Der Roman aus der Feder von Julius von Voß erschienen im Original im Jahre 1810, übertragen und Korrektur gelesen von Bernd “Göttrik” Labusch. Fortsetzung von: INI – Ein Roman aus dem 21. Jahrhundert, Drittes Büchlein, Kapitel 14

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Guido und sein Lehrer machten sich auf den Weg nach England. Der Luftpostillion fuhr diesmal so schnell, dass Beide, unweit Paris ein wenig entschlummernd, nicht ehe als über London wieder erwachten, und deshalb auch den Damm zwischen Calais und Dover nicht sahn, welchen man eben zur engeren Verbindung Frankreichs mit Britannien anlegte. Er lief von beiden Küsten ins Meer, von ungeheuren eingesenkten Felsstücken erhöht, und, damit der Seestrom den freien Durchgang behielte, von Hundert Klaftern zu Hundert Klaftern mit Brücken aus Hängewerk unterbrochen, die jedoch sämtlich höher waren, als das Gewölbe des Rialto zu Venedig. Denn die größten Kriegsschiffe fanden mit allen aufgezogenen Segeln kein Hindernis.

London fanden sie jetzt wahrhaft reich, durch seine glückliche, zum Handel bequeme Lage, und einen edlen Wetteifer im Kunstfleiß, ohne den unsinnigen frevelhaften Vorsatz, alle übrigen Nationen der Erde zu Grunde richten zu wollen.

Gelino sagte: „Vor dem traurigen Ruin, den sich England ehedem zuzog, sah man hier auch Reichtum, doch, mehr dem Schein als der Wirklichkeit nach. Das Land war seine ganze Habe mehr als dreifach schuldig. Das bare Geld, oder vielmehr seine Darstellung in Papier, war in die Hände von etwa Dreißigtausend Gläubigern der Nation zusammengeflossen. Um ihre Zinsforderungen befriedigen zu können, wurden dem übrigen Volke unerhört drückende Gaben aufgelegt, Verarmung, Elend jeder Art, und endlich völlig erschlaffte Staatskraft, mussten die Folgen sein. Freilich retteten sich die Wohlhabenderen nach Bengalen, und späterhin, wie Dir bekannt ist, nach Polynesien, wo das jetzt mächtige Reich durch sie gegründet, und mindestens die Kultur nach früher unbekannten Erdgegenden, verbreitet wurde; doch die zurückbleibenden traf ein Anfangs hartes Los, bis sie sich auch wieder zum angemessenen Streben ermannten, und im freundlichen, auf ewigen inneren Frieden gegründeten Bund mit Europa, ein festeres Gedeihen als je fanden.“

Die alte Paulskirche stand noch, sogar, wie wohl verfallen, die Westminsterabtei. Über das, dem Brande von 1660 zum Andenken errichtete, Monument, hatte noch der Zahn der Zeit nichts vermocht.

Der Luxus war dem in Paris ähnlich, die Reisenden bezogen wieder einen Mietpalast, der jenem in nichts nachstand. Man hatte einen öffentlichen Garten, wo das alte Eden nachgeahmt war und in der Tat Milch und Honig in Bächen floss. Es gab aber auch Teiche von Portwein, Rum, Punsch, auf denen man in Nachen aus buntfarbigen Konchylien (riesige Südsee-Muschelschalen) oder edlen Metallen fuhr, Bäume, von denen man leckere Konfitüren pflückte, gebratene Vögel, die in der Luft flogen (sie waren mit brennbarer Luft gefüllt), gespickte Hasen, die umherliefen (eben so in Bewegung gesetzt), Puddings, Roastbeefs, Hummern, Austern, Beefsteaks von großem Umfang, die Pilze gleich aus der Erde wuchsen, (denn die Küche hatte unterirdische Gänge). Bisweilen regnete es Limonade vom Himmel, hagelte es Zuckerwerk oder fror süßes Pistazien-Eis. Der Eintritt in diesen Garten kostete aber, nach altem Münzfuß gerechnet, hunderte Guineen (britische Goldmünzen).

Auch hatte ein neuer Graham (Vollkornbrotlaib) ein himmlisches Bett aufgeschlagen. Wer nur die Beschreibung davon lesen wollte, musste so viel zahlen, wie für den Eintritt in jenen Lustgarten und daneben einen Eid schwören, nichts auszuplaudern.

Guido las, ward von den Vorstellungen unendlich zauberisch ergriffen.

Der Lehrer sagte: „Wirst Du einst im Maria-Tempel das Band ewiger Liebe knüpfen, dann bediene Dich dieser Erfindung.“

Der Jüngling loderte in Flammen, und verwahrte dieses Wort treu.

Die Bühnen zu Covent Garden und Drury Lane waren nicht mehr vorhanden, es gab andere und in größerer Zahl. Das vorzüglichste hieß Shakespears Theater, doch nicht nur der Name, sondern auch die Werke des alten Dichters hatten ihr Andenken erhalten. Auch bestand neben der Vorliebe für ihn, viel Nationalgeschmack von ehedem. Die Identifikation mit dem übrigen Europa, hatten ihn nicht ganz aufgehoben, was auch in anderen großen Provinzen der Fall, wiewohl im merklichen Abnehmen, war. Man gab Shakespears Trauerspiele noch immer, jedoch übersetzt in die allgemeine Sprache des Erdteils, deren Vollkommenheit sie indessen nichts verlieren, sondern viel an Kraft, Ausdruck, Bedeutung gewinnen ließ. Die Theaterkunst trieb es so weit als in Paris. Führte man den Sturm auf, sah der Zuschauer ein wirkliches, vom Sturm erregtes Meer auf welchem das Schiff scheiterte. Denn ein großes Wasserbecken gehörte zu dieser Bühne, die man bei solchen Gelegenheiten unmerklich an seine Ufer rollte. Im Hamlet war der Geist ein Riese, dessen Haupt weit über den Palast emporragte, und den auch der Mond durchschien. Banquos Gespenst in Macbeth und die Zauberinnen zerflossen vor aller Augen in Nichts und dennoch hatten sie gesprochen, gehandelt. Dies war immer die Wirkung kunstreicher Phantasmagorie, mittelst der unglaubliche Illusionen hervorgebracht wurden.

*

Guido verlangte es jedoch von den Ergötzungen weg, deren er schon so vielen beigewohnt hatte, um die große Flotte zu sehen. Wie in der Provinz Moskau das Landheer den Hauptsitz hatte, waren Britanniens Häfen, und vorzüglich London, der Aufenthalt von Europas Seemacht. Auf der Themse lagen die meisten Orlogschiffe, welche zu ihren Übungen in die Nordsee ausliefen und gefahrvolle Küsten und Zwischenmeere besuchten, die Piloten und niederen Mannschaften desto vollkommener zu unterrichten. Jetzt nahte das Spätjahr, mit den um die Zeit der Nachtgleiche gewöhnlichen Stürmen, wo die Hauptprüfung Statt hatte. Diesmal sollte die Flotte von London ins Kattegat gehen, eine andere von Portsmouth und Plymouth sich mit der Abteilung, welche bei Kopenhagen zu liegen pflegte, verbinden, und dann wollte man zwischen den Belten Seekämpfe halten.

Cádiz, Toulon, Genua, Ancona, Korfu, Konstantinopel waren übrigens auch Kriegshäfen, doch der oberen Leitung der Admiralität zu London übergeben worden.

Die Flotte gehörte wie das Landheer dem Föderalismus. Ihre junge Mannschaft zog sie aus allen Küstenlanden. Der Dienst eines Seesoldaten, wie sein Unterricht, seine Entlassung oder Beförderung zu wichtigeren Stellen, wurden nach Grundsätzen verfügt, die jenen beim Landheere ähnlich waren.

Der Staat zahlte keinen Sold, dennoch war die Seemacht wohl gerüstet, wohlgenährt, besaß sogar Schätze genug, um einen langen Krieg aus ihren Mitteln führen zu können. Dies war so, weil die Schiffe sechs Monate im Jahre zur Handelsfahrt eingesetzt werden durften, welche die Admiralität, auf Rechnung der Flotte, nach allen Erdgegenden betrieb. Unbedingte Hafenfreiheit durch ganz Europa machte den Handel noch weit einträglicher.

Guido meldete sich bei dem Befehlshaber der auslaufenden Fahrzeuge, sagte ihm, wie er sich zwar dem Kriegsdienst zu Lande gewidmet habe, dennoch aber einer Seeübung als Freiwilliger beizuwohnen wünsche. Die Erlaubnis wurde auf seine Bitte zugestanden, nachdem er vorher bedeutende Proben seiner Geschicklichkeit im Schwimmen, Fechten und Schießen nach dem Ziel, abgelegt hatte.

Der Seekrieg wurde auf eine weit furchtbarere Art geführt als Ehedem. Man zählte auch drei Truppengattungen. Eine davon bestieg Luftfahrzeuge, suchte brennende Stoffe auf die feindlichen Galeonen zu werfen und Masten oder Segelwerk zu zerstören. Sie ward im Vollziehen und Abwenden nach Bedarf geübt. Die andere diente in den Schiffen selbst auf mancherlei Weise. Es gab Schützen, welche dicht gepanzert an Strängen hingen. An den Masten wurden sie staffelförmig zur Höhe gezogen, damit ein dichter Rohrhagel zugleich konnte abgesendet werden, und nach dem Feuer hinter die Brustwehr zurück gelenkt, dort laden zu können. Einem feindlichen Schiffe nahe, mussten sie auf einer Fallbrücke hinüber und mit dem Schwert wüten, blieben dem ungeachtet aber an das ihrige gebunden, um sie im schlimmen Falle, eilig wieder auf das eigene Verdeck zu ziehen. Es gab Schiffsartilleristen, noch kunstfertiger als jene auf dem Lande. Sie bedienten sich immer der glühenden Kugeln, denen zweckmäßig ersonnene Öfen, in einem Augenblick die nötige Hitze gaben. Auch lange Schwerter wurden in Bögen von oben nach unten, und von einer Seite zur andern, aus dazu geeigneten Trog artigen Mörsern geworfen, Tauwerk und Segel zu verwüsten. Es gab Schiffschemiker, welche die Brandmaterien anfertigten, womit man noch wirksamer als selbst durch die glühenden Bälle zu zerstören strebte, und auch wieder Stoffe, welche den verderblichen Lauf derer, welche der Feind sandte, hemmen konnten, alles Resultate von Erfindungen welche die Vorzeit noch nicht ahnte. Es gab Seemechaniker, die bewundernswürdige Maschinen lenkten. Dahin gehörten die schnellen Ruderwerke, welche bei Windstillen dienten; die künstlichen Steuer, geschickt ein Fahrzeug in unglaublich kurzer Zeit zu drehen. Den Krieg unter dem Meere konnte man dennoch als den wichtigeren betrachten. In den schon beschriebenen Taucherhütten galt da der schlaue grimmige Kampf. Unter den Bauch der Schiffe suchte man anzulangen, mittelst fürchterlicher Bohrer Lecke zu bereiten, oder noch fürchterlichere Petarden anzuschrauben, deren Pulver auch im Wasser seine Kraft übte. Wer hätte nicht glauben sollen, bei so vielen Zerstörungsmitteln müsste es in wenigen Minuten um ganze Flotten geschehen sein, dennoch begründeten die Gegenmittel wieder ein Gleichgewicht der Kräfte, und zeigte der Feind dieselbe Kunst, hing die Entscheidung oft an Zufälligkeiten. Die Befehlshaber gestanden auch, wie die Flotten von Afrika oder Amerika, eben so wohl gerüstet und mit kunsterfahrenen Kriegern bemannt waren, dass also hier von keinem überwiegenden Vorzug die Rede sei, und derjenige ein wichtiges Verdienst um den Meereskrieg erwerben könne, der etwas aufzufinden im Stande sei, das, den Fremden unbekannt, in der nächsten Fehde den gewissen Ausschlag gäbe.

Dies Wort warf einen Funken in Guidos Einbildungskraft, und ließ sie aufflammen. „Sollte diese Aufgabe nicht zu lösen sein?“ fragte er sich. Und warum nicht? Strebt doch alles höherer Vollkommenheit entgegen. Er sann weiter über diesen Vorwurf nach.

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Die Flotte lichtete die Anker. Guido hatte von dem Lehrer Abschied genommen, der in London zurückblieb. Bei einem wütenden Orkan stach man um Mitternacht in See, doch die Fertigkeit spielte nur mit den Hindernissen. Gegen den Wind kämpften die Ruderwerte, die Klippen und Sandbänke, nach welchen zu steuern, mit gutem Bedacht geboten wurde, umlenkte Geographie des Meeresgrundes und der Piloten Besonnenheit. So langten die Schiffe nach wenig Tagen in den gefahrvollen Belten an, trafen bei einem dunkeln Nebel auf jene, welche die feindliche Rolle gaben, und der Kampf begann.

Guido flog erst mit den Luft-Gondolieren empor, stieg dann wieder in sein Schiff nieder, und senkte sich endlich mit den Tauchern in die Tiefe. Er wollte von Allem genaue Kunde zurückbringen, Jedermann sah sich befremdet durch seinen Eifer, seine Kraft und Ausdauer.

Es trat jedoch ein seltsamer Fall ein. Drei Schiffe von der Gegenpartei, schnitten der diesseitigen Flotte ein Fahrzeug ab. Es fand sich umringt, und von den Masten dort wehte das Signal, sich zu ergeben. Dies wollte es nicht, den Vorwurf, unachtsam gewesen zu sein, abzulehnen. Man wandte alle Mittel an, den Weg durch die Feinde zu nehmen, die wieder alle Vorkehrungen trafen, es zu hindern; denn sie entflammte der Ehrgeiz, eine wohl gelenkte Bewegung ausgeführt zu haben.

Gefahren mangelten diesen, mitten im Sturm, im engen, Klippen vollen Meere, gehaltenen Übungen keineswegs, auch fiel mancher Soldat in die empörten Fluten, wo ihn weder das eigne fertige Schwimmen, noch die Hilfe der Kameraden zu retten vermochte; doch die Röhre lud man nicht.

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Allein auf dem bedrängten Schiffe — Guido befand sich eben hier — kam ein Artillerist auf den Gedanken, die Widersacher dadurch abzuhalten, dass er ihre Segel und Ruderwerke zerstörte. Strafwürdig füllte er also sein Geschoss ernsthaft, und erprobte auch seine Fertigkeit sowohl, dass ein Fahrzeug drüben bald außer Stand gesetzt wurde, seine Bewegungen willkürlich zu lenken.

Dies Verfahren machte aber, dass die andern wüteten, und Gleiches mit Gleichem bezahlten. Ohne dass ihren Konstablern durch die Oberen Einhalt geschehen konnte, warfen sie glühende Bälle ab. Das bedrängte Schiff hatte ein doppelt überlegenes Feuer zu leiden, und musste sich nun auch ernst verteidigen, oder untergehen. Das Erste geschah mit zügelloser Hitze, die jedoch nicht unbeantwortet blieb, und zur Folge hatte, dass viele Soldaten an beiden Teilen tot hinsanken. Nur mehr eiferten die Gemüter, ergrimmt setzte man den Kampf fort. Die Offiziere fielen sämtlich. Guido, dessen kriegerisches Feuer im rasenden Getümmel hoch aufflammte, lenkte den Streit, erteilte so guten Rat, dass man sich willig unter seinen Oberbefehl stellte. Er drang geschickt auf das eine Fahrzeug ein, ließ im gültigen Augenblick die Fallbrücke werfen, stürzte sich mit der Hälfte seiner Leute auf das feindliche Verdeck, wo man sich dieser Kühnheit dennoch nicht versah, und sich ergab. Nun wiederholte er dasselbe bei dem andern Schiffe, wo es eben so gelang, und führte die eroberten Schiffe im Triumphe dem Admiral zu. Dieser zürnte, wie billig, verordnete Strenge gegen die frevelhaften Urheber des blutigen Unfugs, wunderte sich aber dennoch, dass der neue Freiwillige der Soldaten Vertrauen habe gewinnen, und ihm mit so vieler Sachkunde und Geistesgegenwart habe entsprechen können. Er begriff auch gar wohl, wie ohne die schnelle beherzte Entscheidung, noch mehr Leben würde gefallen sein. Guido wurde mit Lob überhäuft, und auf allen Fahrzeugen rühmte das eilig umlaufende Gerücht, den kühnen, weisen Jüngling. Er bewährte sein Genie auch noch höher, indem er in der Tat die Erfindung machte, welche, so lange sie dem Feinde unbekannt blieb, ein entschieden Übergewicht im Kampfe begründete, und die lange vergeblich gewünscht worden war. Sie bestand in einer einfachen, doch höchst wirksamen und wohl berechneten mechanischen Vorrichtung, mittelst der man, ohne es selbst zu verlieren, einem feindlichen Schiffe das Gleichgewicht rauben, und es rettungslos umwerfen konnte. Als ein Geheimnis vertraute er seine Theorie dem staunenden Admiral an. Dieser fand sie so wichtig, dass er sogleich die weiteren Übungen aufhob, um nach London zurückzusegeln.

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Dort angekommen, wurde Guido eingeladen, vor einem engeren Ausschuss der oberen Leitung der Seemacht, Versuche mit der von ihm entworfenen Maschine zu halten. Sie betrog die hohe Erwartung nicht; die Admiralität erteilte ihm ein Ehrenzeichen und machte ihm bekannt: dass dem Strategion und dem Kaiser eine Nachricht von seinem bedeutenden Verdienst um den Seekrieg würde zugesandt werden. Bescheiden zog sich der Jüngling zurück, und drang auf den erfreuten Lehrer Gelino ein, abzureisen. Das Ehrenzeichen trug er selbst nicht, sondern übermachte es per Brief an Ini, mit der Bitte, es und das Schreiben aufzubewahren.

Diese hatte sich aber damals schon von Sizilien entfernt.

Fotsetzung folgt …

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