Das fantastische Fanzine

Rhodans Tochter – Geschichte einer Halbarkonidin

Perry-Rhodan-Fortsetzungsgeschichte von Senex

Zum Inhaltsverzeichnis von World of Cosmos 119

PROLOG

Juli 2078, Solares System, Terra, Galakto City

Aus dem Lautsprecher am Tisch des mächtigen Chefs der GCC meldete sich die helle Stimme von Florence Miller, seiner Vorzimmerdame. „Mister Rhodan, der Leiter der Ausrüstungs-Beschaffungsabteilung Ihrer Raumflotte ist hier!“
Der grauäugige, hagere Mann hinter dem massiven Schreibtisch aus Vollholz unterbrach sein Gespräch mit einem untersetzten Hünen mit roten Haarstoppeln. „Soll hereinkommen“, befahl er. „Es muss wirklich wichtig sein, wenn Colonel Garsten eine persönliche Unterredung wünscht.“
Der rothaarige Mann nickte. „Der Mann geht doch gerade mal zum Pinkeln aus seinem Büro!“ Obwohl es ihm ein Lächeln auf die Lippen zwang, schüttelte Perry Rhodan tadelnd den Kopf.
„Bully, bitte! Sei ein wenig netter mit Leuten, die wir dringend brauchen. Homer?“ Homer G. Adams, der kaufmännische Direktor der General Cosmic Company, zuckte mit den Schultern. „Auch ich weiß nicht mehr, als dass es um einen neuen Raumanzug gehen soll.“

Ein schwerer Mann in der sandfarbenen Uniform mit den Schulterstücken eines Colonels der GCC-eigenen Streitkräfte trat in der Begleitung eines Ferronen in elegantem Geschäftsanzug ein und salutierte vor den Anwesenden. „Sir!“
„Colonel Garsten!“ Perry Rhodan erwiderte den Gruß. „Bitte, was gibt es?“
„Dieser Mann ist Herr Markhlo“, rapportierte der Oberst und wies auf seinen Begleiter. Wie alle Ferronen hatte auch dieser eine blaue Haut, sein Haar trug er der neuesten Mode auf Ferrol folgend komplett abrasiert. „Er ist im Auftrag der Starlight Gesellschaft hier!“
Rhodan nickte und streckte seine Rechte aus. „Willkommen. Wie geht es Ihnen?“
„Danke, Mister Rhodan“, ergriff der Ferrone die Hand. „Darf ich mich auch nach Ihrem Wohlbefinden erkundigen?“
„Danke! Das sind Mister Reginald Bull, Mister Homer G. Adams und Mister John Marshall.“ Der Mann nickte grüßend in die Runde.
„Ich bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, meine Herren. Darf ich gleich zum Grund meines Besuches kommen?“
„Aber gerne.“ Perry Rhodan deutete auf eine Reihe von Stühlen rund um einen Besprechungstisch. „Bitte, nehmen Sie doch Platz.“ Markhlo machte von diesem Angebot dankend Gebrauch und setzte sich auf einen der einfachen, aber gemütlichen Stühle.
„Meine Firma hat sich erlaubt, Ihrer Beschaffungsabteilung das Muster eines neuen Raumanzuges zu übersenden, ein weiteres habe ich heute zur Begutachtung mitgebracht. Inklusive sanitärer Einrichtungen, Mimikryanlage, lebenserhaltende Systeme und Schutzschirm. Die Beschaffungsabteilung hat den Anzug getestet, die Berichte dürften bald Vorliegen.“

„Sir!“ Colonel Garsten übergab eine Mappe mit Ausdrucken, die Rhodan rasch überflog. Seine Brauen hoben sich überrascht.
„Ich habe mir erlaubt, für Mister Adams das Geschäftliche in groben Zügen zusammen zu fassen“, fuhr der Ferrone fort. „Hier, hier, hier und – hier.“ Adams begann ebenfalls, die Aufstellungen zu überfliegen, auch er blickte durchaus zufrieden. Rhodan nahm das Gespräch wieder auf.
„Mrs. Starlight..“
„MISS Starlight, Sir! Bitte“
„So? Also gut. Miss Starlight wird sicher gerne kommen, um die Verträge selbst zu unterschreiben?“
„Es war so geplant, Sir“ Markhlo hatte die terranische Sitte des Kopfnickens übernommen. „Wenn Sie einverstanden sind, wird Miss Starlight in fünf Wochen in ihrem Büro im Starlight-Building in Galakto City auf Sie warten.“
„Ich zöge das GCC – Gebäude vor.“ Rhodans Miene war ausdruckslos, der Ferrone zeigte ein verbindliches Lächeln.
„Ich bedauere, Sir, ich muss auf das Starlight-Building bestehen.“
Marshall beugte sich zu Rhodan hinüber und flüsterte etwas in sein Ohr. Perry sah den Telepathen erstaunt an, dann nickte er dem Starlight-Agenten zu. „Ich verstehe. Also gut. Das Starlight-Building.“

Das Starlight-Building war eines der modernsten Gebäude in Galacto-City. Es war eine Pyramide, auf halber Höhe von einem trichterförmigen Gebilde durchschnitten. So wie dieses sahen alle eigenen Gebäude der Starlight Gesellschaft aus, wo immer im bekannten Teil der Galaxis sie sich befanden. Noch relativ jung, hatte die Gesellschaft doch schnell von sich reden gemacht. Sie handelte nur mit erlesenen und exquisiten Kostbarkeiten – oder absolutem Hightech. Von der Luxusraumyacht bis zu einem garantiert nur einmal existierenden Ballkleid, teuersten Edelsteinen und exquisitem Schmuck. Man benötigte Geld, viel Geld, doch es war beinahe alles zu haben. Was allerdings nur wenige wussten – die Gesellschaft machte zwei große Ausnahmen. Menschen- und Drogenhandel waren absolut Tabu für sie. Nur das TBI, Homer G. Adams und die höchsten Spitzen der Administration der VN wussten, wie viele Fälle aus diesen Bereichen durch Informationen aus dem Starlight Building gelöst werden konnten.

„Meine Herren, Miss Starlight erwartet sie bereits“, meldete ein Mann mit eng anliegenden Shorts und einer Fliege um den Hals als einzige Kleidungsstück. Er machte den Herren der GCC gegenüber eine einladende Handbewegung. Eine großgewachsene Frau wandte sich von der Fensterfront mit grandiosem Ausblick auf den Goshun-See ab und ihren Besuchern zu. Kurzes, blauschwarzes Haar, exakt auf die Kinnlinie gekürzt, umrahmte ein ausdrucksvolles Gesicht, die riesigen Augen geschminkt wie die einer ägyptischen Göttin. Das tief ausgeschnittene Kleid aus weichem, halb durchsichtigem, karmesinrotem Koischen Stoff, das sie trug, enthüllte den kleinen, aber perfekt geformten Busen mehr, als er in verbarg. Die eregierten Mamillae zeichneten sich provokant ab, und selbst die Areola schimmerten dunkel durch den Stoff. Keine Linie, keine Falte unterbrach die fließenden Bahnen, die bis zum Knöchel reichten, was verriet, dass die junge Frau auch jede Art von Höschen verschmäht hatte. Das Kleid betonte die schlanke Taille und den eleganten Schwung der Hüfte, hochhakige goldene Sandalen streckten die ohnehin endlosen Beine noch mehr.
„Meine Herren?“ dunkler, rauchiger Alt, halb gehaucht erreichte die Terraner, ein Kribbeln wie von einem Ameisenstamm kroch die Wirbelsäule nach unten. „Was darf ich Ihnen denn anbieten? Mister Rhodan, ich hätte einen hervorragenden Green Bush aus Irland hier, es sei denn, sie ziehen immer noch den billigen amerikanischen Whisky vor. Mister Marshall, ein Glas Milch, für Mister Adams Cognac und Mister Bull? Sekt und eine vollbusige schöne Frau?“ Bull wurde rot vor Verlegenheit, Rhodan vor Wut.
„Miss Starlight, wir sind nicht hier…“
„Richtig, Mister Rhodan. Sie sind hier, weil sie etwas von mir wollen, oder?“ Ihre Zunge leckte über ihre ohnedies feucht schimmernden, sinnlich lächelnden Lippen. Selbst dem stets beherrschten Perry Rhodan wurde es innerlich ein wenig heiß. „Einen Raumanzug, wenn ich mich recht entsinne!“ unterbrach Miss Starlight den Zauber. „Wenn Sie wollen, können wir gleich zum Geschäft kommen! Setzen wir uns doch.“ Sie wies auf einige Clubsessel an einem niedrigen Tisch und nahm selbst auf einem Sofa Platz. Die Stoffbahnen, welche den Rock bildeten, teilten sich und enthüllten makellose, lange Beine.

Perry Rhodan blickte zu John Marshall, der kaum merkbar den Kopf schüttelte. Wie die spöttisch hochgezogene Augenbraue und das süffisante Lächeln bewiesen, waren der Miss weder Blick noch Kopfschütteln oder gar die Bedeutung entgangen.
„Bemühen Sie sich nicht, Mister Marshall. Auch sie werden gegen meinen Willen bei mir nicht eindringen können.“ Kurze Pause, ein lasziv gewordenes Lächeln, eine kurze Bewegung ihrer Beine, welches nichts enthüllte, aber die Phantasie anregte. „Ich meinte jetzt selbstverständlich in meine Gedanken.“ John Marschall rang kurz um Luft, Reginald Bull versuchte einen Entlastungsangriff.
„Starlight ist doch sicher nicht Ihr echter Name! Wie sollen wir Sie wirklich nennen?“ Miss Starlight lehnte sich zurück, legte ihre nicht enden wollenden Beine auf den Tisch und griff nach dem dezenten Anhänger, der zwischen ihren Brüsten hing, lenkte damit den Blick der Männer wieder auf dieselben. Allmählich wurde es den Herren mulmig, sie reagierten sicht- und fühlbar.
„MISS Starlight, Mister Bull. Aber weil Sie so nett fragen, dürfen Sie mich“ – leise gehaucht – „Missy nennen!“ Bullys Gesicht wurde noch röter, näherte sich dem Ton seiner Haarstoppeln.

„Also!“ Plötzlich wurde der Tonfall in Starlights Stimme eiskalt, von einer Sekunde zur anderen wurde der Zauber wieder aufgehoben wie mit einer kalten Dusche. „Ich nehme an, das Muster des Anzuges, den mein Bote überbrachte, wurde erprobt. Sie werden zwei Dinge festgestellt haben. Zum Ersten: dieses Modell ist etwa doppelt so gut, wie es herkömmliche Anzüge sind. Die Entsorgung sowohl flüssiger als auch fester Fäkalien ist hervorragend, der entsprechende Körperteil wird hygienisch vom pseudointelligenten Gewebe des Futterstoffes gesäubert. Demnach ist dieser Anzug selbstverständlich nackt zu tragen.“ Die Stimme bekam wieder diesen lasziven Unterton, ihre Hände zeichneten langsam die Konturen ihres Körpers nach. „Sie müssen sich vorstellen, Sie gleiten in diese warme, weiche Umhüllung, sie werden aufgenommen in eine Haut, die sie umschmiegt und umschmeichelt.“ Sie lachte perlend auf. „Oh, meine Herren, soll ich die Klimaanlage kühler schalten?“ Rhodan nickte und nahm schnell einen Schluck von seinem Whiskey. Mildes, flüssiges Gold umschmeichelte seine Geschmacksknospen. Erstaunt blickte er sein Glas an.
„Das ist Whisky?“
„Nein, Mister Rhodan, DAS ist einer der besten irischen Whiskeys, die es auf dem Markt gibt.“
„Auf dem Markt?“, hakte Homer G. Adams nach, Starlight lachte hell auf.
„Ich wusste, es würde Ihnen auffallen. Ja, ich kenne eine Brennerei, die noch Besseren macht. Wollen Sie probieren?“
Perry nickte. „Unbedingt! Ich glaube nicht, dass eine Steigerung möglich ist.“
„Die anderen Herren? Sam! Bitte fünf von meinem Privaten.“

„Wie viel kostet eine Flasche?“, brach es aus Adams heraus, der sonst kaum etwas anderes als echten Cognac trank, auch die anderen zeigten sich durchaus angetan.
„Mister Adams!“ Die Stimme der Miss verlor an Erotik, nicht jedoch an sinnlicher Freude und Wärme. „Die Starlight Gesellschaft handelt nicht mit dieser Ware. Es wird mir jedoch eine Freude und Ehre sein, jedem der hier anwesenden Herren eine Kiste mit je sechs Flaschen zu übersenden. Betrachten Sie es als kleines Geschenk, aber ich möchte die exquisite Qualität dieses Göttergeschenks nicht der Massenproduktion opfern. Fünf Jahre im Eichenfass, fünf in einem Fass, dass vorher zur Reifung von Sherry gedient hatte und fünf Jahre, deren Geheimnis die Brennerei nicht preisgibt. Also, bitte genießen wir andächtig.“ Sie erhob ihr Glas. „Auf die Familie, wo immer sie sein mag, möge sie Gesund und Zufrieden sein!“

Rhodans Gesicht gefror. Er wurde jählings an Thora erinnert, aber auch an die gemeinsame verschwundene Tochter Victoria. Bully rettete die Situation, neugierig beugte er sich vor. „Wo ist Ihre Familie, und wie geht es ihr, wenn ich fragen darf?“
Miss Starlight verbarg ihr Lächeln hinter ihrem Glas. „Wenn ich richtig informiert bin, ganz in der Nähe, Mister Bull. Und soweit ich gehört habe, sind sie gesund und wohlauf.“
„Ich nehme an, sie sind stolz auf Sie und Ihre Leistungen?“
„Ach, Mister Bull, das können Kinder immer nur hoffen, und so hoffe auch ich!“
Rhodan sah auf. „Nehmen Sie einen guten Rat, Miss Starlight. Besuchen Sie Ihre Eltern. Tun sie sich und ihren Eltern den Gefallen.“ Sehnsucht nach der Tochter schwang in seiner Stimme.
„Wenn die richtige Zeit gekommen ist, Mister Rhodan. Wenn die richtige Zeit gekommen ist. Ich darf weitermachen?“ Der Chef der GCC winkte sein Einverständnis.

„Wie der Intimbereich wird auch, durch eine ähnliche Vorrichtung, der Rest des Körpers sauber gehalten. Eine Verbesserung, die, wie sie zugeben werden, für die Person, die einen Raumanzug längere Zeit tragen muss, eine Menge wert sein dürfte. Wenn sie die Kapuze aufsetzen, versteift sich der Gesichtsschild, und automatisch schaltet sich die Kommunikationsanlage ebenso wie die Lebenserhaltungssysteme ein. Solange es Gas oder Flüssigkeit in der Umgebung gibt, filtert der Anzug brauchbare Elemente aus der Umwelt und führt sie gereinigt dem Gebrauch zu, ebenso wird der ausgeatmeten Luft der noch enthaltene Sauerstoff entzogen und wiederverwertet. Das verlängert die Einsatzzeit um ein Vielfaches. Zum Zweiten werden Sie sicher bemerkt haben, dass sie den Anzug nicht kopieren können. Ich sage ihnen ehrlich, das liegt daran, dass meine Firma als einzige über – nennen wir es Picotronic verfügt. Nun, die Nanotronik der alten Arkoniden wich der Neuronik, diese wiederum wird der Picotronic weichen müssen. Doch im Moment – mein Monopol! Im übrigen besitzen, wie sie auch gesehen haben dürften, die Anschlüsse für Luft und Energie Standardgrößen. Sie können also eigene Luft- und Energievorräte anschließen. Unsere sind besser, aber natürlich auch ein wenig teurer. So, ich glaube, in Summe ist das Teil mehr als doppelt so viel wert, als es herkömmliche Anzüge sind. Der Preis ist mit dem anderthalbfachen also nicht übertrieben.“
Rhodan hielt die Ausdrucke der Testergebnisse hoch. „Exakt.“
„Ach, Mister Rhodan“, das berüchtigte Starlight-Lächeln blitzte auf. „Sie benützen noch Folienausdrucke? Darf ich Ihnen ein FoldPad schenken? Es ist viel bequemer zu tragen!“
Rhodan ignorierte die kleine Stichelei. „Sie liefern jede Menge, die wir bestellen?“
„Aber selbstverständlich, was immer Sie wollen – Mister!“ Ihre Stimme spielte mit dem Wort ‚Mister‘ wie mit einem Geliebten, Rhodan lockerte seinen Kragen.
„Homer?“ fragend blickte Rhodan zu Adams.
Wieder erklang dieses kehlige, rauchige Flüstern. „Ja, Homer. Ich darf Sie doch Homer nennen!“
Homer G. Adams wischte sich den Schweiß vom Kopf. „Mir wäre Mister Adams lieber, Miss Starlight!“
„Wie Sie möchten. ….Mister!….Adams!“ War da ein leicht schmollender Unterton?
„Mister Rhodan, der Preis ist akzeptabel, ich rate zum Ankauf“, erklärte der Finanzchef der General Cosmic Company.
„Danke, Homer“, nickte Perry Rhodan. „Sie liefern selbstverständlich nur an uns?“
„Warum sollte ich?“ Hart wie Waffenstahl klang jetzt wieder Miss Starlights Stimme. „Exklusivität hat ihren Preis. Wir können die eine oder andere Funktion natürlich für Sie reservieren. Sie finden auf diesen Chips in der Schale sämtliche Bedingungen. Und selbstverständlich auch eine Preisliste. Meine Herren,” Wieder erklang der laszive Ton. „Ich wünsche mich zurück zu ziehen. Entschuldigen Sie mich, Sam steht Ihnen weiterhin gerne zur Verfügung.“ Sie erhob sich und schritt langsam und mit schwingenden Hüften zur Tür. Unwillkürlich zog das durch den koischen Stoff umschmeichelte, sanft gerundete Hinterteil die Blicke der Männer auf sich, mit durchaus eindeutigen Ergebnissen. „Meine Herren” ein letzter Blick über die Schulter, der rauchige Tonfall ließ keinen von ihnen kalt. „Sie werden mir Ihre Wünsche und Bestellungen mitteilen!“ Leises sinnliches Lachen begleitete das Schließen der Tür.

Während Rhodan und seine Leute ihre Unterlagen einsammelten, lehnte sich Miss Starlight an die andere Seite der Tür. Alles neckische, erotische glitt von ihr ab.
„Alles in Ordnung, Chefin?“, fragte der Leiter der terranischen Niederlassung. Tief atmete Miss Starlight aus und zog die schwarze Perücke vom weißblonden Haar.
„Alles in Ordnung, Jean Pierre“, antwortete ihm Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan. „Rufen Sie bitte unten an, ich möchte in 30 Minuten zum Raumhafen fahren.“ Nach diesen 30 Minuten verließ eine hübsche Brünette, ganz Dame der besseren Gesellschaft, gekleidet in ein teures, doch dezentes Kostüm, in der Hand ein kleines Täschchen mit dem Aufdruck der Starlight – Parfümerie das Gebäude. Keine Erkennungssoftware und schon gar kein Mensch hätte in dieser Dame Miss Starlight oder Victoria dalRhodan erkannt. Einige Zeit später bestieg diese Dame ein Shuttle zum Mond, wo sie in einen unauffälligen Kugelraumer umstieg, dieser erbat und erhielt die Startfreigabe. Dass man seinen Transit nicht verfolgen konnte, war beinahe schon Routine.

Der Beginn

Mai 2034, System Wega, an Bord der Stahdu

Die Geschichte von Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan begann, wenn wir sowohl die mythischen Schöpfungsgeschichten diverser Religionen als auch den Urknall außen vor lassen wollen, im Mai 2034 an Bord eines 800 Meter durchmessenden arkonidischen Schlachtschiffes der Tussan-Klasse in terranischer Hand. Es handelte sich um die Stahdu, und es geschah in Perry Rhodans Arbeitszimmer.

Der hagere, großgewachsene Mann verfolgte mit den stahlgrauen Augen die unruhig auf- und abgehende schöne Frau mit dem blendendweißen Haar, der rötlich schimmernden Iris und der Figur einer römischen Göttin.
„Wir sollten aufgeben und endlich nach Arkon zurück kehren“, monierte sie heftig gestikulierend. „Dort werden Crest und ich nämlich wirklich gebraucht! Große Göttin, die halbe Besatzung der Stahdu besteht nur noch aus Halbarkoniden von den Kolonien!“ Wütend schnaubend lief sie in langen Schritten auf und ab.
„Aber genau deswegen nehmen wir doch all das in Kauf, dachte ich.“ Rhodan gab sich beherrscht, ruhig, souverän wie immer. „Nämlich, dass ein unsterblicher Crest etwas bewirken, etwas verbessern kann. Außerdem ist die Erde noch nicht reif für einen Kontakt mit Arkon! Wir wären drei Stunden später offiziell eine Kolonialwelt unter einem arkonidischen Administrator!“
„Und, was wäre so schlecht daran, an der Zivilisation und Kultur Teil zu haben?“ Ein schlanker Finger mit spitz gefeiltem und rot lackiertem Nagel wies direkt auf Perrys Gesicht.
Der hob beide Hände in Schulterhöhe. „Wir wären Sklaven! Wer hat sich denn eben darüber alteriert, dass ‚Halbarkoniden‘ an Bord eines Schlachtschiffes Dienst machen? Welche Chancen hätten wir Menschen denn? Sklaven unter dekadenten Halbidioten? Nein! Nein danke, wirklich nicht!“
„Sie sind ein Sturkopf, Rhodan. Mit ihnen kann man einfach nicht reden“, fauchte Thora. „Barbarischer Idiot!“
Bei Rhodan riss nun doch der Geduldsfaden, zum ersten Mal seit – ach, eigentlich konnte sich niemand mehr daran erinnern! „Was denken Sie dekadente Zicke eigentlich, was Sie sich alles erlauben können? Sie sollten dankbar für unsere Bemühungen sein!“
„Sie sind doch nur durch uns Arkoniden so weit gekommen, ohne uns säßen Sie immer noch Ihren halb chemischen Feuerwerkskörpern, die Sie so hochtrabend ‚Raumschiff‘ nennen, Sie präpotenter Narr!“
„Und Euer Hochfahrenheit könnten auf dem Mars immer noch versauern. Und ob Crest..“
„Bringen Sie jetzt ja nicht Crest ins Spiel, sie primitiver Idiot!“

In ihrem Streit hatten Sie nicht darauf geachtet, wie nahe sie sich schon gekommen waren, ihre Lippen berührten sich, zuerst zufällig, dann zaghaft, zögernd verharrend. Unschlüssig – zurück zucken oder weiter? Dann, intensiver werdend, hungriger, verlangender, endlich gefangen im Augenblick, der sich zu Ewigkeiten dehnte. ‚Wenn Du zum Augenblicke sagst, verweile doch, du bist so schön…‘ Wesentlich leiser, rauer und belegter klangen die Stimmen nach einiger Zeit wieder auf.
„Das ist ein arkonidischer Overall, du primitiver Barbar. Der hat einen Magnetverschluss, keine Knöpfe, Dummkopf!“
„Reiß‘ mir den Knopf nicht ab, blöde Ziege, ich habe doch keine Reservehose im Büro.“ Akten, Schriftsätze, das Tablett, alles landete in wirrem Haufen auf dem Boden, ihre Kleidung war bald irgendwo im Raum verstreut.
„Endlich, Perry!“
„Thora, ich…“
„Sei doch still!“
„Aber ich…“
„Küss mich noch einmal, Perry! Und … Ja, JA, PERRY! JA!“

*

….rock me, rock me, rock me, baby, – rock me out here on the floor …
…rock me, rock me, rock me, Baby, – rock me till I want no more …..
(Johnny Nash)

*

Eine gefühlte Ewigkeit später löste sich das Paar wieder voneinander. „Es mag nicht romantisch klingen, Thora, ich hab’ Romantik nie gelernt.“ Rhodan betrachtete versonnen die Frau vor sich. „Sie war nie Teil meiner Ausbildung, aber, verdammt, wie soll … Willst du dein Leben mit mir verbringen?“
Thora warf ihren Overall, in den sie eben schlüpfen wollte, aufbrausend wieder zu Boden. „Damit treibt man keine Scherze, Perry!“ Ihre Stimme klang noch immer rau und atemlos. „Du musst meinen Ruf nicht retten, eine Arkonidin von Stand kann mit einem primitiven Barbaren durchaus ihren Spaß haben, ohne üble Nachrede oder schlechtes Gewissen befürchten zu müssen. Und auch ein Wiederholungsspiel ist ohne Heirat durchaus nicht ausgeschlossen, auch nicht mit dir! Du musst dich also zu nichts verpflichtet fühlen!“
Rhodan betrachtete sie mit weichen Augen und sanftem Lächeln. „Es war nicht die Sorge um Deinen Ruf, Thora. Aber weißt du – nun ja, soeben habe ich festgestellt, dass ich dich dumme Ziege für lange, lange Zeit an meiner Seite haben will.“
Nie gesehene Weichheit legte sich über Thoras Züge, und sie kam bereitwillig wieder in seine Arme. Mit einem langen Kuss wurde nun die Vereinbarung besiegelt.

Der Türsummer meldete sich mit einem aufdringlichem Ton, zerbrach die intime Stimmung, sie stoben erschreckt auseinander. Kurze Zeit später öffnete Perry die Tür, Bully drängte ungestüm durch den Spalt, noch in der Tür rief er los.
„Chef, das musst du… was – was zum Teufel war denn hier los?“
„Nichts, Bully, warum denn?“, fragte Perry Rhodan harmlos und sah sich in seinem Büro um.
„So wie es hier aussieht, alles liegt auf dem Boden herum“, ereiferte sich Reginald Bull. „Ihr zwei seid auch noch total derangiert. Ihr habt Euch wieder gestritten, gebt’s doch zu! Es muss ja verdammt heiß her gegangen sein, Ihr habt es Euch wohl so richtig besorgt!“
„Das ist nicht ganz falsch!“ Auflachend verließ Thora die zwei Freunde. „Wirklich, Bully, nicht ganz falsch.“
„Was..?“ Verblüfft blickte ihr Bull nach, deutete mit seinem Daumen hinterher. „Was ist denn mit der los? Seit wann kann denn diese Kratzbürste eigentlich lachen?“
Rhodan hieb ihm strahlend auf die Schulter. „Wir sind zu einer Einigung gekommen, Bully. Hast Du eigentlich eine Ahnung von den Plichten eines Trauzeugen?“ Damit ging auch der große Terraner aus dem Büro. Bully blieb allein zurück und kratzte sich die roten Haarstoppeln.
„Trauzeuge? TRAUZEUGE? Willst Du mich auf den Arm nehmen! He, Perry, warte! So warte doch! Was soll das mit Trauzeuge? Na so was. Da brat‘ mir doch einer einen Storch!“

*

Das Aufgebot wurde für drei Wochen später bestellt, Thora besuchte die bestens ausgestattete medizinische Station der Stahdu, um sich mit einem minimalinvasiven Eingriff die widerrufliche Sterilisation aufheben zu lassen. Dieser Eingriff zur Empfängnisverhütung war bei hochrangigen Arkonidinnen im Raumdienst durchaus nicht unüblich, eine elegante Methode ohne beständige Medikamenteneinnahme und jetzt ohne Probleme rückgängig zu machen. Am 25. Juli heiratete Thora dalZoltral den Terraner Perry Rhodan im multikonfessionellen Andachtsraum der Stahdu, den man mittlerweile auch zusätzlich mit den Symbolen der verschiedenen irdischen Religionen ausgestattet hatte. Den Junggesellenabend verbrachte Rhodan im Kreis seiner alten Kampfgefährten mit einigen Flaschen Bier, Sekt und Kentuckybourbon, während Thora, gemäß arkonidischer Sitte der großen Häuser, den Abend vorher allein in einer Dagortrance verbrachte. Sie erinnerte sich aller Abenteuer, durchlebte noch einmal alle Lieb- und Leidenschaften, nahm Abschied vom Singledasein. Wir wollen ihr wünschen, dass es viele und schöne Erinnerungen waren.

Die Zeremonie war einfach, trotzdem weinten am Ende sowohl die Braut als auch die Brautjungfer Anne Sloane. Eine solche kam im arkonidischen Ritus zwar nicht wirklich vor, doch Thora hatte sich mit einer traditionellen terranischen Zeremonie einverstanden erklärt. Crest, der den Brautvater spielte, platzte beinahe vor Stolz, und der Bräutigam hatte wohl zum ersten Mal in seinem Leben weiche Knie, als Thora auf ihn zuschritt und ihm tief in die Augen blickte. Also, alles so, wie es eben bei einer guten Hochzeit zuzugehen hat, außer dass das Kleid nicht so ganz den allgemein gültigen Vorstellungen eines Brautkleides entsprach. Obwohl die weiße Farbe durchaus passend dem Anlass war, und auf der linken Seite war es sogar bodenlang. Leslie Carol Schweigerdt, die Reporterin von SolTriVid, dem Sender, der die Hochzeit in beinahe jedes terranische Wohnzimmer brachte, kommentierte die Übertragung aus der Ferne. Sie begeisterte sich besonders über die weißen Haare und das weiße Kleid, welche so harmonisch mit der Haut in der Farbe von Milchkaffe kontrastierten. Die überschwänglichen Schilderungen, in welche sie sich erging, waren wohl ebenso endlos wie das wohlgeformte rechte Bein der Braut, welches bis hinauf zur Hüfte sichtbar war und in einer weißen, griechisch anmutenden Sandale steckte, deren Verschnürung erst unter dem Knie endete. Und dieses Bein bot einen Anblick, welcher – man muss es ehrlich sagen – weit angenehmer als Leslies Geschwafel war. Wahrscheinlich war dieser Anblick der einzige Grund, warum auch Männer die Hochzeit im TV verfolgten. Dieses Bein und die wohl gefüllten Dekolletés von Braut und Brautjungfer natürlich.

Über die folgenden Nächte wollen wir ganz diskret den Mantel der Verschwiegenheit breiten, doch am 28. Juni im Jahre des Herrn 2035 bewies die Geburt eines Mädchens, dass der Größte der Terraner in den Flitterwochen keine Platzpatronen geladen hatte. Das Mädchen erhielt die Namen ihrer vier Großmütter. Victoria Rosheen Marba Katharina und, wie ihre Mutter, den arkonidischen Adelspräfix dal vor dem Namen Rhodan, also dalRhodan, welcher allerdings so gut wie nie benutzt wurde.

Klein Vicky wuchs zu einem süßes Mädchen heran, das jeder einfach gerne haben musste. Dunkelgraues Haar, das sich während des Heranwachsens zu hellstem Weiß bleichen sollte, wie es eben bei Arkoniden so üblich ist. Vom Vater hatte sie die stahlgrauen Augen geerbt, die bereits in Ihrer Kindheit ihr Gegenüber wie mit Laserstrahlen zu durchleuchten schienen. Victoria war der Liebling aller, welche die Villa der Rhodans besuchten, alle erzählten ihr dies und das, und oft war sie, unauffällig und ruhig, Zeuge vieler Besprechungen. Und natürlich, wenn die Herren in Reminiszenzen schwelgten, sich in Erinnerungen an die ersten Tage und Monate nach der Heimkehr vom Mars ergingen. Niemand nahm an, dass ein Kind in diesem Alter auf Mamas oder Papas Knie etwas davon verstehen könnte.

Nach der Einschulung zeichneten sich allmählich Probleme ab. Als hochintelligentes Mädchen langweilte sich Victoria, des Öfteren wurden Thora oder Perry Rhodan von den Lehrkräften vorgeladen. Zum Glück handelte es sich um eine recht teure Privatschule in Galacto City, sodass genügend Überweisungen auf das Konto der Schule und der Direktrice eine Relegierung verhindern konnten. Das angebotene Wissen sog sie auf wie ein Schwamm, weit schneller als es angeboten wurde, es konnte nie genug sein. Manchmal wurde sie ertappt, wie sie statt Kinder- und Jugendliteratur eine wissenschaftliche Abhandlung las – und sie sogar, zumindest teilweise, zu verstehen schien.

Victoria Rosheen wurde unaufhaltsam älter und kam schließlich auf die Universität. Es war eine der besten auf Terra, mit angeschlossenem Wohnheim für Studenten, das immer noch zu Recht berühmte MIT, das Massachusetts Institute of Technology. Zugleich besuchte Sie in Boston auch viele humanistische Vorlesungen, einfach zur Entspannung, wie sie immer wieder betonte. Hier wurde sie der Schrecken der meisten Professoren, denen sie mehr als einmal mit durchaus fundierten, aber immer unkonventionellen Argumenten widersprach. Und nicht immer, aber doch manchmal sogar Recht behielt. Die Philologen und Historiker liebten ihren querdenkerischen Ansatz, die Naturwissenschaftler hätten sie gerne in Acht und Bann getan. Trotz dieser Kontroversen kam es nie zu schlechten Benotungen, ein Umstand, den die junge Dame mit „Wer sollte es auch schon wagen, Rhodans Tochter eine schlechte Zensur zu geben?“ kommentierte und abtat. Ab einem Alter von fünfzehn Jahren begann sie sich etwas von ihrer Umwelt und der Familie zurück zu ziehen, typisch für pubertierende Teenager, ab dem Beginn des Studiums sollte sich der Trend verstärken. Die Kommilitonen waren alle hinter ihr her, sie war zu einer exotischen Schönheit herangewachsen, doch niemand konnte sich rühmen, diese Festung erobert zu haben. Der einzige, der es zu Recht hätte behaupten können, schwieg eisern. Es hätte wahrscheinlich auch niemand geglaubt, dass ein derart schönes Mädchen wie Victoria Rosheen jemals einen Jungen wie Gunnar Gunnarson IV erhören könnte.

Im Alter von 22, knapp vor ihrem Magisterium, verschwand Victoria Rosheen Marba Katharina spurlos. In den Jahren vor und nach ihrem Verschwinden hatten Dutzende kleiner, aber sehr praktischer Gegenstände den Markt erobert. Ein besserer Dosenöffner, ein Kaffeeautomat, bei dem der Kaffee auch nach längerer Zeit das Aroma behielt, da eine Verbesserung, dort eine Erleichterung. Auch in der Metallverarbeitung wurden neue Verfahren eingeführt, flexibler und doch haltbarer wurde der Klarstahl, und meterdicke Platten wirkten optisch wie dünne Glasscheiben. Niemand brachte Victoria Rosheen dalRhodan oder Gunnar Gunnarson IV. mit diesen Dingen in Verbindung. Wie auch?

*

5. Mai 2057, 21:05, Boston, Massachusetts, Terra, Vor der Villa von Gunnar Gunnarson III, Teilhaber von Gunnarson & Gunnarson, Anwälte in dritter Generation.

„Psst!“
„Hier!“
Hektisch geflüstert, zwei junge Menschen suchten und fanden sich in der Dunkelheit. Sie weißblond, groß, keckes Näschen, aparte Figur, er untersetzt, mittelblond, mittelmäßiges Gesicht, das dunkelblonde Haar trotz seiner Jugend bereits schütter.
„Hast Du alles?“, fragte sie leise. Der Junge nickte und wies einen Datenstick vor. „Gehen wir“, flüsterte das Mädchen. Beide huschten die Auffahrt hinab, die plötzlich strahlend hell erleuchtet wurde, ehe das Paar das Grundstück verlassen konnte. Ein Mann schlenderte auf die Erstarrten zu.
„Miss dalRhodan, ich möchte Sie und meinen Sohn in mein Büro bitten. Jetzt gleich, bitte!“

Das Büro in der Villa war klein und heimelig, anders als jenes in der Stadt, wo normalerweise die Klienten verkehrten. „Danke, Miss dalRhodan. Bitte nehmen sie doch Platz.“ Gunnar Gunnarson III. wies auf einen der Stühle. „Ich möchte mit Ihnen – und meinem Sohn – einiges besprechen. Vorher aber, teilen Sie die Vorliebe ihres Vater für billigen, amerikanischen Whisky oder darf ich Ihnen etwas anderes anbieten? Der Merlot hätte genau die richtige Temperatur.“ Victoria akzeptierte mit einem Lächeln ein Glas Rotwein, er war tatsächlich perfekt. „Miss dalRhodan, ich kenne zumindest in Ansätzen Ihren und meines Sprössling Plan. Nein, er hat nichts gesagt, das muss er auch nicht. Er KANN keine Geheimnisse vor mir haben, besonders wenn er derart lautstark in meinem Büro herumwerkt. Sehen Sie, ich bin latenter Telepath. Bei Verwandten und anderen Leuten, mit denen ich in engster Beziehung stehe.“ Gunnar IV wurde plötzlich blutrot im Gesicht, sein Vater lächelte. „Ich werde nichts ausplaudern, mein Sohn, das habe ich noch nie! Und es gibt nichts, dessen Du Dich schämen müsstest.“ Wieder wandte er sich an Victoria. „Miss dalRhodan, als Sie mein Sohn vor nunmehr fast vier Jahren durch diese Tür gezerrt und gebrüllt hatte, sie besäßen eine patentreife Erfindung, die Millionen wert sein könnte, hielt ich ihn für einen Idioten mit mehr Hormonen als Gehirnzellen. Meine Gabe hat mich vom Gegenteil überzeugt. Die, und ein Techniker, der gesagt hat, in richtigen Händen sei das Verfahren tatsächlich wertvoll. Seit damals vertritt meine Kanzlei ihre Interessen mit absoluter Diskretion. Ist das so?“ Victoria nickte, bat den Mann mit einer Geste, weiter zu sprechen. Der griff in ein Kästchen, holte eine Zigarre heraus und begann, sie zwischen seinen kräftigen Fingern zu rollen. Die junge Frau kannte dieses Ritual bereits und fasste sich in Geduld. Wenn Sie Vater und Sohn nebeneinander betrachtete, wurde ihr klar, wie ihr Partner einmal aussehen würde. Sie beschloss, Gunnar IV zu überreden, sich den Haarkranz abzurasieren, wenn er die Haarmenge, besser gesagt, den Mangel an Haaren, seines Vaters erreichte. Bei aller Sympathie, lange Haare und Glatze passten einfach nicht zusammen. „Ich kann Sie verstehen. Es gab eine Zeit, da wollte ich unbedingt Pilot werden. Nun, mit meinen Augen – es war unmöglich. Dann wollte ich mich bei Rhodans Mutanten bewerben. Zu wenig Bandbreite bei meiner Gabe. Was nützt ein Telepath, der nur die eigene Familie hört? Worauf ich hinaus will, ich verstehe Sie voll und ganz, und ich kann auch verstehen, dass mein Sohn nicht Anwalt, sondern Physiker sein will. Nun, Sie können, wie Sie es vorhatten, einfach verschwinden und mit den Codes auf diesem Stick jederzeit anonym auf Ihr Vermögen zugreifen. Hätten Sie gefragt, wäre das Ergebnis das Gleiche. Es ist schließlich IHR Geld. Ich wollte nur nicht, dass mein Sohn mit einem schlechten Gewissen belastet ein neues Leben beginnt. Doch weiter! Diese Version wäre finanziell ein schönes Geschenk für mich, die Lizenzgebühren laufen ja weiter über mein Konto, Sie müssten sich also mit den bisherig eingelangten Geldern begnügen. Wenn Ihnen Ihre absolute Anonymität das Wert ist, bitte. Ich kann es bis zu einem bestimmten Grad verstehen.“ Er knipste die Spitze der Zigarre ab, entzündete ein langes Streichholz. Dann wartete er, bis der Kopf völlig verbrannt war und paffte, bis das Ende der Havanna in Glut stand.

„Hmm…“ genüsslich blies Gunnar Gunnarson III den Rauch von sich. „So! Oder aber, Miss dalRhodan, Sie beschließen, mir weiterhin Vertrauen zu schenken. Darf ich Ihr Glas nachfüllen?“ Victoria akzeptierte, drehte das Glas in der Hand, beobachtete das Kreisen der rubinfarbenen Flüssigkeit. Dann hob Sie den Blick, um Gunnarson direkt in die Augen zu blicken. Wieder wirkten die stahlgrauen Augen wie Laserstrahlen. „Ich sollte erwähnen, auch als begrenzter Telepath sind meine Gedanken für Mutanten nicht lesbar, auch Hypnose wirkt nicht!“
Ein strahlendes Lächeln flog über Victorias Gesicht. „Mister Gunnarson, Ihre Geschäftsbeziehungen zu Victoria dalRhodan enden hier und jetzt. Endgültig. Ich bin allerdings ganz sicher, dass Sie bald einen neuen Kunden haben werden, der Ihre Diskretion zu würdigen weiß.“
Der Anwalt nickte. „Ich bin um vieles älter, ich darf also anbieten, dass Sie mich Gunnar nennen, und ich Sie Victoria.“ Er hielt der jungen Frau die Rechte hin, die sie sofort ergriff.
„Bitte, nicht Victoria. Vielleicht… Tana?“
„Die mit den Hunden jagende Mondgöttin der Etrusker. Eine – passende Wahl.“ Tana warf ihrem alten und neuen Anwalt einen erstaunten Blick zu, der lachte laut. „Ein Steckenpferd, damit ich über den Akten nicht komplett verrotte.“
„Dann, Gunnar, Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan wird sich nun verabschieden. Tana Starlight wird sicher gerne auf Sie zukommen.“

*

Galacto-City Sommer 2068

„Hast‘ schon g‘hört? Es gibt ein‘ neuen Juwelier.“
„Ja und? Wie heißt er denn?“
„Starlight Jewels. Die haben diesen wunderbaren Stein. Schau nur!“
„Oh der leuchtet im Dunkeln! Wahnsinn, ist der schön!“
„JA! Neulich in der Oper musst‘ ich ihn während der Vorstellung verdecken, so hat er g‘funkelt! Der Ordner ist ganz aufgeregt g‘kommen und hat g‘beten, dass i was drüber leg‘!“

„Hast Du schon die neue Neuronik gesehen? Halb so schwer, aber die doppelte Leistung. Und das Design erst. Äh, Starlight Electronics!“

„Hast Du schon das neue Kleid von Rita gesehen? Wechselt dauernd die Farbe. Und der Schnitt erst!“
„Ja natürlich. Ich find‘ ja nur, `s macht ihr ein‘ echt riesigen Ah… Hintern.“
„Ja, aber Rita hat auch an Riesigen. Also Ah – Hintern! Aber mit der richtigen Figur wär’s a Traum! Ich hab’s aber nirgends bekommen. Rita hat gesagt, sie hat’s von Starlights. Dort haben sie aber gesagt, es ist a Unikat! Keine Chance, ich hab’ soviel Geld geboten, sie haben ‚Nein‘ gesagt. Haben mir dann aber ein anderes verkauft. Auch total teuer, dafür aber auch ein Unikat!“

„Hier, riech‘ doch mal. Starlights Drogerie!“

„He, was für ein steiler Gleiter. Was ist das für eine Marke?“
„Starlight!“

„Die neue Space Opera von Starlight Pictures is a Wahnsinn! Diese Special Effects! Das haut dich glatt aus den Patschen!“

Spätestens im Jahre 70 war der Name Starlight in jedermanns Munde. Jeder wusste, dass er für höchste Ansprüche, exquisite Qualität und teure, aber einigermaßen moderate Preise stand. Niemand wusste allerdings, wer hinter dem Namen stand. Miss Starlight hatte kein Gesicht…
Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan wurde in diesem Jahr 35. Wo immer in der Galaxis sie sein mochte …

*

Farnhams Stern, Dezember 2071, An Bord der ORION

„Gunnie! Wach auf!“ Gunnar Gunnarson räkelte sich gemütlich, ehe er die Augen öffnete.
„Was ist denn los, meine Göttin?“
Tana Starlight küsste ihn zärtlich auf den kahlen Kopf. „Nicht viel, Gunnie. Wir erreichen nur bald die neue Basis. Es hat lange gedauert, aber jetzt ist sie endlich fertig!“
Jetzt wurde auch der untersetzte Mann aktiv. „Heureka!“
„Nein, Liebling, HEPHAISTOS!“ Beide lachten.
„Warst Du schon duschen?“, schnupperte Gunnar. „Du riechst so gut.“
„Pure, unverfälschte Frau“, versicherte sie ihm.
„Oh!“ Er schluckte trocken. „Schade, dass wir keine Zeit haben!“
„Ich sehe, dass Du es schade findest. Aber dafür, mein Lieber, werden wir zwei immer Zeit genug haben….“

Wenig später brach der luxuriös eingerichtete, etwa 150 Meter durchmessende und 20 Meter hohe Diskusraumer aus der künstlichen Wurmlochblase und nahm Kurs auf den vierten Planeten, einer winzigen Welt ohne nennenswerter Atmosphäre. Die Passagiere an Bord des Schiffes waren vorab bereits informiert und versammelten sich zum vorgegebenen Zeitpunkt im Salon. Ringsum wurden Hände geschüttelt, Küsschen gegeben, umarmt. Mehr oder weniger leise Gespräche klangen auf.
„Ich möcht‘ nur zu gern‘ wissen, warum unser Schiff so a strenge Diskusform hat.“ Der leicht näselnder Dialekt einer molligen Blondine.
„Ach Schätzchen, weil unsere oberste Chefin auf die uralt Schwarzweiß TV Serie steht. Darum heißt es auch ORION!“ Der Mann zupfte seine Haarmähne in Form. „Wie ich wieder aussehe! Ich werde froh sein, wenn ich zu Hause bin!“
„Du siehst doch ohnehin gut aus, Maurice!“ Ein kurz angebundener, bärbeissiger Bass.
„Danke, mein Hübscher! Küsschen!“
„Froh, endlich anfangen können. Nervend, Labore mit geringem Sicherheitsstatus.“ Der telegrammartige Stil des Mathelogikers war den Kollegen bekannt. Die Stimmung im Entwicklungs- und Forschungsteam war hervorragend, man beglückwünschte sich, Teil von etwas Großem zu sein, das noch größer werden sollte. Und jeder hatte schlechte Erfahrungen mit engstirnigen Professoren gemacht, ihre Ansichten und Theorien waren auf taube Ohren gestoßen, Techniker und Assistenten waren froh, einen derart gut bezahlten Posten ergattert zu haben. Auch wenn dieser Einschränkungen mit sich brachte. Fünf Jahre lief der Vertrag, fünf Jahre sollten sie die Station, welche nun angeflogen wurde, nicht verlassen. Die Frauen und Männer waren gespannt auf ihre neue Heimat.

„Meine Damen und Herren! Liebe Freunde!“ Tana Starlight stand mit Gunnar Gunnarson auf einer Galerie, konnte jeden sehen und von jedem gesehen werden. Ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre sinnlichen Lippen. „Sie alle wissen, was jetzt kommt. Eine endlose Rede, in der ich betone, wie sehr ich das Engagement der Gruppe und jedes Einzelnen schätze. Wie schön und gut und fruchtbar unsere Zusammenarbeit bla bla bla …! Nein, weil ‚Kürze des Witzes Würze ist, halt ich mich kurz‘. Willkommen, das Buffet ist eröffnet. Wenn jemand Fragen hat, ich habe ein Büro und stets offene Ohren! PROST!“

Stahlblenden schoben sich zur Seite, gaben den Blick durch Klarstahl auf das grandiose Panorama wieder. „Dort!“ Es klang ein lauter Ruf auf, wurde von Mund zu Ohr weitergegeben. Die ORION näherte sich jetzt rasant einem Lichtpunkt, der größer und größer wurde, er wurde zu einer flache Scheibe von etwa zweieinhalb Kilometer Durchmesser und einer Höhe von vielleicht fünfhundert Metern, am Rand regelmäßig verteilt sechs zylindrische Türme, wie die Zacken einer Krone. Die Yacht überflog die Scheibe, näherte sich vom Planeten her dem künstlichen Satelliten. Eine dicke Scheibe aus Klarstahl, durchbrochen von filigran wirkenden Streben, gab den Blick auf eine riesige Parkanlage frei, welcher beinahe die gesamte Oberfläche einnahm. Sogar ein kleiner Schwimmteich war angelegt worden, er ragte mit einer Kuppel ein wenig über den Rand hinaus. Die Aussicht beim Schwimmen musste dort grandios sein, ebenso die von den anderen Kuppeln, in welchen Tische, Stühle und Bars zum Verweilen einluden. Tanas Stimme klang wieder aus dem Lautsprecher. „Freunde, das ist unsere neue Heimat. Die HEPHAISTOS!“ Applaus, Verbeugung, Abgang, Vorhang!

*

Tana Starlight marschierte hüftschwingend mit einem Team Techniker im Schlepptau durch die HEPHAISTOS, ihre kupferrote lange Mähne wehte hinter ihr her, das Übergabeteam der Hersteller lief schwitzend mit. Aus der Bodenschleuse der ORION schlängelte sich bereits ein dickes, blutrotes Kabel zu einer vorbereiteten Steckverbindung, überall wo das Übernahmeteam vorbei kam, wurden kleine Kästchen in Schlitze gesteckt, Verbindungen getrennt, neue hergestellt. Absonderlichkeiten in der Konstruktion ergaben plötzlich einen Sinn, ins Leere führende Kabel erfüllten eine Funktion. Kontrolllämpchen und Bildschirme nahmen ihre Funktionen auf, Gänge erhellten sich, das vorerst nur leise Summen der Energieerzeugung wurde zu einem tosenden Geräusch, das aber glücklicherweise nur im Maschinenraum zu hören war. Langsam, im Inneren nicht spürbar, nahm die HEPHAISTOS Fahrt auf, entfernte sich vom Zentralgestirn. Aus der Sprechanlage kamen Meldungen, welche Tana vom nächsten Com-Punkt bestätigte.
„Kapitän Hašek an Chefin. Ruder bereit!“
„Navigator Krause, Nav bereit.“
„Kommunikationsoffizier Montroy, Com bereit.“
„LI Wu, Maschine bereit!“
„Transitationsdämpfer bereit!“
„Schwingungsdämpfer bereit!“

„Hoffentlich funktioniert dein Geniestreich gleich auf’s erste mal, mein Schatz!“ Tana lächelte Gunnar an, leichte Röte in ihrem Gesicht verriet ihre Aufregung.
Der Mann lächelte zurück. „Die Theorie stimmt auf die letzte Stelle. Das kleine Aggregat auf der ORION hat funktioniert. Warum sollte der große Bruder nicht?“
„Natürlich! Verzeih meinen Zweifel, ich bin ganz einfach nervös!“ Sie küsste sein Ohr, flüstere ihre Entschuldigung.
„Meine Herren”, wandte sie sich lauter ans Übergabeteam, „Ich bin zufrieden. Es ist Zeit, uns zu verlassen!“ Rasch setzte Tana Starlight ihre Paraphe unter die Formulare, bestätigte mit dem Neuronik-Siegel und überreichte eine Überweisungsbestätigung. „Bitte, meine Herren. Begeben Sie sich in ihr Raumschiff, wir werden dieses System umgehend verlassen.“
Ein Techniker des Herstellers wurde bleich. „Sie wollen mit diesem Monster einen Hypersprung machen? Unmöglich!“
„Meine Herren! Colonel Pears wird Sie zu Ihrem Schiff begleiten. Ich darf mich entschuldigen.“ Eiligen Schrittes entfernte Sie sich, sie wollte den Sprung im Kontrollraum miterleben.
„Chefin!” Mehr sagte der junge Kapitän der HEPHAISTOS nicht, konzentrierte sich auf seine Aufgaben. Eine ‚alle Systeme klar zu Sprung‘ – Meldung nach der anderen traf ein, ein gelbes Licht nach dem anderen wurde grün. „Alle Systeme klar“, bestätigte endlich die XO, eine große Asiatin.
„Sprung!“, befahl Hašek laut.

Auf dem Schiff der Übergabecrew sahen Besatzung und Passagiere nur noch ein leichtes Aufblitzen, und die HEPHAISTOS war verschwunden.
„Wo sind die hin?“ Der Kommandant der TWC 546 blickte ratlos seine Crew an. „Hyperorter?“
„Keine Erschütterung auf den Instrumenten. Das Riesending kann sich doch nicht in Vakuum aufgelöst haben!“
„Materieortung?“
„Nix, nada, null!“
Der Chef der Übergabecrew begann zu lachen. „Meine Damen und Herren, von Tana Starlight werden wir noch hören. Glauben Sie mir, sie hat sicher noch einige Überraschungen in der Hinterhand.“
Einer der Techniker nickte. „Wir sollten Allan Mercant benachrichtigen, dass in der HEPHAISTOS unbekannte Technik eingebaut ist. So groß, wie das Ding ist, ein Überraschungsschlag und Terra …!“
„Will ich gar nicht hören! Trotzdem – Kommunikationsoffizier! Spruch Galacto-City, zu Händen Allan D. Mercant. Schildern Sie die Station und wie diese Station verschwunden ist. Sofort!“

HEPHAISTOS

Dezember 2071, Galacto City, Terra, Büro des Sicherheitsrates der General Cosmic Company

Protokoll einer außerordentlichen Besprechung.

Anwesend: Perry Rhodan, Thora dalRhodan, Reginald Bull, Crest daZoltral, Allan D. Mercant, John Marschall, Homer G. Adams, Julian Tifflor, Atlan daGonozal,
Jennifer Lawrence führt das Protokoll.
Agenda: Starlight Enterprises

Mercant: „Mrs. dalRhodan, meine Herren. Ich danke für Ihr rasches Erscheinen. Wir müssen uns über die Starlight Enterprises unterhalten.“
Bull: „Was zum Teufel kann an einem Luxuströdler gefährlich für uns sein? Befürchten Sie Spionage? Verkauf von militärischen Geheimnissen? Oh, vielleicht Schmuggel? Rauschgift?“
Mercant: „Wäre alles nicht unmöglich, glaube ich aber nicht wirklich. Lassen Sie mich kurz zusammen fassen, was Sie in ihren Dossiers ausführlich finden. Seit 2068 macht eine Firma namens Starlight Enterprises von sich reden. Sie verkauft teure, leicht zu transportierende Luxusgüter aus der bekannten Galaxis, vorwiegend aus dem Arkon–Imperium, und sie drehen Filme, die Kassenschlager werden. Ein wenig kitschig, aber mit durchaus positiver Tendenz für eine friedliche Koexistenz aller Menschen, über alle Hautfarben hinweg. Ihre Geschäfte lassen sich – zumindest offiziell – auf Terra zu einem Anwaltsbüro Gunnarson & Gunnarson zurück verfolgen, der Ihre Interessen vertritt und sich auf anwaltliche Schweigepflicht beruft. Ein Mutantenverhör ist sinnlos, er ist immun. Juristisch gesehen ist ihm und der von ihm vertretenen Firma ebenfalls nicht beizukommen. Den offiziellen Papieren nach ist die Firma eine Gründung von Miss Tana Starlight und Gunnar Gunnarson IV, Sohn des Anwalts. Übrigens erhält die Gesellschaft eine Menge Geld von – Mister Homer G. Adams!
Adams: „Was? Wovon reden Sie? Das wüsste ich aber!“
Mercant: „Doch! Sie bezahlen jedes Jahr einige – Moment, es sind – 472 Millionen allein an Lizenzgebühren für die Herstellung von durchsichtigem Terkonit Alpha, vulgo Klarstahl, und das Vorkaufsrecht auf die Beta-Version. Dieses Geld geht an Tana Starlight. Diese Lizenzgebühren hier für Verbesserungen an Geräten aller Art zahlt die GCC ebenfalls alljährlich an Starlight oder Gunnarson. Im Summe nochmals 20 Millionen.
Adams: „Ich möchte sagen, diese 592 Millionen ersparen uns nicht nur ein Vielfaches, das Produkt ist auch unverzichtbar geworden, nicht nur für die Raumfahrt. Es hat uns auch bei dem Aufbau der Mondbasis gute Dienste geleistet. Die 592 Millionen jährlich sind mehr als gut investiert.
Mercant: „Allan, niemand, auch ich nicht, macht Ihnen Vorwürfe! Starlights macht Milliardengewinne – nur die GCC kann sie noch schlagen – und zahlt jeden verdammten Cent der auf Terra anfallenden Steuern! Und schreibt auch jeden möglichen Cent ab. Von den Springer-Sippen dürfte sie als so etwas wie eine Nahtstelle zwischen ihnen und uns anerkannt werden, jedenfalls wird sie in Ruhe gelassen. Der Sohn der Hemghat-Sippe dürfte irgendwie eine Rolle spielen, seine Sippe dürfte ebenfalls investiert habe. Nähere Informationen stehen derzeit nicht zur Verfügung, trotz intensiver Bemühungen seitens der Sicherheitsabteilung. Tut mir leid.“
Rhodan: „Schon gut, Allan. Ich muss aber Bully beipflichten. Wenn nichts anderes ist, halte ich die Firma nicht gerade für einen Fall, der diesen Rat betrifft. Waren aus dem Arkon-Imperium landen bei uns, unsere Waren gehen nach Arkon. Ich nehme an, die terranische Wirtschaft wird sich an dieser ‚Nahtstelle‘ nicht stören.“
Bull: „Nein, nein, Perry! Wenn diese Rotbärte beteiligt sind, sollten, nein, müssen wir misstrauisch werden.“
Mercant: „Geduld bitte, es geht weiter. Wir haben natürlich mit der Sammlung von Informationen begonnen, sobald die Firma eine bestimmte Größe überschritt. Von beinahe Anfang an bekamen wir aus der Führungsetage, vielleicht von Starlight oder Gunnarson selbst, Informationen, den Drogen- und Menschenhandel betreffend. Es konnten vier Drogenkartelle und sechs Menschenhändlerringe ausgehoben werden.
Thora: „Klingt nicht nach bösen Machenschaften!“
Mercant: „Nein, Mrs Thora. Bisher war die Starlight Enterprises mein kleinstes Problem. Ich war neugierig und erstaunt, aber ohne Sorgen. Starlights scheint gesetzestreu und – zumindest in den üblichen Grenzen – ehrlich zu sein. Als Dank für die Informationen haben wir bei Kleinigkeiten auch mal ein Auge zugedrückt. Es war nie ein Problem für die Solare Sicherheit dabei. Bis jetzt. Tana Starlight und eine unbekannte Anzahl Menschen, Arkoniden, Aras und sonstige Kolonialarkoniden sind an Bord einer riesigen Raumstation gegangen, haben diese in Bewegung gesetzt und sind, ohne von den Geräten des Werftkreuzers registriert zu werden, mit unbekanntem Ziel transitiert.
Tifflor: „Ist schon etwas über die Personen an Bord bekannt?“
Mercant: „Von der Erde sind etwa 30 Hyper- Quanten- Meta- und was weiß ich noch was -Physiker verschwunden, einige Neuroniker und Mathelogiker. Allesamt mit guter Ausbildung, aber wirre Köpfe mit seltsamen Ideen. Dazu technisches Personal, Köche, Friseure, Gastronomen,… Querbeet, was man so im Alltag braucht.
Atlan: „Die Firma verfügt über eine Flotte?“
Mercant: „Sie verfügt über ein flaches Diskusschiff in der Größe von etwa 180 m im Durchesser, Höhe etwa 25. Drei Spitzen unbekannter Funktion. Die ORION.
Atlan: (lacht lauthals). Ein Nachbau aus einer alten Fernsehserie! Hat die keiner außer mir gesehen? Ich glaube, die drei Spitzen sind rein optischer Effekt. Weil das Original so ausgesehen hat.
Mercant: „Notiert, Admiral. Ihr Schwesterschiff, die HYDRA. Eine ähnliche Konstruktion, klein, aber schnell und wendig, etwa 70 auf 10 Meter, Sie wird MILLENNIUM FALCON genannt. Zwei Springerwalzen, 250 Meter Klasse, ein arkonidischer Transporter, typische Kugelform, 350 Meter. Alle mehrmals inspiziert, außer einer überdimensionierten Neuronik nicht einmal im erlaubten Rahmen bewaffnet, dafür aber sehr gute Schilde. Und jetzt gibt es die HEPHAISTOS! 2.500 Meter im Durchmesser! 500 Meter hoch! Im Kreis verteilt sechs, man kann fast sagen 550 Meter lange Springerschiffe! Das Ding ist gewaltig! Können Sie sich vorstellen, meine Herren, sechs schwere Springerschiffe, die ohne Strukturerschütterung im Sol–System auftauchen? Mir bricht der Schweiß aus.
Adams: „Mit Verlaub, ich halte die Schilderung dieser Plattform für übertrieben. Ich habe, Sie werden es mir zugestehen, einen gewissen Überblick, die Kosten eines Raumfahrzeuges betreffend. Es ist unmöglich, auch mit den Umsätzen und Lizenzgebühren, eine solche Konstruktion in Auftrag zu geben und auch noch auszurüsten. Völlig unmöglich.
Mercant: „Und doch geschehen. Wollen Sie unbewiesene Gerüchte? Sie hat der terranischen Werft, die den Innenausbau übernommen und einen Teil der Maschinenanlage eingebaut hat, exklusiv einen Roboter angeboten. Diese Maschine senkt die Kosten eines Raumschiffbaus um etwa die HÄLFTE! Sie benützt den gleichen Trick, den Homer ganz am Anfang eingesetzt hat. Sie bekommt Leistung gegen revolutionäre Technik!“
Bull: „Verdammt, verflucht und zugenäht! Wir hatten Arkontechnik in Konkurrenz zur eigenen. Die war um Lichtjahre voraus! Und wir hatten Homer!“
Adams: Starlight hat drei Dutzend verlachte und verachtete Wissenschaftler. Wenn nur zwei oder drei das Genie sind, das Sie glauben zu sein, dann… Und hat nicht vor gar nicht langer Zeit jemand bewiesen, dass arkonidische Wissenschaft nicht nur nicht unfehlbar, sondern bewusst sabotiert ist? Entschuldige, Crest, aber wenn Du über den Schatten des Dogmas springen konntest, warum nicht ein junger Arkonide mit mehr als seltsamen Hologramm- oder Simultanspielen im Kopf?“
Tifflor: „Mag sein, dass die terranische Wirtschaft an sich profitieren kann. Aber wir haben, wenn die Roboter die Firmen überschwemmen, eine riesige Anzahl von Arbeitslosen. Das könnte doch destabilisierend wirken. Da hätten wir die Gefahr.
Adams: „Könnte. Wird nicht. Nicht so schnell. Starlight hat keine Maschinen geliefert, nur einen Prototyp und die Pläne. Und wissen Sie, was die Firma, in Absprache mit Starlight, plant? Sie werden es nicht glauben! Als erstes haben sie umfangreiche Schürflizenzen im Asteroidengürtel erworben und zweitens – Terraforming der Venus!
Rhodan: „Und jetzt? Was schlägst Du vor? Verhaften wir alle Starlight-Angestellten auf der Erde? Mutantenverhör? Mobilmachung? Ich habe noch nicht gehört, dass sie in illegale Unternehmen verwickelt sind!“
Mercant: „Illegal nicht, aber Besorgnis erregend. Im Moment können wir nur beobachten und auf der Hut sein! Ich werde Sie auf dem Laufenden halten. Mrs Thora, meine Herren!“

*

April 2072, Hoghans Stern, An Bord der HEPHAISTOS.

Vor einem großen, dreiteiligen Spiegel stand Tana Starlight und betrachtete ihre Gestik und ihre Mimik. Sie brachte ihr Gesicht knapp vor den Spiegel und schnitt Grimassen, ging hüftschwingend vor und zurück.
„Dezenter, Tana! Du gehst wie eine Hure, die einen Freier sucht!“ Maurice, sonst ganz Gentleman alter Schule, gebrauchte die derbe Sprache wie ein Schwert. Tana zuckte zusammen.
„Beherrschung, Liebling“ Gunnar Gunnarson IV lehnte an einem schweren Schreibtisch. Starlights Schreibtisch. „Nicht zusammenzucken. Du wirst noch Schlimmeres zu sehen und zu hören bekommen.“
Tana wischte sich den Schweiß mit einem Taschentuch vom bloßen Oberkörper. „Da habe ich keinen Faden am Leibe außer diesen verdammten Stilettos, und trotzdem komme ich mehr ins Schwitzen als ihr in normaler Kleidung! Wenn das nicht unfair ist!“
„Nicht jammern, meine Dame! Nochmal, und dieses Mal bitte erotisch, nicht nuttig!“ Maurice, ein alternder Schauspieler, machte eine einladende Geste. Ein derber Fluch war die Antwort. „Bitte, Tana. Schau einmal diese Filmszene an. Mireille Darc geht hier mit diesem wahnsinnigen Rückendecolletee. Siehst Du, wie graziös ihre Hüften schwingen? Und hier, die göttliche Deneuve! Hier Isabelle Huppert! Du musst diese französischen Stars studieren! Sie sind um vieles sparsamer in ihrer Gestik und Mimik, im Vergleich zu den amerikanischen. Ein winziges Heben der Augenbraue, ein Zucken im Mundwinkel, alles ist gesagt!“ Das Summen eines Kommunikators unterbrach die Übungen.
„Ja?“ Gunnar übernahm das Gespräch. „Ich komme gleich“ und zu Tana „Gespräch von der Erde. Die Kanzlei meines Vaters. Sehe Dich am Abend!“
„Tana, einmal noch auf und ab. Und immer an Madame Darc denken! Dann sollten wir aber unter die Dusche gehen! Genial! Das war der Blick, das war das Lächeln! Schenke es mir noch einmal, dann unter die Dusche mit Dir!“

*

„Dein 17:20 Termin, Tana.“ Inez Malrosa öffnete die Tür. „Oder besser gesagt, deine Termine.“ Olivfarbene Haut, schwarzes Haar, kerzengerade Haltung, Senhorita Inez war ein Musterbeispiel, dass äußerste Exaktheit und Schönheit durchaus in Einklang zu bringen waren. Eine Frau und vier Männer betraten das Arbeitszimmer Tana Starlights.
„Ach, TingTing, meine Herren! Wie sieht es aus?“
Vorsichtig legte TingTing Wang eine durchsichtige Plastikplatte auf den Tisch. „Das, Tana, ist der neueste Prozessor. Echte Picotronic, nicht diese Behelfe, mit denen wir bisher gearbeitet haben.“
Victoria betrachtete misstrauisch das Plättchen, etwa ein Viertel einer alten Scheckkarte groß. „Hmm.“
Josef Prohaska lachte. „Fräulein Tana, das Plastik ist nur, dass wir’s transportieren können. Der Prozessor selbst ist das kleine Punkterl in der Mitte.“
Levi Rosenblum griff in die Tasche. „Ne Lupe, Boss? Wir bringen auf dem Kärtchen 12 Prozessoren unter. Jeder von denen ersetzt einen Rechner von der Größe einer durchschnittlichen Bordneuronik. Den Arbeitsspeicher haben wir schon miniaturisiert, jetzt haben wir’s geschafft. Eine Schiffsneuronik im Scheckkartenformat. Virtuelle Tastatur, virtueller Bildschirm. Fehlt nur noch das richtige Interface, dann können wir auch auf die Peripheriegeräte verzichten und den Computer implantieren. Direkte Gedankensteuerung! Wahnsinn, der Mensch wird allwissend wie Gott sein!“
„Wird er nicht, Hemutag sei dank.“ Der Arkonide Thopash hob beide Hände. „Erst einmal muss das Interesse da sein, etwas zu lernen. Einfach so weiß der Mensch selbst mit Implantat nicht alles. Ich würde sonst meine Mitarbeit verweigern.“
Quafar, der hagere Ara, lächelte hintergründig. „Es wäre aber ein interessantes Experiment, geballtes Wissen einfach so auf ein Individuum los zu lassen.“ Er legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander, „Ich fürchte allerdings, es könnte fatal enden. Letal fatal. Oder mit unheilbarem Wahnsinn verbunden. Aber – es wäre schon faszinierend zu sehen, wie lange ein durchschnittlicher Mensch, Springer oder Arkonide durchhält.“

*

Galacto City, Terra. März 2073, MEMO von Allan D. Mercant an Perry Rhodan

Alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Koordinaten der Erde mit der Vernichtung der Springerschiffe des überschweren Kampfverbandes tatsächlich nicht mehr bekannt sind, auch wurden diese von Starlight Enterprises den Springern scheinbar nicht kommuniziert. Derzeit scheinen keine großen Aktionen seitens der galaktischen Händler geplant zu sein, ich empfehle jedoch weiterhin höchste Vorsicht.

*

April 2073, Hoghans Stern

„Siehst Du, wie sie ihre Finger bewegt? Das ist Kunst. Sie lenkt die Aufmerksamkeit aller ganz bewusst auf die Finger ihrer linken Hand, unterstreicht mit dem, was sie sagt, das was sie mit der Hand ausdrücken möchte. Und jetzt, jetzt – hast Du’s gesehen? Wenn ich es Dir sage, und Du es trotzdem nicht bemerkst, was sagt uns das?“
„Dass ich noch verdammt viel zu lernen habe. Illusionist ist ein schwerer Job!“ Tana Starlight dehnte ihren schmerzenden Rücken, die ältere Frau ihr gegenüber lachte. „Ist auch Talent dabei. Aber für einen Amateur sind Sie nicht schlecht, Tana. Nicht für eine Bühne geeignet, aber sonst gut genug!“

*

„Miss Starlight“ Colonel Pears salutierte.
„Bitte, Colonel, nehmen Sie Platz.“
„Danke. Ich kann Ihnen melden, dass wir ein ganz brauchbares Einsatzteam am Start haben. Was mir nicht gefällt, ist die Bewaffnung der HEPHAISTOS. Die Schirme sind viel zu schwach, um einen geballten Angriff zu überstehen! Wenn Talamon oder ein anderer Überschwerer …“
Tanas Schultern zuckten. „Warum sollte er uns suchen? Noch bringt es den Springer-Sippen Vorteile, wenn wir für sie Handel mit Terra treiben. Und was wäre ihr Vorschlag, unsere Lage sicherer zu machen, Colonel?“
„Weiterhin strickte Geheimhaltung. Das System ist so durchschnittlich, wie es nur geht, nach einer Beschreibung findet uns niemand. Der Schwingungsdämpfer arbeitet, also kann man auch die Versorgungsflüge nicht verfolgen. Es sieht schon fast zu gut aus. Die Arkoniden sagen immer ‚wenn etwas perfekt funktioniert, ist das Versagen am nächsten‘. Und – Sie bezahlen mich immerhin fürstlich dafür, dass ich mir Sorgen mache.“

*

Dezember 2073, Galakto City, Terra.
MEMO
Von Allan D. Mercant
An Perry Rhodan

Hemghat Sippe benutzt neue Raumschiffe. Gleiche Größe, gleiche Stärke, aber etwa 20 % mehr Frachtraum. Außerdem scheinen die neuen Schiffe der Sippe ökonomischer betrieben zu werde. Ihre Unkosten sind um 15 % gesunken. Drei der neuen Schiffe unterwegs, zwei weitere in Bau!

*

Jänner 2074, Hoghans Stern

„Du musst darauf achten. Diese winzigen Veränderungen in der Mimik. Hier, Ekel. Das hier – der Mensch lügt. Befreiung, Entspannung, Erregung!“ Professor Rothman wechselte die interaktiven Bilder auf dem 3D – Schirm. „Kannst Du bemerken, wie dieser Muskel eine winzige Kontraktion aufweist? Stress! Dazu noch das Zucken mit der Braue, ganz klar, der Mann hat eben ein unschlagbares Blatt bekommen und versucht alles, um es zu verbergen. Der dort sieht eine nackte Frau, und er möchte eine Erektion verbergen. Achte auf die Pupillen, wie ganz kurz die Schultern zucken, das verlegene Abbrechen des Augenkontaktes. Diese Mimik und Gestik sieht beinahe genau so aus, aber Du musst den Unterschied erkennen. Mit einem Blick. Der Erste ist harmlos, der Zweite schlägt gleich zu!“
Tana Starlight studierte die Bilder, schaltete vor und zurück, versuchte sich an Deutungen neuer Bilder. „Ich muss es schaffen, ohne lange zu überlegen, den Ausdruck zu erkennen.“
Timothy Rothman nickte. „Wird noch viel Übung kosten, aber – sie könnten es schaffen?“
„Lesen Sie das in meinem Gesicht?“
„Nein, an Ihrer ganzen Haltung. Sie werden nicht aufgeben! Weiter!“

*

Senhora Inez meldete sich über die Kommunikationsanlage. „Tana? Silvia Morak, Leslie Myers, Sam Hanckock, Neill Smith und Quafar, der Ara wollen Sie sprechen.“
Tana Starlight winkte einladend in die Kamera. „Lass‘ sie rein, Inez! Danke.“ Die genannten Wissenschaftler betraten das Arbeitszimmer der Chefin.
„Also, was habt ihr für mich?“, fragte sie.
Leslie Myers stellte einen Sockel mit vier nach oben ragenden Zylinder, über die ein Stück Stoff bespannt war, auf den Tisch. „Voila!“
„Mhmm!“ Tana betrachtete die Anordnung von allen Seiten. „Was ist’s, das ich hier vor mir seh’? Außer, dass es eindeutig kein Dolch ist.“ Sie blickte in ratlose Gesichter. „Kommt schon, Leute! Macbeth? Shakespeare? Na schön. Also, was schau ich mir gerade an?“
Silvia schob einen Handschuh über den Tisch. „Bitte, Tana, zieh dir den an und sag mir, was du fühlst.“
Victoria dalRhodan nahm das Kleidungsstück und streifte es über die Rechte, rollte die lange Stulpe bis beinahe zum Ellenbogen, betrachtete ihre Hand, bewegte die Finger. „Fühlt sich gut an. Legt sich an die Hand wie eine zweite Haut, ohne dass man lange zupfen muss, bleibt auch gut in Form. Kommen lange Abendhandschuhe wieder in Mode?“
Leslie nahm eine Münze aus der Tasche, knallte sie auf den Tisch, ließ ihre Hand darauf liegen. Ein geheimnisvolles Lächeln überzog ihren breiten Mund, verschönte das sonst langweilige Gesicht ungemein. „Welche Münze? Kopf oder Adler?“
Tana sah ihre Freundin an, als zweifle sie an ihrem Geisteszustand. „Tasten, Tana, Taste einmal. Du willst unbedingt wissen, was unter meiner Hand liegt! Also probiere es doch.“
Victoria griff unter Leslies Hand, befühlte das runde Ding. Staunen malte sich auf ihr Gesicht. „Das ist eine alte Sonderprägung. Eine Zwei-Dollar-Münze, zum Start der rhodanschen Marsexpedition!“
Leslie zog Ihre Hand weg, tatsächlich. „Ein Erbstück!“
Tana ergriff die Münze und befühlte sie weiter. „Das ist phänomenal. Als wüsste der Stoff, was ich tun möchte. Als reagiere er auf meine Gedanken! Jetzt fühle ich nichts, jetzt… oh! Das, das ist ja ein wahrhaft sinnliches Vergnügen. Perfekt, ein dickes Lob. Eine Prämie wird an alle fällig, denke ich!“
„Noch lange nicht alles. Ist nur ein Nebenprodukt von dem, was wir suchten.“ Wie immer sprach Sam Hanckock eine einfache Sprache, verschluckte seiner Meinung nach unnötige Worte. Seine Hand wies auf die Versuchsanordnung. „Spielerei. Das wichtiger! Zusehen.“ Er holte ein Behältnis aus der Tasche, ergriff den Inhalt mit einem rasch übergestreiften OP-Handschuh und legte ihn auf den gespannten Stoff. „Entspricht in Zusammensetzung Scheisse. Schau! Stoff nimmt Gegenstand auf, umschließt ihn komplett. Beginnt mit der Zerlegung in Bestandteile wie H, O, und so, wichtiges recycelt, Rest in die Umgebung. Währenddessen reinigen kleine Flimmerhärchen vom Doc dort den Arsch von Rückständen, halten ihn schön sauber!“
Neill lächelte strahlend. „Funktioniert auch, wenn Du pinkeln musst, oder wenn Du schwitzt. Wir haben hier einen pseudointelligenten Stoff. Der Spaß mit dem Abtasten und dem Gefühl ist eine Zugabe, und man muss aufpassen. Wenn Sie starke Gefühle haben, kann der Stoff nach außen ziemlich starke Stromschläge austeilen.“
Tana betrachtete, wie die Verdickung im Stoff in der Versuchsanordnung langsam kleiner wurde. „Diesen Reinigungseffekt kann ich also ohne diesen Handschuh-Effekt haben?“
„Eigentlich ist der Stoff für Raumanzüge gedacht. Ohne Nervensteuerung – oder nur auf das Nötigste beschränkt, wie etwa Ausschaltung von lästigem Juckreiz. Das Tragegefühl ist angenehm, aber nicht zu vergleichen mit dem Handschuh. In dem sind ein paar picotronische Prozessoren und Sensoren mehr verlegt. Eigentlich war er nur zu Demonstrationszwecken gedacht.“
Tana betrachtete ihre behandschuhten Finger. „Und die Optik?“
Leslie zuckte mit den Achseln. „Wenn der Träger fäkalisiert, wird eine Beule sichtbar, bis alles abtransportiert ist. Vorne haben wir an verstärkten Stoff gedacht, damit es im Falle eines Falles für die Männer nicht peinlich ist.“
„Können Farbe und Accessoires programmiert werden? Ich möchte zwei! Mit der Handschuhfunktion. Über den ganzen Körper verteilt. Und versucht, noch einen möglichst unsichtbaren Schutzschirmgenerator zu kreieren. Vielleicht ein Gürtel mit Löwenkopf oder so. Gute Arbeit.“

*

Februar 2075, Galacto City,
MEMO
Von Homer G. Adams
An Perry Rhodan

Mehrere Firmen haben versucht, Starlight Enterprises Konkurrenz zu machen und Waren aus dem Arkon-Imperium zu importieren. Alle Versuche endeten in einer Insolvenz. Immer noch ist S. E. Alleinimporteuer und -exporteur, aller Handel mit dem Arkon-Imperium geht über diese Firma.

*

März 2075, Hoghans Stern

Des Abends genossen Tana und Gunnar ein vorzügliches Mal in einer der Kuppeln aus Klarstahl am Rand der HEPHAISTOS und beobachteten einen grandiosen Sonnenuntergang. Die Station befand sich im äußersten Ring eines Gasriesen ähnlich dem solaren Saturn, prachtvoll von seiner Sonne beschienen. Da die Entfernung von Hoghan IV zu seinem Stern bei weitem kleiner war als der Abstand zwischen Sonne und Saturn, war es ein prächtiges Spektakel, wenn die Sonne sich dem Planeten näherte, um hinter ihm zu verschwinden.

„Du wirkst bedrückt” Victoria dalRhodan legte ihre schmale Hand auf die großen Finger ihres Geliebten. Der atmete tief durch.
„Vicky, Du weißt, ich liebe Dich von Herzen. Ehrlich! Aber es gibt einige Probleme, die wir besprechen müssen. Zum Ersten Dad. Er ist alt geworden, möchte in die Rente, um noch etwas vom Leben zu habe. Mit siebzig Lenzen darf man das, auch wenn die Medizin große Fortschritte gemacht hat. Josh – du erinnerst dich an meinen jüngsten Bruder? – auf jeden Fall soll Josh die Kanzlei übernehmen.“
„Vertraust Du ihm?“ Vickys Zeigefinger klopfte auf seinen Handrücken.
„Er ist Anwalt! Niemals!“ Beide lachten, dann sprach Gunnar weiter. „Fall nicht aus der Rolle, Liebes. Diesen Tick mit dem Zeigefinger musst du in den Griff bekommen. Also! Josh ist ein guter Anwalt, und Dad hat aus allen Unterlagen den Namen dalRhodan entfernt. Dieses Geheimnis sollte sicher sein. Sonst sollten wir die Kanzlei weiter beschäftigen. Das Zweite ist schwieriger.“ Er senkte den Blick, unterbrach den Körperkontakt, indem er zu seinem Glas Griff und trank. Victoria lehnte sich zurück. „Vicky, ich verdanke dir verdammt viel, du hast mein Leben zum besten aller Möglichen gemacht. Aber – ich werde zur Erde fliegen, die nötigen Papiere für die Kanzlei mitnehmen, damit Josh die Firma weiter vertritt. Aber ich werde nicht zurück kommen.“
Victorias Gesicht gefror. „Warum?“
„Weil …” Gunnars Stimme brach beinahe. „Verdammt, Vicky, ich werde allmählich zu einem Klotz an Deinem Bein! Wir werden dieses Jahr 40! Du siehst noch genau so aus wie damals am MIT, aber schau mich an. Ich werde älter, viel schneller als du.“ Er flüsterte nur noch. „Und mein Ehrgeiz ist nicht groß genug, nicht so mächtig wie deiner. Ich werde eine Frau heiraten, die mehr an meinem Geld als an mir interessiert ist, einen Haufen Kinder in die Welt setzen und mein Vermögen verprassen! Bitte, sei mir nicht böse, ich schaffe das Tempo nicht mehr. Im Gegensatz zu dir KANN ich einen Herzinfarkt bekommen. Ich muss jeden Tag Tabletten gegen mein Magengeschwür nehmen, ich schlafe nur noch mit Schlafmitteln und der Sex? Du weißt selber, wie abgelenkt und beschäftigt du in letzter Zeit warst. Ich bin ausgebrannt, leer, und du voller Energie und Pläne.“ Er trank sein Glas leer und erhob sich. „Ich nehme mir ein Zimmer im Wohnheim für Junggesellen und nehme den nächsten Versorgungsflug. Ich….Lebe wohl, meine große Liebe.“
Victoria blickte von unten zu ihrem ältesten Freund und bisher einzigen Geliebten. Langsam quoll eine Träne aus ihrem Auge, ihre Stimme klang nach zugeschnürter Kehle. „Ich verstehe. Bitte, nimm für deinen Flug zur Erde die Hydra.“ Sie lächelte durch die Tränen. „Sie ist gemütlicher. Schönen Gruß an Kapitän van Dyke, er soll dich gut hinbringen und dann zurück kommen. Ich werde dich vermissen, aber … Nehmen wir jetzt und hier wirklich endgültig voneinander Abschied?“
„Ist wohl besser so!“
„Dann… dann bitte geh’ jetzt. Ich werde noch etwas hier sitzen bleiben. Lebe wohl!“
„Victoria, ich…!“
„Nein, bitte, lass mich allein. Es ist alles gesagt! Es wird nur schwerer.“

„Probleme, Miss Tana?“ Timothy Rothman glitt auf den Sessel ihr gegenüber. „Wenn es das ist, was ich zu beobachten glaube, dann sollten Sie seine Position verstehen. Er wird jetzt schon alt, sie werden noch 100 Jahre so schön bleiben. Das kann schon Komplexe machen.“
„Ihnen nicht, Professor?“
Rothman lächelte kurz. „Ich bin ein chauvinistisches, uraltes Ekel! Ich bin überheblich und präpotent! Für mich kann eine Frau, wenn sie einmal Volljährig ist, gar nicht jung genug sein.“
„Na dann, Professor…“ ein sinnliches Lächeln umspielte ihre vollen Lippen.
„So ein verdammtes Arschloch, dass ich Ihren emotionellen Ausnahmezustand schamlos ausnütze, bin ich denn doch nicht, Tana. Gehen Sie jetzt ins Bett! Allein!“

Philosophie und Metaphysik

Januar 2077, Galakto City, Terrania, Büro des GCC Sicherheitsrates

Protokoll einer Sitzung des Sicherheitsrates

Mercant: Thora, meine Herren! Danke für Ihren Besuch. Ich möchte die Informationen bezüglich der Starlight Enterprises ergänzen. Eines der Gründungsmitglieder, Gunnar Gunnarson IV, ist aus der Firma ausgestiegen und hat in Boston eine Villa gekauft. Sein Kontostand ist geradezu obszön hoch, trotzdem – es ist alles legal. Der Einsatz von telepathischen Mutanten hat die Koordinaten eines Systems ergeben. Wie erwartet war dort von der HEPHAISTOS allerdings keine Spur mehr zu finden. Wahrscheinlich hat die Station dieses System umgehend verlassen, nachdem die Hydra von Terra zurück geflogen ist. Leider ist es unseren Mutanten auch nicht gelungen, die Koordinaten aus den Gedanken der Besatzungen der Starlight-Schiffe zu erfahren. Sie wissen nur, dass die Koordinaten direkt aus dem Speicher in den Sprungrechner geladen werden, wenn sie einen bestimmten Code aufrufen. Ras Tschubai, der Teleporter hat einen Hyperpeilsender in der Hydra versteckt, leider ist bereits nach kurzer Zeit das Signal abgebrochen. Auch ein installierter und durch Teleportereinsatz wieder eingeholter ‚Trägheitskursschreiber’, wenn sie mir die Umschreibung erlauben, hat uns nur Unterlichtkurse gezeigt, leider konnten die Transitionen nicht mitverfolgt werden. Daher – wir haben immer noch keine Ahnung, wo sich Miss Starlight oder die HEPHAISTOS aufhalten. Es gibt noch etwas Interessantes. John Marschall hat versucht, über die Erinnerungen von Mr. Gunnarson ein Phantombild von Miss Starlight zu erstellen. Hier ist sein Ergebnis!“
Mercant zeigt verschiedene Bilder.
Bull: „DAS ist …“
Mercant: „Das ist Miss Starlight, und das, und das, das auch, und das!“
Rhodan: „Aber das ist doch diese Schauspielerin! Diese Französin!
Atlan: „Mireille Darc! Romy Schneider! Grace Kelly!“
Mercant: „Kompliment, Atlan. Das berühmte photographische Gedächtnis. Ja, es sind lauter sehr berühmte Schauspielerinnen. Fünfzehn, um genau zu sein. Da es aber keine dieser Damen sein kann…
Tifflor: „So viele schöne Frauen …. Gibt es irgendwo Übereinstimmungen im Knochenbau oder der Figur, der Größe, Gesichtsknochen. Da gibt es doch sicher Programme!
Mercant: Junger Mann, das wäre absolut korrekt. Wenn die Computer aber alles übereinander legen, damit die größtmögliche Übereinstimmung erreicht wird, kommt das!“
Mercant ruft ein weiteres Bild auf.
Rhodan: „Das ist aus einem Skizzenbuch, mit dem man zeichnen lernen kann. Das ist kein echtes Bild!
Mercant: „Korrekt, Mr. Rhodan. Es ist eine Proportionsstudie.

*

Juli 2077, Unbekannter Stern, An Bord der HEPHAISTOS

Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan beugte sich vor und küsste die Nasenspitze des Mannes in ihrem Bett, strich das Haar aus seiner verschwitzten Stirn. Sie ließ sich vornüber fallen, rollte von ihm, schwang mit der gleichen eleganten schwungvollen Bewegung ihre langen Beine aus dem Bett und stand auf. Blickte mit Wohlgefallen zurück, lächelte den Mann an. „Das war schön wie immer, Jimminy! Möchtest du noch etwas?“
Sein Blick wanderte über ihren nackten Körper, blieb dann am Gesicht haften. „Gerne. Was du nimmst.“

Victoria entkorkte eine geschwungene Flasche und kippte einen Finger hoch in ein kleines Nosingglas. „Whiskey aus Irland, bist Du sicher?“ Sie nahm ein zweites Glas.
Jim Corsack blickte erstaunt. „Ich dachte, Whisky trinkt man aus Tumblern?“
Sie lachte. „Whisky schon, Whiskey trinkt man aus diesen Gläsern, die unten bauchig und oben etwas zugehen. Damit das Aroma im Glas bleibt.“ Sie gab aus einer Pipette zwei Tropfen klarer Flüssigkeit in jedes Glas.
„Was gibst Du da eigentlich dazu?“
Victoria lachte. „Keine Sorgen, ich setze weder dich noch mich unter Drogen. Hier!“ Sie reichte ihm das Glas mit der Pipette.
Er schnupperte, kostete. „Das ist Wasser!“
„Ganz genau. Diese zwei Tröpfchen Wasser brechen die ätherischen Öle auf, die Fuselöle, die auch durch die beste Lagerung nicht völlig bereinigt werden, verdampfen. Es bleibt das reine Aroma und der pure Geschmack. Macht man in Irland schon lange so. In Schottland auch.“
„Noch nie gehört.“ Er schüttelte den Kopf, trank einen Schluck Whiskey. Seine Augen weiteten sich erstaunt. Auch Victoria nippte an ihrem Glas, ehe sie ihren flauschigen Bademantel überwarf.
„Es wird Zeit, Jimminy. Wenn du vorher duschen möchtest, du kennst den Weg.“ Corsack nickte, verschwand in der Nasszelle. Frisch geduscht schlüpfte er in seine Kleider.
„Irgendwann wirst du mir verraten, warum du mich ‚Jimminy‘ nennst.“
„Irgendwann, mein Hübscher“, versprach Victoria. „Bis zum nächsten mal, ich melde mich! Küsschen!“

*

Der Vormittag gehörte wieder anstrengenden Sprachübungen. Maurice spielte Massen an alten Filmen ab. „Hör Dir das an, horch dir an, wie Mireille Darc den Satz flüstert. Jetzt die Kombination. Sie haucht etwas, dreht sich um und geht ein paar Schritte. Es kommt nicht darauf an, was sie sagt, sondern wie! Nein, meine Liebe, Du sollst nicht wie ich betonen. Ich bin ein abgehalfterter Komödiant, der keine Rollen mehr bekommt. Das hier ist wie ein Geschenk des Himmels für mich. Ich kann jemand eine schöne Kunst leeren, bevor… verzeih! In meinem Alter wird man ab und zu Melancholisch.“

*

Für den Nachmittag stand dann ein Besuch in den tiefsten Räumen der Scheibe auf dem Programm. Im Maschinenraum.
„Also, ich bin ganz Ohr!“
Bruno Marolle übernahm die Antwort. „Wir `aben `ier ein‘ neu Konzept für Energiegewinnung!“
Tana lächelte. „Bruno, ich weiß, wie wichtig dir deine Heimat ist, und ich singe gerne mit dir ‚Allons, Enfants de la Patrie’, ich gehe gerne mit dir auf einen Cafe au Lait und ein Croissant, aber jetzt bitte, lass‘ den falschen Akzent. Den glaubt dir kein Mensch!“
Marolle und sein Team lachten, Bruno legte beide Hände auf sein Herz. „Nur wenn Du gest mit mir esseen su abbeend, Cherie!“ Bruno ergriff Tanas Hand und drückte einen Kuss darauf. „Nur dan gann isch erlaube mein `erz gebeen ein Rück!“
Tana Starlight ließ ihre Hand oben, betrachtete ihren Handrücken, spreizte die Finger. „Na gut, Brünoo, Du sollst Deine Chance bekommen, mein Hübscher. Morgen, Chez Catherine, und sei pünktlich, Bruno. Und jetzt, allez-y, vite, vite, s`il vous plait.“

Bruno projizierte zwei komplizierte Formeln an die Wand. „Wenn wir annehmen, das….“ ———– „… wir sehen also, dass wir mit unseren Umbauten fürs erste 9,7689451 % mehr Energie aus den Reaktoren gewinnen können, bei Gewichts- und Größenreduktion um 23,8761496%. Mehr ist, fürchte ich, bei Großanlagen nicht möglich.“
Tana applaudierte. „Fast ein Viertel kleiner und doch mehr Leistung! Hervorragend. Wie war das gemeint mit Großanlagen?“
„Für die HEPHAISTOS geeignet oder größer!“
Tana verschränkte die Arme. „Und kleinere?“
„Imposible! Wir haben mit der 20 prozentigen Platzersparnis, die wir der Hemghat-Sippe überlassen haben, den Plafond derzeit so ziemlich erreicht. Vielleicht noch..“
„Ja, Bruno, gib‘s mir, sag’s doch!“ Tana lockte.
„Na ja, kurzfristig kann man noch etwa 10 % mehr Leistung aus dem Reaktor holen. Danach muss man ihn aber sehr schonend behandeln. Oder, noch besser, austauschen!“

*

„Bruno, es war ein köstliches Essen, und der Wein war superb. Nein, lass den Akzent. Ich sehe es an Deiner Nasenspitze, es reitet Dich wieder der Süperfransoos!“
Bruno lachte. „Na schön, einer so jungen, bezaubernden, schönen Frau kann ich einen solchen Wunsch nicht abschlagen!“
Tana Starlight brachte den Rotwein im Glas zum rotieren, folgte dem Wirbel mit den Augen. Wehmütig lächelte sie. „Wie alt schätzt Du mich, Bruno. Ehrlich.“
„Auf diese Frage darf ein Gentleman keine ehrliche Antwort geben, Mademoiselle. Vor allem, wenn er das Alter weiß.“
„Bruno, ich bin 42!“
„Ja, das ist mir bekannt. Ich bin etwa ebenso alt, 41. Aber Du siehst nicht so aus, daher, eine junge, schöne Frau. Möchtest Du tanzen?“
„Tanzen?“
„Mais oui, warum nicht? Warum so erstaunt? Frau, Mann, pas de probléme!“
„Et bien, on danse!“

Bruno zog sich das Sakko gerade, rückte den Stuhl der Dame zurecht und reichte Tana die Hand, half ihr galant aufzustehen. „Wenn ich mit die Bemerkung erlauben darf, das Kleid ist formidable. Magnifique!“
„Du schmeichelst, Bruno! Aber mach nur weiter so! Jede Frau hört gerne Komplimente!“ Die echte Band, Amateure, aber nichtsdestoweniger gut aufeinander eingespielt, intonierte das Lied ‚Can you feel the love tonight’, ein uraltes Lied von Elton John, das Paar schwebte elegant zu den Klängen des langsamen Walzers über die Tanzfläche. Bruno war ein ausgezeichneter Tänzer, Tana hatte tanzen und sich dabei führen lassen bei Maurice gelernt. Sie trug die weißen Haare hochgesteckt, das hochgeschlossene, aber beidseitig geschlitzte cremefarbene Kleid zeigte ab und zu die langen Beine, verdeckte sie, zeigte sie wieder.

Nach ewig scheinenden Sinnesfreuden kehrten die Beiden zu ihrem Tisch zurück. „Wir sollten austrinken!“ forderte Starlight ihre Begleitung auf.
„Schon? Wie schade!“ Bruno zeigte ein trauriges Gesicht, sie erhob sich, ehe er aufstehen konnte, trat hinter seinen Stuhl, beraubte ihn damit der Bewegungsmöglichkeit, seinen Stuhl zurück rücken zu können. Dann beugte sie sich zu ihm hinab und hauchte in sein Ohr:
„Wenn Du noch etwas trinken möchtest, in meiner Suite habe ich einen hervorragenden Calvados und auch einen sehr guten Cognac. Auch der Armagnac ist formidable. Wenn Du also etwas – probieren möchtest….“

*

„Ich kann mich ja irren, aber vielleicht denken wir in eine völlig falsche Richtung.“ Franz Pachler hatte die Augen geschlossen, die Fingerspitzen aneinander gelegt.
Suzi Brown grinste. „Hallo-o! Es kann sprechen!“
„Ich kann noch mehr, wenn Du dich erinnerst!“ Die üppig gebaute Brünette errötete. „Im Ernst, ich habe nachgedacht.“
„Hat’s weh getan?“ Thopash blickte unschuldig.
„Ein Arkonide mit Humor. Das ist der letzte Beweis für meine Theorie!“ Franz wackelte mit dem Zeigefinger vor dem Gesicht Topashs, als wollte er ‚Du böser Bube, Du’ sagen. Dann lehnte er sich wieder zurück und schloss die Augen. „Erinnern wir uns doch einmal an die Homöopathie–Debatte Ende des 20., Anfang der 21. Jahrhunderts…“
„Homöopathie ist völliger Unsinn, Doktor Pachler!“ Der Arzt Sven Thorquest beugte seine untersetzte Gestalt vor.
„Ist es so, Sven? Und lass den Doktor weg. Wir haben hier alle genug Buchstaben vor den Namen, wir könnten eine große Suppenschüssel damit füllen!“
„Selbstverständlich!“
„Niemand behauptet das Gegenteil? Aber warum ist das so? Ich wollte, ich könnte irgend einer Sache derart zu 100 Prozent sicher sein. Warum also?“
„Es gibt keine nachweisbare Wirkstoffe im Präparat!“
„Gut. Trotzdem es hat doch bei Haustieren gewirkt? Ja, ich weiß, es war nicht das Mittel, es war der Heilungswille des Besitzers. Oder so irgendwie. Worauf ich hinaus will, diese Studie der Industrie – darüber, dass das Ergebnis wohl schon feststand, noch bevor der erste Bestechungsscheck ausgestellt wurde, möchte ich jetzt gar nicht reden – also, diese Studie ersetzt eine nicht quantifizierbare Menge an Heilstoffen durch eine weder qualifizierbare noch quantifizierbare Energie. Es wird eine Esoterik durch eine andere ersetzt und zum Dogma erhoben, an dem nicht gezweifelt werden darf.“
„Sie zweifeln diese Studie an?“ Thorquest war schockiert. „Das ist … unerhört!“
„Danke für den Beweis! Sie hörten es alle – obwohl es unerhört ist. Ja, Sven, ich zweifle diese Studie und noch viel mehr an. Zweifel ist mein Beruf! Es gab, nur so nebenbei bemerkt, einige Studien, einige medizinisch – technische Studien, welche die Unbedenklichkeit von Blei im Treibstoff zum Gebrauch in Verbrennungsmotoren attestierten. Einige weitere, die Anfangs des 21. Jahrhunderts den Zusammenhang von fossilen Treibstoff und dem Anstieg der Durchschnittstemperatur in Abrede stellten. Stand überall ‚wissenschaftliche Studie‘ ganz oben, riesengroß auf dem Deckblatt. Irgendwo stand dann winzig klein der Sponsor. Niemand überraschten die Namen!“
„Das hat seinen Grund….“
Tana unterbrach John Bukowski mit einer Handbewegung. „Ich glaube, da kommt noch mehr. Lasst den Mann doch einmal reden. Vielleicht verdient er sich heute die Luft, die er bisher verbraucht hat!“
„Danke, Chefin! Ich habe das nur als Beispiel gebracht. Es ist mir komplett egal, es ist hier und jetzt für diese Debatte auch völlig unwichtig, ob und wie Homöopathie funktioniert, oder eben nicht. Ihr habt mir nur eben bewiesen, dass ich nicht falsch liege. Nicht ganz. Ich möchte noch einmal etwas ausholen, mich aus einer anderen Richtung dem Problem nähern. Tana hat uns zusammen geholt, weil wir krude, verrückte Theorien ausgebrütet haben, von denen kein Professor etwas hören wollte. Wie die Historie zeigte, waren einige Ideen dann doch recht brauchbar. Das Kreativteam von Starlights hat eine Menge Erfindungen gemacht und ganz gut vermarktet. Die meisten der Gründungsmitglieder sind reich geworden. Aber! Sie und wir alle machen jetzt den gleichen Fehler, den unsere Professoren gemacht haben.“

Pachler erhob sich, ging auf und ab, er konnte nicht mehr still sitzen. „Seit der Aufklärung betrachtet der gebildete Mensch die Welt und in weiterer Folge das Universum als Maschine, bei der ein Zahnrad ins Andere greift. Und wenn ein Rädchen fehlt, nun, wir werden es schon finden!“
„Das nennt man Wissenschaft, Junge” tadelte Angel Kamashova, und Pjotr Gregorowitsch Kamashov, ihr Mann stand ihr bei.
„Wie sonst sollte man die Welt schon betrachten. Als göttliche Schöpfung etwa?“
Pachler lachte kurz auf. „Warum oder? Vielleicht hat Gott ein Uhrwerk erschaffen. Die Pythagoräer waren der Meinung, Gott und Mathematik seien ident, und wenn sie Mathematik erforschten, erforschten sie den Willen Gottes!“
„Unfug! Das ist alles schwachsinniges, sinnloses Geplapper. Gott gibt es nicht!“ Angel beugte sich noch weiter vor. „Wir haben Jahrtausende gebraucht, um diese dumme Vorstellung los zu werden und rational zu denken! Ich werde doch jetzt nicht zurück zu einem unsichtbaren Freund mit idiotischen Geboten gehen!“
„Nun, für ein nomadisches Hirtenvolk ohne Kühlschrank waren die Regeln nicht unbedingt sinnlos. Aber egal, niemand will, dass Du an den Alten mit Bart glaubst. Oder an die Muttergöttin, den kleinen Jäger oder den großen Steuermann. Unwichtig! Ich sage nur, es ist falsch, jetzt neue Dogmen aufzusetzen, nur weil eine Theorie funktioniert hat. Wir denken in zu engen Bahnen, schränken uns selber zu sehr ein.“ Er gestikulierte wild mit den Händen, seine Frisur war schon lange in Unordnung geraten. „Wir haben gesehen, dass es produktiv ist, alte Denkmuster zu verlassen. Picotronik, der neue Anzugstoff, die neuen Schiffe der Hemghat-Sippe. Und doch verfallen wir in den Fehler, sofort neue Denkmuster zu dogmatisieren, neues, weil anders, abzulehnen.“
„Was schwebt dir vor?“ Topash kratzte sich nach alter Arkonidentradition den Skalp. „Immerhin, Crest hat bewiesen, das nicht jedes Dogma tatsächlich auf Tatsachen beruht, ganz von der Hand möchte ich deine Ausführung nicht – außer der Sache mit den Göttern! Hemutag mag deinen Unglauben verzeihen, aber die Herrin der Kälte wird dich Kleingläubigen streng bestrafen!“ Gelächter erklang rund um den Tisch, John Bukowski schüttelte immer noch lachend den Kopf.
„So weit, so gut! Aber wie schützen wir uns vor Dogmatsierung?“

„Danke! Ja, es spielen auch so manche Interessen eine Rolle, wenn Andersdenkende lächerlich gemacht werden. Was mir vorschwebt? Keine Ahnung, ich kein Ingenieur, ich bin Metaphysiker. Ich stelle Fragen, ich beantworte sie nicht. Ich zweifle, für mich gibt es nichts, das wirklich sicher ist. Außer, dass aus 2 Kilogramm Rindfleisch eine gute Suppe gekocht werden kann.“ Wieder lockerte ein wenig Lachen die Stimmung auf. „Das Anzweifeln von Allem gehört zu meiner ‚Stellenbeschreibung’. Zum Beispiel: ist der arkonidische Über- und Unterlichtantrieb tatsächlich die einzige Form des Raumfluges?“
„Wenn wir nicht auf Plasmatriebwerke zurück greifen wollen, lautet die Antwort ‚ja‘!“
„Warum?“
„Weil die Korpuskularwelle…“
„Moment, ich komme sowieso nicht mit, wenn Techniker sprechen. Ich habe gelesen, dass Licht sowohl Teilchen als auch Welle ist, vielleicht auch noch ein Quantum oder ein Schluckaufposon (?) Proson (?) oder sonst ein leckmichdochkreuzweise. Darunter vorstellen kann ich mir nichts. Aber, zurück zu meiner Frage. Gibt es so etwas wie ein göttliches Gebot, ist es verboten, anders als die Arkoniden zu fliegen? Oder haben wir nur nicht weitläufig genug gedacht?“
„Ich wüsste nicht, wie man das Problem lösen könnte.“ Pjotr bemühte sich um Sachlichkeit. „Wir haben das Ausstoßmedium mit dem größtmöglichen Dichte-Geschwindigkeits-Verhältnis, wenn ich es ganz simpel ausdrücken soll.“
„Muss etwas ausgestoßen werden? Muss es ein Rückstoßtriebwerk sein? Mitte der Vierziger im 20. Jahrhundert war die Flugzeugtechnologie an eine Grenze gestoßen. Eine Luftschraube kann nicht unbegrenzt beschleunigt werden, also suchte – und fand – man eine Alternative. Sowohl in England als auch in Deutschland wurde parallel das Strahltriebwerk entwickelt. Trotzdem wurden später auch noch verbesserte Propeller entwickelt, die zwar nicht schneller liefen, aber dennoch mehr Leistung brachten. Es gibt immer ‚mehr Ding zwischen Himmel und Erd geben, als sich Eure Schulweisheit träumen lässt‘. Zum Schluss möchte ich noch an die quantenphysikalische Erweiterung des Doppelspaltexperimentes erinnern. Solange man alles zur Beobachtung nur aufgebaut hat, ändert sich am Ergebnis gar nichts. Wenn man aber den Weg eines Photons, egal ob vor oder nach den Schlitzen, beobachten WILL, verändert man die Verteilung der Photonen am Ziel. Wenn also eine gedachte Willenserklärung ausreicht, das Ergebnis eines Experiments zu ändern, wo ist die Grenze. Und, als kleines post dictum – vergessen wir ES nicht. ES ging über Grenzen, die wir noch gar nicht erkennen können! Danke, dass Ihr mir zugehört habt!“

*

„Angel! Leslie! Bruno! Was verschafft mir das unerwartete Vergnügen?“ Tana Starlight stand in einem hastig übergeworfenen Seidenkimono in der Tür zu ihrer Suite, das Haar ein wirre Haufen.
„Dein verdammter Pachler, schmoren soll er in der Hölle …“
„Wo, bitte. Ich dachte, es gibt keinen Gott, ergo auch keine Hölle!“ Leslie Myers stieß Angel den Ellenbogen grinsend in die Rippen.
„Ich mache sie ihm selber! Eigenhändig, höchstpersönlich bereite ich diesem, diesem Kerl die Hölle, gleich hier, auf HEPHAISTOS. Dieser Bastard hat ins Schwarze getroffen, verdammt sei seine schwarze Seele in Ewigkeit!“
„Seele? Verdammt?“ Myers lächelte süffisant.
„Tace, Leslie! Oder – schweige still, falls Dein Latein eingerostet ist. Seit zwei Jahren versuche ich, deinen Wunsch, Tana, nach einem starken, aber unauffällig zu tragenden Individualschirm zu erfüllen.“
Tana nickte, trat einen Schritt zurück und winkte dem nächtlichen Besuch einzutreten. „Kommt, herein, sucht Euch ein Plätzchen zum Sitzen und bedient Euch an der Bar. Ich bin gleich bei Euch.“
Wenig später, wenn auch immer noch im Kimono, so doch mit wacheren Augen und frisiertem Haar, ein kleines Espressotässchen in der Hand, bekundete Tana ihre Aufmerksamkeit.
„Also, selbst mit Picotronik war der Schildprojektor bisher immer so groß, dass man einen Tornister brauchte. Energieversorgung inklusive. Oder zumindest so groß wie zwei Schachteln Zigaretten. Nicht wirklich unauffällig. Also, wir haben uns gestern zusammengesetzt und – verdammt, wir waren so blind!“
Tana Starlight stellte das Tässchen etwas lauter als gewohnt auf den Tisch. „Heraus mit der Sprache!“ forderte sie ungeduldig.
Leslie grinste über beide Backen „Wir glauben, wir haben’s. Wird sehr teuer, geradezu teuflisch teuer! Massenproduktion wird sich nicht lohnen!“
Tana lachte. „Ich pfeife auf Massenproduktion. Ich will ein, vielleicht zwei für mich. Doppelt Zigarettenschachtelgroß reicht für Einsatzkräfte, ich will es unauffälliger. Zum kleinen Schwarzen. OK. Es ist sündhaft teuer? Wie teuer?“
Bruno zuckte mit den Schultern. „500? 800? So um den Dreh herum.“
„Kredits? Springerwährung? 999fein? Alles nicht unbezahlbar, nicht einmal teuer!“
Die Entwickler lachten. „Meter! Durchmesser der Kriegsschiffe in Kugelform! Voll ausgerüstet von Pol zu Pol!“
„Also ein Schirmgenerator kostet soviel wie ein überschwerer Kreuzer oder ein Schlachtschiff der Terraflotte? Schreckt mich immer noch nicht!“
Angel beugte sich vor. „Das ist noch nicht einmal das Hauptproblem. Der Formel nach ist noch eine psychische Komponente im Spiel.“ Sie runzelte die Stirn, schluckte. „Dieser (zensiert) (zensiert) (zensiert) hat (zensiert) recht gehabt. Du erinnerst Dich an seine Schilderung des Doppelspaltexperiments? Es ist ähnlich, Dein Wille lenkt die Energiestrahlen mit Hilfe unseres Generators ab, rotiert sie irgend wo hin! Aus dem Universum! In irgendeinen Hyperraum! Ich werde wahnsinnig, wenn ich noch lange darüber nachdenke! Man braucht beides, Mensch und Maschine, damit es funktioniert. Es ist heller Wahnsinn!“
Tana Starlight lächelte in die Runde „Aber es ist machbar?“
Leslie Myers lächelte zurück „Es ist machbar. Sagen wir mal, ein Armband? Etwa 20 mm breit? Einen, anderthalb dick? Dezente Mattgoldoptik?“ Sie hob ihre schlanke Hand, betrachtete ein hübsches Schuppenarmband an ihrem Handgelenk. „Etwa so wie dieses. Sich vor ein Schiffsgeschütz zu stellen, wäre vielleicht noch immer keine gute Idee, aber – Dauerfeuer von einigen Kampfrobotern sollte möglich sein.“ Sie hob noch einmal die Hand. „Für begrenzte Zeit, jetzt noch! Wie lange kannst Du Dich auf eine Sache konzentrieren?“
„Wie steht’s bei Projektilen? Was ist, wenn jemand mit einer alten Pistole kommt.“ Angel vergrub ihr Gesicht in den Händen, ihre Schultern zuckten. Dann sah sie auf und flüsterte die Gegenfrage: „Wie stark kannst Du wollen und wünschen?“
Wortlos ging eine blass gewordene Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan zur Hausbar, griff blind nach einer Flasche und goss vier Gläser ziemlich voll. „Auf den Willen und die Wünsche!“
„Auf den Willen und die Wünsche!“

Erkannt

Dezember 2078, Unbekanntes System, An Bord der HEPHAISTOS

„Miss Starlight, der Kapitän der CYRANO möchte Sie sprechen, sobald er gelandet ist“, meldete sich ein Lautsprecher im Schlafzimmer Tana, und ihr verwuschelter Kopf hob sich aus dem Kissen.
„Wo ist sie denn?“ grummelte sie mürrisch.
„Soeben im System eingetroffen, Ma’am“, erklärte Inez.
„Sagen Sie nicht Ma’am zu mir“, verlangte Tana. „Ich fühle mich ja sonst, als wäre ich meine eigene Mutter! ETA?“
„Bis zum Ende des Druckausgleichs etwa 30 Minuten.“
Starlight schwang ihre endlosen Beine aus dem Bett und dehnte sich. „Na gut! Schönen Gruß an Kapitän Leigh, sie möge bitte vor meinem Büro warten. Ich komme!“

Frisch geduscht, halbwegs wach und durchaus vorzeigbar traf Tana Starlight vor ihrem Büro ein, wo Kapitän Leigh von der CYRANO, einem unauffällig aussehenden 200 Meter durchmessenden Frachtraumer, bereits wartete. „Kommen Sie herein, Eirene. Was ist denn so wichtig?“
„Wir kommen eben von Terra, Boss. Wie üblich haben wir danach nach ‚Ungeziefer‘ gesucht. Routine!“ Victoria lächelte vor sich hin. Der SIA, die Home System Security und die SolAb würden wohl immer wieder versuchen, die HEPHAISTOS aufzuspüren. Ob mit legalen oder illegalen Mitteln, die Sicherheit der Vereinten Nationen hatte für die Sicherheitschefs vor allem anderen Vorrang.
„Diesmal fanden wir allerdings keine ‚Wanze‘, dafür aber eine Nachrichtenkapsel. Für Miss Starlight persönlich. Personalisiert!“
Tana erschrak! Eine personalisierte Kapsel? Wer war da an ihre Individualschwingungen gekommen? Ein Griff zur Gegensprechanlage. „Startbereitschaft ORION! Ich komme sofort an Bord.“ Nur kurze Zeit später raste das Diskusschiff aus der Schleuse der HEPHAISTOS und ging bald darauf in Transitation.

„Chefin? Wir sind in der Mitte von gar nichts angekommen. Lichtjahre von jedem bekannten Stern entfernt“, meldete der Kommandant der Orion.
„Danke, Kapitän Bear. Ich bin in meiner Kabine. Halten Sie das Schiff bitte klar bei Alarmstart!“
„Aye, Boss!“
In ihrer Kabine zögerte Victoria dalRhodan noch ein wenig. Was würde geschehen, wenn sie die Kapsel öffnete? Giftgas? Bakterien? Sie zog sicherheitshalber eine Filtermaske über, dann drückte Tana ihren Daumen auf das Individualschloss und hielt den Atem an. Die Kapsel öffnete sich, eine zusammengerollte Folie flatterte auf den Tisch. Sie zog rasch dünne Handschuhe über, glättete das Blatt und las: „Wenn Sie das lesen können, liege ich richtig. Ich möchte mit Ihnen sprechen und garantiere mit meinem Ehrenwort für Ihre Unversehrtheit und Ihre Freiheit. Falls Sie einverstanden sind, bitte ich Sie, auf folgender Hypercomfrequenz den Code ‚dreimal schwarzer Kater‘ und den Koordinatensatz sowie die Uhrzeit für ein Treffen zu senden. Mit freundlichen Grüßen, Allan Donald Mercant!“ Trotz der immensen Tragweite der Nachricht musste Victoria dalRhodan lächeln. ‚Dreimal schwarzer Kater!‘ Der gute, alte Onkel Al! Sie griff zur Sprechanlage. „Funkraum. Nehmen Sie auf: ‚Dreimal schwarzer Kater! Koordinaten wie folgt, Datum – 19 Dezember 78, 13.00 Greenwich.‘ Kapitän, Wir fliegen den Stern sofort an, gehen Sie in möglichst enge Umlaufbahn, Ortungsschutz. Er hat”, ein schneller Blick auf die Uhr, „etwa 12 Stunden Zeit. Wenn wir gleich losfliegen, sind wir ihm auf alle Fälle voraus. Obwohl – ich glaube, es wird nicht nötig sein!“

*

System Farmers Freehold, 19. Dezember 2078, An Bord der ORION

„Transit! Echo vierzehn Nord, 37 West. 60 Meter Aufklärungskreuzer des GCC Secret Service, Kennung GCC-AF 3481. Scheint allein zu sein!“
„Von Kommunikation! Einkommender Spruch auf Nahbereichsfrequenz: ‚Allein eingetroffen!‘, schwache Sendeleistung.“
„Danke, meine Herren. Kommunikation! Bitte, übermitteln Sie Mister Mercant eine Einladung, sich an Bord der ORION zu begeben. Kapitän, halten Sie die ORION startbereit.“
„Von Kommunikation! Einladung angenommen! Frage, wie?“
„Sagen Sie ihm ‚Wie es Euch gefällt!‘ Kapitän Bear, wenn ich bitten darf!“

„Miss Starlight, Mr. Mercant ist eingetroffen! Bitte, Mr. Mercant!“ Der unauffällige Chef aller solaren Geheimdienste betrat eine luxuriös, aber dezent eingerichtete Kabine. Tana erhob sich, in Jeans und Bluse gekleidet, von der Couch und ging Mercant einige Schritte entgegen.
„Mister Mercant. Schön, dass Sie vorbei kommen.“
„Oh, es ist mir ein Vergnügen. Aber bitte, nennen Sie mich Allan, Victoria!“
Tana lächelte ihn an. „Gunnar?“
Allan D. Mercant nickte. „Marshall hat alle Bilder, die er von Gunnar über Sie – natürlich gerne, über Dich empfangen hat, in den Bildaufzeichner ‚gedacht‘. Lauter Schönheiten von der Bühne und aus alten Filmen. Ich habe mir die Damen noch einmal mit der Lupe angesehen, und was soll ich sagen? Etwas war falsch an den Bildern. Nicht einmal Atlan hat es gemerkt, wer achtet bei einer Mimin schon auf Details? Sherlock Holmes sagte einmal : ‚die Leute sehen nicht, was sie beobachten und erkennen nicht, was sie sehen.‘ Jeder weiß, dass Schauspieler auf der Leinwand anders als im Leben aussehen. Lass es mich kurz sagen. Der Busen war für eine Darc zu groß, für eine Deneuve zu klein, warum eigentlich gerade diese Frauen. Alle in den 1960ern, 70ern jung und schön? Danach gab es doch auch Schönheiten?“
Victoria winkte ab. „Mich hat die Verführung ohne Nacktheit interessiert.“
„Ich verstehe! Wenn man nicht alles sofort auf dem Silbertablett bekommt, verwirrt und erregt das unter Umständen bei weitem stärker. Cleveres Mädchen, diese Kunst ist heute ziemlich untergegangen.“
Victoria legte lächelnd ihr Kinn auf die gefalteten Hände. „Umso besser funktioniert es. Sogar bei den Granden der GCC!“
„Der Erfolg gibt Dir recht! Also, ich verglich weiter. Es gab ein Art wiederkehrendes Muster. Dein Auftritt, als Du den Raumanzug erkauft hast. Ich habe die Filmaufnahmen gesichtet, jeder Deiner Besucher trug eine kleine SpyCam.“
„Hab ich mir’s doch gedacht.“ Victoria Rosheen schlug sich auf den Schenkel. „Es war aber keine Live-Übertragung, der Raum war dagegen Abgeschirmt!“
Allans Antwort kam knochentrocken. „Ich hab’s bemerkt. Miniaturisierte Speichereinheiten, made by Starlights, ebenso die Kameras.“
Victoria verbarg ihr Lächeln hinter ihrer Hand. „Welches Kompliment! Mit eigener Erzeugung ausspioniert. Was sagen denn die Gesetze der Vereinten Nationen dazu?“
„Sie sind – vage! Sollte ich diese Filmaufnahmen je veröffentlichen, könntest du mir eine zweite HEPHAISTOS aus den Rippen klagen. Für den Privatgebrauch sind Film- und Tonaufzeichnungen von Verhandlungen jedoch zumindest nicht illegal. Wenn überhaupt jemals jemand davon erfährt. Bisher habe nur ich die Filme gesehen, Perry wäre schockiert, erführe er, dass ich ihm eine Wanze untergeschoben habe. Aber manchmal ist er einfach zu ehrlich für seinen Job, aber dafür hat er ja mich! Gut, jede Minute dieser Aufzeichnungen wurde von mir, von mir allein, studiert. Mit Vergrößerung, mit rotierenden Hologrammen. Ich war wie besessen, ich war mir sicher, etwas zu finden, ich grub weiter, und schließlich erkannte ich Dich. Keine Sorge, bei mir ist Dein Geheimnis sicher, solange Du kein Sicherheitsrisiko für die solare Menschheit darstellst. Ich habe alles über die Routine hinausgehende geheim gehalten. Verdammt! Was muss ein alter Mann tun, um hier einen Drink zu bekommen?“

Victoria dalRhodan lachte und ging zur Hausbar. „Meinen Speziellen, der sogar Adams aus der Ruhe bringen konnte?“
Mercant stimmte in das Lachen ein. „Unbedingt! Wenn Homer einmal derart die Contenance verliert, muss man ihn probieren. Er hat mich gebeten, die Brennerei zu finden. Schau nicht so erschrocken. Ich habe ihm gesagt, das GIS verschwendet ihre Ressourcen nicht mit der Suche nach Schnaps.“
Sie genossen andächtig ein Schlückchen. „Ich bin etwas enttäuscht, Victoria. Ich hatte die große Diva, die Verführerin erwartet, jetzt sitzt hier eine sehr schöne, aber nicht unbedingt aufreizende Frau!“
Victorias Stimme wurde dunkler. „Ich möchte Dich nicht enttäuschen, Allen!“ Ihre Haltung, ihre Körperspannung änderten sich unmerklich, ihre Ausstrahlung enorm. „Gefalle ich dir so besser, Allen?“
Allan D. lachte laut auf. „Ich wollte, ich hätte einige wie dich in meiner Truppe! Du bist hervorragend, Victoria! Aber versuche nicht nochmal, den alten Onkel Al zu verführen, du ungezogenes Gör!“
Sie stand auf, ging zu ihm, beugte sich vor. Mir der linken Hand sich neben Mercants Kopf an der Rückenlehne seines Stuhl abstützend, gewährte sie ihm einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt, strich mit dem Zeigefinger der Rechten über seine Nasenwurzel, seine Nase, über die Lippen. „War ich vielleicht unartig? Möchte mir Onkel Al den Popo versohlen?“ Gehaucht, dunkel, verführerisch.
Mercant schüttelte lächelnd den Kopf. „Verdient hättest du es. Ich bin auch sicher, du hast einen ganz reizenden Hintern und die Bäckchen würden ganz entzückend zittern, aber nein. Nein Danke!“ Allan nahm noch einen Schluck, lächelte unbeeindruckt.
Victoria richtete sich wieder auf und schlug mit der Faust auf ihre flache Hand. „Verdammt, so viel Selbstbeherrschung ist unheimlich! Kein Muskel zuckt, nicht das kleinste Schweißtröpfchen.“
Jetzt war es an Mercant, mit den Schultern zu zucken. „Man nennt mich nicht umsonst den ‚eisernen Al‘, Kindchen.“
„Zur Sache, Allan! Du hast mich nicht umsonst treffen wollen. Wie kann ich dir helfen?“
„Ganz der Papa! Nicht so ein böses Gesicht, was ist zwischen Euch?“
Victoria ging zur Bar, bewusst Mercant den Rücken kehrend, bis sie ihre Miene wieder im Griff hatte. Tief atmete sie durch. „Eigentlich nichts. Genau genommen liebe und bewundere ich meinen Vater, aber als Perry Rhodan ist er eine zu große Figur. Eine, die mich erdrückt hat, mir die Luft zum Atmen nahm. Weißt Du, wie viele Jungen aus dem College mit mir ausgehen wollten, nur um mir dann die Ohren über den berühmten Perry Rhodan vollzureden? Ich musste fliehen, ein anderes Leben anfangen.“ Sie drehte sich wieder zu Mercant um. „Hausfrau und Mutter war aber auch nicht wirklich mein Ziel! Oh, Allen, doch ein winziges Zucken im Augenwinkel, hätte ich dich mit der Nummer ködern können? Mit einem Schürzchen? Mit Familie?“
„Vielleicht“, knurrte Mercant. „Ich nehme meine Rechte in Anspruch und verweigere die Aussage! Victoria, ehe ich weiter mache, schaue mir ganz tief in die Augen und sage mir: hast du etwas vor, das direkt oder indirekt den irdischen Nationen schadet!“
Offen und gerade war ihr Blick. „Nicht mit Absicht, Allan, sicher nicht mit Absicht.“ Schon huschte wieder ein neckisches Lächeln über ihr Gesicht. „Aber vielleicht lüge ich gut?“
„Nicht gut genug für mich”, brummte Mercant. „Und warum…“ seine Handbewegung umschloss das Schiff, Victorias Leben. Sie spielte versonnen mit ihrem Glas, setzte sich auf die Couch, stand wieder auf.

„Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll. Im ersten Jahr an der Uni kam mir eine Idee, wie man Stahl härter, geschmeidiger und, wenn gewünscht, sogar durchsichtig herstellen kann. Besser noch als der Arkon- und der Klarstahl. Also ging ich zu meinem Professor. Der lachte mich aus, er wollte mein Dossier nicht einmal ansehen. Ich ging zur Raumwerft. Der Direktor war sehr nett, er empfing die Tochter Rhodans mit großem Bahnhof und ohne Interesse an meiner Arbeit. Gunnar hat mich seinem Vater vorgestellt, und über ihn bekam ich das Patent, er verkaufte es. Weil – er war ein älterer, erfahrener Mann! Junge Leute dürfen keine neuen Ideen entwickeln, Allan. Das ist aber nötig, wenn ein kleiner Staat gegen große Nachbarn bestehen soll. Er muss sich schnellstens einen technologischen Vorsprung sichern, die Hilfe von ES wird auf Dauer nicht reichen. Also sammelt die Starlight Enterprises die Spinner, die Verrückten, die keiner außer mir ernst nimmt. 80 % nehme ich umsonst auf, die anderen 20 %, nun, du kennst unsere Erfolge. Ach, übrigens! Diese Pläne hast du den Springern der Hemghat-Sippe gestohlen. Und diese Ergänzung macht aus 20 % Platzersparnis plus 25 % Leistung, wenn Du auf den größeren Frachtraum verzichtest. Da wir uns nie gesehen haben …“
Mercant steckte den Chip in seine Brusttasche. „Das hilft ein wenig. Victoria, du sagst mehr oder weniger, dass du für die VN so etwas wie eine Ideenschmiede sein möchtest. Und bereits fertige Produkte liefern willst.“ Er seufzte. „Nun gut, ich könnte deine Hilfe brauchen!“
„Lass mich einmal raten, Allan!“ Victoria lächelte und nahm noch einen Schluck Whiskey. „Du brauchst einen Anzug, höchstens einen halben Millimeter dick, soll aussehen und sich tragen wie Haut, dem Beschuss mittelschwerer Artillerie aushalten, den Träger im Bedarfsfall unsichtbar machen, gegen Infrarot, UV- und Energieortung schützen und, wenn möglich, noch nicht einmal CO an die Luft abgeben.“
Mercant lachte. „Es würde meine Arbeit sehr erleichtern. Aber ich fürchte, ich verlange zu viel!“
Victoria nickte. „Nicht in diesem Jahrhundert. Frag mal 2178 wieder nach.“
Mercant verschluckte sich beinahe. „Unsere Spezialisten sagen einen solchen Anzug vielleicht in 600, 700 Jahren voraus. Vielleicht!“
„Es ist gut möglich, dass sie richtig liegen, Allan. Wir haben zwar einen recht guten Mimikry-Effekt für unsere Anzüge, aber wirklich unsichtbar, ohne Energie? Noch lange nicht. Pure Science Fiction.“
Allan D. Mercant blickte in seinen Whiskey. „Im Moment würde mir schon ein kleiner Kreuzer reichen, dessen Transitationen nicht angemessen werden können. So wie Deine!“
„Den sollst Du haben, Allan. Willst du einen von deinen nachrüsten oder einen nagelneuen aus meiner Produktion? Einen Einbausatz kannst du in fünf Tagen haben, wenn die CYRANO wieder im Solsystem ist. Ein ganzer Kreuzer – nun, ich besitze keine große Werft, es könnte etwas Zeit dauern!“
„Keine große?“
Victoria lachte glockenhell auf! „Mon Pere hat wirklich einen Holmes zum Leiter des Sicherheitsdienstes gemacht. Oder einen Hercule Poirot!“
„Wie schnell?“
„Wir bauen gerade einen hundertfünfziger als Eilfrachter. Gute Schirme, aber kaum bewaffnet. Ich könnte noch ein paar Standardgeschütztürme mehr einbauen, dann musst du nur noch die schweren Kaliber einbauen. Drei Monate?“
„Wieviel?“
„Für meinen Onkel Al, der mir den Hintern nicht versohlen wollte?“
„Jetzt führst Du mich fast in Versuchung, es nachzuholen!“ Beide lachten, wussten, es würde nie dazu kommen.
„Ich mache Die einen Sonderpreis. 90 % von dem Preis eines üblichen Flottenneubaus.“

*

März 2080, Unbekanntes System

„Oh, divine Tana, non fermati, Prego! Continuate cosi, Prego! Meraviglioso! Oh, mia DEAAA!“ Antonio Marconi verkrampfte seine Hände in Tanas Haar, ehe ihn die große Entspannung erreichte. „Oh, Madonna! Oh santa Madonna!“
Starlight setzte sich auf ihre Fersen und lächelte Antonio träge an. „Möchtest Du tatsächlich eine Heilige im Bett?“
„Ich kann nicht mehr klar denken, ich weiß nichts mehr!“ Marconi atmete schwer. „Nur, dass ich dem Himmel noch nie so nahe war und nie mehr sein werde!“
Sie beugte sich etwas vor und tätschelte seinen Bauch. „Dann solltest du aber ganz schnell auf wieder auf HEPHAISTOS landen, mein Hübscher. La divina Imperatice möchte auch noch ein wenig Spaß!“
„Subito, la divina, come desideri!“ Er setzte sich auf und streichelte ihr Gesicht.
„Du redest zu viel, Antonio. Stai zitto, fallo e basta!“

*

„Also Leute! Wie stehen die Chancen, ein nicht zu ortendes Schiff zu bauen?“ Victoria dalRhodan eröffnete die wöchentliche Sitzung des Kreativ – Teams mit einer Frage.
Pjotr Kamashov schnaufte aufgeregt. „Ne poydet! Auf keinen Fall, mit unserer Technik. Ich kann Energieemissionen weg bekommen, dann schlägt der Materieorter an, oder ich verstecke die Materie, dann ist die Energie zu finden. Ähnlich bei der Optik – irgendetwas wird bemerkt. Noch! Frag‘ mich mal in fünf, zehn, fünfzig Jahren, vielleicht gibt es eine Idee! Und den Antrieb kann man derzeit schon gar nicht tarnen.“
„Forse! Possibile!“ Antonio Marconi, neu im Team, begann, ein Erbe seiner aus Italien stammenden Eltern, auch mit den Händen zu sprechen. „Wenn ich die Vorgaben interpretieren darf, muss es kein unsichtbares Schiff sein. Also in dem Sinn, dass da ein nichts sein soll, wo in Wirklichkeit das Schiff schwebt! Certo, wir denken immer, dass man nichts sehen darf. Aber – es ist lange her, ich habe Mister Poe gelesen, der verschwundene Brief.“
„Dieses esoterische Gefasel bringt doch nichts! Eine ausschlagende Anzeige bleibt eine ausschlagende Anzeige.“ John Bukowski schüttelte den Kopf, der Mathelogiker blieb streng logisch. „Egal, wie man es betrachtet, wenn ein waches Auge die Instrumente betrachtet, wird es den Ausschlag bemerken!“
„Moment! Wird es!“ Angel Kamashova sprang auf und winkte ihrem Mann zu. „Aber ich glaube, ich weiß, worauf Mr. Fitness hinaus will.“ Schon hatte Marconi mit seiner bodygestylten Figur seinen Spitznamen, Victoria lächelte versonnen. „Wenn ein Posten ein Stück Materie entdeckt, das antriebslos in seinen Bereich kommt, also weder beschleunigt noch verzögert und dazu keine Energie emittiert, warum sollte er ein Raumschiff vermuten. Er wird den Kurs berechnen, sehen, dass er an seinem Posten vorbei führt und zu seinen Karten, seinen PsychoVidSpielen oder seinen Pornos zurückkehren und sich nicht mehr groß darum kümmern!“
„Esattemente! Nur das mit dem Pornographischen muss ich als Mann streng zurück weisen! Warum muss ein Mann …“
„Warum denn nicht eine Frau?“ Leslie Myers strahlte Marconi an, Madeleine Lamére tätschelte seine Hand.
„Du solltest es probieren, Süßer. Ich für meinen Teil habe viel Spaß daran!“ Marconi wurde blutrot vor Verlegenheit, Tana Starlight grinste breit.
„Gewöhne Dich daran, Antonio! An Bord der HEPHAISTOS gibt es keine Heiligen!“ Sie ging hinter seinen Stuhl und flüsterte. „Nur zu, ich erhebe keine Exklusivrechte und gewähre auch keine! Nur Kamashova solltest Du nicht bitten. Sie ist verheiratet – und treu! So viel ich weiß.“
„Äh…“
„Genau!“
Victoria kehrte zu ihrem Platz zurück. „Können wir weiter machen oder möchte eine der Damen Antonios Fitness sofort auf die Probe stellen?“
Lamére hob den rechten Zeigefinger. „Darf ich…“
„Wenn’s nicht zu lange dauert!“ Pachler unterbrach mit einem alten Witz, der dennoch mit Gelächter und einer zielsicher geworfenen Packung Erdnüsse quittiert wurde.
„Also, Pjotr, wenn wir um eine Zelle eine frei schwebende Felshülle legen…“
„Donnert bei der ersten Beschleunigung eine Hülle in die andere. Frei schweben ist Unfug, und ich würde nicht zu viel mit Traktorstrahlen arbeiten. Da gibt es zu viele energetische Signaturen. Aber mit dünnen Streben, wie bei den Rädern der alten Bikes!“
„Dann würde die Innenzelle mit der äußeren mitrotieren, und jeder natürliche Körper hat nun mal im freien Fall seinen Spin!“
„Warum eigentlich zwei Zellen?“
„Damit man den Felsen schnell absprengen kann. So im Notfall!“ Jeder rief Argumente und Gegenargumente in die Runde, immer – oder fast immer – den Vorredner aussprechen lassend.
„Soll die Innenzelle doch rotieren. Es gibt Gravo-Aggregate… oh! Energie. Aber zum Beobachten der Außenwelt wird sowieso Energie gebraucht. Wir drehen uns ein wenig im Kreis!“

Bruno Marolle hatte seltsame Muster auf sein Pad gekritzelt. Jetzt löschte er den Bildschirm mit einem entschlossenen Wisch. „Wir könnten einen Mini-Reaktor physisch abschirmen, so, dass nach außen keine Signatur dringt. Gravitation – wenn der Körper, wie schon erwähnt, rotiert, dann nützen wir das doch für künstliche Schwerkraft. Ich finde sicher noch alte Ingenieur-Zeitschriften, wo präarkonidische Konstruktionen von Stationen dieser Art genau beschrieben sind. Außerdem, so kompliziert waren sie auch nicht! Möglicherweise sogar ein Ring im Ring, nach Art der Kugellager, wie sie vor 100 Jahren üblich waren. Passive Orter benötigen kaum Energie. Sind natürlich nicht so genau wie aktive, aber ziemlich energieneutral. Glaslinsen für die Stereoskope statt Bündelfelder. Spiegelteleskope! Das bisschen Energie für die Übertragung der Daten von den Sensoren zu den Verarbeitungsgeräten ist auch kaum der Rede wert, wenn wir auf alte Kabel und Drähte zurück greifen. Vielleicht sogar Glasfaser.“
„KABEL?“ Madeleine schrie auf. „Glas? Spiegel? Das ist ja vorsintflutlich!“
„Aber nicht zu orten!“ Pjotr erwärmte sich langsam für das Projekt. „Wenn wir in die Innenzelle eine chemische Brennkammer einbauen, könnten sogar kleinere Kurs- und Lagekorrekturen möglich sein!“
Angel hob den Finger. „Das würde doch auffallen!“
„Hm.“ Marconi rieb sein Kinn. „Also, das Gerät kommt mit dem Schwingungsdämpfer unbemerkt in die Nähe des Einsatzgebietes. Muss dort natürlich seine Fahrt teilweise aufheben. Chemisch, wie Pjotr vorgeschlagen hat. Schwer zu orten. Wird auf Kurs gebracht. Chemisch. Gravos aus, Rotation an. Reaktor aus, Mini-Reaktor an. Ein Meteor durchquert das System. Es gibt genug runde Strukturen auf Meteoren, wir könnten damit Luken, Triebwerköffnungen und sogar ein Korpuskularwellentriebwerk für die Heimreise kaschieren. Die Besatzung muss allerdings ganz schön lange ausharren, wenn es dort ein dichtes System von Raumüberwachung gibt – und ein weitreichendes. Besser kriegen wir’s nicht hin, fürchte ich.“
„Na gut, Leute.“ Tana Starlight beendete die Diskussion. „Macht mal einen hübschen Plan, ich werde ihn dem Kunden so mitteilen. Wenn wir nicht mehr schaffen, muss er entscheiden. Ja, Madeleine?“
„Chefin, darf ich jetzt?“
„Wenn Du willst! Nur immer ran an den Speck, Mäuschen!“

Sherlock und Irene

März 2081, Galakto City, Terra, Protokoll einer Sitzung des Solaren Sicherheitsrates

Mercant: „Meine Damen und Herren! Ich danke für Ihr Erscheinen. Heute habe ich ihnen mitzuteilen, dass Starlights Monopol für den Handel mit Arkon gebrochen sein dürfte. Es gibt Firmen, unter anderem die GCC, denen eine Übereinkunft mit Springer-Sippen gelungen ist und die nun nach dem selben Prinzip arbeiten. Damit bleibt das Monopol der Springer für den Arkon-Raum nahezu unangetastet, das Handelsvolumen zwischen den Staaten steigt jedoch. Die Hemghat-Sippe hat Starlight Enterprises allerdings erlaubt, unter eigenem Namen Niederlassungen auf einigen Planeten des Imperiums zu unterhalten. Gegen satte Gewinnbeteiligung selbstverständlich. Mittlerweile überzieht bereits ein nicht zu verachtendes Netz von Stützpunkten der Firma das arkonidische Imperium. Erfreulicherweise, möchte ich dazu sagen!“
Rhodan: „Was ist denn so erfreulich daran, dass Starlight etwas gelingt, das der GCC noch verwehrt bleibt?“
Mercant: „Nun, es ist erfreulich, dass alte Strukturen aufzubrechen beginnen. Das öffnet auch der GCC hoffentlich die Türen. Und zweitens – ich besitze den Codeschlüssel für den Datenverkehr zwischen den Niederlassungen und der HEPHAISTOS. Und nein, ich kann nicht feststellen, wo diese Basis liegt. Aber wir bekommen gute Informationen über die Zustände im Arkon-Imperium.
Bull: „Wenigstens ist dieses Teufelsweib für etwas zu brauchen!
Crest: „Bitte, Bully, nicht undankbar sein. So schwer es mir fällt, es zuzugeben, aber ihr Raumanzug ist nicht ein wenig besser als der arkonidische, den Sie sich zu kopieren erlaubten, er ist erheblich besser. Aber ich verstehe nicht, dass die Springer ihr Monopol einschränken. Auch wenn Miss Starlight sicher auch für jeden Springer eine Versuchung darstellt. Er würde allerdings versuchen, sich die Beute einfach zu nehmen.
Mercant: „Starlight Enterprises benutzt zwar zum Teil eigene Schiffe, bezahlt aber der für ein Gebiet zuständigen Sippe einen angemessenen Preis für Frachtraum, den sie eigentlich nicht bräuchte!“
Bull: „Tolles Geschäft für die Zigeuner. Fürs Nichtstun auch noch bezahlt werden!
Mercant: „Nun, ich für meinen Teil bin froh, dass wir eine gute Informationsquelle aufgetan haben.“
Rhodan: „Woher hast du den Codeschlüssel schon wieder? Allan, du bist mir manchmal richtig unheimlich!“
Mercant: „Berufsgeheimnis, Mister Rhodan! Im Ernst, Perry, ich darf es nicht sagen. Jeder gute Geheimdienstmann verschweigt seine Quellen.“
Bull: „Sogar uns? Deinen besten Freunden? Glaubst du, dass einer von uns…“
Mercant: „Ich glaube nichts. Trotzdem gehe ich von meinem Prinzip nicht ab! Niemals!

*

Mai 2081, Benders System, An Bord der HEPHAISTOS

Die Gegensprechanlage in Tanas Büro meldete sich mit einem Gong, dann erklang die Stimme ihrer Sekretärin. „Miss Starlight?“
Victoria dalRhodan drückte die Antworttaste. „Ja, Inez?“
„Handelsdisponent König bittet um einen dringenden Termin!“
„So?“ Victoria zog eine Braue hoch. „Bittet, und Euch wird gegeben, klopfet an, und Euch wird aufgetan! Schicken Sie ihn rein!“ Starlight stand hinter ihrem Schreibtisch auf und ging Matthäus König zwei Schritte entgegen, reichte ihm die Hand. „Was ist so dringend, Mattie?“
König wischte sich den Schweiß von der Stirn. „John Gollup von Aragha III hat zwei Gläser Spargel und drei Flaschen Bordeaux bestellt. Und er hat seinen Urlaub eingereicht! In sechs Monaten und sechs Tagen ab Datum der Absendung bittet er diesen antreten zu dürfen.“
Erstaunen, Erschrecken huschten über Victorias Gesicht. „Inez! Bitte rufen sie Colonel Pears und Major Antonow zu mir. Wenn’s geht, gestern!“

*

„Also, meine Herren.“ Victoria massierte ihre Augenbrauen. „Einer unserer Geschäftsführer hat einen Alarmcode übersandt! John Gollup von Aragha III meldet ein Problem, das nicht all zu dringend ist, ihm aber trotzdem Sorge bereitet. Und wenn’s ihm Sorgen bereitet, mach ich mir auch Sorgen. Wenn ich mir wiederum Sorgen mache, kann ich schon mal unleidlich werden! Also gehen Sie an die Arbeit, lokalisieren Sie das Problem. Danke, meine Herren!“ Die kurze Befehlsausgabe war beendet. Der Vorteil des Chefs ist es eben schon immer gewesen, einen Befehl zu erteilen und die Untergebenen dürfen sich den Kopf zerbrechen, wie sie ihn ausführen.

*

Phoolgha, System Aragha

Aragha war ein absolut unauffälliger gelber Stern der Klasse G, der Sonne Terras ähnlich wie ein eineiiger Zwilling. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass bei ähnlicher Entfernung zum Zentralgestirn auch ein erdähnlicher Planet um den Stern kreiste. Die beiden Monde erreichten zusammen nicht ganz die Masse Lunas, es gab ein wenig kleinere Ozeane, die Pole waren nicht mit Eis bedeckt, die Äquatorgegenden extrem trocken. Die planetare Hauptstadt, in deren Nähe auch der Fährhafen lag, wurde Phoolgha genannt und lag in der gemäßigten südlichen Zone. Der Tag war etwas länger als Terra Standard, er dauerte ungefähr 28 terranische Stunden.

Bewohnt wurde der Planet von Arkonabkömmlingen, die der allgemeinen im Imperium grassierenden Dekadenz nur am Rande zum Opfer gefallen waren. In erster Linie waren die Araghaner Bauern, Getreide, Obst und Weidevieh. Es wurde von reichen Arkoniden behauptet, das beste Fleisch wäre das von araghanischem Dreihorn, einem rinderähnlichem Tier, zwei kleine Hörner wuchsen an den Stirnseiten, in dessen Mitte wuchs ein steifes Haarbüschel, den Horn eines irdischen Rhinozerosses ähnlich. Dazu wurde auf Aragha jede Menge Alkohol von hoher Qualität erzeugt und exportiert, aber nicht übermäßig konsumiert. Auch einige Edelsteinvorkommen eines in dunklem Braun funkelnden Edelsteins trugen entscheidend zum Bruttoinlandsprodukt des Planeten bei.

Aragha war kein reicher Planet, obwohl es einige sehr reiche Bewohner gab, aber auch kein armer. Seltsamerweise hatte sich auf Arangha ein komplexes Sozialsystem etabliert, in dem Härtefälle recht gut abgefedert wurden. Bettler oder Obdachlose gab es nicht, oder doch kaum, die Grundbedürfnisse eines jeden Aranghaner wurden erfüllt. Dafür verlangte die Verwaltung von den Empfängern der Unterstützung je nach Möglichkeit des Betreffenden gemeinnützige Arbeit, etwa Müll in den öffentlichen Parks zu beseitigen und ähnliches. Man konnte also durchaus eine zufriedene Bevölkerung erwarten, auch wenn natürlich das Paradies diesseits des Todes nicht erreichbar war.

Starlights hatte in der Hauptstadt Phoolgha noch kein Gebäude im typischen Pyramide-und-Sektglas – Stil errichtet, sondern für den Anfang eine Etage im größten und teuersten Einkaufszentrum gemietet. John Gollup, der Geschäftsführer, hatte den 15 Angestellten, alles Araghaner, die für solche Fälle übliche Rede gehalten, mit ‚wir sind alle eine große Familie‘, ‚immer ein offenes Ohr’, ‚Liebe, Wonne, Waschtrog‘. Kurz hatte er die hervorragende Bezahlung, die großzügigen Sonderleistungen und die überdurchschnittliche Urlaubsdauer hervorgehoben (weitgehend richtig), sowie die tollen Aufstiegschancen (glatt gelogen). Dann hatte er die Uniformen der Verkaufskräfte kontrolliert, sie an die Arbeit geschickt, der Buchhalterin und seiner Sekretärin ihre Schreibtische gezeigt und sich in sein Büro zurückgezogen.

Seither, etwa ein Jahr mochte es her sein, hatte sich Starlight Enterprises einigermaßen in Phoolgha etabliert und kam langsam, aber sicher aus den roten Zahlen, die zu Beginn jedes neuen Standort es zu erwarten waren. Gollup war – zu Recht – nicht unzufrieden mit seinen Erfolgen gewesen. Bis vor etwa vier, fünf Wochen. John wurde unruhig, wusste aber den Finger nicht auf den Punkt zu legen. Irgend etwas war anders, auf unangenehme Weise. Der Geschäftsführer hatte auf schmerzhafte Weise gelernt, seinen Ahnungen zu vertrauen. Und der Chefin von Starlight eine Nachricht gesandt.

*

An Bord der HARRY HARRISON, Auf dem Weg nach Phoolgha

Jim Grissbol war ein Mann ohne Gesicht. Natürlich hatte er Augen, Nase, Mund und Ohren, aber alles war so durchschnittlich, dass jeder, dem er begegnete, ihn sofort wieder vergaß. Selbst Arkoniden, Springer und Aras hatten ihre Probleme, ihn wieder zu erkennen. Jim liebte diese Eigenschaften, kultivierte sie geradezu, immerhin waren sie der Schlüssel für seine Erfolge. Er war Detective Lieutnant bei den ‚Starguards‘, der ‚Guarda di Stella‘, der ‚Sternengarde‘ Starlights, Major Grigori Antonow hatte einen kleinen, aber fähigen Geheimdienst erschaffen. Seine Leute waren keine Muskelpakete, keine Schnell- und Scharfschützen, sie hatten keine Lizenz zum Töten, das war eine Domäne von Universal Exports. Diese Firma war aber weder offiziell noch inoffiziell Teil von Starlight Enterprises, man munkelte allgemein, der britische Geheimdienst stecke dahinter. Doch Queen Margaret Diana I. dementierte diesen Umstand immer wieder auf das schärfste. Wie auch immer, die Schutzengel Starlights wurden in drei speziellen Fächern auf das Gründlichste geschult. Maskerade und Unauffälligkeit, beobachten und analysieren, verschwinden.

Direkt nach der Landung begab sich ein Mann im Geschäftsanzug, mit großer Aktentasche und auffälliger Hornbrille in das Einkaufszentrum, in welchem Starlights residierte. Der Sekretärin überreichte er einen Firmenausweis, den die junge, und wie Grissbol anerkennend bemerkte, attraktive Araghanerin an das picotronische Lesegerät hielt.
„Mr. Grissbol, Mr. Gollup erwartet Sie bereits.“ Mit diesen Worten erhob sie sich, strich das kurze Kleid glatt und ging mit schwingenden Hüften zur Tür, die sie für Grissbol offen hielt. „Mr. Grissbol ist hier, Sir!“ Freundlich, neckisch lächelte sie den Neuankömmling an, brachte unauffällig ihre Oberweite besser zur Geltung. Dann schloss sich die Tür.

„Mr. Grissbol! Willkommen in Phoolgha, darf ich ihnen etwas anbieten?“
„Informationen, wenn’s keine Umstände macht.“
Gollup lächelte schief. „Macht es aber. Es ist – wie soll ich sagen? Hier in Phoolgha waren die Bewohner immer eher zurückhaltend und ruhig. Oh, sie hatten durchaus ihren Spaß, aber nur sozusagen hinter verschlossenen Türen, in der Öffentlichkeit waren sie etwas zugeknöpft. Jetzt, aus heiterem Himmel öffnen die Frauen und Mädchen ihre Oberteile weiter, gewähren tiefe Einblicke. Männer greifen sich öfter ganz ungeniert in den Schritt. Es wird schlimmer, vor einer Woche hatten wir eine Prügelei hier im Einkaufszentrum! Nicht auf der Straße, hier, in diesem Einkaufszentrum, in dem sich üblicherweise keine Schläger aufhalten. Zwei Geschäftsleute, der Grund ist immer noch ungeklärt. Im Straßenverkehr benehmen sich die Leute rücksichtslos wie nie zuvor, als wären alle Hemmschwellen im verschwinden! Die Leute achten nur noch selten auf andere, sie schimpfen und fluchen. Ich verstehe es nicht!“
„Okay! Ich werde mich hier ein wenig umsehen. Sie haben ein Zimmer gebucht?“
„Selbstverständlich, bitte, kommen Sie!“ Beide Herren gingen durch die Büros in Richtung der Verkaufsräume.
„Gab es vor den fünf Wochen etwas Auffälliges?“ fragte Grissbol, und erhielt zur Antwort.
„Die Gokohagh – Meisterschaften sind zu Ende gegangen, der Favorit hat verloren. Eine Mondfinsternis, Liquvital ist auf den Markt geko… was ist das, zum Teufel!“

Eine nicht mehr junge, aber recht attraktive Kundin hatte in der Kleiderabteilung begonnen, sich mit lasziven Bewegungen einem Verkäufer zu nähern. Sie griff ihm, ohne auf die Umgebung zu achten, in den Schritt. Völlig die Welt vergessend schob der Verkäufer den Rock der Kundin in die Höhe und setzte sie auf ein Verkaufspult, zog ihren Slip von den Hüften, während sie ihre Bluse auszog. Niemand außer den beiden Terranern schien sich daran zu stören, dass hier zwei Menschen in aller Öffentlichkeit ungeniert Sex hatten.
„Gehen wir, ich habe für’s erste genug gesehen!“

*

Juni 2081, Galacto City, Terra

Memo
von Homer G. Adams
an Perry Rhodan

Angebot von Tana Starlight. Empfehle praktische Prüfung. Termin angegeben.

*

„Perry? Welches Problem quält Dich? Ich kann es Dir ansehen, Äffchen!“ Thora war hinter den am heimischen Schreibtisch sitzenden Rhodan getreten, beugte sich vor und legte ihr Kinn auf seine rechte Schulter. Der legte sein ComPad beiseite, drehte den Kopf und küsste seine Frau auf die Wange.
„Tana Starlight! Sie hat wieder ein Angebot für uns.“
Abrupt stand Thora kerzengerade. „Du wirst wieder mit ihr verhandeln?“
Perry drehte sich mit dem Bürostuhl um. „Natürlich. Bully, Homer, John und ich. Warum?“
Eine tiefe Falte entstand auf Thoras Stirn. „Bully und John haben mir einiges erzählt! Eine schöne Frau!“
Rhodan öffnete Thoras Bademantel. „Nicht halb so schön wie Du, kleine Ziege.“ Seine Hände glitten über ihre Hüften. „Obwohl sie schon beeindruckend ist.“
„Ich hab’s gewusst“, fauchte Thora. Rhodan zog sie lachend an sich. „Ich will dabei sein, Perry! Hörst Du mich? Ich will dabei sein.“
Perry Rhodans Stimme klang etwas gedämpft. „Dabei sein! Alles klar! Natürlich!“
„Ich meine es im Ernst, Perry! Was soll das …? Was tust du …? PERRY!“

*

Tana Starlight erschien im Büro des Solaren Sicherheitsrates in elegantem Geschäftskostüm, einfach, aber teuer, das dunkle Blau kontrastierte mit dem weiß der hochgeschlossenen Bluse, das Haar zum Knoten aufgesteckt, ganz Geschäftsfrau.
„Guten Tag!“
Bully zog die Brauen hoch. „Nanu?“
„Mr. Bull, was erweckt Ihr Erstaunen?“, lächelte Tana, Thora trat vor.
„Ich habe von Tana Starlight gehört, und ich kann Mister Bulls Enttäuschung schon verstehen. Sie wirken heute sehr brav!“
„Ich könnte für Mr. Bull eine Sondervorstellung arrangieren.“ Tanas Stimme sank um einige Oktaven. „Aber ich fürchte, ich bin nicht sein Typ!“
Der Blick aus den rötlichen Augen Thoras hätten Stahl schmelzen können, ihre Stimme war sehr leise, aber eiskalt. „Mr. Bull ist ein erwachsener Mann, der sicher weiß, was er will oder nicht will. Aber Sie sollten es nicht übertreiben!“
Starlight lächelte sanft und antwortete ebenso leise. „Botschaft erhalten und verstanden, Donna Thora. Meine Herren? Ich habe ein Teil mitgebracht, von dem ich hoffe, dass es Ihr Interesse wecken wird.“

Tana holte aus ihrer Aktentasche ein Kästchen im Format einer halben King-Size Zigarettenpackung. Zwei Druckknöpfe und ein Stellrad oben, ein Gürtelclip an der Rückseite. Rhodan nahm das Gerät und betrachtete es von allen Seiten.
„Ich möchte jetzt nicht ohne Wissen mit den Armaturen spielen. Was ist das hier?“
„Mr. Rhodan, dies ist ein tragbarer Schutzschirmgenerator inklusive Stromversorgung!“
„Unmöglich!“ Bully sprang auf. „Das Ding reflektiert doch höchstens eine Schockpistole! Dreimal so groß würd’ ich’s glauben, aber das?“
Starlight ließ kurz ihr berüchtigtes Lächeln aufblitzen. „Vor der Tür habe ich vier Kampfroboter gesehen. Gibt es einen Schießstand im Hause?“
„Kommen Sie, Starlight!“ Thora schob Tana zur Tür. „Wir werden sehen, ob hinter der Fassade auch Qualität steckt. Sie sollen ihre Chance haben!“
Starlight strahlte die andere Frau an. „Bitte, Donna Thora, vergessen Sie die Kampfroboter nicht.“

Der Schießstand lag, wie nicht anders zu erwarten, im Keller des GCC – Gebäudes. Ein langer, eher schmaler Saal, mit Schutzschirmgeneratoren und Markierungen alle hundert Meter. 3D Zieldarstellungen konnten ebenso beweglich wie stillstehend eingeblendet werden. Zwei Frauen, Vier Männer und Vier Kampfroboter betraten den Raum, die Sensoren der Roboter scannten unaufhörlich den Raum. Tana Starlight griff nach einem der dort hängenden Gürtel mit Impulsstrahler im Holster.
„Das ist eine scharfe Waffe?“ vergewisserte sie sich.
Thora nickte eiskalt lächelnd. „Natürlich Schätzchen! Das ist ein Stand für Erwachsene, kein Spielzeug für kleine Kinder!“
Tana lächelte ebenso kalt zurück, legte den Gurt um ihre schmalen Hüften und klemmte das Kästchen fest. Dann stöckelte sie nach vor.
„Was haben Sie vor? Kommen Sie sofort zurück!“ Adams wurde nervös, wurde laut. Tana hob nur die rechte Hand und schritt weiter. Hundert Meter, zweihundert, dreihundert. Überraschend griff sie an den Gürtel, riss den Blaster aus dem Holster und schlug auf die Gruppe an. Noch ehe sie die Waffe fertig gezogen hatte, röhrten auch schon alle acht schweren Robotwaffen auf, acht Energiestrahlen vereinigten sich auf Starlights Brust, wurden dort aber abgelenkt, verpufften einfach. Hochmütig lächelnd hielt Tana die Waffe beinahe zwei Minuten im Anschlag und wartete, dann steckte sie die Waffe zurück. Sofort brachen die Waffenstrahlen ab, die Roboter gingen wieder in den Bereitschaftsmodus. Unverletzt ging die junge Frau wieder zu der Gruppe, nahm den Schildgenerator vom Gürtel und schnallte diesen wieder ab, legte ihn beiseite.

„Meine Dame, meine Herren? Zufrieden?“ Verblüffung malte sich auf fünf Gesichter.
„Acht Robotwaffen Dauerfeuer zwei Minuten? Ich fasse es nicht! Inklusive Energieversorgung.“ Thora bekam schmale Augen und sah aus, wie eine Katze vor dem Sahnetöpfchen. „Was passiert, wenn jemand mit einer alten Pistole kommt?“
Ein Lächeln antwortete ihr, Tana antwortete mit sanfter, tiefer Stimme. „Da haben große, starke Männer wie Mister Bull zum Beispiel einen Vorteil gegenüber einer zarten, schwachen Frau wie mir. Die kinetische Energie schlägt nicht durch den Schild, es ist nicht schmerzhaft, ich fürchte allerdings, ich fände mich auf dem Boden liegend wieder. Die Kraft erreicht mich nicht direkt, stößt mich aber mit der gesamten Aufprallwucht zurück.“ Kehliges Lachen. „Zumindest bei schweren Kalibern kann die Kleidung dabei erheblich in Unordnung kommen! Kann jemand eine Pistole besorgen?“
Bully drängte sich vor. „Nicht nötig! Ich habe noch meine .44er Magnum aus der Spaceforce hier liegen. Wir können es gleich probieren!“
„Aber Mister Bull, wenn Sie unbedingt meine Beine sehen wollen ….“
„SCHLUSS!“ Thora unterbrach Tanas Stichelei. „Das Gerät ist gut, ich bin dafür, es zu kaufen.“ Dann trat Sie nahe an Tana Starlight heran. Beide Frauen, gleich groß gewachsen, Thora breitschultrig, großbusig, Tana zierlich, aber mit dem Höhenvorteil der Stilletoabsätze, starrten einander in die Augen. „Lassen Sie diese Spielchen, mein Kind! Nicht mehr mit meinem Mann, nicht mit Bully, mit niemandem hier!“
Starlights Lippen formten ein strahlendes, sinnliches Lächeln. „Sicher?“, flüsterte sie, all ihre erotische Kraft konzentriert, geballt, gebündelt. Sekundenlang schauderte Thora, ihre Knochen schienen weich zu werden, alle Nervenenden stimuliert, Erregung bahnte sich einen Weg aus den tiefsten Regionen zum emotionalen Teil des Gehirns. Doch beinahe sofort hatte die Arkonidin wieder Kontrolle über sich gewonnen, nur für geschulte Augen sichtbar war der Moment der Schwäche gewesen.
„Sicher!“ Fest, kontrolliert, Tanas Lächeln wurde belustigt.
„Oh! Gut“, hauchte sie, wandte sich ab. „Mister Adams, ich lasse Ihnen die Verträge zukommen. Auf Wiedersehen. Donna Thora! Mister Rhodan, Mister Marshall!“ Dann noch ein gehauchtes, dunkles „Mister Bull!“, ein leises Lachen verwehte. Thora starrte der Frau noch lange nach, als diese den Raum längst verlassen hatte. Umsonst bemühte sie ihr eidetisches Gedächtnis nach einer Lösung, die ihr so bekannt vorkommende Frau einzuordnen. Aber auch bei Arkoniden ist es meist wie bei Menschen – auf das am nächsten liegende kommt man nicht.

*

„Ich kenne diese Frau, bei der … den Che’Huan!“ Kurze Zeit später standen Thora und die Herren noch mir ihrem Sicherheitsdirektor zusammen und besprachen die letzten Ereignisse, den neuen Generator. Rhodan lächelte, beinahe hätte sich Thora zu einem undamenhaften Raumfahrerfluch hinreißen lassen.
„Du scheinst erregt, mein Liebes. So kenne ich Dich selten, mein dek… Herz, sehr selten!“ Thora war herumgefahren, in einer Geste, die sowohl irdischen wie arkonidischen Frauen in Bewegung und Bedeutung gleich war, stemmte sie die Fäuste in die Hüften.
„Wie sollte ich nicht erregt sein? Diese, diese Frau hat es beinahe geschafft, dass ich…, verdammt, bei einem Mann hätte mich dieser emotionelle Moment nicht wirklich überrascht! Aber eine Frau, die mich, wie kurzfristig auch immer, sexuell anregt? Das gab es noch nie vorher!“
„Beruhige Dich, Thora!“ Rhodan wischte den Schweiß von seiner Stirn. „Du hast ihr besser widerstanden als wir alle!“ Thoras Blick wurde strafend. „Was will man von Männern auch erwarten? Besonders von irdischen Barbaren? Ph! Männer!“ Lautes Gelächter löste endlich die Spannung in den Anwesenden.

„Mister Mercant!“ Der Adjutant salutierte. „Ein Page vom G. C. Hilton hat eine Nachricht für Sie persönlich überbracht.“ Allan D. Mercant wog das Kuvert in den Händen.
„Schicken Sie den Mann herein!“
„Ja, Sir!“ Ein junger Mann in roter Pagenlivree, der sich nervös umsah, wurde zu Mercant gebracht.
„Beruhigen Sie sich, Junge. Woher haben Sie diesen Brief?“
„S-Sir, eine Dame nahm ein Zimmer. An der Rezeption hat sie ein Blatt und ein Kuvert genommen, dann schrieb sie die Botschaft und hat mir zwanzig Dollar gegeben, damit ich den Brief überbringe!“ Mit einem Wink entließ Mercant den Pagen und öffnete den Umschlag. In schöner, regelmäßiger Schrift stand dort zu lesen: ‚Miss Irene Adler würde sich freuen, Mister Sherlock Holmes zu einem privaten Abendessen in ihrer Suite im Galacto City Hilton empfangen zu dürfen. Mit größter Hochachtung, Irene Adler!‘
Thora blickte erstaunt. „Wer ist Irene Adler und warum nennt sie Mercant Sherlock Holmes?“
Rhodan lachte. „Mein Herz, Trivialliteratur des 19. Jahrhunderts. Sir Arthur Conan Doyle hat mit Mister Holmes den brillantesten Detektiv erschaffen, und ihm eine heimliche Geliebte geschenkt. Die Schauspielerin Irene Adler. Geh schon, Allan. Viel Vergnügen!“ Mercant entfernte sich mit säuerlichem Lächeln.

*

Es klopfte an der Tür zur Suite, die auf dem Namen Irene Adler gebucht war. Der Türöffner summte, Allan D. Mercant betrat den nur spärlich durch Kerzen auf dem Tisch erhellten Raum. Vor dem Fenster stand Irene und betrachtete das nächtliche Galacto City, ein Sektglas in der Hand. Das hochgeschlossene Kleid mit Rüschenkragen, ganz im Stil des viktorianischen Englands, Gesäßpolster inklusive, schuf, gemeinsam mit der Beleuchtung eine romantische, aber nicht erotische Stimmung. Die langen Haare waren hochgesteckt, einige Strähnchen spiralig gelockt an den Wangen herabhängend. Sie wandte sich ihrem Besuch zu und reichte ihm die Hand zum Kuss.
„Danke für den Besuch, Sherlock!“
Mercant lächelte. „Du schmeichelst mir, Victoria!“ er küsste ihre Hand, sie wies, ganz große Dame auf den Tisch mit den silbernen Warmhaltehauben.
„Bitte, nimm Platz. Das mit dem Essen war durchaus ernst gemeint. Greif bitte zu!“

„Victoria, so köstlich das Essen auch war, so sehr ich manchmal Deine exaltierten Spiele und Deine Gesellschaft genieße, Du hast mich nicht deswegen eingeladen. Was ist los?“
Victoria drehte ihr Weinglas. „Kennst Du Aragha, Allan? Nein? Ein ganz netter Planet im Arkon Imperium.“ Sie stand auf, ging zum Fenster, sah hinaus. Dann drehte sie sich um. „Vor einigen Wochen begann auf Aragha eine seltsame – Sache! Vorher waren Bewohner eher zurückhaltend, zugeknöpft möchte ich fast sagen, dann begann die Hemmschwelle zu sinken. Gewaltverbrechen sind um zehn Prozent gestiegen, Schlägereien um beinahe zwanzig. In immer steilerer Kurve. Vor fünf Wochen war die Schwelle so weit gesunken, dass eine Frau mit einem ihr fremden Mann in aller Öffentlichkeit Sex hatte, mitten in einem Laden. In meinem Laden, ganz offen vor aller Augen. Gleichzeitig wurde dort ein neuer Energiedrink auf den Markt gebracht, Liquvital. Ich habe keine Ahnung, wie das zusammen hängt, meine Leute sind aber davon überzeugt. Ich habe gehört, das ein Vertrag zur Lieferung dieses Getränks nach Terra vor einigen Tagen unterzeichnet wurde. Ich weiß!“ Victoria hob mit matter Geste die Hand. „Das klingt nach anschwärzen der Konkurrenz. Aber, Allan, ich verkaufe Spirituosen und Weine zu einem Literpreis von fünfhundert Dollar aufwärts, ich handle mit teuren, wertvollen Dingen. Ich habe Mangel an Transportraum. Die CYRANO und die CYGNUS reichen für die Terrastrecke schon lange nicht mehr aus, ich habe einen neuen Frachter bestellen müssen. Und da soll ich Zuckerwasser handeln, das im Einzelhandel um einen Vierteldollar die Drittelliterdose über den Tisch geht? Diese aufgepeppten Zuckerwässer sind nur ein Gewinn, wenn du die Transportwege kurz hältst. Wenn jemand die Essenz lieferte, ein Konzentrat, und auf Terra mit Wasser und Süßstoffen mischte, wäre vielleicht ein Gewinn zu holen. Aber Wasser nach Terra zu transportieren ist einfach dumm! Meine Leute haben aber versandbereite Paletten mit gefüllten Dosen gesehen. Warum macht jemand ein offensichtliches Verlustgeschäft?“
Allan hatte aufmerksam zugehört, erst zurückhaltend, dann immer interessierter. „Hast Du nähere Informationen?“
Victoria dalRhodan schob einen Speicherchip über den Tisch. „Alles hier gespeichert, Allan. Statistiken, chemische Analysen, die aber nicht wirklich etwas ergeben haben. Ich sag’ dir etwas, Uncle Al, es ist was faul im Staate Dänemark! Da ist etwas nicht koscher!“
Mercant nickte. „Es klingt fast so. Du sagtest etwas von chemischen Analysen?“
„Ach, das Übliche. Zucker, Wasser, Geschmackstoffe, künstliches Koffein. Der übliche Schrott. Ein ordentlicher Espresso hätte die gleiche Wirkung, und den kann man nach Belieben mit Zucker und Milch verfeinern. Mein Labor arbeitet weiter, auch was die Dosen selbst betrifft.“

*

Fünf Tage später landete das erste Raumschiff mit Liquvital auf Terra. Der GIS der VN beschlagnahmte eine Palette und verhängte bis zum Ende der Untersuchungen ein vorläufiges Verkaufsverbot, welches von der Interstellar Trading Company, dem Importeur, sofort vor allen Gerichten der irdischen Nationen angefochten wurde.

Zu neuen Ufern

Juli 2082, Galacto City

„Verdammt, Allen, wer ist denn nun dein geheimnisvoller Informant?“ Rhodan ging nervös auf und ab.
„Ich habe doch gesagt, dass ein Geheimdienst seine Informanten nicht preisgibt. Nicht ohne dringende Notwendigkeit!“
Thora nahm einen Schluck Tee und streckte ihre langen Beine von sich. „Ich möchte fast annehmen, es ist die mysteriöse Miss Adler, habe ich nicht recht, Allan? Dann müsste doch über das Hotel …“
„Keine Chance Thora!“ Allan lächelte die Frau seines Freundes gewinnend an. „Bargeld und alte Codekartenschlösser. Die Dame wusste, schon welches Hotel Wert auf Diskretion legt. Auch heute noch!“
„Na schön!“ Reginald Bull wurde fast laut. „Aber Videoüberwachung wird’s ja wohl geben. Ich fordere die Bänder an!“
„Mit welcher Begründung, Bully?“ Rhodan hob in einer hilflosen Geste die Hände! „Wir sind keine Polizeistelle, keine Regierung, wir haben keine rechtliche Handhabe!“
„Als Besitzer von Galacto City keine Handhabe?“ Bulls Gesicht wurde wieder einmal knallrot. „Das möchte ich sehen! Wir könnten doch sofort…“
„Kommt nicht in Frage, Bully!“ Rhodan wirkte schockiert. „Wir sind hier nicht in einer Diktatur, wir erpressen unsere Mieter und Pächter nicht. Damit fangen wir gar nicht erst an. Ganz zu schweigen davon, dass der Chef unseres eigenen Geheimdienstes uns nicht unterstützen würde, oder Allan? Aber was soll ich der Rechtsabteilung bezüglich Liquvital sagen?“
Mercant hob die Hände. „Dass sich die GCC vorbehält, bei eingehender Lieferung von Stoffen, die zum Verzehr gedacht sind, eine Untersuchung, die Unbedenklichkeit betreffend, durchzuführen. Wenn besagter Stoff tatsächlich unbedenklich ist, wird der Verkauf selbstverständlich frei gegeben. Es kann aber noch dauern.“

*

„Perry?“ Thora hatte gewartet, bis der Besuch gegangen war. „Seit einigen Wochen quält mich ein Gedanke! Vor etwa 25 Jahren ist Victoria Rosheen verschwunden, vor acht Jahren Thomas Inkahar. Haben wir, habe ich etwas falsch gemacht?“
Rhodan zog seine Frau an sich. „Ich verstehe es auch nicht! In fast allem, was wir begonnen haben, waren wir ziemlich erfolgreich. Wir hatten schneller eine technische Revolution, als ich es mir damals auf dem Mars je erträumt hätte. Aber damals war auch die schöne Arkonidin als Gefährtin für mich noch nicht einmal ein irrealer Traum.“ Der hagere Terraner lächelte weich. „Aber du hast recht, bei unseren Kindern haben wir scheinbar versagt. Anders kann man es nicht nennen.“
Sie drückte sich an ihn. „Wollen wir das Risiko noch einmal eingehen?“
„Thora, ich bin mir nicht sicher. Es wäre natürlich schön, wenn wieder… Moment einmal, willst Du damit etwa…“ Er hielt sie an den Schultern auf halbe Armlänge. „Bist Du etwa wieder…?“
„Ist der Cent also doch noch gefallen? Ja, seit ungefähr einem Monat, du behaarter Affe! Es ist noch etwas Zeit, aber wir müssen bald eine Entscheidung treffen. Vor diesen Reproduktionskräften der primitiven Halbaffen hätte mich irgend jemand warnen sollen! Ich hätte dieses Risiko, von einem Neandertaler wie dir schwanger zu werden, niemals eingehen dürfen! Ich weiß gar nicht, welche Zeitspanne vergangen ist, seit eine Arkonidin mehr als zwei Kinder bekommen hat!“
„Mein dekadentes Zicklein, wenn arkonidische Männer nichts auf die Reihe bringen, bin ich doch nicht Schuld!“ Perry Rhodan zog seine Frau wieder an sich.
„Lass das bloß nicht Atlan hören!“ warnte sie ihn, glücklich lachend. „Aber darf ich Deine Worte als vorläufiges Ja werten?“
Rhodan vergrub sein Gesicht in Thoras Haaren, drückte sie an sich, als wolle er nie wieder loslassen. „Streich das ‚vorläufig’, murmelte er.

*

August 2082, Atzgol IV Atzgols Stern

„Thomas daRhodan, haben Sie etwas Zeit?“ Der hagere Mann, den man mit Ausnahme der Haarlänge und der Farbe seiner Augen durchaus mit Perry Rhodan verwechseln könnte, fuhr herum!
„Gehen Sie doch zu der mit dem kalten Arsch, Atzgol! Hören Sie endlich auf, mich mit diesem verhassten Namen anzusprechen! Ich bin Inkahar daZoltral, ein adeliger Arkonide, kein primitiver Prolet von Terra!“
„Perry Rhodan ist ihr Va…“
Thomas Rhodan hob schlagbereit die Faust. „Vielleicht mein Erzeuger, aber niemals mein Vater. Niemals, verstanden? Er ist nur ein Vergewaltiger, der meine Mutter geschwängert und dann zur Ehe gezwungen hat! Vielleicht steckt ja sogar er hinter dem Verschwinden meiner Schwester! Sie hat sich von mir nicht einmal verabschieden können! Ich war im Internat, als sie ging, vor 25 Jahren, als ich neun war! Es hat mir noch nicht einmal jemand etwas gesagt! Mir, dem Sohn von Thora dalZoltral, hat man etwas verschwiegen!“ Der Mann redete sich immer mehr in Rage. „Ich muss meine Mutter befreien, sie von diesem Monster erlösen, damit sie und ich glücklich werden können!“

Atzgol hatte beide Hände erhoben. „Wir arbeiten doch daran, Tho… Inkahar!“
„Wir müssen schneller arbeiten, Springer! Viel schneller!“ Thomas Rhodan brüllte es, hochroten Kopfes.
„In Ordnung, daZoltral, in Ordnung! Aber nennen Sie mich auch nicht mehr Springer! Diese Verräter haben unser geheiligtes Monopol auf alleinigen Handel aufgegeben und zuerst mit diesem Weib und dann auch noch mit anderen Terranern Handelsverträge geschlossenen. Eines schnellen Gewinnes willen verraten sie unsere heilige Lebensweise! Wir hätten damals, vor 32 ihrer Jahren, Rhodan vernichten sollen. Gleich, als er die Flotte der Überschweren zerstört hat! Alle gemeinsam hätten die Springer Terra angreifen müssen, der geballten Macht unserer Flotten wäre er unterlegen, trotz seiner geheimnisvollen neuen Waffe! Wir alle gemeinsam hätten das Sol-System schon gefunden, und dann-” Atzgol machte eine eindeutige Handbewegung. „Aber unter unserer Führung werden Arkoniden und Springer wieder die ihnen zustehenden Plätze in der Galaxis einnehmen. Dann können Sie mich wieder Springer nennen.“
Halbwegs beruhigt wandte sich der hagere Halbarkonide wieder seinem Binokular zu. „Sie hatten eine Frage, Atzgol?“
„Keine Frage!“ Atzgol winkte einen anderen rotbärtigen Mann nach vor. „Ich wollte Ihnen Matzar vorstellen. Er will uns mit Geld und Taten unterstützen!“

*

Beide Springer gingen nach dem Gespräch mit Thomas Rhodan zur Mensa ihres Stützpunktes auf Atzgol IV, einer Welt, die vor allem aus Wasser zu bestehen schien.
„Ist dieser Mann etwa wahnsinnig?“ Matzar fragte es misstrauisch, Atzgol lachte ein zorniges Springerlachen.
„Teilweise! Andererseits ist er aber ein Che’Huan-verdammtes Genie! Von ihm ist die Formel, die wir auf Aragha so erfolgreich getestet haben. Zu erfolgreich, wir mussten die Dosierung für die Lieferung nach Terra herabsetzen, sonst fällt diesem Mercant noch etwas auf. Zum Glück liegt Aragha so abseits, dass niemand Verdacht geschöpft, wahrscheinlich noch nicht einmal jemand außerhalb des Systems davon Notiz genommenen hat. Wir haben mittlerweile die Droge aus den Lieferungen nach Aragha weitestgehend entfernt, die Lage – nun, normal wird sie wohl nie wieder, aber sie ist halbwegs unter Kontrolle. Wir rechnen mit einer hübschen Selbstmordwelle, wenn die Leute erkennen, was geschehen ist. Ein paar Arkoniden weniger, was das Imperium schwächt, stärkt uns! Die Methode, wie wir die Substanz an den terranischen Kontrollen und den Untersuchungen vorbei bekommen, hast er übrigens auch selbst entwickelt!“
„Trotzdem“, Matzar war noch nicht überzeugt. „Er bleibt ein Wahnsinniger. Wie habt ihr Rhodans Sohn eigentlich anheuern können?“
Atzgar streichelte seinen prächtigen Bart. „Es gab eine Frau mit einer üblen Schwäche für eine Substanz, die man auf Terra Heroin nennt, dieses Mittel ist einfach zu kopieren. Wir versorgten die Frau, versprachen ihr Heilung. Im seinem Urlaub sorgten wir dafür, dass diese Frau Rhodans Sohn kennenlernte. Sie streichelte sein Ego, ließ ihn zwischen ihre Beine und sorgte dafür, dass er sich und alle Arkoniden für die absolute Krönung der Schöpfung, für DAS Geschenk der Che’Huan an das Universum, hielt. So lange, bis er wirklich glaubte, was er eben vorbrachte. Ein wenig P’huugh, eine psychoaktive Droge hat das noch unterstützt, seine Wahnvorstellungen sind jetzt endgültig fixiert. Wir lassen ihm nicht nur seinen Glauben, wir bestärken ihn darin. Maghra ist sehr geschickt, sein Ego und seine Männlichkeit zu streicheln. Die Organisation kann ihn mit seinem Größenwahn gut gebrauchen und über Maghra steuern.“
„Und die Frau aus seinem Urlaub?“ Matzar glaubte eine Schwachstelle des Planes gefunden zu haben.
Atzgol lachte hämisch. „Hat kein Leiden mehr! Sie wird nie wieder irgend ein Leiden haben!“
„Hat Rhodans Sohn eigentlich die galaktonautischen Koordinaten der Erde?“ Die Patriarchen nahmen an einem Tisch Platz, Atzgol wurde wieder wütend.
„Nein, er wurde nie auf diesem Gebiet ausgebildet. Es ist eine Schande, dass wir Springer versteckt nach Ferrol reisen müssen, um dann mit einem terranischen Schiff zur Erde erreichen zu können. Das muss sich ändern!“
„Das wird es!“ Matzar machte die Springergeste eines Schwures. „Ich möchte diese Maghra sehen!“
Atzgar lachte wieder, machte eine obszöne Geste! „Wie Du willst, Matzar! DaRhodan wird sie erst Abends wieder wollen, sie wäre frei für Dich! Und dieser Narr glaubt, er wäre der Einzige bei ihr! Huntzfar, ruf’ Maghra, hier will sie jemand sehen!“
Matzar nickte vergnügt. „Man muss immer ein Geschäft mit dem Angenehmen verbinden.

*

Haddanarun hatte ein durchaus menschliches Gesicht, muskulöse Arme, einen flachen Bauch und einen Fischschwanz. Von vorne sah er aus, wie ein irdisches Fabelwesen namens Triton mit kahlem Kopf. Auf seinem Rücken fand sich jedoch eine vom lange, vom Nacken beginnende über den halben Rücken gehende Finne. Die Wirbelsäule reichte, anders als bei den Tritonen der irdischen Mythologie, bis zur waagerechten Schwanzflosse, die Rückenansicht war komplett Ichtioform. Beine hatten sich ebenso wie Lungen auf Atzgol IV niemals entwickelt, die wenigen trockenen Inseln waren nicht groß genug, um in Besitz genommen und bewohnt zu werden. Es hatten sich auf dieser Wasserwelt nur kiemenatmende Säugetiere und echte Fische entwickelt. Haddanarun war ein Säuger, er war bis vor kurzem im Dienst der Trockenwesen gestanden, die für einen bestimmten Tang viele schöne Dinge gaben, die Haddanaruns Volk nicht herstellen konnte. Sicheln und Messer aus einem Material, das schärfer war als Stein! Nur das schwarze Zeug aus den heißen Gebieten war ähnlich scharf, aber bei weitem nicht so haltbar. Heute aber war er auf der Jagd, heute arbeitete er nicht. Haddanarun hielt seinen Speer aus dem Stoßzahn eines ‚Fisch-mit-Zahn-auf-Stirn’ bereit. Ein großer ‚Fischfresser-mit-Riesenstachelflosse’ schwamm gemächlich, sich seiner Stärke bewusst, vorbei. Ein Stoß an der richtigen Stelle, das Essen für Haddanaruns Stamm war gesichert. Stolz schleppte er ihn nach Hause, wo ihn seine Frau mit liebevollen Gedankenimpulsen begrüßte. Er hätte nie gedacht, dass man mit diesem Tang, den er ‚den-auf-dem-trockenen-liegenden-und-doch-nicht-toten’ brachte, noch anderes machen konnte, als ihn einfach zu essen, und das nicht einmal gern. Der Tang schmeckte einfach scheußlich, und wenn man ihn aß, konnte es sein, dass man auf die dümmsten Gedanken kam. Haddanaruns Volk mochte diesen Tang nicht, es war ihm rätselhaft, warum diese Wesen so viel Strömung um ein lästiges Unkraut machten. Er kannte keinen Gedankencode für ‚Rauschgift’. Haddanarun war ein liebevoller Familienvater, der keiner Mitintelligenz etwas Böses wünschte. Doch nach dem Willen der Springer sollte seine Arbeit millionenfach den Tod bringen!

*

Terra

Notiz im G. C. Handelsblatt vom 3. August 2082
‚Der Dachverband terranischer Wirtschaftstreibender fasst in seiner Sitzung vom 2. August 2082 folgenden Beschluss:
Jene Substanz, die unter dem Namen Liquvital angeboten werden soll, wird als zum Verzehr unbedenklich eingestuft und somit zum Kauf und Verkauf frei gegeben. Die Kommission rät jedoch vom Verzehr von mehr als sechs Dosen am Tage ab, da durch den erhebliche Zuckergehalt langfristige gesundheitliche Schäden nicht auszuschließen sind.‘

*

An Bord der HARRY HARRISON

Hans Jäger war ein Mann in den Dreißigern, sah nicht umwerfend, aber gut genug aus. Bei Frauen kam er durchaus an, was auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Er wirkte fit und durchtrainiert, ohne jedoch übertrieben muskulös auszusehen. Hans Jäger war Agent des ‚Solar Security Service‘, des Tripple S, Mercants neuem geheimen Informationsdienstes innerhalb der GIS. Er hatte ein Ticket auf dem regelmäßig im Arkon-Imperium einige Planeten anfliegenden Frachters HARRY HARRISON der Starlight Enterprises offen bei einem der Reisebüros auf Terra erstanden, ein Touristenvisa erhalten und wollte einige Planeten besuchen. Eine Kreuzfahrt, sozusagen.

Es war nicht weiter schwierig, auf Aragha die Frachtpapiere für Liquvital einzusehen, das Personal war an allem anderen interessierter als an der Arbeit gewesen, die Rechner standen oft stundenlang unbeaufsichtigt. Als nächste Station der ATZ III, mit der das Liquvital nach Aragha gelangt war, musste Jäger Monhad II anfliegen. Auf diesem Planeten war es nur unwesentlich schwieriger, an Informationen über Ladung der ATZ III zu bekommen. Das einzig Nötige war eine Menge Chrommer. In Springerwährung. Langsam arbeite sich Jäger die Route der ATZ III zurück. Den Ursprung von Liquvital fand er jedoch nicht. Seine Daten übergab er auf Terra dem wissenschaftlichen Team von 3S. Irgendwo hatte das Springerschiff zwischen zwei Landungen eine längere Zeit umgemeldet verbracht. Das war natürlich nicht verboten, immerhin durften die Springer überall im Arkon-Imperium fliegen, wohin sie wollten. Frachtpapiere waren den Arkoniden zwar wichtig, kontrolliert wurden sie aber selten. Vielleicht konnten die Tüftler des Geheimdienstes aber doch eine Spur finden.

*

September 2082, Galacto City

„Bully, es wird Zeit, dass die Menschen ihr Kinderzimmer verlassen und in die Welt hinaus gehen. Wir brauchen Siedler für die vielen Planeten, die da draußen auf uns warten!“ Perry Rhodan hatte sich ein Glas Bourbon aus Kentucky eingeschenkt, Thora rümpfte die Nase. Hemutag, dass der Mann dieses Zeug immer noch trank, mittlerweile konnte er sich doch wirklich besseres leisten. Sogar Reginald Bull hatte, seit er die Welt der guten Biere entdeckt hatte, dem billigen Fusel den Rücken gekehrt. Eben jetzt, als Gast von Perry Rhodan, hatte er ein gutes tschechisches Staropramen vor sich stehen. Genüsslich nahm er mit geschlossenen Augen einen großen Schluck.
„Wenn ich zurück denke, als wir nur dieses dünne Zeugs aus Amerika hatten! Ja, Perry, ich weiß, du willst, dass die ganze Galaxis von Menschen bewohnt wird, und dass auch Terraner darunter sind. Das aber ist doch schon teilweise der Fall! Es gibt einige Terraner, die ins Arkon-Imperium ausgewandert sind und dort recht gute Posten besetzen.“
Thora streichelte ihren noch flachen Bauch. „Perry ist der Meinung, die Erde bräuchte Kolonien, eigene Welten für Terraner, um nicht von uns Arkoniden abhängig zu sein. Ein kleines bisschen atavistisch, er bleibt eben ein kleiner Barbar! Aber ein lieber.“
„Oh, die Arkoniden haben ihr gesamtes Imperium geschenkt bekommen, oder wie? Frag einmal Atlan, was sie damals auf der Erde gemacht haben.“ Rhodan gestikulierte heftig, Thora stichelte noch ein wenig.
„Dann ist die Bewegung der Menschen in den Arkon-Raum sowieso nur so etwas wie ein nach-Hause-kommen. Die Intelligenz der Menschen haben sie von den Arkoniden geerbt!“
Bully lachte aus vollem Hals. „Es gibt einige interessante Planeten im Gopkar-Sektor. Atlan hat da eine Zeit Patrouillendienst geschoben und ein paar interessante Planeten entdeckt. Er hat nur nie die Zeit gefunden, sie näher zu erforschen.“
Thora nippte an ihrem Glas Champagner. „Ich habe schon lange kein Raumschiff von innen gesehen, Perry. Und du auch nicht. Wollen wir nicht einmal?“
„Schon, aber dein Kleines?“ Rhodan deutete auf Thoras Bauch. Die strahlte ihn an.
„Mein lieber Herr Pavian! Wir Arkonidinnen haben unsere Kinder mitten in der Raumschlacht entbunden und unseren Platz an den Kontrollen wieder eingenommen und weitergekämpft! So ist das Arkon-Imperium entstanden!“
„Und ich musste jeden Winter barfuß durch meterhohen Schnee einige Kilometer zur Schule gehen. Ich habe verstanden!“ Dann nickte Perry Rhodan entschlossen. „Wird Zeit, einmal wieder aus diesem Büro zu kommen. Bully, flieg schon mal die STARDUST vor! Start – sagen wir mal morgen, um 10.00!“
Bull trank sein Bier aus und salutierte spöttisch. „Geht klar, großer und furchtloser Anführer! Mutanten?“ Rhodan überlegte kurz. „Bitte Ishi, Betty, John und Ras an Bord. Vielen Dank, Bully. Bis morgen!“

„Perry, ich find es toll von dir, dass wir wieder einmal losfliegen“, jubelte Thora, als das Paar wieder allein war. „Ich freue mich schon auf morgen, ich bin nicht wirklich für ein Büro geboren!“
Rhodan lächelte seine Frau an. „Ich eigentlich auch nicht. Das wird wieder einmal ein schöner Ausflug. Was machst du da eigentlich?“
Thora strahlte Perry Rhodan an. „Na was schon! Ich nehme den Bullen bei den…“
„Eigentlich heißt es ‚den Stier bei den Hörnern nehmen‘!“
„Da bin ich aber froh, dass da keine zwei sind!“

*

Colin Campbell war ein hochgewachsener, vierschrötiger Mann schottischer Herkunft. Er war voller Stolz auf seinen Ahnen, der bei der Schlacht bei Balakwala die schottische Brigade befehligt hatte, die unter der Bezeichnung ‚the thin red line’ in die Geschichte eingegangen war. Er war rothaarig wie ein Springer, trug einen prächtigen Backenbart und Schnäuzer. Polternd, gerecht und mutig, schnell entschlossen und ein guter Taktiker, ein hervorragender Pilot an den manuellen Steueranlagen eines Schlachtschiffes, deshalb hatte Perry Rhodan ihn zum Kommandanten der STARDUST ernannt. Um 9.00 stand er neben seinem NUO, der die an Bord kommenden Personen auf seiner Liste abhakte. Die reguläre Besatzung war bereits an Bord, er wartete nur noch auf seine Gäste. Als erste von den Mutanten kam eine zierlich anmutende Asiatin über die Gleitrampe und grüßte, indem sie die rechte Faust in die offene linke Handfläche legte und sich leicht verbeugte. Ihr Anzug, selbstverständlich wie bei allen Mutanten ein Starlight, war so eingestellt, dass er wie ein hautenger, pechschwarzer Lederoverall wirkte, dazu trug sie Stiefeln bis zum Knie mit hohem Absatz. Auf der linken Brust prangte das Zeichen der GCC, ein ‚Trinity Knot’, in jeder Schleife ein Buchstabe, Gold auf schwarzem Hintergrund.
„Ishi Matsu“, meldete sie sich, der Skipper erwiderte den Gruß, indem er salutierte.
Ein dunkelhäutiger Krauskopf, der Anzug wirkte wie ein blaues Hemd zu blue Jeans und Sneakern, ebenfalls den ‚Trinity Knot‘ auf der Brust, entstand aus der leeren Luft und hielt dem Skipper die rechte Hand hin.
„Ras Tschubai”, sagte er, an den NUO gewandt. John Marshall war der nächste, wie immer wirkte sein Anzug wie ein weißes Hemd zu einer schwarzen Anzughose mit schwarzen Schuhen. Über dem weißen Hemd trug John sogar noch eine schwarze Anzugjacke, er blieb noch ein wenig in der Schleuse stehen, um mit Oberst Campbell zu plaudern, ehe er die Zentrale aufsuchte. Betty Kendall, geborene Touffry war eher klein und ein wenig mollig, mit ausgeprägten Formen. Sehr ausgeprägten. Ihr Anzug war ein buntes, lustiges Chaos aus frühlingshaften Farben, und mit ihr war die Besatzung um 9.30 vollzählig an Bord. Es fehlten nur noch der Großadministrator Perry Rhodan, allgemein Chef oder Boss genannt, Donna Thora und Vorstandsmitglied Reginald Bull, den man Bully nannte. Diese drei Honoratioren kamen selbstverständlich als letzte Personen an Bord. Eine uralte Tradition. Selbst wenn sie aus irgendeinem Grund bereits vorher an Bord waren, beim Einstieg waren sie die letzten auf der Liste, so sicher wie das Amen in der Kirche! Oberst Campbell begleitete seine Chefs persönlich in die Zentrale, auch das eine Tradition.

Der Kommandoraum eines 800 Meter durchmessenden Schlachtschiffes wie der STARDUST war ein wahrhaft beeindruckender Kuppeldom, in dem man sich schon sehr klein fühlen konnte. Man schien von der zentralen Plattform rundum freie Sicht zu haben, derzeit auf den strahlend blauen Himmel über der Gobi und den Raumhafen, der nur in Ausnahmefällen von interstellaren Raumschiffen angeflogen werden durfte. In weiter Entfernung war noch die Skyline von Galacto City zu erkennen. Hier, in dieser zentralen Kuppel, befand sich auch ein manuelles Interface mit Bildschirmen zur Bordneuronik, Dusty genannt, und die Kontursitze des Kommandanten und der ‚Gäste‘, denn mehr als ein Gast war nach dem Start auch der Besitzer nicht mehr. Rundum waren die Stationen der manuellen Steuerung, das Pult des Galaktonauten, die Feuerleitlentrale, die Kommunikation und die Station des Neuronikers untergebracht, ebenso die Möglichkeit, die wichtigsten Instrumente des Maschinenraumes und der wissenschaftlichen Forschung zu bedienen. Und alle Besatzungsmitglieder hatten viel Platz an ihren Pulten, viel Ellenbogenfreiheit, die Kommunikation lief sowieso nur über die Headsets. Als die Führungskräfte den Kommandoraum betraten, erklang eine durchdringende Pfeife im Dreiklang.
„Skipper auf der Brücke!“
Campbell antwortete mit dem traditionellen „Skipper übernimmt Brücke“.

Thora streichelte die Armlehnen ihres Sitzes, als sie Platz nahm. „Endlich!“ seufzte sie. „Es ist viel zu lange her!“
Campbell grinste sie an und wies in den Himmel. „Donna Thora, erweisen Sie uns die Ehre, die STARDUST ins All zu bringen. Dusty, bitte manuelle Kontrolle an den Sitz von Donna Thora!“
Die Arkonidin lächelte glücklich zurück. „Danke, Oberst. Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen zugleich. Dusty, Thora übernimmt! Start in drei, zwo, eins, take off!“ Über den Touchscreen in der Armlehne ihres Sessels hob sie die STARDUST in den Himmel, der eigentlichen Heimat des Schiffes, dem Weltall, entgegen. Über den Sitzen färbte sich der blaue Himmel schwarz, eine Unzahl von Sternen erschien auf dem Panoramaschirm, das Schiff änderte den Kurs, der blaue Ball der Erde mit weißen Wolkenmustern kam ins Sichtfeld. „Dusty, Kurs Gopkar-Sektor berechnen.“
Dustys angenehme Stimme erklang aus den Lautsprechern. „Berechnet, Donna Thora!“
„Dusty, übernimm die Steuerung!“
„Übernommen!“
Thora klappte einen Schutzdeckel über die Steuerung. „Oberst, ich danke Ihnen vielmals!“
Campbell verneigte sich. „Dusty, berechneten Kurs Gopkar-Sektor, Ausführung! Sprung selbständig nach erreichen von Sicherheitsdistanz und Geschwindigkeit! Befehl Ausführung.“
„Bestätigung, Kurs Gopkar-Sektor, Ausführung freigegeben! Aye, Skipper!“

*

Oktober 2082, Terra

Washington Times: Gewalt im häuslichen Umfeld steigt um 25% gegenüber dem Vorjahreszeitraum! Wie unser Kontakt bei der Polizei bestätigt, sind die Gewalttaten vor allem im häuslichen Umfeld, aber auch in der Öffentlichkeit zwischen total Fremden um mehr als ein Viertel gegenüber einem vergleichbaren Zeitraum im vorigen Jahr gestiegen. Die Polizei ist machtlos gegen diese Gewaltexzesse.
New Yorker: Schlägereien und Morde wieder an der Tagesordnung? Ist es wieder soweit! Vor etwa 100 Jahren gab es in New York keinen Tag, an dem nicht einige Morde und Kämpfe geschahen. Wir glaubten diese Zeit überwunden zu haben, seit Bürgermeister Giuliani war New York eine sichere Stadt geworden. Doch nun schlägt der Terror der Gewalt mit geballter Kraft wieder zu.
New Orleans Gazette: Massenorgie nach Super Bowl! Zum ersten Mal in ihrer Geschichte gelang es den New Orleans Saints nicht nur ins Finale des NFL – Super Bowl aufzusteigen, es gelang auch noch der Sieg über die Denver Broncos im eigenen Stadion. In der Halbzeitshow sang Jasmin Beermore ‚oh when the saints go marching in’, tausende Besucher bildeten den Chor. Nach dem Abpfiff, der das Ergebnis offiziell machte, wurde in der Bourbon Street wild getanzt, die Menschen umarmten und küssten sich. Schließlich artete das Ganze in eine Orgie aus, an der nach unbestätigten Meldungen auch fünf Polizistinnen und drei Polizisten teilnahmen.
Neue Prawda: Menschen tanzen fast nackt vor dem Kreml, Unruhen und Ausschreitungen bei Sportveranstaltungen! Trotz anhaltender Kälte in Moskau waren tausende auf den Straße, um den neuen Premierminister zu feiern. Als dieser die Krawatte abnahm, steigerte sich die Feiernden in eine Hysterie und rissen sowohl sich selber als auch dem Premier die Kleider in Fetzen vom Leib. Weniger harmlos ging es beim Eishockeyspiel Dynamo Kiew gegen Lokomotive Moskau zu. Die Polizei musste die Kämpfenden Fans trennen. Für viele endete der Abend entweder in einer Klinik oder Zelle!
Pekinger Stimme des Vorsitzenden: Polizisten überfallen und verprügelt! Konterrevolutionäre Elemente haben die treuen Bürger der Asiatischen Föderation gegen den Genossen Vorsitzenden aufgewiegelt. Die Verbrecher wurden gefasst und warten auf ihre Verurteilung.
Bild: Thora Rhodan wieder schwanger! Wer ist der Vater? Bild ist auf der Suche nach einem Telepathen, der den Fötus interviewen soll.

*

An Bord der HEPHAISTOS

„Mutter?“ Der große, etwas korpulente junge Mann setzte sich zu Victoria Rosheen dalRhodan an den Tisch. Sie legte das ComPad aus der Hand und sah dem Teenager ins Gesicht.
„Reggy! Es ist schön, dass Du mich besuchen kommst. Sie geht’s Dir denn?“ Sie versuchte ihm eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, bevor er den Kopf wegziehen konnte.
„Mutter, lass das doch sein! Und Du weißt doch sowohl über meinen Gesundheitszustand als auch meine Noten genau Bescheid! Das brauchst zu gar nicht abstreiten! Und nenne mich nicht Reggy!“
Victoria lächelte vor sich hin. Beinahe dasselbe hatte sie zu Thora gesagt, vor vielen Jahren. „Ich streite es nicht ab, Reginald. Eine Mutter hat die Aufgabe, lästig zu sein und alles über ihren Sohn wissen zu wollen. Töchter und Söhne haben die Aufgabe, genau das nervig zu finden. Also, was kann ich für Dich tun?“
Reginald Atlan Starlight nippte an seiner Cola, die ein Kellner gebracht hat. „Wir haben vor ein paar Wochen über die Desintegratoren gesprochen, es war richtig interessant. Aber warum kehren wir nicht einfach den Vorgang und bauen einen Reintegrator?“
Victoria lehnte sich vor. „Ich gestehe, dass ich keine Ahnung habe! Aber warte ein wenig. Leslie? Komm herüber und hör mit! Bitte, Reginald, sprich weiter.“ Der junge Mann hatte Leslie Myers aus dem Kreativteam begrüßt und ergriff nun wieder das Wort.
„Wenn man mit Energie die Kräfte, welche die Moleküle zusammen halten, zerstören kann, sodass nur eine Wolke aus Molekülen übrig bleibt, muss man doch aus einer Wolke Moleküle mit Energie wieder einen Körper formen können!“
„Leslie?“ Victoria schaute zu ihrer Wissenschaftlerin, die mit den Schultern zuckte.
„Es klingt wie ein theoretisch möglicher Ansatz. Und nachdem dein Metaphysiker schon einmal recht behalten hat, sollte man sich das Ganze wirklich einmal durchrechnen.“ Sie lächelte Reginald gewinnend an, der, wie wahrscheinlich jeder Teenager, bei der Aufmerksamkeit einer jeden einigermaßen hübschen Frau etwas nervös wurde und schnell noch einen Schluck Cola nahm. „Hast du morgen etwas Zeit, Reginald? Wenn etwas daraus wird, erhebe ich Anspruch auf 35 %“
Victorias Sohn schaute ratlos von Mutter zu Leslie und wieder zurück. Victoria nickte. „Ich glaube, 35 % vom Gewinn, wenn etwas aus der Idee wird, kannst du Leslie schon abgegeben.“
Reginald strahlte! „Du glaubst wirklich, es könnte funktionieren?“ Victoria Rosheen legte vorsichtig ihre Hand auf die seine, für Sekunden ließ er es sich gefallen, ehe er die Hand wegzog.
„Reginald, selbstverständlich glaube ich an die Möglichkeit. Dein Vater hatte einen IQ jenseits der Geniemarke. Er hat so einiges an der HEPHAISTOS mitentwickelt!“
Leslie hob einen Zeigefinger. „Deine Mutter verschweigt, was alles von ihr ist. Du hast zwei sehr kluge Eltern, Reginald! Also, morgen, versuchen wir’s?“ Innerlich tanzte der junge Mann vor Freude. Wenn der das Theodora erzählte, vielleicht wäre das hübsche Mädchen beeindruckt genug, Phillip zu vergessen. Oder sollte er sein Glück doch lieber bei Marie France versuchen? Blond oder schwarzhaarig, groß und sehr schlank oder kleiner, aber mit beachtlichen Kurven? Immer diese Entscheidungen! Das Leben als Teenager war wirklich nicht leicht.

*

Dezember 2082, Gopkar-Sektor, An Bord der STARDUST

Es war einer jener absolut unwahrscheinlichen Zufälle, die es eigentlich der Wahrscheinlichkeit nach nicht geben dürfte, und die doch immer wieder vorkommen …

Thora, Perry Rhodan und Bully standen vor dem Schirm, auf dem die Neuronik die Ergebnisse der Expedition listete.
„Fünf Sonnen von der Klasse G. Vier davon haben ein System mit mindestens einem Sauerstoffplaneten. Auch wenn Nummer drei etwas kühl sein dürfte!“ Thora wies auf den Schirm, unterstrich ihre Aussagen.
Rhodan lächelte. „Mit einer heißblütigen Arko… AU!“
„Pavian! Denkt immer nur mit Einem und an das Eine!“ Thora strahlte, sie war glücklich, wieder einmal zwischen den Sternen zu sein. Auch Perry Rhodan war gelöst und entspannt wie schon lange nicht mehr, die zwei- und mehrdeutigen Sticheleien, die er mit Thora wechselte, waren für Bully ein eindeutiger Beweis für das Wohlbefinden seines Freundes. Nach fünf Monaten war Thoras Bäuchlein auch schon ein wenig gerundet, und oft schien sie von innen heraus zu strahlen. Es würde wieder ein Sohn werden, sagte der RoboDoc. Der Name sollte drei der ältesten Freunde Perry Rhodans ehren, es war bereits beschlossene Sache. Perry hatte diesmal umsonst seine Großväter ins Spiel gebracht, Thoras Vorschlag hatte er unmöglich ablehnen können. Wie hätte er auch bei Reginald Michael Conrad Rhodan nein sagen können. Bully schwoll die Brust, als er von den Namen erfuhr, seine heimliche Verehrung – in aller Unschuld, rein platonisch natürlich – für Thora stieg noch weiter.

„Na schön!“ Rhodan hatte seine aufrechte Haltung wiedergefunden. „Dusty, ist noch ein vielversprechendes System in der Nähe?“ In den Lautsprechern knackte es, ehe sich die seltsam androgyne Stimme der Neuronik meldete.
„Eine Sonne wäre in geringer Entfernung, Spektralklasse F, etwas heißer als die Sonne der Erde, aber weniger heiß als der Stern Arkons.“
Rhodan trat einige Schritte zur Seite, schaute auf den Rundumschirm der Zentrale. „Zeig ihn mir, Dusty!“ Ein großer Ring grenzte einen Sektor ein, schrumpfte, bis nur noch ein Pünktchen zu sehen war.
„Fünf Komma sechs drei und ein paar Zerquetschte!“ Bully hatte sich vor gebeugt und die Daten abgelesen. „Die Stardust schafft das locker in einem Sprung, oder Dusty?“ Die androgyne Stimme bestätigte
„Aber ganz bestimmt, Dickerchen!”

Bulls Augen verengten sich zu Schlitzen, als er sich umdrehte. „Wer war das?“ Ein Neuroniker hob die Hand. „Oh, zumindest haben Sie den Mumm, zu Ihren Handlungen zu stehen! Wie ist Ihr Name?“
„Fähnrich Westhouse, Sir! Wenn ich erklären dürfte, Sir?“
„Na?“ explosionsartig erklang Bulls Frage nach einer Erklärung.
„Sir, Sonderoffizier Guck …“
„Gucky kann eine Neuronik nicht von einer Neurose unterscheiden, Fähnrich! Ihre Ausrede klingt etwas dünn, oder?“
„Sir!“ Eine junge, zierliche Frau stand vom galaktonautischen Pult auf.
„Was, Nav?“ Nach alter Flottentradition, von Atlan eingeführt, sprach Bully die Frau mit ihrer abgekürzten Funktion an.
„Sir! Der Sonderoffizier hat die Neuronik tatsächlich nicht programmiert! Er hat sie gebeten!“
„So? Und wann soll das geschehen sein?“ Bull war noch lange nicht überzeugt, er ging noch immer von der Schuld des Fähnrichs aus. Hätte der in der dienstfreien Zeit im Stardust-Kasino den Begriff verwendet, gut. Aber in der Zentrale musste Disziplin gewahrt bleiben. Auch, oder vielleicht sogar umso mehr, weil die Terraflotte genau genommen derzeit noch Privateigentum war und die Besatzung Angestellte, keine Soldaten.
„Gestern, Sir! Um etwa zwanzighundert, Sir!“ Westhouse stand stramm wie ein Zinnsoldat. Bullys Augen quollen beinahe aus ihren Höhlen.
„Soll das heißen, das Vieh ist an Bord?“ Kaum hatte Bully ausgesprochen, fühlte er, wie der Boden sich von seinen Sohlen entfernte, oder wohl richtiger, seine Füße vom Deck. Langsam schwebte er aufwärts, begleitet von einer piepsigen Stimme:
„Ich bin kein Vieh, du aufgedunsener Ballon!“ Blitzartig schnappten die Gedankenschirme um Thoras und Rhodans Gedanken zu.
„Mit Euch habe ich auch noch ein Hühnchen zu rupfen!“ Gucky baute sich vor den Beiden auf. „Ohne mich zu fragen, ob ich mit will, einfach loszuknattern! Wer hat denn Euch..“
„GUCK!“ Rhodan wurde laut und nachdrücklich. „Diese völlig deplatzierte Redewendung kannst du gemeinsam mit Bully irgendwo in der Galaxis benützen, aber NIEMALS, verstehst du, NIEMALS an Bord eines terranischen Schiffes!“
Gucky sah zu Rhodan auf. „Auf einem Arkonpott?“ Thora ging in die Knie und kraulte seine großen, pelzigen Ohren.
„Gucky, möchtest du, dass ich mich für dich schämen muss?“
„Oh!“ Gucky wurde nachdenklich, plötzlich funkelte sein einzelner Nagezahn. „Dann bleiben noch die Springer und ihre Dampfer! Das könnt ihr mir nicht verbieten!“
„Lass Bully vorsichtig wieder zu Boden, Gucky. Ich werde deinem letzten Antrag statt geben. Springer und ihre Schiffe sind Freiwild!“ Während Gucky zufrieden grinste, schwebte Bully sanft zu Boden.
„Also, ehe mich dieser Mausbiber so rüde unterbrach, wollte ich einen Sprung zu diesem F-Stern vorschlagen“, bemerkte Reginald Bull und wischte unnötigerweise Staub von seiner Schulter. Rhodan blickte nachdenklich auf den Panoramaschirm, dann auf die bisherigen Ergebnisse, schaute zu Thora, die kräftig nickte, und entschied sich.
„In Ordnung! Wenn ich jetzt ‚nein’ sage, werde ich mich immer fragen, ob es sich nicht doch gelohnt hätte. Aber dann ist für dieses mal Schluss! Irgendwann müssen wir wieder zur Erde zurückkehren!“
Thora umarmte ihn. „Einverstanden! Aber nur, weil du ‚dieses mal‘ dazu gesagt hast!“ Sie küsste ihn heftig, Gucky schüttelte angewidert den Kopf.
„Total fixiert, diese Menschen. Wo bleibt denn der Spaß am Leben, wenn man sich dauernd abknutschen muss.“
Bully holte tief Luft. „Na dann, Dusty, Sprung berechnen!“
„Berechnet”, bestätigte die Neuronik.
„Sprung – Ausführung!“ rief Bully, und die Stardust verschwand in einer typischen Kugellinse des Wurmlochantriebes aus dem System der gelben Sonne – und wurde im gleichen Augenblick in einer ähnlichen Linse wieder etwa 5,6 Lichtjahre entfernt. In dem winzigen Augenblick, zwischen Materialisierung und dem Einschalten der Prallschirme kollidierte die Stardust mit einem Hyperschocktorpedo, den ein Kreuzer der Methanatmer auf ein Arkonschiff geschossen hatte, ehe er selber in atomarer Glut verging. Jahrtausende nach der Schlacht erfüllte er seine Aufgabe doch noch, die einzige, für die er gebaut wurde. Er explodierte.

Eine Wahrscheinlichkeit von Milliarden zu Eins, und doch geschah das Unmögliche. Vielleicht war es auch die Rache aller Götter der Raumschiffer, weil Bully im Überschwang seiner Freude die grauenhafteste aller Sünden begangen hatte. Niemand überging den Skipper eines Raumschiffes! NIEMALS! Unter KEINEN Umständen.

Die Energie auf der STARDUST fiel aus, die Besatzung krümmte sich, als unsichtbare Krallen in die Gehirne schlugen. Dann raste eine steuerlose Stahlkugel einem der Planeten einer Sonne der F-Klasse zu.

Dezember 2082, Gopkar-Sektor

Eine etwa 800 Meter durchmessende Stahlkugel raste auf einen Planeten der noch unbenannten Sonne zu. Es gab keinerlei Anzeichen von Aktivitäten an Bord der STARDUST, sie folgte ausschließlich den Gesetzen der Trägheit und der Gravitation. Nur einige wenige Ventilatoren liefen, von außen nicht bemerkbar, mit Notfall-Akkumulatoren, bewegten die Luft, damit die Bewusstlosen nicht an der eigenen Luft, die sie ausatmeten, erstickten. Dann, endlos scheinende Stunden später, blinkten hier und da einige Positionslampen auf, Luken mit offener Sichtblende, winzig wie Stecknadelstiche im Vergleich zur Größe des Schiffes, zeigten, dass die Energieversorgung im Inneren wieder angelaufen war. Langsam und vorsichtig wurde die künstliche Schwerkraft wieder hochgefahren, doch an einigen Stellen kam es zu unvorhersehbaren Fluktuationen, mancher Körper prallte hart auf. Die mächtigen Korpuskulartriebwerke erwachten wieder zum Leben und beendeten den Weg in die Zerstörung, brachten die Stardust auf einen sicheren Kurs um den Stern. Die Neuronik wischte sich mit einer imaginären Hand den nicht vorhandenen Schweiß von der inexistenten Stirn und aktivierte den MedoSektor.

„Chef!“ Perry Rhodan hob mühsam die Lider. „He, Chef, Zeit zum Aufwachen!“ Ishi Matsu hob Rhodans Oberkörper in eine aufrechte Stellung, die zierlich anmutende Japanerin entwickelte dabei Kräfte, die man ihr nicht zugetraut hätte, und reichte Perry einen Becher Wasser.
„Thora?“
„Ras kümmert sich um sie, die Medobots sind auch schon hier“, berichtete die Mutantin. Rhodan machte sich frei und schwankte zu seiner Frau, die sich eben an einem Konturensessel hochzog.
„Was”, keuchte sie. „Was beim kalten Arsch war das?“
Die androgyne Stimme der STARDUST antwortete ihr umgehend: „Ein Hyperschocktorpedo, vermutlich methanischer Herkunft. Er hat sämtliche Funktionen des Schiffes lahm gelegt, alle Funktionen, die auf der Wurmloch-Technologie basieren, sind dauerhaft geschädigt.“
Thoras Hände fuhren an ihren Bauch, Schock, Entsetzen verzerrten ihr Gesicht. „Mein…“
Die weiblich wirkende Stimme des Medobot sprach dazwischen. „Der Fötus ist gesund, auch die Abtastung des neuronalen Netzwerks hat keine Schädigung erkennen lassen.“
Rhodan ließ sich in einen der Sessel sinken. „Wieder einmal gestrandet. Freunde, wir müssten endlich einmal damit aufhören!“

Von der anderen Seite des Neuronikbildschirmes hörte man Guckys klagende Stimme. „Wach auf, Bully! Alle sind doch schon lange auf den Beinen! Bully!“
Die sanfte Stimme eines Medobot wollte beruhigen. „Vorstandsmitglied Reginald Bull wird bald das Bewusstsein wiedererlangen. Ich empfehle allerdings 24 Stunden Beobachtung in der Krankenstation, es besteht der dringende Verdacht einer Gehirnerschütterung. Der Kopf des Patienten ist mit 95,2 % Wahrscheinlichkeit mit diesem Bildschirm kollidiert.“
„Dann nimm ihn eben mit. Aber vorsichtig, du Blechhaufen, sonst lernst du fliegen!“ Gucky hielt immer noch Bullys Hand, der Medobot hüllte den Bewusstlosen in ein Antigravfeld und erwiderte:
„Dieser Typ 36 Medobot ist sowohl mit internen als auch externen Antigravitationsgeräten ausgestattet. Somit ist ein Typ 36 Medobot bereits des Fliegens mächtig. Administrator Bull befindet sich in besten Händen, bitte machen Sie sich keine Sorgen, Sonderoffizier Guck.“
Verzweifelt und sprachlos sah Gucky dem Abtransport seines Freundes zu, die Antwort des Medobots hatte seiner sowieso nicht ernst gemeinten Drohung auch den letzten Rest von Wind aus den Segeln genommen. Betty Kendall trat hinter ihn und legte ihre Hände auf seine Schultern, tröstliche psionische Schwingungen tasteten nach Guckys Gedanken, legten eine weiche, warme Wolke um seine Gefühle. Endlich, nach ungewöhnlich langer Zeit, gelang es dem Mausbiber, seine Traurigkeit abzuschütteln.
„Danke, Betty. Du bist immer noch eine gute Freundin. Warum hast du bloß geheiratet?“ Betty hockte sich vor den Mausbiber und küsste seine Nasenspitze. „Weil Roger ein lieber Mann und guter Vater ist, und weil ich nicht für immer ein Kind bleiben wollte und konnte. Aber Du wirst immer einen großen Platz in meinem Herzen einnehmen. Versprochen, Gucky!“

*

„Also Leute!“ Perry Rhodan eröffnete wenig später im Konferenzraum die Besprechung der Schiffsführung. „Dusty, bitte gib uns einen Überblick!“
Das einprogrammierte Knacken der Lautsprecher eröffnete den Rapport der Neuronik. „Zu Beginn der von Arkon Methankrieg genannten Kampfhandlungen setzten die Methanatmer große Mengen so genannter Hyperschocktorpedos mit großem Erfolg ein. Des Ergebnis einer ‚Detonation’ bestand im kompletten Energieausfall des betroffenen Schiffes, sowie der Zerstörung eines jeden auf Wurmloch- oder ähnlichen auf übergeordneter Energie basierender Technologie funktionierenden Gerätes. Die Besatzungen wurden auf Stunden bewusstlos und damit eine leichte Beute nach der Schlacht. Doch bald wurde ein einfaches Gegenmittel gefunden, die Prallschirme entsprechend modifiziert. Leider hat uns nach der Rematerialisation einer dieser Torpedos getroffen, ehe die Schirme routinegemäß reaktiviert wurden. Aller Wahrscheinlichkeit war diese Waffe ein Relikt aus der Zeit der Methankriege. Mittlerweile sind alle Funktionen wieder hergestellt – mit Ausnahme der hyperschnellen Kommunikation und des überlichtschnellen Antriebes. Meine eigenen höheren Gehirnfunktionen werden in etwa drei Stunden wieder völlig zur Verfügung stehen. Bis dahin empfehle ich menschlich unterstütze Raumüberwachung und bei Kurs- und/oder Lagekorrekturen manuelle Eingabe.“
„Danke, Dusty! John?“ Der Australier, dessen schwarze Haare wie immer stark gegelt wirkten, erhob sich, stützte seine Arme auf den Tisch.
„Wie zu sehen ist, sind alle Mutanten wohlauf und einsatzbereit. Sogar mehr als das, wir haben, wie bereits leicht zu bemerken war, ein Mitglied des Corps mehr an Bord.“ Gucky stellte sich in die Pose des siegreichen Boxers, die Hände über dem Kopf zusammen gelegt und holte tief Luft. Ein Blick Rhodans veränderte die noch nicht begonnene Lobeshymne auf sich selbst in einen tiefen Seufzer, der Mausbiber ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. „Ishi, Betty, Ras, Gucky und ich selber haben den Hyperschock schneller und besser überwunden als die restliche Besatzung. Vielleicht, weil unsere Gehirne Hyperwellen gewöhnt sind. Genau werden wir es in nächster Zukunft kaum erfahren.“
„Ich nehme den Zustand der Mutanten zur Kenntnis. Oberst Campbell?“
Der rothaarige Hüne beugte sich etwas vor und strich über seinen Backenbart. „Es gibt keine Ausfälle bei der Besatzung, nur leichtere Verletzungen. In den nächsten 36 Stunden sollten wieder alle auf dem Damm sein. Mister Bulls Gehirnerschütterung dürfte zu den schwersten Problemen gehören. Wir haben Glück, dass die STARDUST noch genügend Medikamente gegen Hyperschock an Bord hatte.“
Major Willy Franks, der Zahl- und Proviantmeister, kurz NO (Nachschubsoffizier) genannt, war der Nächste. Kurz las der kleine, schlanke Mann noch in seinen Notizen, dann legte er Rechenschaft. „Drei Wochen Tiefkühlkost, etwa 5 Jahre Konzentratnahrung, Wasser für fast 10 Jahre, bei effektiven Recycling-Maßnahmen.“ Eine Abteilung nach der anderen gab eine Klarmeldung, mit Ausnahme des ÜL-Antriebes. Die knappe Meldung des LI.
„Der wird mit Bordmitteln vielleicht, mit viel Glück in einigen Jahren unter Umständen wieder einsatzbereit sein.“
„Na schön, allmählich bekomme ich Übung darin, im nirgendwo verschollen und gestrandet zu sein.“ Thora streichelte ihr leicht gerundetes Bäuchlein. „Vielleicht gründen wir in diesem System unsere erste Kolonie. Der erste neue Bewohner ist ja schon unterwegs! Und wenn eine dieser Welten von Barbaren bewohnt ist, sollte ich mein Dekolleté etwas weiter öffnen. Das erste Mal habe ich mir auch ein brauchbares Exemplar eingefangen!“
Während die meisten Anwesenden unverhohlen schmunzelten, lächelte Rhodan eher säuerlich. „Ziemlich matter Witz. Aber wir sollten uns dennoch umsehen, und wenn es nur wegen der Vorräte ist. Atlan wird uns bald suchen, bis dahin müssen wir durchhalten. Und ich habe keine große Lust, mich von Konzentraten zu ernähren, wenn es eine Welt voller Nahrung gibt. Außerdem dürfen wir den Zweck unserer Expedition nicht ganz vergessen.“
Thora hob die Hände in gut gespieltem Entsetzen. „Gute Göttin, diese sturen Terraner werden noch auf dem Totenbett ‚wir dürfen unsere größere Aufgabe nicht vergessen’ sagen. Was soll man mit solchen Primitiven bloß anfangen, die zu stur zum Verlieren sind?“ Endlich lockerte ein leises Lachen die düstere Stimmung zumindest kurzfristig.

*

„Alle höheren Neuronikfunktionen wieder hergestellt. Interne und externe Überprüfung ergeben grün, bestätige grün!“ Leutnant Charly Mbogo erstattete etwas später auf der Brücke Meldung, die von Oberst Campbell zur Kenntnis genommen wurde.
„Also, Lassies, dann wollen wir mal. Passive Fernerkundung ergibt Wasser und Sauerstoff auf drei und vier, es dürften sich aber wahrscheinlich alle hier an Bord auf vier wohler fühlen. Dusty, Kurs auf Reggy IV.“ Bully hatte die Ehre bekommen, dass dieser Stern nach ihm benannt wurde, immerhin war er der am schwersten Verwundete des Unglücks gewesen.

„Passive Ortung zeichnet Metallobjekt im Orbit um drei! Keine Energiesignatur!“ Beinahe mit der Geschwindigkeit eines Teleporters war Campbell am Ortungspult. „Sehen Sie, Sir. Das Objekt besteht an der Oberfläche aus Arkonstahl, Masse und Durchmesser vereinbar mit einem arkonidischen Kreuzer der 500-Meter-Klasse.“
„Com! Meine Empfehlung an Großadministrator Rhodan und Donna Thora.“ Campbell ließ den Orterschirm nicht aus den Augen. „Der Skipper bittet den Großadministrator und die Dame zu sich auf die Brücke! Da haben wir ja etwas schönes entdeckt!“

*

„Das ist ein arkonidischer Kreuzer!“ bestätigte Thora wenig später. „Er muss aber schon uralt sein. Sehen Sie den Ringwulst, Oberst? Vor mehr als 6000 Jahren hat man diese weit abstehende, aber schmale Form ähnlich einer Messerklinge das letzte Mal gebaut. Vergleichen Sie den Triebwerkring der STARDUST damit, der Unterschied ist nicht zu verkennen.“ Die STARDUST hatte den Kurs etwas geändert und nun doch die heißere Nummer drei zuerst angeflogen. Ein großer Umweg war es nicht geworden, von ihrem Eintauchpunkt gesehen lagen beide Planeten annähernd auf einer Linie, nur auf verschiedenen Seiten des Sterns. Mittlerweile schwebte sie in kurzer Distanz zu der 500 Meter durchmessenden Metallkugel im Orbit um den dritten Planeten.
„Was hat denn dieses Riesenloch in den Rumpf gerissen?“ Rhodan deutete auf das halbe Wrack. „Da kann ja ein sechziger Leichtkreuzer mit doppeltem Sicherheitsabstand durchfliegen.“
Thora zögerte, durchforstete ihr eidetisches Gehirn. „Ich habe einmal ein Bild gesehen. Das zentrale Archiv auf Arkon III war einmal auf einem Bild mit einer ähnlichen Beschädigung zu sehen. Es ist aber nicht überliefert, wie das geschehen konnte!“
Perry Rhodan dehnte seinen Rücken. „In Ordnung! Oberst, würden Sie Major George Umpanga bitten, mit Patrouillenboot 1 Reggy 4 anzufliegen. Messen, beobachten.“ Er rieb sich den leicht schmerzenden Nacken. „Hier wird es Zeit für den Einsatz von Mutanten.“

„Frohlocket und Jauchzet, der Retter ist erschienen!“ piepste des Mausbibers Stimme durch die Brücke. „Vernehmet, er ist bereit zum Einsatz und wird alles wenden zum Besten!“
Thora machte ein erstauntes Gesicht. „Das ist ja eine seltsame Diktion, Gucky!“
Dessen einzelner Nagezahn zeigte sich in voller Pracht. „Da war so ein Typ im langen Abendkleid bei Bully, als der bewusstlos in der FRT-Röhre lag, der hat ganz etwas Ähnliches von sich gegeben!“
„Oh! Hat Kaplan Giovanni Fussi seine Soutane ausgepackt!“ Campbell lachte. „Er hofft wohl, Bullys unsterbliche Seele retten zu können!“
„Da habe ich aber nicht sehr viel Hoffnung”, brummte John Marshall.

Perry Rhodan wandte sich an den Mausbiber. „Na schön, Kleiner. Ein erster Erkundungsgang. Nichts anfassen, nur nachsehen, klar?“ Gucky versuchte den Bauch einzuziehen und die Brust rauszudrücken, als er salutierte. Die Verbesserung seiner Haltung war marginal, seine Figur glich eben zu sehr einer Birne.
„Aye, großer und furchtloser Anführer! Nix antatschen und nur gucken! Wird erledigt.“ Das kleine Kerlchen zog die sich versteifende Helmfolie über den Kopf, entmaterialisierte – und materialisierte im gleichen Moment auf der Brücke des Arkonidenkreuzers. Der breite Lichtstrahl einer auf der Brust des Mausbibers befestigten Lampe zeichnete einen Fleck Helligkeit dort, wo er auftraf, wanderte, als der schwerelos schwebende Gucky seine Lage änderte.
„Meldung. Kein Druck, keine künstliche Gravitation, kein Quäntchen Energie. Hier ist alles tot! Hier im zentralen Sitz liegt ein Kampfanzug, so ähnlich wie unsere alten – oh, da ist ja noch jemand zu Hause! STARDUST, in diesem Anzug stecken noch Knochen. Im Vakuum gut erhalten.“ Der Lichtkreis wanderte weiter. „Brandspuren überall, aber nichts gravierendes. Beide Schotts zur Zentrale stehen offen, ich begebe mich in den Rundgang. Auch hier hat es gebrannt!“
„Gucky” Thoras Stimme klang unverzerrt aus dem speziell für die Ohrenanatomie des Mausbibers gefertigten Headset. „Kannst Du einen Antigravlift sehen?“
„Schwebe praktisch davor.“ Gucky bediente sich seiner telekinetischen Fähigkeiten, um in den Lift zu gelangen. „Oha, der reicht nicht weit nach unten, ich kann die Sterne sehen! Wie ist dieses Schiff bloß noch in den Orbit gekommen?“
„Wahrscheinlich mit letzter Reserve. Der Orbit ist auch ziemlich hoch.“ Thoras Schulung und Erfahrung mit arkonidischen Routinen verleiteten sie zu einer Spekulation. „Schwebst Du bitte wieder auf die Brücke!“
„Schwebe – bin angekommen!“
„Gut. Im Sockel des Kommandantensessels müsste eine Klappe sein. Öffne sie!“
Guckys Nagezahn kam zum Vorschein. „Sollte ich denn nichts anfassen, nur nachsehen?“
„Wir erweitern den Befehl.“ Thoras Stimme klang zuckersüß. „Auf Anweisung unter meiner Anleitung darfst Du! Also, bitte, öffne die Klappe!“
„Ich sehe einen grünen Kasten, Thora!“
„Ausgezeichnet! Bitte ziehe ihn heraus und bringe ihn mit!“ Gucky hatte keine Probleme, Thoras Bitte nachzukommen, dank seiner Psikräfte musste er sich nicht einmal bücken. „Was ist das für ein Ding?“ Neugierig drehte er es hin und her, doch außer einem uralten Kabelanschluss, von dem er es gelöst hatte, war nichts zu sehen.
„Das Ding”, lachte Thora, „würden die Terraner CVR nennen. Cockpit Voice Recorder. Ich glaube, damit ist die Funktion gut erklärt. Komm jetzt zurück, Gucky.“

*

Das sechzig Meter durchmessende Patrouillenboot der Stardust raste durch das All auf den blauen Planeten zu, der aus dieser Entfernung der Erde überaus ähnlich sah. Lieutenant Commander George Umpanga war Massai aus Kenia, etwa zwei Meter groß und erschreckend dünn, beinahe wir ein Ara. Er hatte die neu gegründete ‚Space Academy’ der GCC nicht nur mit Auszeichnung, sondern auch in Rekordzeit absolviert und war einer der jüngsten Offiziere der STARDUST. Sowohl Campbell als auch Rhodan griffen gerne auf ihn zurück, wenn eigenständiges Denken und Handeln erforderlich war. Auch wenn sich der dunkelhäutige Mann mit den Stammesnarben am Körper so manches Mal in einer Rolle des ‚wilden Mannes’ gefiel, besonders in Anwesenheit von Damen.

Jetzt eben saß er entspannt in seinem Kontursessel und beobachtete den größer werdenden Planeten.
„Pebbles, ETA, bitte?“, fragte er die Neuronik.
Aus den Lautsprechern klang die weiblich wirkende Stimme der Bordneuronik. „Drei Stunden, einundzwanzig Minuten und zweiunddreißig Sekunden bis zum Orbit ab… jetzt.“
Umpanga wandte sich an seine XO Dulcinea Wanjanao. „Ist doch angenehmer, wenn eine Frau antwortet, auch wenn sie einen Kugelkörper von sechzig Meter hat und einige Tonnen schwer ist.“ Dulcinea kannte ihren Skipper und seine etwas anzügliche Art, doch aufgewachsen in den Elendsvierteln von Rio war sie nicht auf den Mund gefallen.
„Wenn ihnen die Stimme genug ist, Chef, singe ich Sie einmal in den Schlaf.“ Sie gab ihrer Stimme einen sinnlichen Klang. „Mas tocar não é prucurado!“
George lachte aus vollem Hals. „Boa resposta, Dulcinea. Ich werde meine Hände bei mir behalten!“

„Man könnte Heimweh bekommen, so sehr ist Reggy vier der Erde ähnlich.“ Ajitha Kumar sah von den Ortungsgeräten auf. „Etwa zwei Drittel Ozean und ein Drittel Land, ziemlich gleichmäßig verteilt. Hier könnte Mensch gut leben.“ Die Frau aus Indien berührte den traditionellen Punkt auf der Stirn, dann, in einem Anfall von Übermut: „Wenn wir hier bleiben müssen, heiratest Du mich, Chef, oder muss ich mich mit Deinem Kind begnügen?“ Ajitha war in der Freiheit der Space Academy förmlich aufgeblüht, das strenge Kastenwesen hatte sie auch gedanklich weit hinter sich gelassen.
„Nimm mich, Ajitha, ich bleibe Dir treu auf ewig!“ Giovanni Carlotti von der galaktonautischen Station legte theatralisch die Hand auf sein Herz, Ajitha klimperte ihn mit ihren langen Wimpern an.
„Giovanni, wenn ich das glauben wollte, wäre ich die perfekte Kandidat für eine Trivid-Kuppelshow! Da ich aber hier und nicht im Studio bin… rechne es Dir selber aus!“
George klopfte mit dem Knöchel auf die Lehne seines Sessels. „In Ordnung Leute, bitte wieder Konzentration! Ich glaube, da kommen genaue Werte, bitte aufzeichnen und mit einem Impuls an die STARDUST, flachsen können wir später wieder. Ja, Dulcinea, ich habe begonnen, und ich beende es. Bitte!“

Langsam schwebte das Patrouillenboot über eine weite Ebene.
„Ich habe einmal ein Bild von den amerikanischen Prärien gesehen , bevor Monokulturen angelegt wurden. Endlos hohes Büffelgras bis zum Horizont, ähnlich wie hier muss das ausgesehen haben.“ Ajitha kommentierte das Landschaftsbild, Giovanni ergänzte:
„Wenn jetzt noch eine Herde Büffel auftaucht, wäre ich nicht im geringsten Erstaunt.“
„Pebbles, Ausschnitt 12 – 25 vergrößern!“ Dulcinea hatte etwas gesehen. „Stärker vergrößern – den Ausschnitt rechts oben zentrieren und weiter zoomen – etwas links, da haben wir’s ja! Keine Buffalos, aber so etwas wir Mustangs!“
„Wenn jetzt Pierre Brice auf einem Rappen durch’s Bild galoppiert, nehme ich meine Commander-Sterne freiwillig vom Kragen. WAS? Leute! Winnetou, Old Shatterhand? Herr, welche Banausen!“ Georg Umpanga raufte lachend das kurze Kraushaar.
„Säugetiere, Unpaarhufer, also, auch wenn’s genetisch eine Ziege sein könnte, es besetzt jedenfalls die gleiche biologische Nische, die bei uns das Pferd besetzt.“ Maurice Decroix meldete sich von der kleinen, aber gut ausgestatteten wissenschaftlichen Station. „Genaueres erst, wenn ich eines in der Pfanne – äh, ich meine natürlich im Labor gehabt habe!“
„Mehr nach links, da ist auch Bewegung!“ Ajitha wies auf die entsprechende Stelle am Panoramaschirm. „Säugetiere, Paarhufer, vier mächtige Hörner. Ich glaube, wir haben die Rindviecher des Planeten gefunden!“
„Pebbles!“ George erinnerte sich an seine Aufgabe. „Bitte nimm diesen Ort als Nullmeridian. Peilsender abwerfen. Daten an STARDUST übermitteln. Wir sollten aufhören, von Nummer vier zu sprechen. Hat jemand etwas gegen Pamoja Kimbilia einzuwenden?“
„Zu lange, Chef.“ Dulcinea Wanjano widersprach. „Nennen wir ihn einfach ‚PamKim’?“
Ergeben hob Georg die Arme zur Decke. „Große Göttin, was bin ich gestraft! Aber gut, Pebbles, eintragen ins Log. Planet PamKim benannt! Datum, Zeugen, das ganze Brimborium. Zufrieden, DulWan?“
„Gefällt mir besser als ObiWan!“ lachte seine XO.

*

Währenddessen musste die Crew der STARDUST zu ihrem Bedauern feststellen, dass das alte Wrack des Arkonidenkreuzers weder Informationen noch Ersatzteile hergab. Auch der CVR konnte derzeit noch an kein Gerät angeschlossen werden, die Verbindung passte einfach nicht. Die Neuroniker versprachen zwar in absehbarer Zeit ein Provisorium, waren aber bisher erfolglos geblieben – manuelle Arbeit war dann eben doch nicht so ganz ihre Stärke. Was immer diese Waffe gewesen war, welche das Schiff zerstörte, sie hatte ganze Arbeit geleistet. Es war wirklich ein Wunder, dass dieses Schiff nicht auf dem dritten Planeten zerschellt war. Der Steuermann musste damals ein Spitzenkönner gewesen sein, eine große Portion Glück war aber aller Wahrscheinlichkeit nach auch im Spiel gewesen.

„Thora, diese Schiffe damals gingen damals doch noch mit einer ansehnlichen Anzahl von Crewmitgliedern an Bord in den Kampf, oder?“ Rhodan blätterte in seiner Suite auf seinem ComPad durch die Berichte.
„Das weißt du doch genau so gut wie ich, geliebter Pavian. Was meinst du, schwarz, grün oder rot?“
„Was?“ Perry blickte nicht einmal hoch!
„Na, meine Unterwäsche für den ersten Barbarenkontakt natürlich!“ Jetzt riss es dem Großadministrator doch den Kopf in die Höhe, Thora kicherte wie ein Teenager. „Sieh mal einer an. So also gewinnt man die Aufmerksamkeit des Herrn! Soll ich vorführen?“
Rhodan seufzte entsagend. „Später, Donna Ziege! Im Moment beschäftigt mich, dass wir viel zu wenig Leichen gefunden haben. Wir werden uns also den dritten Planeten viel genauer als geplant ansehen müssen. Vielleicht sind sie ja da gelandet.“
Langsam öffnete Thora den Magnetverschluss ihres Overalls noch ein wenig mehr. „Von einigen toten Arkoniden übertrumpft! Ich werde allmählich alt und hässlich!“
„Du wirst für mich nie alt und hässlich sein!“ Perry legte nun doch das ComPad zur Seite, Thora zog den Anzug über eine Schulter, sah ihren Mann über diese an und klimperte übertrieben mit den Wimpern.
„Wirklich nicht? Dann zeig es mir doch, großer Mann! Das Geheimnis der Arkoniden liegt seit Jahrtausenden unberührt hier. Auf ein paar Stunden kommt es nicht mehr an.“
Rhodan grinste. „Stunden? Das nenne ich Optimismus.“
Die Arme um seinen Hals legend und sich an ihn schmiegend, flüsterte Thora in Perrys Ohr. „Wenn ich mit dir fertig bin, wird mindestens acht Stunden geschlafen und dann ordentlich gegessen! Deine Crew braucht einen ausgeruhten, gut gelaunten Chef!“

*

Tatsächlich fühlte sich Perry Rhodan beim Erwachen wohl wie schon lange nicht mehr. Er sah sich um, bemerkte die leere Seite des Bettes neben der seinen und sprang rasch auf, ging mit schnellen Schritten in das andere Zimmer, wo es bereits verführerisch nach Kaffee duftete. Thora genoss auf der Couch sitzend, die langen Beine auf dem niederen Tischchen, ihre Kurven nur spärlich mit einem kurzen Seidenkimono bedeckt, bereits ihren ersten Espresso doppio. Die Arkonidin hatte die terranische Art der Kaffeeröstung und Zubereitung zu lieben begonnen, auf ihren Wunsch war sogar eine Espressomaschine nach italienischer Machart mit eigenem Mahlwerk für die ganzen Bohnen und Zeitautomatik in der Suite des Großadministrators. Sie sagte immer, Kaffee müsse ‚schwarz wie das All, stark wie ein Bordgeschütz und süß wie eine Liebesnacht‘ sein. Perry Rhodan hingegen zog bei seinem Getränk eher eine große Tasse mit viel, aber dafür schwachem Kaffee vor. Cafe Americano eben, er konnte seine Herkunft aus den USA doch nicht verleugnen. So goss er seinen Espresso eben mit genug heißem Wasser auf und setzte sich seiner Frau gegenüber.
„Ich habe Dich gehört und das Frühstück bereits bestellt“ erklärte Thora und legte das Pad zur Seite. „Einstweilen gibt es noch genug Speck und Eier, dazu Toast, Butter und Marmelade.“
Er verzog, wenig begeistert, das Gesicht. „Orangenmarmelade?“
Sie lachte laut. „Ich habe für Dich auch Ahornsirup und Pfannkuchen bestellt! Ah, hier kommt das Frühstück. Spring wenigstens in einen Bademantel, der Stewart denkt sonst noch wer weiß was!“ Sie schenkte Perry einen verführerischen Augenaufschlag. „Vielleicht sogar noch die Wahrheit.“ Energisch zog sie den Gürtel ihres Kimonos fest und öffnete die Tür. „Danke, Jaques, bitte auf den Tisch!“
„Frühstück in der Kabine?“ Rhodan kam in einen Frotteemantel gehüllt aus der Nasszelle. „Wie dekadent.”
„Rang hat Privilegien! Wenn Du einen Junggesellenausflug machst, darfst Du von mir aus in der Messe speisen, jede Mahlzeit. Und jetzt iss, damit Du wieder zu Kräften kommst! Du wirst sie noch brauchen!“
„Ja, Mutter!“ Rhodan nahm das Besteck auf und schnitt ein großes Stück Pfannkuchen mit Ahornsirup ab, Thora bestrich einen Toast mit Butter und Orangenmarmelade.
„Braver Junge!“

Der schrille Dreiklang der ‚Bootsmannspfeife’ begrüßte Perry Rhodan auf der Brücke. Campbell sah auf, alle anderen gingen weiter ihren Aufgaben nach.
„Sir!“ nickte der Oberst.
„Oberst!“ Perry Rhodan ging zum Skipper der STARDUST und setzte sich auf seinen Kontursessel. „Neuigkeiten, Oberst Campbell?“
„Keine besonderen Vorkommnisse, Sir. Das Schiff und die Crew sind bereit und erwarten ihre Befehle!“ Der rothaarige Hüne grinste. „Auch Mister Bull ist aus seinem Heilschlaf erwacht und zeigt, zumindest wenn man den Medobots glauben will, keine ‚neurologischen Benachteiligungen‘ mehr. Guten Morgen, Donna Thora.“
„Ihnen auch, Oberst!“ Die Arkonidin nahm neben Perry Platz.
„Gute Nachrichten, Oberst. Was macht unser Patrouillenboot?“ Rhodan nahm sein ComPad zur Hand.
„Der Kommandant der Pebbles hat den vierten Planeten PamKin benannt, eine Abkürzung für den Namen auf Swahili. Er bedeutet in etwa ‚gemeinsame Zuflucht’. Ich habe den Name bestätigt. Für den Moment hat die Besatzung der Pebbles eine Schlafpause eingelegt. Die kommunizierten Daten sehen gut aus. Vielseitige Flora und Fauna, Säugetiere, Vögel und Echsen, aber bisher keine Anzeichen für intelligente Lebensformen.“
„Also kein Barbar für meine Sammlung? Wie schade“, lachte Thora leise, Perry Rhodan verstaute sein Pad in der dafür vorgesehenen Tasche an seinem Sessel.
„Oberst Campbell, nehmen sie bitte Kurs auf – wie wollen wir ihn nennen? Wie, Nav? Mystery? In Ordnung, ins Protokoll Bitte, Oberst!“

*

„Eine gottverdammte Dschungelwelt!“ rief Bully nur kurze Zeit später. „Das da unten ist die Hölle!“
Thora schüttelte den Kopf und lächelte. „Aber dort unten ist es doch schön warm, Bully! In der Hölle ist es kalt!“
„Na schön, für uns eine Hölle! Könnten wir von dem Tüpfelchen über dem ‚i’ wieder absteigen oder reiten wir es zu Tode?“ knurrte Bull. „Temperaturen von durchschnittlich 40 Grad und dazu 85 bis 90 % Luftfeuchtigkeit – für mich ist das höllisch genug! Was lebt denn da unten?“
Von der wissenschaftlichen Station rief eine Stimme „Bisher sehen wir reptiloide und insektoide Lebensformen, Mister Bull! Näheres erst nach einer Autopsie. Aber ich glaube, die vorherrschende Form dürfte am ehesten mit unseren Dinos vergleichbar sein.“
„Danke, Doc!“ rief Bully zurück, und an Rhodan gewandt: „Na ganz toll! Soll ich Dich Fred und Thora Wilma nennen?“
Rhodan lachte, als er Thoras befremdetes Gesicht sah. „Bully spricht von einer alten Zeichentrickfilm-Fernsehserie, die Familie Feuerstein.“
Auch Ishi Matsu zeigte ihr sparsames Lächeln. „Dann hofft Mister Bull wohl auf eine Betty und einen Sohn mit Superkräften!“ sprach sie, an niemanden besonderen gewandt, die neben ihr stehende Betty Kendall bemerkte
„Irgend eine Betty wird sich vielleicht finden lassen, wenn wir alle Hoffnung aufgeben müssen. Aber etwas wie Bully mit Superkräften? Ich erschaudere!“

Nur von ihren Antigravfeldern gehalten sank die STARDUST langsam wie ein riesiger Montgolfier tiefer, schwebte lautlos in der heißen Luft. Palmen- und farnähnliche Gewächse bildeten ein dichtes, undurchsichtiges Blätter- und Blütendach. Bunte Flugtiere bewegten sich darüber, und an den Flussläufen sah man auch Landtiere, die unter diesem Dach lebten.
„Das perfekte Klima für Reptilien!“ jubelte die Biologin Juanita Valdez. „Wir sehen hier Verhältnisse, wie sie früher auf der Venus postuliert wurden, aber so nicht vorgefunden wurden!“ Ishi stiefelte zu ihr und las über ihre Schulter gebeugt die Messergebnisse.
„Sind Sie Biologin?“, fragte Valdez die Mutantin, die ihren Kopf schüttelte.
„Nur Amateur, und neugierig. Übrigens hat Atlan das Postulat die Venus betreffend bestätigt. Eine Raumschlacht hat das Klima und die Atmosphäre auf der Venus stark verändert. Ist das hier ein Ausschlag, der auf Säugetiere schließen lässt?“
Valdez fuhr herum. „Was? Wie? Wo? Das darf es nicht geben, bei dieser Umgebung!“ Der schlanke Zeigefinger der Japanerin mit dem blutrot lackierten Nagel stieß vor, deutete auf eine Stelle im Diagramm.
„Santa cagada! STOPP! Ein wenig zurück! Das ist ein Wunder! Sie haben recht, Miss Matsu, zumindest ein Säugetier. Also, es könnte theoretisch natürlich auch ein Vogel sein. Aber ein Warmblüter, das ist korrekt!“ Colin Campbell hatte den Flug der STARDUST angehalten und steuerte sie auf dem gleichen Kurs zurück. Zeit war im Übermaß vorhanden, man konnte den Wissenschaftlern schon ein wenig nachgeben.

Auch Thora und Rhodan waren neugierig an das wissenschaftliche Pult getreten. „Te tendré pronto“ murmelte die ältere Dame aus Nicaragua. „Tu pequeña mierda! Hier, Chef, da ist der Ausschlag wieder. Eindeutig Warmblüter! Increible! Imposible!“ Rhodan nickte, die STARDUST hatte bei dem ersten Aufschrei der Wissenschaftlerin gestoppt.
„Also!” Der Blick Thoras ging vom wissenschaftlichen Pult zum Bildschirm und wieder zurück, „Wo bist Du? Wo hast Du Dich versteckt? PERRY! SCHAU!“ Thoras Finger wies auf eine Stelle am Flussufer, jetzt sahen es alle. Klein im Vergleich zu dem Rest der Fauna war dort einige Wesen zu erkennen. Zweibeinig, zweiarmig, humanoid! John Marschall stieß Ras Tschubai den Ellenbogen in die Seite und flüsterte: „Doch noch ein Barbar für Thoras Sammlung!“

Die Feldlinsen zoomten ganz nahe an die Gruppe heran, die vorsichtig umher spähend, unterwegs war. Deutlich konnten die Geschlechter unterschieden werden, denn sie sahen aus wie stämmige, muskulöse Menschen, die außer einem Schamtuch aus Reptilienleder und Sandalen keine Kleidung trugen. Die Frauen und Kinder in der Mitte, sicherten die Männer mit Speeren und Steinäxten nach außen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die, wie die Besatzung der STARDUST erkennen konnte, durchaus ihre Berechtigung hatte.
„Männer durchschnittlich eins siebzig“ Juanita Valdez hatte einige Berechnungen vorgenommen, „Frauen etwa eins sechzig. Nicht eben groß. In dieser Welt sind das Zwerge!“
„Also, wenn ich das Schiff im Orbit nehme…” begann Thora, Rhodan beendete.
„… dann sind das Arkoniden, die auf Grund der Umwelt in die Steinzeit zurück gefallen sind!“
Thora seufzte schwer. „Ich gebe es ungern zu und hätte nie gedacht, dass so etwas geschehen kann, aber ja, ich vermute in diesen Wesen Arkoniden. Mit den Beschädigungen haben sie es wohl nicht zu PamKim geschafft.“
„Gucky! Ishi! Ich möchte Euch bitten, hinunter zu teleportieren und unter gegebenen Umständen Kontakt aufzunehmen.“ Rhodan überlegte kurz, dann betonte er noch: „Das übernimmt dann Ishi, während Gucky andauernd sprungbereit bleibt. Ständig wachsam bleiben, Gucky! Keine Risiken!“
Bully legte seine Pranke auf Guckys Schulter. „Gib auf Dich acht, Kleiner, die Leute könnten dich zum Fressen gern haben!“
Der Mausbiber pfiff empört! „Das ist doch die Höhe! Am Spieß gegrillt, so denkt er über mich! Ein fetter Braten! Na warte!“
„Gucky“, rief Betty laut „Nicht! Er hat doch recht, die Arkoniden da unten könnten Dich tatsächlich für essbare und wohlschmeckende Beute halten!“ Der Schwanz des Mausbibers klopfte noch einige Male auf den Boden, doch er verhielt sich ruhig.
„Außerdem gibt es da unten jede Menge Raubtiere. Wir haben gesehen, wie oft die Horde angegriffen wurde“, mischte sich Ras Tschubai in das Gespräch. „Ich werde Euch nach Möglichkeit im Auge behalten, aber schaltet Eure Coms nie aus, damit wir Euch anpeilen können. John wird wachsam bleiben und ich auch! Viel Glück, Leute!“
Gucky hoppelte zu Ishi Matsu und ergriff ihre Hand. „Komm, Ishi, sonst sagt der schwarze Riese noch ‚Mensch’ zu mir!“
Die Japanerin lächelte Gucky an und sagte nur: „Sekunde!“, sie schloss ihre Helmkapuze und zog die Handschuhe an, dann hob sie Gucky auf ihre Arme. „Ich bin soweit!“ Gucky sprang.

Das ungleiche Paar materialisierte hinter einem kleinen Hügel. Auf der anderen Seite legten die Arkoniden eben eine Marschpause ein, Gucky hatte schließlich auch darum letztendlich zum sofortigen Aufbruch gedrängt. Sofort sprangen die Kühlaggregate in den Raumanzügen an. Ishi sah auf ihre Instrumente.
„Fast 60 Grad nach Celsius, zu Mittag werden es hier wohl 75 oder mehr! Gucky, hier wird man ohne Anzug ganz einfach gegart, dazu brauchen die Arkoniden gar kein Feuer. Ich wette, zu Mittag suchen sie einen geschützten Platz auf“, dachte sie an Guckys Adresse, der antwortete ebenfalls mit seinen Parafähigkeiten.
„Gestern warst Du aber in der Sauna bei fast 100 Grad und lebst noch“, Gucky schaute Ishi treuherzig an. „Obwohl das doch noch viel heißer ist!“ Ein Blick wie ein Thermostrahl bohrte sich in Guckys Augen.
„Es ist trockener, es ist nur kurz, und danach wird eiskalt geduscht, dann ist es gesund. Und wenn Du ein Wort darüber verlierst, was Du nach der Dusche gesehen hast…!“
Der Mausbiber zuckte zusammen und legte die Hand auf sein Herz. „Niemals, Ishi! So etwas würde ich nie ausplaudern! Oder habe ich über diese Art von Freizeitaktivitäten der Menschen je ein Wort zu irgendjemanden gesagt?“ Der Hitzestrahl aus Ishis Augen verlor an Temperatur.
„Nein, hast Du nicht! Aber Gucky, man sieht bei so etwas nicht zu!“
„Das wollte ich ja gar nicht. Aber der Fähnrich hat so intensiv deinen Namen gedacht, da bin ich neugierig geworden, und dann haben seine anderen Gedanken erst so wirklich einen Sinn für mich ergeben. Vorher war sein Denken so wirr, und Emotionen von Menschen sind für mich oft – verwirrend. Entschuldige bitte!“
„Na schön!“ Ishi wandte sich wieder ab.
„Aber warum Westhouse? Du findest doch sicher…?“ Gucky wollte es jetzt genau wissen, ein versonnenes Lächeln zeigte sich um Matsus Lippen.
„Der Fähnrich hat seine Qualitäten! Und ich will ihn nicht heiraten, nur ein wenig Spaß haben!“ Gucky pfiff erstaunt.
„Tatsächlich?“ Gucky esperte kurz in die Runde, ehe er sich wieder an die Japanerin wandte. „Der Häuptling Langbein dort drüben dachte übrigens eben daran, ob sie die Höhle rechtzeitig erreichen, du hast also recht mit dem Versteck zu Mittag. Sie müssen immer von Höhle zu Höhle ziehen, aber er denkt nicht, warum!“ Ishi bestätigte mit einem Gedankenimpuls, das ‚Gespräch‘ mit Gucky hatte nur Sekunden gedauert. Dann schaltete sie um und benutzte ihre Stimme.
„STARDUST, könnt Ihr mithören?“
„Laut und deutlich!“ kam es von dem Raumschiff zurück.
„Ich versuche, Sprache für den neuronischen Translator aufzunehmen.“ Die Telepathin blieb im Kontakt mit der STARDUST, berichtete ihre Aktivitäten. „Gucky, bitte um Rückendeckung.“
„Dann wolltest Du kein Kind von Westhouse?“ vergewisserte sich Gucky gedanklich, Matsu antwortete auf dem gleichen Weg.
„Nein, Gucky! Kein Baby für Ishi!“ ein wenig Traurigkeit begleitete ihre Gedanken. „Ich könnte es nicht ertragen, wenn mein Kind alt wird und vor mir stirbt. Keine Familie, kein Mann, keine Kinder. Aber manchmal möchte auch ich nicht einsam sein!“ Die zierliche Japanerin holte aus ihrem Rucksack ein winziges, aber empfindliches Richtmikrophon und legte es vorsichtig auf die Kuppe des Hügels, justierte es ein. Die ersten Worte kamen klar und deutlich, Ishi konnte sie zwar mühsam, aber doch verstehen.
„STARDUST! Wir haben eine Bestätigung! Die Sprache ist verschliffen und hat einige Worte verloren, andere sind nicht sofort verständlich, sie werden wohl dazugekommen sein, aber es ist prinzipiell altes Arkonidisch!“

*

Langbein machte sich große Sorgen. Sehr große sogar. Eigentlich müsste die Gruppe schon viel weiter sein, aber eine der Frauen hatte Probleme, fieberte und konnte nicht mehr sprechen, sie konnte einfach nicht weitergehen. Als Häuptling stand er nun vor der Entscheidung, eine Frau zu opfern oder den Rest der Gruppe in Gefahr zu bringen. Er rief seine Frau zu sich.
„Sag mir, Mutter meiner Kinder, kann Vierzehe bald wieder gehen?“
Großbauch schüttelte den Kopf. „Besser, ihr den Schädel einschlagen. Sie wird ohnehin bald sterben, so wäre es leichter für Vierzehe!“
Langbein überlegte nicht mehr lange, hob einen schweren Stein auf und ging beiseite, um sich von hinten anzuschleichen. Das war nicht weiter schwierig, das schmerzerfüllte Jammern und Stöhnen der Kranken übertönte seine leisen Geräusche. Der durch Tränen getrübte Blick des Alten fiel auf den Hügel, beinahe wäre ihm der Stein auf den Fuß gefallen, er schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können. Doch das seltsame Bild blieb, es ließ sich nicht vertreiben! Über den Hügel kam eine schwarze, sehr schmale Frau mit einem riesigen, glänzenden Kopf und zeigte ihm beide Handflächen.
„Zieh weiter, Langbein“, sagte sie mit seltsamer Aussprache, aber doch verständlich. „Gehe und lass Vierzehe bei uns! Sie ist in guten Händen. Vielleicht wird sie wieder gesund!“
Langbein ging einige Schritte rückwärts, ehe er seine Leute aufscheuchte. „Weiter, Weiter. Schaut nicht so, wir müssen aufbrechen! Die Sonne steht nicht still, wir haben noch einen weiten Weg vor uns! Los, los!“ Wenn fremdartige Wesen etwas verlangen, das man sowieso tun wollte und musste, war es besser, zu gehorchen, besonders wenn es von jemandem kam, der aussah wie die Mondgöttin. Und was konnte das Wesen anderes sein, mit dem Körper einer Frau und dem Kopf, der aussah wie der silberne Mond. Ein kleines Wesen, dessen Kopf ebenfalls wie der Mond aussah und sich auf einen breiten Schwanz stützte, kam zu der schwarzen Frau gehoppelt, griff nach ihr und Vierzehe, dann war der Platz leer. Die Götter der Ahnen gab es also wirklich! Hatten die Mondgöttin und das Mondtier die Menschen besucht? Warum jetzt? Langbein blickte zum Himmel, wo trotz des hellen Tages beide Monde, der große und der kleine, am Himmel standen. Dann beeilte er sich, seinem Stamm zu folgen!

Mystery

Jänner 2083, Reggys System, An Bord der STARDUST

„Was fehlt ihr?“ Der großgewachsene, hagere Mann schaute durch die Glasscheibe zu der bewusstlosen, breit und wuchtig gebauten Frau. Unzählige Narben zeichneten ihren Körper, vernarbte Wunden, die vom Leben in einer unerbittlichen Wildnis erzählten. Irgendwann hatte sie am rechten Fuß die große Zehe verloren, von der Wunde war eine hässliche Narbe zurück geblieben. Bei dem nassheißen Klima Mysterys, denn von feuchtwarm konnte keine Rede mehr sein, schlossen sich Wunden nur schwer, Insekten legten ihre Eier darin ab. Menschen von der Erde hätten in diesem Klima wahrscheinlich nicht lange genug überlebt, um Nachkommen zu zeugen, die Arkoniden hatten sich zwar im Laufe der Jahrtausende etwas verändert und sehr viel an Technologie verloren, auch ihre Sprache hatte verständlicherweise gelitten, aber – es gab sie noch, und sie waren durchaus keine dummen Wilden. Natürlich hatten sie einige neue Sitten entwickeln müssen, um zu überleben, aber ihre Handlungen waren durchaus von Intelligenz getragen, sogar der Gedanke, Vierzehe zu töten, um den Stamm zu retten. Das Wohl vieler über das Wohl des Einzelnen, theoretisch immer noch eine arkonidische Maxime und wie viele der alten Codices völlig in Vergessenheit geraten. Die medizinische Neuronik gab auf Rhodans Frage Antwort.
„Es handelt sich um eine Vergiftung, hervorgerufen durch den Biss eines Tieres oder den Stachel einer Pflanze. Die entsprechenden Eiweißmoleküle könnten sowohl von Sekretoren der Flora als auch der Fauna produziert werden. Es wird vermutet, dass die neural an einen Grundschmerzpegel angepasste Patientin die Verwundung bis zum Eintritt der Vergiftung überhaupt nicht wahrnahm.“

Rhodan drehte sich zu Ishi und Gucky um. „Ich begrüße die Empathie, mit der Ihr vorgegangen seid, auch wenn es einige Probleme aufwerfen könnte! Gut, ein erster Schritt zur Kontaktaufnahme ist getan, wenn die Frau Vierzehe?“ Die Psioniker nickten. „Also wenn Vierzehe gesund wird, müssen wir ihr und ihrem Volk nur noch klar machen, dass wir keine Götter sind und wir sie leider nicht alle retten können! Aber wenn Atlan kommt, können wir vielleicht unsere Unterstützung anbieten, um ihnen das Leben zu erleichtern! Trotz Eures übereilten Vorgehens kann und will ich Euch nicht tadeln!“
„Und so eine Person will ein galaktisches Imperium errichten!“ spöttelte Thora. „Nur mit Weichherzigkeit wird das nie etwas!“
Perry wollte schon gehen, blieb aber stehen. „Warum nicht? Wenn die terrestrische Menschheit der Galaxis zeigt, dass eine friedliche Koexistenz ohne Kriege möglich ist?“
Bully begann dröhnend zu lachen. „Perry, Du ältester und bester aller Freunde, ich liebe dich von ganzem Herzen – rein platonisch gesprochen, natürlich“, betonte er, erschrocken über seine Worte mit einem Seitenblick zur grinsenden Thora. „Aber wenn jemand der Galaxis die Möglichkeit friedlicher Koexistenz zeigen kann, dann niemals, verstehst du, niemals die terranische Menschheit! Schau dir doch ihre Geschichte an! Wenn’s keinen Grund gab, den anderen zu massakrieren, dann haben sie einen erfunden und vorgeschoben. Ich muss Thora recht geben. Das schmerzt mehr, als ich sagen kann, aber in diesem Punkt bist du einfach zu naiv!“
Thora küsste ihren Mann. „Ich liebe dich nicht nur platonisch, Perry, du bist ein wirklich guter Mensch. Aber hier irrst du gewaltig. Ein Reich, ob planetar oder stellar, wird immer durch Gewalt zusammen gehalten. Ob von innen oder außen, ohne Gewalt geht es nicht.“
Auch Ishi schlug in die gleiche Kerbe. „Chef, ich bewundere und verehre dich, ich hoffe, das versteht jetzt bitte keiner falsch. Ich bin stolz, für dich und die GCC zu arbeiten. Aber ich fürchte, dass die Donna und Mister Bull recht haben.“
Rhodan sprach mit leiser und sanfter Stimme. „Ich wollte die Menschen zu den Sternen führen, damit sie frei sind, nicht wieder einem Diktat unterworfen. Auch nicht meinem.“
Bully baute sich vor ihm auf. „Perry, wie stellst du dir eigentlich die Auswanderung vor? Die Siedler werden nicht reich sein. Aber, vielleicht streckt ja DiscovChan oder NetGeo etwas vor, für einige schöne Trivid-Aufnahmen.“ Bullys Hand warf die folgenden Worte auf eine imaginäre Mattscheibe. „Zuhause im neuen Paradies! Die Auswanderershow! Jeden Mittwoch zur Primetime, in 3D, 9K und Digital Dolbysurround. Den Rest müssten wir sponsern. Ergo beginnt jede Kolonie mit einem riesigen Schuldenberg, den sie nie abtragen kann, weil für Schutz und Transport von planetaren Erzeugnissen vom Planeten und anderen Waren zum Planeten wieder Kosten verrechnet werden. Wir können es vielleicht billig halten und einige Rechnungen stunden, aber die GGC hat schon und bekommt sicher noch mehr Konkurrenz. Wir sind keine Regierung, wir müssen auf Dauer gesehen positiv bilanzieren! Oder zusperren.“
Rhodan fühlte sich in die Ecke gedrängt. „Was sollen wir denn machen?“
Bully schüttelte den Kopf. „Die neuen Planeten müssten, so schnell es nur geht, einer – nennen wir es mal der UPO, also den Vereinten Planeten beitreten, die nach einem bestimmten Schlüssel Gelder von den prinzipiell selbstverwalteten Planeten erhält. Aus diesem Topf kann sie dann die Raumflotte, also uns, unterstützen. Wir haben dann das Recht, in der Außenpolitik mitzureden, dafür beschützen wir die Schutzlosen!“
Rhodan wirkte verzweifelt. „Ich möchte da noch länger nachdenken. Es muss eine bessere Lösung geben.“
Ishi Matsu schüttelte den Kopf. „Die Menschheit kann frei bleiben, Planeten, Nationen, können sich unabhängig machen, das Individuum nicht. Es wird schon durch Konventionen eingeschränkt, durch Gesetze. Einige wenige werden stets Privilegien haben, und die Masse wird in Unfreiheit und Armut gehalten, es wird Unterdrückte und Unterdrücker geben. Und das Volk jubelt dem starken Mann an der Spitze zu, der das Blaue vom Himmel verspricht und das Rote der Hölle liefert!“
„Du sprichst, als wäre Anarchie für Dich ein Ausweg!“ Ras Tschubai blickte Ishi erschrocken und schockiert an.
Die schöne Japanerin nickte lächelnd. „Theoretisch schon, Ras, aber leider nur theoretisch. Eine Anarchie würde sich nicht lange halten, denn bald würden die Reichsten und/oder Stärksten ihre Gangs bilden, und schon gäbe es wieder eine hierarchische Weltordnung! Der Mensch ist für persönliche Freiheit noch nicht reif genug, er sehnt sich danach, dass eine starke Vater- oder meinetwegen Mutterfigur seinen Weg und seine Handlungen bestimmt, und es wird immer wieder Menschen geben, die diese Figur abgeben und herrschen wollen. Ob in weißer Labor- oder bunter Kampfuniform, ob weltlich oder spirituell, die große Masse möchte denken lassen, die Verantwortung abgeben.“
„Und was ist mit Dir, Ishi?“ Bully durchbohrte Matsu mit seinem Blick. „Bist Du die einzige, die reif genug für die Freiheit wäre? Ganz schön überheblich, finde ich!“
Der ganze zierliche Körper der Psionikerin begann zu beben, als sie laut lachte, ein seltenes Schauspiel bei der meistens sehr selbstbeherrschten Frau. „Ich bewundere und verehre Perry Rhodan, und das schon lange. Ich vertraue ihm sogar! Da habt ihr meine starke Vaterfigur! Und he, ich bin Japanerin! Niemand steckt in Konventionen und Sitten derart fest, wie wir vom Inselreich! Ich bin genau so unreif wie alle anderen, vielleicht sogar noch unreifer, nur ist es mir eben bewusst.“
„Genug!“ Rhodan atmete tief durch. „Big Daddy hat jetzt einen schönen Brocken vorgesetzt bekommen, an dem er erst einmal knabbern muss! Aber jetzt bitte Konzentration auf das nahe Liegende! Eines nach dem Anderen!“ Ishi Matsu zeigte wieder ihr unergründliches Lächeln.
„Zen, Chef?“
„Cäsar!“

*

„Ishi“, John Marschall hatte die Tür zu einem Besprechungszimmer geöffnet. „Kann ich dich bitte kurz sprechen?“ bat er, sie nickte und betrat an ihm vorbei den Raum.
„Selbstverständlich, John, das kannst du doch immer!“ Nachdem die Tür geschlossen war, stützte John seine Hände auf eine Stuhllehne und sah Ishi lange an, bis sie fragend die Brauen hochzog. Er hob eine Hand, bat stumm um Geduld und rang um Worte.
„Ishi, bedauerst du eigentlich, dass… ich meine du und ich, wir…“ Eine vage Handbewegung beendete den Satz.
Ishi Matsu lächelte traurig. „Nur, dass es vorbei ist, John. Nichts anderes, es war eine schöne Zeit mit dir zusammen!“
„Warum ist es dann vorbei, Ishi? Ich kann es nicht verstehen!“
Die Japanerin schluckte hart. „John, bitte nicht!“
„Ishi, habe ich denn nach acht Jahren nicht allmählich eine Antwort verdient?“
„Doch, das hast du”, flüsterte Ishi „Es tut nur noch immer so weh. Vor acht Jahren, als George und Mitsuko bei der Explosion starben…“ Große, schwere Tränen flossen jetzt ungehemmt über Ishis beinahe ausdruckloses Gesicht. „Es war und ist schockierend, John, meine Kinder – tot, von einem Moment zum anderen. Und in dieser Trauer wurde mir auch bewusst, dass ich allen meinen Kindern, meinen Enkelkindern und allen anderen meiner Familie ins Grab nachschauen würde, während ich ewig jung bliebe. John, ich kann das nicht noch einmal! NIE, NIEMALS WIEDER!“ Sie barg ihr Gesicht in den Unterarmen, schluchzte laut und hemmungslos.
„Aber…“ John setzte sich gegenüber. „Ich verstehe nicht ganz.” Ishi schaute ihm in das ratlose Gesicht.
„John, du wolltest doch immer Kinder, viele Kinder“, rief sie ihm unter Tränen entgegen. „Du hast unsere Kleinen so sehr geliebt, du warst so ein guter Vater! Du hast eine Frau verdient, die dir Kinder schenken kann, ich kann das einfach nicht mehr!“
Marshall griff über den Tisch und legte seine Hände auf Ishis Unterarme. „Hast du dir eigentlich einmal überlegt, dass ich vielleicht ähnlich empfinden könnte?“ Auch seine Tränen flossen. „Und dann war auch noch die Frau, die ich liebte, plötzlich weg, ohne Erklärung, mit einem einfachen ‚Leb wohl‘! Ich war zerstört, Ishi, ich habe nur noch für den verdammten Job gelebt! Herrgott, Ishi! Wie konnte uns das passieren?“
„John, bitte. Bitte verabscheue, hasse mich nicht. Ich..“ Heftiges Schluchzen hinderte die Frau am weitersprechen, ihre Schultern bebten krampfhaft, und auch John Marshall weinte jetzt ohne Scham.
„Wie könnte ich die Frau verabscheuen, die ich immer noch liebe?“
„John“, schüttelte sie den Kopf. „Es ist – ich habe mich einer Operation unterzogen. Keine Kinder mehr!“
„Das ist mir egal, Ishi.“ Er richtete sich auf.
„Wirklich?“ fragte Ishi leise.
„Ja, Ishi! Wirklich. Ich möchte auch kein Kind mehr begraben.“
Die Telepathin erhob sich, ging um den Tisch und legte John ihre schmale Hand auf die Schulter. „Wenn du das ernst meinst, dann – könnten wir jetzt vielleicht gehen.“
„Wohin?“ Seine Hand legte sich auf ihre.
„Wenn du willst, nach Hause, John. Gemeinsam!“

*

„Habrai za asubuhi, kiongozi mkubwa!“ Lieutenant Commander Umpanga lachte vom Kommunikationsbildschirm. Perry Rhodan stöhnte laut.
„Brauchen wir jetzt schon einen Translator in der eigenen Flotte? In englisch oder arkonidisch, ich bitte Sie, Commander. Swahili stand nicht in meinem Ausbildungsplan!“
„Er hat dem ‚großen Anführer‘, also dir, einen ‚guten Morgen’ gewünscht. Asante, Commander.“
Rhodan sah seine Frau erstaunt an. „Du kannst Swahili?“
Das Lachen seiner Frau klang glockenhell an Perrys Ohr. „Ich wollte etwas über Afrika wissen, und da sind ein paar Sprachlektionen dazu gekommen. Eidetisches Gedächtnis, vielleicht erinnerst Du Dich!“
Rhodan rollte die Augen nach oben. „Na schön, Commander, berichten Sie. Englisch, wenn ich bitten darf!“

„Wir haben PamKim wie befohlen unter die Lupe genommen, Sir. Jagdbares Wild und essbare Flora im Überfluss vorhanden. Hier könnte man es aushalten, bis wir gerettet werden. Auch für eine Kolonisierung durch Menschen ist PamKim bestens geeignet! Wir hatten gestern Kebab mit einem hiesigen Getreide, das unserem Reis ähnlich ist, es hat hervorragend gemundet. Wir werden der Küche der STARDUST einige Leckereien mitbringen können, der Smutje soll schon mal die Öfen vorheizen! ETA eine Stunde sieben Minuten!“

*

Langbein und sein Stamm hatten wieder einmal Glück gehabt. Auch wenn Vierzehe viel Zeit gekostet hatte, hatten sie es geschafft. Gerade noch vor der größten Hitze hatte sich der letzte der Gruppe durch den schmalen Spalt in die kühle Höhle gezwängt, die nun für einen Mond ihr Zuhause werden sollte. Im Hintergrund sprudelte eine kühle Quelle mit hervorragendem Trinkwasser, durch den schmalen Eingang kam sicher keiner der großen Räuber, die kleinen sechsbeinigen waren schon ein größeres Problem. Für einen Mond hatte der Stamm die beste Bleibe im Jahreslauf, hier sollten die Kinder geboren und neue gezeugt werden. Selbstverständlich nicht mit den Frauen, die jetzt ihre Kinder in die Welt setzen sollten. Die jetzt gezeugten Kinder sollten dann nächstes Jahr wieder in dieser Höhle zu Welt kommen, so wollten es die uralten Gesetze der wandernden Stämme. Flachnases Stamm hatte hier in den Stein geritzt, dass fünf Kinder neu auf Wanderschaft waren. Langbein gratuliere dem Häuptling des vor ihm wandernden Stammes, indem er hinter die Botschaft einen Kreis ritzte. In fast einem Jahr, wenn alles gut ging, konnte Flachnase diese Gratulation lesen.

„Die Geburten beginnen, Langbein, es wird Zeit für die Gesänge!“ erinnerte Großbauch ihren Mann, der ihr kurz über die Wange strich. Gerne erinnerte er sich an die Zeiten, in denen auch seine Frau zum Kreis der Gebärenden gehörte. Vorbei, zu alt. Wie er selber. Vielleicht wurde es Zeit, die Bürde und Würde des Häuptlings weiter zu geben. Steinfaust wäre ein guter Anführer, stark und mutig, aber auch Kahlkopf wäre geeignet, vor- und umsichtiger als Steinfaust. Ja, Kahlkopf wäre wirklich die richtige Wahl. Sollte er doch gleich jetzt den Gesang anstimmen, Langbein wollte nach diesem Mond in die Wälder gehen, um dem Stamm nicht zur Last zu fallen. Seine Kräfte waren geschwunden, er war zu schnell zu alt geworden.
„Sag es Kahlkopf, Frau.“ Sie sah ihm in die Augen, nickte.
„Der Wald, am Ende des Mondes? Ich gehe mit dir, habe nur noch darauf gewartet. Wir sind lange miteinander gewandert, wir werden auch unseren letzten Weg gemeinsam gehen.“
„Einen schönen letzten Mond, Frau!“
„Einen schönen letzten Mond!“ Großbauch unterrichtete Kahlkopf, der erschrocken zu Langbein blickte, der nickte ihm zu. Ergeben senkte er den Kopf, dann stimmte Kahlkopf die uralten Gesänge an, die Männer begannen ihren Tanz, die Frauen brachten ihre Kinder zur Welt.

„Alles aufgezeichnet, Ishi?“ fragte der Mausbiber mit einem gedanklichen Impuls.
„Alles! Lass uns springen, Gucky. Glaubst Du, wir können hier helfen?“
„Vielleicht wenn Atlan hier ist. Kühles Wasser hat er gedacht! Wie warm ist der Tümpel?“
Ishi richtete das Fernthermometer auf die Wasseroberfläche. „37 Celsius. Etwa Badewannentemperatur!“
Gucky schüttelte sich. „Was ihr nackten immer mit dem Nassmachen habt!“ meckerte er. „Scheußliche Angewohnheit!“
Grinsend dachte Ishi: „Badest oder duscht du eigentlich nie?“
Gucky warf sich in die Brust. „Niemals!“ dachte er mit Nachdruck.
„Oh“, antwortete die Japanerin, „das ist es also, was hier so streng riecht!“
Gucky stellte den Körperkontakt für den Teleportsprung her. „Hier verfaulen sollte ich dich lassen, Ishi Matsu!“ polterten seine Gedanken. „Du hast es nicht verdient, dass ich dich nach Hause bringe! Nur Perry zuliebe nehme ich dich mit! Du bist hinterhältig und gemein! Ich und riechen, da hört sich alles auf! Wir Ilts sind sauberer als ihr Nackten mitsamt Eurer Duscherei!“
Ishis gedankliches Lachen verklang in der Unendlichkeit!

*

„Sir, den Neuronikern ist es jetzt gelungen, einen Anschluss für den CVR und das Logbuch des Arkonidenkreuzers herzustellen. Dusty hat die verfügbaren Daten ausgewertet!“ Fähnrich Westhouse stand stramm vor der Kamera, die sein Bild in Rhodans Suite übertrug, der nickte und antwortete:
„Bitten Sie Mister Bull, die Mutanten und die Führungskräfte in den Konferenzraum, in einer”, er lauschte dem Geräusch einer eben eingeschalteten Dusche. „Sagen wir, in zweieinhalb Stunden! Danke Fähnrich.“ Er schaltete die Kommunikationsanlage aus. „Thora, mein Schatz?“

„Das Logbuch der HOHRHUS ist leider sehr beschädigt, es konnten viele Daten nicht mehr rekonstruiert werden“, begann DUSTY mit dem Bericht der Auswertung. „Der zur Verfügung stehende Zeitraum beginnt im Orbit um Arkon III. Ein Angriff unbekannter Feinde erfolgt, aus einer Art Dimensionstrichter kommend und trotz verlangsamter Manöverfähigkeit überaus kampfstark, auf die zentrale Registratur. Wie viele andere Schiffe ist die HOHRHUS an dem verbissenen Abwehrkampf beteiligt.“ Befehle, Meldungen, das Donnern der Schiffsgeschütze und Sirenen waren im Hintergrund zu hören, die Neuronik spielte die entsprechenden Sequenzen aus dem CVR ein. „Einige Zeit später, durch Beschädigung der Datenpakete ist die Spanne nicht mehr verifizierbar, wird das Gefecht abgebrochen, die feindliche Flotte wird in den Aufrisstrichter zurückgesogen, verfolgt von der geschwächten, aber weiterkämpfenden Arkonflotte. Dem Feind sind nur unbedeutende Beschädigungen gelungen, es dürften nur wenige Dateien verloren gegangen sein. Die HOHRHUS und einige andere Einheiten waren nahe am Feind, als sich der Trichter schloss und die Arkonschiffe in einem seltsamen Universum gefangen waren. Auf ihrer Flucht wurden sie immer wieder angegriffen, es gelang ihnen, eine Bodenstation zu vernichten, von der dieser Übergang scheinbar gesteuert wurde. Kurz bevor sich der Trichter schloss, wurde die HOHRHUS hindurch geschleudert und kam in diesem System schwer beschädigt an. Die an Bord befindlichen Kleinkreuzer blieben im anderen Universum verschollen. Mit Glück und Geschick gelang ein weiter Orbit um den dritten Planeten, die Mannschaft versuchte mit den Infanterielandungsschiffen und Rettungskapseln den Planeten, der von den Menschen Mystery genannt wurde, zu erreichen. Über den Verbleib anderer Arkonschiffe ist nichts bekannt.“ Wieder wurden die Geräusche des CVR eingespielt, dann herrschte Stille.

„Ein Angriff auf die zentrale Registratur, der nicht überliefert wurde? Thora, ich dachte, etwas in der Art könne es nicht geben! Hast Du nicht immer von der lückenlosen arkonidischen Geschichtsschreibung geschwärmt?“
Thora hatte dem Bericht mit wachsendem Schrecken gelauscht. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Diese Lücke ist eigentlich nicht möglich, und doch ist dieses Schiff hier, und die automatischen Aufzeichnungen bezeugen diesen Angriff!“
„Chef?” Ishi Matsu hob die Hand, „Ich muss da an Japan denken, auch wir hatten einen Angriff zu erleiden, der zu einer völligen Isolation führte und lange geleugnet wurde. Vielleicht ein ähnliches Trauma, welches das ganze Volk befallen hat?“
Rhodan nickte. „Ein gutes Argument, Ishi. Thora?“
Die hob verzweifelt beide Arme. „Perry, ich bin Spacer! Raumoffizierin! Crest ist der Humanist. Aber Ishis Argument klingt durchaus logisch!“
„Also das kann ich nicht glauben!“ Bully schüttelte den Kopf! „Wegen ‚unbedeutender Schäden’ igelt man sich doch nicht gleich ein und verfällt in interstellares kollektives Brüten! Man spuckt in die Hände, räumt den Schutt weg und macht weiter!“
„Ich überlege gerade.“ John Marshall hatte das Kinn in die Hände gestützt. „Was wäre geschehen, hätten im Weltkrieg die Deutschen tatsächlich Washington bombardiert? Wie wäre die Reaktion der Amerikaner ausgefallen?“
Campbell warf sich in die Brust. „Wir Briten, und als Schotte zähle ich mich trotzdem dazu, haben auf die Zerstörung Londons reagiert, indem wir noch engagierter weitergekämpft haben! Ob es auch die Amerikaner so gehandhabt hätten, kann ich natürlich nicht sagen!“
„Nach Pearl Harbor haben wir erst zu kämpfen begonnen”, rief Bully aufgebracht. Major Lee Pei Pei, die XO der STARDUST, legte ihm die Hand auf den Arm.
„Aber Pearl ist nicht Washington, Mister Bull! Noch nicht einmal amerikanisches Kerngebiet. Wir können nicht sagen, wie es gekommen wäre, allen Göttern sei es getrommelt und gepfiffen, wurde Washington nicht angegriffen. Die Arkoniden scheinen jedenfalls durch diesen Angriff auf ihre geheiligte Zentralwelt ein massives Trauma erlebt zu haben. Seit dieser Zeit geht es mit ihnen bergab! Oder die zentrale Recheneinheit, von deren Existenz wir beinahe sicher ausgehen, hat die Expansion gestoppt und erst einmal eine Festung zum eigenen Schutz gebaut.“
„Was sagt denn unser Psycho-Doc?“ wandte sich Bully an Pjotr Grigorowitsch Uljanskov. „Kann tatsächlich ein Volk in kollektive Depression verfallen?“
Uljanskov tätschelte seinen enormen Bauch. „Sicher kann das geschehen, Mister Bull. Die Arkoniden hielten sich nicht nur für das mächtigste Volk, sie glaubten an ihre Unbesiegbarkeit. Dann haben die Methaner diesen Glauben bereits erschüttert, und dann ein Angriff aus dem Nirgendwo – ja das passt zusammen.“
„Chef!“ Juanita Valdez meldete sich zu Wort. „Ich erkenne noch ein Problem, unabhängig vom Grund der Ankunft. Wenn wir ein Minimum von sechs Jahrtausenden annehmen, seit die Arkoniden hier gelandet sind, wieso haben sie sich körperlich nicht längst den Bedingungen angepasst. Sie dürften mit dem feuchtheißen Klima keine gröberen Probleme mehr haben, aber es ist auf Mystery viel zu heiß und zu viel Feuchtigkeit in der Luft für die Arkoniden. Nach Atlan war der Angriff sogar noch früher, die Vorfahren könnten vor zehn, fünfzehn Jahrtausenden gelandet sein, der Homo sapiens der Erde hat sich mit weniger Druck stärker verändert. Ja, ich weiß, diese Fragen müsste ich eigentlich Ihnen beantworten können, aber ich kann es nicht. Sie sind kleiner geworden, stärker und kompakter, aber wieso nicht an die Temperatur angepasster? Ich verstehe es nicht! Und das macht mir zu schaffen. Ich suche weiter, aber bis jetzt bin ich ratlos! Vielleicht sollten Sie sich jemand anderen für die wissenschaftliche Abteilung im allgemeinen und biologische im Speziellen suchen. Jemand, der besser ist!“
Campbell schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Valdez, ich habe Sie nicht per Lotterie an Bord geholt! Ich habe genau überlegt, wen ich vorschlage, und ich will, dass Sie bleiben! Ich vertraue Ihnen, Juanita! Vielleicht gibt’s mit unserem Wissen keine Möglichkeit, eine Antwort zu finden, und wir müssen auf neue wissenschaftliche Durchbrüche warten.“
Pjotr Grigorowitsch hob ebenfalls die Hand. „Wenn wir schon Erstaunliches besprechen. Die Soziologie dieser Wanderstämme ist absolut faszinierend. Ich habe lange im Beisein von Miss Matsu und Gucky mit Vierzehe gesprochen. Die Struktur ist erstaunlich stabil, das Volk wandert versetzt von Höhle zu Höhle, wobei diejenige, in der die Frauen ihre Kinder zur Welt bringen, die sicherste ist. Das verwunderliche ist, dass nicht nur das Individuum seine Verpflichtungen gegenüber der Familie bis zur Selbstaufgabe erfüllt, sondern auch die Familie gegenüber der Sippe und diese dem gesamten wandernden Volk.“
„Also ähnlich wie früher in Japan?“ Rhodan hatte den Vortrag konzentriert verfolgt.
„Nein, Chef. Na ja, vielleicht innerhalb eines Fürstentums, wenn wir vom nie erreichten Ideal ausgehen. Es gibt nichts Vergleichbares. Es handelt jeder im Sinne des Volkes, für die Gemeinschaft, dafür sind sie sogar bereit, sich zu opfern. Nur extrem selten kommt es vor, dass jemand eigene Bedürfnisse über das Wohl der Allgemeinheit stellt. Und sie sind im Prinzip durchaus friedfertig, sie töten ungern und nur, um selber zu überleben.“

*

Langbein kratze sich ausgiebig die alte Narbe am Oberarm. Seit er die Häuptlingswürde an Kahlkopf abgegeben hatte, behandelten ihn die anderen zwar noch mit Respekt, aber zu befehlen hatte er natürlich nichts mehr. Daher ließ man ihn zumeist in Ruhe, Anweisungen, Ratschläge, das war ja jetzt die Aufgabe eines anderen. Auch Großbauch wurde meistens in Ruhe gelassen, eine Person im letzten Mond bekam das Beste von der Jagdbeute, ansonsten wurden sie schon beinahe immer ignoriert.
„Denkst Du, ich habe mich richtig entschieden, als ich Kahlkopf zum Häuptling machte?“ Langbein hatte Großbauchs Gefühle für richtige Entscheidungen schätzen gelernt.
„Er ist ein besserer Denker als Steinfaust.“ Sie überlegte. „Steinfaust ist einer von denen, die unsere Wanderschaft beenden und diese Höhle gegen die anderen Stämme verteidigen will, bis nur noch unserer übrig ist!“
Langbein überlegte lange. „Ich fürchte, irgendwann wird ein solcher tatsächlich Häuptling. Diese modernen Zeiten, wo keiner mehr an den anderen denkt und nur noch seinen eigenen Vorteil sieht, sind nichts für mich. Ich fühle mich alt, Großbauch, alt und müde. Es ist die rechte Zeit und der rechte Ort!“ Wieder kratzte er sich, erstarrte plötzlich. In der Mitte der Höhle flimmerte kurz die Luft, die schmale, schwarze Frau hatte dieses Mal einen normalen Kopf, an ihrer Seite stand ein Riese mit schwarzem – oder doch sehr dunklem – Gesicht, der an der anderen Hand Vierzehe hielt.

„Wir bringen Vierzehe zurück, Langbein!“ Der wollte sich setzen, denn in Gegenwart der alten Götter steht man nicht, doch Vierzehe lief zu ihm und umarmte ihren Vater.
„Es sind keine Götter, Tata, aber sie können beinahe Wunder vollbringen. Diese Frau nennt sich Ishi, der Mann Ras! Tata, weit weg sind kühlere Gebiete, und Berge mit Höhlen! Dort lebt man leichter, Tata, ich hab’s gesehen. Dort müssten wir auch mit Raubtieren kämpfen, aber wir müssten nicht mehr von einer Unterkunft zur anderen wandern, für alle Stämme gibt es dort Land und gute Höhlen, Tata. Der Wald ist auch nicht so dicht. Und sieht ganz anders aus! Und es gibt viel mehr Pflanzen, die man essen kann. Der ganz große Häuptling Perry hat versprochen, sie bringen uns dorthin. Mit ihren Himmelsschiffen.“
Langbein hatte noch kein Wort dazwischen gebracht. Jetzt nahm er seine Tochter bei den Schultern, zeigte auf Kahlkopf, der näher getreten war und sagte nur. „Letzter Mond, Kind. Sag es Kahlkopf!“
„Aber Tata!“
Langbein wies auf Kahlkopf. „Häuptling!“ Die Frau namens Ishi war näher getreten, Langbein bewunderte ihre schlanke Figur, das schmale Gesicht, so ganz anders als die kräftigen, breit gebauten Frauen des Stammes.
„Der Dschungel ist nicht mehr nötig, Langbein. Auch wenn Du nicht mehr Häuptling bist, kannst Du die anderen noch immer beraten.“
Langbein schüttelte den Kopf. „Ich bin alt, aber die Jungen sollten gehen! Wenn ein besseres Leben möglich ist, sollten sie es haben!“

Steinfaust war ebenfalls dazu gekommen. „Sollen doch die anderen Stämme gehen! Wir bleiben hier, in dieser Unterkunft! Hier können wir uns verteidigen!“
Ishi sah ihm ins Gesicht. „Dort könnten mehr Kinder überleben, der Stamm wachsen und müsste nicht seine klügsten Köpfe opfern, wenn Sie nicht mehr weiter können. Auch Du wirst alt, Steinfaust! Oh! Du willst hier herrschen! Du willst genug Leute um Dich scharen, um diese Behausung nie wieder verlassen zu müssen. Du hast nicht vor, irgendwann freiwillig zu gehen! Du bist zu feige dazu!“
Steinfaust brüllte wie eine der ganz großen Raubechsen! „Schweig!“ Er stürmte mit geballten Fäusten auf Ishi Matsu los, Langbein wollte gar nicht zusehen, gleich musste es um diese schwache Frau geschehen sein. Doch die Telepathin erwartete ihn ohne Angst – Steinfaust wirbelte durch die Luft, prallte schwer auf den Rücken, die Luft wurde aus seiner Lunge gepresst. Ein schwarzer Stiefel traf seitlich seinen Kopf, er blieb reglos liegen.
„Der wird wieder“, berichtete Ras Tschubai, der ein Diagnosegerät auf den Bewusstlosen gerichtet hatte. Ishi zuckte nur die Schultern.
„Ich weiß!“ sagte sie. „Entscheidet Euch, ob ihr mitwollt oder bleiben wollt!“ wandte sie sich an den Stamm.
Kahlkopf kratzte sich an demselben. „Was müssen wir dafür tun? Was wollt Ihr von uns zum Tausch?“
Vierzehe jubelte: „Nichts, Kahlkopf! Ihr Häuptling Perry hat irgend etwas gesagt, dass sie nichts außer Freundschaft wollen. Und seine Frau Thora – stellt Euch vor, die schaut jung aus und hat ganz weißes Haar – hat nur gelacht.“
Kahlkopf trat vor Ras hin und sagte leise: „Wenn es ein besseres Leben gibt, gehe ich das Risiko ein. Wir gehen!“
Ras sprach in die Luft. „Landung!“, vor der Höhle erklang lautes Splittern von Holz. „Gehen wir!“ Der Teleporter schob Kahlkopf aus der Höhle und zeigte auf eine riesige Stahlkugel, Vierzehe hatte den sich sträubenden Langbein und Großbauch untergehakt. Zwei Wochen hatte die junge Frau unter der Besatzung der STARDUST gelebt, sie war kaum wieder zu erkennen. Sie war fröhlich und selbstbewusst geworden, zog den Kopf nicht mehr ständig zwischen die Schultern.
„Komm schon, Tata, komm, Tete, kommt, keine Angst! Das ist Umpa! Der schaut zwar wie Ras ganz schwarz aus, aber er ist auch ein lieber Mensch! Lernt doch meine neuen Freunde kennen!“ Ein kühler Lufthauch kaum aus dem Stahlkoloss, als die Kinder der Arkoniden seit Generationen zumindest für einen kurzen Flug wieder ein Raumschiff betraten, auch ein kleinlauter Steinfaust kam an Bord geschlichen. Mit leisem Rumpeln schloss sich die Schleuse, der Flug zum Nordpol startete. In wenigen Wochen, wenn der Stamm von Scharfauge hier ihren traditionellen Geburtsmond feierten, wollte die Peebles wiederkommen. Unterdessen suchten kleine Landungsboote weiter nach Überlebenden abseits der Route, sie der Stamm gewandert war.

Kahlkopf konnte es kaum glauben, er fühlte sich wie im Paradies. Das erste mal in seinem Leben fühlte er keinen Schmerz mehr, seine Wunden und Narben hatten kleine Götterboten aus einem seltsamen Material, von den neuen Freunden ‚Medobot’ genannt, versorgt. Auch den Mitgliedern seines Stammes hatte man die Zähne und sonstige Probleme behandelt, sie wurden gewaschen, mit duftendem Schaum, der wieder abgespült wurde! Ihre Rindensandalen und Lendenschurze aus Echsenleder wurden durch neue, weichere ersetzt. Die Kinder hatten laut jauchzend im Wasser gespielt, das hatte allen die Scheu genommen. Und endlich, endlich mussten sie nicht bei jedem noch so kleinen Geräusch fluchtbereit sein. Der Stamm blühte regelrecht auf, Lachen und Fröhlichkeit verdrängten die ewigen Sorgen. Sogar Steinfaust grummelte nicht mehr und machte ein durchaus zufriedenes Gesicht, er hatte sich sogar, ein kleines Wunder, bei Kahlkopf und Ishi Matsu entschuldigt. Die größte Überraschung erlebten die Kinder der Arkoniden, als die Menschen dem Stamm gezeigt hatte, wie man Feuer machte und wie man damit Essen besser verdaulich machte.

George Umpanga flog langsam, seine Passagiere hatten sich Ruhe und Erholung verdient. Lächelnd lauschte er dem Kichern und Scherzen, dafür hatte es sich doch gelohnt, auch seine XO zeigte ein stilles, besinnliches Gesicht. Beide stammten aus benachteiligten Gebieten, waren in ärmsten Gegenden, in den Slums von Nairobi und Rio aufgewachsen, bis die GCC ihnen eine Chance geboten hatte.
„Bon Chance!“ sagte George, und Dulcinea antwortete
„Good luck, George!“ Sie reichten sich die über die Lehnen ihrer Sessel die Hände zu einem kurzen Druck.

Wieder öffneten sich die Schleusentore der Pebbles, und Kahlkopf führte seinen Stamm in die neue Heimat. Es war warm, aber nicht heiß, eine Steilwand bot Höhlen als erstes Obdach, mit Leitern aus Baumstämmen, an denen Aststümpfe gelassen wurden, zu erreichen. Ein wirklich kühler Bach floss zwischen den Felswänden in eine Ebene, wo es große und kleinere Tiere zwischen einzelnen Bauminseln zu sehen gab. Weit am Horizont hoben sich hohe Berge mit weißen Spitzen in den blauen Himmel.
„Es ist nicht so, dass es hier keine Gefahren gibt!“ Ras Tschubai war erschienen, um das Volk zu verabschieden. „Wir haben Euch die giftigen Pflanzen und Tiere gezeigt, und es gibt auch Raubtiere, die gefährlich werden können. Wenige Schritte in dieser Richtung gibt es Steine, um Äxte und Messer zu fertigen. Ihr verfügt über das Feuer und habt gelernt, wie man mit dem Bogen Tiere erlegen kann. All das werden wir auch Euren Brüdern zeigen, die wir auf diesen Teil Eurer Heimat bringen. Wir wünschen Euch alles Glück, lebt in Frieden und Zufriedenheit.“ Ras Tschubai konnte nicht auf ein wenig Pathos verzichten. Kahlkopf legte die Handflächen an die Wangen, der ganze Stamm folgte seinem Vorbild.
„Mein Stamm wird Euch ewig Dankbar sein.“ Dann gingen sie hinaus und nahmen eine neue Welt in Besitz.

*

Siobhan O’Loughlean, Sam Masters und Sean Conelly waren junge Fähnriche an Bord der STARDUST, das Trio war mit einem Flugpanzer der PBS 3 unterwegs. Ihr Auftrag lautete, nördlich der Wanderroute der Stämme in einem bestimmten Planquadrat nach weiteren Überlebenden zu suchen. Im Falle eines Fundes sollten die Mutanten gerufen werden, welche dann die Aufgabe hatten, einen Kontakt herzustellen. Sam, der Pilot, hatte schon mehrmals heftig geflucht, der Planet zeigte sich nicht gerade von seiner freundlichsten Seite. Natürlich bestand für den Panzer mit seinen Schirmen kaum eine Gefahr, aber das plötzliche Auftauchen eines riesigen Schädels mit Zähnen, die länger waren als der Unterarm eines erwachsenen Mannes, konnte schon einen größeren Schreck auslösen. Auch das Wetter zeigte sich an diesem Tag ungnädig, plötzliche Orkanböen drückten den Panzer trotz seines Gewichtes aus dem Kurs, Regen prasselte gegen die Klarstahlkuppel und verringerten die direkte optische Sichtweite auf beinahe null. Das Thermometer zeigte freundliche 39 Grad, richtig kühl im Vergleich zum Vortag, der Fluss, dem das Fahrzeug einige Zeit gefolgt war, hatte sich in einen tobenden, gischtenden und bereits mehr als dreifach so breiten Wildwasserstrom verwandelt, der Erde, Bäume und Lebewesen mit sich riss.

„Ich habe noch nie ein derartiges Inferno erlebt“, rief Sam. „Ich möchte wissen, was Onkel Wild Bill dazu sagen würde, der immer von Hurrikane Lissy im Jahr 52 erzählt, und wie schlimm es seine Farm und ganz Texas getroffen hätte!“
„Nur ruhig, Sam!“ Der phlegmatische Ire Sean am Ortungsgerät versuchte seinem Piloten gut zuzureden, „Wenn ein Texaner etwas erzählt, muss man doch sowieso mindestens drei Viertel wegstreichen.“
Siobhan am schweren Energiegeschütz lachte. „Wenn Dir die Dinos Angst machen, dann sag Bescheid. Mit schwächster Abstrahlung kann ich die Echsen ein wenig kitzeln, dann werden sie uns schon aus dem Weg gehen!“
„Schon gut! Verdammt, schon wieder so ein Riesenbiest! Ob es auch so viele T-Rexe auf der Erde gab?“ Sean hob ratlos die Schultern, Siobhan kicherte schon wieder.
„Denk daran!“ Sie gab eine alte irische Redensart zum Besten. „Es hätte viel schlimmer kommen können!“
„Noch schlimmer?“ knurrte Sam, Sean nickte Siobhan zustimmend zu.
„Klar”, sagte er. „Man hätte uns ohne Panzer auf die Suche schicken… Ortung! Aktiviere Schilde! Metallmasse drei Strich Backbord voraus!“
„Eine Ader an der Oberfläche?“ brummte Sam, während er den Kurs bereits änderte.
„Nur, wenn neuerdings nach arkonidischer Methode hochverdichteter Stahl in Adern vorkommt. Ich glaube eher, wir haben eines der Landungsschiffe gefunden. Ich informiere den Skipper!“

*

A’Khaell war groß und überaus muskulös, das weiße Haar ebenso wie der Bart auf die Breite von zwei Fingern gekürzt. Ungleichmäßig mit Steinmessern geschnitten stand es wirr ab, der Kiefer war ausgeprägt, mit starken Zähnen besetzt, die Eckzähne besonders lang und spitz. Ein Raubtiergebiss. Der Spross alter Arkoniden saß auf einem alten Stahlhocker, mit Fellen belegt, einen starken Speer in der Hand, die kunstvoll geschlagene Steinspitze geschützt durch geschnitztes Echsenbein. Neben ihm standen die vier ‚Jäger mit Namen’, ihm gegenüber an der zweiten Schmalseite des großen Raumes hatte A’Yachella ihren Platz eingenommen, sie war flankiert von den ‚Jägerinnen mit Namen’, auch diese vier an der Zahl, und trug ebenfalls einen schweren Speer in der Hand. An den langen Seiten hatten sich die Namenlosen aufgestellt und warteten. Die Zugänge zu ihrem Heim waren verbarrikadiert. Die großen Räuber hatten gelernt, dass sie nicht eindringen konnten, auch die kleineren Rudelräuber warteten lieber, bis Jäger das schützende, walzenförmige Metallding verließen, das einst stolz zwischen den Sternen geflogen war. Das Ritual zum Vollmond konnte beginnen.

Vier mal stieß A’Khaell die stumpfe Spitze seines Speeres auf den Metallboden, der dumpf dröhnte.
„Möchte eine der ‚Jägerinnen mit Namen’ A’Yachella herausfordern, um ihren Platz an der Spitze der Frauen einzunehmen?“ Er wartete einige Herzschläge, um dann zu fragen:
„Keine?“ Alle vier blieben ruhig stehen, es meldete sich keine.
„A’Yachella ist Herrin geblieben“ stellte der Mann fest. „Gibt es unter den Namenlosen eine Frau, die einen Namen möchte, sie möge vortreten!“ Eine Frau löste sich von der Wand und stellte sich vor A’Khaell, wandte sich den fünf Frauen an der Schmalseite zu. Ihr langes Haar hatte sie straff nach hinten gezogen und in Knoten gebunden, wie alle anderen Frauen auch. Nur Kinder trugen das Haar offen.
„Ich fordere B’Thaklea zum einem Kampf”, schrie sie ihre Herausforderung in den Raum, und eine der Jägerinnen ging ohne zu zögern wortlos in die Mitte des Raumes. Was wäre auch noch zu sagen gewesen, eine Antwort mit Worten war unnötig. Beide Frauen waren groß, stark und sehnig, auch sie wie alle im Raum weißhaarig und mit wahren Raubtierzähnen ausgestattet, die sie sich nun gegenseitig fauchend zeigten. Sie umrundeten einander, bekleidet mit Lenden- und Brusttuch, die Arme waren kampfbereit angewinkelt, die rötlich schimmernden Augen blickten wachsam. B’Thaklea entschloss sich zu einem raschen Angriff, beide Frauen umklammerten einander, rangen, trennten sich, schlugen, traten, kratzten treffsicher, fügten einander teilweise tiefe Wunden zu. Schließlich lag B’Thaklea auf dem Boden, ihre Gegnerin kniete über ihr und holte zu einem mächtigen Faustschlag aus. B’Thaklea breitete ihre Arme weit aus und legte den Kopf in den Nacken, bot ihre Kehle dem Schlag dar. Die Namenlose erstarrte, holte tief, ganz tief Luft und nickte, sprang auf die Füße, brüllte ihren Sieg in die Welt hinaus und ging beiseite. A’Khaell schlug mit seinem Stab wieder vier mal auf das Deck.
„B’Thaklea gibt es nicht mehr! Die Namenlose, die ihren Namen trug, möge sich in die Schar der anderen Namenlosen reihen. Wie möchtest Du Dich nennen, Jägerin mit Namen?“ Die Siegerin überlegte nicht lange. „B’Bhukata“, rief sie laut.
„Dann nimm Deinen Platz ein, B’Bhukata!“ Vier dumpfe Stöße bekräftigten die Worte des Alpha-Arkoniden.

Nun war es an A’Yachella, mit ihrem Speer den nächsten Teil einzuleiten. „Möchte einer der ‚Jäger mit Namen‘ A’Khaell herausfordern, um seinen Platz an der Spitze der Männer einzunehmen?“ Ohne Verzögerung ging einer der Vier in die Mitte des Raumes.
„Ich bin B’Guklor, ich fordere den Platz des Anführers!“ A’Khaell bleckte die Zähne, als seinen Speer an die Wand lehnte und ebenfalls zur Mitte schritt.
„Dein Recht, B’Guklor, wenn du siegst, sei ein guter Anführer, wenn nicht”, er lachte auf, „dann warte auf mich in den kalten Jagdgründen!“
„Dort werden wir uns wiedersehen!“ antwortete der Jüngere. „Wie auch immer es ausgeht!“ Beide Männer duckten sich kampfbereit, einer jung, dynamisch und ausdauernd, der andere erfahren und geübt, wer würde den Sieg davontragen? In diesem Fall siegte die Jugend. Die Erfahrung hatte oft gewonnen, A’Khaell war lange an der Spitze gestanden, aber irgendwann kam immer ein stärkerer, besserer Kämpfer und die Führung ging stets an den Stärksten. Am Ende lag Khaell mit gebrochenem Genick auf dem Boden, während A’Guklor seinen Sieg der Welt laut brüllend verkündete. Ein Kampf um die Herrschaft endete stets tödlich.

Viermal donnerte der Speer A’Yachellas auf das Deck.
„A’Guklor ist der Mann der Männer! Er hat das Recht, sich fortzupflanzen, erkämpft! Mögen während des nächsten Mondes die Namenlosen untereinander kämpfen, wer einen Namen verdient! Zum nächsten Vollmond wird der Sieger seinen Platz einnehmen und uns seinen Namen nennen. Tragt Khaell hinaus und das Lager herein!“ Namenlose Jäger trugen den Leichnam aus dem Raum zur Barrikade, andere schleppten mehrere zu einer Art Matratze verbundene Lederstücke in die Mitte, wo A’Yachella und A’Guklor sich in die Augen starrten, während seine Begierde stieg. Lange hatte er sich vorbereitet, jetzt das Recht zur Paarung erkämpft. Dann, endlich nickte A’Yachella und legte sich auf das lederne Lager. Der Umstand, dass die Frau, die er jetzt ungeduldig in Besitz nahm, seine Tante war, belastete A’Guklor ebenso wenig wie jener, dass er eben seinen Vater getötet hatte. Jetzt war er der Alphamann, an der Reihe, mit der Alpha- und den Betafrauen Nachwuchs hervorzubringen. Eines Tages würde dann eine Tochter, eine Schwester oder Nichte A’Yachella, die jetzige Alphafrau, töten und ihren Platz einnehmen, ebenso wie er selbst schon in einem Mond wieder besiegt werden konnte. Wie es eben war, seit ewigen Zeiten!

„Das ist verdammt nochmal ein Wolfsrudel!“ Dieses mal war Betty Kendall mit Gucky unterwegs gewesen, nachdem die Esper Gedanken aus dem alten Landungsboot aufgenommen hatten. Sie waren in einen Nebenraum zu der Kampfhalle gekommen, dort hatte Gucky den Lüftungsschacht gefunden, in dem sich beide verstecken konnten. Betty hatte durch das Gitter alles gesehen, Gucky indirekt, mit ihrem Gehirn telepathisch verbunden, stets bereit, den ‚taktischen Rückzug’ anzutreten.
„Die Kontaktaufnahme wird sehr viel schwieriger, Langbein und Kahlkopf waren offene und liebenswerte Burschen, im Vergleich zu diesen Wölfen!“
„Dabei hat man mir immer gesagt, dass Wölfe so tolle und soziale Tiere sind!“ dachte Gucky zurück.
„Sind sie auch“ esperte Betty zur Antwort. „Trotzdem muss ich sie nicht im Vorgarten haben!“
„NIMBY!“ kicherte Gucky. „Not in my backyard! Bist Du sicher, keine Engländerin zu sein?“
Betty grinste zurück. „Das haben wir Amerikaner übernommen! Lass uns auf die STARDUST springen. Dort warten man sicher schon auf die Videos!“

Bully wiederholte Bettys Worte beinahe wortgetreu, obschon er sie nicht gehört hatte, Thora war entsetzt.
„Wie können Arkoniden der Oberschicht, und den weißen Haaren nach zu urteilen, stammen sie aus dem Adel, nur eine derart skrupellose Kultur entwickeln, wo nur körperliche Kraft und Stärke zählte, keine Moral, keine Ethik!“ äußerte sie sich durchaus verzweifelt, Perry Rhodan widersprach ihr.
„Sie kennen aber doch Moral. Hast Du gesehen, als sich die Frau unterwarf und ergab, hat man sie nicht getötet, sie verlor nur ihre Privilegien.“
„Das sind Wilde, Perry“, schrie Thora gequält auf. „Das sind keine Arkoniden mehr!“
„Nicht im engeren Sinn”, Uljanskov hatte einige Berechnungen auf seinem ComPad angestellt, mit Formeln, die nur Psychologen verstehen konnten. Wenn es überhaupt mathematische Berechnungen waren, Bully hatte schon mehrmals ernste Zweifel angemeldet, ob Psychologie tatsächlich als Naturwissenschaft gelten konnte. „Nach einigen tausend Jahren haben sich die Mysteryarkoniden selbstverständlich von den Urarkoniden weg entwickelt. Trotzdem, sie stammen vom gleichen Volk ab wie Sie, Koroleva Thora!“
„Und wie soll man mit so etwas Kontakt aufnehmen?“ Thora, war nicht überzeugt, dass es überhaupt sinnvoll war, es zu versuchen. Pjotr Grigorowitsch lachte laut auf!
„Vorsichtig, Donna, sehr vorsichtig!“

*

„PZW Phoebe 22, Siobhan O’Loughlean, Meldung an STARDUST!“ Ein Funkruf der Aufklärungseinheit unterbrach eine Besprechung.
„STARDUST hört!“
„Chef.” Siobhans Stimme hatte einen leicht belustigten Klang angenommen. „Wir haben Besuch. Man scheint uns vom alten Arkonschiff gesehen zu haben, und jetzt kommt eine Anzahl Leute auf uns zu, mit Speeren, Steinäxten und Steinschleudern.“
„Ruhig verhalten, Phoebe 22“, befahl Rhodan und aktivierte sein Pad.
„Geht klar, Chef. Die ersten Steine klopfen gerade an den Klarstahl, natürlich wirkungslos. Aktivieren Prallschirm, nur zu Vorsicht. Können Sie es sehen, Sir? Sie schlagen mit ihren Äxten auf die 22 ein, völlig nutzlos natürlich. Ah, da schaut jemand durch die Kuppel, der muss mich gesehen haben. Ach du gute Güte, Heilige Bullenschei…! Entschuldigung, Sir, da hebt der Typ doch glatt sein Tutu in die Höhe! Sehen sie, Sir? Äh, könnten Sie die Donna fragen, ob Arkoniden nicht bessere Bestückungen aufweisen? Die Frauen hier können einem Leid tun!“
Thora wusste im ersten Moment keine Antwort zu geben, dann aber lachte sie einfach. „Fähnrich, sie haben recht. Aber es gibt bei Arkoniden eine ähnliche Bandbreite wie bei den Menschen. Gerade hat er Sie übrigens aufgefordert, zu kämpfen oder zu verschwinden.“
„Soll ich es versuchen, Ma’am? Er ist zwar stark, aber ich bin auch kein allzu zartes Pflänzchen.“ Siobhan rieb ihre Fingerspitzen aneinander. „Wir ‚Shamrocks’ halten schon was aus, und austeilen können wir auch.“
Thora entgegnete trocken. „Er will nicht, dass Sie mit ihm kämpfen, Fähnrich, er will, dass sie mit den Frauen des Stammes kämpfen!“
Sean Conelly jubelte dazwischen „Hey, Schlammcatchen! Ich bin dafür, aber ohne Uniformen!“
„Sean, kennst Du das F-Wort? Also, mach’s Dir selber!“

„Kein Kampf, kein Aussteigen! Abwarten, ich schicke John mit Ras Tschubai, die sollen einmal ihre Talente spielen lassen!“ befahl Rhodan. An Bord der STARDUST fläzte sich Ishi Matsu in einen Sessel.
„Merkst Du etwas, Betty?“ sprach sie ihre Kollegin an. „Es sollen wieder einmal die Männer allen Spaß haben!“
Betty setzte sich daneben. „Klar, wieder einmal bleiben wir außen vor! Wir könnten ja in Ohnmacht fallen, weil so ein Typ zeigt, dass er nicht viel in der nicht vorhandenen Unterhose hat. Weil wir ja angeblich ‚Damen‘ sind! Verdammt, verflucht und zugenäht, wie glaubt der Chef eigentlich, dass ich zu meinen Kindern gekommen bin? Durch Parthenogenese vielleicht? Nichts darf man!“

*

Unbekanntes System, An Bord der HEPHAISTOS

Der großzügig angelegte Platz mit dem Bodenmosaik, dessen Original einst den Boden einer Villa in Herculaneum geziert hatte, war mit kleinen, runden Marmortischchen, die auf zentralen Metallfüßen standen, ausgestattet. Um jeden dieser Tische standen vier Stühle, die zwar wie die aus italienischen Espressobars aussahen, aber bei weitem bequemer waren. Die Mitte des Platzes nahm eine mit rot-weiß-grünen Fähnchen dekorierte runde Bar ein, auf zwei Seiten war der Platz von einem gepflegten Park umgeben, eine Seite grenzte an einen Sandstrand, die vierte, kaum gekrümmte Wand und die Decke des Platzes bestanden aus Klarstahl, die den Blick auf einen roten Riesen, einer Sonne im Endstadium freigaben. Das Wabern der Oberfläche war mit bloßem Auge zu beobachten, viel Licht gab der Stern nicht mehr an seine Umgebung ab. Die wenigen noch existierenden Planeten würden in nicht allzu ferner Zukunft ebenfalls der Gravitation gehorchen und ihr Ende in diesem riesigen Gasball finden.

Die Bar wurde von Ettore Rimaldi aus Venedig betrieben, der mit dem blau gestreiften Shirt der Gondoliere über sein Geschäft wachte. Ettore war einer der unzähligen Leute an Bord der HEPHAISTOS, deren einzige Aufgabe darin bestand, das wahre Kapital der Starlight Enterprises, die Wissenschaftler, zu umsorgen und für deren leibliches Wohl zu sorgen. Und natürlich für das der Chefin über die gesamte Station, Tana Starlight. Deswegen war auch ein größerer Tisch mit einigen Stühlen durch einen schallschluckenden, undurchsichtigen Paravent direkt an der Außenwand vom Rest der Bar abgetrennt. Compartimento del Capo, das Abteil des Chefs, wurden diese Tische genannt, wo Tana Starlight gerne des Abends einen ‚Spritz’, also ein Glas Aperol mit Sekt und Orangensaft, eiskalt serviert, genoss.

Giovanna Martelli jonglierte mit ihrem Tablett voll Gläsern durch die besetzten Tische, das beachtliche Dekolleté der hübschen, schwarzhaarigen Frau animierte die männlichen Gäste zu einem Gläschen mehr als ursprünglich gedacht und großzügigen Trinkgeldern. So mancher Gast hatte allerding auch schon die spitze Zunge und die kräftige Handschrift der Dame im Gesicht kennen gelernt, wenn die Witze zu anzüglich wurden oder sich gar eine Hand an ihren knackigen Po verirrte. Doch weil Giovanna es mit einem Lächeln im Gesicht tat und dem Übeltäter stets wieder verzieh, war sie bei den Stammgästen sehr beliebt. Wazlaw Kominsky hatte einmal gesagt, das ‚Anfassen eines solchen Arsches sei schon eine Ohrfeige wert’, trotzdem musste er schon einige Gläser Wein und Grappa in sich haben, ehe er es wieder einmal wagte. Allerding kam das nicht selten vor, und so landete Wazlaws Hand öfter mal an ihrem Hintern, und Giovannas Hand regelmäßig in seinem Gesicht.

Ein weißhaariger Teenager betrat das Lokal mit einer hübschen, etwa vierzigjährigen Frau und sah sich neugierig um.
„Mom sitzt sicher dort im Separee, Leslie.“ Giovanna schwebte vorbei.
„Ein Tisch für zwei? Vielleicht dort drüben, oder eine stillere Stelle?“ Sie zwinkerte dem Mann zu.
„Äh, nein, bitte,“ Reginald wurde rot. „Ist meine Mutter, also Miss Starlight hier?“
„Ach, Signore Starlight, selbstverständlich, bitte folgen sie mir!“ Sie führte das Paar zur Bar und stellte je ein Mineralwasser vor sie. „Bitte einen Moment, ich frage, ob die Miss bereit ist!“

„Reginald! Leslie! Als Giovanna mir gesagt hat, mein Sohn wäre mit einer Dame hier, dachte ich schon etwas anderes!“
„Mama, bitte!“ Reginald Stalight winkte genervt ab. „Ich wette, du kennst sogar die Farbe der Unterwäsche, wenn ich mit einem Mädchen, also, ich meine… Mama, das geht dich nichts an!“
„So, denkst du?“ Tana hob die Augenbrauen. „Meinetwegen. Da Ihr hier seid, nehme ich an, dass Eure Berechnungen ein Ergebnis gebracht haben? Wollt Ihr etwas trinken, einen Happen essen? Ach, Giovanna, bitte!“ Leslie Myers entschied sich für ein Glas Rotwein, Re Teodorico, schwer und kräftig, dazu eine kleine Portion Risotto di Sepia, während Reginald eine Cola Zero und Pasta Bolognese wählte.
„Also, was habt Ihr heraus gefunden?“ Tana nippte an ihrem Aperol, Reginald wickelte die Spaghetti mit Fleischsauce auf seine Gabel.
„Wir haben eine Lösung. Teilweise mit der Desintegrationsformel, dazu einige Theorien und Berechnungen aus der Transmittertechnologie, wenn wir es schaffen, einen…“ Der junge Mann schob eine Gabel Pasta in den Mund und kaute begeistert, es schmeckte hervorragend. Leslie übernahm.
„Kurz gesagt, in drei, vier Monaten können wir einen Probelauf starten. Wenn alles klappt, wie wir glauben, können wir, einen perfekten Bauplan vorausgesetzt, ein 800 Meter Schlachtschiff mit kompletter Einrichtung, Bewaffnung und allem, was dazu gehört, innerhalb von neun, vielleicht zehn Monaten herstellen. Durch Molekülablagerung. Kein schneiden, schweißen, walzen, aus einem Stück sozusagen!“
„Wenn wir mehr Reintegratoren herstellen, können wir auch schneller Schiffe bauen!“ begeisterte sich Reginald. „Wenn wir nur genug Rohmaterialien zur Verfügung haben!“
„Die Herstellung wird wirtschaftlicher, schneller, man braucht keine Werft in dem Sinne, es reicht eine Überwachungsstation mit Wohneinheiten, die Arbeit kann überall erledigt werden. Ich rate zum Bau eines Prototypen, der Reintegrator könnte guten Gewinn einbringen!“

*

Februar 2083, Sol System

Mitschnitt einer HW – Kommunikation zwischen Sicherheitschef Allan D. Mercant, Galacto City und Admiral Atlan, Flaggschiff Home Fleet, GCC-S NEIL ARMSTRONG.

Atlan: „Allan, was geht hier vor? Seit Wochen hältst du die Home Fleet in Alarmbereitschaft und gibst keine Informationen preis! So kann es nicht weitergehen, ich will jetzt endlich etwas erfahren!“
Mercant: „Es ist eine Katastrophe, Atlan, und war auf dem besten Weg, eine noch größere zu werden! Es scheint, mein Informant hat genau richtig gelegen, als er vor Liquvital warnte. In der AF hat man sich an unsere Bedenken rasch erinnert und das Zeug schnellstens verboten, die Zahlen der Vorkommnisse waren rapid rückläufig. Es schmerzt, aber ich muss die AF loben. Russland hat löblicherweise rasch gleich gezogen, die EU hat ihren Mitgliedstaaten ein Verbot empfohlen, die Empfehlung wurde auch überraschend schnell umgesetzt. In den Großstädten Afrikas herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, in Südamerika brennen ganze Stadtviertel, der Verkauf von Liquvital wurde von vielen Regierungen bereits ausgesetzt. Australien und Kanada haben sich, vom Outback und den Berggebieten ausgehend, eingeigelt, die ‚Hinterwäldler’ haben die Lage so halbwegs im Griff, Liquvital ist verboten, von einer gewählten Regierung kann man nicht mehr sprechen. Es regieren so genannte ‚Katastrophenkomitees’ oder ‚Vigilanten‘. Einfach einige Horden Bewaffneter, die sich stolz klingende Namen gegeben haben, teilweise aus der Geschichte. In Australien gibt es – warte einmal – ah, ja, die ‚Ned Kellys Bushranger’. Kelly war doch ein Outlaw? Egal! Am schlimmsten ist die Lage in den USA. Ein Einfuhrstopp kommt nicht in Frage, es sind mehrere Religions- und Rassenkämpfe im Gange. Eigentlich kämpft Jeder gegen Jeden, wenn du auf die Straße gehst, knallen Schüsse. Du hast zu lange mit einer Frau geredet? Der Ehemann holt eine Waffe, und dann überlebt, wer schneller schießt und besser trifft! Totale Anarchie! Der Präsident hat in einer Rede die Freiheit der Nation und eines jeden Staatsbürgers betont, ehe er vor laufender Kamera über die Reporterin der ‚Daily News’ herfiel. Darauf haben seine Umfrageergebnisse alle Rekorde gesprengt, seine Zustimmungswerte sind enorm! Zum Glück hatte der UN-Sicherheitsrat bereits früher einer Resolution zugestimmt, wonach die GCC internationale bewaffnete Konflikte unterbinden darf, unsere Roboter schützen mit UN-Mandat bereits viele Grenzen. Die EU hat sogar darum gebeten, auch dort haben Kampfbots Grenzen gesichert und Kontrollen eingeführt. Innereuropäisch hat sich die Lage etwas entschärft. Von den britischen Inseln kommen wenige Nachrichten, aber irgendwie scheint dort die Lage am wenigsten schlimm zu sein.“
Atlan: „Für die Briten wird sich nicht viel geändert haben. Hinter verschlossenen Türen waren sie schon immer – ich will lieber nicht darüber sprechen. Sagen wir, sie sind nicht so zugeknöpft, wie sie scheinen. Waren sie nie! Irgendwo, irgendwie haben sie immer ‚den Teufel rausgelassen’!“
Mercant: „Im Ernst, es gibt etwas, über das du nichts erzählen willst?“
Atlan: „Mehr, als deine Schulweisheit Dich träumen lässt, Allan. Okay, also ist die Lage mehr oder weniger unter Kontrolle? Mit Ausnahme von Afrika und den USA?
Mercant: „In Afrika sind eher nur Städte betroffen, die Landbevölkerung kann sich das Zuckerwasser sowieso nur sehr, sehr selten leisten, in Südamerika ist es ähnlich. Da fliegen wir zu den Sternen und auf der Erde verhungern immer noch weite Teile der Bevölkerung. Nur können wir ohne allgemeine Machtübernahme nicht viel machen, außer Menschen aus den Elendsvierteln eine Schulung und Jobs bei der GCC anzubieten. Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, wie viele Menschen schon als Kinder sterben müssen.
Atlan: „Ja, ja, schon Churchill hat einmal gesagt, dass die Demokratie eine der dümmsten Staatsformen wäre. Er kenne nur keine bessere! Na schön, was ist mit Perry, warum unternimmt er nichts? Er ist immer noch ein Held bei der Bevölkerung, sein Wort hat einiges Gewicht. Ich habe schon ewig nichts mehr von ihm gehört, ich hoffe, es geht ihm gut?“
Mercant: „Das letzte Mal hat er sich aus dem Gopkar-Sektor gemeldet. Er wollte noch zwei Sterne der G-Klasse nach Sauerstoffplaneten absuchen, nachdem er bei dreien bereits welche gefunden hat. Das ist beinahe drei Monate her, also sollte er schon zurück sein.“
Atlan: „Drei Monate ohne Verbindung? Perry Rhodan? Da ist was faul in diesem Staate, Allan.
Mercant: „Natürlich ist was faul, Atlan! Nicht nur bei Perrys Schweigen, auch der Liquvitalsache ist der Wurm drin. Und wenn es auch Wahnsinn ist, so ist doch System darin! Ich habe den Hamlet auch gelesen! Ich mache mir Sorgen um Perry, aber noch mehr um die Erde. Ich glaube zwar nicht, dass eine fremde Flotte über der Erde erscheint, aber ich bin nicht sicher. Ich kann und möchte eigentlich nur einen Mann zur Suche nach Perry abstellen. Dich, Atlan! Ich habe für dich einen Termin bei Tana Starlight ausgemacht. Schildere ihr die Lage, ich bin sicher, sie wird dir helfen, Perry zu suchen. Du kennst sie noch nicht persönlich, oder?“
Atlan: „Ich habe nur von der Dame gehört, sie soll verdammt aufreizend und schön sein. Also gut, wenn es sein muss, rede ich einmal mit ihr. Der alte Schwerenöter Atlan soll die Dame also umschmeicheln, damit sie ihre Raumer einsetzt. Eine schöne Meinung hast du von mir Allan! Gib mir die Koordinaten!“
Mercant: „Die TSS CYRANO wird in wenigen Minuten bei dir eintreffen, ihr Skipper ist informiert. Er bringt dich zur HEPHAISTOS! Und ja, Starlight ist schön, ich verlange nicht, dass du leiden musst. Aber ich bin sicher, die Sache wird sich anders entwickeln, als du denkst. Ganz anders. Berichte mir dann, wenn du zurück bist, hoffentlich mit Perry! Viel Glück, Admiral!“

Die Suche beginnt

Februar 2083, Unbekanntes System, An Bord der HEPHAISTOS

„Willkommen auf der HEPHAISTOS, Admiral Atlan. Ich hoffe, sie hatten einen guten Flug?“ Eine hübsche, nicht mehr ganz junge Frau in hellblauer Uniform mit einem Schildchen auf dem Busen, dass den achtstrahligen Starlight-Stern und ihren Namen, Hera, aufwies, hatte Atlan an der Schleuse der CYRANO empfangen. „Ich darf Sie zu ihrer Suite bringen.“ Atlan sah sich um, das übliche geordnete Chaos nach eines typischen Raumterminals wuselte rings um ihn her. Passagiere, welche aus- und einstiegen, Fracht, die ent- und verladen wurde, Personal in Warnwesten mit Checklisten, herumflitzende Elektrocarts, eben das Übliche, wie in jedem Hafen, ob nasse Marine, Flug- oder Raumhafen. Dann wandte er sich an Hera.
„Ich würde es begrüßen, Miss Starlight so schnell wie möglich meine Aufwartung zu machen.“
Hera lächelte. „Einen Moment bitte, Herr Admiral!“
„Nun?“ Atlan wirkte ungeduldig, nachdem sich einige Zeit überhaupt nichts zu tun schien. Wieder lächelte Hera und hob die Hand.
„Nur noch einen kleinen Mo…, bitte folgen sie mir, Admiral Atlan. Miss Starlight wird sie sofort empfangen. Bitte in dieses Cart, es bringt uns zum zentralen Lift.“ Atlan schwang seine Beine in den kleinen selbstgesteuerten Wagen.
„Ich habe gehört, die HEPHAISTOS sei eine Scheibe mit sechshundert Metern Höhe und sechs Türmen mit je achthundert Metern Länge? Irgendwie sah das in Anflug anders aus!“
„Ja, Sir! Wir haben im Laufe der Zeit angebaut. Die Dicke der Scheibe ist jetzt neunhundert Meter, die zusätzlichen dreihundert Meter bilden nun diesen Hangar. Die Türme sind auf tausend Meter verlängert, es sind noch einmal sechs davon dazu gekommen. Wir haben den Platz einfach gebraucht, Sir, und natürlich auch mehr Antriebskraft. Bitte, steigen sie in diesen Lift. Er ist für Personen reserviert.“ Atlan und Hera schwebten mit mäßigem Tempo nach unten. „Diese Liftröhre geht bis zur Decke hoch, Sir. Wir haben sie, wie sie erkennen können, in diesen dreihundert Metern transparent, aber leicht getönt gehalten. Viele unserer Mitarbeiter kommen gerne hierher und genießen die Aussicht. Dort oben ist auch ein kleines Café eingerichtet. Dieser rote Bereich trennt den Raumhafen vom Rest der Station. Bitte beachten sie, dass sie ab jetzt nicht mehr ab- sondern aufwärts schweben. Hier bitte den Lift verlassen, Sir. Eine Transportkapsel mit der Nummer 28 bringt sie in Sektor 134, Admiral! Bitte, dieses Laufband. Darf ich sie bitten, Sir, diesen Lift, Etage Gold 15.“ Hera schritt erklärend vor Atlan her, der den Anblick durchaus zu schätzen wusste. Noch mehr allerdings bewunderte er so manche Details, die den Bewohnern der Station die Orientierung erleichterten und das schnelle öffentliche Transportsystem. Endlich gelangten sie zu einer Halle mit einer Unzahl von schmalen Schränken, Hera ließ im den Vortritt, an der gegenüber liegenden Tür stand in 40 Sprachen, einschließlich Arkonidisch, ‚Ab hier bitte keine Kleidung’. Atlan drehte sich um, Hera stand splitternackt, das Namensschild auf ihren Busen geklebt, vor ihm.
„Bitte, Admiral, legen sie ab. Jenseits der Tür befindet sich der Lift zum Freikörperstrand, den Miss Starlight jeden Tag um diese Zeit aufsucht. Normalerweise gilt die Regel, dass sie in dieser Zeit auch keine Geschäfte abwickelt und ungestört sein möchte. Überraschenderweise hat sie einer Ausnahme zugestimmt! Bitte hier entlang.“

Leichter Groll brodelte in Atlan. Wenn die Dame spielen wollte, das konnte er auch. Einen alten Arkoniden aus der Fassung bringen zu wollen, indem man ihn seiner Kleidung beraubte, war ein schwacher Versuch. Hera führte ihn nackt in den Aufzug, ein durchaus hübscher Anblick, wie Atlan vor sich selbst zugeben musste, und schwebte neben ihm her.
„Ganz nach oben bitte, Admiral.“ Der Schacht des Antigravlifts endete und gab den Blick auf einen breiten Sandstrand, viel Wasser und jenseits desselben auf einen leblosen, bizarren und doch schönen Mond eines Gasriesen frei. Atlan erstarrte kurz in der Betrachtung von soviel Erhabenheit.
„Sir? Bitte, Sir!“ Hera machte eine einladende Handbewegung, der Atlan Folge leistete. Sie gingen an etlichen Sonnenliegen, die meisten von ihnen besetzt mit lesenden oder einfach ruhenden Personen, plaudernden oder kartenspielenden Paaren, alle unbekleidet, vorbei. Niemand schenkte Atlan die geringste Aufmerksamkeit, alle waren vertieft in ihre Beschäftigungen, in einiger Entfernung war ein Netz gespannt, über das einige ebenfalls nackte Männer und Frauen einen Ball schlugen. Wenige Schritte weiter zeigte Hera Atlan eine Sonnenliege, auf der eine große, schlanke, nahtlos gebräunte Frau mit Kleopatrafrisur und dunkler Sonnenbrille lag.
„Miss Starlight, Sir!“ Hera wurde durchsichtig und verblasste, erstaunt musste Atlan feststellen, dass er die ganze Zeit einem Hologramm gefolgt war. Perfekte Technik, er wusste es neidlos anzuerkennen.
„Bitte, Admiral! Nehmen Sie doch Platz.“ Tana wies einladend auf eine nebenan stehende Liege. „Ich versuche immer, einen spektakulären Ausblick für unser Solardeck zu finden, und ich finde diesen Mond in seiner kalten Pracht doch sehr schön!“

Atlan blieb stehen und musterte Tana Starlight, offen und unverhohlen starrte er sie an. Unbeeindruckt, völlig entspannt ließ sie die Musterung über sich ergeben, zuckte mit keinem Muskel. Mit sanfter Stimme fragte sie:
„Gefällt Ihnen, was Sie sehen, Admiral?“
„Doch, schon“, Atlan lächelte. „Auch wenn das Gesicht eher zu Nofretete als zu Kleopatra passt!“
„Sie Schmeichler!“ Amüsiert zuckten ihre Mundwinkel. „Lernt man so etwas in tausenden Jahren? War Nofretete wirklich so schön wie ihre Büste es uns glauben lässt?“
Atlan dachte nur kurz nach. „Eigentlich war sie sogar noch schöner, als sie lebendig war!“ Endlich setzte er sich auf die Liege. „Ich frage mich, ob das schwarze Haar echt ist! Es gibt da keine Hinweise an ihrem Körper!“
Über Tanas Gesicht huschte wieder kurze Belustigung. „Die Haarfarbe einer Frau bleibt ewig ihr Geheimnis, mein Herr! Deswegen macht die Schönheitsindustrie doch immer noch so viel Umsatz mit Haarfärbe- und Enthaarungsprodukten. Wir haben übrigens die besten, aber als arkonidischer Mann werden Sie wohl keinen Bedarf daran haben.“
Atlan nickte, konzentrierte sich. „Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie Tana Starlight sind. Sie sehen aus wie zwanzig, maximal fünfundzwanzig! Miss Starlight müsste um die fünfzig sein!“
Tana lachte laut auf. „Siebenundvierzig, mein lieber Admiral!“ Man konnte Tanas ehrliche Belustigung erkennen. „Die Bemerkung über mein Aussehen werte ich als Kompliment, aber mein echtes Alter zu nennen? Admiral, Admiral, das ist gar nicht höflich! Wissen Sie nicht, dass Frauen zwar einen Geburtstag, aber kein Alter haben?“
„Sie wollen behaupten, siebenundvierzig zu sein?“, bohrte Atlan ungläubig weiter. „Das geht nicht, außer…“
„Was ist denn so eilig, dass Mercant um einen Termin für den großen Atlan nachfragt?” unterbrach Starlight die Gedanken des Arkoniden. „Persönlich, möchte ich hinzufügen! Und dann noch die Eile, mit der besagter Atlan sofort und auf der Stelle meinen Schönheitsschlaf stören muss!“ Endlich hob sie ihre Sonnenbrille in die Stirn und sah Atlan mit graugrünen Augen an.
„Jetzt haben Sie mich doch durcheinander gebracht!“ lachte Atlan. „Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht ablenken zu lassen, und doch haben Sie es geschafft! Ich war auf eine Sirene vorbereitet, nicht auf eine Frau, die einfach nett plaudert.“ Starlight änderte ihre Position, ihre Brüste wurden von einem Oberarm halb bedeckt, ihr Lächeln und ihre Stimme wurden sinnlich, ihr Zeigefinger tippte von unten gegen sein Kinn.
„Bin ich so nicht mehr nett genug, mein lieber Admiral?“ Atlan erstarrte, konnte nicht glauben, was er sekundenlang gesehen und gehört hatte. Wie ein elektrischer Funke war dieser eine Satz, dieser Anblick durch seine Knochen und in seine Libido gefahren. Misstrauisch betrachtete er die lachende Frau vor sich, die wieder offen und entspannt auf ihrer Liege ruhte. „Sie haben Ihre Deckung vernachlässigt, Sir! Aber jetzt, was kann Starlights für Sie tun?“
Der Arkonide atmete tief durch. „Vor einiger Zeit sind Thora, Perry Rhodan und Reginald Bull mit der STARDUST zu einer Expedition aufgebrochen, seit etwa drei Monaten gibt es keine Kontaktaufnahme von seiner Seite und keine Reaktion. Die STARDUST gilt als überfällig!“
Die schlanke Frau riss es förmlich in eine aufrechte Stellung. „Sie haben natürlich schon eine Suche eingeleitet?“ Erschrecken zeigte sich auf ihrem Gesicht.
„Nein!“ Verwundert betrachtete Atlan die Reaktion. „Auf Grund der Liquvital-Krise möchte Mr. Mercant kein Schiff entbehren. Aus diesem Grund bin ich hier.“ Tana erhob sich geschmeidig auf ihre endlos scheinenden Beine.
„Zeus!“, rief sie in die Luft, vor ihr erschien das Hologramm einer Frau mit rotblonder Mähne in der rauchblauen Starlightuniform.
„Miss?“ die Verwunderung in ihrer Stimme war beinahe zu fühlen, Tana begann hastig zu sprechen.
„Skipper, Code blau, bestätige, blau. So schnell es geht! Der Admiral und ich sind auf dem Weg zur Zentrale.“
„Bestätigt, Code Blau, Chef mit Gast kommt auf die Brücke!“ Tausende und abertausende bereits im Vorfeld festgelegte Aktionen griffen wie die Zahnräder einer gewaltigen Uhr ineinander, als die HEPHAISTOS sich anschickte, den Orbit zu verlassen.

„Kommen Sie mit, Atlan!“ Tana Starlight eilte zum Lift, schwang sich elegant in den Schacht und schwebte nach unten. „Ich hoffe, Sie haben die Koordinaten des Sektors – natürlich haben Sie die!“ Wieder ein flüchtiges Lächeln. „Ich dachte ganz kurz nicht an Ihr berühmtes eidetisches Gedächtnis!“ Sie stürmte mit langen Schritten zu einem der Spinde, schlüpfte rasch in einen Slip, Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer großen Zunge und dem Aufdruck ‚Satisfaction’. War es eine unbedachte Bewegung, etwas an der Art, das T-Shirt anzuziehen oder ein unkontrolliertes Zucken in ihrer Mimik? Atlan erstarrte, sein Extrasinn mit Logiksektor und eidetischem Gedächtnis legte eine Extraschicht ein. Augen, Erscheinungsbild, die Puzzleteile fielen an den richtigen Platz, und plötzlich vermochte er durch die Maske zu sehen…
„Victoria Rosheen Marba Katharina dalRhodan!“, donnerte er laut los. „Was ist dir die ganzen Jahre…“
„Später, Atlan, später.“ Victoria machte erst gar nicht den Versuch, ihre Identität zu leugnen. „Wir müssen zuerst auf die Brücke! Und bitte, ich flehe Dich an, wahre noch mein Inkognito!“
„Noch!“ brummte der Admiral. „Aber…“
„Zuerst bringen wir die Suche nach Mam und Dad in Schwung, dann reden wir! Unter vier Augen, versprich es mir, Onkel Atlan. Ich sag auch ganz lieb und artig bitte-bitte!“
Atlan lachte laut auf. „Damit hast du mich schon als Kind um den Finger wickeln wollen, Vi… Tana! Und vergiss den Onkel!“

*

„Starlight auf der Brücke“, imitierte die Picotronic einen brüllenden Bootsmann mit Signalpfeife. Moira Tretjakowa, die Skipper der HEPHAISTOS, drehte sich und nickte zur Begrüßung.
„Miss! Admiral!“
„Skipper! Bitte lassen Sie sich von Admiral Atlan die Koordinaten geben. Sie haben gesagt, es gäbe einen Minicluster, 5 G-Sterne in nahen Entfernungen?“
„Und ein Klasse F!“ bestätigte Atlan. „Nach den Angaben von Mercant wollte sich Perry Rhodan genau dort umsehen, drei Systeme hat er bereits besucht. Ich schlage vor, mit der HEPHAISTOS einen etwa mittig gelegen G-Stern anzufliegen. Ah, hier ist die Darstellung. Wir fliegen hier Alpha an. ORION fliegt hierher nach Beta, die HYDRA nach Gamma. Sollte die ORION bei Beta nicht fündig werden, fliegt sie hierher – Delta, die HYDRA übernimmt hier Epsilon, und die HEPHAISTOS fliegt den F-Stern Zeta an, wo auch der Treffpunkt sein wird.“
„Ein guter Vorschlag, Admiral“, befand Victoria. „So werden wir es machen. Also Leute, den absoluten Vorrang hat die Suche nach der STARDUST, wenn irgendetwas Interessantes zu finden ist, speichern, wir können später nachsehen. Noch Fragen? Dann los. Captain Dahlgren, Captain Kawana, bitte besetzen Sie ihre Schiffe “

Die HEPHAISTOS raste durch das unbekannte System und näherte sich dem Sprungpunkt. Ein dunkle Männerstimme meldete sich.
„Sprung berechnet. Transit in 99 Sekunden.“ Atlan sah sich nach einer Sitzgelegenheit um.
„Bitte, Admiral!“ Moira Tretjakowa hatte die Blicke Atlans richtig gedeutet und bot ihm einen Sessel an, dankend nahm der Arkonide Platz, auch die Skipper setzte sich auf ihren angestammten Platz, nur Tana Starlight ging aufgeregt auf und ab.
„Zeus, Sprungfreigabe“, leitete Moira die letzte Sequenz ein. Der Bass meldete sich wieder.
„Bestätige! Transit erfolgt – jetzt!“ Die Muskeln Atlans spannten sich in Erwartung des Sprungschmerzes, der sich jedoch nur auf ein winziges, einen minimalen Augenblick währendes Ziehen im Nacken beschränkte. Dann funkelte ein gelber Stern auf den Bildschirmen.
„ORION und HYDRA los!“ befahl Moira. Die Suche nach der STARDUST hatte begonnen.

Die Lichtstrahlen, welche die Antriebsenergien der Korpuskulartriebwerke begleiteten, schienen anfangs an den Triebwerksöffnungen zu kleben, doch mit Abnahme der Geschwindigkeit eilten sie der HEPHAISTOS immer weiter voran. Die Klarstahlscheiben des obersten Decks der HEPHAISTOS verdunkelten sich, schließlich konnte man nur noch zwölf mächtige Lanzen aus Licht sehen, die in absoluter Schwärze leuchteten. Im Boden der mächtigen Scheibe öffneten sich zwei Luken, aus jeder schoss ein Raumschiff in Form eines schmalen Diskusses mit einem Durchmesser von etwa 180 Metern, sie änderten den Kurs und rasten, immer noch beschleunigend, in verschiedene Richtungen davon. Nur ein winziges Flackern aus buntem Licht zeigte an, dass die ORION und die HYDRA zu ihren Zielpunkten gesprungen waren. Tana Starlight unterbrach ihre nervöse Wanderung.
„Skipper, bitte bei Sichtung sofort Meldung an mich. Admiral, wollen Sie mich bitte begleiten?“ Elegant schwang sie sich in einen Liftschacht.

*

„Nummer zehn, Downing Street. Meine Suite, Atlan, ein kleiner Scherz. Komm herein und mach es Dir gemütlich, die Bar findest Du dort drüben. Und bring mir ein Glas aus der Flasche ohne Etikette mit. Danke!“ Victoria verschwand durch eine Tür, Atlan sah sich in dem Raum um. Helle Wände in gebrochenem Weiß, nur die Wand mit dem Schott, durch das Victoria den Raum wieder verlassen hatte, war in dunklem Bordeauxrot gehalten. Davor stand ein heller Schrank, der die Bar enthielt, ein helles Sofa und einige gemütliche Ohrensessel aus weichstem Leder standen um einen niedrigen Glastisch. In einer Ecke stand ein Arbeitstisch mit einem Drehsessel, an einer Wand war ein riesiger Bildschirm montiert, welcher derzeit vorgab, ein Fenster zu den Blue Ridge Mountains zu sein. Victoria Rosheen kam wenig später in einen Bademantel gehüllt wieder, das Haar noch nass von der Dusche.
„Danke, Atlan” nahm sie ihr Glas entgegen, Atlan hob das Seine.
„Ich bin beeindruckt, Victoria! Dieser Whiskey ist ein Geschenk der Götter an die Menschen. Wie bist Du auf diese Destille gekommen?“
Rhodans Tochter lachte offen. „Durch einen Arkoniden, der mir erzählte, dass er bei dem Bau seiner Lieblingsbrennerei anwesend war. Na ja, nicht mir erzählt, aber ich war dabei.“
„Du hast alles gehört?“ Atlan senkte die Augen. „Jedes Detail?“
Victoria schloss die Augen. „Warmes Kerzenlicht glänzte durch die Scheiben aus Lynns Zimmer. Plötzlich konnte ich es nicht mehr erwarten, durch diese Tür zu gehen, der Gedanke an ihre Umarmungen, ihre Küsse, besonders aber an ihre…“
„Genug, Victoria“, unterbrach Atlan. „Ich wusste nichts von deiner Anwesenheit! Es – es tut mir leid!“
Wieder lachte Victoria Rosheen. „Atlan, keine Panik! Niemand wusste davon, ich hatte mich in Papas Arbeitszimmer geschlichen, weil ich wieder einmal neugierig war. Es ist doch kein Schaden entstanden!“
„Na schön”, gab sich Atlan zufrieden. „Und jetzt erkläre mir mal, was dieses Theater mit Tana Starlight bedeuten soll.“ Victoria nahm noch einen großen Schluck Whiskey, lehnte jedoch eine Nachfüllung ab.
„Atlan, ich hatte eine Idee, von der ich glaubte, sie könne die terranische Raumfahrt voranbringen. Technologischer Fortschritt sogar den Arkoniden gegenüber. Aber jeder, dem ich davon erzählen wollte, hörte einfach nicht zu, noch nicht einmal Paps. Ich weiß nicht mehr warum, aber er sagte so etwas wie“, sie imitierte Rhodans Stimme, „Kind, besprich das mit deinem Professor.“ Sie spielte mit ihrem leeren Glas. „Niemand hat mich ernst genommen, außer Gunny und seinem Vater. Da entstand die Idee. Von Gunny ist auch der Sprungabsorber, ich nehme nicht an, dass du vom Sprung viel gespürt hast, oder? Nun, wir sammelten alle Querdenker und gründeten Starlights. Das ist alles!“
Atlan nickte. „Na schön, aber die Sache mit dem Vamp?“
„Es macht mir Spaß, wenn Männer so richtig ins Schwitzen kommen, Atlan!“ Victoria machte einen angedeuteten Schmollmund. „Meine kleine Rache dafür, dass sie mich nie ernst genommen haben.“
„Hast du jemals, ich meine…“ Atlan blickte zu Boden.
„Nur zum Vergnügen“, lachte Victoria laut. „Ich habe nicht das Leben einer Nonne geführt, und ich habe einige Männer mit großem Spaß verführt. Aber nie um geschäftlicher Interessen wegen. Ich verdiene, selbst ohne meinen Körper verkaufen zu müssen, genug! Auch”, sie lächelte schelmisch, „Auch wenn ich glaube, ich könnte damit glatt ein zweites Vermögen verdienen.“ Sie spielte lächelnd mit dem Stoff ihres Mantels. „Wieviel könnte ich wohl für eine Nacht verlangen, Admiral?“
Atlan atmete tief durch und nahm ebenfalls noch einen Schluck, ehe er antwortete: „Ich werde das nicht kommentieren, Victoria“, lächelte er sie an. „Ich werde sicher nicht mit der Tochter meines Freundes diese Dinge diskutieren.“
Sie lachte glockenhell auf. „Ich glaube, Du bist…“
„Zeus an Chef!“ die Stimme der Zentralpicotronic unterbrach das Geplänkel.
„Zeus, ich höre?“
„Die Skipper bittet Tana Starlight und Admiral Atlan auf die Brücke!“
„Wir machen uns in Kürze auf den Weg, Ende. Atlan, Du entschuldigst mich, bitte? Außer, Du willst mein Schlafzimmer…“
„Mach einfach weiter, du kleine Göre! Seit ich weiß, wer du bist, haben deine Kräfte keine Macht mehr über mich!“

*

Die Brücke der HEPHAISTOS unterschied sich nicht wesentlich von jener der STARDUST, mit Ausnahme einiger Stationen. So waren zum Beispiel die wissenschaftliche und die Waffenstation bei weitem kleiner dimensioniert, dafür die Kommunikationsabteilung und die Ortungsanlagen wesentlich größer. Die HEPHAISTOS war zwar beweglich, aber in erster Linie doch noch eine Station. Eventuelle wissenschaftliche Beobachtungen wurden mit einem der Schiffe durchgeführt, und die Beobachtungen in den Laboren ausgewertet.

Wieder wurde Victoria mit Meldung und Pfeife empfangen, sie verzog das Gesicht und flüsterte Atlan zu. „Ich weiß verdammt noch mal nicht mehr, warum ich dieses Zeremoniell eingeführt habe. Damit werden doch alle gestört! Es muss doch reichen, wenn der Wachhabende ein Signal aufs Headset bekommt!“
Atlan schmunzelte. „Dieses arkonidische Zeremoniell habe ich in fast jeder irdischen Marine etabliert. Es dürfte dir schwer fallen, es wieder abzuschaffen!“ Ein vernichtender Blick traf den Arkoniden aus graugrünen Augen, und der Arkonide begann schallend zu lachen.
„Chef, die STARDUST war hier. Auf dem zweiten Planeten, freies Wasser und Sauerstoff vorhanden, wurde eine Signalbake installiert. Herkunft eindeutig identifiziert.“ Tretjakowa winkte die Beiden zu sich an die Ortungsstation, wo sie auf die Ergebnisse gewartet hatte. „Keine Anzeichen einer Metallmasse, die mit jener der STARDUST vereinbar wäre.“
Victoria warf Atlan einen Blick zu, der nur die Schultern hob. „Gut, Skipper! Bringen Sie zwei Sonden aus, die den Planeten und diesen Schutthaufen beim achten Planeten unter die Lupe nehmen, dann nehmen sie Kurs auf diesen Stern der Kategorie F. Ausführung nach ihrer Entscheidung. Wann schätzen Sie?“
Moira überlegte kurz. „Bei allem Respekt vor der Dringlichkeit unserer Aufgabe – nicht vor etwa zwölf, unter Umständen vierzehn Stunden, Chef.“
Victoria bezwang ihre Unruhe. „Sie haben das Kommando, Moira! Atlan?“ Sie wandte sich um. „Französisch, griechisch oder italienisch.“ Kurz stockte der Arkonide, dann legte er sich fest. „Griechisch klingt gut!“
Ein lächeln umspielte Victorias Lippen. „Also dann, auf zu Mikis. Komm, Atlan!“

Mikis Papadakis war ein echter Kreter. Genauer gesagt, er war Sfakiote, was bedeutete, er trug immer noch die traditionelle Tracht seiner Heimat, auch wenn diese Lichtjahre entfernt war. Zu schwarzem Hemd, schwarzen Reithosen, schweren schwarzen Lederstiefeln und schwarzer Weste trug er ein typisches kretisches Kopftuch, schwarz, und um dir Taille ein langes Tuch geknotet, das seitwärts bis zur Mitte seiner Oberschenkel hing. Überraschenderweise war das Gürteltuch – ebenfalls schwarz. Das typische Messer der Kreter mit dem schwalbenschwanzförmigen Griff stak in diesen Gürtel. Die stechenden, blauen Augen, der buschige Schnurrbart, wild wuchernd, die hohe, schlanke Gestalt, die stolze Haltung, alles rief dem Besucher ‚leg dich bloß nicht mit mir an’ zu. Gerne erzählte er von der Blutfehde, die seine Heimat Sfakia bis zum Ende des 20 Jahrhunderts im Griff gehabt hatte, wobei er immer wieder andeutete, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Er sprach gerne von seinen Abenteuern und Erlebnissen, doch von seiner vier Monate dauernden Beziehung zu Victoria Rosheen sprach er nie. Gerne dachte er daran zurück, doch selbst nach einer Flasche Metaxa wäre es ihm nie eingefallen, seine Diskretion fallen zu lassen oder gar Eifersucht auf seine Nachfolger zu verspüren. Er war Kreter, er war stolz darauf, und er war, seinem äußeren Gehabe zum Trotz, einer der nettesten Männer an Bord der HEPHAISTOS. Sein Lokal wirkte wie eine typische griechische Taverne, auch wenn die Stühle stabil und gemütlich waren. Falsche Patina in der Farbe von Ruß schwärzte die Decke, von der völlig unbrauchbare Fischernetze aus dickem Hanf hingen, die Wände zierten neben großen Bildern kretischer Landschaften Ruder und Anker, im Raum verteilt hielten Statuen griechischer Götter Projektoren für energetische Trennwände, falls jemand intime Gespräche führen wollte. Modernste Schall- und Sichtschutztechnik für private Treffen in antiker Verkleidung. Mikis Papadakis und seine Frau Eleni kannten jeden, der ihr Lokal einmal betreten hatten, mit Namen. Doch sie hätten nicht einmal unter der Folter zugegeben, zwei Personen bereits miteinander gesehen zu haben, außer, sie kamen gemeinsam wieder. Eleni war blond, zierlich und hatte hinter den Kulissen die Hosen an. Die Athenerin hatte den Kreter an Bord kennen und lieben gelernt, in eben diesem Lokal, und hatte, als einige Zeit vergangen war und ihre Beziehung zu Mikis endgültig ernst wurde, ihren Posten in der Kommunikation gekündigt und half als Servierkraft in der Taverne.

Mikis Schwester, die vorher Speisen und Getränke servierte, hatte die HEPHAISTOS verlassen und war glücklich in ihre Heimat zurück gekehrt, mit einer großzügigen Abfindung von ihrem Bruder. Der sich diese Großzügigkeit durchaus leisten konnte, denn Tana Starlight hatte bei Gründung der Station ein Mindesteinkommen für die Gastronomen garantiert. Bei zu wenigen Gästen wollte Starlight Enterprises das Einkommen aufstocken, es war den Gründern wichtig gewesen, so viele unterschiedliche Küchen wie nur möglich an Bord zu haben. Abwechslungsreich und schmackhaft, so wünschten es sich Tana Starlight und Gunnar Gunnarson damals, und so wurde es heute noch gehandhabt.
„Eleni, Miki, habt Ihr einen Platz für zwei hungrige Mäuler?“ Victoria schob Atlan zu einem der Tische, drängte ihn, Platz zu nehmen, während sie noch stehen blieb. Eleni kam von der Schank und umarmte Victoria, Küsschen links auf die Backe, Küsschen rechts.
„Ja‘sou, Tana”, rief sie erfreut, „ti kanis?“
„Danke, Eleni“, lachte Starlight. „Wie immer gut, wenn ich Euch sehe. Miki, schön, dich zu sehen!“ Auch Mikis umarmte Tana freudig, vielleicht etwas zu fest, denn Eleni stupste ihren Mann.
„Das reicht jetzt“, flüsterte die Athenerin, als einzige von der Affäre ihres Mannes mit der Chefin wissend. Es war ihr bewusst, dass einzig Freundschaft von dieser Zeit vor ihrer Beziehung übrig geblieben war, trotzdem blieb da immer ein weinig Unbehagen, wenn eine Umarmung zu lange dauerte. Konnte man denn Männern bei der Chefin, konnte man Männern überhaupt trauen? Ihre Erfahrungen und Beobachtungen in diesem Lokal schmälerten ihren Glauben an die prinzipielle Möglichkeit der Männer, treu zu sein.
„Was darf es denn sein?“ Eleni kramte nach ihrem Bestellpad, und Victoria sah Atlan an.
„Admiral, vertraust du dieser Frau deinen verwöhnten Gaumen an? Dann wird sie mit Freuden eine Vorspeisenplatte und etwas Köstliches zum Hauptgang bereiten. Eleni?“
Die Athenerin nickte. „Mikis hat Stifado gekocht. Nach eigenem Rezept! Dazu ein Glas Rosé aus den Bergen Kretas? Du weißt, diese kleine Kellerei, von der er üblicherweise nur für sich selber bezieht!“ Victoria nickte begeistert, sie war eine der wenigen Personen, denen dieser spezielle Wein kredenzt wurde. Als kleines Dankeschön für günstige Frachtpreise bei wirklichen Spezialitäten. Dann wandte sie sich an Atlan.
„Vielleicht hast Du ja den Kretern den Wein gebracht, aber diese Winzer in den kretischen Bergen sind einzigartig, ein Geschenk der griechischen Götter an diese Insel!“
Atlan lachte schallend! „Ich war auf Kreta, meine liebe Tana! Aber den Wein kannten sie da schon. Für jeden Fortschritt der Menschheit bin ich nicht zuständig. Sie haben auch ohne mich Bier gebraut, aber erst in Prag fanden sie zur Meisterschaft!“

*

Es war am Rand des Reviers, welches A’Guklor für sich und sein Volk beanspruchte, geschehen. An der Grenze zu jenem Nachbarstamm, der in einfachen, in den Boden gegrabenen Erdunterkünften hausen musste und mit dem der Stamm aus der Metallbehausung manchmal Männer austauschte, war ein seltsames Haus aus Metall erschienen, nicht viel kleiner als jenes, das A’Guklor bewohnte. Vor einem halben Mond war so ein kleines Ding mitten im Revier erschienen, ohne eine Spur, woher oder wie, mit einer dürren Rothaarigen darin. Er hatte sie gesehen, hinter einer durchsichtigen, aber harten Kuppel, dieses Metallding hatte der Stamm noch vertreiben können. Dafür war dieses größere Etwas aus Metall hier gelandet, viereckig, die Vorderseite stark abgeschrägt, eine Kuppel in der Mitte. Sie hatten sich dem Ding bis auf wenige Meter nähern können, plötzlich hatten sie vor eine unsichtbaren Wand gestanden. In weitem Umkreis war der Schachtelhalm gefällt gewesen, in Stapeln am Rand der riesigen Lichtung aufgeschichtet. Dann war ein Riese erschienen, größer noch als A’Guklor, noch breiter und massiger. Eine komische Haut bedeckte seinen Körper, ein seltsames Graugelb, wie man es an manchen Meeresufern sah. Fast wie jenes der kleinen Rudeljäger am Strand, aber glatt, nicht schuppig. Sein Gesicht war bedeckt mit schwarzem Haar, auf dem Kopf war aber kein einziges zu sehen gewesen. Neben dem Mann war eine große Frau ausgestiegen. Eine Frau, die enorme Stärke ausstrahlte, obwohl sie gar nicht so breit und kräftig gebaut war. Aber ihr Gesäuge, das war das verblüffendste gewesen, das Gesäuge war hervorgestanden, wie schon bei der Rothaarigen im kleinen Haus. Ihr Gesicht war schwarz, aber der Körper war mit der gleichen Farbe bedeckt gewesen wie die des Mannes.

A’Guklor hatte den Riesen herausgefordert, zu einem ehrlichen Kampf, doch der hatte abgelehnt. Er wollte reden, und A’Yachella, die ein Namenloser geholt hatte, wollte, dass er darauf einging. Aber plötzlich war die Frau nach vorne getreten und hatte die Matriarchin angesprochen. A’Guklor war zufrieden. Reden lag ihm ohnehin nicht, er war mehr für schnelles und entscheidendes zuschlagen. Aber wenn die Herrin es wollte, dann wartete er eben. Und er sollte nach dem Willen der Matriarchin noch länger warten. Man hatte die Mitglieder des Stammes näher gebeten, die schwarze Frau, die sich A’Nabelle nannte, hatte sie eingeladen, etwas zu essen. Noch nie hatte ein Stamm Nahrung mit einem anderen geteilt, aber er war nicht so dumm, Essbares abzulehnen.

Warum A’Yachella ein Gespräch statt eines Kampfes suchte, war ganz klar. Sie wollte natürlich neue Männer eintauschen, und wirklich, sie zeigte einmal auf den großen Kahlkopf, einmal auf ihn. Für A’Guklor war das egal. Ob A’Yachella oder A’Nabelle seinen Nachwuchs austrug, machte für ihn keinen Unterschied. Im Gegenteil, er begann sich zu fragen, ob A’Nabelle wohl am ganzen Körper schwarz war, wie das Gesäuge wohl ohne die sandfarbene Haut aussehen mochte. Aber A’Nabelle schien andere Pläne zu haben, sie deutete in die Runde, auf ihr Haus. Ein Tausch der Jagdreviere, der Häuser? Keine gute Idee, es gab keinen besseren Unterstand. Sollten sie doch mit dem Stamm von A’Mkora tauschen. Die hatten zwar den Fluss, wohnten aber in Höhlen an der Steilküste. Oder, wenn sie ganz dumm waren, mit A’Loppa und ihren Erdhöhlen. Seine Meinung von diesem Stamm war nicht besonders hoch, die Männer dort taugten alle nicht viel, hielten sich vielleicht einen oder zwei Monde an der Spitze, auch ihr Nachwuchs blieb fast immer ohne Namen. Sie waren zu weich, zogen zu viele schwache Kinder groß, sogar, wenn eine Namenlose Nachwuchs bekam. Aber – das war nun wirklich nicht sein Problem. Jetzt winkte A’Yachella ihn zu sich, er war hin gegangen.
„Dieser Stamm wird hier an dieser Stelle eine Zeit lang bleiben. Betritt er unser Revier, so ist er Freiwild. Richtig, A’Nabelle?“
Die schwarze Frau nickte. „Richtig. Hier auf dieser Lichtung wird nicht gekämpft! Hier wird gesprochen und vielleicht getauscht.“

Das war vor drei Monden gewesen, A’Guklor stand immer noch an der Spitze der Männer, A’Yachella war noch immer Matriarchin. Er hatte sich an dieses Haus hier gewöhnt. Für einige große Stücke Echsenleder hatte er für die Matriarchin und sich je einen Speer mit einer scharfen, funkelnden Spitze erstanden, auch eine Axt aus dem gleichen Material, das der andere Stamm ‚Metall’ nannte. Der Nachbarstamm von A’Mkora war verschwunden, genauso wie der von A’Loppa, immer öfter drang sein eigener Stamm zur Küste vor, um Fisch zu besorgen. Es war schon ein richtiger Weg ausgetreten worden, vielleicht würde es sich lohnen, einen Mond mit einer kleinen Schar dort zu bleiben, einen großen Vorrat an Fisch zu sammeln, der für das nächste Jahr reichen würde. Oder die Betas kämpften untereinander, und die Sieger gründeten einen neuen Clan an der Küste, mit dem man tauschen konnte. Nun, A’Yachella würde schon die richtige Entscheidung treffen. Eines Tages blieb A’Guklor erstarrt am Rande der Lichtung stehen. Das Haus war verschwunden – und blieb es auch.

*

„Diese A’Mkora war doch um einiges vernünftiger als A’Yachella“ Thora blätterte in den Berichten der letzten Monate. „Sie hat sofort verstanden, dass eine Übersiedelung, und sei es nur um einige Grade nach Norden, das Leben sehr erleichtern kann, auch A’Loppa war leicht zu überzeugen. Nun ja, sie hatten auch kein Truppenlandungsboot als Unterschlupf.“
Bully nickte. „Wechselblüter sind in der Kälte langsamer und vermehren sich weniger stark. Ich denke, die Rudel werden dort im Norden ein gutes Auskommen erlangen. Im Norden ist es auch trockener, da wird das Feuer auch vieles vereinfachen.“
Rhodan blätterte weiter. „Das Wandervolk auf einem eigenen kleinen Kontinent unterzubringen war auch eine gute Vorsichtsmaßname. So trennt jede Menge Wasser die Wölfe von den Wanderern.“ Er schlug einen neuen Bericht auf. „Wir haben insgesamt vier Landefähren gefunden, alle noch bewohnt. Eine ist weit in den Süden abgedriftet, die dortigen Arkoniden waren nicht so intensiv den extremen Umweltbedingungen ausgesetzt, sie haben sich ganz gut gehalten. Auf ihren Inseln sind sie zwar kurzzeitig in die Steinzeit abgerutscht, aber wieder kräftig auf dem Weg nach oben. Eisen kennen sie bereits wieder, und können es auch verarbeiten. Hochseetüchtige Schiffe gibt es dort auch schon, Katamarane mit windbetriebenem Schaufelradantrieb. Sogar eine Art Schießpulver besitzen sie schon. Was das weiter dem Äquator zu wert sein wird, können wir nur vermuten, das irdische Schwarzpulver wäre jedenfalls wertlos. Es ist bestimmt nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ihren Archipel verlassen. Es gibt sogar eine Imperatrice, Thora.“
Bully lästerte: „Einen brauchbaren Barbaren für deine Sammlung wirst du dort allerdings vergeblich su… Hey!“ Gerade noch konnte er dem von Thora geworfenen Pappbecher mit ohnehin ungenießbarem Pulverkaffee aus dem Automaten der Brücke ausweichen.

*

Das Infanterielandeschiff STARDUST IL 33 war weit im Süden stationiert, als U-Boot zweckentfremdet hatte es sich zwischen den Inseln des Aaggoonn – Archipels herumgetrieben und geforscht. Die hier gelandeten Arkoniden hatten es geschafft, wieder in das Metallzeitalter vorzudringen, hatten eine der Baumwolle ähnliche Pflanze gefunden und waren so in der Lage, luftige und angenehme Kleidung zu tragen. Eine weitere Pflanze lieferte eine Art Mehl, das man zu schmackhaften Fladen verarbeiten konnte. Sie konnten es sich leisten, zumindest zeitweilig dem Müßiggang zu frönen, die breite Mole am Hafenbecken lud die Arkoniden zum flanieren ein, vorbei an Lokalen, wo fangfrischer Fisch, Fladenbrot, Seetang und eine breite Palette an alkoholischen Getränken angeboten wurde. Daneben war der Kai des Handelshafens mit seinen Lagerhäusern, wo Waren von allen Inseln des südlichen Inselarchipels gelagert und zum Verkauf angeboten wurden. Hinter dem Hafen erhoben sich die hohen Häuser der Gilden, mit weiß gekalkten Wänden, bunte Bilder zeigten jedem, in welchem Haus welche Gilde residierte. Ein Haus, zwischen dem Fischer- und dem Handelshafen gelegen, war besonders groß und reich bebildert, unmissverständlich machten die Gemälde klar, dass sich Frau hier nach einer Seefahrt entspannen und vor einer Reise verwöhnen lassen konnte. Kurz gesagt, es handelte sich um das Bordell, aus dessen Fenster Männer jeden Alters auf die Häfen blickten. Die Mode bestand zumindest derzeit bei Männern aus einer Tunika, bis etwa zum Knie oder etwas weiter reichend, um die Taille mit einem geflochtenen Gürtel gerafft, während Frauen die Ihren um etwa drei bis vier Handbreit kürzer trugen, mit einem breiten Ledergürtel mit vielen eingenähten Taschen. Die Männer ließen das Haar und den Bart lang wachsen, sie reichten oft bis zum Gürtel, Frau jedoch liebte den kurzen Schnitt, nackenlang gerade abgeschnitten, in der Stirn entweder ebenfalls gerade oder in ölige Löckchen gedreht. Man war wohlgenährt und zufrieden, die Kriege und der Überlebenskampf schon lange vorbei, einzig die am Kai patrouillierenden Kriegerinnen auf Reitsauriern, eine lange Lanze in der Hand, die Muskete am Sattelknauf, erinnerten an die Notwendigkeit, jederzeit wachsam zu sein. Ihre Tunika war, genau wie die der Matrosinnen, wegen der Bewegungsfreiheit, seitwärts bis zum Gürtel geschlitzt.

Drei große Schiffe lagen im Hafen, stolze Katamarane. Um hohe Masten, zwei auf jedem Schiff, rotierten je zwei schaufelförmige, einander überlappende Flügel, ein Mensch der Erde hätte die Konstruktion einen ‚Savonius-Rotor‘ genannt. Dieser Rotor sollte ein zwischen den Rümpfen liegendes Schaufelrad mit Windenergie in Bewegung setzen, sodass unabhängig von der Windrichtung und der Strömung immer ein gerader Kurs gefahren werden konnte. Taue waren sorgfältig an Deck aufgeschossen, schwere Bronzekanonen standen an den außenliegenden Bordwänden hinter verschlossenen Stückpforten.
„Hurtig, Mädchen!“ Munagura schwang sich an Deck des größten Schiffes. „Ihre Majestät, Habarawana II, mögen die Götter ihren Namen preisen und ihr 1000 Jahre schenken, hat in ihrer unendlichen Güte entschieden, unsere Expedition mit Wohlwollen zu betrachten. Binnen Stundenfrist wird sie eintreffen, um unsere Fahrt zu segnen. Bis dahin muss alles fertig sein und glänzen!“

Die junge Frau war zurecht stolz auf den goldenen Halsring mit den vier Schnüren, der ihren Rang zeigte. Ihre Mutter hatte als Unteroffizier an jener Fahrt teilgenommen, welche die Insel mit dem scharfen Gewürzkraut gefunden hatte. Ein Gewürz, das aus der Küche Aaggoonns nicht mehr wegzudenken war. Sogar das süße, belebende Heißgetränk, das so beliebt war, wurde damit gerne verfeinert. Zumindest die Frauen mochten es, die Männer – nun ja, extrem Süßes war ihnen eben lieber. Von dem reichen Gewinn, den diese Fahrt ihrer Familie gebracht hatte, rüstete Munagura eines der Schiffe aus, ein zweites hatte die Gilde der Handelsfrauen bauen lassen und ein drittes die Imperatrice finanziert. Und nun hatte die göttliche Habarawana II auch noch der Fahrt die Ehre zuteil werden lassen, zum Aufbruch vom nördlichsten aller Häfen persönlich anzureisen und ihren Segen auszusprechen, ein seltenes Privileg.

Lange hatte Munagura diese Reise geplant, hatte Karten studiert und mit allen alten Seefahrerinnen gesprochen, die je den Rand der Vereinten Inseln besucht hatten. Die Erfindung des sich drehenden Segels war gerade zur rechten Zeit für sie gekommen, begierig hatte sie die Neuerung übernommen. Dieser Archipel an Mysterys Südpol war von einer Strömung umgeben, die stets und gleichmäßig von West nach Ost driftete, was die junge Frau allerdings nicht wusste, war der Umstand, dass genau diese Strömung für das relativ einfache Leben am Südpol verantwortlich war. Diese Strömung hielt die große Hitze des Äquators und die immense Luftfeuchtigkeit vom Pol fern und die relative Kühle des Polargebietes eben dort. Sie sollte noch erfahren, in welchem Paradies Mysterys sie aufgewachsen war.

Im Moment jedoch fieberte sie dem Aufbruch zu neuen Ufern entgegen. Dass es solche geben musste, war ganz klar, die Kugelgestalt des Planeten längst kein Geheimnis mehr. Jenseits der Strömung musste es noch mehr Land zu entdecken geben, das Inselreich benötigte immer mehr Rohstoffe. Zinn und Kupfer für die Bronzekanonen, Eisen für Schwerter und Musketen, Gewürze, neue Nahrungsmittel und vieles andere mehr. Vielleicht gab es auch irgendwo Arkoniden, mit denen man Handel treiben konnte. Es wäre doch seltsam, wenn die Einzigen hier auf den Inseln zu finden waren. Flüchtig dachte sie noch an die letzte Nacht, an die zarten Hände des Mannen im Bordell, der ihre Schultern und ihren Rücken massiert und sie dann auf das Beste verwöhnt hatte. Männer! Irgendwie waren sie zwar eine verdammte Plage, aber ohne sie war das Leben auch nicht wirklich schön. Wenn sie doch nur nicht derart verweichlicht und wehleidig gewesen wären.

Ein Staffel berittener Soldatinnen traf ein, machte mit ihren Lanzen die Mole frei, brüllten „Platz für Ihre Erhabenheit!“ Wehe der Person, die nicht sofort an die Wände zurück wich und sich auf die Knie niederließ. Auch die Besatzungen knieten nieder und beobachteten die Ankunft ihrer Herrscherin in ihrer Prunkkutsche, von vier schlanken, großen Echsen gezogen. Die zweite Habawarana war eine große Frau mit üppigen Formen, die in der oben weit ausgeschnittenen Tunika gut zu sehen waren. Das wie eine Uniform hoch bis zum Gürtel geschlitzte Kleidungsstück enthüllte kräftige, vom täglichen reiten gestählte Beine, als sie sich aus dem Gefährt schwang und sich umsah. „Munagura“, winkte die Herrscherin ihre Admiralin zu sich, die aus der knienden Stellung in den Stand sprang und vor der Gebieterin wieder hinkniete, Habawarana legte ihre Hand auf den Scheitel der Seefahrerin.
„Im Namen der großen Göttin, ich segne dich, sei ein Kind des Glücks, fahre und komme glücklich wieder. Segen sei auf deiner Reise!“ Sie wandte sich ab, breitete noch einmal segnend die Hände für all ihre Untertanen aus, ehe sie ihre Kutsche wieder bestieg. Der Lenker schnalzte leicht mit den Zügeln, die Saurier zogen an, und gefolgt von der berittenen Garde kehrte Habawarana wieder in ihren Palast zurück. Sorgen zeigten sich auf ihrem Gesicht. Diese neue Fortbewegungstechnik hatte im Versuch gut funktioniert, aber hielt sie auch eine große Fahrt aus? Es war zu hoffen, denn mit herkömmlichen Segeln war die Circumpolarströmung noch nie bezwungen worden. Habawaranas ehrlich gemeinte Gebete begleiteten Munagura und ihre Schiffe.

Diese war, sobald es die Schicklichkeit erlaubte, wieder auf die Füße gesprungen und auf ihr Schiff zurück gekehrt.
„Ihr habt die erhabene Gebieterin gehört! Auf, fertig zum Auslaufen! Ruder besetzen, Leinen los, verbindet den Wind mit dem Wasser!“ Zuerst langsam, dann immer schneller peitschten die Schaufelräder ins Wasser, die kleine Flotte setzte sich in Bewegung, dem Norden und unbekannten Ländern zu.

*

„Ich weiß nicht, ob dieser Planet anderswo wirklich so eine Hölle ist, aber hier jedenfalls nicht“, meinte Kourosh Mombak, Fähnrich auf der STARDUST. „Diese Houris kann es doch eigentlich nur im Paradies geben, nicht auf Erden.“ Kourosh war in Teheran aufgewachsen und war begeistert dem Ruf der Space Academy gefolgt. Anfangs war es dem gläubigen Moslem zwar etwas schwer gefallen, die prinzipielle Gleichwertigkeit und -berechtigung der Frauen anzuerkennen, doch in Galacto City hatte er lange Gespräche mit seinem Imam geführt. Seither war ihm dieser Grundsatz in Fleisch und Blut übergegangen. Auch die Religionsfreiheit und das Primat der weltlichen Gesetze gegenüber den religiösen stellten für ihn kein Problem mehr dar, auch wenn er sich weiterhin zum Islam bekannte. Christian Heimig aus Frankfurt, ein Freidenker und Atheist, seit Jahren der beste Freund von Kourosh, stieß ihm den Ellenbogen in die Seite.
„Du hast es aber schon gesehen”, frotzelte er freundschaftlich, „Diese Frauen haben hier das Kommando, die Männer sind ziemlich unwichtig!“
„Frauen wie diese dort auf diesen Schiffen könnten mich jederzeit herumkommandieren”, gestand Omar. „Ich würde mit Vergnügen gehorchen!“
Rebecca Kaufmann aus Haifa blickte vom Orter hinüber. „Dann schieb doch gleich mal eine kalte Cola herüber, aber pronto“, befahl sie lachend.
Kourosh öffnete die Kühltasche. „Du bist zwar keine Göttin wie die Damen auf den Schiffen da draußen, aber ich werde deinem Wunsch als Dienstältere dennoch gehorchen!“
„Nett von dir!“ Die junge, jüdische Frau klimperte mit den langen Wimpern. „Göttlich genug, mein lieber Omar?“
„Nur wenn die GCC – Uniformen irgendwann so geschnitten werden wie die aaggoonnidischen“, lachte Kourosh vergnügt. „Und du soviel Bein zeigst!“
„Soll das heißen, wenn ich im Minirock oder meinen schärfsten Hotpants komme und genug Beine zeige, darf ich dich einfach so herumkommandieren?“, fragte Rebecca mit sinnlichem Lächeln nach.
Kourosh schluckte kurz und stellte die interne Klimaanlage seines Anzuges unauffällig höher. „Natürlich, Rebecca, jederzeit!“
Christian lächelte beide an. „Bei wem darf ich denn dann Trauzeuge sein?“ fragte er unschuldig.
„Sei still und halt den Mund”, knurrte Omar, während Rebecca sofort: „Bei mir, bei mir!“ rief. Aus dem Geschützturm mischte sich der Kommandant des Landungsbootes, der dienstälteste Fähnrich Petersen aus Oslo, in das Gespräch.
„Leute, Kurs ändern, wir folgen den Schiffen. Glückwunsch, Kaufmann und Mombak, ich melde mich als Taufpate!“

*

Auf jedem Schiff, ob es auf einem Meer oder im Weltall unterwegs ist, muss stets einige wichtige Stellen besetzt gehalten werden, zum Beispiel die Kommandozentrale, die Krankenstation, die Lebenserhaltung, die Hangare und natürlich die Küchen. Zumeist wird in drei Schichten gearbeitet, auf terranischen Schiffen wie etwa der STARDUST hatte jede dieser Schichten acht Stunden. Die Alphaschicht – traditionell auch Hundewache genannt – von 00:00 Uhr bis 08:00, die Betaschicht von 8:00 bis 16.00 und die Gammaschicht von 16:00 bis Mitternacht. Eigentlich sollte die Alphaschicht eine ruhige Angelegenheit sein. Major Francis L. Pounder, Nachfahre jenes Generals der Space Force, welcher einst Perry Rhodan zum Mars brachte, hatte vor etwa drei Stunden die Brücke von der Abendschicht übernommen und es sich im Kontursessel des Kommandanten gemütlich gemacht. Francis liebte diese stillen Stunden, wenn das Schiff zu schlafen schien, nur die wichtigsten Stationen waren besetzt. Ab und zu bewies ein Fiepen oder Piepsen die Arbeit der Neuronik, programmierte Geräusche, die einzig dem Wohlergehen der Benützer dienten. Ein winziges Blinken auf dem Bildschirm erregte seine Aufmerksamkeit.
„Passive Ortung“, schrie der diensthabende Offizier. „Irgend etwas Großes ist da draußen und feuert verdammt viel Energie ins All! Scheinen Korpuskulartriebwerke zu sein, aber mächtige Geräte. Das müssen einige Schlachtschiffe sein!“ Pounders Faust schlug auf den Alarmknopf, Lichter begannen zu blinken, Sirenen zu jaulen. Lautsprecher brüllten nach der Schiffsführung, betonten es sei keine Übung, DefCon 5, Generalalarm, alle auf Gefechtsstation. Lange trainierte Handlungsabläufe, hunderte Male wiederholt, machten binnen Minuten die STARDUST zu einem kampfstarken Koloss, dessen Waffenkuppeln ausgefahren wurden, die Schutzschilde legten sich um den Stahlrumpf. Collin Campbell stürzte auf die Brücke, dann die Stimme des Kommunikationsoffiziers.
„Unterlichtschneller Videokontakt! Admiral Atlan ruft die STARDUST!“ Begeistert schlugen sich die Besatzungsmitglieder auf die Schultern, umarmten einander, lauter Jubel klang auf, selbst Thora und Rhodan, die mittlerweile eingetroffen waren, nahmen sich nicht aus. Die Heimat war zu den Gestrandeten gekommen.

Fortsetzung folgt …

Zum Inhaltsverzeichnis von World of Cosmos 119

« »