Perry-Rhodan-Story von Roland Triankowski, die pseudoantike Steamfantasy-Variation des ersten Perry-Rhodan-Romans stammt aus dem Jahr 2012.

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Singe mir Muse von ruhmreichen Taten des Okeaniden!
Perrikles und seine Mannen verlassen auf Ponders Geheiß
Iorkos Gestade zu kunden die Wege durch Herakles‘ Säulen.
Sternenstaubs Planken wohl unter den Sohlen befahren das Meer sie.
Dort aber harren gar schröcklich Gefahren der tapferen Schar.
Nie hatte jemand mit ihnen gerechnet, die kamen von fern.

1.

Die polis war an diesem Tage schon vor der Sonne erwacht. In leiser Prozession war der König von Iorkos mit seinem Gefolge vom Palaste zum Hafen gezogen und hatte dort Quartier im Hause eines Händlers bezogen. Merkantor war glücklich, den mächtigen König Ponder bei sich beherbergen zu dürfen. Doch war die Wahl auf seine Behausung nicht nur wegen ihrer Größe oder der Nähe zum Hafen gefallen. Merkantor war nicht nur der reichste Händler der polis, nein er war ob seiner hervorragenden Kontakte in allen Ländern rund um das Meer einer der wichtigsten Berater des Königs.

Gerade hatte ein Bote berichtet, dass sich das Volk schon zu so früher Stunde zahlreich am Hafen versammelt habe. Merkantor hatte den Bericht entgegengenommen und trat nun schweigend an des Königs Seite. Dieser stand an einem großen Fenster, den Blick gen Osten zum Hafen gerichtet. Eos hatte bereits ihre kurze Herrschaft übernommen und kündigte so die strahlende Ankunft des Helios an.

„Was spricht das Volk?“, sagte der König schließlich, ohne seinen Blick von der Morgenröte abzuwenden.

„Wenig“, antwortete Merkantor. „Die meisten stehen schweigend und harren der Dinge. Einige rätseln jedoch, warum ihr weiser König in diesen angespannten Zeiten Iorkos’ größten Helden eine Arbeit verrichten lässt, die bislang jedem den Tod gebracht. Sie können es sich nicht erklären.“

Da der König darauf schwieg, ergriff Katsos, ein weiterer seiner Ratgeber, das Wort: „Sprecht zu ihnen, Herr! Erläutert eure Ratschlüsse! Nichts wäre schlimmer, als dass sich Gerüchte im Volke verbreiten.“

Ponder blickte seinen Ratgeb kurz an, antwortete jedoch nicht.

„Laimon!“, rief er stattdessen.

„Mein König?“ Der alte Weise trat nun ebenfalls an Ponders Seite.

„Wie steht es um das Schiff?“

„Die Sternenstaub ist in hervorragendem Zustand“, sprach der Schiffsbaumeister nicht ohne Stolz. „Ich selbst habe sie am Abend inspiziert. Jede Planke, jeder Tampen und jeder Tropfen Teer ist an seinem Platze. Ich kenne keinen Sturm und keinen Strudel, in die ich dieses Schiff nicht sorglos schicken würde. Wenn ein Schiff es sicher hinter die Säulen des Herakles und zurück schafft, dann dieses.“

Da nickte der König bedächtig und sprach: „Genau dies sind die Erläuterungen, die ich dem Volke geben werde.“

Die ersten Sonnenstrahlen stießen in den Himmel, als König Ponder zum Hafen schritt. Das Volk bildete schweigend eine Gasse und ließ ihn so bis zum Anleger der Sternenstaub vortreten.

„Wieso schickt Ihr unsere größten Helden in den Tod?“, schallte da ein Ruf aus der Menge.

Die Hand des Königs fuhr nach oben, ehe seine bewaffneten Begleiter nach dem Rufer suchen und ihn ergreifen konnten. Bedächtig wandte er sich zu seinem Volke um und sprach:

„Dieses Schiff ist ein Meisterstück Iorkischer Handwerkskunst. Meister Laimon hat es entworfen und von Kiel bis zur Mastspitze berechnet. Jede Planke folgt exakt den mathematischen Gesetzen, sodass sich jedes Teil ineinanderfügt, als wäre das Schiff aus einem Stück gefertigt. Es ist das beste Schiff, das jemals in diesem Hafen stand.

Und wir werden der Welt, wir werden Sinion zeigen, dass es das beste Schiff ist, das jemals die Meere befahren hat. Wer anderes, als die beste Besatzung der Welt, angeführt von unserem größten Helden Perrikles, kann diesen Beweis erbringen? Die Krieger Sinions werden erzittern – ja König Maon selbst wird vor Furcht kaum schlafen können –, wenn die Sternenstaub heil von den Meeren hinter den Säulen des Herakles zurückkehrt. Und das wird sie!“

Mit seinen letzten Worten wandte er sich ab. Das aufkommende Gemurmel ignorierte er und überließ es Laimon und Katsos, weitere Details über die Sternenstaub und die geplante Route zu erläutern.

* * *

Mit den ersten Strahlen der Sonne schlug Perrikles die Augen auf. Er genoss den kurzen Moment des Erwachens, des Bewusstwerdens der eigenen Existenz. Leib und Geist waren frisch und erholt nach dem exakt bemessenen Schlaf. So erhob sich der Okeanide und blickte sich zu den Gefährten um, die mit ihm in dem Schlafraum genächtigt hatten.

Von einem der Lager erklang nun ein Stöhnen und Schnaufen – der gewaltige Philipos erwachte mit dem üblichen Brimborium.

Ein anderer als Perrikles hätte dabei womöglich nicht bemerkt, dass nun auch Manolos die Augen öffnete. Der Blick der beiden Helden traf sich und ein Lächeln umspielte ihre Züge.

„Hat man nach mir geschickt?“ Des Philipos tiefe Stimme zerriss die Stille.

„Warum sollte man?“, antwortete Manolos mit einer Gegenfrage. „Glaubst du, dass sich über Nacht deinen zahlreichen Sprösslingen einer hinzugesellt hätte?“

„Unsinn!“, rief Philipos. „Spotte du nur! Ich sorge mich nun mal um meine Sippe. Was meinst du, für wen ich das alles hier auf mich nehme?“

Da gefror das Lächeln auf des Okeaniden Lippen.

Mit tonloser Stimme sprach er: „Wie meinst du das, Philipos? Erwartest du schnöden Mammon für diese Arbeit? Für deine Sippe ist bis ins dritte Glied gesorgt. Von unseren Zügen hast du Schätze und Sklaven mehr als genug heimgetragen. Tue diese Fahrt nicht für Gold!“

Da erhob sich der große Philipos ganz von seinem Lager und baute sich vor dem anderen auf.

„Nein, Perrikles“, sprach er leise. „Ich tue diese Arbeit nicht für Gold und nicht für Sklaven. Der Ruhm der Nachwelt allein ist es, den ich mir erhoffe. Es ist unser aller Schicksal ins Totenreich zu fahren und der Vergessenheit anheim zu fallen. Namen- und stimmlose Kreaturen werden wir sein. Der Ruhm allein ist es, der uns über den Tod hinweg vor dem Vergessen bewahrt. Und nur wenn ich ein Fürst unter den Toten bin, kann ich auch dort für die Meinen sorgen, wenn sie mir dereinst in den Hades folgen.“

Der Okeanide musterte den Gefährten streng, blickte ihm tief in die Augen, als wolle er dort die Lauterkeit seiner Worte ergründen.

Ehe das Schweigen der Beiden unerträglich werden konnte, ergriff Manolos das Wort: „Wie steht es eigentlich um unseren Vierten im Bunde? He! Buphalos! Gedenkst du heute auch noch zu erwachen?“

„Hammel!“, tönte es vom vierten Lager. „Seit Stunden bin ich wach. Bei eurem Getöse kann ohnehin kein Mensch schlafen.“

Da lachte Philipos auf und wandte sich von Perrikles ab.

„Ein wahrer Freund ist er, unser Buphalos“, rief er mit voller Stimme. „Für unsren wohlverdienten Schlaf vermag er den süßen Schlummer eines Säuglings vorzutäuschen und flacher noch zu atmen denn ein Toter.“

Die Gefährten stimmten in sein Gelächter ein, kleideten sich scherzend an und gürteten ihre Waffen. Zu viert verließen sie das Gästehaus und traten den Weg zum Hafen an. Ihr Weg war bald gesäumt von Bürgern, die ihren Helden zujubelten. Doch war auch Sorgen in den Blicken vieler zu erkennen.

Während Buphalos und Philipos miteinander feixten und dem Volke zuriefen, trat Manolos an des Okeaniden Seite und frug ihn leis: „Und du, Perrikles? Warum nimmst du diese Arbeit auf dich? Aus Reichtümern hast du dir nie etwas gemacht. Nicht einen Sklaven hast du je für dich arbeiten lassen. Keine Sippe wartet irgendwo auf dich. Und Ruhm – welchen Ruhm willst du noch erringen? Du wärest nach der Philosophie des Philipos schon jetzt ein König im Totenreich. Ein Wort von dir genügt und das Volk würde dich sogleich zum König von Iorkos erheben.

Warum also lässt du dich von Ponder durch die todbringenden Säulen des Herakles schicken?“

Perrikles’ Antwort kam ohne Zögern: „Ich brenne darauf zu schauen, was dahinter liegt.“

2.

Der Jubel des Iorkischen Volkes war lange verklungen und hallte in den Ohren der Helden nurmehr wehmütig nach. Den vierten Tag weilten sie nun auf See. Heute Morgen hatten sie den Hafen von Monos verlassen. Der kleine Fischerort war ein Verbündeter Iorkos’ und lag auf der südlichsten der Danaischen Inseln. Mit dem heutigen Tag verließen sie die Danaerbucht und fuhren auf das offene Thalassomeer hinaus.

Perrikles stand allein an der Ruderpinne und schaute gen Westen. Es sollte noch eine Woche dauern, ehe sie die Säulen des Herakles am Horizont erahnen würden. Dennoch hing sein Blick wie gebannt an der Horizontlinie. Poseidon schien ihnen wohlgesonnen. Das Meer war spiegelglatt und kein Lüftchen regte sich. Dennoch nahm der Okeanide den rauen Gesang der Ruderer kaum wahr, mit dem diese ihren Rhythmus hielten.

Seine Gedanken waren auf ihr Ziel gerichtet. Er hatte sie gesehen, die wilden Strudel zwischen den Säulen. Die tückischen Strömungen hatten bereits an seinem Schiff gezerrt. Er hatte sich damals losreißen können. Näher als Perrikles war nie ein Seefahrer an die Säulen herangekommen – und wieder heil zurückgekehrt.

Doch der Anblick dessen, was dahinter lag, hatte sich tief in seinen Geist eingegraben. Einige Philosophen hatten ihm später gesagt, dass er das ursprüngliche Chaos geschaut hatte. Er aber glaubte lieber jenen, die behaupteten, dass der große Ozean ein vielleicht wilderes aber doch nur ein weiteres Meer war, in dem vielleicht …

„Möchtest du wirklich auch auf die Ruderbank?“

„Selbstverständlich“, antwortete Perrikles dem Buphalos, der soeben an seine Seite getreten war. „Jeder an Bord tut seinen Dienst. Übernimm die Pinne, ich werde deinen Platz am Ruder einnehmen.“

Buphalos nickte und ergriff das Steuer, während Perrikles zur Ruderbank schritt. Der Freund kannte die Grundsätze des Helden. Perrikles reiste stets nur mit freien Männern und war sich nie zu schade, dieselbe Arbeit wie ein jeder an Bord zu tun.

Perrikles legte sich in die Riemen und stimmte in den Sang der Ruderer ein. Jeder der vier Dutzend Männer war ein hervorragender Seefahrer, der alle Küsten des Thalassomeeres kannte. Perrikles kannte sie alle mit Namen und ihre Taten waren ihm bekannt. Doch er wusste auch, dass Ponder dafür hatte sorgen lassen, dass der ein oder andere unter ihnen war, der Sinion oder einer der anderen poleis Bericht erstattete. Schließlich musste die Welt aus erster Hand von ihrer Heldentat erfahren – so sie ihnen denn gelang.

* * *

„Wind kommt auf! Und er kommt von Ost!“

Philipos’ erlösender Ruf erklang nach drei Tagen absoluter Flaute. Sie waren in diesen Tagen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auf See gewesen. Sie hatten voller Absicht diese ruhige Wetterlage für ihre Reise gewählt, voll der Hoffnung, an den Säulen eine so ruhige See wie möglich vorzufinden. Perrikles hatte sie daher nicht in einer Bucht auf Wind warten lassen können. Allerdings hatten sie in dieser Zeit pro Tag höchstens 200 bis 300 Stadien zurückgelegt.

Das sollte nun anders werden.

Perrikles nickte Buphalos zu, der sogleich die Befehle brüllte. Einige der Männer holten die Riemen ein und hissten das große Segel.

Und bald schon zeigte sich, dass Philipos wahrlich ein großartiger Kenner von Wind und Wetter war. Eine Brise begann das Segel zu erfassen und schnell blähte es sich in dem immer stärker werdenden Wind.

Schließlich ließ Perrikles Befehl geben, alle Ruder einzuholen. Er selbst stand wieder an seinem Platz an der Pinne. Er spürte geradezu, wie Laimons Schiff einen Satz nach vorn machte und immer schneller auf den kleinen Wellen dahinritt. Ein so leichtfüßiges Schiff hatte er noch nie besessen. Der Okeanide lächelte still und ergab sich voll seinem Element.

* * *

Drei weitere Tage später machten sie des Abends in einer stillen unbewohnten Bucht fest. Dies sollte ihre letzte Rast, ihre letzte ruhige Nacht werden, ehe sie sich den malmenden Strömen und Strudeln der Säulen des Herakles stellen wollten. In diesen Gegenden lebten keine Menschen, lediglich einige Barbarenstämme weiter im Landesinnern. Um diese mussten sie sich aber nicht sorgen, denn sie fürchteten das Wasser. Auch Tiere konnten ihnen hier keine gefährlich werden. Einfache Lagerfeuer reichten vollkommen aus, jedwedes Getier fernzuhalten. Und titanische Monstren aus alten Tagen gab es nicht mehr. Schon vor Urzeiten hatten die Götter und die altvorderen Helden die Mächte des Chaos besiegt und gebunden. Doch galt dies – so sagte man – nur für die Meere und Lande diesseits der Säulen.

Entsprechend trieb die Seeleute die nahende Aufgabe um. Schon seit zwei Tagen konnte man das Rauschen von ferne hören – und seit heute Morgen sahen sie das Wühlen der Wogen am Horizont gar.

So saßen sie schweigend an ihren Feuern. Auch als Buphalos und Philipos mit reicher Jagdbeute aus den umliegenden Wäldern kamen, hellte dies die Mienen der Männer nur wenig auf. Die meisten schlangen den folgenden Festschmaus hinunter, als sei er ihre Henkersmahlzeit.

* * *

„Wie geht es den Männern?“, fragte Perrikles, als Manolos zu ihm trat.

Der Okeanide hatte die erste Wache übernommen, sein Gefährte kam nun, um ihn abzulösen.

„Sie sind in guter Verfassung“, lautete die Antwort.

Manolos war ein großer Heilkundiger und sorgte sich auf dieser Fahrt unter anderem um die Gesundheit der Helden.

„Keine Muskelzerrungen, keine verdorbenen Mägen. Du wirst morgen über eine ausgeruhte Mannschaft im Vollbesitz ihrer Kräfte verfügen.“

Perrikles nickte darauf nur.

Nach einer Weile fügte Manolos hinzu: „Wie es um ihren Geist steht, kann ich hingegen nur erahnen. Niemand von ihnen will weichen, doch fragen sich einige, ob wir uns nicht der Hybris schuldig machen. Sei es nicht maßlos, denken sie, nur zum Ruhme Iorkos’ die für Menschen bestimmten Meere zu verlassen und zum Rande der Welt vorzudringen?“

Perrikles schaute dem Freund einen Moment lang in die Augen und dieser hielt dem Blicke stand.

„Ob es Hybris ist, dass wir die Säulen des Herakles durchfahren, entscheidet sich allein an unseren Motiven, es zu tun“, sagte Perrikles.

Dann reichte er dem Manolos seinen Speer und legte sich zur Ruhe.

* * *

So aber lautete die Rede, die Perrikles am Morgen des letzten Aufbruchs hielt:

„Die Götter haben die Lande um das Thalassomeer für uns Menschen wohl gefügt. Sie sind fruchtbar und bergen reiche Schätze. Man mag vermuten, dass hier allein der rechte Platz für Menschen sei, der Platz, den die Götter für uns bestimmt haben.

Warum also machen wir uns heute auf, diesen Ort zu verlassen, um ins Unbekannte, ja ins Chaos gar vorzustoßen? Wäre es nicht maßvoll und gottgefällig, seinen Platz in diesem wohlgefügten Ort zu finden und einzunehmen?

Wenn es so wäre, warum ist uns dann dieser Ausblick gewährt? Soll er uns eine Warnung sein? Soll er uns sagen: Sehet her! So unwirtlich ist die Welt außerhalb Thalassos!

Nein, meine Freunde! Die Götter warnen nicht. Aber sie haben uns Aufgaben hinterlassen. So wie sie uns übertragen haben, durch maßvolles Handeln die Ordnung des Kosmos zu erhalten, erwarten sie von uns, die titanischen Mächte des Chaos zu bekämpfen und zurückzudrängen, wo wir sie sehen. Und hier sehen wir sie.

Wenn ein Bauer wildes Land urbar macht, so ist dies keine Hybris, sondern er erfüllt den Willen der Götter. Wenn ein Baumeister aus rohem Stein ein Kunstwerk schafft oder an öder Küste eine Stadt errichtet, so trotzt er dem Chaos und folgt den göttlichen Gesetzen des Kosmos.

Auch diese Männer müssen Opfer bringen, wenn sie kargem Boden oder störrischem Fels ihren Willen aufzwingen. Ja, es ist ein Kampf, dem kosmischen Gesetz zum Recht zu verhelfen. Auch hinter den Säulen des Herakles wird uns Kampf erwarten – Kampf mit den Elementen, mit rauer See und starken Winden, mit tückischen Strömungen und schroffen Klippen. Doch wir nehmen diesen Kampf auf, denn die Götter erwarten es von uns. Natürlich soll sich kein alter Fischernachen hinaus auf den Weltenozean wagen. Aber dieses Schiff und diese Mannschaft sind dafür geschaffen.

Dies mag nur eine Erkundungsmission sein. Uns werden dereinst aber ganze Flotten folgen, die den Ozean und die Lande, die dort liegen mögen, bezwingen werden.

Sie alle werden sich der Sternenstaub und ihrer Mannschaft erinnern, die den ersten Schritt hinausgewagt haben.
Wagen wir es!“

* * *

Die Männer waren zu abgeklärt, um in Jubel auszubrechen. Doch sie sprangen allesamt mutig und freudig erregt auf, um ihre Arbeit aufzunehmen. Letzte Packstücke wurden an Bord geschafft und man machte sich daran, das Schiff vom Strand zu schieben. Nur kurze Zeit später erklang trotziger Gesang in der Bucht, als die Sternenstaub mit kräftigen Zügen aufs Meer hinaus gerudert wurde.

Perrikles und Buphalos standen gemeinsam an der Ruderpinne, als die ersten Strömungen das Schiff erfassten. Bald würde es die Kraft beider Männer erfordern, das Schiff auf Kurs zu halten. Die Ruder waren eingeholt und das Segel gerefft worden. Die Strömung allein sollte sie durch die Säulen des Herakles tragen.

Am Bug stand Philipos mit einigen Männern, jeder von ihnen mit einem kräftigen Staken bewehrt. Ihre Aufgabe war es, das Schiff von den schroffen Felsen fernzuhalten. Zudem sollte Philipos die Strömungen ergründen und erahnen, um den Steuerleuten zusätzlichen Rat zu geben.

Ein gewaltiger Stoß erfasste da mit einem Mal die Sternenstaub und riss etliche Männer von ihren Füßen. Selbst der gewaltige Philipos wurde von der Wucht auf ein Knie gezwungen und schlug mit dem Kinn gegen die Bordwand. Doch er rappelte sich flugs wieder auf, spuckte wie beiläufig einen Strahl Blut ins Meer und nahm erneut seinen Posten ein.

Es war allein der Geistesgegenwart des Perrikles zu danken, dass das Schiff nicht gänzlich herumgeworfen wurde und auf Kurs blieb.

„Solche Strudel kommen jetzt zum Dutzend auf ein Stadion!“, rief Philipos nach hinten. „Der nächste folgt jetzt!“

Diesmal waren die Männer vorbereitet und auch die nächsten Stöße dieser Art wurden dank der Warnungen des Philipos wohl gemeistert.

Doch es blieb nicht bei den Strudeln und Strömungen allein. Die enge Passage war geradezu gespickt mit winzigen schroffen Felsen, die teils Nadeln gleich nur knapp aus den Wogen ragten. Größere ließen sich – mit Mühe zwar – umschiffen, doch waren es die kleineren, welche die wahre Gefahr darstellten. Philipos und seine Männer am Bug erspähten sie oft erst im letzten Augenblick. Ein Ruf ließ Perrikles und Buphalos die Ruderpinne herumreißen, doch meist konnten nur noch beherzte Stöße mit den Staken eine Kollision verhindern.

Bei dieser Arbeit taten sich neben Philipos drei Helden besonders hervor: die Zwillinge Ringeus und Nisseus sowie ihr großer Bruder Freteus. Sie waren große Seefahrer und hatten in ihren jungen Jahren bereits ruhmreiche Taten vollbracht, die denen des Perrikles kaum nachstanden.

Ihnen war es zu danken, dass die Reise der Sternenstaub nicht bereits hier zwischen den Säulen des Herakles ihr Ende fand.

Philipos erspähte die kleine Felseninsel als erster. Und sogleich wurde er des gewaltigen Strudels gewahr, der unmittelbar davorstand. Auf seine Warnung hin lenkten Perrikles und Buphalos das Schiff sogleich in eine enge Kurve, doch der Sog des gewaltigen Strudels war zu stark. Er zog die Sternenstaub unerbittlich auf die schroffe Küste zu, die massiv genug war, um das Schiff in tausend Stücke zerspringen zu lassen.

So packten die Zwillinge gemeinsam einen Staken und Freteus und Philipos taten es ihnen gleich. Denn trotz aller Kraft, mit der Perrikles und Buphalos gegenhielten, trieb das Schiff immer weiter auf die Felsen zu.

Da stemmten sich die Männer in ihre Staken. Mit ganzer Kraft bremsten sie die Fahrt der Sternenstaub ab. Doch der Staken, den der Ringeus und sein Bruder Nisseus hielten, zerbarst ob der Wucht des Aufpralls. Bar jeden Halts stürzten die Zwillinge jäh über Bord in die Fluten und wurden nicht mehr gesehen.

Da schrie ihr Bruder auf vor Pein, doch hielt er tapfer den Staken und verließ seinen Posten nicht. Die Sternenstaub rammte den Felsen, doch die Planken hielten stand, da die Fahrt des Schiffes ausreichend aufgezehrt worden war.

Dennoch war Eile geboten, denn der Strudel drohte das Schiff zurückzuziehen, um es wieder und wieder gegen die Küste zu schlagen. Philipos rief weitere Männer zu sich, um das Schiff wieder vom Felsen abzustoßen. Perrikles aber hieß die übrigen, sich in die Riemen zu legen, denn von nun an mussten sie wieder aus eigener Kraft vorankommen.

Freteus aber, als er sah, dass seine Hilfe nicht länger erforderlich war, rannte ohne ein Wort zu sagen zum Heck des Schiffes. Und ehe man es sich versah, war er in die Fluten gesprungen, um nach seinen Brüdern zu sehen. Auch er verschwand in den Strudeln, ohne wieder aufzutauchen.

* * *

Den Helden aber blieb keine Zeit zu trauern. An Umkehr oder gar eine Bergung war nicht zu denken. So rief Perrikles unerbittlich seine Befehle über das schreckliche Rauschen der Strudel. Er hieß die Männer zu rudern, wie sie noch nie in ihrem Leben gerudert hätten. Denn es galt den Sog zu überwinden, der sie zwischen den Säulen und dem Mahlstrom dazwischen halten wollte. Hatten sie diese Strömung erst überwunden, so war es geschafft. Er wusste den Weltenozean in greifbarer Nähe.

* * *

Endlich war es vollbracht. Die Sternenstaub hatte die Strömung besiegt. Erschöpft saßen die Männer an ihren eingeholten Riemen. Perrikles hatte ihnen einen Moment der Rast gegönnt. Er selbst stand am Heck und spähte zu der Felseninsel zurück, die ihnen allen fast das Leben gekostet hatte. Drei Freunde und Mitstreiter hatten sie an den Mahlstrom zwischen den Säulen des Herakles jedoch verloren.

„Wir haben es tatsächlich geschafft“, sprach er zu Buphalos, der an seine Seite getreten war. „Doch um welchen Preis?“

„Sie wussten um den Preis“, erwiderte der Freund. „Wir alle wissen darum.“

Er reichte dem Perrikles einen Becher und füllte ihn mit Wein. Sich selbst schenkte er ebenfalls ein. Dann gossen beide schweigend das kostbare Nass ins Meer.

„Es ist zu früh für Trankopfer!“, erschallte da die Stimme des Philipos. „Wollt ihr unsere Freunde denn schon aufgeben? Kehren wir um und fischen sie aus den Fluten! Sie sind allesamt gute Schwimmer und mögen den Sturz überlebt haben.“

„Nein“, sprach Perrikles mit fester Stimme. „Zuviel Glück wäre erforderlich, dass es nur einen von ihnen nicht mit der Strömung in die Tiefe gerissen hätte. Und noch mehr Glück bräuchten wir, um eine weitere Fahrt durch die Strudel zu überstehen.“

„Wir müssen ohnehin umkehren“, ließ Philipos nicht locker. „Wir haben es geschafft, die Mission ist erfüllt. Kehren wir also lieber jetzt um, wo noch Hoffnung besteht, die Brüder lebend aus dem Meer zu bergen. Sollte sie auch noch so gering sein.“

„Die Männer sind erschöpft, Philipos.“ Der Okeanide sprach ruhig und ohne Zorn. „Die Sternenstaub hat einiges abbekommen. Sieh dich nur um. Wir können erst umkehren, wenn wir in einem sicheren Hafen ausgeruht und das Schiff ausgebessert haben. Andernfalls fahren wir direkt in den Tod.“

Und so ließ Perrikles das Segel hissen. Eine leichte Brise trieb das Schiff über den Weltenozean. Weder unirdische Stürme noch Seeungeheuer noch der Zorn der Götter behelligte die Helden. Vor ihnen lag nur leicht bewegte See, die sich bis zum Horizont ausdehnte.

3.

„Land!“ Der Ruf des Ausgucks riss die Männer aus ihrem erschöpften Schweigen. Die Tatsache, dass die Küsten hinter ihnen nur abweisend schroffe Felsen zeigten, hatte die Stimmung nicht gerade befördert.

Doch nun sprangen die Männer von den Ruderbänken und drängten sich schwatzend am Bug der Sternenstaub. Und wahrlich: am Horizont war eine flache Insel auszumachen, fast verborgen von den leichten Wellen. Zudem hatten die Tränen um die geliebten Kameraden den Männern die Blicke verschleiert. Doch nun sahen sie die nahe Insel klar und deutlich vor sich.

Perrikles tauschte einen kurzen Blick mit Buphalos und befahl die Männer an die Ruder. Ihr wiedererwachter Mut würde nicht lange vorhalten, sie mussten ihn nutzen, um die verheißungsvollen Gestade zu erreichen. Dort mochte genug Zeit sein, wieder Kräfte zu sammeln.

Und so legten sie sich erneut in die Riemen. Mit jedem Schlag wuchs der Mut der Männer, denn die Insel erwies sich mehr und mehr als der erhoffte sichere Hafen. Zwar konnte der Ausguck keine Mauern oder Behausungen ausmachen, doch sah er eine seichte Bucht mit flachem Strand und lockendem Grün. Es war wahrlich festes trockenes Land, auf das sie zuhielten und kein Trugbild übelmeinender Wesen des äußeren Ozeans.

Der Ausguck erging sich mehr und mehr darin, die Insel in schönsten Farben zu beschreiben:

„Ein sanfter bewaldeter Hang erstreckt sich hinter der Bucht. Palmen und Büsche mit saftigen Früchten wohl meint mein Auge zu erspähen. Und sehe ich dort nicht fette Ferkel aus dem Unterholz hervorlugen? Schaut den Schwarm bunter Vögel, der sich soeben in die Lüfte erhebt!“

Schienen die meisten seiner Worte eher poetische Ausschmückungen zu sein, hatte er mit den Vögeln recht. Zumindest drang alsbald das Gekreische und Geflatter eines aufgescheuchten Vogelschwarms an die Ohren der Helden, nur wenig später gefolgt von einer Handvoll Seevögel, die über die Sternenstaub hinwegzogen – diese waren allerdings weiß.

Der Ausguck hatte seine Beschreibungen darauf unterbrochen. Perrikles sah genau, wie er die Augen zusammenkniff, sich etwas vorbeugte und mit zweifelndem Gesicht zu murmeln begann.

„Was siehst Du, Orlandos?“, rief der Okeanide ihm zu.

Die Stimme des Ausgucks war nun bar jeder Euphorie, als er antwortete: „Hinter dem Wald scheint sich ein schwarzer Felsen zu erheben. Die Kuppe mag ich nur erahnen, doch wirkt sie mir seltsam …“

Im selben Moment sah Perrikles das Aufblitzen auf der Insel. Später wusste er nicht mehr zu sagen, wieso er dies als Bedrohung empfand. Er dachte nicht, er handelte. Kraftvoll riss er das Ruder herum und rief im gleichen Augenblick seine Befehle: „Steuerbordruderer einen Schlag aussetzen! Segel einholen! Schlagzahl verdoppeln!“

Die Mannschaft war wohl erlesen und perfekt eingespielt. Trotz der vergangenen Strapazen reagierte sie wie ein Mann. Der Kurswechsel erfolgte auf der Stelle. Der Flammenball schlug daher dort ins Meer ein, wo sich die Sternenstaub ohne Perrikles’ Reaktion befunden hätte.

Die Wucht dieses Einschlags reichte jedoch aus, eine gewaltige Welle zu erzeugen, die das Schiff zum Kentern brachte.

* * *

Prustend stießen einige der Männer an die Wasseroberfläche, sahen sich kurz um und schwammen sofort zum umgekehrten Rumpf der Sternenstaub. Die Männer waren erfahren genug, um sich an der von der Insel abgewandten Seite zu sammeln. Perrikles stieß als letzter zu ihnen. Er hatte wassertretend in den Wellen ausgehalten, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Buphalos, der nur wenige Augenblicke vor ihm den Schiffsrumpf erreicht hatte, fragte: „Wie viele hast Du gezählt?“

„Ich vermisse Orlandos, Vigo, Kellon und Elias.“

Buphalos nickte darauf nur.

Perrikles aber wandte sich dem Philipos zu: „Wie schätzt du die Strömung ein?“

„Sie treibt uns langsam, aber sicher der Insel entgegen. Binnen eines Tages würde ich schätzen wird die Sternenstaub ans Ufer gespült – oder das, was von ihr übrig ist.“

„Das Schiff wird größtenteils unbeschädigt sein und verfügt noch immer über eine intakte Mannschaft“, wies der Okeanide ihn zurecht.

Lauter sprach er zu den Männern: „Höret! Wir werden diesen Angriff nicht unerwidert lassen. Die Strömung wird uns automatisch ans Ufer der Insel treiben. Verbergen wir uns im Rumpf des Schiffes, dort wird ausreichend Luft für uns sein. Man wird uns für Strandgut halten und nicht ahnen, dass wir noch immer zahlreich und kampfbereit sind. Zudem werden wir dort die Sternenstaub wieder auf ihren Kiel drehen und Seetüchtig machen, um alsbald die Heimreise antreten zu können. Iorkos muss von all dem hier erfahren.“

Und so taten sie es. Tatsächlich war unter dem umgekehrten Schiffsrumpf ausreichend Platz und Luft zum Atmen. Da die Waffen fest unter den Ruderbänken festgezurrt waren, fehlte ihnen nicht ein Schwert, nicht eine Lanze und nicht ein Pfeil. Wer immer sie dort erwarten mochte, er würde sie nicht wehrlos antreffen. Und da bei den Waffen auch ausreichend Proviant festgemacht war, würden sie auch gestärkt sein.

Doch derartige Dinge besprachen sie nicht. Schweigend hingen die Helden in Seilen und an Balken, die ihnen Halt boten. Das Meerwasser war warm genug und es ließ sich auch kein menschenfressendes Getier blicken. Einige Männer dösten, andere aßen und dritte lauschten dem Manolos, der flüsternd einen Lobsang auf die Vermissten rezitierte und sie den Göttern in strahlendem Lichte empfahl. Einschließlich der drei Brüder hatten sie nun ein Dutzend guter Männer verloren.

* * *

Ein heftiger Ruck riss die dösenden Männer nach einem guten Tage aus Hypnos’ trügerischem Rausche. Perrikles erfasste die Situation sofort.

„Der Mast ist auf Grund gelaufen“, sagte er.

Das umgestürzte Schiff trieb einen Augenblick zurück, ehe es wieder die vorherige Richtung einschlug.

„Wir sind im Einflussbereich der Brandung“, fügte der Okeanide lauter hinzu. Alle Männer hörten ihm nun aufmerksam zu.

„Wir sind hier nicht mehr sicher. Bald könnte der Mast brechen. Wir sind aber auch nicht mehr fern des Ufers. Gürtet eure Waffen und dann raus hier!“

Buphalos hatte bereits nach den ersten Worten verstanden und war sofort für eine kurze Erkundung hinausgetaucht. Schnell war er zurück und gab mit einem Nicken zu verstehen, dass die Lage vorerst sicher sei.

Nur wenig später schwammen die drei Dutzend verbliebenen Männer in Richtung Ufer. Die Sternenstaub kämpfte hinter ihnen kläglich in der Brandung, wurde herumgeworfen und gegen den Grund gedrückt.

Perrikles erlaubte sich nur einen kurzen Blick zurück. Wehmut wurde jedoch von trotzigem Tatendrang verdrängt. Auch wenn der Mast brach, sie würden das stolze Schiff alsbald an Land ziehen und wieder in Stand setzen.

Am Strand angekommen gönnte er den Männern keine Ruhe, auch wenn der breite Uferstreifen und der nahe lichte Wald leer von Feinden schienen. Perrikles hieß sie sogleich am Waldesrand in der Nähe einiger Felsen ein Lager zu errichten und dieses zu befestigen. Er teilte Wachen ein und schickte zwei Männer als Späher auf die Felsen.

Buphalos übernahm erneut die Aufgabe des Erkunders und drang heimlich in den umliegenden Wald ein. Eine Stunde später gab er Perrikles Bericht:

„Im Umkreis von zehn Stadien ist alles ruhig. Ich habe nur Spuren von Wild gefunden. Hier ist vermutlich noch nie ein Mensch gewandelt. Dahinter endet der Wald und geht in eine karge Felslandschaft über. Die Insel ist offenbar größer, als sie zunächst schien. Ein paar skhoinoi mag sie durchmessen – eine Tagesreise vielleicht.“

„Und der schwarze Felsen, den Orlandos gesehen hat?“, fragte Perrikles.

Buphalos zögerte zunächst, ehe er antwortete: „Ich bin mir nicht sicher. Der Wald endet in einer Senke. Mein Blick reichte nur bis zu den Felskuppen, die mir recht gewöhnlich erschienen. Was dahinter hervorragte, konnte ich nur erahnen.“

Perrikles hakte nicht weiter nach. Vage Eindrücke brachten sie nicht voran.

„Wir werden selbst nachschauen müssen“, sagte er. „Doch zunächst müssen wir unser Lager befestigen und uns an die Bergung der Sternenstaub machen. Sobald die Reparaturen beginnen können, bilden wir einen Stoßtrupp und brechen auf.“

„Was meinst du? Werden wir auf Mannen Sinions treffen?“, frug Buphalos.
Perrikles aber schwieg darauf.

* * *

Doch so geschah es: Unter den Männern waren etliche geschickte Baumeister. Sie fällten Bäume und errichteten in wenigen Tagen ein befestigtes Lager, das sich sicher an die umliegenden Felsen schmiegte. Andere übernahmen die Jagd und durchstreiften den Wald nach schmackhaftem Wild. Dabei betraten sie aber niemals das offene Gelände hinter den Bäumen. So hatte Perrikles es ihnen eingeschärft. Bald hatte man sich wohnlich eingerichtet und die wenigen Verletzten genasen unter der Pflege des Manolos.

Derweil hatten Perrikles, Buphalos und Philipos die Bergung der Sternenstaub geplant. Schon in den ersten Tagen hatte sie sich auf einer Sandbank, vielleicht ein Stadion vor dem Ufer, festgesetzt. Im feinen Strandsand hatten die drei Helden – die allesamt bei Laimon und anderen weisen Philosophen in der Lehre waren – Berechnungen angestellt und kluge Maschinen konstruiert. So konnten sich die Baumeister sogleich daran machen, das erdachte Floß mit Kran und Flaschenzug zu errichten. Damit sollte die Sternenstaub vor Ort auf den Kiel gehoben werden, um sie dann ans Ufer zu rudern.

In all den Tagen und Wochen, die hierbei verstrichen, blieben die Helden gänzlich unbehelligt.

4.

Steinernen Blickes saß König Ponder auf seinem Throne und folgte dem Gespräch, das sein geheimer Ratgeb Merkantor mit den drei ausgemergelten Gestalten führte. Man hatte sie im Morgengrauen fast leblos vor Iorkos Toren gefunden. Man war barmherzig in diesen Landen. Und so waren sie aufgehoben, gepflegt und gestärkt worden. Es hatte bis zum Abend gedauert, bis sie Bewusstsein und Sprache wiedergefunden hatten. Sogleich gaben sie sich als die Brüder Freteus, Ringeus und Nisseus zu erkennen und verlangten, zum König gebracht zu werden.

Man hatte ihnen zunächst keinen Glauben schenken wollen, da ihre abgekämpften Gestalten kaum mehr etwas an sich hatten, was an die strahlenden Helden erinnerte. Doch ein alter Kämpe, den man hinzugezogen hatte, erkannte die Brüder – und so saßen sie nun hier.

Ponder hatte bereits Schlimmes geahnt, als man ihm davon berichtete. Was die drei Brüder nun erzählten, übertraf diese üblen Ahnungen jedoch um einiges.

„So habt ihr mit eigenen Augen gesehen“, frug Merkantor soeben nach, „wie die Sternenstaub von einem flammenden Geschoss getroffen und umgeworfen wurde?“

Die Brüder nickten nur stumm. Ihr Bericht war lang und von etlichen Zwischenfragen Merkantors unterbrochen worden. Nun hatten sie das Ende ihrer Kräfte erreicht. In sich zusammengesunken hockten sie auf ihren Schemeln. Es würde noch Tage dauern, ehe sie wieder halbwegs bei Kräften waren. Merkantor trat an den Thron heran und wartete auf eine Reaktion seines Königs.

„Was haltet ihr davon?“, frug dieser schließlich. „Kann diese unglaubliche Geschichte wahr sein?“

Der Ratgeb zögerte nicht mit seiner Antwort: „Es mag alles sehr unwahrscheinlich klingen – dennoch scheint mir zunächst alles stimmig und glaubhaft.

Nie ist jemand lebend aus dem Mahlstrom der Säulen des Herakles zurückgekehrt. Aber diese drei Männer sind die besten Schwimmer seit der Zeit der Helden. Warum sollen sie nicht an einen Baumstamm geklammert von dem Felsenriff entkommen sein, wie sie berichten?

Auch wissen wir nichts genaues über die Meere außerhalb der Säulen. Doch gibt es Lagerfeuergeschichten nubischer Karawanen, in denen von Inseln am Horizont des Weltenozeans die Rede ist.

Und warum schließlich sollten uns die Brüder, die ich treu an Iorkos Seite weiß, belügen? Ich habe sie handverlesen – genau wie die Männer Sinions, die an Bord sind.“

König Ponder nickte. „Gut, so schenken wir ihnen einstweilen Glauben. Das hieße dann aber, dass die Sternenstaub gezielt angegriffen wurde. Was sagen deine nubischen Legenden denn über die Bewohner dieser Inseln?“

„Sie behaupten, dass im Großen Ozean kein menschliches Wesen lebt. Die Inseln seien wild und unberührt.“

Ponder stöhnte auf, wie unter einer Last. „Wir müssen also davon ausgehen, dass Sinion sein Schiff vor uns durch die Säulen gebracht hat. Früh genug, um Kriegsmaschinen auf dieser Insel zu errichten. Zudem verfügen sie nun – wenn wahr ist, was die Brüder sagen – endgültig über das Danaische Feuer. Die Sternenstaub fuhr unter Iorkischem Segel und war weithin als eines unserer Schiffe zu erkennen. Es war ein gezielter Angriff. Eine gewaltige Demonstration ihrer Stärke.“

Traurig fügte er hinzu: „Das bedeutet Krieg.“

Merkantors Züge blieben unbewegt. Erst auf Ponders fragenden, ja hoffenden Blick ergriff er wieder das Wort: „Es mag so scheinen, wie ihr sagt, o Ponder. Doch gebe ich drei Tatsachen zu bedenken. Zwei davon mögen euch für einen Moment entfallen sein. Die dritte aber ist mir selbst erst seit kurzem bekannt.

Zum einen: Sinion versucht sich schon seit einigen Jahren an Danaischem Feuer – mit zweifelhaftem Erfolg. Erst vor drei Monden hatte ich euch vom Großbrand in der mit Sinion verbündeten Hafenstadt Kitai berichtet. Sie können es noch nicht beherrschen.

Zum andern: Erklärt Perrikles und seine Mannen erst für tot, wenn ihr ihre Leiche vor euch liegen seht. Die Brüder berichteten vom Kentern nicht von der Zerstörung der Sternenstaub. Der Okeanide ging schon aus weitaus dramatischeren Lagen siegreich hervor.“

Hier unterbrach ihn der König mit einer unwirschen Geste. „Bisher habt ihr mir keine hilfreichen Tatsachen genannt, Merkantor. Ihr bietet mir trügerische Hoffnung mit Spekulationen. Soll ich auf dieser Grundlage etwa abwarten?

Kitai mag ein Unfall gewesen sein – kein Beweis, dass sie das Feuer nicht doch ausreichend beherrschen. Und Perrikles mag überlebt haben, ja er mag es sogar heil zurück nach Iorkos schaffen.

Doch was ändert dies alles daran, dass Sinion uns angegriffen hat? Welche dritte Tatsache könnt ihr mir nennen, die mich davon abhalten würde, Heer und Flotte gen Sinion in Marsch zu setzen?“

Merkantor antwortete ruhig doch rasch: „Ja, Sinion hat schon vor langer Zeit von unseren Plänen, die Säulen zu durchqueren, erfahren und strebte mit allen Mitteln danach, uns zuvorzukommen. Doch vor einem Tage erst erreichte mich eine Nachricht.

Und so sage ich euch zum Dritten: Sinion hat eine kleine Flotte aus drei Schiffen in Marsch gesetzt. Alle drei wurden vor einer Woche von Piraten aufgebracht und versenkt. Sinion hat nicht ein einziges Schiff auch nur in die Nähe der Säulen des Herakles gebracht.“

5.

Ein guter Monat war vergangen, da lag die Sternenstaub auf dem Strand der Insel – sie hatten sie ob der halbmondförmigen Bucht Selenos getauft – auf Kiel. Man hatte die Schäden begutachtet und für behebbar befunden. Ein neuer Mast musste errichtet und einige Planken ausgebessert werden. Alle waren zuversichtlich, dass sie dieses Schiff bald wieder in die Heimat tragen konnte.

Perrikles allein schien die sich hebende Stimmung nicht teilen zu wollen. Sein Gefährte Buphalos sah ihn oft Seitenblicke in Richtung des Waldes und der Hügel dahinter werfen. Zudem ließ Perrikles tagtäglich Kampfspiele abhalten, um die Männer wehrhaft zu halten. Auch wenn keiner von ihnen den Angriff vergaß oder in der Wachsamkeit nachließ – in des Okeaniden Herz allein brannte der ungebrochene Wille, die Unbekannten zu suchen und zu konfrontieren.

Am Abend vor dem Aufbruch des Stoßtrupps kam es gar zu kurzem Streite, da einige Männer dafür plädierten, im Schutze der Nacht von Selenos zu verschwinden und die Heimat anzusteuern. Doch Perrikles erstickte diesen Streit im Keime.

„Wollen wir uns feige davonstehlen?“, rief er zornig in die Runde. „Wie würde man in der Welt über Iorkos Helden sprechen, wenn wir dies täten?“

Weitere Worte waren nicht notwendig. Selbst Philipos, der kurz den Aufmüpfigen zugeneigt war, sprach darauf für den Plan des Okeaniden. Und so ward es entschieden.

Der Stoßtrupp des Perrikles bestand aus einem Dutzend Männer, darunter Buphalos, Philipos und Manolos. Er wählte jene Männer, die bessere Krieger denn Baumeister waren. Denn die zurückgebliebenen sollten die Arbeiten an der Sternenstaub beenden. Sein Befehl lautete zwei Wochen auf den Stoßtrupp zu warten. Wenn sie bis dahin nicht zurückgekehrt waren, sollten sie dennoch im Schutze der Nacht aufbrechen, um Iorkos Bericht zu erstatten.

* * *

Im Morgengrauen brachen sie auf, wohl bewaffnet und nur mit leichtem Gepäck. Buphalos schritt mit Perrikles voran, da er die Insel am weitesten erkundet hatte.

„Sinions Lager wird gut befestigt sein“, sprach er leis, damit die anderen sie nicht hörten. „Sie scheinen schon länger hier zu sein, wenn sie Zeit hatten, Kriegsmaschinen zu errichten. Allein, es quält mich die Frage, wieso sie die ganze Zeit nicht nach uns gesehen haben.“

Perrikles blickte den Freund ausdruckslos an.

„Dies ist nicht die einzige Frage, die du dir stellen solltest“, erwiderte er schließlich. „Wieso liegt das Lager auf der gegenüberliegenden Seite der Insel – und nicht auf jener, die den Säulen zugewandt ist? Welche Kriegsmaschinen mögen es sein, die von dieser Position das Danaische Feuer gezielt hatten auf uns werfen können? Und endlich: Wer hat die Macht, derartige Wunderwerke nicht nur zu erdenken, sondern sie auch unbeschadet durch die Säulen auf diese Insel zu schaffen? Sinion?“

Buphalos schwieg darauf. Er umfasste seinen Speer fester und versuchte sich nicht auszumalen, wer oder was dort auf sie warten mochte.

* * *

Der Wald war schnell durchquert. Vor ihnen lag nun offenes felsiges Gelände, das in einiger Entfernung in Hügeln endete.

Sie entschieden sich dagegen, es weiträumig zu umwandern. Die Hügel mochten ihnen Sichtschutz gewähren – auch wenn ein einziger Späher auf der Kuppe genügte, sie in einen Hinterhalt laufen zu lassen. Doch dies hätte auch für jede andere Route gegolten. Auf direktem Wege waren sie wenigstens am schnellsten.

Schweigend zogen sie durch das karge Land. Ihre Wasserschläuche hatten sie zuvor wohl gefüllt. Doch die gleißende Sonne zehrte an ihnen, dass es all ihre Willenskraft erforderte, nicht alles sogleich zu trinken.

Nach einer guten Stunde Marsch hatten sie die Füße der Hügel erreicht. Mit einem Handzeichen befahl Perrikles die erste Rast. Sich selbst aber gönnte er keine Ruhe. Während die Männer sich setzten und an ihrem Trockenfleisch kauten, erklomm er gemeinsam mit Buphalos die nächste Kuppe.

Doch ehe sie einen Blick auf die Lande dahinter wagten, hieß Perrikles den Freund innezuhalten. Dann nahm er seinen Dolch, benetzte ihn mit Wasser und begann schweigend sich zu rasieren. Buphalos konnte den Freund zunächst nur entgeistert anblicken. Als er die Sprache wiederfand, sagte er:

„Dass ich das noch erleben darf. Der große Perrikles hat einen Sonnenstich. Was verschwendest du unser kostbares Wasser?“

„Schweig!“, erwiderte der Okeanide. „Nimm deinen Dolch und tue es mir gleich. Oder willst du, dass man uns für bärtige Barbaren hält, wenn wir auf unsere Gegner treffen?“

Da lachte der Buphalos auf und sprach: „Was schert es mich, für wen mich die Hunde Sinions halten? Ich werde mir den Bart scheren, wenn er von ihrem Blute getränkt ist.“

„Du glaubst noch immer, dass dort Mannen aus Sinion lagern? Freund, ich habe dich für weiser gehalten.“

Darauf schwieg Buphalos, nahm seinen Dolch und barbierte sich ebenfalls.

* * *

Wenig später nur lagen sie auf der Kuppe des Hügels und schauten schweigend die Lande dahinter. Von hier aus konnten sie das Ende der Insel schauen und die Meere dahinter. Doch fesselte ihren Blick etwas gänzlich anderes.

„Mir scheint, dich erstaunt dieser Anblick nicht sonderlich“, flüsterte Buphalos schließlich. „so sage mir: Dieses schwarze … Riff, was mag das sein? Ein Palast?“

Was sie da sahen, mochte noch gut und gern drei, vier Stunden Marsch entfernt sein. Doch es ragte so gewaltig auf, dass man es weithin erkennen konnte.

„Nein, Buphalos“, sprach Perrikles da mit ruhiger Stimme. „Ein Palast ist dies nicht. Siehe, es liegt noch vor der Küste im Wasser – also muss es ein Schiff sein. Und wenn du seine Form genauer betrachtest, musst auch du gestehen, dass es einem Schiff mehr ähnelt als allem anderen.“

Wieder brauchte der Freund einige Augenblicke, ehe er die Sprache wiederfand – doch war es kaum mehr als ein Krächzen:

„Wer kann so etwas gewaltiges bauen? Es scheint mir aus purem Erz geschmiedet und ist größer als Ponders Palast. Nein, das da stammt wahrlich nicht aus Sinions Häfen. Hephaistos persönlich hat es in seinen Feuerhöhlen geschmiedet – und Götter oder Titanen befahren damit den Weltenozean.“

„Schweig stille, alter Narr!“, fuhr ihm da Perrikles ins Wort. „Wozu brauchen Götter ein Schiff? Und sie werfen schon gar nicht mit Danaischem Feuer um sich – und treffen dann nicht einmal. Nein, das sind keine Götter. Sieh doch hin! Ihr Schiff, so gewaltig es sein mag, ist leicht zur Seite geneigt. Und ist es nicht auf Grund gelaufen? Ich sage dir: Dort unten ist man nicht minder verzweifelt, als wir es sind.“

Buphalos sann einen Moment nach und sprach dann: „Was nun?“

„Wir müssen schnell in die Deckung des Waldes dort unten gelangen. In seinem Schutz dringen wir bis zur Küste vor. Dort erkunden wir die Möglichkeiten, in das Schiff vorzudringen oder Kontakt zu seinen Insassen aufzunehmen. Und dann verhandeln wir – oder kämpfen!“

„Selbst wenn es keine Götter sind, Perrikles, willst du wahrlich einen Waffengang mit einem Volk wagen, das eherne Schiffe bauen und über eine ganze Insel hinweg Danaisches Feuer schleudern kann?“

„Du weißt am besten“, fuhr der Okeanide den Freund erneut an, „dass all dies nur eine Frage der Mittel ist. Ein Schiff zu bauen, Dinge zu schleudern, egal wie groß, egal wie weit – es ist nur Mathematik. Und die beherrschen wir ebenso. Gib uns ausreichend Erz und die Baupläne der Maschinen, die dort unten stehen – und wir werden sie ebenfalls bauen können.“

Buphalos nickte darauf kaum merklich.

„Ja, ich weiß“, murmelte er dazu. „Gib mir einen festen Punkt und einen langen Hebel – und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“

* * *

Und so geschah es: Perrikles rief die Männer zu sich auf die Kuppe. Ihre Furcht ob des Anblicks des gewaltigen Schiffes erstickte er mit wohlgesetzten Worten im Keime. Es war Philipos, der in die Mutrede einstimmte und an die Taten der alten Helden gemahnte, die titanischen Monstren trotzen und obsiegten. So traten sie den Abstieg von der Kuppe an. Das ungeschützte Gelände wollte flugs passiert sein.

Sie hatten den halben Weg zum schützenden Wald zurückgelegt, als es an dem ehernen Schiff aufblitzte. Perrikles’ Warnruf wurde von einem fürchterlichen Knall überlagert, der nur kurz darauf erfolgte. Mit einem gewaltigen Donner, als wäre ein Blitz mitten zwischen sie gefahren, versank alles um sie herum in Staub.

Taubheit und Blindheit legte sich über Perrikles und er wähnte sich von einem Moment auf den anderen allein auf der Welt. Es hatte ihn von den Füßen gerissen und etliche Schritt durch die Luft geschleudert. Den Speer hatte er dabei fahren lassen, doch erkannte er mit schnellen Griffen, dass Schwert, Bogen und Pfeile noch fest an seinem Leib verschnürt waren. Doch außer dem Gefühl war ihm nichts geblieben.

So raffte er sich mit schmerzenden Gliedern auf und kroch weiter bergab, wo er den sicheren Wald wähnte. Bald kehrte sein Gehör zurück und er vernahm schmerzerfülltes Geschrei. Dann lichtete sich der Staub und er sah die ersten Baumreihen direkt vor sich.

Schnell blickte er sich um. Nur wenige Schritt entfernt erspähte er Buphalos und einige andere Männer, die es ebenfalls bis zum Wald geschafft hatten. Die Schreie kamen vom Berghang, wo sie – was auch immer es war – getroffen hatte. Philipos und Manolos hoben dort gerade einen der ihren auf, um ihn in die Deckung der Bäume zu tragen.

Es war ein schrecklicher Anblick. Dort, wo sie vorhin noch marschiert waren, klaffte ein Loch. Darum verstreut lagen die reglosen Leiber mehrerer Gefährten.

Perrikles erhob sich und rief die Männer zu sich. Er hieß sie, sich weiter in den Wald zurückzuziehen.

„Wie geht es ihm?“, fragte er knapp in Manolos’ Richtung, als Philipos und er den Verwundeten auf den Waldboden betteten.

Der Heilkundige antwortete leis: „Etwas hat ihn bei dem Einschlag des Donnerkeils am Schenkel getroffen. Das Bein ist hinüber und muss wenigstens geschient werden – wenn wir es nicht gar abnehmen müssen. Ansonsten scheint er unversehrt. Er wird überleben – darf aber vorerst keinen Schritt mehr tun.“

Dann machte sich Manolos daran, aus einem zerbrochnen Speer eine Beinschiene für den Unglücklichen zu fertigen.

Von dem Dutzend Männer waren ihnen nach dieser Attacke nur mehr neun geblieben. Sieben davon hatten sie immerhin ohne größere Blessuren überlebt. Einer nur hatte Wunden am linken Arm, dass er diesen kaum mehr regen konnt.

Da erfüllte die Helden gerechter Zorn. Perrikles befahl dem Rossos, so hieß der am Arm Verwundete, bei Canon, dieses war jener mit dem zerschmetterten Bein, zu bleiben und über ihn zu wachen. Die Sieben aber prüften ihre Waffen und zogen gegen den Feind.

„Rechnen wir damit, dass man dieses Mal nach uns sehen wird“, hatte Perrikles zuvor gesagt und entsprechende Kampfbereitschaft befohlen.

So schlichen sie in loser Kette durch das Holz, die Schwerter in der Faust und Pfeile auf den Sehnen. Nicht lange und sie vernahmen ein leises Schnaufen von Ferne, das stetig näherzukommen schien. Den Wald hatten sie nun fast durchmessen. Perrikles hieß die Männer per Handzeichen innezuhalten und wies Buphalos zu einem kurzen Botengange an. Die sechs anderen aber schanzten hinter Bäumen und kleineren Felsen.

* * *

„Es sind zwölf.“

Lautlos war Buphalos an des Okeaniden Seite getreten und gab nun flüsternd Bericht.

„Sie kommen in breiter Phalanx auf den Wald zu. Langsam nur, aber in wenigen Augenblicken werden sie hier sein. Titanengezücht, das von ferne ehernen Männern gleicht. Doch haben sie Speere und seltsame Rohre anstelle von Händen und Armen. Ihre Leiber und Glieder, ja die Häupter gar glänzen wie schwarzes Eisen in der Sonne. Sie schnaufen dabei wie eine Horde Bullen und stoßen weißen Dampf aus.“

Perrikles nahm die Worte mit einem Nicken zur Kenntnis. Das Schnaufen war derweil immer lauter geworden und da erspähte er die ersten der Gestalten, die genauso aussahen, wie Buphalos sie beschrieben hatte.

Da sprach er leis zum Freunde: „Selbst in den Ehernen Menschen der ersten Zeitalter floss Blut. Die Sage will, dass eine Ader offen an der Ferse pochte und sie somit verwundbar waren. Auch jene Gestalten dort werden verwundbar sein.“

Und so richtete er sich auf, legte einen Pfeil auf die Sehne, zielte wohl und schickte sein Geschoss direkt in den Hals des vordersten Dampfmannes. Das scharfe Auge des Okeaniden hatte erkannt, dass dieser aus einer lederartigen Substanz bestand. Der Pfeil drang mühelos ein und riss eine Wunde, aus der sogleich mit großem Gebrüll eine gewaltige Dampfwolke entstieg, die den Eisenmann komplett verhüllte. Unter unirdischem Kreischen sank er darnieder.

Da erfasste die Gefährten neuer Mut. Auch sie legten Pfeile auf und ließen sie im Hagel auf den unheimlichen Feind niedergehen. Doch rückte dieser nun schneller vor – und es traf auch längst nicht jedes Geschoss sein Ziel. Die meisten prallten an den eisernen Leibern der Gestalten ab. Besser gezielte Pfeile wurden gar von einigen Dampfmännern mit ihren Speerarmen aus der Luft geschlagen. Drei jedoch trafen ihr Ziel und dezimierten den Gegner um ein weiteres.

Da zog Perrikles sein Schwert und rief somit zum Angriff. Mit wenigen Sprüngen sollten sie heran sein – doch kamen nicht alle Helden Iorkos’ so weit. Die Dampfmänner nämlich hoben ihre Röhrenarme und ließen mit lautem Getöse Garben kleinster Geschosse los. Ein Mann wurde voll an der Brust getroffen und sank sofort darnieder. Zwei andere wurden am Arm erwischt, was sie in ihrem Zorn jedoch nicht aufzuhalten vermochte.

Perrikles aber entging der Titanenwaffe durch seine Geistesgegenwart. Er warf sich mit einer Rolle zu Boden, ließ den Donner über sich vorbeifahren, kam sogleich wieder auf die Beine, sprang mit einem gewaltigen Satz in die Höhe und stieß einem Skorpion gleich sein Schwert in den verwundbaren Hals des Dampfmannes. Noch im Sprung zog er die Klinge wieder hervor und kam sicher auf die Füße, ehe sein Feind zischend auf die Knie sank. Sogleich wandte er sich dem nächsten Gegner zu.

Die Helden kämpften tapfer. Schnell entdeckten sie weitere verwundbare Stellen an den eisernen Leibern. Jedes Gelenk schien von jener lederartigen Substanz zu sein. Die guten Schwerter aus Iorkos’ besten Schmieden durchdrangen sie mühelos. Doch wollten diese Schwachstellen auch getroffen sein.

Auch die scheinbar plumpen Dampfmänner erwiesen sich als schnell und geschickt im Nahkampf. Auch waren sie von titanischer Kraft. Zwei der Mannen Iorkos’ fielen unter Hieben, die sie beinahe entzweischlugen.

Weitere Gefahren waren der kochend heiße Dampf, der ihren Wunden entströmte, sowie ihre Leiber, die sich im Kampfe bis zur Glut aufzuheizen schienen. Manolos, den bereits die Schrotladung am Arme erwischt hatte, wurde zusätzlich am Bein verbrüht, als er mit einem geschickten Streich die Kniekehle eines Eisenmannes durchtrennte.

Übler noch traf es Konos, der nach Philipos der stärkste unter den Helden war, und den man weithin den Enthaupter nannte. Mit seinem gefürchteten Hieb wollte er einem der Dampfleute das Schicksal etlicher seiner Feinde bescheren.

Doch schienen die Kreaturen in ihrem ledrig weichen Hals einen Nacken aus Eisen zu haben. Denn das scharfe Schwert des Konos, das sonst jeden Knochen wie Butter durchtrennte, blieb dem Dampfmann buchstäblich mitten im Halse stecken. Als der Iorker seine Klinge herausziehen wollte, fiel ihm sein Feind reglos entgegen. In einer kochenden Dampfwolke stürzte er auf Konos und begrub ihn unter sich, wo der Held elendiglich verbrannte.

* * *

Als sich die Dampfschwaden legten und die Schreie der Sterbenden verklangen, standen nurmehr vier Helden aufrecht: Perrikles, Buphalos, Philipos und Manolos. Schweigend betrauerten sie ihre Gefährten. Eilig legten sie ihre Leiber samt Waffen und Wehr in das Unterholz des nahen Waldes, um sie alsbald – so die Götter wollten – in Sicherheit bringen zu können.

Philipos aber trat an einen der Dampfmänner heran, den er selbst gefällt hatte, und begann mit dem Schwerte an seiner Brustwehr zu hantieren.

„Was tust du?“, herrschte Perrikles ihn an. „Wir müssen schleunigst weiter.“

„Ich habe ein Anrecht auf meine Beute“, sagte der andere darauf. „Ich habe diese Kreatur erlegt – also gehört seine Rüstung mir.“

Als er so sprach, sprang die Brust des eisernen Leichnams mit einem Male auf. Eine metallene Spinne sprang daraus hervor und wollte dem Schlachtfelde entkommen. Doch Philipos trat geistesgegenwärtig nach dem Insekt und zerquetschte es unter seiner Sandale. In der offenen Brust des Dampfmannes kamen nun Drähte, Schläuche und allerlei kluge Apparaturen zum Vorschein.

„Was …?“, brachte Philipos nur hervor.

„Hast du es noch nicht begriffen?“, frug der Okeanide streng. „Diese Dinger sind Maschinen – ausgefeiltes Kriegsgerät, das auf dem Prinzip des Aeolsballes basiert. Keine Titanen, keine Götter, keine Menschen.“

Ehe ein andrer etwas erwidern konnte, öffneten sich auch die Leiber der anderen Dampfleute und entließen die spinnenartigen Apparate.

„Schnell!“, schrie Perrikles. „Sie wollen Verstärkung holen!“

Mit flinken Streichen erledigten sie die Hälfte der Spinnenapparate – die andere Hälfte fiel unter wohl gezielten Pfeilen.

Die Helden hatten gerade ihren Marsch auf das feindliche Schiff fortgesetzt, als entsetzliches Geschrei aus dem Wald hinter ihnen drang. Die Männer waren darob so erschüttert, dass sie die eiserne Spinne kaum wahrnahmen, die kurz darauf an ihnen vorbei raste – und Perrikles hatte keinen Pfeil mehr im Köcher.

* * *

Von der Kraft des Zornes erfüllt, liefen Perrikles, Buphalos und Philipos nun geradewegs auf das fremde Schiff zu, das immer größer und bedrohlicher vor ihnen aufragte. Manolos, der ob seiner Verwundungen langsamer vorankam, folgte ihnen nicht minder entschlossen.

Kurz nur hielten die Helden inne, als von dem Schiff ein Flammenball aufstieg und in hohem Bogen über sie hinweg zog, um am anderen Ende der Insel niederzugehen. Niemand kommentierte dieses Schauspiel. Ein jeder konnte sich denken, was es zu bedeuten hatte. Ihr Lager würde bei ihrer Rückkehr nicht mehr existieren.

6.

Die Helden hatten sich nur ein knappes Stadion vor dem Ufer hinter einem Felsen verschanzt. Wie eine Klippe ragte das schwarze eiserne Schiff vor ihnen auf – und nichts regte sich dort. Mit leichter Neigung lag es auf dem Ufergrund und wirkte wie die tote Hülle eines gewaltigen Meerestieres. Die Schiffswände waren hochgeschlossen – nur an einer Stelle klaffte eine rechteckige Öffnung, von der eine metallene Rampe zum Ufer führte. Die Gefährten schwiegen, bis Manolos zu ihnen gestoßen war.

„Wir haben keine Wahl“, sprach Perrikles da leis. „Wir müssen die Gefahr, die von diesem Schiff ausgeht, ein für alle Mal beseitigen – oder an dem Versuch zugrunde gehen. Anders werden wir diese Insel nicht sicher verlassen können.“

Die Männer nickten stumm und der Okeanide fuhr fort: „Die Herren dieses Schiffes sind bei all ihrer Macht angeschlagen. Ihr Schiff ist nicht mehr seetüchtig und es sind keine Wachen an Deck oder am Ufer postiert. Wir haben etliche ihrer Aeolskreaturen besiegt. Sie werden nicht mehr viele von ihnen haben – sonst stünden sie hier. Fasst also Mut, meine Freunde. Dringen wir in das Schiff ein. Wir werden den Sieg davontragen!“

* * *

Finsternis empfing die vier Helden im Innern des ehernen Schiffes. Ihre Schritte wurden von einem Grollen übertönt, das aus seinen tiefsten Eingeweiden zu stammen schien.

Perrikles schritt entschlossen voran, alle Sinne aufs Äußerste konzentriert. Das Schwert in der Rechten vorangereckt, tastete seine Linke die kalte Wandung des Ganges entlang. Angestrengt lauschte er, ob sich unter dem Grollen nicht noch andere Laute verbargen. Und auch sein Augenlicht schien sich langsam an die Dunkelheit zu gewöhnen.

So entging ihm nicht das schwache Aufglimmen zweier Punkte wenige Schritte vor ihnen.

„Runter!“, schrie er im selben Moment – und keinen Augenblick zu spät.

Über den Gefährten – dort wo sich kurz zuvor noch ihre Häupter befunden hatten – fuhr ein Feuerstrahl durch den Gang. Das jähe Flammenlicht gab den Blick auf eine gewaltige Aeolskreatur frei, die den gesamten Gang fast völlig ausfüllte. Drei Schritte mochte sie in der Höhe messen, stand auf zwei mannsdicken Säulenbeinen und hielt in ihren vier Armen je eine stählerne Klinge, die ein Mann allein kaum hätte heben können. Aus ihrer Brust aber ragte ein Rohr, in dem ein Lodern verglühte.

Perrikles hatte den kurzen Moment der Helligkeit genutzt, um sich kampfbereit zu machen. Doch blieb er in der Hocke, wusste er doch seine schlachterprobten Gefährten hinter sich. Und siehe, auch sie hatten den Moment genutzt und Pfeile auf die Sehnen gelegt. Im letzten Schimmer sah der Okeanide die Geschosse in den Hals des Monstrums einschlagen – doch ohne den Effekt, den dies bei den anderen Aeolskriegern gezeigt hatte. Kein Zischen von Dampf, kein unmenschlicher Schrei – nur Finsternis, die sich wieder ausbreitete. Und der Instinkt des Kriegers, der vor einer nahenden Klinge warnt.

Im letzten Moment rollte Perrikles sich nach hinten ab. Funken stoben auf, als der Hieb des Monstrums in den metallenen Boden fuhr. Sie gaben den Helden aus Iorkos erneut für einen Augenblick Licht. Trotz ihres Mutes waren sie sicher, ihren letzten Blick auf Erden zu erhaschen. Die vier Klingen zu tödlichen Schlägen erhoben, schritt ihr Gegner zielstrebig auf sie zu.

* * *

Und erstarrte in einer Wolke aus Blitzen, die ihn mit einem Male umschloss.

Gleichzeitig flammte sonnenhelles Licht in dem Gang auf. Am Rande nur nahm Perrikles das leuchtende Band an der hohen Decke wahr, von dem es stammte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Monstrum, das offensichtlich in arger Bedrängnis war. Es schien seine letzten Kräfte aufzubieten, indem es sich umwandte und nach einem Gegner schlug, der den Iorkischen Helden wegen seines massigen Leibs verborgen blieb. Jener Hieb war aber seine letzte Tat. Es sank auf die Knie und sackte wie eine Puppe ohne Fäden in sich zusammen. Die Blitze verflogen knisternd. Kleine Rauchfäden stiegen von der Aeolskreatur auf und verbreiteten einen beißenden Gestank.

In der plötzlichen Stille vernahmen die Helden ein leises Stöhnen. Perrikles handelte sofort.

„Manolos, schnell!“, rief er und sprang mit einem Satz über den metallenen Leichnam.

* * *

Dort lag ein Mann, niedergestreckt vom letzten Hieb des Titanen. Er war in das Wickelgewand eines Weisen gekleidet und bot ansonsten einen sehr fremdartigen Anblick. Doch damit wollte Perrikles sich später befassen. Achtlos trat er den sonderbaren Speer beiseite, der dampfend neben dem Manne lag. Nun galt es, die Wunde zu behandeln, die in der Brust ihres Retters klaffte und seine ursprünglich weiße Tunika langsam rot färbte.

Manolos war längst bei ihm. Der Heilkundige legte mit geschickten Händen die Wunde frei, säuberte sie so gut es ging und gab ein paar Heilkräuter hinein, die er durch die Unbilden der letzten Wochen hatte retten können. Sie sollten die Blutung stillen und vor Wundbrand bewahren. Schließlich verband er sie notdürftig mit Stoffstreifen, die Perrikles ihm aus dem Gewand des Fremden gerissen hatte.

Die Helden taten ihre Arbeit schweigend. Buphalos und Philipos postierten sich derweil vor ihnen im Gang. Was immer auch noch aus den Tiefen dieses Schiffen kommen mochte – es würde zunächst an ihnen vorbeimüssen. Der zunächst unregelmäßige Atem des Fremden wurde ob der Behandlung ruhiger und gleichmäßiger. Auch seine flatternden Augenlider beruhigten sich – und er schlief offensichtlich ein.

* * *

„Crest!“, erschallte da mit einem Male ein Ruf durch den Gang.

Er stammte von einer Kriegerin, die dem gleichen fremdartigen Volke zu entstammen schien, wie der Verwundete – und wurde gefolgt von einem Schwall aus Worten, die einer Sprache entstammten, wie sie an keiner Küste des Thalassomeeres je vernommen worden war.

Auch sie hielt einen jener sonderbaren Speere in ihren Händen und schien mitten aus dem Kampfgetümmel zu kommen. Sie blutete aus vielen kleinen Wunden und ihre Gewandung wies etliche Risse auf. Doch waren ihr Rücken gerade und ihr Schritt fest, als sie zielstrebig auf die Gruppe hin trat.

Philipos wollte ihr den Weg verstellen. In einer katzenschnellen Bewegung stieß sie aber ihren Speer nach vorn und berührte die Brust des Iorkers nur leicht. Ein Blitzstrahl umfing den Philipos sogleich und ließ in ohnmächtig in die Knie sinken.

Buphalos aber parierte ihren Speer mit dem seinen und stoppte ihren Vormarsch. Die Kriegerin zögerte nicht, trat einen Schritt zurück und machte sich zum Kampfe bereit.

„Haltet ein!“, rief Perrikles da.

Ohne Waffen und mit offenen Händen tat er einen Schritt auf die Kriegerin zu. Das Auftreten des Okeaniden ließ sie tatsächlich innehalten – doch gab sie ihre kampfbereite Haltung zunächst nicht auf.

Perrikles nutzte diesen kurzen Moment und musterte die Fremde. Sie war schlank und hochgewachsen und verfügte über die Statur sowie die Gesichtszüge einer nubischen Kriegerprinzessin. Im krassen Widerspruch zu diesem Eindruck stand jedoch das strahlende Weiß ihrer Haut und ihrer kurzgeschorenen Haare. Der Blick ihrer leuchtend roten Augen war klug und aufmerksam. Er hielt dem des Okeaniden mühelos stand.

Dieser passte den Moment genau ab und ergriff erneut das Wort – denn einen Lidschlag später hätte sie das Heft des Handelns in die Hand genommen. Perrikles sprach langsam und deutlich und untermalte jedes seiner Worte mit erklärenden Gesten:

„Wir sind nicht deine Feinde. Wir haben denen Freund nicht verwundet. Er hat uns im Kampf gegen diese Kreatur beigestanden. Dabei hat er sich die Verletzung zugezogen. Mein Freund ist Heilkundiger und versorgt ihn nun.“

Er wies auf Manolos und den Fremden. Der Iorkische Held hatte das Haupt seines Patienten in seinen Schoß gebettet, prüfte seinen Puls und tupfte ihm den Schweiß von der Stirn.

„Mein Name ist Perrikles“, fuhr der Okeanide fort. „Dies sind meine Gefährten Manolos, Buphalos und Philipos.“ – der große Krieger begann sich just in diesem Moment wieder zu regen – „Wir sind Gesandte Iorkos’ und erkunden diese Gestade im Namen unseres Königs.“

* * *

„Ihr könnt euch euer Gefuchtel sparen, Perrikles aus Iorkos. Ich verstehe euer primitives koine sehr gut“, sprach die Kriegerin.

Lediglich Buphalos hob kurz eine Braue. Die anderen Helden ließen sich ihre Überraschung nicht anmerken – wobei Philipos noch immer so tat, als müsse er sich von seiner Ohnmacht erholen. Die Kriegerin sprach die Gemeinsprache des Thalassomeeres mit sonderbarem Akzent, doch klar verständlich.

„Mein Name ist Thora von Atlantis aus dem Hause Zoltral. Und ich fordere euch hiermit im Namen des Atlantischen Reiches auf, diese Gestade unverzüglich zu verlassen. Euer König hat hier keine Ansprüche und somit gibt es für euer Iorkos hier auch nichts zu erkunden. Dies ist atlantisches Einflussgebiet und ihr habt euch in inneratlantische Angelegenheiten eingemischt, die weit über euer Verständnis hinaus gehen. Geht also!“

Philipos hatte mittlerweile die Augen aufgeschlagen und die Rechte auf seines Schwertes Heft gelegt. Gemeinsam mit Buphalos blickte er nun in des Okeaniden Richtung – die Kriegerin jedoch nie aus den Augenwinkeln lassend. Beide Helden waren kampfbereit. Doch vertrauten sie voll auf ihren Anführer. Ohne sein Wort würden sie nicht angreifen. Dieser aber lächelte und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

„Diese Insel ist unbewohnt, o Thora aus dem Hause Zoltral“, sprach er. „Und während wir sie gezielt ansteuerten, scheint mir euer Hiersein eher zufälliger Natur zu sein. Ihr seid schiffbrüchig. Zudem macht ihr kaum den Eindruck, die Herren dieses Schiffes zu sein. Eure inneratlantische Angelegenheiten scheinen mir eher ein Sklavenaufstand zu sein. Doch wer sind hier die Sklaven? Jene Aeolskreaturen – oder ihr?“

* * *

„Thora!“

Der strenge Ruf ließ die Kriegerin in ihrem Angriff innehalten. Perrikles war sicher, dass sie ihnen einen schweren Kampf geliefert hätte.

Der alte Mann auf des Manolos’ Schoß aber durchbrach die atemlose Stille mit leisem Lachen. Es wandelte sich jedoch schnell in immer heftigeren Husten, der nicht anhielt, ehe etwas Blut aus seinem Munde drang. Manolos wischte es von seinem Antlitz. Thora aber ließ ihren Speer fahren und stürzte zu ihrem Landsmann. Dabei stieß sie zwei Silben aus, die Perrikles stark an das koine-Wort für „Vater“ erinnerten.

Crest aber lächelte wieder und sprach für alle verständlich: „Sei ihnen nicht gram, Thora. Im Grunde hat er doch sogar Recht.“

7.

„Wie geht es ihm?“
Sie hatten hinter einer Hügelkuppe unweit der Küste in einem Wäldchen ein provisorisches Lager aufgeschlagen. Thora hatte dringend dazu geraten, das Schiff zu verlassen – ohne jedoch näheres zu erläutern. Crest aber hatte Mühe gehabt, bei Bewusstsein zu bleiben und war mittlerweile wieder eingeschlafen.
Während die Kriegerin den eisernen Koloss erkundete und Buphalos und Philipos Wache hielten, saßen Perrikles und Manolos bei Crest.
„Es ist gut, dass er schläft“, antwortete der Heilkundige dem Okeaniden. „Wenn er die Nacht überlebt, frag mich erneut.“
„Was wirst Du mir dann sagen?“
Manolos seufzte tief. „Er blutet im Innern“, sprach er. „Wäre hier ein Haus der Heilung mit sauberem Wasser, dem richtigen Besteck und den nötigen Kräutern – würde ich dir sein Leben versprechen. Aber so. Wir sollten diese Thora fragen, ob sie zwei Münzen für den Fährmann hat.“
Daraufhin verfielen die Männer in langes Schweigen. Sie wussten sich wohl geschützt von den beiden Gefährten. Manolos pflegte den alten Atlanter – wobei er kaum mehr tun konnte, als ihm regelmäßig den Verband zu prüfen und die Lippen mit frischem Wasser zu benetzen.
Perrikles sinnierte bis tief in die Nacht hinein. Thora aber bekamen sie bis zum folgenden Morgen nicht mehr zu Gesicht.

* * *

Sie erschien mitten im Lager, als Perrikles gerade dabei war, ein frugales Mahl zu bereiten, während Manolos nach seinem Patienten sah.
„Man dringt leicht zu euch vor, Perrikles“, sprach sie. „Mein Vater ist bei euch nicht sicher. Ich hätte ihn euch nie anvertrauen dürfen.“
Da trat Philipos hinter einem Baum hervor und rief: „Ihr wart nicht unbemerkt. Ich war die ganze Zeit hinter euch.“
Ohne sich umzuwenden erwiderte Thora: „Hinter mir – genau! Durch euer Getrampel wusste ich euch stets einen Steinwurf entfernt – genug Zeit für einen Angreifer, um jeden in diesem Lager zu töten, ehe ihr heran seid.“
Da zog der Philipos sein Schwert.
„Im Töten Iorkischer Krieger habt ihr ja schon einige Erfahrung sammeln können“, fuhr er sie an. „Doch nun sind euch die Aeolskreaturen und die Donnerkeile ausgegangen – und ihr werdet zur Rechenschaft gezogen werden.“
„Schluss!“, ging der Okeanide dazwischen. „Wir haben keinen Streit miteinander. Steck dein Schwert wieder ein, Philipos!“
„Hast du etwa unsere Toten vergessen, Perrikles?“, frug Philipos. „Es waren ihre Kriegsmaschinen, die unsere Gefährten getötet haben. Von ihrem Schiff wurde das Danaische Feuer auf uns geschleudert. Was scheren uns der Alte und seine Amazonentochter? Wir sollten sofort zur Sternenstaub zurückkehren und sehen, ob sie nicht auch getroffen wurde.“
Doch sein Schwert steckte er folgsam an den Gürtel.
„Geh zurück auf deinen Posten“, sagte Perrikles leise – und Philipos gehorchte.

* * *

„Euer Vater lebt“, sagte Perrikles, als Philipos gegangen war.
„Ich weiß“, erwiderte Thora nur und trat an ihm vorbei zu Crests Lager.
Dort reichte sie Manolos eine Büchse und sprach: „Gebt ihm dies! Ich habe es aus unserem Schiff bergen können. Es wird zwar nicht seine inneren Wunden heilen aber die Brände in seinem Leib löschen.“
Dieser nahm die Büchse schweigend und inspizierte sie. Sie enthielt weiße Pastillen, mehrere Dutzend an der Zahl.
„Gebt ihm dreimal täglich eine in Wasser aufgelöst“, sagte Thora. „Den Rest müssen wir den Göttern überlassen.“
Manolos nickte schweigend.
„Wie steht es um euer Schiff?“
Perrikles war an ihre Seite getreten.
Auf seine Frage hin blickte sie ihn zunächst nur abschätzig an, ehe sie sprach: „Ihr würdet es ohnehin nicht verstehen.“
„Versucht, es mir zu erklären“, antwortete der Okeanide.
Wieder schwieg sie lange, ergriff dann aber doch das Wort: „Die Aeolskreaturen, wie ihr sie nennt, sind außer Gefecht. Es ist mir in dieser Nacht endlich gelungen, sie … nun … abzuschalten. Es geht keine Gefahr mehr von ihnen aus.“
Perrikles sagte: „Das ist gut. Aber dies war nicht meine Frage. Es ging mir um den Zustand eures Schiffes. Bekommt ihr es wieder flott? Werdet ihr diese Insel wieder verlassen können? Ich nehme an, dass ihr über keine Mannschaft mehr verfügt.“
Thora schwieg darauf.
Perrikles ergriff erneut das Wort: „Die Kreaturen waren eure Mannschaft, habe ich Recht?“
Wieder schien es, als wolle die atlantische Kriegerin nichts erwidern. Schließlich sagte sie aber doch: „Unsere Schiffe benötigen keine Mannschaft im eigentlichen Sinne. Sie fahren im Grunde von selbst – nach den Anweisungen ihres Kapitäns versteht sich. An Bord der Aetron befanden sich zwölf Atlanter, das ist eine durchaus übliche Besatzung für ein Schiff dieser Größe.
Mein Vater und ich sind die einzigen Überlebenden.“
„Dann habt ihr euer Schiff ebenfalls … abgeschaltet“, sagte Perrikles.
Thora sah auf und bedachte den Okeaniden mit einem überraschten und beinahe beeindruckten Blick.
„Und könnt ihr es wieder … einschalten, dass es euch auch wieder gehorcht?“, setzte Perrikles nach.
„Nein“, antwortete Thora. „Es ist zu schwer beschädigt und die … Denkmaschinen so zu reparieren, dass sie uns wieder gehorchen, übersteigt meine Fähigkeiten.“
„Habt ihr einen Plan?“, fragte Perrikles.
Die Atlanterin nickte. „Es befinden sich kleinere Boote an Bord. Durch meinen etwas rabiaten Abschaltvorgang wurden auch diese beschädigt. Sie funktionieren aber ohne Denkmaschinen und können von mir gesteuert werden. Ich werde eines davon reparieren.“
„Allerdings“, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu, „werde ich ohne die Hilfe meines Vaters einige Wochen dafür brauchen – eine Zeit, die er vermutlich nicht mehr hat.“
Perrikles aber sprach: „Ich habe euch einen Vorschlag zu machen.“

8.

„Nein Vater! Das lasse ich nicht zu!“
Da Thora seinen Vorschlag sofort rundheraus abgelehnt hatte, war Perrikles nur wenig später damit an Crest herangetreten. Die Medikation aus Thoras Hand hatte seinen Zustand tatsächlich ein wenig verbessert. Er war kurz nach der ersten Verabreichung erwacht und erklärte sich für schmerzfrei. Seiner eigenen Aussage nach gaukelten ihm dies die Pillen aber nur vor – seine inneren Verletzungen bestünden weiterhin.
Seine Tochter war aber sogleich hinzugeeilt. Der Okeanide hatte kaum zu Ende sprechen können, als sie ihm ins Wort fiel.
Crest hob darauf nur die Hand, was Thora tatsächlich sogleich verstummen ließ.
Er sprach aber voller Milde zu ihr: „Ich werde hier mit Sicherheit sterben. Das ist meine einzige Hoffnung – unsere einzige Hoffnung.“
Es gelang der atlantischen Kriegerin nur schwer, ihre Tränen zurückzuhalten.
„Diese Reise wird Euch mit viel größerer Sicherheit umbringen“, sagte sie. „Das primitive Schiff dieser Wilden ist kaum mehr als ein Einbaum. Falls es überhaupt durch diese Meerenge kommt, wird es Wochen unterwegs sein, ehe es einen sicheren Hafen erreicht. Und wie soll Euch da geholfen werden? Die Heiler dort werden kaum mehr als Metzger sein.“
Perrikles und Manolos tauschten nur einen schweigenden Blick. Sie waren sich wortlos einig, dass diesen Disput die beiden Atlanter unter sich führen mussten.
„Kläre deinen Blick, Tochter“, sprach Crest darauf.
Er bediente sich ganz bewusst des koine, damit die iorkischen Helden jedes Wort verfolgen konnten.
„Du weißt, dass meine Hoffnung hier noch viel geringer ist. Du wirst unsere mechanischen Heiler nicht mehr in Gang bringen. Selbst wenn ich dir helfen könnte, würde es uns nicht gelingen. Also müsste ich hier warten, bis du eines der kleinen Schiffe flottbekommen hast. Auch dies wird Wochen dauern. Und sollte ich bis dahin tatsächlich noch nicht den Styx hinuntergefahren sein, was dann?“
Er wartete auf keine Antwort und fuhr fort: „Und außerdem unterschätzt du unsere iorkischen Freunde. Mein Überleben habe ich nicht zuletzt der Heilkunst des Manolos zu verdanken. Er berichtete mir von den Häusern der Heilung in seinen Landen. Man verrichtet dort sehr gute Arbeit, die jener in atlantischen Häusern kaum nachsteht.
Mit ihrem Schiff haben Perrikles und seine Mannen schließlich schon einmal des Herakles Säulen gemeistert.
Und wer weiß, ob nicht noch einiges im Bauche der Aetron zu finden ist, das ihren ‘Einbaum’ etwas zu beschleunigen vermag.“
Thora hob ihren Blick und flüsterte: „Ich hätte Euch heim in atlantische Gefilde gebracht, Vater.“
Crest lächelte mild, als er erwiderte: „Du weißt genau, dass wir nicht zurückkehren können, ehe wir unsere Mission erfüllt haben. Und dafür müssen wir ins Thalassomeer.“
Wieder wechselten Manolos und Perrikles einen Blick – doch diesmal war er überrascht.
Doch Crest ergriff schnell wieder das Wort: „Und nun müssen wir uns eilen! Thora, lauf zur Aetron und bringe …“
Es folgte ein Schwall atlantischer Worte, die keiner der Iorker verstehen konnte.
Thora blickte ihrem Vater einen Moment lang ausdruckslos in die Augen. Dann wandte sie sich wortlos um und lief in Richtung Ufer.
„Buphalos! Philipos!“, rief Perrikles da.
Er wusste die Freunde in Hörweite.
„Folgt und helft ihr!“
Dann wandte er sich zu Manolos um und sprach: „Wie schaffen wir Crest zur Sternenstaub, ohne dass er Schaden nimmt.“
Auf die rätselhafte Rede des alten Atlanters ging er mit keinem Wort ein.
Manolos Antwort fiel knapp aus, wie es seine Art war: „Eine einfache Trage wird genügen, um ihn frei von Erschütterungen zu transportieren.“
„Gut.“
Perrikles nickte und wollte sich gerade daran machen, Holz für die Trage zu schlagen.
„Spart euch die Mühe, o Perrikles.“
Crests Worte ließen ihn innehalten.
„Thora wird alles Nötige besorgen – und sie wird es auch problemlos ohne die Hilfe eurer Freunde transportieren können.“
Den fragenden Blick des Okeaniden ignorierend gab der Atlanter keine weitere Erklärung ab. Er schloss die Augen – und Perrikles war sich nicht sicher, ob er sich nur schlafend stellte.
In jedem Fall beschloss er, dass die Geheimnistuerei der Fremden bald ein Ende haben musste.

* * *

Das Zischen und Rumpeln war schon von weitem zu hören. Perrikles entging der verschmitzte Blick des alten Atlanters nicht. Der Okeanide ahnte daher, dass diese Laute von Thora stammten – oder von dem, was sie brachte. Crest dachte nicht daran, sie auf das, was da kam, vorzubereiten. Offensichtlich wollte er ihre Reaktion testen.
Perrikles warf Manolos einen kurzen Blick zu und verhielt sich völlig ruhig.
Selbst als das Getöse ihr leises Gespräch zu übertönen begann und das umliegende Gehölz krachte, als wolle eine Herde Eber daraus hervorbrechen, verhielt er sich ruhig, was Crest mit einem freundlichen Nicken honorierte.
„Da ist sie ja schon“, sprach der Alte schließlich.
Manolos konnte nicht anders, als aufzuspringen. Er blieb aber tapfer genug, um im Griff zu seinem Schwerte innezuhalten.
Perrikles wandte nur das Haupt. Er erblickte eine Art Wagen, der einige Schritt vor ihnen schnaufend zum Stehen kam.
Es erstaunte ihn nicht sonderlich, dass dieser Wagen offensichtlich aus eigener Kraft ohne jegliches Zugtier hierher gefahren war. Thora saß auf einer Art Kutschbock und bediente dort zahlreiche Hebel. Neben ihr saß Buphalos in dessen Antlitz Begeisterung, Staunen, Schreck und Sorge ein jähes Wechselspiel veranstalteten.
Perrikles erhob sich nun und beobachtete aufmerksam. Thoras letzte Handlungen dienten wohl dazu, das Fahrzeug zu arretieren und seinen dampfenden und lärmenden Äolsmotor abzuschalten.
Und tatsächlich – er zischte noch einmal lautstark und verstummte dann. Thora sprang von dem Bock und baute sich vor Perrikles auf. Sie musterte seine Züge eindringlich, als hoffe sie, darin das ungläubige Staunen eines Barbaren zu entdecken.
„Perrikles!“
Buphalos trat hinter sie. Sein Blick war nun der eines Jungen, der erstmals einen Speer ins Ziel geworfen hatte.
„Dieser Wagen ist großartig! Er fährt mit reiner Äolskraft und trägt eine Last für mindestens zwei Ochsen. Ich wage gar nicht zu ahnen, was wir da alles geladen haben. Mit einem solchen Wagen könnte man Sinion fast allein nehmen.“
Des Okeaniden Augen aber blieben auf denen Thoras gerichtet.
Diese sprach schließlich: „Einer eurer Freunde hat wenigstens den Mut bewiesen, auf den Wagen zu steigen. Der andere wird gleich zu Fuß folgen.“
„Diesen Wagen also habt ihr in Gang bringen können“, sagte Perrikles. „Euer kleines Boot aber nicht?“
Mit einem Schnaufen wandte sich die Atlanterin ab und stapfte zu Crests Lager.
Diesmal konnte Perrikles sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Er trat zu Buphalos, der sich wieder dem Wagen zugewandt hatte. Das Gefährt war klein genug, dass es auf der Sternenstaub Platz hätte. Die Ladefläche würde sie aber allesamt nebst der geheimnisvollen Ladung, die unter einer großen Plane verborgen war, aufnehmen können.
„Wie steht es, Buphalos“, sagte er. „Hast du ihr gut zugesehen? Könntest du diesen Wagen führen?“
Mit einem Grinsen blickte Buphalos seinem Freund entgegen. Als dieser jedoch ernst blieb, fasste auch er sich wieder und sprach: „Noch dürfte es mir ohne längeres Üben nicht gelingen. Aber es scheint mir leicht erlernbar zu sein. Bei der Fahrt zur Sternenstaub werde ich den Blick nicht von ihren Händen lassen.“
Der Okeanide nickte zufrieden und begab sich zu den beiden Atlantern.
Philipos, der im selben Moment hinzutrat, bedachte er nur mit einem knappen Gruß.
„Ich kann eure Frage gern beantworten“, sagte Crest, ehe Perrikles auch nur zu sprechen anhob.
„Wie ihr schon an unseren Lanzen bemerkt habt, beherrschen wir die Kraft des Zeus. Doch lässt sich damit mehr bewirken, als nur Blitze zu schleudern. Gebändigt und in Bahnen gelenkt, treiben sie nicht nur Maschinen an, sondern übertragen auch Befehle. Die Denkmaschinen der Äeolskreaturen und des ganzen Schiffes funktionieren auf diese Weise. Einfache Fahrzeuge wie dieser Wagen können problemlos ohne Denkmaschinen gesteuert werden – unser Schiff und auch unsere kleineren Beiboote bedürfen aber ihrer. Um die Gefahr durch die Aeolskreaturen zu bannen, musste Thora eine Art Blitz durch das Schiff jagen, der alle Aktivitäten der Zeuskraft auf einmal lahmlegte.“
Perrikles nickte und sprach: „Ich danke euch für eure Erläuterungen, o Crest. Doch steht mir nun viel mehr der Sinn danach, nach meinem Schiff zu sehen. Sind wir zum Aufbruch bereit?“

* * *

An ein Gespräch war während der Fahrt kaum zu denken. Auch wenn Thora den Wagen eingedenk ihres verletzten Vaters besonders vorsichtig lenkte, machte der Aeolsmotor doch so viel Lärm, dass man sich schreiend verständigen musste.
„Was haben wir geladen?“, fragte Perrikles dennoch einmal in Thoras Richtung.
Crest war kurz nach dem Aufbruch wieder eingeschlafen.
„Einen Motor für eure Nussschale“, rief sie zurück.
Mehr war aus ihr nicht herauszubekommen.

* * *

Zurück an der Mondbucht eilten die Iorkischen Helden sogleich zu dem Lager ihrer Gefährten – oder zu der Stelle, an der es sich befunden hatte. Zwar lag die Sternenstaub unversehrt auf dem Ufersand. Doch am Ort des Lagers waren nur mehr Ruß und Trümmer zu finden – und die rauchenden Knochen ihrer Freunde.
Perrikles, Philipos und Buphalos trugen zusammen, was sie an sterblichen Überresten finden konnten, und bestatteten sie so gut sie es vermochten. Manolos aber blieb bei seinem Patienten, dem es wieder zusehends schlechter ging. Und Thora war wortlos im Wald verschwunden.
Des Abends kamen sie alle an einem Lagerfeuer zusammen. Selbst die Atlanterin fand sich dort ein – sie hatte gejagt und so für ein ordentliches Mahl gesorgt.
Doch auch der schmackhaft über dem Feuer röstende Braten vermochte die Stimmung nicht zu heben. Abend und Nacht verbrachten die Helden schweigend.

* * *

Thora hatte die letzte Wache übernommen. Als er mit der Sonne erwachte, erblickte Perrikles sie auf einem nahen Hügel, den Blick gen Horizont gewandt. Ihre Gestalt war aufrecht und stolz, ihre strahlend weiße Haut ließ ihre nubischen Züge im Sonnenlicht leuchten. Eine unirdische Erscheinung gab sie in diesem Moment ab, als komme sie von einem anderen Stern.
Im nächsten Augenblick jedoch schüttelte der Okeanide diese schwärmerischen Gedanken ab und trat an ihre Seite.
„Welche Mission führt euch in diese Gefilde?“, fragte er sie.
Ihr Blick blieb gebannt von der Ferne – dennoch zuckte sie nicht zusammen, als seine Stimme hinter ihr erklang. Erst nach einem Moment erwiderte sie:
„Unser Volk hat sich der Hybris schuldig gemacht und muss nun die bitteren Konsequenzen dafür tragen. Ihr hattet Recht, o Perrikles. Wir sind die Gefangenen unserer Äolskreaturen, wie ihr sie nennt. Seit Äonen bedienen sich die Atlanter ihrer. Lange Jahrhunderte schon stellen sie unsere Truppen, lenken unsere Schiffe und regieren unser Reich. All die Zeit waren wir es zufrieden – bis einige von uns eines Tages erwachten und feststellten, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Wir begehrten auf, stellten die Entscheidungen unserer eigenen Werkzeuge infrage. Und diese konnten nicht anders, als die Rebellen zu bekämpfen – denn so wurden sie gebaut. Um jeden Preis das Reich zu erhalten und seinen Reichtum zu mehren ist ihre edelste Aufgabe. Darin haben sie die absolute Perfektion erlangt – und können es daher nicht zulassen, davon abgehalten zu werden.
Wir sind wenige, die aufbegehren. Die große Masse der Khasurn lässt sich gern regieren.
Darum suchen wir Hilfe.“
„Und ihr hofft sie in diesen Regionen zu finden?“
Thora wandte sich zu Perrikles um und blickte ihn an, als sei sie gerade aus einem Traum erwacht.
„Ich hoffe nur noch auf Hilfe für meinen Vater. Und meine Hoffnung ist verzweifelt gering, wenn ich ihn euch anvertrauen muss. Gebt auf ihn Acht! Heilt ihn, wenn ihr es vermögt. Dann soll euch mein Dank gewiss sein. Ich werde nun zur Aetron aufbrechen und eines der Boote in Gang setzen. Mit etwas Glück wird es mir gelungen sein, wenn ihr euren Heimathafen erreicht habt. Dann werde ich nur wenige Tage später zu euch stoßen. Bei eurer neuen Ausrüstung ist ein Gerät, das es mir ermöglicht, euch von Ferne aufzuspüren.“
Ohne ein weiteres Wort ließ sie den Okeaniden stehen und verschwand im Uferwald.
Perrikles überraschte sich selbst bei dem Gedanken, ob er sie jemals wiedersehen würde.

9.

Die erste Hälfte des Tages nutzten sie damit, sich mit Teilen ihrer neuen Ausrüstung vertraut zu machen.
Buphalos erwies sich nach einigen Testrunden als recht geschickter Fahrer des Aeolswagens. Derweil erörterten Crest und Perrikles, wie der Motor am klügsten an der Sternenstaub anzubringen sei.
Es wurden etliche Berechnungen in den Ufersand geschrieben, bis geklärt war, dass die Ruderpinne mit einigen geringfügigen Verstärkungen stabil genug sein würde, um den Motor zu halten – und seine Kraft auf das Schiff zu übertragen.
Crest zeigte sich dabei recht beeindruckt vom mathematischen Wissen des Okeaniden – auch wenn dieser gestehen musste, dass ihm einige theoretische Konzepte des Atlanters neu waren.
Den Wagen auf das Schiff zu bugsieren stellte sich als geringeres Problem heraus, da zur Ausrüstung eine ausklappbare Rampe aus einem extrem leichten und dennoch harten Metall zählte.
So gelang es den Helden und ihrem neuen Gast mit der zweiten Flut des Tages auszulaufen und die Insel Selenos zu verlassen.
Crests Zustand war nun ein steter Wechsel aus Wachen und Schlafen. Er hatte den Iorkern geraten, den Motor nur als Ersatz für die Ruderer zu verwenden und sonst wie gewohnt unter Segeln zu fahren. Die dem Automaten innewohnende Kraft sei nämlich nicht unerschöpflich.
Als sie die offene See des Großen Okeanos erreicht hatten, stellte Perrikles die Aeolsmaschine daher ab und half den Gefährten das Segel zu setzen. Es war in den Monden ihres Aufenthalts auf der Insel wieder geflickt worden und ließ nun mit Stolz das Zeichen Iorkos prangen, als die Winde es füllten.
Die Helden aber traten noch einmal an das Heck und gaben mit Blick auf das Land, das all ihre Mitstreiter das Leben gekostet hatte, den Toten ein Trankopfer.
Crest schlief auch noch, als sie auf die Säulen des Herakles zusteuerten. Die Mahlströme wirkten von dieser Seite her noch viel bedrohlicher. Doch die Iorker setzten ohne Angst und ohne viel Worte Kurs auf die Meerenge. Das Segel hatten sie wieder eingeholt. Perrikles hatte schon bei den ersten Manövern gemerkt, dass sich das Schiff mit dem Aeolsapparat viel direkter und schneller steuern ließ, als es unter Rudern oder Segeln möglich war.
Erneut hatte Philipos Aufstellung am Bug genommen, um vor Strudeln und tückischen Felsen zu warnen. Perrikles stand an der Pinne, ihm zur Seite der Buphalos, falls ein weiterer Arm vonnöten sein sollte.
Doch es erwies sich als geradezu lächerlich einfach, das Schiff durch die Tücken der Säulen zu steuern. Lenkte Perrikles auf einen Ruf des Philipos um einen Felsen, reagierte das Boot sofort auf die Bewegung der Pinne. Da keine Ruder aus dem Schiffsrumpf ragten, konnte er die gefährlichen Riffe viel enger umfahren. Das Schiff war zudem so schnell, dass es etliche Strömungen und Strudel gar schlicht durchfahren konnte, ohne wesentlich in seinem Kurs beeinflusst zu werden.
Nur kurz dachte der Okeanide darüber nach, wie mühelos erst ein Schiff wie die Aetron ins Thalassomeer würde vordringen können.

* * *

Sie hatten ihr erstes Lager in derselben Bucht aufgeschlagen, wie auf der Hinreise. Die Tatsache, wieder wohlbehalten in heimatliche Gewässer vorgedrungen zu sein, hob die Stimmung nur wenig. Lediglich Philipos, der in den letzten Tagen besonders schweigsam geworden war, schien wieder etwas leichteren Sinns zu sein. So übernahm er es auch sogleich, auf die Jagd zu gehen und für das Abendmahl zu sorgen.
Perrikles saß derweil mit Manolos und Buphalos beisammen – letzterer behielt ein Auge auf die Umgebung.
„Wie lange hält er noch durch?“, fragte der Okeanide.
„Diese Pillen bewirken Wunder“, antwortete der Heilkundige. „Ohne sie wäre Crest längst innerlich verbrannt. Aber sie schließen seine Wunden nicht. Die Reise strengt ihn zudem über Gebühr an. Ich sähe ihn am liebsten heute schon in einem Haus der Heilung. Aber eine Woche auf See sollte er noch überstehen.“
Der Okeanide nickte und sprach: „Das wird knapp.“
„Wieso dies?“
Buphalos hatte die Zweifel vernommen.
„In einer Woche sollten wir es auch ohne Ruderer und die Aeolsmaschine bis Iorkos schaffen.“
Perrikles blickte in die Runde und schwieg eine Weile, als überlege er reiflich seine Worte. Schließlich sprach er: „Was glaubt ihr wird geschehen, wenn wir mit Crest, dem Wagen und all der Ausrüstung Iorkos erreichen?“
Buphalos erwiderte sogleich: „Was schon? Sie werden uns auf Händen durch die Stadt tragen und wochenlang feiern. In allen Ländern am Thalassomeer wird man bald Heldenlieder über unsere Fahrt singen.“
„Auch in Sinion?“
Perrikles’ Frage ließ den Buphalos in Schweigen fallen. Manolos zog es ohnehin vor, sich eines Kommentars zu enthalten.
So sprach der Okeanide fort: „Es wird keinen Tag dauern, ehe Sinion von unserem Fund erfährt.“
Buphalos hatte die Sprache wiedergefunden – wenn auch flüsternd: „Das bedeutet Krieg.“
Perrikles blickte dem Freund fest ins Auge als er sprach: „Crest sagte mir, dass der Aeolsmotor nach zwei bis drei Tagen Dauerbetrieb unbrauchbar wird. In dieser Zeit sollten wir aber die Ostküste der Danaischen Bucht erreichen können. Mein Plan ist die unbewohnte Terranische Küste anzusteuern – weit genug südlich von Sinion aber nicht allzu nah an Austrien. Dort können wir unsere Basis aufschlagen.“
„Dein Plan?“
Buphalos blickte die beiden Gefährten ernst an.
„Du hast dies also alles geplant, Perrikles. Und du, Manolos wusstest davon?“
Der Angesprochene nickte nur.
Buphalos erhob sich und seufzte tief. Er ging ein paar Schritte und stellte sich dann wieder zu den Gefährten.
„Du hättest mich einweihen können, Perrikles. Auch ich möchte keinen Krieg mit Sinion, denn er würde das halbe Thalassomeer entflammen. Naja, … du erzählst es mir ja jetzt.“
Schließlich setzte er sich und sprach: „Was ist mit Philipos? Er wird es nicht verstehen – es zieht ihn zu sehr zu seiner Sippe.“
„Er wird die Reise mit uns antreten müssen. Sobald ich Crest in Sicherheit weiß, kann er aber gehen, wohin es ihn beliebt.“
„Und wie soll Crest an einer unbewohnten Küste in Sicherheit sein, wo er doch die Obhut eines Hauses der Heilung benötigt?“
Perrikles lächelte.
„Du hast doch gelernt, den atlantischen Wagen zu bedienen, o Buphalos. Wir schaffen Crest nach Austrien. Die polis ist neutral und schert sich nur wenig um die großen Geschehnisse in der Welt. Wir treten dort als fremde Wanderer auf, die einen verletzten Gefährten bei sich haben. Nach ein paar Wochen Pflege sollte er wieder soweit hergestellt sein, dass wir ihn in unser geheimes Lager zurückschaffen können. Genug Zeit, um vor den Augen der Welt verborgen zu bleiben.“
„Und dann wird Thora zu uns stoßen und Crest aufnehmen“, sagte Buphalos.
Ehe Perrikles etwas erwidern konnte, trat Philipos aus dem Gehölz. Er hatte reiche Beute gemacht. Die Freunde verstummten sogleich und widmeten sich der Bereitung des Mahls.

* * *

Sie waren nun wieder einem Tag auf See. Der Apparat lief zuverlässig und trug sie ohne Ruder und Segel zügig ihrem Ziel entgegen. Winde und Wogen brauchten sie dabei fast gar nicht zu beachten.
Dennoch saß Philipos als Ausguck auf dem Mast. Sie hatten beschlossen, andere Schiffe weiträumig zu umfahren, um so wenig Aufsehen wie irgend möglich zu erwecken.
Zurzeit stand Buphalos an der Pinne und lenkte die Sternenstaub sicher über die ruhige See. Perrikles saß bei Crest und Manolos. Der Atlanter hatte wieder einen lichten Moment und sprach klaren Blickes.
„Sagt, o Perrikles, wieso heißen euch eure Gefährten den Okeaniden?“
Die Frage entlockte dem Angesprochenen ein seltenes Lächeln.
Es war jedoch Manolos, der seine Stimme zu einer Antwort erhob: „Weil er es schon vor Jahren aufgegeben hat, es uns zu untersagen.“
Die beiden Freunde lachten kurz. Crests fragender Blick ließ Manolos jedoch sogleich weitersprechen.
„Es geht auf eine Familienlegende zurück. Über Perrikles’ Sippe sagt man sich, dass sie einst von einem Sohn des Titanen Okeanos selbst begründet worden sei. Daher nannte man diese Sippe einst die Okeaniden. Schon seit mehreren Generationen verzichten seine Väter jedoch auf diese Bezeichnung – und so auch Perrikles selbst. Es war Buphalos, der als Jüngling von dieser Legende erfuhr und diesen Namen wieder aufleben ließ. Sehr zu Perrikles’ Missfallen – aber es hat sich durchgesetzt.“
Crest vernahm diese Worte völlig ernsten Blickes.
„Interessant“, sagte er schließlich. „Ihr seid also der Erbe des Weltenmeeres, o Perrikles.“
Perrikles’ Lächeln erstarb.
„Erlaubt mir jetzt eine Frage“, sprach er. „Was sucht ihr in diesen Gefilden? Was hofft ihr hier zu finden, dass es euch vom Joch der eigenen Aeolskreaturen befreie? Euer Reich wird riesig sein und weit entfernt. Was gibt es hier, das nicht in den Landen und Meeren dort und dazwischen zu finden ist?“
Crest wich dem Blick des Okeaniden aus als er sagte: „Viele Fragen habt ihr. Doch was wisst ihr schon von der Weite der Meere und der Größe der Welt?“
Perrikles Stimme wurde streng.
„Eratosthenes von Iorkos hat schon vor 100 Jahren in seinem Experiment bewiesen, dass die Welt einen Umfang von 250.000 Stadien hat. Wir wissen um die Größe der Welt. Beantwortet also meine Frage!“
„Verzeiht“, sagte Crest nach einer Weile des Schweigens. „Ich gelobe, euch nicht mehr zu unterschätzen. Natürlich habt ihr eine ehrliche Antwort verdient.
Auch in unseren Ländern existieren zahllose Legenden, die von den Ereignissen der Altvorderenzeit berichten. Einige davon erzählen von den ersten Tagen des Atlantischen Reiches. Es sei nicht nur mit dem Segen, sondern gar im direkten Auftrage der Götter gegründet worden. Die alten Könige sollen sich mit den Göttern selbst beraten haben – allen voran Poseidon. Dann aber zogen sich die Götter zurück, denn sie sahen, dass die alten Atlanter nach ihrem Willen die kosmische Ordnung erhielten und beförderten. Sie nannten einen Berg, auf dem man sie finden könne, so man dennoch ihren Rat benötigte.“
Es war Manolos, dessen Worte Crest unterbrachen: „Ihr seid auf der Suche nach dem Olymp?“

10.

Mit einem Satz sprang Philipos von seinem Ausguckposten. Krachend landete er auf den Planken der Sternenstaub und stapfte auf Perrikles zu, der wieder an der Pinne stand.
„Hast du dir Wachs in die Ohren gestopft?“, schrie er dabei. „Und dir zudem die Augen verbunden? Ich rufe schon die ganze Zeit, dass du langsam mal nach Backbord steuern musst. Willst du Monos etwa ganz umrunden? Selbst mit diesem Titanenapparat wird uns das einen halben Tag kosten. Siehst du die Insel etwa nicht?“
Perrikles hielt seinem zornigen Blick stand, sagte aber nichts. Wutschnaubend baute sich Philipos vor ihm auf, studierte des Okeaniden Antlitz und sprach schließlich leis: „Was hast du vor, Perrikles? Du willst gar nicht nach Iorkos zurück.“
Mit ruhiger, aber fester Stimme antwortete der Okeanide: „Vorerst nicht. Wir werden Crest an sicherem Orte gesundpflegen. Du kannst in ein paar Wochen in die Heimat zurückkehren, wenn dies dein Wunsch ist.“
„Als was?“, erwiderte Philipos bitter. „Als Gefangener in Ketten? Als Verräter am König und der polis? Was hat Maon dir versprochen, was Ponder dir verwehrte? Seine Tochter?“
Perrikles’ Hieb traf den Gefährten direkt unter dem Kinn. Wie ein nasser Sack fiel Philipos auf die Planken. Buphalos, der den Streit vernommen hatte, eilte herbei und griff nach dem Gefallenen.
„Leg ihn in den Schatten und hab ein Auge auf ihn“, befahl Perrikles. „Er ist aber nicht unser Gefangener. Erklär es ihm – aber er wird es nicht verstehen. Es zieht ihn zu sehr heim zu seiner Sippe. Wir werden ihn ziehen lassen – sobald wir können.“

* * *

Sie erreichten die Terranische Küste ungestört. Anderen Schiffen waren sie stets weiträumig ausgewichen, sodass sie hoffen konnten, nicht gesehen worden zu sein.
Philipos hatte sich in sein Schicksal ergeben. Ob er Buphalos nun glaubte, dass sie die Sternenstaub und die atlantischen Apparate nicht nach Sinion schaffen wollten, gab er nicht zu erkennen. Er sprach mit den Gefährten kein weiteres Wort und fügte sich.
Crest hingegen war in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem er vorerst nicht mehr erwachte.
Der Aeolsmotor glühte und qualmte, als er mit letzter Kraft die Sternenstaub auf den Sandstrand schob. Mit einem lauten Zischen erstarb er dort und sollte nie wieder anspringen.
Die Gefährten begannen sofort mit der Arbeit. Selbst Philipos half dabei die Ladung zu löschen. Mit dem Wagen zogen sie die Sternenstaub schließlich in den nahen urtümlichen Wald, wo sie auch ihr provisorisches Lager errichteten. Schon am nächsten Morgen wollten sie allesamt mit dem Wagen gen Austrien aufbrechen. Philipos sollte dort eine Passage nach Iorkos nehmen – aber erst, nachdem Crest sich in einem Haus der Heilung soweit erholt hatte, dass sie mit ihm wieder zu diesem Lager zurückkehren konnten.
So hatten sich alle zur Ruhe begeben – bis auf Perrikles, der die erste Wache übernahm. Mit einem atlantischen Zeusspeer in der Faust stand er am Ufer der menschenleeren Bucht und blickte gen Horizont. Sie hatten gerade mal eine Ahnung davon bekommen, welche Wunder und Möglichkeiten dort draußen im Weltenozean auf sie warteten – und welche Gefahren.
Keine der poleis rund um das Thalassomeer war bereit für die Machtfülle, die ihnen allein durch diese atlantische Notfallausrüstung zur Verfügung stand. Anstatt sich dagegen zu wappnen, was von jenseits der Säulen des Herakles dräute, würden sie sich untereinander zerfleischen – und so früher oder später leichte Beute für jeden sein, der einst den Weg durch die Meerenge fand. Vielleicht nicht in einer Olympiade, vielleicht nicht mal in einem Dutzend – aber eines Tages würden sie hier sein. Dann mussten die Völker in diesen Landen geschlossen und stark sein.
Perrikles sah sich um und vor seinem geistigen Auge ragten die Mauern einer starken polis auf, davor ein gewaltiges Hafenbecken voller stählerner Schiffe, die in der Lage waren, die Weltmeere zu bezwingen. Er sah einen Hort des Wissens, der allen Küsten des Thalassomeeres endlich Frieden und Wohlstand brachte.
Er war bereit, sein Erbe anzutreten.

Ende

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