Story von Roland Triankowski

Zum Inhaltsverzeichnis von World of Cosmos 113

Besuch am Erleuchtungstage

Es war einmal in jenen alten Tagen, als das Sternenreich der Menschen noch ein kühner Traum war. Zu dieser Zeit drangen die sagenhaften Sternenkapitäne in die Milchstraße vor und entdeckten, erkundeten und eroberten all jene Welten, die dereinst von Menschen bewohnt werden sollten. Unter der Leitung des Rates der Admirale hatten sie ihre Basis auf dem Monde bezogen und planten von dort aus ihre Expeditionen zum Wohle der Menschheit.

Eines Tages begab es sich, just zum Erleuchtungsfeste, dass eine fremde Rakete mitten im Sonnensystem erschien und ungehindert auf eben jener Mondbasis landete. Der Rakete entstieg eine klobige Gestalt in leuchtend grünem Raumanzug, verschaffte sich durch geheime Funksignale Zutritt zu der Basis und gelangte direkt in den Saal, in dem sich der Admiralsrat und die edelsten Sternenkapitäne versammelt hatten.

Fast wie ein Riese ragte die Gestalt zwischen all den Menschen auf und nicht wenige von ihnen griffen zu ihren Strahlenpistolen. Der grüne Gigant regte sich jedoch nicht weiter und machte keine Anstalten anzugreifen.

Mit donnernder Stimme richtete er aber das Wort an die Heldinnen und Helden:

»Zwischen den Sternen geht die Rede, dass es in diesem Winkel der Milchstraße tollkühne Kapitäne geben soll, die sich anschicken, in die dunkle Nacht vorzudringen und den schrecklichen Gefahren des Alls zu trotzen. So die Rede wahr ist, begehre ich, diese wagemutigen Raumfahrer kennenzulernen.«

»Ihr steht mitten unter ihnen«, sprach da Admiral Manticore, die in jenen Tagen dem Rat angehörte.

»Dann höret meine Herausforderung!«, sagte das fremde Wesen. »Der Tapferste unter euch möge sich mir in einem Raketenduell stellen. Wenn ihr so gute Raumfahrer seid, wird es sicher einem von euch ein leichtes sein, mir in einem Rennen quer durch euer System zu entkommen. Und so ihm dies gelingt, möge er mich in einem Jahr bei meinem Stern für eine weitere Jagd besuchen. Wer wagt es also und steht für die Ehre dieser illustren Runde ein?«

Da erhob sich Admiral Husker von seinem Platze, in diesen Tagen von der Last des hohen Alters gebeugt. »Ihr erdreistet

Euch, uns auf unserem eigenen Monde derart frech herauszufordern«, rief er mit fester Stimme. »Am liebsten würde ich Euch eigenhändig hinauswerfen und aus dem Spiralarm jagen. Doch dies ist ein zivilisiertes Sonnensystem, in dem die Gastfreundschaft geachtet wird. Und Ihr habt wahrlich die Halle der mutigsten Frauen und Männer betreten.«

In dem Moment trat eine junge Raumfahrerin vor und sprach: »Und daher werde ich Eure Herausforderung annehmen. Ihr wollt mich jagen? Dann versucht es!«

Ehe sich jemand versah, nahm sie ihren Helm und eilte aus der Halle hinaus, schnurstracks zum Landefeld, auf dem ihre Rakete stand.

»So sei es«, sprach der grüne große Raumfahrer und folgte ihr gemessenen Schrittes.

»Möge das Licht der Erleuchtung auf dich scheinen, Kapitän Starhawk«, murmelte Admiral Husker, dem die junge Raumfahrerin sehr ans Herz gewachsen war.

»Das hoffen wir alle«, erwiderten die Ratsmitglieder.

Die übrigen Kapitäne aber waren längst in den Ortungssaal mit dem großen Bildschirm geeilt, um das Raketenduell hautnah verfolgen zu können.

*

Als der grüne Raumfahrer gerade auf das Landefeld stapfte, hatte Starhawk bereits im Pilotensitz ihrer Rakete platzgenommen und mit den Startvorbereitungen begonnen.

»Dann zeigt, was Ihr könnt!«, sendete sie auf einer offenen Frequenz in den Äther hinaus und jagte ihre Rakete im Alarmstart in den tintenschwarzen Mondhimmel hinauf. Mit gut vierfacher Erdbeschleunigung folgte sie einem Kurs, der sie auf die Rückseite des Mondes führte. Es war ihr Plan, sich zunächst so weit wie möglich von der Erde zu entfernen. Egal welche wilden Manöver bei dieser Jagd erforderlich sein würden, sie sollten nicht in der Nähe der blauen Perle stattfinden, die sie ihre Heimat nannte.

Nach einer knappen Minute hatte sie die Fluchtgeschwindigkeit des Mondes erreicht, befand sich jedoch noch immer recht dicht über dessen Oberfläche. Sie behielt die Beschleunigungswerte unverändert bei, um schlussendlich auch dem Schwerefeld der Erde entkommen zu können – und einen größtmöglichen Vorsprung zu ihrem Verfolger auszubauen.

»Wollen wir dann beginnen?«, dröhnte es aus ihrem Funkempfänger. Es war die Stimme des grünen Raumfahrers. Auf ihrer Ortungsanzeige erschien die Rakete des Fremden als leuchtender Punkt, der sich schnell näherte. Offenbar war er endlich auch gestartet und holte mit irrwitzigen Beschleunigungswerten zu ihr auf. Entsprechend seiner höheren Geschwindigkeit stieg er in einer etwas höheren Flugbahn auf, folgte ansonsten aber exakt ihrem Kurs.

»Das sind mindestens zehn g«, sagte die Raumfahrerin zu sich selbst – und schob ihren Schubregler nach vorn. Sie war eine geübte und waghalsige Pilotin, Werte über fünf g machten ihr nichts aus, für kurze Zeit kam sie auch mit zehn g klar und hatte sogar schon einmal 20 g überlebt. Auf Dauer war das aber keine Option.

Das wurde ihr schlagartig klar, als sich der Abstand zwischen den beiden Raketen noch immer verringerte, obwohl sie schon bei knapp elf g lag.

Kurzerhand schaltete sie den Schub ihrer Rakete komplett ab, im selben Moment war das mehr als zehnfache Gewicht ihres Körpers verschwunden, als hätte sich ein halbtonnenschwerer Felsen von ihrer Brust gerollt. Sie nahm einen erleichterten tiefen Atemzug, gönnte sich aber keine weitere Erholung in der Schwerelosigkeit.

Laut Ortungsanzeige begann der Fremde bereits damit, den Kurs seiner Rakete anzupassen und sich ihr anzunähern.

»Keine Ahnung, was du vorhast, Freundchen«, sagte sie. »Aber die Jagd ist noch lange nicht vorbei.«

Sie stellte die Sprungdistanz ihrer FTL-Spule auf wenige Lichtsekunden und hieb auf den Auslöser. Am Zielpunkt wendete sie die Rakete sofort und gab erneut Vollschub bis an ihre persönliche Belastungsgrenze. Ihr Ziel war, die Relativgeschwindigkeit ihrer Rakete zum Erde-Mond-System so stark wie möglich aufzuzehren, ehe der grüne Raumfahrer zu ihr aufschloss.

Nur wenige hundert Kilometer vor ihr erschien die Rakete des Fremden per FTL-Sprung, raste aber mit unverminderter Geschwindigkeit an ihr vorbei, wie sie es gehofft hatte.

»Beeindruckend«, drang die Stimme des Fremden erneut aus dem Empfänger. »Aber ich kriege Euch trotzdem.«

In betonter Gelassenheit zog er eine weite Schleife, um seine Rakete zu wenden. Die Flugkurve führte ihn etliche zehntausend Kilometer von ihrer Position fort, ehe er wieder in ihre Richtung beschleunigte. Das jedoch mit derart hohen Werten, dass sie erneut nur staunen konnte. Es mochten 30, 40 oder noch mehr g sein, der Abstand zwischen den Raketen schmolz bald wieder dahin wie Schnee auf der Sonnenseite des Merkur.

Doch die Zeit reichte für Kapitän Starhawk. Ihre Rakete hatte inzwischen wieder nennenswerte Fahrt in Richtung Mond aufgenommen. Das genügte, um den FTL-Sprüngen die richtige Richtung zu geben. Wenn sie dem Fremden nicht mit schierer Geschwindigkeit entkommen konnte, würde sie ihm eben davonspringen.

Als er nur noch knapp tausend Kilometer hinter ihr lag, löste sie die FTL-Spule aus, so schwach nur, dass sie gerade einmal zehntausend Kilometer weit sprang. Erneut ließ sie ihn herankommen und sprang wieder, ehe der Abstand zu gering wurde. Dieses Spiel wiederholte sie mit unterschiedlich weiten Sprüngen, bis sie fast wieder den Mond erreicht hatte. Der Fremde blieb ihr dabei dicht auf den Fersen, meist ohne selbst seinen Sprungantrieb zu bemühen, da seine Beschleunigungswerte nahezu unbegrenzt zu sein schienen. Hin und wieder sprang er aber doch, nur um zu zeigen, dass er ihr Spiel mitmachte.

Genau das war Starhawks Ziel. Sie folgte dabei keinem exakt ballistischen Kurs, sondern schlug Haken und flog Ausweichmanöver, stets bedacht, dass ihr Verfolger ihr auch dabei dicht auf den Fersen blieb.

Dann hatten sie den Mond fast erreicht. Kapitän Starhawk flog einen Kurs, der sie nur wenige Kilometer über der Oberfläche an der erdabgewandten Seite des Trabanten vorbeiführen würde. Ihre Geschwindigkeit war hoch genug, dass sie vom Schwerefeld des Mondes lediglich in einer Hyperbelbahn ins äußere Sonnensystem geschleudert werden würde. Ein klassisches Swing-By-Manöver – zumindest sollte ihr Verfolger genau das glauben.

Sie ließ ihn so dicht wie möglich an sich herankommen. Als sie nur noch wenige tausend Kilometer von der größten Annäherung an den Mond entfernt waren, änderte sie ihren Kurs um ein paar Grad und löste zweimal hintereinander ihre FTL-Spule aus. Der erste Sprung ließ sie direkt über der Mondoberfläche herauskommen – mit dem zweiten sprang sie etwa 4.000 Kilometer weit direkt durch den Mond hindurch.

Sie schrie unwillkürlich auf, als ihr das hochriskante Manöver gelungen war. Sogleich mahnte sie sich selbst, in ihrer Aufmerksamkeit nicht nachzulassen. Schnell korrigierte sie ihren Kurs, drehte die Rakete mit dem Heck zur Flugbahn und bremste ihre Fahrt mit milden zwei g ab. Dabei behielt sie ihren Blick auf dem Ortungsschirm. Erst als dieser lange genug keine Anzeige machte, gönnte sie sich ein Aufatmen.

*

Eine Stunde später hatten sich die Sternenkapitäne mit ihren Raketen an der Absturzstelle des Fremden versammelt. Wie von Starhawk geplant hatte er ihre letzten Sprünge nicht exakt nachvollziehen können und war mit voller Wucht in die Rückseite des Mondes eingeschlagen.

In geübten Hopsern näherten sich die Menschen in ihren Raumanzügen dem neuentstandenen Krater. Im Funkäther herrschte ein großes Hallo. Die Kapitäne bejubelten Starhawk und beglückwünschten sie lautstark zu ihrem waghalsigen Flug.

Die Admirale ließen sie eine Weile gewähren, bis der greise Husker endlich rief: »Funkdisziplin!«

Sofort herrschte Ruhe, die der Admiral mit folgender Rede füllte: »Wir alle sind Kapitän Starhawk zu Dank verpflichtet. Sie hat die Ehre der Menschheit kühn und tapfer verteidigt, Lob und Verehrung dieser und kommender Generationen seien ihr gewiss. Doch üben wir uns an einem solchen Tage auch in Demut. Denn auch wenn wir heute obsiegt haben, dürfen wir nie vergessen, wie lebensfeindlich der kalte Weltraum ist. Wenn wir in die finstere Leere zwischen den Sternen vorstoßen, ist der Tod unser ständiger Begleiter.«

Da übertönte tiefes Gelächter den Funkäther.

»Wohl gesprochen!«, sagte die Stimme. Allen fuhr ein Schreck in die Glieder, denn es war unzweifelhaft die Stimme des Fremden.

Und siehe, es erhob sich seine unversehrte Gestalt aus dem Krater und schwebte von einem Raketenrucksack getrieben empor.

»Auch mein Dank gilt Sternenkapitän Starhawk. Es war mir eine wahre Freude, mich mit ihr zu messen. Da ist es nur recht und billig, die Gastfreundschaft zu erwidern und ihr den gleichen Nervenkitzel zu bieten. So erinnere ich hiermit demütig an die Einladung zum Gegenbesuch in meinen Gefilden nebst Revanche. Findet euch exakt in einem Jahr zu eurem Erleuchtungstage beim grünen Stern am Rande des Sagitariusarms ein. Ich werde auf Euch warten und Euch dasselbe Vergnügen bieten, wie Ihr mir.«

Nach diesen Worten beschleunigte er seinen Flug mit unfassbaren Werten und verschwand von einem Moment zum anderen von allen Ortungsanzeigen.

Der Aufbruch

Es vergingen viele Monde. Hastige Expeditionen versuchten, Spuren des Fremden oder etwaiger Artgenossen zu entdecken. Studierte Frauen und Männer untersuchten die Trümmer seiner Rakete, in der Hoffnung irgendwelche Hinweise auf seine Herkunft zu finden. Im Rat der Admirale wurden sich die Köpfe heißgeredet, wie all dies einzuordnen und was schlussendlich zu tun sei.

Doch nichts davon führte zu einem endgültigen Ratschluss. Sollte man die Herausforderung einfach ignorieren, wie es einige forderten? Schließlich sei die Suche nach einem grünen Stern ohnehin müßig, da es einen solchen gar nicht geben könne. Andere sprachen sich für eine viel größer angelegte Expedition der gesamten Flotte aus, die gezielt nach dem Fremden fahnden solle. Doch wo genau diese Suche zu beginnen sei, wussten auch sie nicht zu sagen. Der Rand des Sagitariusarms war eine denkbar vage Ortsangabe, die auch durch die angemessenen Flugvektoren des grünen Raumfahrers bei seinem Erscheinen im Sonnensystem und seinem Verschwinden nicht wesentlich präzisiert werden konnte.

Als schließlich ein halbes Jahr vergangen und noch immer kein Beschluss gefasst war, stieg Starhawk eines Nachts kurzerhand in ihre Rakete und machte sich auf, den grünen Stern auf eigene Faust zu suchen. Sie hinterließ eine Notiz, dass man keine Ressourcen verschwenden solle, ihr zu folgen, es sei allein ihre Pflicht und Aufgabe sich dieser Herausforderung zu stellen. So verschwand sie und ward lange Zeit nicht mehr gesehen.

Sie aber flog in die ungefähre Richtung, in die der Fremde verschwunden war, sprang von Stern zu Stern und drang immer tiefer in jene fernen Regionen des Sagitariusarms der Milchstraße vor, die den Menschen dieser lang vergangenen Zeit noch unbekannt waren. Bei jedem Stern nahm sie Messungen vor und suchte die umstehenden Konstellationen nach dem grünen Stern ab, fand jedoch nichts.

Auf ihren ersten Etappen traf sie noch vereinzelte Außenposten der Menschheit an, erste Siedler, die sich in die Dunkelheit des Alls vorwagten, aber auch hier wusste man nichts von einem grünen Stern oder von fremden Raumfahrern. Und doch sprang sie jedes Mal unverdrossen weiter, auch wenn die Wochen und bald die ersten Monate verstrichen, ohne dass sie einen Hinweis fand.

So erreichte sie schließlich einen Stern, so weit draußen, wie nie ein Mensch zuvor gewesen war. Ihr Treibstoff und ihre Vorräte waren beinahe aufgebraucht. Nur mit Mühe hätte sie jetzt noch in einem Verzweiflungssprung zur Erde zurückkehren können. Wenn sie denn hätte aufgeben wollen – aber das wollte sie nicht. Sie aktivierte also erneut ihre Messinstrumente und begann damit, die umliegenden Sterne abzusuchen, ob nicht einer von ihnen grün leuchtete. Dabei entdeckte sie, dass es in diesem System einen bewohnbaren Planeten mit atembarer Luft, Wasser und Vegetation gab. Hier würde sie zumindest Teile ihrer Vorräte auffüllen können, daher beschloss sie, dort zu landen.

Bereits im Orbit entdeckte sie die Ruinen einer Stadt. So weit draußen im All konnte es sich nicht um ein Relikt menschlicher Zivilisation handeln. Dies mussten andere Wesen erbaut haben. »Endlich ein Hinweis«, sagte Starhawk und begann mit einem Sinkflug, der sie direkt zu den Ruinen führen sollte. Mit etwas Glück, so hoffte sie, würde sie dort sogar Ersatzteile und Treibstoff finden.

Einen vollen Planetentag durchstreifte sie die verfallenen Straßen und Gassen der Ruinenstadt. Sie fand dabei weder einen Hinweis darauf, wer die Erbauer gewesen sein mochten, noch fand sie den erhofften Treibstoff. Vermutlich waren diese Strukturen schon seit Äonen verlassen, sodass man von den meisten Gebäuden nicht einmal mehr den Zweck erahnen konnte. Obwohl ihr die Ruinen und ihre Situation trostlos erschienen, genoss sie es, nach Monaten im All wieder auf einem Planeten zu wandeln. Auch deswegen vergaß sie die Zeit und fand sich bald in tiefster Nacht wieder, etliche Meilen vom Landeplatz ihrer Rakete entfernt. Aber sie sorgte sich nicht, legte sich kurzerhand auf ein weiches moosbewachsenes Fleckchen und schlief unter dem klaren Sternenhimmel friedlich ein.

*

»Ist das Eure Rakete?«

Starhawk erwachte aus wilden Träumen und blickte in die aufgehende Sonne. Sie hielt die Hand vor die Augen und meinte, eine Gestalt zu erkennen. Oder waren es verblassende Traumbilder?

»Dort hinten am Rande der Stadt steht eine Rakete. Ist das Eure?«

Starhawk sprang auf und trat einige Schritte zurück, die Hand am Griff der Strahlenpistole.

»Ganz ruhig, Große!«, sagte die Gestalt und hob beschwichtigend die Hände. Im Gegenlicht der Sonne konnte sie sie noch immer nicht recht erkennen, doch sie schien klein zu sein, beinahe wie ein Kind.

Das Männlein trat aus dem Licht, die Hände noch immer erhoben. Es war am ganzen Leib von grauen Lumpen umhüllt, lediglich seine beiden tiefschwarzen Augen lugten wie Kugeln aus Obsidian zwischen den Streifen seiner gewickelten Kopfbedeckung hervor. Zudem trug es eine Unzahl an Taschen, Gurten und Riemen mit allerlei Dingen darin, die Werkzeuge oder einfach nur Gerümpel sein mochten.

»Ja, das ist meine Rakete«, sagte Starhawk und nahm die Hand von ihrer Pistole. »Verzeih, dass ich vorher nicht um Landeerlaubnis gebeten habe. Ich wähnte diese Welt unbewohnt.«

»Schon gut, schon gut«, sagte das Männlein. »Unbewohnt trifft es ganz gut. Außer mir ist hier niemand. Wobei ich selbst bei mir manchmal zweifle, ob ich jemand bin. Aber nun seid Ihr ja da.«

»War dies eine Stadt Eures Volkes? Seid Ihr«, Starhawk zögerte kurz, »der letzte Eurer Art?«

»Ja, das ist meine Stadt«, sagte das Männlein. »Ich war zuerst hier und habe allein Anspruch auf alles, was hier zu finden ist.«

»Das will ich Euch nicht streitig machen«, sagte Starhawk. »Ich gestehe, nach Treibstoff und dem ein oder anderen Ersatzteil Ausschau gehalten zu haben, doch eigentlich suche ich nach meinem Weg. Wisst Ihr eventuell, wo in diesem Spiralarm ein grüner Stern zu finden sei?«

Das Männlein dachte einen Moment nach und sagte dann: »Was gebt Ihr mir?«

»Ihr wisst von dem grünen Stern?«, fragte Starhawk mit bebender Stimme.

So aber lautete die Antwort des Männleins: »Wenn Ihr mir etwas gebt, das ich gebrauchen kann, gebe ich Euch Treibstoff und sage Euch, was ich weiß.«

»Was könnte ich Euch geben?«, frug die Raumfahrerin. »Ich habe nichts, als meine Rakete und meinen Raumanzug am Leib und beides brauche ich, um meine Mission zu erfüllen. Ich muss den grünen Stern finden.«

Sie überlegte kurz, zog dann ihre Strahlenpistole und hielt sie, den Griff voran, dem Männlein hin. Ihre Bewegung war so schnell und fließend, dass es gar keine Gelegenheit gab, sie falsch zu verstehen.

»Hier«, sagte sie. »Meine Waffe brauche ich nicht. Ihr könnt sie haben.«

»Pff«, machte das Männlein und winkte ab. »Waffen habe ich genug. Aber Ihr habt doch sicher eine Magnetspule an Bord. Die würde ich nehmen.«

»Ja, habe ich«, sagte Starhawk und stutzte. »Aber ich brauche sie. Ihr Magnetfeld schützt mich vor Sonnenwinden und kosmischer Strahlung.«

»Ach was!«, sagte das Männlein barsch. »Ein paar Lichtjahre weit werdet Ihr es schon schaffen.«

Erneut schwieg die Raumfahrerin einen Moment lang, um nachzudenken. Selbst wenn sie schwere gesundheitliche Schäden davontrug, eine Weile würde sie es ohne das Magnetfeld aushalten, womöglich lange genug, um ihre Mission zu erfüllen und die Ehre der Menschheit zu verteidigen. Und wenn das Männlein die Wahrheit sprach, lag ihr Ziel womöglich tatsächlich nur noch wenige Lichtjahre entfernt.

»Einverstanden«, sagte sie mit fester Stimme.

*

Das Männlein hielt Wort. Zumindest tankte es Starhawks Rakete auf, nachdem es die Magnetspule ausgebaut hatte und führte sogar ein paar kleine Reparaturen aus.

»So«, sagte es schließlich. »Unser Handel ist erfüllt, sobald ich Euch gesagt habe, was ich über den grünen Stern weiß. Nämlich gar nichts.«

Dann schwieg das Männlein und starrte die Raumfahrerin aus seinen pupillenlosen Augen an, als wolle es ihre Reaktion abwarten. Diese aber war zu erschrocken und erschöpft gleichermaßen, um zu reagieren. Tatsächlich wunderte sie sich selbst, dass kein Zorn von ihr Besitz ergriff. Vielmehr erfüllte sie eine Leere so tief wie das All.

Schließlich sprach das Männlein erneut: »Ich weiß allerdings jemanden, der etwas wissen könnte.«

Und so nannte er ihr die Koordinaten eines Sterns, dort solle sie nach einem weißen Roboter Ausschau halten. Wenn in dieser Gegend jemand über einen grünen Stern Bescheid wisse, dann er.

Da bedankte sich Starhawk bei dem Männlein, bestieg ihre Rakete und startete.

Rast

Starhawk erreichte die Koordinaten nur wenige Wochen vor dem Erleuchungstage. Der Stern im Zentrum des Systems strahlte in reinstem Weiß und auch in den umliegenden Konstellationen war kein grünleuchtendes Gestirn zu entdecken.

Die Suche nach dem weißen Roboter gestaltete sich schwierig. Das Männlein hatte ihr außer den Koordinaten kaum Hinweise mit auf den Weg gegeben. Zudem drängte die Zeit. Ohne den Schutz des Magnetfelds war sie der gnadenlosen kosmischen Strahlung ausgesetzt. Dennoch half es nichts, da niemand auf ihre Funkrufe reagierte, musste jeden Planeten und jeden Mond, der für den Sitz des weißen Roboters infrage kam, untersuchen – und davon gab es bei diesem Stern einige.

Sie fühlte sich zunehmend elend, als die Stunden voranschritten und bald Tage daraus wurden. Da es hier keinen bewohnbaren Planeten mit schützender Atmosphäre gab, war ihr keine erholsame Rast vergönnt.

Starhawk hatte die Hoffnung beinahe aufgegeben und war bereit, sich ihrem Schicksal zu ergeben, als sie von einem kleinen unscheinbaren Mond am Rande des Systems auffällige Messwerte erhielt. Ihr wurde eine Konzentration von Metallen und exotischen Materialien angezeigt, die kaum natürlichen Ursprungs sein konnte. Auch wenn dieser Mond keinerlei ungewöhnliche Strahlung aussandte, war sie sicher, endlich fündig geworden zu sein. Mit letzter Kraft leitete sie die nötigen Annäherungs- und Landemanöver ein. Als ihre Rakete auf dem Feuerstrahl dem Mondboden entgegensank, verlor Starhawk ihr Bewusstsein.

*

Sie erwachte in strahlendem Weiß. Sie schnappte nach Luft und stellte erstaunt fest, dass ihr das Atmen keine Schmerzen mehr bereitete. Auch sonst war sie frei von allen Unbilden, sie fühlte sich gesund, erholt und frisch.

»Willkommen, Kapitän Starhawk«, sagte eine wohltönende Stimme.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das alles beherrschende Weiß. Tatsächlich empfand sie es nicht einmal als blendend und grell, es beruhigte sie geradezu. Sie sah an sich herab und fand sich in einem weißen Bett mit weißen Laken. Das Bett stand in einem weißen Raum mit weißen Wänden und wenigen weißen Möbeln.

Und ihr gegenüber stand ein weißer Roboter.

»Ich hoffe, es geht Euch besser«, sagte er.

Vorsichtig richtete sie sich auf. Sie traute ihrem Wohlgefühl noch nicht und erwartete sogleich von Kopf- und Gliederschmerzen überwältigt zu werden. Doch nichts dergleichen geschah.

»Es geht mir gut«, sagte sie also. »Es geht mir sogar hervorragend, was ich vermutlich Euch zu verdanken habe. Danke!«

»Es ist mir gelungen, Euch vollständig zu heilen«, sagte der Roboter. »Es war mir eine Freude.«

Da konnte Starhawk ihre Neugierde nicht länger zurückhalten. »Es heißt«, sagte sie, »dass Ihr wisst, wo der grüne Stern zu finden sei.«

»Das ist korrekt«, sagte der Roboter.

Daraufhin ließ sich Starhawk erleichtert zurück auf ihr Lager fallen.

»Kommt!«, sagte der Roboter, »Ich zeige es Euch.«

*

Der weiße Roboter hatte sie in eine Kuppelhalle geführt, die sich als fantastisches Sternenobservatorium entpuppte. Auf dem Weg dorthin war Starhawk aufgefallen, wie geschmeidig die Bewegungen des Wesens waren. Ihn »Roboter« zu nennen, schien ihr unpassend, ob seiner Menschenähnlichkeit war »Android« vermutlich angemessener.

Doch nun stand sie staunend inmitten der holografischen Projektion des umliegenden Alls, die nun die Halle ausfüllte. Der Android bewegte die Darstellung mit sparsamen Gesten und vergrößerte schließlich eine auf den ersten Blick sternenlose Region.

»Hier«, sagte er.

Starhawk blickte ihn fragend an. »Dort ist nichts«, sagte sie schließlich.

»Oh, verzeiht!«, antwortete er. »Ich vergaß, dass Ihr mit Euren Augen nur ein eingeschränktes Spektrum wahrnehmen könnt.« Mit weiteren Gesten verschob er die Ansicht in eine Falschfarbendarstellung. Für Starhawk wurde dadurch ein bunter Fleck an der zuvor dunklen Stelle sichtbar.

»Ein kosmischer Nebel«, sagte sie. »Liegt der grüne Stern dahinter?«

Der Android nickte in einer erstaunlich menschlichen Art. »Genaugenommen liegt er mitten darin. Ich übermittle dem Bordrechner Eurer Rakete soeben die genauen Koordinaten.«

»Das ist fantastisch!«, sagte Starhawk. »Ich danke Euch von ganzem Herzen für Eure Hilfe, Eure Pflege und Eure Gastfreundschaft. Leider habe ich nichts, womit ich es vergelten kann.«

»Das ist nicht nötig«, sagte er. »Ich habe keinerlei Bedürfnisse und helfe gern. Seid mein Gast, solange Ihr möchtet. Ich teile all meine Ressourcen mit Euch.«

Starhawk verneigte sich ergriffen und sprach: »Das ist sehr freundlich und gereicht Euch zu großer Ehre. Doch ich muss aufbrechen. Der Erleuchtungstag ist nicht mehr fern und ich stehe im Wort, an jenem Tage beim grünen Stern zu erscheinen.«

»Ich werde Euch nicht halten«, sagte der Android. »Doch bedenket, dass Ihr dort beim grünen Stern nichts finden werdet, was dem gleichkommt, das ich Euch bieten kann. Ich habe Euren Leib von der Strahlenkrankheit und allen Verletzungen geheilt, doch ich kann mehr tun. Möchtet Ihr das Spektrum Eurer Augen erweitern, Eure Glieder stärken oder gar vom Alter selbst erlöst werden? Und wenn es Erleuchtung ist, nach der Ihr strebt, so kann ich Euch auch diese bieten.«

»Bitte!«, unterbrach Starhawk ihn da. »Führt mich nicht in Versuchung! Ich habe mein Wort gegeben und muss es für Ruhm und Ehre der ganzen Menschheit halten. Seid also nochmals meines tief empfundenen Dankes versichert, doch muss ich nun aufbrechen.«

Das Duell

Auf Erden war in den morgendlichen Landen der Erleuchtungstag bereits angebrochen, als Starhawk in das System des grünen Sterns gesprungen kam. Ihre Sorge, nicht mehr genug Zeit zu haben, um den mysteriösen Raumfahrer zu finden, verflog sogleich, da nur ein einziger mondloser Planet diesen Stern umkreiste. Zudem war dieser über die Maßen erdähnlich, weswegen sie ohne zu zögern zur Landung ansetzte.

»Ich bin da!«, funkte sie derweil auf allen Frequenzen in den Äther hinaus, erhielt jedoch keine Antwort.

Aus dem Orbit entdeckte sie keinerlei künstliche Strukturen auf dem Planeten, keine Stadt und keine Gebäude waren erkennbar. Lediglich an einer Stelle maßen ihre Sensoren eine kleine Ansammlung ungewöhnlicher Elemente an. Da diese Stelle zudem gut für eine Landung geeignet war, steuerte sie sie an.

Sie beschloss, ihre Rakete zu verlassen und sich ein wenig die Beine zu vertreten. Der Planet war perfekt für Menschen geeignet, die Luft war herrlich, das Klima angenehm, die Schwerkraft optimal, sie fühlte sich von dem Moment an wohl, an dem sie ihren Fuß auf seinen Boden setzte. Die ungewöhnliche Stelle, die sie angemessen hatte, war höchstens eine Meile von ihrem Landeplatz entfernt, also nahm sie sie als Ziel ihrer Wanderung.

»Der grüne Raumfahrer wird mich schon finden«, dachte sie unbeschwert. »Es ist der Erleuchtungstag und ich bin beim grünen Stern, nun ist er am Zug.«

*

Schon von weitem erkannte sie, dass es sich um eine Absturzstelle handeln musste. Eine verbrannte Spur zog sich durch die Landschaft und endete in einem kleinen flachen Krater. Sofort kam ihr der Unfall des Fremden auf dem Monde in den Sinn. Hatte sie ihn gar gefunden?

Die Rakete, die hier abgestürzt war, war nicht vollständig zerstört. Sie war offenbar flach genug aufgeschlagen, um noch einigermaßen intakt zu bleiben – zumindest was ihre Form betraf. Wie die umliegende Absturzstelle war auch die Rakete selbst komplett verbrannt und verrußt.

Dennoch kam ihr das Raumfahrzeug bekannt vor. Allerdings war es definitiv nicht von gleicher Bauart, wie das des grünen Raumfahrers. Als sie noch nähertrat und einige Details in Augenschein nehmen konnte, wurde ihr klar, dass dies ein irdisches Modell war, genaugenommen exakt das Modell, das sie selbst flog.

Ihr Atem wurde schneller und jede Unbeschwertheit war von ihr gewichen. Vielmehr überkam sie schleichende Panik, als ihr mehr und mehr bewusst wurde: Dies war nicht nur exakt ihr Raketenmodell, diese Rakete glich der ihren bis auf die letzte Schraube.

Mit bebenden Fingern griff sie nach ihrer Strahlenpistole, um sich einen Zugang zu dem Wrack freizuschneiden. Wenige Augenblicke später kroch sie in das Cockpit. Im Pilotensitz hing reglos eine Gestalt in den Gurten.

Starhawk schnappte nach Luft und drehte den Sitz beherzt zu sich herum. Darin saß die verbrannte Leiche eines Menschen in einem Raumanzug, auf dessen feuerfester Brust das Namensschild noch gut erkennbar war. Es trug ihren Namen.

*

»Ihr seid gekommen.«

Langsam hob Starhawk ihr Gesicht und blickte dem grünen Raumfahrer entgegen. Wie aus dem Nichts hatte er sich vor ihr aufgebaut. So schien es ihr zumindest. Sie war aus dem Wrack der Rakete getaumelt und nur wenige Schritte entfernt davon zusammengesunken.

Nun kauerte sie im verbrannten Gras und schaute den Anderen ausdruckslos an.

»Das bin ich dort in dem Wrack«, sagte sie. Sie stellte keine Frage, sie wusste es längst. Nur das Wie und Warum waren ihr ein Rätsel.

Auch der Fremde schien das zu erkennen. Weder bestätigte noch verneinte er ihre Aussage. Jedenfalls nicht direkt. Er sagte:

»Ihr habt Euer Wort gehalten und seid hier. Wir haben unser Raketenduell erneut ausgetragen, aus meiner Sicht in der Vergangenheit, aus Eurer in der Zukunft. Ihr seid würdig, in die Leere zwischen den Sternen vorzustoßen, denn Ihr kennt und akzeptiert das Risiko, das damit einhergeht. Wenn die Menschheit Eurem Beispiel folgt, wird auch sie sich als würdig erweisen.«

Starhawk erhob sich und trat auf die große Gestalt zu.

»Das ist alles?«, sagte sie. »Ihr haltet mir mein Ende vor Augen und lasst mich wieder ziehen?«

»Ja«, sagte der Fremde. »Ihr habt noch zahllose Abenteuer zu bestehen und werdet den Menschen ein Leitstern sein. Ihr werdet sie tiefer ins All hinausführen, als sie es ohne Euch gewagt hätten. Dabei um Euer Ende zu wissen, wird Euch Stärke verleihen.«

Schweigend blickte sie einen Moment lang zu dem riesenhaften Raumfahrer empor, dann wandte sie sich ab und machte sich auf den Weg zu ihrer Rakete – zu jener, mit der sie heute angekommen war und nicht in ferner Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen.

Die Rückkehr

Zurück im Sonnensystem berichtete sie von ihren Abenteuern und übergab den Gelehrten all ihre gesammelten Messungen und Daten, nur die Position des grünen Sterns behielt sie für sich.

Man freute sich über ihre Rückkehr und feierte sie für ihren Mut. So weit wie sie war noch niemand in die Galaxie vorgestoßen und das auch noch ganz allein. Ihr hingegen war kaum nach Feiern zumute. Sie ahnte, dass es sie bald wieder hinaus in die Dunkelheit des Alls ziehen würde.

Die studierten Frauen und Männer und auch die Admirale und anderen Kapitäne überschlugen sich mit Deutungen ihrer Erzählungen und erteilten ihr nachträgliche Ratschläge, an welcher Stelle sie hätte anders handeln sollen.

Die meisten von ihnen versuchten, ihr die Angst vor ihrem angekündigten Ende zu nehmen. Sie sei offensichtlich einer Täuschung des fremden Raumfahrers aufgesessen, da die dafür notwendige Zeitreise wissenschaftlich unmöglich sei.

Starhawk schwieg dazu und dachte sich ihr Teil, denn es waren dieselben, die zuvor behauptet hatten, dass es einen grünen Stern gar nicht geben könne.

*

Die meisten Prophezeiungen des grünen Raumfahrers erfüllten sich jedoch. Starhawk erlebt viele Abenteuer und führte Expeditionen in die tiefsten Tiefen des Alls.

Man traf auf die kleinen grünen Männchen und ihre Hinterlassenschaften und viele Menschen entwickelten die Überzeugung, dass eines dieser Wesen damals in eine große Rüstung gehüllt auf dem Monde erschienen war. Einige Raumfahrer behaupteten sogar, weißen Robotern begegnet zu sein, doch davon berichten andere Legenden.

Starhawk aber verschwand eines Tages spurlos mit ihrer Rakete zwischen den Sternen und ward nie mehr gesehen.

ENDE

Zum Inhaltsverzeichnis von World of Cosmos 113