und dass diese dann auch in der Bevölkerung leichter akzeptiert werden würden. Und der schnellste Weg war es, sich dem Sieger von Austoris zu ergeben.
Also, es hat geklappt. Seither kursieren neben den offiziellen Berichten diverse Sagen und Gerüchte von den damaligen Vorgängen auf den Welten und Schiffen der Föderation. Einige Berichte, die sagen, das System sei mir ohne eigenes Verschulden wie eine reife Frucht in die Hand gefallen, was ziemlich genau beschreibt was passiert ist, bis hin zu Versionen, in denen ich nur mit einem Blaster bewaffnet den ganzen Planeten Norika allein erobert habe. Aber das Mutigste, was ich damals getan hatte, war, das Norik-System auf Wunsch der hiesigen Regierung ohne Begleiter anzufliegen.“
Aris lächelte leicht. „Bedeutet das eine Belastung für unsere Beziehung, Riho? Das, was Sie jetzt über mich erfahren haben?“
Der Wurmloch-Baumeister legte für einen Moment den Kopf schräg. „Wenn Sie mir eine Frage beantworten. Was war die Strafe der Föderation für Ihr eigenmächtiges Handeln, für das eigenmächtige Eröffnen eines Krieges im Austo-System?“
Der General sah für einen Moment zu Boden. „Degradierung, natürlich. Außerdem wurde mir mein Kommando entzogen. Bevor ich Austoris erobert hatte, war ich Distriktkommandeur für die galaktische Westside. Mein Kommando umfasste zweihundertfünfzig Flotten und achtzehn Armeekorps. Ich wurde zum General degradiert und bekam einen Schreibtisch auf Terra im Föderationshauptquartier als Kommando ohne eigenen Stab, ohne eigene Truppen.“
„Ist das angemessen oder bereits grausam?“, fragte Riho.
Stondra sah auf. Er grinste breit. „Das war das Beste, was mir passieren konnte. Ich wurde „General ohne festes Aufgabengebiet“. Das erlaubt mir, zu tun, was immer ich will, wann immer ich es will. Ich bin, wenn Sie so wollen, der Feuerwehrmann unserer Flotten und Armeen. Da ich immer noch General bin, habe ich zum Beispiel die Befehlsgewalt, die Achte Flotte anzufordern. Und noch einiges mehr. Ich kann, wann immer ich einen Brennpunkt erahne, selbstständig anreisen, meine Befehle an Rangniedrigere geben und versuchen zu retten, was zu retten ist. Als ich ins Flora-System kam, hatte ich eine ähnliche Absicht.“
„Kertes.“
„Richtig. Mit Kertes steht und fällt die ganze Region. Und wem immer Kertes in die Hände fällt, kann die Föderation auslöschen. Nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht in einhundert, vielleicht zweihundert Jahren. Und das hat sie nicht verdient. Also habe ich mich von meinem Schreibtisch erhoben, einen Flug gebucht, ein paar Befehle gegeben und bin hergekommen. Und jetzt stehe ich hier und versuche, Kertes schneller zu erreichen als alle anderen. Oder wenigstens so viele Trümmer aufzuheben, wie es mir möglich ist.“
„Sie erwähnten zwei andere Mächte in der Region. Was, wenn eine von denen Kertes gefunden hat?“
„Die Hormenk-Allianz und das hepharidische Konglomerat. Bei den Hormenkern habe ich keine großen Bedenken. Sie besteht aus zu vielen Einzelfraktionen, die sich zuerst umeinander kümmern würden, hätte auch nur eine Zugriff auf Kerti-Waffen. Das Konglomerat würde ebenso die Kertes-Artefakte eher zum eigenen Schutz, aber nicht zur Expansion benutzen. Außer, es muss eine neue Brutwelt her, und das wird die nächsten fünfhundert Jahre nicht der Fall sein. Ansonsten verhalten sich die Hephariden-Königinnen eher passiv. Von ein paar Konflikten untereinander abgesehen. Und, Riho?“
„Ich denke, ich verabscheue Sie nicht, Aris. Im Gegenteil. Ich mag Leute, die, wie sagen es die Terraner, mit der Katze in der Box denken.“
„Du bringst da was durcheinander“, beschwerte sich Kea. „Das Sprichwort heißt: Außerhalb der Box denken. Und ich denke, unser General passt gut zu uns. Hätte ich Daumen, würde ich sie heben. Auch das ist eine terranische Redewendung, Riho.“
„Ja, ja, belehrt Ihr mich alle nur“, murrte der Kommandant der AVATAR gespielt. Er streckte Aris die Hand hin. „Verbringen wir ein wenig Zeit zusammen. Als Verbündete.“
Aris ergriff die Hand und drückte sie. „Was die Besatzung angeht …“
„Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich würde ich mich darüber freuen, aber genauso wahrscheinlich würde es Stress bedeuten. Einerseits würde ich gerne Nachfahren der eigentlichen Besatzung an Bord haben, andererseits weiß ich nicht so viel mit anderen Menschen anzufangen und bin nicht sicher, ob ich es lernen will. Also ein tägliches Miteinander. Vielleicht gefällt mir ja das tägliche Miteinander mit Ihnen und Ihren Leuten, vor allem Ihrer Physikerin. Aufgewecktes Mädchen.“
„Ich werde mein Angebot aufrecht erhalten, auch wenn die AVATAR nicht wirklich eine Besatzung braucht.“
„Ach was, frische Leute an Bord kann man immer gebrauchen!“
„Ha. Jetzt mischst du dich ein“, murrte Riho in Richtung des Bordgehirns.
„Du brauchst mich nicht zu schimpfen. Du weißt doch, wenn du mit mir schimpfst, schimpfst du eigentlich mit dir selbst. Und das ist merkwürdig und schizophren.“
Aris räusperte sich leicht. „Wie sagt man auf Terra? Mit der Wand zu sprechen ist kein Problem. Das Problem fängt an, wenn die Wand antwortet.“
„Hat der General etwa eine Seite gewählt? Das hätte ich jetzt nicht erwartet“, sagte der Rechner pikiert.
„Da Ihr beide identisch seid, gibt es nur eine Seite, die ich wählen kann, oder?“, konterte Stondra.
„Punkt für Sie, General. Punkt für Sie.“
„Gehen wir zurück“, sagte Aris. „Ich denke auch, wir werden gut zusammenpassen.“

„Steht der Plan?“, fragte er, als sie den Tisch erreichten.
James nickte zufrieden. „Wir haben einiges ausgearbeitet, vor allem für den Fall, dass die Rau erst ihre eventuell vorhandenen Kerti-Waffen herbeischaffen sollten, denn das Ssom-System ist bestimmt kein Brennpunkt für ihre schwersten Geschütze.“
„Sicher nicht.“
„Wir haben so gut wie alle Varianten durchgespielt. AVATAR war uns dabei eine große Hilfe.“
„Das war ich nicht allein. EXCALIBUR hat mich mit Rechenleistung unterstützt. Ein großartiges Bordgehirn, das muss ich wirklich sagen.“
„Freut mich, dass Ihr bereits zusammenarbeitet. Aris, was Kertes angeht, so werden wir von der ersten Minute an Leute abstellen, die nach dem Museumsplaneten recherchieren. AVATAR hat uns alles Material vom letzten Kampf mit dem Einstundjetzigen Sternenreich zur Verfügung gestellt. Außerdem haben wir die üblichen Worst Case-Szenarien ausgearbeitet, inklusive Evakuierungsplänen für den Planeten, falls wir fliehen müssen. Wir werden so lange im Ssom-System auf dem Sprung sein, bis die Kertes-Geschichte gelöst ist.“
„Und ich kann mir keinen besseren Mann dafür wünschen, um die Trümmer beisammen zu halten als dich, James“, sagte Aris, dem Robot auf die Schulter klopfend. Er sah auf eines der Holos, die mittlerweile über dem Tisch schwebten, und das die EXCALIBUR beim Errichten eines stabilen Wurmlochs zeigte. „Der Rest ist Warten, meine Freunde.“

Fortsetzung folgt …

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