Viertes Kapitel der Fortsetzungsgeschichte von Roland Triankowski, Fortsetzung von: Die Sternenfahrt | Buch 1: Die Suche nach Kertes | Kapitel 3: Krieg von Alexander “Tiff” Kaiser

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1. Was ist Kertes?

Riho konnte nicht umhin, ein wenig zu schmunzeln, als er den großen Garten verließ und sich zu den Räumlichkeiten begab, die ihm auf der AVATAR als Wohnung dienten. Er hatte das Wort an Kea übergeben und sich ausgebeten, sich zu Beratungen mit der Allianz und zur Beschlussfassung seiner weiteren Pläne zurückzuziehen. Die Kresh würde die Gäste mit der ihr eigenen Eloquenz noch eine Weile unterhalten und sie dann in die für sie vorgesehenen Quartiere komplimentieren. Falls es die eine oder den anderen von Bord seines Schiffes drängte, war ihm das auch Recht. Wobei das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Die Delegation der Föderation war ihm ausnahmslos sympathisch und er hatte ihre Gesellschaft sehr genossen.

Wie auch immer, Kea, Dyka – und auch Cora, die irgendwo in der Nähe des Gartens umherschwirrte, – sollten alsbald zu ihm stoßen. Luma wartete bereits auf ihn. Er hatte seine Gäste nur zum Teil angeflunkert. Beratungen mit der Allianz waren nicht vonnöten. Er hatte den direkten Draht zu den Vertretern der Föderation hergestellt, die offiziellen Kanäle wurden etabliert, der Wissens- und Interessenaustausch war längst im Gange. Er hatte seine Aufgabe erfüllt und musste höchstens noch tätig werden, wenn beide Seiten die Etablierung des Wurmlochs von ihm wünschten. Ansonsten konnten die Kresh und er nun tun und lassen, was sie wollten – doch was genau das war, bedurfte tatsächlich einer gewissen Erörterung. Dieser Teil entsprach also der Wahrheit.

„Na, wie war ich?“, fragte er Luma und warf sich auf den Sessel. Der Raum hatte sich in letzter Zeit als liebster Besprechungsort der Besatzung etabliert, fast gleichauf mit dem Garten. Neben dem Sessel für Riho waren Nester für die vier Kresh um einen großen flachen Tisch platziert, der aktuell mit Holo-Emittern sowie Eingabe- und Lesegeräten aller Art, Teetassen und weiterem Zeug übersät war. Während der Reise von Ssom nach Tau 395 hatte ihnen allen der Sinn nicht sonderlich nach Ordnung gestanden.

Luma deaktivierte das Datenholo, das sie umgab und sagte: „Ich finde, Du hast es maßlos übertrieben. Deine zur Schau gestellte Dusseligkeit passt nicht im Geringsten zu dem, was unsere Gäste – beziehungsweise unsere Gastgeberinnen und Gastgeber, schließlich befinden wir uns in ihrem System –, schon längst über dich wissen. Wenn diese Sektorendiplomatin oder dieser General auch nur halbwegs geradeaus denken können, haben sie dein Spiel bereits bei der dämlichen Kopulationsanspielung durchschaut.“

„Das will ich doch schwer hoffen“, sagte Riho. „Die spielen ihre Psychospielchen und ich spiele meine – aber beide Seiten haben es so offensichtlich getan, dass die jeweils andere es merken musste. Ob du es glaubst oder nicht – das war eine vertrauensbildende Maßnahme.“

Luma machte ein abfälliges krächzendes Geräusch. „Wenn ich noch Krallen hätte“, sagte sie, „wären sie mir bei deinen so genannten wissenschaftlichen Ausführungen jedenfalls vor Fremdscham hochgeklappt.“

„Die waren ja auch nicht für dich bestimmt“, sagte Riho und schnappte sich ein Lesegerät vom Tisch.

„Hast du schon was über dieses Kertes herausbekommen?“, fragte er. Das Thema war die eigentliche Überraschung dieses denkwürdigen ersten Kontakts – davon abgesehen, dass sie mal eben die legendäre Erde entdeckt hatten und auf einen gigantischen Sternenbund mit unfassbaren technologischen Möglichkeiten gestoßen waren. Aber das alles war schon ein paar Tage bekannt – ja, er zwang sich, die Zeit nun in Erdstandard zu messen, das kam ihm irgendwie richtig vor –, sozusagen Schnee von gestern.

Das Geräusch, das Luma nun von sich gab, war nur noch halb so abfällig. „Wir haben gerade von einer einpoligen Wurmloch-Technologie erfahren“, sagte sie und fügte als Aufzählung an: „Die Ursprungswelt der Menschheit ist für uns und die Allianz ab sofort keine Legende mehr. Die Acq überschütten mich mit Nachfragen, ob es in der Föderation Artgenossen von ihnen gibt. Wir können quasi sofort alles über die Herkunft der AVATAR und deiner …“ Sie zögerte. „… Menschenart herausbekommen. Aber klar! Unterhalten wir uns über Kertes.“

Riho liebte es, wenn die Kresh so aus sich herauskam. Als das Gedächtnis der Vierergruppe war sie oft die schweigsamste, was schade war, da sie unglaublich viel zu erzählen hatte. Wenn sie aber einmal in Fahrt kam, war sie meist kaum zu stoppen. Riho freute sich schon auf ihren nun folgenden Redeschwall.

„Der Begriff Kertes taucht in keiner Datenbank der vier Allianz-Welten auf, auch nicht in den Geschichten des Großen Schwarms. Von zufälligen Lautähnlichkeiten in ein paar Regionalsprachen abgesehen, die aber keinerlei Zusammenhang aufweisen, wird nirgendwo ein Ort dieses Namens erwähnt, nicht bei den Menschen, nicht bei den Acq und nicht bei den Kresh.“

Riho setzte sich etwas bequemer hin. Denn er wusste, dass jetzt ein „aber“ kam.

Luma enttäuschte ihn nicht.

„Allerdings“, fuhr sie fort, „habe ich mir diese Kertes-Legende der Föderation einmal genauer angeschaut – wobei Legende der falsche Begriff ist, schließlich gibt es etliche archäologische Funde, welche die einstige Existenz dieses Sternenreiches belegen. Es gibt erstaunliche Parallelen zum Gründungsmythos auf Mau’hi.“

„Der Raumzeit-Brand?“ Riho setzte sich schlagartig auf. „Wie kann das sein? Diese Katastrophe liegt maximal zwei- bis dreitausend Jahre zurück. Dieses Sternenreich soll vor mehr als zwei Terasec – will sagen vor 70.000 Jahren – untergegangen sein.“

„Dafür, dass du selbst in diesem Mythos vorkommst, kennst du dich erschreckend schlecht damit aus“, sagte Luma.

Riho machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es ist nicht erwiesen, dass ich damit gemeint bin. Wenn überhaupt sowieso nur dieses Schiff, bevor es fast vollständig zerstört wurde.“

„Und mit ihm dein Klonvorgänger“, sagte Luma. Sie hatte sich noch nie durch besondere Einfühlsamkeit hervorgetan. Aber auch das schätzte Riho sehr an ihr.

„Ja, du hast ja recht“, sagte Riho. „Ich habe die Schwarte vor dreihundert Jahren oder so fast auswendig gekannt. Aber irgendwann wurde mir klar, dass keine tiefere Wahrheit darin enthalten ist – oder wenigstens viel zu viele Teile davon fehlen. Jedenfalls habe ich seither das meiste davon wieder verdrängt.“

„Nun gut“, sagte sie. „Dann helfe ich deiner Erinnerung etwas auf die Sprünge. Der Raumzeit-Brand soll von einem uralten in ewigem innerem Krieg befindlichen Sternenreich ausgelöst worden sein. Dieses Reich – und mit ihm der Brand – schickte sich an, sich auf das Bdur-System auszudehnen. Die gewaltigen Maschinen der Brandstifter hingen bereits im Himmel über Ma‘uhi, als der Aitu erschien und die Maschinen fortlockte. Bei einem fernen Stern lieferten sie sich eine erbarmungslose Schlacht, während der das Sternenreich endgültig im Raumzeit-Brand verging.“

„Soweit weiß ich das alles noch“, sagte Riho. „Aber wo ist da jetzt die Parallele zu einer vor 70.000 Jahren untergegangenen interstellaren Kultur? Was der Mythos beschreibt, ist wie gesagt höchstens zwei bis dreitausend Jahre her.“

„In dem gesamten kanonischen Text“, sagte Luma, „ist ständig vom Einstundjetzigen Sternenreich die Rede und an der entscheidenden Stelle heißt es: Und so verging das Einstundjetzige Sternenreich jetzt und vor dreizehn Sonnenaltern im Raumzeit-Brand, den es selbst entfacht hatte.“

„Lass mich raten“, sagte Riho, „dreizehn Sonnenalter entsprechen etwa 70.000 Jahren.“

„So kann man es deuten“, sagte Luma. „Außerdem passt die Beschreibung der Himmelsmaschinen ziemlich exakt zur Beschreibung der Kertesanischen Raumarchen, wie sie in den Forschungsergebnissen der Föderation beschrieben werden: Zehn Kilometer lange Zylinder, die über eine Art Sprungantrieb verfügen.“

Riho staunte immer wieder, wie oft es ihm auch nach 400 Jahren Lebenszeit noch immer die Sprache verschlagen konnte. Er dachte einen Moment nach.

„Meinst du, die Föderations-Leute haben diese Parallelen auch schon festgestellt?“, fragte er schließlich.

„Vergiss die Frage!“, fügte er schnell hinzu, ehe Luma wieder abschätzig krächzen konnte. “Das ist natürlich nur eine Frage der Zeit und es tut kaum etwas zur Sache, ob sie in diesem Moment oder in ein paar Tagen darauf stoßen. Entscheidender ist: Wie werden sie auf diese Erkenntnis reagieren?“

„Nun, sie werden archäologische Teams nach Mau‘hi und in dein Geburts-Sonnensystem schicken und dort nach Hinweisen suchen. Sie werden alle verfügbaren Datensammlungen der Allianz durchforsten – und sie werden versuchen, in ihren eigenen Datenbanken alles über die ursprüngliche AVATAR und den Raumsektor der Allianz herauszubekommen, was dort zu finden ist. Das sind so im Groben die Spuren, die gerade zur Verfügung stehen.“

„Und was werden sie finden?“

Riho murmelte die Frage eher ungezielt vor sich hin. Dennoch antwortete Luma: „Um das zu beantworten, fehlt mir die Datengrundlage. Es wäre reine Spekulation.“

„Da könnte ich vielleicht weiterhelfen“, erklang auf einmal AVATARs Stimme in der Luft.

„Ach, du bist doch noch nicht zur Föderation übergelaufen?“, fragte Riho.

„Das wüsstest du aber“, lautete die lapidare Antwort. „Schließlich sind wir ein Geist.“

Riho seufzte. „Ich werde mich doch noch selbst necken dürfen“, sagte er. „Aber berichte, was halten wir für das wahrscheinlichste Szenario?“

AVATAR legte unvermittelt los: „Die Föderation hat in den letzten Jahrtausenden einige archäologische Funde in diesem Raumsektor gemacht, die der Kertes-Epoche zugeordnet werden. Vieles deutete bislang darauf hin, dass der Raum der Rau zumindest zum Randgebiet des entsprechenden Imperiums gehörte. Das Kerngebiet vermutete man mehr in Richtung der Allianz. Davon ausgehend, dass das Kertes-Imperium und das Einstundjetzige Sternenreich identisch sind, kann man spekulieren, dass der Gründungsmythos von Ma‘uhi den letzten gescheiterten Expansionsversuch dieses Reiches darstellte, dass das Bdur-System also nicht zum Gebiet des Imperiums gehörte, da wir dies damals vereitelt haben.“

„Falls wir das überhaupt waren“, sagte Riho automatisch. Es war ihm nach all den Jahrhunderten immer noch unangenehm mit diesen mythischen Ereignissen in Verbindung gebracht zu werden.

AVATAR fuhr ungerührt fort: „Ich gehe also davon aus, dass man im Bdur-System keine Artefakte finden wird. Und auch in den anderen Systemen der Allianz nicht. Die Menschen von Myria haben nie etwas vom Raumzeitbrand gehört und in den Geschichten des Großen Schwarms deutet auch nicht das Geringste auf das Kertes-Sternenreich hin – und das Kollektivgedächtnis der Kresh reicht bekanntlich bis zu 100.000 Jahre in die Vergangenheit.“

Von Luma, die sich längst wieder in ihre Datenholos eingehüllt hatte, kam daraufhin ein leises Grunzen. Sie schaltete sich jedoch nicht wieder in das Gespräch ein.

„Neu Acqia?“, fragte Rihu.

„… haben die Acq von Ma‘uhi bekanntlich erst vor ein paar hundert Jahren besiedelt“, sagte AVATAR. „Da könnte eventuell etwas sein.“

„Im Ernst?“

Riho war aufgestanden, um sich einen Tee zu machen, hielt nun aber in seinem Tun inne.

„Neu Acqia liegt dem Raum der Rau am nächsten“, sagte AVATAR. „Beziehungsweise dem Raum, der dazwischen liegt und aktuell mein heißester Kandidat für weitere Kertes-Funde ist.“

„Das Ssom-System“, sprach Riho das Offensichtliche aus.

2. Was ist Instafunk?

Keine Sekunde später öffnete sich die Tür und Kea und Cora flatterten herein, drehten dabei ein paar Runden durch den Raum, um Lumas Nest und um Rihos Kopf herum, ehe sie sich auf ihre jeweiligen Sitzgelegenheiten hockten. Dabei plapperte die sonst auch nicht gerade wortgewandte Cora – wenn man es genau nahm, war es meistens eigentlich Kea, die das Reden übernahm – die ganze Zeit lautstark vor sich hin:

„Wann brechen wir endlich auf? Wir müssen sofort los und die Tragos retten. Es ist unsere Pflicht Takatum gegenüber, ihre/seine Ahnen zu befreien. Und falls sie alle tot sind, ist es unsere Pflicht, den Rau die Augen auszupicken. Wir jagen sie aus dem Ssom-System und gleich noch von der anderen Tragos-Kolonie. Wie hieß die noch? Bleg? Egal! Wir ziehen in den Krieg! Wann geht es los?“

Es genügte ein kurzes Zischen von Kea, um sie schließlich zum Schweigen zu bringen. Die Sprecherin der Kresh-Vierergruppe schaute Riho an, was dieser für einen fragenden Blick nutzte. Dykas Fehlen erstaunte ihn ein wenig. Kea reagierte jedoch nicht darauf, vielmehr nickte sie in Richtung Tür und sagte: „Wir haben einen Gast mitgebracht.“

Riho schaltete schlagartig um und ging mit ausgestreckter rechter Hand zur Tür. Eigentlich hatte er mit einem Besuch von General Stondra gerechnet. Die junge Frau, die in der Tür stand, wäre jedoch sein zweiter Tipp gewesen.

„Atiella, was für eine Freude“, sagte er. „Nehmen Sie doch Platz!“

Ihren belustigten Blick in den Raum hinein deutete er ganz richtig und sagte: „Magst du schnell ein wenig aufräumen, AVATAR? Ein zusätzlicher Sessel wäre auch nett.“

Bis auf die Sitz-Nester der Kresh verwandelten sich alle Möbel und sonstigen Gegenstände schlagartig in Nanostaub und versanken im Boden. Keine Sekunde später waren zwei Sessel und ein kleinerer Tisch mit zwei dampfenden Teetassen aus dem Boden gewachsen.

Atiella Rouven setzte ein breites Grinsen auf und ergriff die dargereichte Hand. „Wow, Nanotech“, sagte sie. „Hatte man das damals in der Steinzeit schon?“

Sie nahm in einem der Sessel Platz, nahm die Teetasse und pustet den Dampf fort. Dabei fixierte sie Riho, der sich ihr gegenübersetzte. Die Kresh schnatterten kurz leise miteinander, verstummten dann aber wieder.

„Warum haben Sie mir meine Arbeit vorhin so schwer gemacht, Riho?“, fragte sie, ehe er das Gespräch an sich ziehen konnte.

„Worin genau besteht denn Ihre Arbeit?“, fragte Riho und griff ebenfalls nach seiner Tasse.

Sie nahm einen Schluck, quittierte den Geschmack mit einem kurzen anerkennenden Nicken und stellte die Tasse wieder ab.

„Wie wäre es“, sagte sie, „wenn wir unsere Beziehung auf die nächste Ebene heben und ab sofort auch ganz offiziell davon ausgehen, dass wir im Grunde schon alles Wesentliche voneinander wissen – sowie dass sie wissen, dass wir alles über Sie wissen und dass wir wissen, dass Sie alles über uns wissen. Okay?“

Riho öffnete gerade den Mund, als sie hinzufügte: „Was also glauben – oder wissen – Sie, was meine primäre Aufgabe heute ist?“

Riho nickte leicht. Ja, die Föderationsleute wurden ihm immer sympathischer.

„Sie sollen herausbekommen, ob ich defekt bin“, sagte er.

Atiellas Lächeln wurde wieder breiter. Sie lehnte sich zurück und sagte: „Genau das. Wir müssen nicht herausfinden, was Sie und Ihr Schiff sind, wie es funktioniert und wie es gegebenenfalls unter unsere Kontrolle zu bringen oder gar zu vernichten wäre. All das wissen wir, da unsere Vorfahren diese Dinger hier einst gebaut haben. Was wir wissen müssen ist, ob die Antiquität, die Sie hier geparkt haben, Gefahr läuft, in nächster Zeit hochzugehen und das ganze Tau-System in ein schwarzes Loch zu verwandeln – oder eben nicht. Ob Sie vertrauenswürdig und sympathisch sind, mag mich vielleicht persönlich interessieren – das kann der gute General aber selbst einschätzen. Von mir will er lediglich wissen, ob Sie und Ihr symbiotisches Schiff – wie sich das anfühlt, müssen Sie mir bei Gelegenheit mal genauer erzählen, aber das ist auch rein persönliches Interesse – intakt sind oder nicht. Und da war es nicht gerade hilfreich, dass Sie den Eindruck erweckt haben, als würden Sie den Unterschied zwischen Instafunk und Quantenwurmloch-Funk nicht kennen – oder wahlweise, dass sie Föderations-Standard nicht korrekt in ihren komischen Pazifik-Sprachmix übersetzen können.“

Sie hatte ihre Sätze schnell und fast ohne Luft zu holen präsentiert, wirkte dabei aber so entspannt, als hätte sie gerade einen Beruhigungstee zu sich genommen. Riho wusste, dass das Gegenteil der Fall war, umso faszinierter betrachtete er die Frau, die ihn nun lächelnd anblickte und auf seine Reaktion wartete.

Er räusperte sich und sagte: „Würden sie mir glauben, wenn ich behaupte, dass es mein Plan war, genau diese Reaktion von Ihnen – oder zugegeben eigentlich von Aris Stondra selbst – zu provozieren?“

„Das läuft bei mir aktuell noch als eine von vielen gleichberechtigten Arbeitshypothesen“, sagte sie.

„Nun gut. Wenn Sie erlauben, beantworte ich Ihre Prüfungsfragen erneut. Meine Kenntnisse zur FTL-Quanten-Wurmloch-Kommunikation sind allerdings fast ausschließlich theoretischer Natur. Auch wenn die Datenübertragungsrate hierbei viel größer sein müsste, setzen die Allianz und ich bei der FTL-Kommunikation ausschließlich auf quantenverschränkte Elementarteilchenpaare, die unabhängig von ihrer Entfernung stets den Zustand ihres Partnerteilchens annehmen – vulgo Instafunk. Zum Zeitpunkt als die Kolonien auf Ma‘uhi und Myria den Kontakt zur Erde verloren haben, war das die gängige Technologie. Es erfordert zwar einiges an Rechenleistung, um die Übertragungsfehler auszugleichen, dafür ist es absolut abhörsicher und die Datenübertragung ist instantan. Leider muss man die verschränkten Teilchen ‚zu Fuß‘ zum Empfangsort transportieren, was die Sache zusätzlich mühsam macht. Nach einigen Jahrhunderten relativistischen Flugs habe ich aber ein recht ordentliches stabiles FTL-Kommunikationsnetz in der Allianz errichten können. Ohne den Verhandlungen vorgreifen zu wollen, denke ich, dass man in der Allianz sehr an einem Technologieaustausch in Sachen Quantenwurmloch-Funk interessiert ist. Bei Gelegenheit müssen Sie mir mal genauer erklären, wie sie das Problem gelöst haben, dass der Funkleitstrahl immer ein neues Quantenwurmloch finden und stabilisieren muss, ohne dass die Kette über Lichtjahre hinweg abreißt. Immerhin existieren natürliche Quantenwurmlöcher nur für Sekundenbruchteile und sind kaum ein Ångström groß. Das Signal müsste ja durch trilliarden und abertrilliarden winzigster Wurmlöcher gehen. Wenn nur eines davon zusammenbricht, ist die ganze Verbindung futsch. Oder ist das ein Staatsgeheimnis, wie das Föderations-Monopol auf die einpolige Wurmloch-Technologie? Das müsste ja ganz ähnlich funktionieren. Sehen Sie, ich nehme mir stets ein Quantenwurmloch, stabilisiere es, verankere das eine Ende gravitativ an einer Sonne oder einem Gasriesen und das andere Ende hier am Schiff – ein so genanntes Proto-Wurmloch, durch das in diesem Stadium weder Informationen geschweige denn Materie übertragen werden kann. Dieses Ende schleppe ich zum Zielort meiner Wahl – ich ziehe das Quantenwurmloch quasi lang –, dort wechsle ich die Verankerung zu einer anderen Gravitationssenke und aktiviere dabei das eigentliche Wurmloch, indem ich es vereinfacht gesprochen ‚großziehe‘. Erst dann kann es durchflogen oder als Kommunikationsrelais genutzt werden. Ich nehme mal an, dass ihre einpolige Technologie zumindest im ersten Teil eher wie der Quantenwurmloch-Funk funktioniert. Ein Leitstrahl sucht sich also einen Weg über Myriaden von Quantenwurmlöchern bis zum gewünschten Ziel. Das lässt sich vermutlich durch die Energieleistung des Leitstrahls ziemlich genau steuern. Der zweite Schritt ist dann auch hier das ‚großziehen‘, was eigentlich genauso wie mit meinen Mitteln funktionieren müsste. Ich verstehe! Das Geheimnis liegt im Leitstrahl, der nicht nur den Weg durch die Mini-Wurmlöcher findet, sondern sie auch gleich miteinander verbindet. Das heißt, der Strahl erzeugt eine Feldstruktur, die dazu führt, dass sich die Quantenwurmlöcher anziehen. Moment, ich lasse AVATAR die dafür nötige Struktur einmal durchrechnen …“

„Ist ja gut, ist ja gut!“, rief Atiella lachend dazwischen. „Sie haben bestanden. Mit Auszeichnung und Sternchen.“

Sie schlug sich auf die Oberschenkel und erhob sich zackig aus dem Sessel.

„Leider“, sagte sie, „müssen wir beide jetzt in Haft, da weder Sie noch ich über eine ausreichende Sicherheitseinstufung für Ihre soeben gewonnene Erkenntnis verfügen.“

„Das war ein Scherz“, fügte sie nach der entstandenen Pause hinzu. „Aber jetzt sollten wir General Stondra mitteilen, dass sie uns ins Ssom-System begleiten werden.“

„Werde ich das?“, fragte Riho.

„Ich glaube kaum, dass Sie sich dem Mehrheitsvotum Ihrer Besatzung widersetzen können.“

Rihos Blick zu den Kresh wurde mit dreifachem begeistertem Krächzen erwidert. Mit gespieltem Stöhnen stand er von seinem Sessel auf.

„Ihr macht mich fertig“, sagte er, meinte es aber nicht im Mindesten so.

3. Was ist der Plan?

Umschwirrt von den laut schnatternden Kresh kehrten Atiella und Riho in den großen Garten der AVATAR zurück. Dort trafen sie auf Aris Stondra, der an einen Baum gelehnt zur Kuppel hinaus auf den Gasriesen blickte, in dessen Orbit die AVATAR kreiste. Bei ihm hockte die Kresh Dyka. Als sie ihre Artgenossen kommen sah, schwang sie sich in die Lüfte und stieß zu ihnen. Zur viert flogen sie in einem komplizierten Tanz durch den Garten und ließen die Menschen allein.

Auch Aris erhob sich und schlenderte auf die beiden zu. Riho entging der Blick nicht, den Aris Atiella dabei zuwarf – ebenso wenig wie ihr leichtes Nicken. Offenbar hatte er nun alle Tests offiziell bestanden.

„Es freut mich sehr, dass Sie uns begleiten wollen, Riho“, sagte Aris. „Ihre Kenntnisse über den Einsatzort sind ein unschätzbarer Vorteil für uns. Die Befreiung des Ssom-Systems von den Rau ist selbstverständlich unsere erste Priorität und wir werden auch erkunden, ob wir noch etwas für die Trago-Kolonie auf Bleg tun können – auch wenn deren Eroberung bereits doppelt so lange her ist, wenn ich es richtig verstanden habe.“

„Danke“, sagte Riho und fügte hinzu: „Es wird mir außerdem eine Freude sein, im Anschluss meinen Beitrag zur Lösung Ihres anderen Problems zu leisten.“

Aris lächelte.

„Die Freude ist ganz meinerseits“, sagte er. „AVATAR hat mir ihre Spekulationen zu weiteren Kertes-Funden im Ssom-System gerade mitgeteilt. Sagen Sie, stimmt es tatsächlich, dass ich mich bei einem Gespräch mit Ihrem Schiff im Grunde mit Ihnen unterhalte? Das Wesen Ihrer Symbiose wird in unseren Aufzeichnungen nur vage beschrieben.“

„Es ist etwas komplizierter“, sagte Riho. „Bei Gelegenheit werde ich gern versuchen, es in Worte zu fassen. Aber erstens muss ich dabei Atiella den Vortritt lassen, da sie zuerst gefragt hat …“

„… und zweitens drängt die Zeit“, beendete Aris den Satz. „Sie haben vollkommen Recht. Ich würde Sie alle“, dabei winkte er in Richtung der Kresh, die sogleich auf sie zugeflogen kamen, „gern einen Blick auf unseren Einsatzplan werfen lassen. Falls wir etwas nicht bedacht haben sollten. Schließlich brechen wir in Kürze auf.“

Fortsetzung folgt in Die Sternenfahrt | Buch 1: Die Suche nach Kertes | Kapitel 5

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