Der Roman aus der Feder von Julius von Voß erschienen im Original im Jahre 1810, übertragen und Korrektur gelesen von Bernd “Göttrik” Labusch.

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Drittes Büchlein: Guido im Heere, Kapitel 9

Die Wanderer besuchten nun hier verschiedene Lehrstühle, denn, wie der Norden von Teutonien für das gelehrteste Land galt, nannte dies wieder die hohe Schule zu Berlin die gelehrteste.

Ein Lehrer trug die Geometrie vor, handelte von den seit etwa drei Jahrhunderten erfundenen neuen Lehrsätzen, und lächelte dabei über die geringfügigen Konzeptionen eines Archimedes, Galilei, Newton, la Place. Doch setzte er auch billig hinzu: „Diese Männer bleiben dennoch im Verhältnis zu ihren Zeiten vortreffliche Köpfe, dass die unsrigen unendlich mehr aussprachen, ist eine Erscheinung, welche durch den wissenschaftlichen Fortgang und die immer mehr zusammengedrängten Volksmassen notwendig wurde.“

Guido, selbst ein geübter Rechner, bewunderte die arithmetischen Formeln, welche ihm hier zu Gesicht kamen. Der Integral- und Differenzialkalkül waren auch schon vollkommen ins gemeine Leben übergegangen, und die endlich gefundene Quadratur der Rundung, erleichterte die Messung aller Größen noch weit mehr.

Über die Mechanik vernahm er unerhörte neue Lehrbegriffe. Nur die Ausführung mancher davon, konnte ihn noch zu mehr Bewunderung hinreißen. Denn man beschloss während seiner Anwesenheit, einen großen Palast, welcher in der Straße, wo er gegenwärtig stand, keine vorteilhafte Ansicht darbot, nach einem freien Markte zu schaffen. Sein Fundament ward gestützt, unterhöhlt, gewaltige Hebemaschinen drängten das Gebäude im Gleichgewicht empor, Rollen, aus Marmorblöcken gehauen, empfingen dasselbe, und in wenigen Tagen war es unversehrt nach der neuen Stelle gebracht, wobei sich an den nötigen Wendungen die schwierigste Kunst offenbarte.

Auf der Sternwarte eines durch neue Entdeckungen berühmten Astronomen, hörte er mehrere Vorlesungen. Dass man jetzt über Tausende Millionen Fixsterne zählte, wogegen vor etwa drei Jahrhunderten deren nur fünfundsiebzig Millionen angenommen wurden; dass die Zahl der Ehedem bekannten dreihundertneunzig Kometen verdreifacht ausgemittelt war, und über die Gesetze ihres Umschwungs, die Natur der sie umwallenden Dünste, kein Zweifel mehr bestand; dass die Vortrefflichkeit der Sehröhre schon die Planeten der nächsten Sonnensterne erblicken ließ, wusste er lange; ganz unerwartet erfuhr er hier aber, welchen bedeutenden Vorschub die Chemie der Sternkunde leistete. Denn wenn sie zuvor den Wärme- und Lichtstoff nimmer hatte wägen können, so war ihr dies nunmehr ganz bequem geworden. Es gab Waagen, die in Teilbarkeit der Schwere Subtilitäten gestatteten, die mit denen, welche das Mikroskop in der Sichtbarkeit erzielt, verglichen werden konnten. Nun hatte der genannte Sternkundige, Strahlen der Lichtmaterie, welche uns von den, viele Billionen Meilen entlegenen, Fixsternen, nach langen Jahrenreihen zuströmt, in luftleeren hohlen Körpern aufgefangen, gewogen und scheidekünstlerisch zerlegt. Er wies nun den Zuhörern seine merkwürdigen Resultate vor. Es wurde durch sie erklärt, weshalb das Licht vom Sirius weiß, das vom Arktur rötlich sei, warum die Glanzfarben an den Hauptsonnen, in den Sternbildern Orion, Leier, Kasiopea, Löwe, Eridan usw. so von einander abwichen. Aus der Natur ihrer Lichtstoffe schloss nun der gelehrte Mann auf die ihrer Planeten, sogar auf die dort notwendigen Modifikationen der anorganischen und organischen Körper, wodurch er einer ganz neuen, erhabenen Wissenschaft, ihr bewundernswürdiges Feld öffnete.

In einem Hörsaal der Naturkunde fanden sich unsere Reisenden auch mit lebhaftem Anteil ein. Hier zählte man die Mineralien, Pflanzen, Säugetiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten und Würmer auf, welche bis jetzt entdeckt waren. Gegen die Vorzeit hatte sich die Zahl mehr als verdoppelt. Dies galt aber nicht von den Tieren des Meeres, von denen einige Tausend Gattungen in den Registern der Physiker genannt wurden, wo man sonst nur Achthundert beobachtet hatte. Denn bei jeder Reise in den Grund des Ozeans — wo sich die kühnen Erforscher der wundersamen Tiefe, nach Maßgabe ihres Weiterdringens, einen Ruf bereiteten, wie Ehedem die Colon, Magellan, Hudson, van Diemen, und Tiefgebirge oder Meertäler nach ihren Namen benannt sahen — wurde man Arten ansichtig, die bis jetzt den Blicken verborgen geblieben waren, und nicht in die höhere Wasserregion zu dringen pflegten. Guido erfuhr viel Seltsames davon, wandte aber der Anatomie der Infusionstiere noch größere Aufmerksamkeit zu, und die meiste, den Lehren über das Pflanzenleben. Hier spottete man jetzt der Vorzeit, welche die Vegetabilien einst leblos nannte, ungeachtet einsaugende und aushauchende Gefäße sowohl, als die Erzeugung durch Begatten, sie vom Gegenteil hätte überzeugen können.

Die Geogenie behauptete Hypothesen, in welche die Bailli und Gatterer der Vorzeit sich schwerlich würden gefunden haben. Sie wollte genau angeben, wann einst der Erdball, nur aus Urgebirgen bestehend, durch eine ätherische Revolution von Wasserfluten wäre umfangen worden, die die Ursache aller Lebenserscheinungen in sich tragend, in dem Maße abgenommen hätten, als diese aus ihren Mitteln hervorgebracht wären. Eben so berechnete sie die endliche vollkommene Kondensation der Flüssigkeiten, und wies dann dem erstorbenen Felsball eine Trabantenstelle bei einem weit über den Uranus hinaus entstehenden oder dann mit Lebenselement umflossenen Planeten an. Andere Meinungen aber, leiteten die Geburt der Erde, von der Begattung zweier Kometen her, da sie in den Äther geworfen worden, gewissermaßen in Eigestalt, wo der Urgranit als das Gelbe, die Fluten als das Weiße zu betrachten wären. Die allmähliche Umwandlung der Verhältnisse des Flüssigen zum Festen, nannte diese Meinung, den Wachstum des Eies, und sein Entfalten zum Kometen, wo einst das kindische Einherwandeln am Gängelbande der Sonnenanziehkraft aufhören, und der kecke Jüngling sich der Leitung seiner feurigen Wärterin entziehen werde, nicht mehr wärmende Pflege von ihr bedürfend. — Freilich zeigte sich hier auch so gut wie vormals die Beschränkung des menschlicher Wissens, und Guido drängte den Lehrer bald mit Fragen, auf die er keine Antwort hatte.

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Die Philosophie sah dies gegenwärtig wohl ein und trug zur Belehrung nur ihre eigne Geschichte vor. Die letzteren Systeme, die jüngsten Träume vom Übersinnlichen, mussten notwendig, nach einem um so größerem Maßstabe angelegt worden sein, als die Erkenntnis im Gebiet des Sinnlichen sich mehr ausgebreitet hatte. Man trug sie vor, beschied sich abzusprechen und überließ jedem Denker — sich zum höchsten Wesen anbetend zu wenden.

Guido, bereits früh mit jugendlicher Weisheit ausgestattet, seither, wie wir schon berichtet haben, eifrig dem Studium der weisesten Schriften dieser Zeit hingegeben, umfasste nun, schnell in sich aufnehmend, was er hier sah und hörte, und vollendeter wurde der tiefe kräftige Denker. Die Hochgefühle seines samtenen Tatentriebes, wurden dadurch wechselnd gemildert und angefacht.

Wahre geistige Religion, in Bewunderung der Natur und Allmacht, lenkte sein Gemüt zum höheren Ausflug als je, und die Liebe, in ihrer immer reineren Mystik, schmiegte sich an alles Empfundene und Gedachte.

Allein der Ausdruck eines so schönen Geistes prägte sich auch immer vollendeter in seiner Gestalt aus. Er fühlte, sah es mit Frohlocken, schrieb an Ini: Wenn sein Auge, vielmehr sein Herz nicht lüge, müsse er nun sehr nahe an seinem Götterziele stehen. — Man besah noch das Innere von Berlin emsig. Ein altes Zeughaus lag in ehrwürdigen Ruinen da. Es war nicht wieder erbaut worden, indem bei der jetzigen, glücklichen Verfassung von Europa, in der Mitte des Staates keine Waffenvorräte nötig waren.

Ein Standbild Friedrichs II. zog Guidos Blicke auf sich.

Sein Lehrer sagte: „Diesem König war freilich Neigung zum blutigen Ruhm vorzuwerfen, und er führte Kriege, die allerdings zu vermeiden gewesen wären. Doch entschuldigt der rohe Charakter seiner Zeit viel daran. Hingegen wusste er den Monarchenberuf, der sich mit dem Ganzen zum Vorteil Aller verinnigen, und das Staatsschiff im Strome der Zeit dahin lenken soll, ohne seine Wogen vorauseilen zu lassen, oder ihnen selbst voranzufliegen, so richtig zu erfüllen, dass manche Züge seines Regentenlebens, sogar jetzt noch, jungen Gekrönten Muster leihen dürfen. Deshalb prangt auch nicht allein hier sein Denkmal, sondern seine Reste wurden späterhin auch nach Rom gebracht. Du siehst seine Urne dort im Tempel der Unsterblichkeit. Hatte sein Volk sich zur Größe aufzuschwingen verstanden, wie sein König, so ging vielleicht Europas schönere Entwickelung, von Friedrichs Monarchie aus.“

An dem Marmorbild einer Königin des Altertums, weilte der Jüngling bewundernd.

Gelino unterrichtete ihn: „Diese Huldin auf dem Throne, Luise genannt, sei die schönste Frau ihrer Zeit gewesen. Auch wäre die Vorliebe für ihre Gestalt hier so lebendig auf die Nachkommen übergegangen, dass man sie in den Marientempeln, durch Künstler von Athen, noch immer nachahmen ließe.“

Es befand sich auch ein Pantheon in dieser Stadt, wo die Bildnisse verdienter Männer in diesen Gegenden, aus neuer und älterer Zeit aufgehangen wurden. Man sah hier Albrecht, Waldemar, Luther, Kopernikus, Goerike, Friedrich Wilhelm, Leibnitz, Kant, einen gewissen Rochow, einen gewissen B*** – doch der Verfasser dieses Werkes mag es nicht unternehmen, die noch anzugeben, welche sein prophetischer Traum sah, mancher Aspirant der Unsterblichkeit würde zürnen, sich zu vermissen.

Fortsetzung: INI – Ein Roman aus dem 21. Jahrhundert, Drittes Büchlein, Kapitel 10

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