Das fantastische Fanzine

F.R.I.C.K.

Perry-Rhodan-Multicrossover-Story von Roland Triankowski, diese Geschichte erschien erstmals in der Anthologie “Das wüsste ich aber! 60 Jahre Klaus N. Frick” herausgegeben von Christina Hacker und Alexandra Trinley.

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1. Die Sawyer-Akten

Obwohl er vollkommen sicher war, dass sich niemand darin aufhielt, zögerte Allan D. Mercant, ehe er den Raum betrat. Er hatte ihn am Ende eines Gewölbegangs vorgefunden, etliche Etagen unterhalb der Altstadt von Saint Petersburg, Missouri. Die eisenbeschlagene Eichentür hatte sich mit dem ungewöhnlichen Schlüssel – von dem zwei Fuß langen Schlüsselhalm gingen mehrere komplexe Bärte in unterschiedlichen Winkeln ab – problemlos öffnen lassen. Das Licht aus dem Gang – Edisonbirnen, die vermutlich schon seit über 60 Jahren ununterbrochen brannten – fiel in eine Kammer, in der lediglich ein Tisch und ein Stuhl standen, auf ersterem befanden sich eine Tischlampe und ein Telefon aus den 20er Jahren.

Mercant fasste sich ein Herz und trat ein. Die Tischlampe funktionierte einwandfrei, also zog er die Tür hinter sich zu, legte die beiden Akten auf den Tisch und setzte sich. Durch den aufgewirbelten Staub musste er beinahe niesen. Die Aktendeckel zierte ein Geheimhaltungsgrad, von dem er bis vor ein paar Tagen noch nie gehört hatte. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, die Akte zu öffnen und die wesentlichen Papiere griffbereit zu verteilen. Sie war Teil des so genannten Sawyer-Archivs, das er ebenfalls erst seit wenigen Tagen kannte. Er hatte es inzwischen studiert, nur dadurch wusste er von diesem Raum.

Mercant räusperte sich und nahm den Hörer ab. Das Telefon hatte keine Kurbel, keine Wählscheibe und keine Tasten. Dem Knacken und Rauschen konnte er jedoch entnehmen, dass die Leitung stand. Tatsächlich dauerte es nur wenige Sekunden, ehe nach einem weiteren Knacken die Stimme eines Mannes erklang: »Hallo.«

Ehe Mercant den Gruß erwidern konnte, fuhr sein Gegenüber fort: »Welche Schuhe darf ich für Sie zurücklegen?«

Mercants Blick flog über die ausgebreiteten Unterlagen.

»Oxford, keine Budapester«, sagte er schließlich und gab damit die offenbar noch immer gültige Antwort.

»Gute Wahl«, bestätigte der andere.

»Danke, Mister …«, Mercant machte eine Pause und erwartete, dass sich der andere vorstellte.

»Keine Namen«, antwortete dieser jedoch.

Mercant musste schmunzeln. Seiner Erfahrung nach waren britische Agenten in der Regel recht freigiebig mit ihren Klarnamen. Er ließ es jedoch auf sich beruhen. »Wie Sie meinen«, sagte er. »Kommen wir gleich zur Sache.«

»Sie haben einen Liga -Fall. Der erste seit Jahrzehnten. Das ist sogar für mich eine Premiere. Schießen Sie los!«

»Vor zwei Tagen wurde uns eine Filmrolle zugespielt, auf der …«

»Der Fantomas -Film?«, unterbrach der andere ihn. »Eine Kopie davon liegt uns vor, ich bin im Bilde.«

Mercant hielt ein Seufzen zurück. Es wurde höchste Zeit, dass die Koordinierung der Geheimdiensttätigkeit innerhalb der NATO vorankam. Aber daran arbeitete er ja gerade.

»Gut«, sagte er. »Wie Sie sich vorstellen können, sind wir nicht bereit, auf die Forderung einzugehen. Und da die Mercury-Atlas-12-Mission offiziell nicht existiert, würde ich das Problem gern inoffiziell lösen. Auf die Gründung der IIA müssen wir leider noch ein paar Monate warten.«

»Und die Zeit haben Sie nicht«, ging ihm der andere dazwischen. »Die nichtexistierende MA-12-Mission startet bereits in drei Tagen, richtig?«

»Kein Kommentar«, sagte Mercant schmallippig. Wenn die International Intelligence Agency gegründet war, würde er diesen Knaben umgehend vom MI6 abwerben. Er hatte inzwischen eine recht genaue Vorstellung, um wen es sich handelte. »An dieser Stelle kommen jedenfalls wir ins Spiel«, fuhr er fort. »Wenn wir unsere Ressourcen, unser Wissen und ein paar unserer …«, er zögerte kurz, um einen passenden Begriff zu finden, »außerordentlichen Spezialisten zusammenlegen, kann es gelingen. Beginnen wir vielleicht mit dem Wissensteil. Was können Sie mir über diesen Fantomas sagen?«

»Nicht viel. Bislang beschäftig er die französischen Behörden mit Juwelendiebstählen, Banküberfällen und so weiter. International ist er bis dato nicht aufgetreten und hat auch keine politischen oder terroristischen Ambitionen gezeigt. Demnach scheint es ihm nur um die geforderten Geldmittel und Rohstoffe zu gehen. Erstaunlich ist allerdings, dass er bereits jetzt über enorme Ressourcen verfügt – und dass seine Identität nicht zu ermitteln ist.«

»Und sein Äußeres«, warf Mercant ein.

»Das ist in der Tat bemerkenswert«, pflichtete ihm der andere bei. »Fantomas arbeitet mit täuschend echten Masken und Verkleidungen. Gut möglich, dass der graublaue Kahlkopf ebenfalls eine Maske ist. Es kann aber niemand ausschließen, dass er von Geburt an diese …«, diesmal suchte er nach Worten, »Spezialisierung besitzt.«

»Wie gehen wir vor?«, wechselte Mercant das Thema. »Ich kann binnen 48 Stunden ein Team zusammenstellen und mit einem Spezialflieger nach Europa schaffen. Wo sollten die Ermittlungen beginnen? In Frankreich?«

»Deutschland«, lautete die lapidare Antwort.

»Wieso das?«

»Fantomas droht MA-12 mit einem Laser abzuschießen. Wie es der Zufall will, ist in diesem Jahr in einem Forschungsreaktor nahe München etwas gestohlen worden, das als Bauteil für einen derart starken Laser hilfreich wäre. Außerdem passt die Methode des Diebstahls zu Fantomas’ Vorgehen. Der Dieb hatte sich in Verkleidung Zugang verschafft. Ich habe bereits veranlasst, dass die Beweismittel zur Rhein-Main-Airbase gebracht werden.«

»Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht«, lobte Mercant und gab sich dabei große Mühe, sein Staunen zu verbergen.

»Gern geschehen«, sagte sein Gegenüber. »Sie waren mit der Rettung ihres Präsidenten auch ausreichend beschäftigt. Glückwunsch im Übrigen.«

Nun gut, dachte Mercant, dann wissen wir also beide, mit wem wir es zu tun haben.

»Leider«, fuhr der andere fort, »haben wir zur Zeit keinen Spezialisten verfügbar, der aus den Beweismitteln Rückschlüsse auf Fantomas’ Aufenthaltsort ziehen kann. Sowohl Sinclair als auch der Doktor sind gerade sehr beschäftigt. Hätten Sie jemanden parat?«

»Kann ihr geheimes Ministerium niemanden entbehren?« Mercant musste diese Spitze einfach loswerden, um den Briten aus der Reserve zu locken.

Er meinte sein Gegenüber durch die Leitung grinsen zu hören. Zumindest hatte seine Stimme einen amüsierten Tonfall, als er sagte: »Davon haben wir mehrere. Welches meinen Sie? Aber Spaß beiseite, ich wäre dankbar, wenn wir darauf nicht zurückgreifen müssten.«

»Kein Problem«, sagte Mercant. »Ich habe da jemanden.« Er zog ein Kurzdossier aus seinen Unterlagen und legte es zuoberst auf den Stapel. »Ich würde insgesamt drei Spezialisten schicken.«

»In Ordnung«, kam die prompte Antwort. »Ich werde zwei europäische Spezialisten vor Ort haben, mein Kontakt bei den Deutschen ist ebenfalls informiert.«

»Sie werden nicht dabei sein?«, fragte Mercant.

»So leid es mir tut, ich bin verhindert. Ich kann mich für das Team jedoch verbürgen.

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Mercant. »Dann gehen wir es an.« Er machte eine kurze Pause und fügte hinzu: »Ich nehme an, ich darf Felix einen Gruß von Ihnen ausrichten.«

2. Eskorte durch New York

Perry Rhodan trat aus dem Terminal des Flughafens La Guardia und ließ einen Moment lang das spätherbstliche Ostküstenklima auf sich wirken. Der Mann mit dem Pappschild mit seinem Namen darauf fiel ihm sofort auf. Er sah wie ein typischer Fed aus – oder ein G-Man, wie es in einschlägigen Filmen oft hieß. Seine Eskorte entsprach also tatsächlich den Vorgaben seines mysteriösen Befehls. Rhodan musste schmunzeln, ging zu dem Mann und stellte sich vor.

Dieser warf das Schild geschickt in den nächsten Papierkorb, ergriff Rhodans dargereichte Hand und sagte: »Cotton, angenehm. Als Fahrer abgestellt zu werden, hab ich auch noch nicht erlebt. Naja, ist mal ‘ne Abwechslung von all dem Trubel. Kommen Sie!«

Trotz des New Yorker Verkehrs wurde die Fahrt recht kurzweilig. Cotton war ein geübter Fahrer, und das Blaulicht auf seinem Dienstwagen tat sein Übriges. Als die beiden Männer zudem feststellten, dass sie beide aus Connecticut stammten, verging die Fahrt zum International Airport wie im Flug.

»Es gibt Pläne, den Flughafen nach Jacky umzubenennen«, sagte Cotton, als sie auf das Gelände einbogen. »Ich wäre dafür. Eine Schande, was da in Dallas passiert ist.«

Das Auto wurde von den Sicherheitskräften am Eingang durchgewunken. Ein Servicefahrzeug lotste sie bis zu einem Hangar, vor dem ein futuristischer Flieger stand, der wie eine Mischung aus Düsenjäger und Transportflugzeug wirkte.

»Wow«, sagte Cotton. »Sieht ja fast aus wie ein Raumschiff.«

»Ich vermute mal, ich soll das Ding fliegen«, sagte Rhodan und griff zum Türöffner. Ehe er ausstieg, zwinkerte er Cotton zu. »Aber pssst! Streng geheim!«

Draußen nahm ihn ein Uniformierter in Empfang. »Aufgetankt und startbereit«, vermeldete dieser grußlos. »Starterlaubnis ist erteilt, Startfenster ist noch eine Stunde offen. Dort sind ihre Passagiere.«

Der Mann wies zur Gangway, an der ein Mann und eine Frau standen, salutierte knapp und ging eilig davon.

Die Passagiere trugen beide schwarze Kleidung – jedoch in sehr unterschiedlichen Stilen. Der junge Mann – Rhodan schätzte ihn auf Anfang 20 – hätte mit seiner Sonnenbrille und seinem Beerdigungsanzug ein Kollege von Cotton sein können.

Er wurde jedoch bei weitem von der Frau in den Schatten gestellt, die in einer Art schwarzem Abendkleid auf Rhodan zugeschwebt kam. Der Befehl sprach von einer Einsatzleiterin, also salutierte er vor ihr und meldete sich einsatzbereit.

»Stehen Sie doch bequem, Perry«, sagte sie mit sonorer Stimme und hielt ihm ihre Hand hin. »Mein Name ist Morticia.« Offenbar erwartete sie einen Handkuss von ihm. Rhodan zuckte innerlich mit den Schultern und tat sein Bestes.

»Kommen Sie«, sagte sie und wandte sich zum Flugzeug um. »Wenn ich vorstellen darf, dies ist Mister Kevin Brown, unser Spezialist für exotische Technologie.« Brown behielt die Arme vor der Brust verschränkt und nickte knapp.

»Und dies«, schloss sie die Vorstellungsrunde, »ist Mister Perry Rhodan, der uns nun nach Deutschland fliegen wird.«

Rhodan hob die Augenbrauen und sagte: »Na dann, auf geht’s!«

3. Bericht aus Garching

»Kilo November Foxtrott Six Zero, Sie haben Landeerlaubnis.«

»Verstanden, Rhein-Main-Airbase.«

Rhodan war sehr ernst geworden. Das Einsatzbriefing während des Flugs hatte ihm offenbart, dass es sich bei diesem Auftrag keineswegs um einen Testflug mit spleenigen Diplomaten oder Industriellen handelte, wie er zunächst angenommen hatte. Dies war eine Geheimdienstoperation, um das Leben eines Astronauten zu retten.

Rhodan kannte den Air-Force-Captain Tony Nelson nur flüchtig. Er war ihm einmal kurz begegnet und wusste, dass er zur NASA und zum Mercury-Programm gegangen war. Sein letzter Stand war, dass Nelson nicht zum Zug gekommen war – offenbar ein Irrtum. Dass die drei offiziell abgesagten Missionen nach Mercury-Atlas 9 im Geheimen stattfanden, war Rhodan neu. Ebenso, wie spleenig sich die Geheimdienstwelt darstellte. Hier standen ihm jedoch noch einige Überraschungen bevor.

*

Man hatte sie in eine Art Baracke direkt am Landefeld geführt. Um einen Tisch mit einem Dutzend Stühlen standen vier weitere Zivilisten. Rhodan fiel auf, dass zwei von ihnen ebenfalls sehr jung waren. Ein älterer Herr in einem altmodischen karierten Tweed Anzug bildete die deutlichste Ausnahme. Er kam sofort auf ihre Einsatzleiterin zu und begrüßte sie mit einem formvollendeten Handkuss.

»Herzlich willkommen!«, sagte er mit hartem deutschem Akzent. »Nehmen Sie Platz, wir haben nicht viel Zeit.«

Alle Anwesenden kamen der Aufforderung nach und nickten einander dabei wortlos zu.

»Wenn ich die Damen und Herren kurz bekanntmachen darf«, sagte der Deutsche und wies zunächst auf die Neuankömmlinge. »Dies sind die Herren Rhodan und Brown sowie Frau …«

»Morticia genügt«, unterbrach sie ihn, was er mit einem Nicken quittierte.

»Und dies«, fuhr er fort, »sind die Spezialisten, die ihr Team verstärken werden: Fräulein Emma Knight aus England«, dabei wies er auf die junge Frau, »Und Herr Jacques Lefebret aus … Paris, richtig?«

»Zuletzt, ja«, antwortete der Angesprochene.

»Mein Name ist von Knatter«, setzte der Deutsche die Vorstellungsrunde fort. »Ich koordiniere diesen … Spezialisteneinsatz hierzulande und dies ist Kriminalanwärter Klein aus München, der uns jetzt freundlicherweise über die Vorgänge in Garching in Kenntnis setzt.«

Der junge Mann räusperte sich, öffnete seinen Aktendeckel und begann in recht unbeholfenem Englisch zu berichten. Von Knatter musste ihm zunächst bei einigen Vokabeln aushelfen, nach wenigen Sätzen konnte er sich aber gut verständlich machen.

Demnach wusste Klein über den Diebstahl selbst nur wenig. Er war jedoch an den Ermittlungen zum Tod eines Mitglieds des Garchinger Forschungsteams beteiligt. Dessen Rolle hatte der Dieb für seine Tat übernommen. Klein beschrieb den Tatort und den rekonstruierten Tathergang. Nach einem kurzen Dialog auf Deutsch reichte er die Fotos aus seinen Unterlagen an von Knatter weiter, der sie wiederum Morticia übergab.

Erneut tauschten die beiden Deutschen ein paar strenge Worte in ihrer Muttersprache aus – zumindest klang es für die anderen Anwesenden so. Daraufhin holte Klein einen Gegenstand aus seiner Aktentasche, den er von Knatter übergab.

»Die Tatwaffe«, sagte dieser und hielt den durchsichtigen Beutel für alle sichtbar hoch, darin ein schwerer Aschenbecher. »Sie wird uns hoffentlich weiterhelfen.«

Er legte das Beweisstück auf den Tisch und schob es zu Morticia. Sie hatte bereits die Hände flach auf die Fotos gelegt. Als sie jedoch nach dem Aschenbecher griff, warf sie mit einem Mal den Kopf in den Nacken und holte lautstark Luft.

Die jüngeren Anwesenden zuckten allesamt zusammen, Lefebret hingegen zeigte keine Reaktion. Von Knatter aber sprang von seinem Platz auf, trat an ihre Seite und blickte sie erwartungsvoll an. »Was sehen Sie, Morticia?«

»Schrecklich blauen Himmel«, flüsterte sie, ohne dabei ihre Körperhaltung zu verändern. »Die Sonne scheint und es ist unerträglich heiß. Meer, Strand, eine Stadt, Wüste.«

Sie warf ihren Kopf wieder nach vorn und atmete schwer. »Fürchterlich, diese Helligkeit«, sagte sie.

»Beschreiben Sie mir die Stadt!«, sagte von Knatter.

Rhodan blickte sich ungläubig in der Runde um. Lediglich Knight und Klein erwiderten seinen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen und zuckten mit den Schultern. Die anderen beobachteten den Vorgang weiterhin mit ernstem Interesse.

Morticia begann, Straßen und Gebäude zu beschreiben.

»Lomé«, sagte Lefebret nach einer Weile.

»Kombiniere : Sie haben Recht«, stimmte von Knatter zu und eilte wieder an seinen Platz. »Schnell!«, herrschte er Klein an. »Zettel und Stift!« Er wiederholte die Aufforderung auf Deutsch und begann in Windeseile zu zeichnen. »Ich habe die Stadtpläne aller Hauptstädte im Kopf «, kommentierte er seine Arbeit. Ohne aufzusehen, fügte er hinzu: »Dennoch brauchen wir schleunigst Kartenmaterial von der Region.«

Rhodan fühlte sich angesprochen, stand auf und sprach eine der draußen bereitstehenden Wachen an. Als er einige Augenblicke später mit militärischen Karten von Westafrika im Arm zurückkehrte, nahm von Knatter sie ihm sogleich ab.

»Sehr gut«, sagte er. »Er hat seine Basis außerhalb der Stadt im Landesinneren.« Von Knatter sichtete die Karten und breitete eine davon auf dem Tisch aus. »Wo, Morticia?«, fragte er.

4. Pogo in Togo

Rhodan hatte beschlossen, sich nur aufs Fliegen zu konzentrieren. Das beherrschte er. Darüber, dass der weitere Verlauf ihrer Mission – und somit die Rettung von Captain Nelson – von einer übersinnlichen Vision abhing, wollte er lieber nicht genauer nachdenken.

Er hatte natürlich oft von PSI und paranormalen Fähigkeiten gehört. Mit seinem Jugendfreund Leroy hatte er sich nächtelang über dergleichen unterhalten, jedoch nur als Fiktion in ihren geliebten Comicheften. Dass es sich um reale Phänomene handeln sollte, hatte er sich bislang nicht vorstellen können.

Der Flug nach Togo war für diese Maschine eine Sache von wenigen Stunden. Vor dem Abflug war das Flugzeug mit zusätzlichem Material beladen worden. Morticia hatte sich verabschiedet, den anstehenden Einsatz sollten nur Knight, Brown, Lefebret und er bestreiten. Die Leitung war der jungen Frau aus England übertragen worden, die allerdings sofort in den Frachtraum verschwunden war. Offenbar erforderte das neue Material ihre Aufmerksamkeit.

*

Nach der Landung in Lomé beorderte Emma Knight sie alle per Bordfunk in den Frachtraum des Fliegers. Zu Rhodans Erstaunen standen dort zwei dicht hintereinander geparkte Sportwagen. Knight strahlte sie an und sagte:

»Dies, meine Herren, sind zwei brandneue 901er. Sie sind in diesem Jahr auf der Autoausstellung erstmals vorgestellt worden, auf der ganzen Welt sind erst eine Handvoll davon auf den Straßen unterwegs.«

Rhodan wusste ein schickes Auto zu schätzen, konnte sich Knights offensichtlicher Begeisterung jedoch nicht anschließen. Als Kampfpilot war er andere Maschinen und Geschwindigkeiten gewöhnt.

Bei Brown lag der Fall etwas anders, zumindest ließ er sich dazu hinreißen, seine Sonnenbrille abzunehmen und eine Augenbraue anzuheben.

Auch Lefebret schien angetan. Er strich versonnen über den Kotflügel des hinteren Wagens und sagte: »901? Die sehen nicht gerade französisch aus.«

Knight musste daraufhin kurz lachen. »Den Streit über Namensrechte sollten wir vermeiden«, rief sie und hieb auf den Öffnungsschalter der Ladeluke. Ernster fügte sie hinzu: »Unser mutmaßliches Ziel liegt etwa zwei Stunden außerhalb der Stadt, mit diesen Babies schaffen wir es womöglich in der Hälfte der Zeit – und die Zeit ist knapp, der Start von MA-12 steht unmittelbar bevor. Ich fahre voran.«

Sie stieg in den vorderen Sportwagen ein. Rhodan und Lefebret stellten fest, dass Brown bereits auf dem Fahrersitz des hinteren saß. Beide zuckten mit den Schultern und öffneten die jeweiligen Beifahrertüren, Rhodan vorn und Lefebret hinten.

*

»Unser mutmaßliches Ziel?«, fragte Rhodan, nachdem sie das Flughafengelände hinter sich gelassen hatten und nun auf einer Art Highway Richtung Norden rasten.

Knight war eine hervorragende Fahrerin: konzentriert, sicher und sehr sportlich. Brown hatte seine Mühe, ihr auf den Fersen zu bleiben.

»Haben Sie Zweifel, dass diese …« Rhodan suchte nach einer angemessenen Formulierung. »… übersinnliche Methode tatsächlich funktioniert?«

»Damit bin ich offenbar nicht die Einzige, oder?« Emma Knight lächelte Rhodan an und fuhr fort: »Wissen Sie, mein Verlobter Peter ist auch Pilot, genau wie Sie. Ich hatte gehofft, dass ich solche Einsätze häufiger mit ihm gemeinsam bestreiten kann.«

Sie schaute wieder nach vorn, ihr Blick verlor sich in der Ferne und sie schwieg eine Weile.

Derweil holten sie einen Lastwagen ein, der deutlich langsamer vor ihnen auf der Straße fuhr. Emma schaltete ruckartig einen Gang runter, ließ die Reifen durchdrehen und veranstaltete ein Überholmanöver, das ihr in jeder Tourenwagenmeisterschaft zu Ehre gereicht hätte.

Als wäre nichts gewesen setzte sie ihre Rede fort: »Ich musste jedoch schnell lernen, dass meine eigenen Wünsche, Meinungen und Überzeugungen oft nur eine untergeordnete Rolle spielen können.«

»Sie meinen: Befehl ist Befehl?«, fragte Rhodan.

»Das nun auch nicht, jedenfalls nicht immer und nicht in letzter Konsequenz. Aber wenn man dieses Hobby gerne pflegt, muss man sich an die Spielregeln halten.«

»Hobby?« Rhodan stand die Verwunderung ins Gesicht geschrieben, was Emma Knight erneut auflachen ließ.

*

Nach einer guten Stunde Fahrt erreichten sie an der von Morticia bezeichneten Stelle ein eingezäuntes Gelände, darauf ein größerer Flachbaukomplex, der eine Fabrik oder eine Kaserne hätte sein können. Daraus ragte ein auffälliges Kuppelgebäude hervor, das Rhodan sofort an eine Sternwarte denken ließ.

Sand und Staub wirbelten auf, als die beiden Sportwagen in ein paar hundert Metern Entfernung zum Stehen kamen. Sie befanden sich in einer einsamen Gegend, ihr mutmaßliches Ziel lag etwas höher als das umliegende Gelände, an unentdecktes Heranpirschen war nicht zu denken.

»Dieser Geheimdiensteinsatz wird offenbar nicht sonderlich geheim ablaufen«, kommentierte Rhodan lakonisch.

»Ja, das wird etwas robuster«, antwortete Knight und holte einen Feldstecher hervor. »Für subtile Aufklärung bleibt uns ohnehin keine Zeit mehr.«

Nach kurzer Beobachtung kurbelte sie ihr Fenster runter und rief ihren Mitstreitern im anderen Wagen zu: »Zwei bewaffnete Wachen. Sie haben uns natürlich gesehen, einer kommt bereits auf uns zu, der andere wird vermutlich gleich Verstärkung rufen. Wir sollten uns also beeilen. Unser Ziel ist die Kuppel, darin steht mit Sicherheit der Laser. Priorität eins: Sabotage des Lasers, alles andere ist nachrangig.«

»Alles klar!«, rief Brown, rückte seine Sonnenbrille zurecht und trat aufs Gas.

Der Durchbruch gelang problemlos. Die beiden Wachen wichen den heranrasenden Sportwagen aus, ihre Schüsse gingen dank des aufgewirbelten Sandes weit daneben. Die Flügel des Tores flogen aus den Angeln und schlugen mehrere Meter entfernt in den Staub als die beiden Fahrzeuge ungebremst durch sie hindurchrasten.

Kurz dahinter mussten Brown und Knight jedoch in die Eisen steigen, inzwischen waren mehrere Jeeps auf dem Gelände aufgefahren und versperrten den weiteren Weg. Mehrere Dutzend bewaffnete Männer sprangen aus den Wagen. Mit nur knapp danebengezielten Warnschüssen unterstrichen sie die Aufforderung anzuhalten.

Die vier mehr oder weniger freiwilligen Agenten verließen ihrerseits ihre Fahrzeuge und sprangen dahinter in Deckung – außer Lefebret, der betont gelassen aus dem Auto stieg und kaum Anstalten machte, sich in Sicherheit zu bringen.

Rhodan hatte seine Dienstwaffe dabei und brachte sie in Anschlag. Auch Knight und Brown hatten Faustfeuerwaffen gezogen, erstere einen Revolver, letzterer eine winzige silbrig glänzende Pistole, die Rhodan auf die Schnelle nicht einordnen konnte.

»Ich mache das!«, rief Brown und drückte ab. So klein die Waffe war, sie erzeugte einen gewaltigen Rückstoß, den er nur mit Mühe beherrschen konnte. Quasi im selben Moment kippte eine enorme Explosion zwei der Jeeps um und schleuderte sie mehrere Meter davon.

Die meisten der bewaffneten Männer warf es ebenfalls um, was Lefebret mit einem Mal vorstürmen ließ – obwohl er keine Waffe trug. Knight schloss sich ihm kurzerhand an. Rhodan sicherte nach hinten, wo er jeden Moment mit der Ankunft der beiden Torwächter rechnete. Durch die sich rasch ausbreitende Staubwolke nach der Explosion erwies sich dies jedoch als unmöglich.

Rhodan entschied sich kurzerhand um und spurtete voran zu einem der umgeworfenen Jeeps. Dort entdeckte er Brown, der hier in Deckung lag.

Langsam legte sich der Staub und sie sahen, dass Knight und Lefebret die Verwirrung genutzt und etliche Gegner im Nahkampf außer Gefecht gesetzt hatten .

Knight hob die Hand, um das weitere Vorrücken zu befehlen, als erneut Schüsse peitschten. Rhodan zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Die Torwächter waren zurückgekehrt und nahmen sie mit Schnellfeuergewehren unter Beschuss. Rhodan und Brown duckten sich in ihre Deckung, es war nicht daran zu denken, das Feuer zu erwidern. Knight schaffte es, mit einer eleganten Hechtrolle zu ihnen zu gelangen und kauerte sich neben die beiden.

»Wo ist Lefebret?«, fragte Rhodan. Gleichzeitig packte er Brown am Arm, der eine Feuerpause ihrer Gegner nutzen wollte, um zurückzuschießen. Keine Sekunde später spritzte der Sand direkt neben ihrer Deckung unter einer Salve auf.

»Es hat ihn erwischt«, sagte Knight. »In die Brust.«

Von ihren Gegnern kamen nun Rufe auf Französisch. Rhodan kannte nur eine Handvoll Vokabeln, verstand aber, dass sie die Waffen strecken sollten.

»Was nun?«, fragte er mit ruhiger Stimme.

Knight nickte ernst und sagte: »Wir beide müssen ein Ablenkungsmanöver veranstalten, damit Brown die Kuppel zerstören kann.«

Wieder peitschten Maschinengewehrsalven, diesmal aus mehr als zwei Richtungen. Offenbar hatten ihre Angreifer erneut Verstärkung bekommen. Die drei jungen Leute kauerten sich noch enger in ihre Deckung und staunten, als auf einmal Lefebret hoch aufgerichtet vor ihnen stand. Die meisten Kugeln verfehlten ihn, einige trafen ihn jedoch in Brust und Schulter, was ihn allerdings kaum zu stören schien.

Dennoch packte Rhodan ihn am Hosenbund und zog ihn zu ihnen herunter. »Was machen Sie da, Mann?«, rief er dabei.

Knight inspizierte die Wunden, offenbar allesamt Durchschüsse, die kaum bluteten und vor ihren Augen zusammenwuchsen.

»Wie ist das möglich?«, fragte sie.

»Es ist eine Art Magie «, sagte Lefebret mit einem Lächeln.

5. Sehr lustig

Rhodan beschloss, die Dinge einfach nur noch hinzunehmen. Nachdenken konnte er später »Wie ist die Lage da draußen?«, fragte er.

»Ein gutes Dutzend Männer Verstärkung«, berichtete Lefebret. Er sprach schnell aber mit einer Gelassenheit, als ginge ihn dies alles nichts an. »Mein Auftritt hat sie kurz verunsichert, aber sie werden uns gleich eingekreist haben. Mir können sie nichts anhaben, aber Sie wird man allesamt erschießen.«

Knight ergriff mit entschlossener Miene das Wort: »Es gibt nichts, dass Sie töten kann? Keine Kugeln, kein Gift, keine Krankheit?«

Rhodan hatte den Eindruck, dass Lefebret kurz zögerte, dann schüttelte dieser aber schweigend den Kopf.

»Gut«, sagte Knight. »Dann habe ich vielleicht einen Plan. Ich habe sie mit von Knatter deutsch reden hören, können Sie die Sprache gut? Würden Sie sich zutrauen, eine kurze Botschaft ins Französische zu übersetzen?«

Lefebret nickte.

»Brown? Rhodan? Sie können weder Deutsch noch Französisch, richtig?«

Brown nickte. Rhodan musste jedoch zugeben, von beiden Sprachen ein paar Worte zu kennen.

»Dann müssen Sie sich jetzt fest die Ohren zuhalten!«, befahl Knight. An Lefebret gewandt sagte sie: »Hören Sie mir jetzt genau zu! Was ich Ihnen jetzt sage, müssen Sie den Leuten da draußen sofort laut und deutlich auf Französisch vortragen, verstanden? Und versuchen Sie, so wenig wie möglich darüber nachzudenken. Ich wünsche uns allen Glück.«

Sie atmete ein paarmal tief durch und rezitierte dann: »Wenn ist das Nunstück git und Slotermeyer? Ja! Beiherhund das Oder die Flipperwaldt gersput !«

*

Etwa eine halbe Stunde später befanden sie sich in dem Kuppelbau. Es war tatsächlich ein Observatorium, allerdings war auf dem großen Gestell kein Fernrohr, sondern eine Art Kanone montiert.

Brown war hinaufgeklettert und schraubte an dem Laser herum, die anderen warteten unten. Rhodan behielt den Eingang im Blick, obwohl dies kaum nötig war. Ihre Gegner waren allesamt tot.

Knight kümmerte sich um Lefebret, der sich noch immer vor Lachen – und zugleich vor Schmerzen – auf dem Boden krümmte.

»Ich kann leider nichts für ihn tun«, sagte sie. »Ich kann nur hoffen, dass seine Unverwundbarkeit das aushält.«

Sie blickte auf und suchte Rhodans Blick.

»Wissen Sie, Rhodan, dieser Killer-Witz ist ein Relikt aus dem zweiten Weltkrieg. Britische Agenten, die kein Deutsch können, müssen ihn noch immer auswendig lernen, auch wenn er gar nicht mehr zum Einsatz kommt. Hätte nie gedacht …«

»Fertig!«, rief Brown dazwischen. Er kletterte zu ihnen hinunter und hielt dabei etwas Glitzerndes in den Händen, was sich bei näherem Hinsehen als beeindruckender, rosarot leuchtender Edelstein herausstellte.

»Ohne dieses Schmuckstück hier ist der Laser kaum mehr als eine Wärmelampe. Selbst wenn Fantomas nach unserem Abzug neue Leute schickt, kann er damit niemanden mehr aus dem Orbit schießen.«

»Gut«, sagte Knight. »Dann rücken wir ab. Sind Sie so gut und helfen mir mit Mister Lefebret?«

»Warten Sie, ich mache das«, sagte Brown und steckte den Stein in seine Hosentasche. Er hatte seine Sonnenbrille beim Betreten der Kuppel abgenommen. Nun setzte er sie wieder auf und holte eine Art Stift hervor.

»Knight, Rhodan, schließen Sie die Augen!«, sagte er. »Und Sie, Lefebret schauen genau zu mir!«

Es war etwas mühsam, den von ununterbrochenen Lachkrämpfen geschundenen Mann dazu zu bringen, in die gewünschte Richtung zu schauen. Schließlich gelang es. Kurz erhellte ein rot aufblitzendes Licht die gesamte Kuppel, dann hörte Lefebret schlagartig auf zu lachen.

»Sie, Sir, sind ein Held!«, sagte Brown zu ihm. »Sie haben im Alleingang alle unsere Gegner unschädlich gemacht und damit die Mission gerettet. Wir haben gewonnen und können nun unversehrt nach Hause gehen und Weihnachten feiern. Dank Ihnen.«

Er half Lefebret auf und führte ihn in Richtung Ausgang. Dieser starrte ihn entgeistert an, ließ es aber geschehen. Als sie an Knight und Rhodan vorbeigingen, sagte Brown: »Erledigt. Sie können ihre Augen wieder aufmachen.«

Auf dem Weg zu ihren Wagen sagte Knight zu ihm: »Ich frage Sie besser nicht, was Sie da gemacht haben, oder?«

»Ich müsste es Ihnen sonst demonstrieren«, lautete die lapidare Antwort.

Bei den Autos angekommen klatschte Knight in die Hände. »Meine Herren, ich danke Ihnen für diesen erfolgreichen Einsatz! Wenn es nach mir ginge, sollten wir das häufiger machen, als festes Team mit eigenem Namen. Wie wäre es mit …«, sie überlegte kurz, »… Fast Reacting International Corps of Knights, gegründet am heutigen 9. Dezember 1963.«

Wie erhofft gelang es ihr damit, die Anspannung endgültig zu lösen. Schmunzelnd stiegen sie alle in die beiden Sportwagen.

»FRICK«, murmelte Rhodan dabei. »Gefällt mir!«

ENDE

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