Das fantastische Fanzine

Im Multiplex der Realitäten oder auf eine Cola mit Thora und Alaska

Perry-Rhodan-Story von Alexander “Tiff” Kaiser

Zum Inhaltsverzeichnis von World of Cosmos 115

Alternativ kann die Story auch in den Formaten mobi, ePUB und PDF heruntergeladen werden, um die Geschichte bequem auf dem eigenen eBook oder dem eReader gelesen zu werden:


Die Abendroutine von Alaska Saedelaere war nicht besonders komplex. Sie beinhaltete neben einem abgeschlossenen Badezimmer – duschen ohne Maske war eine der wenigen Luxushandlungen, die er sich gönnte – einer abendlichen Rasur jener Barthaare, die nicht vom artifikalen Cappin-Fragment aus der LEUCHTKRAFT absorbiert wurden. Ernährte es sich auf diese Weise? Oder über seinen Schweiß und seine Hautpartikel? Alaska erinnerte sich noch recht gut daran, als er die Haut Kummerogs getragen hatte, deren Energiebedarf nicht nur wesentlich höher gewesen war als alles, was er vom Cappin-Fragment miterlebt hatte, dieser Ernährungsvorgang war auch körperlich und mental anstrengend gewesen, da es sich direkt aus Magen und Mastdarm seines Wirtes – aka Alaska Saedelaere – ernährt hatte. Aber zurück zur Routine. Dazu gehörte auch der obligatorische Griff nach dem festen Sitz der Maske, bevor er schlafen ging. Das war mehr oder weniger über Jahrhunderte sein Ritual gewesen, wenn er es sich hatte leisten können. Was definitiv nicht dazu gehörte, war, die Augen aufzuschlagen und in einer gelbfarbenen Trümmerwüste mit spärlicher Vegetation im hellsten Tageslicht zu liegen.
Irritiert griff Alaska zur Maske, die erste Handbewegung des Tages für ihn. Gut, sie war noch da. Auch wenn er das Fragment oft genug als Waffe eingesetzt hatte, so war es ihm zuwider, irgendeiner Lebensform ohne Not etwas mit dem Wahnsinn und Tod bringenden Stück artifikalem Testare anzutun. Tatsächlich waren pedotransferierende Cappins die einzigen Lebensformen, die das organische Fleischstück, das je nach Gemütszustand seines Trägers in verschiedenen Farben leuchtete, die es betrachten konnten, ohne wahnsinnig zu werden oder gar zu sterben. Aber es erschien ihm unwahrscheinlich, ausgerechnet hier Cappins zu begegnen. Er richtete sich auf in eine sitzende Haltung, sah sich um. Wüsten kannte er einige. Auch in der LEUCHTKRAFT hatte seine Prägung als Kommandant in einigen der autarken Realitäten Wüstenlandschaften gebildet, und er hatte sich stets gefragt, welche Facetten seiner Persönlichkeit damit widergespiegelt worden waren. Vielleicht sein bisheriges Liebesleben, vielleicht seine doch arg mangelhafte Fähigkeit zur Emotion, die ihm dem Beinamen „bester Logiker der Menschheit“ eingebracht hatte, was man auch mit „König der gefühlskalten Trottel“ übersetzen konnte. Vielleicht auch seine mangelnden Ambitionen zur Macht, wie sie sein Zwillingsbruder im bösartigen Spiegeluniversum sein eigen nannte und den Anderen immerhin bis zum Beherrscher der Galaxis Milchstraße gemacht hatte. Er wusste es nicht. Nur, dass diese Wüste nicht darunter gewesen war. Er wusste nicht, wo er war, er wusste nicht, wann dieses wo war, er wusste nicht, wie er hergekommen war oder wie er wieder weg kam. Soweit war alles wie üblich für ihn. Alaska zog die Beine an, gab sich etwas Schwung und richtete sich auf. Dabei schien für einen Moment, für einen wirklich kurzen Moment die ganze Welt um ihn herum zu flackern. Die rechte Seite erschien ihm rötlicher zu sein, während die linke Seite eher blau war.
‚Eine Pararealität‘, erkannte Saedelaere. Für einen Moment zögerte er, wandte sich in die rote Richtung, dann aber ging er nach links. Kaum hatte er sich dieser Seite zugewandt, stabilisierte sich das Bild, die tönende Farbe verschwand. Alaska erkannte, dass er hier eine Wahl gehabt hatte. Und er hatte sich für eine Seite entschieden. Auch für eine Pararealität?

Der beste Logiker der Menschheit, wie er früher genannt wurde, wandte die Logik an und schob die Gedanken beiseite. Sie hatten keine Priorität und waren nicht dazu angetan, die Situation aufzulösen. Vielleicht später. Bis dahin war er ohne Vorräte, ohne Waffen, nur dünn bekleidet in einer Wüste gestrandet, die zum Glück weder brüllend heiß, noch eisig kalt war. Das war immerhin etwas. Was war seine erste Priorität? Wasser. Es war immer Wasser. Ohne Nahrung auszukommen war einfacher, auch ohne Unterschlupf, zumindest für einige Zeit, aber auf Wasser konnte ein Mensch höchstens vier Tage verzichten. Natürlich war da die Möglichkeit, bis zu achtmal das eigene Urin zu trinken, um zu überleben, auch wenn er diesen drastischen Schritt nie gehen musst. Auch das war aber nur eine Notlösung, denn der Salzgehalt der Flüssigkeit war dann hoch genug, um ihn zu vergiften. Er konnte natürlich das Wasser im Urin durch Verdunstung von den Salzen trennen, jedoch bedurfte es dazu einiger Werkzeuge, und die Menge an verfügbarem Wasser wurde so oder so kontinuierlich weniger. Und beide Methoden konnte er sich sparen, wenn er eine natürliche Quelle für Flüssigkeit auftun konnte. In diesem Fall war die Flüssigkeit haben der wichtige Aspekt als das brauchen, denn benötigen würde er das Wasser noch früh genug.

„Wenn du schon mal stehst, kannst du die Hände heben, wo ich sie sehen kann und dich in meine Richtung umdrehen. Aber langsam. Sehr langsam.“
Alaska zuckte nicht mal zusammen, als er die harte Männerstimme hörte, die Perry Rhodan hätte gehören können. Das passte viel zu gut zu seiner Situation, so als würde sein Schicksal gerade von einem missgönnenden Autor geschrieben werden, der ihn in möglichst unvorteilhafte Situationen bringen wollte. Nur war er selbst dieser Autor, und er hatte keinen Einfluss auf die Rahmenhandlung, denn die Wüste war vorgegeben. Gut, einen gewissen Einfluss hatte er gehabt. Er war der Blauverschiebung gefolgt. Und hierher hatte ihn das geführt. Aber, das war seine eigene Entscheidung gewesen. Langsam wandte er sich um, die Arme gehoben. Waffen hatte er keine dabei, jedoch konnte eine gehobene Hand schneller die Maske vom Gesicht reißen und seinem Gegenüber dem Cappin-Fragment aussetzen, sollte dies notwendig werden. Der alte „Hände hoch, wo ich sie sehen kann, damit ich sicher vor Überraschungen bin“-Spruch funktionierte so bei ihm nun einmal nicht.
Tatsächlich war seine Situation schlimm, wenn nicht richtig schlimm. Vor ihm stand ein großer, schlanker Mann, der von der Hautfarbe und den rostroten Haaren her ein Lemurer oder Tefroder mittleren Alters sein konnte. Dieser Mann hielt einen aktiven Thermostrahler auf ihn gerichtet, dessen Abstrahlfeld düster rot glühte und zeigte, das ein leichter Druck mit dem Zeigefinger auf den Sensor ausreichte, um ihn in eine lodernde Fackel zu verwandeln. Nun, er hatte schon schlimmere Situationen überlebt.
„Gut, du bist unbewaffnet.“ Sein Gegenüber senkte den Strahler, und Alaska war dankbar dafür.
„Ich nehme nicht an, dass du weißt, wo wir hier sind?“, fragte der Fremde.
„Nein, tut mir leid. Ich bin schlafen gegangen und hier wieder aufgewacht“, antwortete der Kommandant der LEUCHTKRAFT.
„Dasselbe bei mir. Eben noch habe ich mich im Antigravbett in meine Laken gekuschelt, und dann fand ich mich hier wieder. Wo immer dieses „hier“ ist.“
Sein Gegenüber war durchaus nicht hässlich, aber als er die rechte Augenbraue hob, zog sich die Stirn kraus und bildete tiefe Furchen, die zuvor nicht zu sehen gewesen waren. „Deine Maske. Nimm sie ab. Ich will wissen, wie du aussiehst.“
„Du kennst mich nicht?“, fragte Alaska. „Wir treffen uns hier das erste Mal“, versicherte der Fremde. „Dann sollte ich dir besser erklären, dass es gut für dich ist, wenn die Maske bleibt, wo sie ist. Es ist sogar sehr gut für dich.“
„Das entscheide ich selbst. Nimm die Maske ab, Terraner. Du bist doch Terraner?“
„Ich versichere dir, es ist zu deinem Besten, wenn …“
Der Fremde hob den Thermostrahler und zielte auf seine Brust. „Die Maske. Ich sage es kein drittes Mal.“
Frustriert atmete Alaska aus. „Von zu viel Macht geträumt, was? Kaum hast du einen Thermostrahler und kannst auf einen Unbewaffneten zielen, brechen die Dominanzgelüste aus, wie? Tefroderklischees bedienen, was? Gut, du sollst deinen Willen bekommen. Ist nicht meine Schuld.“ Langsam ging seine rechte Hand zum rechten Ohr, um die Schlaufe der Maske zu entfernen und dem Fremden sein blankes Gesicht mit dem Cappin-Fragment zu offenbaren. Als er sie fast erreicht hatte, nahm der Andere den Strahler wieder ab und lachte. „Es war nur ein Witz, Alaska Saedelaere. Ich bin nicht bescheuert genug, in dein Cappin-Fragment zu blicken und erst wahnsinnig zu werden, und dann zu sterben.“
Erleichtert atmete der Logiker auf und nahm die Hand wieder ab. „Du kennst mich also?“
Sein Gegenüber nickte. „Wer kennt ihn nicht, Alaska Saedelaere, den Totenbleichen? Seit wann hast du wieder Testare im Gesicht hängen?“
„Es ist nicht Testare. Also nicht der Original-Testare. Es ist ein Fragment, das ich in einer alternativen Realität an Bord eines kosmokratischen Raumschiffs von einem anderen Alaska aus eben dieser alternativen Realität aufgedrängt bekommen habe.“
„Das muss hart gewesen sein. Da warst du das Ding endlich los, und dann kommt so ein Kosmokratenknilch und entscheidet, dass du mit Fragment besser dran bist, ohne dich zu fragen.“
Alaska dachte über die Worte nach. „Es könnte schlimm sein, ich weiß es nicht. Ich bin es jedenfalls mehr Jahre meines Lebens gewohnt, das Fragment zu tragen, als es nicht im Gesicht sitzen zu haben. Ich habe mich dran gewöhnt. Es ist mein Normalzustand.“
Sein Gegenüber steckte den Strahler in das Holster an seiner rechten Hüfte. „Die Leute haben Recht. Du BIST merkwürdig, Alaska Saedelaere.“ Er grinste. „Würdig, dass man sich dich merkt. Es ist selten, dass ich einem so stoischen, zugleich nurgilen Wesen begegnet bin.“
„Nurgil?“
„Wie ist das Wort in deiner Sprache? Nonchalant passt am Besten, denke ich. Fällt dir gerade auf, dass wir miteinander reden, aber du keine Ahnung hast, welche Sprache wir beide benutzen? Ich für meinen Teil verwende Satron-A. Du sprichst Interkosmo. Zugegeben, beide Sprachen sind sich sehr ähnlich, aber dann doch signifikant unterscheidbar.“
„Das ist dir aufgefallen, obwohl es logischerweise nicht so ohne weiteres auffallen kann?“, fragte Alaska.
Der Fremde deutete auf seinen Kopf. „Ich habe einen kleinen, bösartigen Artgenossen im Kopf, der mich auf solche Dinge hinweist. Ist durchaus praktisch, wenn man es gewohnt ist, sich beleidigen zu lassen.“ Ein Extrasinn oder ein Implantat, ging es Alaska durch den Kopf. Aber einen Extrasinn, einen richtigen, hatten nur Arkoniden, welche die Ark Summia absolviert hatten. Vor ihm stand aber ein Tefroder. Zumindest vermutete er das.

Der Fremde sah sich um. „Äh, war das da vorhin auch schon da?“
„Was genau?“ Alaska folgte der ausgestreckten Hand. Was er sah, irritierte ihn, denn es schien eine Rakete zu sein. Keine moderne Rakete, irgendein prästellares Ding. Ganz in weiß gehalten und mit einer rotweiß gestreiften Maserung bedeckt, mit einem blauen Quadrat an einer Seite, in dem sich mehrere Dutzend Sterne befanden. Das konnte eine klassische Feststoffrakete sein, die ihre Passagiere und ihre Fracht mit einer gebändigten Treibstoffexplosion in den Orbit jagte, aber dafür war sie zu klein. Das Ding da war höchsten fünf Meter hoch, wenn er es richtig einschätzte.
Bevor Alaska etwas sagen konnte, ergriff der Fremde die Initiative. „Sehen wir uns das doch mal an. Mein kleiner Artgenosse im Kopf sagt, das Ding ist künstlich, und künstlich könnte Zivilisation bedeuten!“
„Einverstanden!“, rief Alaska und eilte ihm hinterher. „Wie ist eigentlich dein Name? Kenne ich dich vielleicht auch?“
Der Tefroder wandte sich halb zu ihm um. „Vielleicht hast du schon von mir gehört. Alles ist möglich. Nenn mich einfach Arot.“
„Arot“, sinnierte Alaska. Nein, der Name weckte keinerlei Affinität in seinem Gedächtnis.
Sie erreichten den Felsen und Arot erklomm ihn. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns nicht auf der Oberfläche eines Planeten befinden. Mehr in so einer Art Interdimension. Wenn du verstehst, was ich meine, Alaska.“
„Äh, ja, ich habe mit diesem Phänomen durchaus zu tun seit einigen Jahrhunderten.“
„Dann muss ich ja nicht viel erklären. Aber dafür hätte ich dann gerne eine. Möglichst simpel und in einem Satz, denn ich bin mir sicher, das ist nicht nur künstlich, sondern garantiert nicht dafür gedacht, ausgerechnet hier zu sein.“
Alaska erklomm den Felsen ebenfalls und sah nach der Rakete. Daneben stand ein Schild, auf dem in englischer Schrift stand: Old Rocketman. Neben Rakete und Schild drängten sich mehrere einstöckige Gebäude, die zu einem geschlossenen Komplex aufgebaut worden waren. „Du hast Recht. Ich bin auch davon überzeugt, dass dieses Gebäude namens Old Rocketman nicht zwangsläufig hierher gehört.“
Arot sprang vom Felsen herab. „Gehen wir hin. Die erste Regel für Verschollene: Wasser sichern, Nahrung sichern, Obdach sichern. Ich denke, das werden wir alles dort finden.“
„Ich stimme zu.“ Alaska folgte dem Tefroder und schloss zu ihm auf. Für jemand, der einen Kopf kleiner war als er, schritt der Fremde kräftig aus.

Sie erreichten das Gebäude, das mehrere Assoziationen in Alaska weckte. Der flache einstöckige Bau der Einzelgebäude war Alaska vom Stil gut bekannt. Er entsprach der Bauweise von Überlandraststätten im Bundesstaat USA, etwa zwanzig Jahre vor dem historischen Mondflug Perrys und Bullys mit ihren damaligen, aber lang verstorbenen Kameraden Eric Manoli und Clark Flipper. Heutzutage hätte man es wohl eine Retro-Rock’n Roll-Bar genannt. Tatsächlich klang vage Musik zu ihnen herüber, die ihn an diese Epoche oder den Retro-Trend erinnerte.
„R-rosalie …“
„Das ist I can’t go on von Buddy Holly. Das Ding benutzt nicht nur das lateinische Alphabet und die englische Schriftart, die Musik entstammt den Fünfzigern, so genannt, weil dieses Jahrzehnt von der Musikform „Rock“ geprägt war. Bekannt, Logiker?“
„Buddy Holly sagt mir nichts. Aber ja, ich erkenne die Epoche. Nur was machen die prästellaren Fünfziger hier in einer fremden Dimension?“
Arot rieb sich nachdenklich das Kinn. „Seit ich hier angekommen bin, habe ich so eine vage Ahnung von Mattigkeit, Müdigkeit, so als wolle die Umgebung mich überreden, mich hinzulegen, mich einzurollen und zu schlafen, bis ich nicht mehr aufwache. Das Diner-Ding hingegen verbreitet Aktivität, Leben, Freude.“
„Es könnte eine Falle sein“, wandte Alaska ein, fügte aber selbst an: „Jedoch habe ich vom Felsen aus keine andere Wahl für uns gesehen. Zumindest nicht im Umkreis mehrerer Kilometer. Gehen wir hinein.“
„Ich stimme zu, Terraner.“

Gemeinsam betraten sie den Teil des Gebäudekomplexes, der leicht zugänglich zu sein schien. Dahinter erwartete sie ein mit Fliesen im Schachbrettmuster ausgelegter Innenraum, in dem sich mehr als ein Dutzend Tische mit rotweißkarierten Tischdecken befanden. An den Tischen standen kitschigorange Stühle, großschirmige weiße Lampen waren über jedem einzelnen Tisch angebracht. Weitere Leuchten schienen auf einen großen Tresen aus dunkler Eiche herab, orange bespannte Hocker waren davor aufgestellt und luden zum Verweilen ein. Hinter der Theke stand als Barkeeper ein mittelgroßer, stämmiger Terraner mit einer antiquierten Goldrandbrille, der Gläser zu putzen schien. Als sich die Tür für die beiden Humanoiden öffnete, wandte er sich ihnen zu, ohne im Polieren inne zu halten.
„Ah, Gäste. Und dann gleich so illustre. Ich nehme an, der Vitalenergieraub des Multiplex der Realitäten konnte ihnen beiden nicht viel anhaben, oder, Alaska Saedelaere?“ Der Terraner richtete alle Antennen auf seinen Begleiter. „Und Thora von Zoltral-Rhodan?“
Saedelaere machte einen Satz zur Seite, als dieser Name fiel. Entsetzt sah er den Tefroder an. Nicht eine Sekunde zweifelte er, dass der Fremde, der Interkosmo sprach, nicht nur ihn korrekt erkannt hatte, sondern auch seinen Begleiter.
Arot seufzte. „Was hat mich verraten?“, fragte er, aber mit einer weiblichen Stimme, die Alaska in Aufzeichnungen schon ein paarmal gehört hatte.
„Sagen wir, ich weiß Dinge, und ich trinke Wein“, erwiderte der Barkeeper. „Eine Anspielung auf eine vorintergalaktische Fernsehserie, dessen Handlung im Mittelalter spielt. Jedenfalls können Sie die Maskerade einstellen. Sie sind hier unter Freunden. Wenngleich sowohl ihre als auch die Signatur Alaskas sagt, dass Sie beide nicht unbedingt freiwillig hier sind, und weder mit dem Multiplex der Realitäten zu tun haben, noch hier sein wollen. Aber da Sie herausragende Personen, Ankerpunkte der Realität sind, wurden Sie zwei zufällig hergeholt. Solche Dinge passieren in einem Nexus, wenn Energien freiwerden, zu wandern beginnen und einen Anker suchen, den Sie zwei diesen Kräften bieten. Dann wird man eben hier her gezerrt. Genauso zufällig werden Sie zwei wieder in ihre eigentliche Welt zurückkehren.“ Der Terraner sah zur Wand, an der eine ziemlich große analoge Uhr mit zwei Zeigern hing, auf dessen Zifferblatt ein berühmtes Soda-Getränk für sich warb. „Allerdings wird dies noch ein wenig brauchen. Eine halbe Stunde, eine ganze, zwei, drei, ich weiß es leider nicht, bevor es unmittelbar ansteht. Bis dahin stehen diese Räumlichkeiten, die Getränke und die Nahrung sowie meine Wenigkeit, nennen Sie mich Bobby Bird, zur kostenlosen Verfügung. Halt, das heißt, eine Sache gibt es doch, die ich von ihnen haben möchte. Informationen. Es ist immer gut, Informationen zu haben, je seltener, desto besser. Zum Beispiel, wie Sie es geschafft haben, bis ins Jahr 2000 NGZ zu überleben, Frau Thora von Zoltral-Rhodan. Denn das ist die einzige Konstante in ihrer beider Fall. Sie zwei stammen aus der gleichen Zeit und der gleichen Realitätsebene.“ Der Barkeeper beugte sich ein Stück vor, ohne aber im Polieren innezuhalten. „Also, duzen wir uns doch gleich, wie es 2000 NGZ üblich ist. Und dann kannst du auch deine Tarnung aufgeben, Thora. Du brauchst sie hier nicht.“

Mit dem Gesicht Arots ging eine Veränderung vor. Die Haut wurde heller, die Augenfarbe änderte sich und die kupfernen Haare begannen zu wachsen. Dabei bekamen sie eine hellblonde Färbung. Auch die Züge wurden weiblicher, femininer, vom Körper ganz zu schweigen. Die Person, die Augenblicke danach neben Alaska stand, war eine Arkonidin, nicht älter aussehend als dreißig Jahre, selbst nach arkonidischem Maßstab. „Fangen wir noch einmal von vorne an. Hallo, ich bin Thora, nicht Arot.“
„Ein umgedrehter Name. Das war ja beinahe schon ein Wink mit dem Ultraschlachtschiff. Nur habe ich es nicht bemerkt.“
„Weil es nicht unbedingt zu erwarten war, dass du jemandem begegnest, der von Rechts wegen seit über dreitausend Jahren tot sein soll.“ Thora streckte ihm die Hand entgegen. „Wir haben uns lange nicht gesehen, alter Freund.“
Alaska ergriff die feingliedrige, zarte und weiche Hand, deren Griff allerdings ziemlich kräftig war. „Wir kennen uns? Ich wurde eintausend Jahre nach deinem Tod geboren, Thora. Ich darf doch du sagen und Thora?“
„Ich duze dich ja auch einfach so, und das nicht nur, weil es 2000 NGZ normal ist. Außerdem hat Bobby Bird Recht. Es ist viel einfacher so.“ Sie seufzte leise, während ihre Körpergröße ein Stück schrumpfte, ihre Formen noch weiblicher wurden. „Ich denke, du verdienst eine Erklärung, Alaska.“
„Und Wasser.“ Der Logiker sah zum Tresen. „Wasser, bitte.“
„Aber, aber“, sagte Bobby und winkte sie an den Tresen heran. „Ihr seid beide gut hydriert und braucht für einige Zeit kein Wasser aufzunehmen. Ihr könnt also Flüssigkeit zum Genuss konsumieren. Alkohol, vielleicht?“
Beide schüttelten den Kopf.
„Oh, ich weiß. Ihr bekommt den Klassiker des Hauses. Eine Cola.“ Behände holte er zwei große, nach oben gewölbte Gläser hervor und füllten sie mit einem fast schwarzen Sirup, bis ein guter Fingerbreit den Boden bedeckte. Dann griff er zu einem Spritzschlauch und füllte das Glas mit Soda fast bis zum Rand auf. Als beide Gläser fertig waren und fröhlich vor sich hin blubberten, holte Bobby Bird eine Packung Eis unter dem Tresen hervor, formte zwei Kugeln, die ziemlich genau in die Öffnung passte und setzte sie obenauf. „Zweimal Cola, klassisch. Bitte sehr. Aber jetzt erzähl mir, Thora von Zoltral-Rhodan, wie hast du die Mission zum Robotregenten überlebt?“
„Ja, das interessiert mich auch.“ Alaska setzte sich, der Barkeeper servierte die Gläser, und der Terraner nahm einen Schluck. Durch einen Strohhalm, den der Terraner freundlicherweise in sein Glas getan hatte, und durch den er auch mit seiner Maske trinken konnte, wenngleich er nicht unbedingt zur klassischen Serviermethode zu gehören schien. Frisch, kalt und süß. Ein Glas würde er locker trinken können.
Thora seufzte erneut. Sie trank von ihrem Glas. „Das schmeckt so wie in dem Diner in Kansas City, in den Perry mich 1982 mitgenommen hat, als er mir die Farm seines Onkels gezeigt hat. Nein, keine Ausflüchte, Thora. Du hast gewusst, dass der Tag einmal kommen würde.“
Sie sah Alaska in die Augen. „Damit du verstehst, musst du etwas Wichtiges wissen. Ich bin eine Cyno.“
Alaska wäre beinahe sein Glas aus der Hand gefallen. „D-du bist eine …“
„Eine Halb-Cyno, um genau zu sein. Meine Mutter war eine echte Cyno. Keine von denen, die bei der Rebellion der Gelben Götzen aus dem Schwarm verbannt wurden und in der Milchstraße warteten, bis die wandernde Sterneninsel zurückkam. Mehr so eine Art Freigeist, die sich darin gefiel, mal hierhin, mal dorthin zu wandern, sich in verschiedene Völker zu integrieren und dort eine normale Lebensspanne quasi mitzuleben. Das war meine Mutter. Sie ist als Essoya, also nichtadlige Arkonidin, in den Khasurn da Zoltral aufgenommen worden, weil sie herausragende Fähigkeiten zeigte und überarkonidische Taten vollbrachte. Eine davon war, meinen Vater derart zu umgarnen, dass er sie heiratete. Und mit ihm drei Kinder zeugte. Markon, meinen älteren Bruder, Tivia, meine ältere Schwester, und schlussendlich mich. Ja, ich weiß, es ist so gut wie nichts über meine Familie bekannt, außer, dass Crest mein Onkel war, sprich der Bruder meines Vaters, der sehr wohlwollend auf mich geblickt hat. Die Familie hat mich seit meiner terranischen Episode mehr wie ein Stiefkind behandelt und am liebsten totgeschwiegen. Das ging auch, bis schließlich Perry kommissarisch einige Jahrzehnte den Imperatorenthron als Truchsess behüten musste. Das wirkte wie eine geschichtliche Renaissance, aber zu dem Zeitpunkt waren schon meine Großneffen und Großnichten Tonangebend im Haus Zoltral, nicht mehr die Konservativen mit den alten Machtdünkeln. Eine modernere Generation für eine modernere Zeit eben.“
Sie schnaubte leise aus. „Wie ich schon sagte, die Cyno, die meine Mutter war, lebte ein ganz normales Leben, alterte normal, und als es ihre Zeit war zu gehen, ist sie offiziell gestorben. Ich war die Einzige, die die Wahrheit kannte, denn …“ Sie hob die rechte Hand, und Alaska sah fasziniert dabei zu, wie sich die Hand veränderte, indem sie zwei Daumen und fünf Finger entwickelte, die von einem bläulichen Pelz bedeckt wurden. „… bei mir schlug das Cyno-Erbe voll durch. Als ich eines Nachts in der Pubertät aufwachte, und mein Körper keine Form mehr hatte, und als dieser formlose Fleischblob durch den Khasurn randalierte, war es Mutter, die die „Gefahr“ angeblich vernichtete und spurlos desintegrierte. Stattdessen schaffte sie mich in Sicherheit und zeigte mir, wie ich zu meiner echten Gestalt zurückkehren konnte. Das war der Zeitpunkt, in dem sie mich in alles einweihte, auch, dass sie noch etwa vierzig Jahre davon entfernt war, in diesem Leben zu sterben und Arkon zu verlassen. Mich zu verlassen. Sie weihte mich in viele Geheimnisse ihres Volkes ein, und eines davon war das Fleischformen, das Gestaltwandeln.“

Thora trank ihr Glas aus. „Bitte noch eine Cola, Bobby. Springen wir gleich zum interessanten Punkt, an der Liebe meines Lebens vorbei direkt zum Finale. Ja, ich habe Perry geliebt, und ich liebe ihn noch immer. Aber er hat jetzt sein Leben, und ich habe meines. Mutter hatte mich darauf vorbereitet, dass ich, wenn mein Cyno-Erbe so stark ist, ihr Schicksal teilen würde. Als ich an Perry Seite trat, musste ich leider feststellen, dass sie Recht hatte. Ich alterte nicht. Das ist vielleicht auch ein Grund gewesen, warum ES mir die Zelldusche verweigert hat. In seinen Augen war ich keine richtige Arkonidin und hatte die Lebensverlängerung auch nicht nötig. Nur, ich verpasste den Sprung, den Moment, in dem ich Perry erklären konnte, wer ich war, was ich war. Dass ich ewiglich an seiner Seite leben konnte, so wie auch er unsterblich ist.“
Ihr Blick wurde abwesend, fern. „Aber ich merkte schnell, dass ich zwar ein Leben an seiner Seite verbringen konnte, doch keine zwei. Ich konnte so viel Perry Rhodan nicht überstehen. Vor allem nicht bei dem, was mir zu tun blieb, in seinem Schatten. Meine Professur an der Raumakademie, die Schirmherrschaft für diverse soziale Projekte und einen Schüleraustausch mit Ferrol, die Oberaufsicht über die Renaturierung des Mars, das war erfüllend, aber nicht ausreichend. Mir war klar, dass Perry mich tun und lassen würde, was immer ich wollte. Aber ich wusste, dass es uns auch trennen würde, wenn ich es täte. Als dann Thomas von uns weggenommen wurde, weil eine Positronik es empfahl, stand mein Entschluss fest. Ich würde ein normales Leben an seiner Seite leben, dann würde ich „sterben“ und an einen anderen Ort ziehen und ein anderes Leben führen. Also alterte ich an seiner Seite, trotz des Unsterblichkeitsserums von Tolimon. Mein ursprünglicher Plan war eigentlich, von seiner Seite zu verschwinden und Thomas in einer neuen Identität zur Seite zu stehen und ihn notfalls auf den richtigen Pfad zurück zu prügeln, aber ausgerechnet die Mutanten, von denen jeder einzelne seit Jahrzehnten mit mir gut befreundet war, vereitelten diesen Plan, weil sie ihn beschützten. Und da stand ich also und war alt, aber unfähig, meinen Plan auszuführen.“
„Das bringt uns zur Mission der BIRMA, richtig?“
„Die Verhandlungen mit dem Robotregenten und die intriganten Aras?“ Thora lachte, aber es klang nur leidlich amüsiert. „Sagen wir es so. Die Mission war vollkommen mein Geschmack, und ich war ohnehin gerade nicht gut auf Positroniken zu sprechen, weshalb es mir gut gefiel, dem Großen Koordinator eins oder zwei auszuwischen. Nur machte ich den Fehler, zu viel Spaß zu haben und zu vergessen, mein Äußeres angepasst zu lassen. Ich wurde wieder zusehends jünger. Ich muss aber zugeben, es gab auf der BIRMA nicht viele Spiegel, die mir das hätten verraten können. Das zu erklären hätte aber meinen Plan verhindert. Also arrangierte ich es, das mich einer der gefangenen Aras mit Ishis Dienstwaffe erschoss. Als Halb-Cyno, deren Erbe stark war, gelang es mir mit Leichtigkeit, eine schöne Leiche darzustellen, bis es Ishi gelang, mich gegen eine Biomolmaske auszutauschen, die nun an meiner Stelle im Mausoleum auf dem Mond ruht. Natürlich geschaffen aus der DNS von Crest, nicht meiner eigenen, denn dann hätte eines Tages die eine oder andere Cyno-Sequenz Aufsehen erregt. Ishi war es dann auch, die mich mit meinem zukünftigen Raumschiff versorgte und mich davor warnte, an Thomas‘ Seite zu treten. Die Mutanten, die ihn beschützten, hätten mich früher oder später auffliegen lassen, und das zu erklären wäre eine Riesenarbeit gewesen. Also akzeptierte ich mein Schicksal. Thora Rhodan war tot, aber Thora die Cyno lebte. Also verließ ich Terra und kehrte ins Imperium zurück, wo ich einige Leben verbrachte.“

Bobby Bird applaudierte enthusiastisch. „Eine phantastische Geschichte. Aber ich denke, sie ist noch nicht zu Ende, Mory Rhodan-Abro, oder?“
Alaska fuhr herum, so als erwartete er, die zweite Ehefrau von Perry gerade jetzt zur Tür hereinkommen zu sehen. Aber da war niemand. Entsetzt ging sein Blick wieder zu Thora.
Die hob abwehrend die Hände. „Ist ja schon gut, ist ja gut.“ Ihr Aussehen wandelte sich, sie wurde etwas kleiner, ihr Haar ein wenig dunkler, sprich Rotblond, die Augen verloren das Rotgold und wurden strahlend grün. „Wie ich schon sagte, ich konnte damals keine zwei Leben mit Perry verbringen, aber ich sagte nicht, dass ich ihm nie wieder begegnet bin. Tatsächlich scheint es in meiner Natur zu sein, dass ich Rollen für mich bevorzuge, in denen ich aktiver sein durfte als in meiner Zeit im Solaren Imperium der Aufbruchsgeneration als Perrys Ehefrau. Damals, in der Plophos-Krise, war es nicht weiter schwer für mich, dem alten, verrückten Kositch Abro zu suggerieren, er hätte eine Tochter namens Mory, und durch die Abgeschiedenheit seiner Rebellenbasis war es ein Leichtes, ein paar Datenbanken zu manipulieren und mich vor seinen Gefolgsleuten quasi aus dem Hut zaubern zu lassen, und jene, die Kositch und sein Leben auf Plophos kannten, davon zu überzeugen, dass ich in Wirklichkeit die persönliche Leibwächterin seiner Lordschaft war, welche die Tochter spielte, weil niemand mit einem solchen Leibwächter rechnen würde. Über die Jahre gelang es mir dann, dieses Wissen in ihnen zu überschreiben, bis ich vollends Kositchs Tochter geworden war. Du kannst dir sicher meine Überraschung vorstellen, als ich dann in meiner Position als Rebellin gegen Iratio Hondro ausgerechnet in Kontakt mit Perry kam, als dieser mit Bully, Atlan, Melbar und André entführt wurde. Ich habe meine Rolle gespielt, mich distanziert gezeigt, damit die alten Gefühle nicht wieder aufflammen, aber nach all der Zeit war noch eine Menge da, und ich hatte mehr Lebenserfahrung. Dass wir zusammen entführt wurden und auf eine Irrfahrt gegen unseren Willen gingen, aufeinander angewiesen waren, half auch nicht gerade. Irgendwann konnte ich dann nicht mehr gegen meine Natur angehen.“

Sie seufzte, nahm das neue Glas Cola entgegen und trank einen Schluck. „Diesmal lief es besser, weil ich als Obfrau von Plophos ein Betätigungsfeld hatte, in dem ich von Perry unabhängig war. Und nach dem MDI-Krieg dachte ich tatsächlich, dass man diesmal keine Positronik befragen sollte, sondern vielleicht einfach Nachwuchs zeugt, der nicht wie Thomas allein gelassen wird. Und mit Suzan und Michael hatten wir ja auch zwei wundervolle Kinder. Es hat mich schwer getroffen, als Michael in der Zeit verschollen ging und wir dachten, er sei tot. Aber schlimmer war für mich die Entwicklung, die Suzan nahm, denn im Gegensatz zu ihrem Bruder hatte sie viel zu viel von meiner Cyno-Natur geerbt. Meine Langlebigkeit zum Beispiel. Auch ist sie begrenzt in der Lage, ihr Äußeres zu verändern. Du ahnst es sicher schon, sie lebt noch. Jedenfalls musste ich eine Entscheidung treffen und riet Suzan, sich ein neues Leben zu suchen, und danach noch eines und noch eines, wie meine Mutter. Der Panither-Aufstand kam dabei gerade recht. Ursprünglich hatte ich nicht geplant, auch zu sterben, immerhin hatte ich einen Zellaktivator, der mich angeblich unsterblich machte. Aber die Dinge entwickelten sich, wurden dynamisch, und dann ging ich eben mit meiner Tochter fort.“

Sie schien in ferne Weiten zu sehen. Thora alias Mory blinzelte ein paarmal, wie um in die Realität zurückzukehren. „Wir bildeten einige Zeit ein Duo, das sich nach dem vermeintlichen Mord an uns gemeinsam durchs Universum schlug, genauer gesagt durch Andromeda. Aber als der Schwarm in die Milchstraße einfiel, fühlte ich mich … Nun. Berufen. Berufen, zurückzukehren und zu helfen, wo ich konnte, während Suzan versuchte, in der Nachbargalaxis Unterstützung für die Milchstraße zusammenzubekommen. Was dazu geführt hat, dass eine Auswanderungswelle von Tefrodern Richtung Milchstraße gezogen ist. Nicht ganz das, was wir beabsichtigt hatten, aber der Schub an zivilisierten, gut gebildeten Humanoiden hat auf manchen von der Verdummung gegeißelten Welten die Wende hin zur Restauration ergeben. Jedenfalls trennten sich da Suzans und meine Wege für ein paar Jahrhunderte.“
Alaska hob eine Hand. „Frage. Bist du noch einmal mit Perry zusammengekommen? Später? Es gibt da dieses Gerücht, du wärst Gesil gewesen.“
„Gesil? Ja, wir sind uns unglaublich ähnlich. Aber sie stieß auf die SOL, als diese über einhundert Millionen Lichtjahre entfernt war, glaube ich. Ich denke, bei ihrer Manifestation hat sie sich an Perry Rhodan orientiert. Und ich finde es sehr schmeichelhaft, dass Perrys Begehren damals mich als Idealbild für seine Partnerin hatte. Aber nein, eine Cyno kann keinen Teilaspekt einer Kosmokratin darstellen. Taurec hätte das sofort durchschaut. Ich habe sie kennengelernt und ihr quasi meinen Segen gegeben, mit Perry zusammen zu sein, aber ich habe im Leben der beiden nicht herumgepfuscht. Es gibt Grenzen für alles.“

„Mondra Diamond? Du hast von ihr gehört?“
„Du meinst die Mondra, die in einem Protouniversum verschwunden ist, um ihrem Sohn Delorean nahe sein zu können? Die Übermutter? Nein, das war ich nie. Ich bin schließlich hier, und nicht in dem eigenständigen Universum. Auch habe ich sie nie kennengelernt. Oder es versucht. Wenn du mich fragst, hatte sie auch leicht einen am Pony. Ich meine, wer läuft schon mit einem Klonelefanten herum und nimmt ihn mit auf intergalaktische Reisen? Und bevor du fragst, Perrys aktuelle Frau Sichu bin ich auch nicht. Ich kann nicht ausschließen, dass uns unsere Pfade später noch einmal zusammenführen werden, immerhin ist die Ator langlebig, aber nicht unsterblich, und Perry damit irgendwann wieder verfügbar. Ich habe Zeit. Aber das ist eine Frage, die die Zukunft beantworten wird.“
„Ah, ach so.“ Alaska spürte, wie sein Cappin-Fragment so stark aufblitzte, dass er die Farbfontänen selbst sehen konnte. „Aber du warst Orana Sestore.“
„Schießt du gerade ins Blaue?“, fragte Thora alias Mory amüsiert.
„Nein. Mir ist aufgefallen, dass du seine dritte Ehefrau ausgelassen hast. Die ist mit Perry und der Erde in den Malstrom der Sterne transportiert worden und dort, während Erde und Mond die Sonne Medaillon umkreisten, an Perrys Seite an Altersschwäche gestorben, just als die Aphilie ausbrach. Wenn ich mich recht entsinne, sah sie dir nicht sehr ähnlich. Und ihr hervorstechendstes Merkmal war dann auch ihr Busen. Optisch, meine ich.“
Erneut veränderte sich die Halb-Cyno, ihre Haaren wurden schwarz, der Busen größer, wirkte aber zum Rest des Körpers gut proportioniert, und die grünen Augen wurden blau. „Oh, das. Ja, ich war Orana. Du erinnerst dich, ich wollte der Milchstraße helfen, also erschuf ich diese Identität. Ich hatte nie vor, Perry in dieser Identität unter die Augen zu treten. Deshalb auch die größere Brust, weil ich weiß, dass er eher kleinere bevorzugt. Aber ironischerweise hat das unser Kennenlernen beschleunigt, statt unterbunden.“
„Er hat dich wegen des Doppel-D interessant gefunden?“
„Nein. Wie ich schon sagte, er mag keine großen Brüste. Er hat mich trotzdem interessant gefunden. Was er attraktiv fand, war nicht mein Körper, sondern mein Wesen, mein Verstand, meine Art. Es war eine sehr schöne Erfahrung für mich, dass er mich um meiner selbst willens geliebt hat, nicht weil ich meiner Idealform als Thora ähnlich sah.“
„Und du bist im Medaillon-System gestorben, weil …?“
„Weil kein Zellaktivator verfügbar war. Ich hätte keine Ausrede gehabt, warum ich an seiner Seite bleibe und nicht altere. Ich musste eine ganz normale Alterung durchziehen und ganz regulär sterben. Aber ich war auch auf der SOL und habe ihn unterstützt, wo ich es konnte, wenngleich mehr aus dem Hintergrund.“

„Eine sehr interessante Geschichte, Frau Thora Mory Orana von Zoltra-Rhodan Rhodan-Abro Sestore“, sagte der Barkeeper. „Ich werde sie gut archivieren, aber nicht zugänglich machen. Diese Einblicke dürften nichts für Mr. Rhodan sein, nicht in seinem derzeitigen Leben.“
„Ich danke für diese Einsicht“, erwiderte sie und nahm erneut die Gestalt von Thora an, ihr originales Aussehen. „Allerdings kann ich nicht für Herrn Saedelaere sprechen. Und wie es aussieht, wird die Störung des Megaplex euch in sehr naher Zukunft wieder dorthin schicken, woher ihr zwei ursprünglich gekommen seid. Falls ihr also noch was besprechen wollen, ist jetzt die Zeit dafür. Und, Alaska, ich bedaure, dass die Zeit nicht für ein paar Geschichten von der LEUCHTKRAFT reicht. Na, vielleicht, das nächste Mal.“
Alaska sah Thora an. „Ich glaube jetzt eher nicht, dass du von mir willst, dass ich Perry eine Nachricht von dir bringe oder ihm erzähle, dass drei seiner Ehefrauen die gleiche Person waren.“
Verlegen lächelte Thora. „Nein, das sollte ich ihm selbst sagen. Eines fernen oder nahen Tages. Das kann ich noch nicht in dem fernen Land, das wir Zukunft nennen, erkennen. Und ich möchte dich auch bitten, über unsere Begegnung mit niemand anderem zu sprechen, außer vielleicht NATHAN. Er hat eine Datei für so etwas. Allerdings, sollten wir zwei uns begegnen, habe ich die Erlaubnis, dich anzusprechen? Ich meine als Thora?“
„Werde ich es denn wissen oder wissen wollen?“, fragte Alaska den Barkeeper.
„Definitiv. Was dir jetzt wie ein überrealer Traum erscheint, kann dann durchaus Wirklichkeit werden.“
„Dann werde ich gerne mit dir reden, Thora. Allerdings ist das Universum groß, und ich weiß nicht, wohin es mich verschlägt.“
Die Halb-Arkonidin lachte. „Das ist mein Lebensmotto. Ich meine, das Motto meines Lebens nach Perry. Aber die Chance, sich zu begegnen, ist niemals Null, vergiss das nicht, Alaska. Wir …“ Übergangslos verschwand die Arkonidin.
Bobby Bird stieß ein Geräusch aus, das an das Seufzen der Arkonidin erinnerte. „Und da ist ihre Zeit auch schon abgelaufen. Nun kann es nicht mehr lange dauern, bis … Oh, auch schon weg.“ Der Barkeeper seufzte ein zweites Mal und griff nach den Gläsern, um sie weiter zu polieren. Dazu spülte er die drei Gläser, die Thora und Alaska benutzt hatten. Das Diner war ein Zufluchtsort, und er würde Zuflucht gewähren. In einem nicht perfekten Umfeld, aber zu perfekten Bedingungen.

* * *

Alaska schreckte hoch. Sein erster Griff ging, wie er es seit Jahrtausenden gewohnt war, zur Maske, um sich davon zu überzeugen, dass sie war, wo sie hingehörte. Sie war noch da, gut. Dann ruckte sein Blick durch den dunkel daliegenden Raum.
„Soll ich das Licht anmachen?“, flüsterte die Wohnungspositronik.
Alaska dachte über diese Frage nach. „Nein, es ist in Ordnung. Ich versuche, weiter zu schlafen. Es war nur ein Traum. Ein real wirkender Traum, ja, aber nur ein Traum.“
Alaska sank auf die Kissen zurück und versuchte, wieder einzuschlafen. Der Multiplex war eine einprägsame und auch unangenehme Erfahrung gewesen, ebenso wie der Gedanke, jederzeit wieder fortgezerrt zu werden, weil er zu kosmisch war. Aber das war nichts gegen die Information, Thora sollte eine Halb-Cyno sein. Und Perry als Mory und als Orana noch zweimal geheiratet haben. „Nur ein Traum“, murmelte Alaska. Aber sicher war er sich nicht.

ENDE

Zum Inhaltsverzeichnis von World of Cosmos 115

« »