Perry-Rhodan-Story von Roland Triankowski, der Kurzroman erschien erstmals vor gut 20 Jahren in der Reihe “Irregular Galaxy” als Sonderpublikation des SFCBHG. Die Namensgleichheit mit dem aktuellen Perry-Rhodan-Roman 3222 “Die letzte Drangwäsche” von Ben Calvin Hary ist rein zufällig.

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Ein Jahr Flugzeit

„Du, Elter.“
„Ja, mein Kleines?“
„Elter, wieso kannst du noch mal die Welt und den Himmel und die Sonne und so einfach abschalten?“
„Aber, das habe ich dir doch schon erzählt, mein Kleines.“
„Ja, das weiß ich auch noch ganz genau, aber ich habe es nicht so richtig verstanden. Magst du es mir noch mal erklären, Elter? Bitte.“
Lyktor Baram atmete innerlich auf. Im ersten Moment hatte er befürchtet, dass das Planhirn des Kleinen, das eine lückenlose Erinnerung garantieren sollte, nicht richtig funktionierte.
Er hatte kaum Erfahrung mit Kindern, und der Positronik hatte er entnommen, dass in sehr seltenen Fällen bei einem hohen Alter des Elters Geburtsfehler auftreten konnten. Er war immerhin weit über 3000 Terrajahre alt und hatte somit die mittlere Lebenserwartung längst überschritten.
So verging er seit einem knappen Erdenjahr Tag für Tag vor Sorge, ob sein erstes und einziges Kind, das Einzige, was ihm in diesem Universum noch etwas bedeutete, irgendwelche Schäden davongetragen haben mochte. Doch es machte hervorragende Fortschritte.
Seit er sein Kleines vor etwa 14 Monaten willentlich gezeugt hatte, entwickelte es sich prächtig. Es konnte sofort nach der Geburt laufen, begann nach wenigen Wochen zu sprechen und erkundete seine Umgebung völlig natürlich. Und es begann schon früh, Fragen zu stellen, was Lyktor Baram sehr freute, zeugte es doch von Aufgewecktheit und Interesse.
„Also, dann pass mal auf, mein Kleines.“
Lyktor Baram ließ sich in einen mächtigen Sessel sinken, nahm den Kleinen behutsam auf seine Laufarme und begann zu erzählen: „Du musst wissen, dass wir uns hier auf einem Raumschiff befinden, in einer eigentlich kleinen Metallkugel, die mitten im kalten und gefährlichen Weltraum schwebt.
In Wirklichkeit leben die Haluter und auch die anderen Lebewesen, von denen ich dir erzählt habe, aber auf Planeten. Das sind riesige Kugeln aus Felsen, Sand, Erde und Wasser, auf denen es warm und behaglich ist.
Leider sind wir aber gerade so weit von Halut, so heißt der Planet, auf dem wir eigentlich zu Hause sind, und allen anderen Planeten entfernt, dass wir eben in diesem Raumschiff leben müssen. Damit du, mein Kleines, aber weißt, wie schön es auf einem Planeten ist und nicht glauben musst, dass man immer in so einer engen Metallkugel leben muss, habe ich der Positronik gesagt, dass sie dir einen Planeten erschaffen soll.
Immer wenn du dich in dein Simulationsfeld begibst, spielt die Positronik deinen Augen, deinen Ohren, deinen Armen und Beinen, ja sogar deiner Haut vor, dass sie einen Himmel sehen, das Rauschen des Windes hören und das Gefühl haben, endlos weite Strecken zu laufen, wenn dir danach ist.
Was du dann siehst, hörst und fühlst ist aber keine echte Welt. Die wirst du erst in etwa vier Jahren zu sehen kriegen, wenn wir auf Halut ankommen.“
„Wir fliegen also hin, zu diesem echten Planeten, Elter?“
„Ja, mein Kleines, und er wird dir noch mehr Spaß machen, als der künstliche, auf dem du so gerne spielst.“
Der kleine Byltor Marak kuschelte sich in die Arme seines Elters, der ihn versonnen streichelte, und dachte eine Weile nach.
Plötzlich setzte er sich wieder auf und fragte: „Sag mal, Elter, wieso sind wir eigentlich in einem Raumschiff? Du hast gesagt, dass Haluter eigentlich auf Planeten leben. Warum wir nicht?“
Nun war es Lyktor Baram, der einige Zeit in Gedanken innehielt. Der Kleine schien das zu erkennen und blickte ihn gespannt wartend aus seinen drei zartrosafarbenen Augen an.
Der Alte überlegte, ob er seinem Kleinen schon von solch delikaten Dingen wie der Drangwäsche und der damit verbundenen Gewalt erzählen durfte. Andererseits wollte er der Neugier seines Kindes keinen Dämpfer verpassen, indem er ihm die Antwort verweigerte. Außerdem würde es früher oder später ohnehin erfahren müssen, wie sich das Leben eines Haluters gestaltet. Also entschied er sich, ihm einen Teil der Wahrheit zu offenbaren. Möglichst schonend verpackt würde es ihm genügend Stoff für eigene Überlegungen geben, und es andererseits nicht mit zu vielen Informationen überfordern.
„Hör zu, Byltor Marak“ , sprach er schließlich. „Jeden Haluter überkommt von Zeit zu Zeit der Wunsch nach Abenteuern und Erlebnissen in fernen Welten. Dann zieht er mit einem Raumschiff los und kehrt erst wieder zurück, wenn er genug erlebt hat. So ging es mir auch. Ich bin mit diesem Schiff so weit von Halut weg geflogen, dass nur ein ganz bestimmter Antrieb diese Entfernung in kurzer Zeit schaffen konnte. Als ich, nachdem ich dich gezeugt hatte, zurück wollte, ist dieser Antrieb jedoch kaputt gegangen.
Nun müssen wir mit einem viel langsameren fliegen, der für die Strecke etwa fünf Erdenjahre braucht. Wie das kam, zeigen dir am besten die Aufzeichnungen, die ich damals gemacht habe. Möchtest du sie sehen, mein Kleines?“
Das wollte Byltor Marak sehr gerne, und daher ließ sein Elter ihm einen ausgewählten und vorher bearbeiteten Teil des betreffenden Berichts vorspielen.

Erster Bericht Lyktor Baram

Es war vorbei.
Nahezu drei Terrajahre hatte ich mich in diesem Galaxiencluster ausgetobt, doch nun war meine Wut verraucht. Nichts als Leere blieb in mir zurück, und bis vor ein paar Tagen hätte mich nichts mehr in diesem Universum halten können. Ausgebrannt und deprimiert hatte ich mein Schiff ohne Ziel durch das Universum treiben lassen. Doch da hatte mich erstmals in meinem langen Leben der innige Wunsch überkommen, ein Kind zu zeugen.
Haluter bekommen lediglich einmal, in sehr seltenen Fällen auch zweimal, in ihrem Leben Nachwuchs. Sie spüren es instinktiv, heißt es, wenn die Erhaltung der eigenen Art neues Leben erfordert. Oftmals entschließt man sich zur willentlichen Zeugung, wenn man von dem Tod eines Artgenossen erfährt, oder seinen eigenen nahen spürt.
Es soll aber auch einige geben – und ich meinte mich immer zu ihnen zählen zu können – die nie in ihrem Leben daran dachten, diesen Schritt zu tun. Doch jeder, der ihn einmal getan hatte, berichtete von angenehmsten warmen Empfindungen – von der Selbstbefruchtung bis zum Abschluss der Aufzucht des Kleinen, die etwa vier bis fünf Terrajahre dauerte.
Dieses nie gekannte Gefühl hatte die Leere in mir ausgefüllt und ich hatte ihm willig nachgegeben.
Nun saß ich hier im Ortungsschutz einer einsamen namenlosen Sonne am Rande dieser Galaxis und nahm voller Vorfreude auf die nächsten Jahre – ein Gemütszustand, den zu erreichen ich nicht mehr erhofft hatte – die hochkomplizierten und daher langwierigen Berechnungen für den Dimetranssprung in die heimatliche Milchstraße vor. Das Dimetranstriebwerk ist Bestandteil der Paratrontechnologie. Es vereinigt die Vorteile des recht brachialen und primitiven Transitionstriebwerks mit denen des eleganteren Linearfluges. Das Lineartriebwerk hebt das Raumfahrzeug lediglich ein wenig aus der vierdimensionalen Raumzeit heraus wodurch dieses stets über das mehrdimensionale Kompensationsfeld mit dem Normalraum verbunden bleibt. Dadurch entgeht man der lästigen und unangenehmen Entmaterialisierung. Auch mit ausgefeiltester Technik können so aber kaum mehr als etwa fünfzig- bis hundertmillionenfache Lichtgeschwindigkeiten, relativ zum Normalraum, erreicht werden.
Der Transitionsantrieb hingegen erreicht zwar praktisch die absolute Geschwindigkeit, da er das zu befördernde Objekt komplett in den Hyperraum abstößt – was mit der unerwünschten Entmaterialisierung einher geht –, kann aber mit einer nur geringen Reichweite aufwarten. Selbst bei einer Eintauchgeschwindigkeit in den Hyperraum nahe der des Lichts sind, aufgrund des mit der Entfernung exponentiell steigenden Energieaufwandes für den fünfdimensionalen Abstoßungsimpuls in den Hyperraum, einige zehntausend Lichtjahre pro Sprung die technisch machbare Obergrenze dieses Überlichtaggregates.
Das Dimetranstriebwerk nutzt nun das Kompensationsfeld des Lineartriebwerkes, das das Raumschiff, samt des ihn umgebenden Raumes, von vier- wie fünfdimensionalen Einflüssen abschirmt und lässt darauf den Abstoßungsimpuls des Transitionstriebwerkes wirken. Das Wirken des Impulses auf das mehrdimensionale Feld – und nicht auf die Materie des Schiffes, wie bei der Transitionstechnik – verhindert einerseits die Entmaterialisierung und ermöglicht andererseits bedeutend weitere Sprünge, da hierbei aus hyperphysikalischen Gründen weniger Energie benötigt wird. Allerdings birgt diese Technik auch neue Probleme. Bildlich gesprochen springt das entmaterialisierte Schiff bei einer Transition in einer, von Richtung und Intensität des Abstoßungsimpulses abhängigen, Parabel über die Ebene der vierdimensionalen Raumzeit, wird von dieser also wieder angezogen.
Bei einem Dimetranssprung werden derart intensive Abstoßungskräfte frei, dass – um bei dem Bild zu bleiben, das die tatsächlichen Vorgänge zwar anschaulich aber eigentlich nur unzureichend umschreibt – die „Anziehungskraft“ der Raumzeit nicht mehr ausreicht, um den frei im Hyperraum fliegenden Raumabschnitt samt dem Schiff wieder einzufangen. Um nicht im Hyperraum verloren zu gehen – ein einfaches Abschalten des Kompensationsfeldes hat keineswegs, wie beim Linearflug, den Rücksturz in das Normaluniversum zur Folge, da hier keinerlei Kontakt des Feldes mit dem vierdimensionalen Raum mehr besteht –, muss man daher enorme Masseschwerpunkte anpeilen, wie sie die Zentren von Galaxien darstellen. Damit man aber nicht in eventuelle Zentrumsblackholes stürzt, müssen die Berechnungen zur Vektorierung des fünfdimensionalen Abstoßungsimpulses unter Einbeziehung der Eintauchgeschwindigkeit, der relativen Sternenbewegungen usw. usf. eben derart genau ausfallen, dass selbst eine hochentwickelte Positronik ein bis zwei Tage damit beschäftigt ist.
Schließlich war es soweit. Zum genau berechneten Zeitpunkt verließ ich mit exakter Anfangsgeschwindigkeit und Beschleunigung die Sonnenkorona. Auf dem hochauflösenden und stark vergrößernden Frontholoschirm konnte ich bereits den kleinen Fleck erkennen, der mein – unser – Ziel, die Milchstraße darstellte. Doch ich erkannte noch etwas anderes.

Das nur aus der Sonne und einigen kahlen Felsbrocken bestehende System war von einer kugelförmig darum angeordneten Raumflotte nahezu hermetisch abgeriegelt. Ich benötigte kein Planhirn, um zu erkennen, dass ich keine Chance zu entkommen hatte.
Selbst bei höchster Beschleunigung hätte ich eine halbwegs annehmbare Eintauchgeschwindigkeit in den Linearraum – die Durchführung des genau berechneten Dimetransfluges konnte ich getrost vergessen – erst hinter den Reihen der ersten Kampfschiffe erreicht. Beim leisesten Anzeichen eines Fluchtversuches meinerseits, hätten die gegnerischen Bordgeschütze ohnehin zu feuern begonnen. Schließlich hatte ich in den letzten drei Jahren genügend Erfahrung mit diesen Kriegern machen können.
Innerhalb eines Augenblickes hatte ich meine Chancen errechnet und erkannt, dass ich nur eine Möglichkeit zu überleben hatte, wenn ich mich erst einmal ruhig verhielt. Noch vor wenigen Tagen hätte ich mich in einer solchen Situation voller Gleichmut meinem Schicksal ergeben, doch nun hatte ich meinem Weiterleben einen letzten Sinn gegeben. Ich würde alles tun, um hier lebend herauszukommen und mein Kleines auf Halut großziehen zu können. Also deaktivierte ich das Programm und schaltete die Impulstriebwerke ab. Dadurch fiel ich zurück in einen engen Orbit um die Sonne, wo ich erst einmal den weiteren Verlauf abwarten wollte.
In der kurzen Zeit beschäftigte mich ein anderes Problem. Nämlich wie es meine Gegner hatten schaffen können, mich hier aufzuspüren. Es war eigentlich nahezu unmöglich. Schließlich hielt ich mich schon seit einigen Tagen im Ortungsschutz dieses Sternes auf, von dessen Art es unzählige in diesem Cluster gab. Höchstwahrscheinlich hatte man mir in der letzten Zeit einen mikroskopischen Sender, oder ähnliches, angeheftet, sodass man meine Spur hatte verfolgen können. Da die in diesem Teil des Universums verwandte Technik, die auf hochfrequenter Hyperstrahlung basierte, der halutischen in einigen Belangen überlegen war, war es durchaus möglich, dass ich ein solches Gerät hatte übersehen können.
Ich brauchte nicht lange zu warten, da sprach auch schon der Hyperfunkempfänger meines Schiffes an, den ich auf die hier üblichen hohen Frequenzen eingestellt hatte. Die Belagerer meldeten sich. Ich hatte damit gerechnet, da es der Mentalität der hier lebenden Völker entsprach, zunächst große Reden zu schwingen, bevor man dann um so gnadenloser angriff. Doch hier lag meine einzige Chance. Ich musste sie bei ihrer „Ehre“ packen, und so eine für mich günstige Situation erzeugen.
Auf dem großen Holoschirm baute sich ein Bild auf. Es zeigte zwei Individuen aus dem hier führenden Volk. Sie wichen in ihrem Aussehen, jedoch beide auf verschiedene Art, von der herrschenden Norm ab. Ich glaubte erst, es mit umweltangepassten Exemplaren zu tun zu haben, wurde dann jedoch eines Besseren belehrt.
„Hier endet dein Weg, Gorim!“, brüllte das größere der beiden Echsenwesen. „Lange genug hast du die Ewigen Krieger an der Nase herumgeführt. Stelle dich nun dem Sotho Torm Arn! Ich bin gekommen, um die Ehre ESTARTUs wiederherzustellen, die du auf so infame Weise beschmutzt hast. Diesmal gibt es kein Entkommen für dich. Du wirst dich mir im direkten Kampf, der edelsten Form des Permanenten Konfliktes, stellen und untergehen!“
Den sogenannten Sotho, den ich bisher nur aus Erzählungen gekannt und immer für eine Sagengestalt gehalten hatte, gab es also wirklich! Und dieser Superkrieger wollte sich mir nun im Zweikampf entgegenstellen. Sein Schiff hatte ich schnell unter den Einheiten der Elfahder und der anderen Mitglieder des Trosses ausgemacht. Es war eine etwa 400 Meter durchmessende flache Konstruktion, die an einen zwölfzackigen Stern erinnerte. Hatte ich zunächst gedacht, dass mich nach einigen Drohreden des hiesigen Ewigen Kriegers oder eines Elfahders, der gesamten Tross attackieren würde, bot sich mir nun eine etwas veränderte Lage dar.
Nach den verschiedenen Erzählungen, die ich über die Sothos bisher vernommen hatte, stellten diese in den Vorstellungen der hiesigen Bevölkerung einen ultimativen, noch über den Ewigen Kriegern stehenden, Kämpfer dar, der stets siegreich aus dem sogenannten „Permanenten Konflikt“ hervorging und somit gar nicht geschlagen werden konnte.
Das ließ mich schlussfolgern, dass man tatsächlich vorhatte, mich gegen diesen Torm Arn allein antreten zu lassen. Die riesige Flotte sollte wohl lediglich meine Flucht verhindern. Daraus entwickelte ich auch meinen Plan. Sollte es mir gelingen den Sotho zu besiegen – zugegeben der schwierigste Teil – würden die Mitglieder des Trosses dermaßen schockiert sein, dass mir die Flucht in den Linearraum gelingen konnte. Um eine erneute Suche nach mir zu verhindern, wollte ich auf einen Trick zurückgreifen, mit dem ein gewisser Perry Rhodan vor etwa vierhundertfünfzig Jahren die gesamte Galaxis genarrt und auf Halut wahre Begeisterungsstürme ausgelöst hatte. Um den Nachstellungen seiner Gegner zu entgehen, hatte er schlichtweg dafür gesorgt, dass man ihn und sogar seinen ganzen Planeten für vernichtet hielt. Mir würde es natürlich genügen, mein Ende und das meines Schiffes vorzutäuschen.
Bei all den Überlegungen, die mein Planhirn in kürzester Zeit anstellte, unterdrückte ich den gelinden Ärger, den der Sotho in mir durch die vertrauliche Anrede – das „Du“ bzw. dessen Äquivalent im Sothalk – erzeugte. Ich gab mich damit zufrieden, ihm in wenigen Minuten Manieren beibringen zu können – falls ich nicht unterliegen sollte.
Mein Plan erforderte, dass ich mich zunächst so weit wie möglich von der gelben Sonne entfernte, die mir in den letzten Tagen einen so zweifelhaften Schutz geboten hatte. Daher machte ich dem Sotho und seinem irgendwie merkwürdigen, wesentlich kleineren Begleiter, die immer noch auf dem Monitor zu sehen waren, in ausgesuchten Worten – schließlich hatte ich die hiesige Mentalität lange genug studieren können – klar, dass ich mich zu ihrer Position begeben würde, um dem Spiel ein endgültiges Ende zu bereiten – so oder so.
Man schien keine Einwände zu haben, so dass ich nur wenig später die bis jetzt auf Leerlauf geschalteten Impulstriebwerke hochfahren konnte und mit voller Beschleunigung aus dem Orbit und auf die Position des Sothoschiffes zu raste. Torm Arn hatte nicht gesagt, welcher Art der Zweikampf sein sollte, ob tatsächlich Mann gegen Mann oder in Form eines Raumgefechts der beiden Schiffe. Für meine Pläne nahm ich letzteres an, da ich mir hierbei die größte Chance auf einen schnellen Erfolg ausrechnete. Nicht dass ich glaubte, dem Sotho körperlich nicht gewachsen zu sein. Mir ging es vielmehr darum, dass ich von der Kampfarena, die höchstwahrscheinlich auf dem gegnerischen Schiff gelegen hätte, nur schwer zu meinem Schiff hätte zurückkehren und fliehen können.
Nach anderthalb Minuten gleichbleibender Beschleunigung hatte ich das Sothoschiff fast erreicht. An dieser Stelle übernahm mein Planhirn die volle Kontrolle. Obwohl mir außer meinem gerade gezeugten Kleinen nichts mehr heilig war, schien ich so viel Anstand bewahrt zu haben, dass ich meinen unmittelbar bevorstehenden Angriff kurz vorher ankündigte. Mit diesem hochfrequenten Hyperfunkspruch stießen auch schon die ersten Salven aus meinen Intervall- und Thermokanonen durch die Strukturlücken des gleichzeitig aufflammenden Paratronschirmes.
Da ich die komplette Energie für die Defensiv- und Offensivsysteme benötigte – schließlich hatte ich es mit einem wenigstens ebenbürtigen Gegner zu tun – schaltete ich die Impulstriebwerke zunächst ab und raste im freien Fall mit etwa halber Lichtgeschwindigkeit auf das sternförmige Raumschiff zu. Dort hatte man schnell reagiert und ebenfalls die Schutzschirme hochgefahren. Diese basierten auf psionischer Energie, also hochfrequenten Hyperfeldern und boten daher einen recht guten Schutz gegen die fünfdimensionalen Schockwellenfronten einer Intervallkanone. Allerdings trafen die ersten Wellen auf den Schirm, als er noch im Begriff war sich aufzubauen. So schlugen diese in abgeschwächter Form durch und richteten nicht geringen Schaden an.
Ich hatte jedoch keine Zeit zu jubeln. Wie ich es gehofft hatte, nahm der Sotho diese Form des Zweikampfes an, so dass die übrigen Krieger des Trosses nicht daran dachten einzugreifen. Womöglich war das auch gar nicht nötig.
Die erste volle Breitseite des Sothoschiffes aus hochentwickelten Strahlenwaffen schlug in den Paratronschirm ein. Meine hohe Geschwindigkeit schien den Schützen an Bord des Sternschiffes kaum Schwierigkeiten zu bereiten. Schließlich wurden sie auch von sehr hochwertigen Computersystemen unterstützt, die sogar einer halutischen Positronik überlegen waren und meinen Nachforschungen zufolge überlichtschnell arbeiten sollten. Ein Punktbeschuss wollte ihnen jedoch nicht gelingen. Trotzdem hatte der Paratronkonverter seine komplette Leistung aufzubieten, um die auftreffende Energie in den Hyperraum abzuleiten.
Nun war die Reihe wieder an mir.
Von meiner Warte aus stellte Punktbeschuss kein Problem dar. Solange es mein exakt berechneter Plan zuließ, schickte ich mit voller Energie einen stetigen Intervallstrahlenschauer auf eine bestimmte Stelle des gegnerischen Schirmfeldes.
Ich zögerte den Moment, an dem ich die Impulstriebwerke zum Wendemanöver um das Sothoschiff zurück in Richtung Sonne wieder einschalten musste, längstmöglich hinaus. Seit meiner Eröffnung des Kampfes waren erst einige Dutzend Sekunden vergangen. Mir kam es bereits wie eine Ewigkeit vor, als ich schließlich den Beschuss einstellte, mehr hoffend als wissend, dass der Schirm ausreichend geschwächt worden war, und die Phase meines Planes einleitete, in der ich am verwundbarsten sein würde.
Dem Paratronschirm stand aufgrund des Manövers nicht die volle Energie zur Verfügung und mein etwa hundertzwanzig terranische Meter durchmessendes Schiff verlor kurzzeitig an Geschwindigkeit – und das in nächster Nähe zum Gegner!
Ein weiteres Hinausfliegen aus dem System hätten die weiter hinten gestaffelten Kriegerschiffe sofort als Flucht interpretiert und mich im Kreuzfeuer ihrer Kanonen verglühen lassen. Auf dem Sotho-Schiff erkannte man meine geschwächte Lage sofort und handelte danach. Alle noch zur Verfügung stehenden Waffen wurden auf mich gerichtet und vereinigten sich in einem Punkt des Schildes. Es schlugen bereits einige Strahlen durch und begannen, die Außenhülle der Kugelzelle zu zerreißen, als ich alles auf eine Karte setzte und Energie für die Waffensysteme abzweigte.
Die nächsten Sekunden sollten die Entscheidung bringen, ohne dass ich durch mein Eingreifen noch etwas daran hätte ändern können. Während ich das Schiff in einer engen Schleife um meinen Gegner flog, konnte ich nur abwarten, wessen Schutzschirm zuerst unter der Wucht des Punktbeschusses zusammenbrechen würde.
Um die im Heck befindlichen lebenswichtige Maschinen, wie den Paratronkonverter und das angeschlossene Dimetranstriebwerk zu schützen, hielt ich das ganze Flugmanöver über dem Gegner den Bug des Schiffes entgegen. Die durchschlagenden Waffenenergien zerstörten so zunächst nur das dort gelegene Observatorium. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis der Paratronschirm den auftreffenden Energien nicht mehr würde standhalten können.
Die Schiffspositronik meldete bereits die explosive Dekompression im nur ein Deck über der Zentrale gelegenen Wohnbereich, als die in meinem unerwarteten ersten Angriff erfolgten Zerstörungen am Feindschiff den Ausschlag gaben, und der Schirm des Sotho-Schiffes zusammenbrach.
Das sternförmige Schiff verging in einer gigantischen psionischen Detonation.
Für eine ganze Weile fiel die komplette Ortung meines Schiffes aus und ich fürchtete, dass der Paratronschirm nun doch noch zusammenfallen und mich so mit ins Verderben reißen würde. Ich rechnete auch damit, ortungstechnisch blind und taub, in die Reihen des Kriegertrosses zu trudeln, was ebenfalls mein Ende bedeutet hätte.
Doch als die Holoschirme und Anzeigen wieder ansprangen und vernünftige Werte zeigten, erkannte ich, dass ich großes Glück gehabt hatte. Ich befand mich nahezu auf dem geplanten Kurs in Richtung Sonne und konnte keine gezielten Bewegungen in den Reihen des Gegners erkennen. Auch dieser Teil meiner Voraussagen war eingetreten. Die Niederlage des Sotho war überhaupt nicht einkalkuliert worden, so dass man nun völlig schockiert war und nicht wusste, wie man sich verhalten sollte.
Im vollen Bewusstsein, dass diese Lähmung nur von kurzer Dauer sein würde, schaltete ich die Impulstriebwerke auf Volllast und strahlte einen letzten Funkspruch ab, dessen Wortlaut ich mir bereits zurecht gelegt hatte.
„Hören Sie mir zu, Jünger des Permanenten Konfliktes! Ich habe Ihren Sotho im ehrlichen Zweikampf besiegt. Doch nun bin ich des Tötens müde und verspüre auch keine Lust, mich von Ihnen in ungleichem Kampf exekutieren zu lassen. Also ziehe ich die letzte Konsequenz und trete ehrenvoll und ungeschlagen von der kosmischen Bühne ab. Ich werde in diesem einsamen Gestirn vergehen, aber auf ewig als Sotho-Töter in Ihrer Erinnerung bleiben.“
Nun trat mein Plan in die letzte gefährliche Phase. Einerseits mussten die Krieger des Trosses entweder geschockt verharren oder mir den geplanten Selbstmord abnehmen und erlauben, so dass sie mich auf dem Weg zum Zentralgestirn dieses Systems nicht abschossen. Andererseits konnte ich nur hoffen, dass ich früh genug eine ausreichende Eintrittsgeschwindigkeit in den Linearraum erreichen würde. Dem Linearkonverter stand nicht mehr genug Energie zur Verfügung, dass ich ihn bei 0,5 c oder geringerer Geschwindigkeit erfolgreich aktivieren konnte. Ich rechnete jedoch damit, dass die Leistung meiner Impulstriebwerke zusammen mit der Anziehungskraft der Sonne ausreichen würden, um kurz vor der Sonnenkorona ein Eintauchen zu ermöglichen.
Im selben Moment wollte ich die gesamten Raketen und Sprengköpfe meines verbliebenen Waffenarsenals zur Explosion bringen, um eventuelle neugierige Ortungsoffiziere in den Elfahderschiffen zu täuschen.
Und siehe da, mein Glück hielt an. Ich steckte zwar schon tief in der Sonnenkorona, als ich die explosive Last abwarf und das Kompensationsfeld aktivierte, kam jedoch wohlbehalten – soweit man das sagen konnte – im Linearraum an. Dort verweilte ich die nächsten Stunden, um mir einen Überblick über die Schäden zu verschaffen.

Während das Schiff mit relativ geringem Überlichtfaktor und unbestimmtem Ziel dahin raste, erkannte ich, dass es die eigentlich aussichtslose Schlacht einigermaßen funktionstüchtig überstanden hatte. Funk- und Ortungssysteme waren noch in ausreichendem Maße intakt, und was die Hauptsache war: der Paratronkonverter war immer noch funktionsfähig. Nach einigen Reparaturen an der Außenhülle und dem Auffüllen der Energiereserven, was ich bei einem der umliegenden Sterne vornehmen wollte, würde mein Schiff ohne allzu große Probleme seine letzte Aufgabe erfüllen können – den Dimetransflug in die heimatliche Milchstraße.
Danach würde ich es wohl verschrotten müssen, aber den Rest meines Lebens gedachte ich ohnehin auf Halut mit der Aufzucht meines Kleinen zu verbringen. Doch es sollte anders kommen.
Nachdem ich die Überprüfung des Maschinenraumes abgeschlossen hatte und mich auf den Antigravschacht in Richtung Zentrale zubewegte, um von dort aus gezielt nach dem hypothetischen Peilsender zu suchen, traf mich auf einmal völlig überraschend ein schmerzhafter Nervenschock.
Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit, meinen Körper umzuwandeln. Krachend fiel ich zu Boden und wand mich unter peinigenden Muskelkrämpfen auf den Rücken. In wenigen Augenblicken würde ich die Wirkung des Schocks verkraftet haben, bis dahin blieb ich aber in höchstem Maße verwundbar.
Hinter mir stand, wie ich jetzt sehen konnte, ein etwa zwei terranische Meter großes Echsenwesen. Es war mit einem grauen hautengen Anzug bekleidet, der seine dünnen aber sehnigen Gliedmaßen zur Geltung brachte. Insgesamt machte das Wesen einen sehr drahtigen und trotz seiner schlanken Statur kräftigen Eindruck. Ich sah gerade noch einen mechanischen Tentakel in einer Art Rückentornister verschwinden, der höchstwahrscheinlich den Nervenschock ausgelöst hatte.
Die Echse hatte ein süffisantes Lächeln aufgesetzt, als lausche sie amüsiert den meckernden Schmähtiraden, mit denen mich ein wesentlich kleineres, auf ihrer Schulter sitzendes Ebenbild ihrer selbst bedachte.
Vor mir standen der Sotho Torm Arn und sein Animateur, die auf unerfindliche Weise die Zerstörung ihres Schiffes überlebt hatten und auf meines gelangt waren.
„Du dachtest also, du könntest mit einem schmutzigen Trick und feiger Flucht der Rache des Sothos entgehen, Gorim?“, herrschte mich der estartische Superkrieger mit lauter aber wohlklingender Stimme an, nachdem er seinem Partner mit einer Handbewegung den Mund verboten hatte.
„Du wirst deinem Schicksal nicht entgehen. Steh nun auf und stelle dich mir im ehrlichen Zweikampf! Empfange deine gerechte Strafe für die Missetaten, die du gegen ESTARTUs Ewige Krieger verübt hast.“
Der Animateur schien den Befehl des Sothos vergessen zu haben und kreischte: „Bring ihn um solange er am Boden liegt! Er hat es nicht verdient, eine faire Chance zu erhalten! Er hat es gewagt …“
„Schweig, Grolsh!“, fuhr Torm Arn ihn an und schleuderte ihn von seiner Schulter.
„Ich wurde von ESTARTU gesandt, um dem Permanenten Konflikt zur Geltung zu verhelfen und die Überlegenheit der Lehre ESTARTUs und derer, die ihr folgen zu demonstrieren. Nur durch die konsequente Befolgung der Gebote der Ehre, des Kampfes und des Gehorsams kann man den endgültigen Sieg erringen. So und nicht anders wird es jetzt geschehen.“
Der Sotho hatte sich dermaßen in Rage geredet, dass sich seine zunächst lockere Haltung zusehends versteifte und aggressiver wurde. Als er sich mit den letzten Worten wieder mir zuwandte, blickte mich ein Gesicht an, das zu keinem Lächeln mehr fähig gewesen wäre. Den Unterkiefer weit vorgeschoben und ein scharfes Raubtiergebiss entblößend stand er mir bis in die letzte Faser Wut und Kampfbereitschaft ausstrahlend gegenüber.
Ich hatte mich mittlerweile vollständig von der Wirkung der Neuropeitsche erholt und war bereit, dem Unvermeidlichen entgegenzutreten. Mit aller Kraft stieß ich mich aus einer zuletzt hockenden Position meinem Feind entgegen.
Ich hatte kaum mit den Füßen den Boden verlassen, als ich meinen Körper in einen Stahlblock verwandelte, indem ich meine Zellstruktur kristallisierte.
Meine Hoffnung, dass der Pteruabkömmling – für einen solchen hielt ich ihn – von den 3,6 g, die auf meinem Schiff herrschten, gehandikapt würde, erfüllte sich nicht. Rasend schnell tauchte er unter mir hinweg und rammte mir seine rotierende Krallenhand in den Leib. Damit zerfetzte er zwar nur die leichte Bordkombination, die ich trug. Ich erkannte aber, dass in diesen Klauen eine Kraft und Härte steckte, die ausreichten, meinen Körper in nicht kristalliner Form ernsthaft zu verletzen, wenn nicht mich zu töten.
Ich beendete meinen Flug durch den Maschinenraum mit einer gekonnten Rolle, nach der ich mich blitzschnell in Abwehrhaltung zu meinem Gegner aufstellte.
Dieser stand einige Meter entfernt, mich in ähnlicher Stellung belauernd. Aus den Berichten von mir und meinen Taten, die er zweifellos vernommen haben muss, wusste er, dass ich durchaus in der Lage war, ihm physisch zu widerstehen. Spätestens durch die eben gemachten Erfahrungen war auch mir klar, es mit einem mindestens ebenbürtigen Gegner zu tun zu haben.
Daher umschlichen wir uns lange Zeit, um eine Konzentrationsschwäche des Anderen abzuwarten, die einem den entscheidenden Vorteil bringen könnte. Ich nutzte die Gelegenheit, um einige Dinge klarzustellen und dabei womöglich einen psychischen Vorteil zu erringen.
„Hören Sie, Sotho“, sprach ich ihn, ohne auf meine Lautstärke zu achten, an. „Bevor wir diese unselige Begegnung beenden, möchte ich Sie doch noch auf eines Hinweisen. Ich habe es Ihnen zu keiner Zeit gestattet, mich derart vertraulich anzusprechen. Ich verbitte mir das ,Du’ und bin auch keineswegs ein ,Gorim’ , als den Sie mich stets beschimpfen.“
Ich wusste sehr wohl, dass dieses Wort eine Beleidigung der Krieger für ihre Gegner war. Eigentlich wurden so ganz bestimmte Widerstandskämpfer gegen das Dogma des „Dritten Weges“ bezeichnet. Ich hatte in den letzten Jahren des Öfteren versucht, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, jedoch stets ohne Erfolg. Nur den Namen dieser Gruppe hatte ich in Erfahrung bringen können. Sie nannten sich „Gänger des Netzes“, was immer das heißen mochte.
„Mein Name ist Lyktor Baram“, fuhr ich fort. „Ich möchte Sie ersuchen, mich künftig mit meinem vollen Namen und ,Sie’ anzusprechen.“
Ich spekulierte ein wenig darauf, ihn mit dieser Rede zu verwirren. Die tatsächliche Reaktion hatte ich aber nicht erwartet. Sotho Torm Arn begann, ohne seine Kampfhaltung aufzugeben, aus vollem Hals zu lachen. Hätte ich die Augen geschlossen, ich hätte schwören können, einen Haluter lachen zu hören. Dieses verwirrte mich wiederum dermaßen, dass ich kurzzeitig meine Deckung geöffnet haben muss.
Torm Arn nutzte dies jedoch nicht aus, vielmehr erwiderte er: „Sie müssen schon verzeihen, Lyktor Baram“, wobei er das „Sie“ und meinen Namen ironisch betonte. „Ihre Etikette sind mir durchaus geläufig, aber ich dachte, Sie durch ihre Missachtung provozieren und zur Unachtsamkeit verleiten zu können, was mir – zugegeben – bisher nicht so recht gelingen wollte.
Ehrlich gesagt bewundere ich Ihre Aktion in dem Asteroidensystem ein wenig. Sie wäre eines estartischen Kriegers würdig gewesen. Ich denke ich gestatte Ihnen, mich in den letzten Minuten Ihres Lebens zu duzen und mich ,Arnos’ zu nennen.“
Das von mir eröffnete Psychoduell begann sich nun zu meinen Ungunsten zu entwickeln. Die detaillierten Kenntnisse Torm Arns über halutische Umgangsformen brachte mich vollends aus der Fassung.
Woher wusste der Sotho das alles? Keiner der Ewigen Krieger, denen ich in den letzten Jahren in unzähligen Kämpfen begegnet war und mit denen ich auch einige Worte gewechselt hatte, besaß dieses Wissen, noch hatte ich es irgendjemandem vermittelt.
Zusammen mit dem unerklärlichen Auffinden meines Versteckes in dem Asteroidensystem, wie Torm Arn es nannte, ergab sich ein Rätsel, das ich unbedingt lösen musste, wenn ich unbehelligt abreisen und diese Episode meines Lebens zu einem endgültigen Abschluss bringen wollte.
Erst das anfeuernde Kreischen Grolshs, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt und auf einen Aggregatblock gesetzt hatte, brachte mich keine Sekunde zu früh wieder zur Besinnung.
Der Sotho raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf mich zu. Seine Gelenke waren unnatürlich gegeneinander verdreht und schienen so seinen ganzen Körper unter unerhörte Spannung zu setzen, die sich gegen mich entladen sollte.
Ich rammte alle meine Fäuste nach vorne und verhärtete fast gleichzeitig meinen Körper.
Laut knirschend krachte er mit dem Schädel gegen eine meiner oberen Fäuste, während die meiner Laufarme ihn genau auf der Brust trafen, was ihm die Luft aus den Lungen presste.
Im selben Augenblick frästen sich seine Krallenhände blitzschnell vorstoßend in meinen Körper und zerrissen meine Kombination endgültig. Ich selbst trug wiederum keinerlei Verletzungen davon. Doch auch der Sotho schien den harten Aufprall gut verkraftet zu haben.
Noch bevor ich mich entkristallisieren und das Echsenwesen von mir stoßen konnte, stemmte dieses mich, an den Fetzen meiner Kleidung fassend, scheinbar mit Leichtigkeit über seinen Kopf und schleuderte mich, strukturverhärtet wie ich war, in eine der umstehenden Maschinen. Kurz bevor ich mit voller Wucht in das Aggregat einschlug, erkannte ich das Verhängnis, das damit verbunden war.
Ob durch Zufall oder voller Arglist, Torm Arn warf mich in das wichtigste an Bord befindliche Gerät, den Paratronkonverter.
Worauf mein Gegner vielleicht spekuliert hatte, dass die in dieser Maschine gefesselten Urgewalten mich trotz meiner Strukturwandlung vernichteten trat nicht ein. Zum einen war der Konverter zur Zeit nicht in Betrieb – zum Linearflug wurde er nicht benötigt –, sondern auf „stand by“ geschaltet. Zum anderen besaß dieses Herzstück eines jeden Haluterschiffes selbstverständlich unzählige Sicherheitsschaltungen, die bei Vorfällen dieser Art zum Tragen kamen. Schon bei meinem Durchschlagen der äußeren Verkleidung wurde das komplette System im Bruchteil einer Sekunde vom Netz genommen und die Verbindung zum Hyperraum geschlossen.
Als ich mich langsam in den Trümmern des Gerätes aufrichtete, wurde mir das gesamte Ausmaß der Katastrophe bewusst. Der Paratronkonverter war durch meinen Einschlag irreparabel beschädigt beziehungsweise vollständig zerstört worden. Das bedeutete in grausamer Konsequenz, dass diesem Schiff von nun an weder die Intervallkanonen noch der Paratronschirm noch, was das Schlimmste war, das Dimetranstriebwerk zur Verfügung standen.
Ich war in dieser Galaxis so gut wie gefangen und konnte die Pläne für meinen Lebensabend somit getrost vergessen. Diese restlose Zerstörung meiner letzten Hoffnungen schaltete mein Planhirn vollends aus. Möglicherweise brach in diesem Moment die eigentlich überwundene Drangwäsche wieder durch.
Wie durch einen Tunnel erblickte ich voller Wut den Sotho, wie er sich mit seinem Animateur über irgendwelche Dinge unterhielt. Ich konnte und wollte nicht verstehen, worum es dabei ging. Dieses Ziel meines maßlosen Zorns war für den Verlust meiner bereits in den schönsten Tönen ausgemalten Zukunft verantwortlich.
Danach muss ich wie ein Berserker gewütet haben. Später konnte ich von Glück sagen, dass nicht noch weitere wichtige Maschinen zerstört wurden. Ich muss auf Laufarmen und Beinen mit halbwegs kristallisiertem Oberkörper auf die beiden zugetobt sein und sie gegen die stählerne Wand gedrückt haben, an der sie standen. Möglicherweise gab es auch einen längeren harten Kampf zwischen mir und dem Sotho. Ich erwachte erst aus meinem Rausch der Gewalt, als die beiden Echsenwesen nahezu leblos vor mir lagen.
Meines gesamten Lebenswillens entleert, ließ ich mich ihnen gegenüber kraftlos zu Boden sinken. Im Gegensatz zu ihnen, die mit seltsam verwinkelten Gliedern, nur noch flach atmend und mit Wunden versehen, an deren Entstehung ich mich nicht mehr erinnern konnte, ihr unmittelbares Ende erwarteten, war ich körperlich nahezu unversehrt. Psychisch gesehen war ich jedoch ein Wrack.
In diesem Zustand wäre ich hier, meine ehemaligen Gegner anstarrend, hocken geblieben, bis das Raumschiff wegen Energiemangels aus dem Linearraum gefallen und nach endloser unterlichtschneller Fahrt in eine der umliegenden Sonnen gestürzt wäre. Vorher wäre ich aber sicherlich vor Hunger gestorben. Ich hatte nicht mal den Antrieb, meine beiden Herzen willentlich zum Stehen zu bringen, geschweige denn über meine Verantwortung für das ungeborene Leben in mir, dass zur Zeit erst aus einem mikroskopisch kleinen Zellhaufen bestand, nachzudenken.

Ein letzter Rest meines Bewusstseins muss dann durch die folgende Szene berührt worden sein, die ich durch meine starr auf die Sterbenden gerichteten Augen wahrnahm. Der Sotho begann sich auf einmal unendlich langsam aufzurichten. Sein Gesicht hatte längst die raubtierhaften Züge wieder abgelegt. Mit stumpfen Augen schien er etwas zu suchen. Als er seinen Animateur zu seinen Füßen liegen sah, versuchte er mit letzter Kraft seine Hand zu heben und ihn zu berühren. Er erreichte ihn jedoch nicht mehr.
„Grolshos, mein Kleines …“ , waren seine letzten Worte, worauf er endgültig in sich zusammensackte.
In mir begann es zu arbeiten. Scheinbar unendlich lange brauchte es, bis die gemachten Eindrücke in jene Tiefen vordrangen, in die mein Bewusstsein sich verkrochen hatte. Nur zögerlich begann es Interesse für das Gesehene zu entwickeln, Assotiationen zu erkennen und Schlüsse zu ziehen. Dieser Vorgang regte meinen Denkapparat wieder an. Auch andere Überlegungen fanden auf einmal wieder statt und zum Schluss begann nach einer scheinbaren Ewigkeit neben der aufkeimenden Neugierde auch ein Fünkchen Hoffnung und Lebenswille zu entstehen.
Schließlich raffte ich mich auf und ging langsam auf Torm Arns Leiche und Grolsh zu. Der Animateur lag immer noch reglos aber flach atmend da. Er muss bei dem Zusammenstoß zerquetscht worden sein. Ich war kein Arzt, aber ich meinte beurteilen zu können, dass die Medorobotik des Schiffes ihn nicht würde wiederherstellen können.
Trotzdem nahm ich ihn behutsam auf und trug ihn in die Krankenstation, die das Raumgefecht, bis auf ein paar heruntergefallene und teilweise zerbrochene Gegenstände, unbeschadet überstanden hatte. Ich legte ihn auf die Diagnoseliege und aktivierte das Xenoprogramm, das erst einmal den Körperbau und das Funktionieren der Organe eines Fremdwesens analysierte, bevor es eine Diagnose erstellte und entsprechende Maßnahmen einleitete.
Ich begab mich derweil in die Zentrale, um den Status des Schiffes zu kontrollieren. Mein seelisches Gleichgewicht hatte sich, den Umständen entsprechend, wieder hergestellt. Ich hatte bereits eine Idee, die die zunichte gemachte Planung ersetzen sollte. Bis die Positronik der Krankenstation mir Meldung über den Zustand ihres Patienten geben würde, wollte ich die Machbarkeit meiner Idee überprüfen, um sie dann in einen konkreten Plan zu verwandeln. Dieser würde aber erst zur Ausführung kommen, wenn ich geklärt hätte, wieso sich der Sotho Torm Arn, der oberste Krieger und Verkünder der Lehre ESTARTUs, sich im Augenblick seines Todes wie ein Haluter verhalten hatte.
Die Diagnose der Schiffssysteme bestätigte zunächst die Erkenntnis, auf die mein Amoklauf im Maschinenraum zurückzuführen war. Der Paratronkonverter und alle angeschlossenen Systeme waren unbrauchbar geworden. Alle anderen Maschinen wie Kraftwerke, Prallschirmgeneratoren und der Linearkonverter waren hingegen noch vollständig in Takt. Letzteres zeigte sich schon daran, dass das Schiff immer noch im Linearraum war.
Ich ließ das Schiff im nächstgelegenen Sternensystem in den Normalraum zurückfallen und flog es in den Ortungsschutz der Sonne. Aufgrund des fehlenden Paratronschirmes konnte ich nicht in einen allzu tiefen Orbit um das Gestirn gehen, aber um eine zufällige Entdeckung, oder die Anpeilung des hypothetischen Senders, für den ich auch nach dieser Analyse keine Beweise hatte, zu verhindern, musste es genügen. Eine weitere Raumschlacht hätte dieses Schiff nicht mal gegen das Beiboot eines Topsiderschiffes aus meiner Heimatgalaxis überstanden. Alles in allem konnte ich jedoch wieder mit einiger Zuversicht auf die kommenden Jahre blicken.
Ich begann mir gerade Gedanken über den verstorbenen Sotho zu machen, und wie ich ihn bestatten sollte, als das Signal aus der Krankenstation ertönte. Die Positronik teilte mir mit, dass die inneren Verletzungen zu groß seien, um eine Wiederherstellung des Organismus zu ermöglichen. Sie habe einiges über seine Körperfunktionen in Erfahrung bringen und die Schmerzen des Wesens lindern können. Den Eintritt des Todes in spätestens einem Tag könne sie jedoch nicht mehr verhindern.
Meine Frage nach den Hirnfunktionen und der Möglichkeit das Wesen zu wecken, um mit ihm zu reden, wurde positiv beantwortet. Kurz darauf injizierte die Medorobotik ein speziell auf den Organismus des Pterusähnlichen abgestimmtes Aufputschmittel. Nur wenig später schlug Grolsh die Augen auf und blickte erstaunt umher. Als er mich erkannte, verfinsterten sich seine Züge und mit schwacher aber abfälliger Stimme spie er geradezu das Wort „Gorim“ aus.
Wie er so dalag, erinnerte nichts mehr an ihm an den keifenden und meckernden Animateur. Vielmehr zeugten sein Blick und seine Mimik von einem selbstbewussten und souveränen Intelligenzwesen. Mir kam der Gedanke, dass die andere Erscheinung lediglich eine Rolle war, und dass hinter dieser unbegreiflichen Figur des Animateurs sehr viel mehr steckte. Ich empfand Mitleid mit dem Geschöpf, und mich schmerzte der Gedanke, für den Tod zweier Intelligenzen verantwortlich zu sein. Mir war klar, dass beide nicht eher geruht hätten, ehe nicht ich das Zeitliche gesegnet hätte, trotzdem ließ sich das Gefühl nicht wegwischen.
Doch ich empfand auch brennende Neugier. Ich ahnte, dass die Erklärung für das haluterähnliche Verhalten des Sothos große Bedeutung hatte. Ich versuchte daher mit dem Animateur Torm Arns ein Gespräch zu beginnen.
„Wie geht es Ihnen, Grolsh?“, fing ich an.
Als er darauf nicht reagierte versuchte ich es anders.
„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sotho Torm Arn im Kampf gegen mich unterlegen war. Er verstarb an den Folgen der erlittenen Verletzungen.“
Nach einer Pause fügte ich hinzu: „Es tut mir leid Ihnen sagen zu müssen, dass auch Sie in die Kampfhandlungen verwickelt wurden und dabei schwere Verletzungen davontrugen. Sie werden ihnen in einigen Stunden erliegen. Die Robotsysteme meiner Krankenstation waren nur noch in der Lage, diese Diagnose zu stellen und Ihnen die Schmerzen zu nehmen.“
Mit einer derart direkten und offenen Aussage ging ich ein Risiko ein, da es viele Lebewesen gab, die am Bewusstsein des nahenden Todes psychisch zerbrechen konnten. Ich ging jedoch davon aus, dass die hiesigen Intelligenzen, vor allem wenn sie der Philosophie des Permanenten Konfliktes anhingen, eine Todesverachtung besaßen, die sie dem nahenden Ende ihres Lebens ohne Angst entgegensehen ließ; lediglich darum besorgt, dass ihr Tod ein „ehrenvoller“ sein würde, was in diesem Fall sogar gegeben war. Ich hoffte Grolsh damit zu einer Antwort bewegen zu können.
Und tatsächlich: er blickte mir direkt in die Augen.
Nach einer ganzen Weile sagte er: „Du glaubst, dass du gewonnen hast, Gorim. Da irrst du dich! Du hast dich mit einer Macht angelegt, die zu groß für dich ist. Du kannst gar nicht gewinnen! Wir werden noch einen Sotho erschaffen, der nicht auf einem Zweikampf besteht, sondern mehr auf seinen Animateur hört. Er wird dich mit einem riesigen Kriegertross jagen und stellen und dann zertreten wie ein kleines unbedeutendes Insekt.“
Ein Hustenanfall unterbrach seine Rede, die bereits sehr interessante Andeutungen enthalten hatte. Die Animateure, von denen es mehrere zu geben schien, waren in dem Duo mit einem Sotho keineswegs der unwichtigere Teil. Eher schien es so, dass sie den jeweiligen Sotho führten und kontrollierten. Tatsächlich „erschufen“ sie ihn sogar auf irgendeine Weise. In diesem ominösen Schöpfungsprozess musste auch des Rätsels Lösung verborgen liegen.
Bevor ich ihn danach Fragen konnte, fuhr Grolsh in seiner Rede fort: „Aber das wird wohl gar nicht nötig sein. Ich habe sehr gut erkannt, dass der Sotho dich in die zentrale Anlage deines Schiffes geworfen hat, wodurch diese zerstört wurde. Dein Schiff ist ein Wrack, mit dem du kein Lichtjahr mehr weit kommst. Torm Arn hat also nicht vollends versagt. Wenn man dich findet, wird man nicht mehr als einen Energiestrahl vergeuden müssen, um dir ein unrühmliches Ende zu bereiten.“
Dass der Animateur hier einem Irrtum aufgesessen war, das Lineartriebwerk funktionierte schließlich noch einwandfrei, sagte ich ihm nicht. Ich hoffte, dass ihn die Überzeugung, dass ich keinerlei Gefahr mehr darstellte und bald getötet werden würde, zu einigen Erklärungen bringen würde. Er hustete erneut. Das dachte ich, bis ich erkannte, dass es ein Lachen sein sollte.
„Eigentlich sollten wir dir ja dankbar sein, Gorim“, krächzte er. „In den drei Jahren deines Wirkens hast du der Philosophie des Permanenten Konfliktes zu ungeahnter Blüte verholfen. Du musst wissen, dass die Ewigen Krieger sich seit langem keinem ernsthaften Gegner mehr stellen mussten. Diese Gänger des Netzes sind nur noch lächerlich zu nennen und ein neuer Feind war nicht in Sicht. Das hätte uns ernsthafte Probleme bereiten können. Doch diese Sorge sind wir für die nächsten Jahrhunderte los. Selbst wenn du in Kürze tot sein wirst, werden die Ewigen Krieger lange Zeit damit beschäftigt sein, deine Heimatgalaxie zu lokalisieren und dafür zu sorgen, dass von ihr keine Gefahr durch marodierende Bestien mehr ausgeht. Ja, wir müssen dir wirklich dankbar sein, ich denke das solltest du wissen, ehe du dein Leben unter dem Beschuss eines Elfahders aushauchst.“
Nach diesen Worten war ich mir sicher, die gewünschten Informationen ohne weitere Probleme zu erhalten.
Daher sprach ich ihn ohne Umschweife darauf an: „Es wäre nett, wenn Sie mir Ihren Dank in der Erfüllung einer letzten Bitte darbieten würden. Verraten Sie mir, wieso der Sotho die Charaktereigenschaften eines Angehörigen meines Volkes gezeigt hat und vielleicht auch, wie man mich in dem Asteroidensystem hatte finden können.“
Der Animateur schwieg eine ganze Weile ehe er fragte: „Was willst du mit dieser Information noch anfangen, Gorim?“
„Es interessiert mich einfach“, antwortete ich schlicht.
Erneut verging einige Zeit.
„Nun gut“, meinte Grolsh endlich. „Man soll einem Todgeweihten seine letzte Bitte nicht verwehren, heißt es in einigen Kulturen.“
Der bitteren Ironie, dass er diese Worte auf seinem eigenen Sterbebett liegend formulierte, wurde er sich scheinbar nicht bewusst.
„Deine beiden Fragen hängen eng miteinander zusammen, Gorim. Die Sothos sind, kurz gesagt, Retortenlebewesen. Gezüchtet aus dem Genmaterial eines Pterus stellen sie den perfekten Krieger dar. Immer wenn die Ewigen Krieger einer Aufgabe oder einem Feind nicht mehr gewachsen sind, wird ein Sotho hergestellt. Er steht dann in Rang und Ansehen über allen zwölf Ewigen Kriegern, um diese zu befehligen und die Statthalter ESTARTUs zum endgültigen Sieg zu führen. Nach Erfüllung seiner Aufgabe verschwindet der Sotho wieder und bleibt als mythischer Held in Erinnerung. Schon bei seiner Herstellung wird er direkt auf seinen künftigen Gegner konditioniert. Denn nur wenn man diesen genau kennt, kann man ihn schlagen. Dazu bedienen wir uns der Morphogenetischen Felder, die alle intelligenten Lebewesen eines Genpools miteinander verbinden. Indem wir die Keimzellen pterusischen Ursprungs mit der Lebensaura des Gegners versehen, machen wir den künftigen Sotho zu einem Bestandteil seines Morphogenetischen Feldes, für das er außerdem in höchstem Maße sensibilisiert wird. Das hat zur Folge, dass der Sotho sich stets in seinen Feind hineinversetzen, seine Logik nachvollziehen und ihn meistens sogar lokalisieren kann. In deinem Falle haben in irgendeinem Einsatz ein paar Elfahder einige Zellen aus deinem Körper heraussprengen können und diese uns übergeben. Das genügte uns, um die Prozedur zur Schaffung eines speziell auf dich abgerichteten Sothos durchführen zu können.“
Nun war ich vor den Kopf gestoßen. Wenn mir diese Eröffnung auch die Suche nach dem hypothetischen Sender ersparte und die ungestörte Flucht aus dem Cluster garantierte, konnte ich sie doch nicht so einfach verkraften.
„Sie meinen, er wurde unter anderem aus meinen Genen geklont?“
„Quatsch!“, erwiderte er ärgerlich hustend. „Biologisch gesehen ist ein Sotho ein reiner Pteru, der lediglich mit außerordentlichen Fähigkeiten versehen wurde. Wenn dir dieses Bild besser hilft, Gorim, kann man sagen, dass Torm Arns Zellen nur im Rhythmus der deinen schwingen. Sie besitzen eben deine Aura, deine Lebensenergie. Das führte dazu, dass er die Instinkte und Bewusstseinsstruktur eines Wesens deiner Art erhielt, was ihn zu einem optimalen Kämpfer gegen dich machte. Und obgleich er nun tot ist, hat er doch gesiegt. Du bist hier gefangen und wirst in Kürze ebenfalls den Tod finden. Vielleicht sogar noch vor mir, was mir eine helle Freude wäre.“
Nach diesen Worten wand er sich in einem schrecklichen Hustenanfall, worauf mich die Medopositronik aufforderte, die Krankenstation zu verlassen. Um dem Patienten weitere Schmerzen zu ersparen, solle er seine letzten Stunden besser allein verbringen.
Sehr nachdenklich ging ich noch einmal in den Maschinenraum. Ich betrachtete den Sotho Torm Arn nun mit anderen Augen. Wenn er tatsächlich im Geiste ein Haluter war, und seine letzten Worte bewiesen das, hätte es vielleicht nicht so weit kommen müssen. Man hätte ihn dem Einfluss des Animateurs entziehen müssen. Ich hätte mich mit ihm verständigen und einigen können. Oder auch nicht?
Es war müßig darüber nachzudenken, wo alles vorbei war. Ich beschloss, Torm Arn eine ehrenvolle Raumbestattung zu gewähren. Das war das mindeste, was ich ihm schuldig war. Sicher, er hatte den Paratronkonverter zerstört, aber … irgendwie fühlte ich mich ihm verbunden.
Ich stand noch lange in der Schleuse und sann dem Leichnam nach, der längst nicht mehr zu sehen war. Da erreichte mich die Meldung der Positronik, dass der Animateur verstorben war. Ihn bestattete ich auf die gleiche Weise, obwohl ich kurz mit dem Gedanken spielte, ihm nicht dieselbe Ehre wie Torm Arn zuteilwerden zu lassen.
Dann versuchte ich Vergessen in der Arbeit zu finden. Ich begann die Energiereserven des Schiffes aufzufüllen und nahm die Reparaturen in Angriff. Meine letzte Drangwäsche war nun endgültig beendet, und ich konnte diesen Abschnitt hinter mir lassen.
Tage später startete ich mit vollen Brennstofftanks und einem einigermaßen stabilen und intakten Schiff in Richtung Milchstraße. Nach Erreichung von ungefähr 70% der Lichtgeschwindigkeit aktivierte ich den Linearkonverter und brachte das Schiff mit einem Überlichtfaktor von acht Millionen auf Kurs. Mit den Energiereserven des Schiffes, die ich im Leerraum zwischen den Galaxien nicht erneuern konnte, war das der höchstmögliche Wert, den ich nicht überschreiten durfte, wenn ich jemals mein – unser – Ziel erreichen wollte.
Das würde, wenn alles glatt ging, in etwa fünf Jahren sein.

Drei Jahre Flugzeit

„Hey, das war ein guter Kampf, Mum. So alt, wie du immer tust, bist du gar nicht. Du hast mich ganz schön aufs Kreuz gelegt.“
Lyktor Baram erwiderte diese Bemerkung seines Sprösslings mit einem tiefen Brummen, was in etwa einem leichten Schmunzeln entsprach. Byltor Marak gefiel sich seit einigen Wochen darin, terranische Ausdrucksweisen zu verwenden. Dinge wie „aufs Kreuz legen“ sagte er besonders gerne, und seinen Elter nannte er nur noch „Mum“, beziehungsweise „Dad“, je nach Lust und Laune.
Der alte Haluter tolerierte diese kleine Spinnerei, da sie typisch für die Entwicklungsphase „seines Kleinen“ war – so durfte er sein Kind natürlich nicht mehr nennen, wenn er es nicht zu Tobsuchtsanfällen animieren wollte.
Mit drei Jahren erreicht ein Haluter nämlich die Geschlechtsreife, was mit vielen weiteren körperlichen und seelischen Veränderungen einhergeht. Auch werden die jungen Wesen erstmals mit ihrer eigenen Aggressivität konfrontiert, so dass diese Phase im Halutischen allgemein als „kleine Drangwäsche“ bezeichnet wird.
Lyktor Baram hatte davor ein wenig Angst gehabt. Doch als es dann soweit war, kamen er und sein Nachwuchs ausgezeichnet damit zurecht. Auf dem von der Positronik geschaffenen virtuellen Planeten konnte sich Byltor Marak ausreichend austoben. Zusätzlich hatte sein Elter ihm im Wohntrakt des Schiffes einen Trainings- und Kampfraum eingerichtet, in dem sie beide des Öfteren miteinander rauften, was einerseits dem Jungen gefiel, weil er sich hier ebenfalls abreagieren konnte und zusätzlich einige Kampftechniken erlernte, und andererseits dem Verhältnis zwischen Elter und Kind äußerst zuträglich war.
Die beiden Kolosse – Byltor Marak reichte seinem Elter bereits bis an den Ansatz der Laufarme – begaben sich in die domartige Zentrale, die sich in den letzten Jahren zum Aufenthaltsraum der Kleinstfamilie entwickelt hatte. Der Kleine setzte sich sogleich an seinen Positronikterminal.
Nachdem Lyktor Baram ihm vor zwei Jahren den Bericht über seinen Aufbruch aus ESTARTU gezeigt hatte, war der Kleine zunächst sehr nachdenklich geworden. Der alte Haluter hatte schon befürchtet, ihm doch zu viel zugemutet zu haben. Doch dem war nicht so. Auf einmal hatte Byltor Marak begonnen, einen enormen Wissensdurst zu entwickeln. Er wollte alles über Schiffstechnologie, Astronomie, Sprachenkunde, Kosmosoziologie und was es noch zu wissen gab erfahren. Das hatte seinen Elter sehr froh gestimmt, und so hatte er ihm einen eigenen Terminal eingerichtet, an dem er fortan selbständig alles was er wollte lernen konnte. Der Kleine hatte bis heute einen Großteil der Tage an diesem Gerät verbracht und alles gelernt, was die Positronik gespeichert hatte und nicht von seinem Elter aus verschiedenen Gründen noch unauffällig gesperrt worden war.
In letzter Zeit hatte er sehr großes Interesse für die Terraner und ihre Geschichte entwickelt, worin die Ursache für seine derzeitige Sprache lag. Dieses Interesse hing sicherlich mit der Mentalität dieses Volkes zusammen, das sich in einer ständigen Drangwäsche zu befinden schien, wie einige Haluter des Öfteren behauptet hatten.
Während Byltor Marak sich in ein Lehrprogramm vertiefte, nutzte sein Elter die Zeit und nahm einen Orientierungshalt im Normalraum vor. Obwohl man auch im sogenannten Linearraum Eindrücke aus der vierdimensionalen Raumzeit erhalten konnte, war ein solcher Zwischenstopp von Zeit zu Zeit notwendig. Man konnte das Ziel zwar immer als roten Fleck auf einem Spezialschirm sehen, eine genaue Kursbestimmung und vor allem -korrektur war jedoch nur im Normalraum möglich. Außerdem konnte man den Linearkonverter nicht ununterbrochen laufen lassen, wenn man ihn über Jahre hinweg funktionstüchtig halten wollte.
Der greise Haluter desaktivierte also das Kompensationsfeld und nahm, während das schwarze Kugelraumschiff mit etwas unter dreiviertel der Lichtgeschwindigkeit einsam durch den unendlichen Leerraum fiel, die entsprechenden Schaltungen und Berechnungen vor. Da alles nach Wunsch funktionierte, dauerte diese Prozedur nur wenige Minuten. Danach fuhr er das mehrdimensionale Kompensationsschirmfeld wieder hoch und hob das Schiff und den es umgebenden Raum wieder leicht aus dem angestammten Kontinuum, so dass nur noch das Schirmfeld Kontakt zum Normalraum hatte, und Geschwindigkeiten weit über der des Lichts möglich wurden.
Zufrieden lehnte Lyktor Baram sich zurück. Die Balgerei mit seinem Kind hatte ihm Spaß gemacht, und er konnte dem jungen Spund immer noch zeigen, was Erfahrung und jahrtausendelanges Training ausmachten. Dennoch hatte es ihn auch übermäßig angestrengt. Man konnte ihm das nicht ansehen, aber er hatte während des Kampfes sein zweites Herz dazuschalten müssen – ein deutliches Zeichen seines zunehmenden Alters.
Haluter bleiben, da sie keine Krankheiten kennen und ihre Körperfunktionen hundertprozentig unter Kontrolle haben, bis ins hohe Alter fit und aktiv. Erst kurz vor ihrem Tod setzt ein rapider Verfall ein. Barams Schwäche war ein Vorbote davon. Es würde nicht mehr lange dauern.
„Dad?“ Byltor Marak war von seinem Platz aufgestanden und zu seinem Elter gegangen.
Dieser schrak leicht aus seinen Gedanken hoch und betrachtete seinen Sprössling, wie er etwas unruhig vor ihm stand. Er war mit einer leichten Kombination bekleidet, die Lauf- wie Handlungsarme unbedeckt ließ. Hier konnte man erkennen, dass einige Stellen auf der tiefschwarzen Haut metallen schimmerten. Diese Flecken waren kristallisiert.
Wenn ein Haluter in die „Kleine Drangwäsche“ kommt, entwickelt sein Körper erstmals die Fähigkeit, sich strukturzuwandeln, sprich einzelne Zellen in stahlhartes kristallines Material zu verwandeln. Es dauert stets einige Wochen bis Monate, bis der jugendliche Haluter lernt, diese neuerworbene Fähigkeit willentlich zu steuern. Daher kommt es in dieser Phase oftmals zu unbewussten Umwandlungen in kleinerem Ausmaß, was einige kristallisierte Stellen auf der Haut zur Folge hat.
„Ja, mein … ich meine Marakos“, erwiderte der Alte.
Er musste sich erst daran gewöhnen, seinen Kleinen mit Namen anzureden. Dieser hatte anfangs darauf bestanden, ihn mit dem ersten Namen anzusprechen, weil dies bei den Terranern so üblich war. Darauf war Lyktor Baram aber nicht eingegangen, schließlich waren sie immer noch Haluter. Überzeugt hat den Kleinen aber erst die Tatsache, dass es auch auf Terra Regionen gab, in denen die Menschen ihren Rufnamen an zweiter Stelle stehen hatten.
„Ich würde gerne mehr über unser Volk erfahren. Vor allem über die Drangwäsche. Du hast mal gesagt, dass du gerade in der Drangwäsche warst, als du in diesem Galaxienhaufen warst. Ich möchte wissen, wie das so ist. Hast Du viele Raumschlachten geschlagen? Du hast bisher noch nie von den drei Jahren erzählt, in denen du dort warst. Was hast du alles erfahren, mit welchen Kreaturen hast du gekämpft? Ich will alles darüber wissen.“
Lyktor Baram versank wieder eine Zeitlang in Schweigen, während der sein Kind ungeduldig auf dem Sessel hin und her rutschte, in den es sich gerade gesetzt hatte. Die diesbezüglichen Daten gehörten zu jenen, die er vorerst dem Zugriff seines Nachwuchses entzogen hatte. Das hing größtenteils mit der auf Halut üblichen Diskretion zusammen, mit der der ganze Komplex der Drangwäsche behandelt wurde. Der Zeitpunkt schien jedoch gekommen, an dem er den jungen Haluter genau mit diesem delikaten Teil halutischen Daseins bekanntmachen musste.
„Nun ja, Marakos. Die Haluter sind, wie ich dir schon des Öfteren erzählte, ein friedliches und zurückgezogen lebendes Volk, dessen höchstes Ziel das Sammeln von Wissen und Weisheit ist. Das war jedoch nicht immer so. Vor unglaublich langer Zeit waren wir ähnlich wie die Terraner, jedoch um einiges wilder. Wir zählten Milliarden und drängten in die Galaxis, um sie zu erobern und zu beherrschen. Dank unserer technischen und auch körperlichen wie geistigen Überlegenheit, hatten wir schnell die anderen Völker besiegt und unterworfen. Diese Wildheit fiel von uns ab und wir wurden so, wie wir heute sind: friedliebend und bescheiden. Nur von Zeit zu Zeit überkommt einen jeden Haluter wieder die alte Wildheit, und er muss losziehen und Abenteuer erleben. Dieses Thema ist auf Halut tabu, da man in der Drangwäsche Dinge tut, die man im Normalzustand verabscheuen würde. Der Aufbruch in die Drangwäsche ist zwar stets mit einem Ritual verbunden, das jedoch schnell und in aller Heimlichkeit abgewickelt wird. Kein Haluter berichtet von den Dingen, die er erlebt hat. In Ausnahmefällen werden die gemachten wissenschaftlichen Erkenntnisse veröffentlicht, mehr jedoch nicht. Ich kann dir also nicht erzählen, wie eine solche Drangwäsche in der Regel abläuft. Das einzige mit dem ich dienen kann, sind die Erlebnisse meines letzten Aufbruchs, die dich wohl auch am meisten interessieren.“

Zweiter Bericht Lyktor Baram

Ich platzte geradezu vor Tatendrang und Aggressivität, als ich im Zentrum der zwar kartografierten aber sonst völlig unbekannten Galaxis in den Normalraum zurückfiel. Sie war Teil eines Galaxienclusters, der von den Terranern meines Wissens „Virgo Haufen“ genannt wurde. Bei uns Halutern trug er lediglich eine Ziffernreihe.
Bei aller Wut und Energie, die in mir tobte, war ich dennoch beherrscht genug, mich erst einmal gründlich umzuschauen und die Passivorter mit höchster Empfindlichkeit laufen zu lassen. Ich war sehr überrascht, als ich im mittleren Frequenzbereich des Hyperspektrums außer natürlichen Signalen, wie sie von Sonnen ausgesandt wurden, nichts oder nur sehr wenig empfing. Das bedeutete, dass es keinerlei künstliche Hypersender in dieser Galaxis gab. Die Schlussfolgerung daraus war geradezu eine Unmöglichkeit, wenn man die Völkervielfalt der Milchstraße zum Maßstab nahm: In dieser Galaxis gab es keine oder nur sehr wenige raumfahrende Kulturen!
Doch so schnell wollte ich nicht enttäuscht aufgeben. Wenn es auch nur ein Volk in dieser Sterneninsel gab, das die interstellare Raumfahrt beherrschte, dann würde ich es finden. Dazu aktivierte ich die psionischen Orter und erlebte meine zweite Überraschung. Der auf höchste Empfindlichkeit eingestellte Orter für hochfrequente Hyperstrahlung – nichts anderes ist psionische Energie –, mit dem ich eigentlich Hinweise auf Intelligenzen finden wollte – schließlich sind Gehirne mehr oder weniger starke psionische Strahler –, brannte beinahe durch.
Ich entdeckte, dass in der gesamten Galaxis eine Fülle und ein Wust psionischer Impulse herrschte, die um mehrere Zehnerpotenzen über dem Wert der Milchstraße lagen. Sofort war meine Neugierde geweckt, und das Jagdfieber hatte mich gepackt. Ich musste herausfinden, was in dieser Galaxis vorging. Die in mir aufgestaute Energie hatte ein Ziel gefunden.
Bei genauerer Analyse, der auf mein Schiff prasselnden psionischen Strahlung, ergab sich, dass in einer Richtung eine ganz besonders intensive Quelle lag, die zudem auf recht engen Raum begrenzt war. Eine schlichte Dreieckspeilung, bei der ich meine Position um einige Lichtjahrhunderte veränderte, ergab als Quelle ein Sonnensystem, etwa 20.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis und somit auch meiner Position entfernt. Ich machte mich sofort auf den Weg.
Während der nur wenige Stunden dauernden Linearetappe machte ich mir einige Gedanken und versuchte, mir eine Theorie über dieses Phänomen zurechtzulegen. Mehr als ein paar Spekulationen brachte ich jedoch nicht zustande. Die Intensität der Strahlung war so hoch, dass es mehrerer Billionen psionisch hochbegabter, auf engstem Raum befindlicher intelligenter Individuen bedurft hätte, um sie zu erzeugen. Die Spekulation, der ich mit meinem Planhirn die höchste Wahrscheinlichkeit errechnete, war, dass es sich um ein vergeistigtes Volk in der Art des Fiktivwesens „ES“ handele, von dem die Terraner berichtet hatten. Doch auch diese Erklärung war nur dürftig, da solcherart Phänomene in der Milchstraße noch nie beobachtet wurden. Ich musste also einfach abwarten, was mich bei dem Zielstern erwartete.
Als ich endlich am inneren Rand der Oortschen Wolke des Sonnensystems den Linearraum verließ, konnte ich auf den Holoschirmen der Hyperortung die merkwürdigste Raumschlacht beobachten, die ich je gesehen hatte.
Es war nicht die Art, in der gekämpft wurde – in ihrer stumpfsinnigen Gewalt, Grausamkeit und Gnadenlosigkeit war es eine unangenehm durchschnittliche Schlacht –, sondern es waren die Mittel, mit denen dies geschah, was mich staunen ließ. Die gesamte Technik, Waffen, Schutzschilde, Überlichttriebwerke und -kommunikation zumindest einer Partei basierte auf hochfrequenter Hyperenergie, war also psionischer Natur.
Bei halutischen Wissenschaftlern galten Phänomene des Hyperraums ab einer bestimmten Frequenz als nicht mehr berechenbar. Das hatte zur Folge, dass dieser Frequenzbereich nur in sehr eingeschränktem Maße technisch genutzt werden konnte, so bei der Beeinflussung organischer Gehirne in Form von Hypnostrahlern und ähnlichem.
Berichte einzelner terranischer Wissenschaftler, dass die Technik des bereits erwähnten Überwesens „ES“ auf psionischer Energie basiere, waren sehr vage und hatten sich nie bestätigen lassen. Es gab Theorien halutischer Wissenschaftler, dass die Struktur des Hyperraums so beschaffen sei, dass hochfrequente Energien bestimmten Bahnen wie in einem Netz folgten. Um die höchstwahrscheinlich effektiveren Energien nutzen zu können, müsse man daher nur die Bahnen dieses Netzes sozusagen „kartografieren“. Dann könne man die scheinbar chaotischen psionischen Energien wieder berechnen. Die diesbezüglichen Forschungen waren jedoch rein theoretisch und sehr umstritten.
Die Überlegenheit gegenüber der Nutzung normalfrequenter Hyperstrahlung konnte ich auf den Holoschirmen einwandfrei beobachten. Mit dem technische Stand, der hier offenbar wurde, hätte sich in der Milchstraße niemand messen können.
Doch das Schlachtgeschehen lenkte mich schnell von solchen Überlegungen ab. Der Kampf um den vierten Planeten des Sonnensystems zeichnete sich durch extreme Einseitigkeit und ausgesuchte Gnadenlosigkeit des überlegenen Aggressors aus. Dies zu beobachten brachte mein Blut in Wallung. Im Zustand der Drangwäsche konnte ich dieses ungerechte Abschlachten schon gar nicht ertragen. Ich musste eingreifen!
Die Flotte des Angreifers war gigantisch. Eine weit außerhalb des Sonnensystems gelegene Station von der Größe eines kleinen Mondes stellte wohl eine Art Basis dar. Flaggschiff war augenscheinlich eine flache sternförmige Konstruktion, die hinter den Frontlinien stehend kaum in das Kampfgeschehen eingriff. Die eigentliche Schlacht schlugen wenige aus mehreren aneinandergekoppelten Kugeln bestehende und wesentlich mehr halbkugelförmige Schiffe.
Die Reihen der Verteidiger waren im Grunde durchbrochen, nur wenige der schlanken Zylinderschiffe lieferten dem Gegner noch ein tapferes Rückzugsgefecht. Dieser schickte sich bereits an, den Planeten an einigen Stellen zu bombardieren und an anderen Landungstruppen niedergehen zu lassen, um diese in einem völlig unsinnigen Bodenkampf gegen die bereits geschlagene Bevölkerung antreten zu lassen. Ich war vor Zorn und Angriffslust kaum in der Lage, einen vernünftigen Plan zu fassen. Zunächst wollte ich die Truppen von dem Planeten verjagen, bevor ich gegen die Raumflotte vorgehen würde. Wie das geschehen sollte und ob es überhaupt eine Möglichkeit dafür gab, war mir noch nicht klar. Aber weder die überlegene Technik des Gegners noch seine Überzahl konnten mich von diesem Vorhaben abbringen. Ich war ausgezogen, um in fernen Galaxien Aufregung und Abenteuer zu finden. Und was war aufregender und abenteuerlicher als das Schlagen einer fast aussichtslosen Schlacht?

Im allgemeinen energetischen Chaos des Kampfes wurden meine Vorbereitungen und die Fahrtaufnahme am Rande des Systems nicht wahrgenommen. Mit feuerbereiten Waffen und im Leerlauf auf Hochtouren arbeitendem Paratronkonverter, überwand ich die Entfernung zum Heimatplaneten der Verteidiger in einer kurzen Linearetappe. Durch das Überraschungsmoment – keiner der Angreifer konnte mit mir rechnen – glaubte ich eine akzeptable Chance zu haben, die Reihen des Gegners im Orbit zumindest durcheinander bringen zu können, um dann unbehelligt auf dem Planeten zu landen.
Als ich über dem Planeten aus dem Linearraum fiel und nahezu gleichzeitig den Paratronschirm aktivierte, entließ ich zunächst eine kleine Armada schnell programmierter, selbstlenkender überlichttauglicher Raumtorpedos, unter die ich auch einige Sonden mischte, die mir alle erreichbaren Informationen über meinen soeben auserkorenen Gegner liefern sollten. Diese aus den Strukturlücken des Schirmes hervorbrechende Flottille sollte die Aggressoren eine Weile beschäftigen und von mir ablenken. Noch während des Abschusses der positronikgesteuerten Raketen, verarbeitete ich die ersten Ortungsergebnisse.
Demnach hatten die im Orbit stationierten Feindschiffe, die den Planeten bombardierten beziehungsweise Landungstruppen ausschleusten, offenbar aus dem Gefühl der Überlegenheit heraus, keinerlei Schutzschilde aktiviert. Ohne zu zögern nutzte ich diese Schwäche aus, um den akutesten Druck von den Verteidigern zu nehmen. Ehe die mutmaßlichen Kommandanten der Halbkugelschiffe mein Erscheinen überhaupt deuten konnten, vergingen sie und ihre Schiffe schon in den alles zertrümmernden Hyperfeldern meiner Intervallkanonen.
In dem nun entstehenden heillosen Chaos kam der eigentliche Kampf kurzzeitig nahezu zum Erliegen. Weder die Angreifer noch die Verteidiger wussten mit der veränderten Situation etwas anzufangen. Ich aber landete auf dem Planeten in der Nähe der gegnerischen Landungstruppen.
Durch die weiterhin funkenden Sonden bekam ich noch mit, wie die bis zu 1000 Meter langen und vielleicht ein Sechstel so breiten Schiffe der Verteidiger sich neu zu formieren begannen, wohingegen die Reihen der Angreifer durch die sie narrenden Raumtorpedos – darauf hatte ich diese hauptsächlich programmiert – völlig durcheinandergeraten waren und sich nur langsam wieder zu schließen begannen.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, dass eine gerade 20 Meter durchmessende Kugel, abgekoppelt von einem der aus bis zu zehn dieser Kugeln bestehenden Schiffe, mir unmittelbar auf den Fersen war und nicht weit von mir landete.
Ich landete mein Schiff in einem Binnenmeer, das nur wenige Kilometer von den ersten Stellungen der gegnerischen Landungstruppen entfernt lag. So meinte ich es ausreichend getarnt zu haben.
Die Bodentruppen der Angreifer hatten augenscheinlich vor, eine Siedlung der Planetenbewohner zu erobern, die möglicherweise von großer Bedeutung für diese war. Sie trafen auch auf energischen Widerstand, der sie zu einer Art Grabengefecht zwang. Die Überlegenheit ihrer Waffen war jedoch leicht zu erkennen. Es hätte nur einige Stunden gedauert, bis diese Schlacht geschlagen worden wäre. Man hatte jedoch nicht mit mir gerechnet.
Mir bot sich nun die Gelegenheit, die in mir aufgestaute Aggression bis zum Exzess auszuleben. Kaum hatte ich das Binnenmeer in voller Kampfmontur verlassen, warf ich mich schon auf meine Laufarme und stürmte auf die Armee des Aggressors zu. Wie ein Meteor schlug ich in ihre Reihen ein. Die Soldaten, zusammengesetzt aus den verschiedensten Völkern, größtenteils jedoch aus Echsenwesen, wie ich nebenbei bemerkte, flogen geradezu auseinander. Einen Freudenschrei ausstoßend stürzte ich mich in die lang ersehnte wilde Rauferei. Noch größer war meine Freude, als ich merkte, dass die allesamt mit einem grauen enganliegenden Kampfanzug bekleideten Krieger durchaus in der Lage waren, mir Widerstand zu leisten.
Paralysator- und sogar Thermoschüsse aus meinem Kombistrahler steckten ihre Anzüge meist mühelos weg, und sie beherrschten eine Kampfkunst, die sie enorme Ausdauer, Kraft und Widerstandsfähigkeit entwickeln ließ. Ich musste mir also richtig Mühe geben, um mich behaupten zu können.
Es war ein Riesenspaß!
Mein Eingreifen beendete natürlich den Angriff auf die Siedlung, was die Verteidiger sofort zu einem Gegenschlag nutzten. Eine ansehnliche Truppe stürmte auf die Stellungen der Belagerer zu und griff diese direkt an.
Mit einem Seitenblick konnte ich erstmals die Gestalt derer, denen ich zu Hilfe geeilt war, erkennen. Sie waren etwa zwei terranische Meter groß und ebenfalls sechsgliedrig. Die Extremitäten waren jedoch anders als bei Halutern angeordnet. Die aufrecht gehenden Wesen standen und liefen auf vier kurzen aber kräftigen Beinen, die allesamt aus dem Unterleib wuchsen. Eine mächtige Brust und breite Schultern, aus denen die beiden langen Arme ragten, dominierten den Oberkörper. Auf den Schultern saß ein großer Schädel mit einer langen Schnauze, der von zwei klugen Augen beherrscht wurde. Die Farbe des Gesichts variierte zwischen verschiedenen Brauntönen und schwarz. Haare oder ähnliches waren nicht zu erkennen.
Die Krieger dieses Planeten waren jedoch in Kampfanzüge und Rüstungen teils mit Helmen und Visieren gehüllt, die einen Großteil des Körpers verhüllten. An den mitgeführten Waffen und Kampfrobotern konnte ich erkennen, dass man auf dieser Welt einen technischen Stand erreicht hatte, der in etwa dem der Terraner oder Arkoniden vor vielleicht ein- bis zweihundert Jahren entsprach.
Weshalb man trotzdem auf den Einsatz von Lebewesen wertlegte, anstatt nur Kampfroboter zu schicken oder Bomben zu werfen, war mir nicht klar. Es musste jedoch mit der Mentalität dieser Wesen zu tun haben. Aus ähnlichen Gründen mussten auch die weit überlegenen Angreifer mit Landungstruppen gearbeitet haben. Aber schließlich sucht auch ein Haluter den persönlichen Einsatz, wenn er sich in Drangwäsche befindet.
Der nun entbrennende Kampf zog die Gegner von mir ab, so dass ich ein wenig Luft bekam. Die Bewohner dieses Planeten waren tatsächlich in der Lage, den Angreifern zuzusetzen. Ihre Unterlegenheit in Technik und Kampfkunst machten sie durch Durchsetzungswillen, Einfallsreichtum und Tapferkeit mehr als wett.
So sehr mich der Aufenthalt hier amüsierte, ich bereitete mich langsam auf meinen Rückzug vor. Die Gefahr durch die Bodentruppen schien gebannt, die durch die Raumflotte, die das System besetzt hielt, war immer noch akut. Ihrer musste ich mich jetzt annehmen – zumindest wollte ich es versuchen. Ich entledigte mich meiner letzten Gegner und sprintete mit Höchstgeschwindigkeit zurück zum Versteck meines Schiffes.
Ein knapp vor meinem Kopf vorbeizielender Energieschuss, unterbrach dieses Vorhaben. Ich stieß alle Sechse in die Erde und verhärtete gleichzeitig meinen Körper wie Kampfanzug. Den Boden unter mir aufreißend, kam ich in einer Staubwolke zum Stehen. Der Schuss war sehr gezielt danebengegangen. Es war eine Warnung und unmissverständliche Aufforderung anzuhalten.
„Im Namen Yaruns und ESTARTUs, bleib stehen! Du hast es gewagt, den Tross des Ewigen Kriegers zu stören, als er das Volk der Tragos in der Letzten Schlacht getestet hat. Die Störung dieses heiligen Rituals hat mindestens den Tod verdient. Doch mit Glück wird der Herrscher Trovenoors Milde walten lassen und dich lediglich zum Toshin erklären. Übergib dich seiner Gewalt und folge mir!“
Der Staub hatte sich langsam gelegt. Aus den Funkgesprächen, die ich über die Empfänger meines Schiffes und der Sonden gesammelt hatte, hatte die Positronik bereits die hier übliche Sprache rekonstruiert, so dass sie mir die Worte meines Gegenübers mühelos übersetzen konnte.
Auf den ersten Blick sah er aus, wie ein humanoider Roboter. Der auf zwei Beinen stehende metallene Körper war auf der Rückseite mit langen Stacheln versehen, von denen einige gefährlich glühend auf mich wiesen. Hinter dem Visier des Helmes tanzten zwei leuchtende Punkte, die irgendwie gar nicht mechanisch wirkten. Die Systeme meines Kampfanzuges konnten das Innere des Panzers zwar nicht erfassen, trotzdem war ich sicher, es mit einem biologischen Lebewesen zu tun zu haben.
„Ihr Ewiger Krieger sollte sich mit Gegnern anlegen, die ihm ebenbürtig sind, oder wagt er sich nur an Schwächere, wie die bedauernswerten Tragos?“, erwiderte ich. „Wenn er mich haben will, dann muss er mich schon besiegen. Doch da wird er es nicht so leicht haben. Wahrscheinlich weiß er das und hat deswegen auch nur seinen Lakaien geschickt.“
Das war meinem Gegenüber wohl zu viel, aber ich hatte es auch darauf angelegt. Seine gesamte Rüstung begann zu glühen und schien sogar ein wenig zu wachsen, als der Stachelbewehrte mich angriff.
Hatte ich es schon bei den einfachen Soldaten schwer, mich zu behaupten, begann ich nun fast um mein Leben zu fürchten. Die Rüstung meines Gegners war technisch derart ausgereift – selbstverständlich auch auf psionischer Basis arbeitend –, dass ich selbst in meinem hochwertigen Kampfanzug Schwierigkeiten hatte, seinem Ansturm zu widerstehen.
Der Kampf war gewaltig!
Gerade rechtzeitig hatte die Positronik meines Kampfanzuges den Individualparatronschirm aktiviert. Der Aufprall der psionisch aufgeladenen Rüstung auf den Schirm setzte Energien frei, die im Umkreis von einigen hundert Metern keinen Stein mehr auf dem anderen beließen. Sogleich begann mein Widersacher mit dem Versuch, mittels seiner Stacheln Strukturlücken in meinem Schutzschirm zu erzeugen. Mir blieb keine Wahl, als meinen Kombistrahler einzusetzen. Durch eine von mir geschaffene Strukturlücke gab ich einen Schuss auf meinen Gegner ab. Da ich eventuelle Rückschlagenergien einkalkulierte, verhärtete ich meinen Körper kurz darauf fast vollständig. Nur ein relativ kleiner Zellklumpen in meinem Gehirn behielt die Zellstruktur bei, um nach einiger Zeit den Rückwandlungsimpuls zu geben. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte mir das Leben gerettet.
Fast gleichzeitig war es dem Humanoiden gelungen, einen Schuss durch den Paratronschirm auf mich abzugeben. Er traf mich an der Seite und riss so ein gutes Stück meiner Körpersubstanz heraus. Der aktive Rest meines Gehirns nahm diese Verwundung war und verlor daraufhin vor namenlosem Schmerz das Bewusstsein.

Als ich wieder erwachte, gelang es mir, eine selektive Umwandlung meines Körpers vorzunehmen. Dieser Vorgang war sehr kräftezehrend und zeitraubend, zumal die Bewusstlosigkeit enorme Nachwirkungen auf meine Konzentrationsfähigkeit nach sich zog. Ich ließ Bauch und Unterleib mit der Verletzung kristallisiert und begutachtete die Wunde. In der linken Seite zwischen Laufarm und Hüfte klaffte eine Lücke, die aufgrund der Strukturverhärtung wie eine metallische Bruchstelle wirkte. So wild wie sie aussah war die Verletzung jedoch nicht. Wenn der Treffer mich allerdings in nicht kristallisiertem Zustand erwischt hätte, wäre ich nun tot gewesen. So aber stopfte ich Unmengen umliegenden Gerölls in mich hinein und wandelte es in meinem Magen in Körpersubstanz um, mit der die immer noch kristallisierte Wunde langsam geheilt werden würde.
Erst nach dieser langwierigen Prozedur begann ich wieder Interesse für meine Umwelt zu entwickeln. Mein Gegner war verschwunden. Ob ihn mein Schuss völlig aufgelöst hatte oder ob er, ebenfalls schwer verwundet, geflohen war, konnte ich nicht erkennen. Das einzige, was Aufschluss geben konnte war ein Klumpen angesengten organischen Materials, das womöglich aus dem Innern der Rüstung, also von dem Humanoiden selbst stammen mochte. Kurzerhand steckte ich die Probe in eine dafür vorgesehene Tasche meines Anzuges, um sie bei Gelegenheit zu untersuchen.
Am Rande des Kraters, der durch den Kampf entstanden war und in dessen Mitte ich mich befand, standen mehrere Einwohner dieser Welt und beobachteten mich schweigend. Wahrscheinlich standen sie schon eine ganze Weile dort, ich nahm sie jedenfalls erst jetzt wahr. Ich schloss aus ihrer Anwesenheit und der herrschenden Stille, dass sie die Angreifer in der Zwischenzeit hatten vernichten oder zumindest zurückwerfen können. Wie die Lage im und außerhalb des Orbits aussah, konnte ich natürlich nicht ahnen, aber ich hoffte, dass die Vernichtung dieses Planeten und seiner Bewohner wenigstens hatte aufgeschoben werden können.
Langsam und mit abgespreizten Armen, um niemandem Angst einzuflößen, kam ich auf meine Beobachter zu. Ich steuerte auf einen Trago zu, der in einen recht bunten Kampfanzug gekleidet war, weswegen ich in ihm eine Art Anführer vermutete. Da niemand gegen meine augenscheinliche Bevorzugung des Buntgewandeten protestierte, ging ich von der Echtheit meiner Vermutung aus.
Von den Tragos hoffte ich einiges über die Hintergründe des Überfalls auf ihr System zu erfahren, zumal diese sich durch die Äußerungen meines letzten Gegners sehr verwirrend darstellten. Nach ersten Versuchen einen Kontakt herzustellen, stellte sich sehr schnell heraus, dass die Tragos ebenfalls die Sprache ihrer Invasoren, das sogenannte „Sothalk“, beherrschten.
Der Buntgekleidete trug den Titel eines „Ostriks“, was eine Art Kriegerfürst meinte. Er gab sich sehr wortkarg, was natürlich an der Art der Tragos liegen mochte. Vielleicht war man aber auch unschlüssig, wie man mich einschätzen sollte. Im Großen und Ganzen schien man mir aber dankbar zu sein, dem schon verloren geglaubten Kampf noch einmal eine Wendung gegeben zu haben.
Ich drängte meinen Gesprächspartner, nachdem der Kontakt leidlich hergestellt war, mir einige Informationen über die Aggressoren und die Motive ihres Überfalls zu geben und mich dann ziehen zu lassen. Zum einen damit ich gegen die sicher bald wieder angreifende Flotte vorgehen konnte, und zum anderen, damit der Zorn, den man auf der anderen Seite unzweifelhaft auf mich entwickelt hatte, nicht gegen den Planeten gerichtet würde. Das hätte den zu erwartenden nächsten Angriff nur energischer gemacht. Einerseits war ich wirklich davon überzeugt, dass es sich so verhielt, während ich andererseits wieder darauf brannte, so schnell wie möglich in die Schlacht zu ziehen. Man schien meine Argumentation einzusehen und war wohl auch ganz glücklich über die Aussicht, mich bald wieder loszuwerden.
Dies ist die Geschichte, die mir nun in aller Eile von dem Ostrik berichtet wurde:

Vor sage und schreibe 5000 Terrajahren begannen die Tragos den ersten Sprung in den Kosmos. Zu dieser Zeit besaß ihr Heimatplanet noch einen Trabanten, zu dem nun eine primitive Rakete aufbrach, um erstmals einen Trago auf einen anderen Himmelskörper zu transportieren. Das Raumgefährt kam jedoch nie dort an. Es befand sich bereits im Landeanflug, als der Mond plötzlich ohne die geringste Vorwarnung explodierte. Die Rakete hatte natürlich keine Chance.
Kurz bevor sie jedoch verglühte, wurde eines der Besatzungsmitglieder auf ihm unerklärliche Weise gerettet. Der Trago fand sich in einem fremden Raumschiff wieder.
Ihm gegenüber stand ein Wesen, das sich „Yarun, der Ewige Krieger von Trovenoor“ nannte. Dieser erklärte dem erstaunten Raumfahrer, dass mit Trovenoor diese Galaxis gemeint sei und dass er, Yarun, der absolute Herrscher dieser Sterneninsel sei. Hinter ihm stehe eine viel größere Macht namens ESTARTU, die über insgesamt zwölf Galaxien herrsche. Ferner habe er diesen Mond zerstört, um ihm und allen Tragos auf dem Planeten seine Macht zu demonstrieren.
Weiter berichtete der Ewige Krieger ihm von der Philosophie des Permanenten Konfliktes und der Lehre ESTARTUs. Der Trago verstand dieses im Grunde schlichte Weltbild, obwohl es ihm, wie allen Angehörigen seines Volkes, eigentlich fremd war.
Sicher, auch die Tragos hatten in der Vergangenheit untereinander Kriege geführt, aber diese Zeit war lange vorbei, und man begriff sich als ein friedliches Volk von Dichtern, Denkern und Wissenschaftlern.
Yarun beendete seine Ausführungen mit der Prophezeiung, dass er in umgerechnet 5000 Jahren, nachdem er den Planeten und seinen Orbit in ein undurchdringliches Schirmfeld gehüllt habe, mit einer riesigen Streitmacht wiederkehren werde, um die Tragos und ihre Fähigkeit, sich im Permanenten Konflikt zu behaupten, zu testen. Die Tragos täten daher gut daran, diese Frist zu nutzen, um sich in der Kriegskunst zu üben und effektive Waffen zu entwickeln.
Daraufhin transportierte er den verdutzten Trago auf seinen Planeten zurück, der mittlerweile von den gewaltigen Einschlägen der Trümmer seines einzigen Mondes gebeutelt wurde. Die Zivilisation der Tragos wurde dadurch beinahe vernichtet.
Als Trunik, so hieß der Überlebende des ersten Mondfluges, das Ausmaß der Zerstörung sah, das der Ewige Krieger anzurichten vermocht hatte, entschied er sich, Yaruns Worte zu verbreiten und dafür zu sorgen, dass die Tragos in ihrem Sinne aufrüsteten, damit ihre fernen Nachkommen in 5000 Jahren nicht endgültig vernichtet würden. So verkündete er die Prophezeiung des Ewigen Kriegers und fand in der leidenden und stark dezimierten Bevölkerung des Planeten schnell eine wachsende Anhängerschaft. Sie fanden Halt in seinen Worten, weil sie von Wiederaufbau und dereinstiger Rache an dem Verursacher dieser Katastrophe kündeten.
Es gab jedoch auch solche, die nichts von dieser Prophezeiung hören wollten, und so kehrte der Krieg auf den Planeten der Tragos zurück. Schließlich etablierten sich die Anhänger Truniks und als er starb wurde ein Nachfolger ernannt. „Trunik“ war bis heute der Titel des Herrschers dieses Planeten, und die von Yarun verlangte Aufrüstung nahm ihren Lauf.

Diese Geschichte warf fast noch mehr Fragen auf, als sie beantwortete, was mich jedoch nicht sonderlich störte. Im Gegenteil, ich freute mich darüber, auf ein kosmisches Rätsel gestoßen zu sein, das zu lösen all meine Energie erfordern würde.
Schnell aber höflich verabschiedete ich mich von dem Ostrik, obwohl ich gerne Näheres über das Volk der Tragos erfahren hätte. Ich musste mich jedoch um die Raumflotte des Ewigen Kriegers kümmern. Irgendwie wollte ich versuchen, sie von diesem Planeten wegzulocken.
Kurze Zeit später schoss ich mit meinem Schiff auf einer Säule aus Wasserdampf aus dem Binnenmeer in den Himmel. In einem energiezehrenden Gewaltmanöver trat ich kurz über der Lufthülle des Planeten in den Linearraum ein und entging so nur knapp dem Raumschiffsverband, der dort schon auf mich gewartet hatte. Außerhalb des Systems, nicht weit entfernt von der riesigen Raumstation der Flotte des Ewigen Kriegers, fiel ich wieder in den Normalraum zurück. Meine Torpedos und Sonden waren bereits allesamt vernichtet worden. Mein erneutes Auftauchen hinderte jedoch zumindest Teile der Armada weiterhin daran, gegen die Schiffe der Tragos vorzugehen.
Man hatte den Endpunkt meines Linearmanövers bereits angemessen. Einige Schiffe waren schon auf dem Weg zu dieser Position. Schnelle Messungen klärten mich darüber auf, dass das Gebilde von der Größe eines kleinen Mondes, das ich bisher für die Basis der Angriffsflotte gehalten hatte, kaum über Defensiv- oder gar Offensivsysteme verfügte. Augenscheinlich hatte ich mich bei der Funktion dieser Station geirrt. Viel später erst erfuhr ich, dass es sich dabei um eine Art Erholungszentrum für die Krieger des Trosses handelte.
Ich war aber immer noch der Überzeugung, dass sie von großer Wichtigkeit für die Flotte war und entschloss mich daher, sie zu beschießen. Kein einziges Schiff war hier stationiert, da man wohl nicht damit rechnete, dass irgendjemand einem Kriegertross in den Rücken fällt.
Noch bevor die ersten gegnerischen Schiffe bei mir materialisierten, hatte ich große Zerstörungen an der Station angerichtet. Ich strahlte noch einen Funkspruch ab, in dem ich den Ewigen Krieger verhöhnte und brachte dann einige hundert Lichtjahre zwischen mich und das System der Tragos.
Mittels der Fernortung konnte ich leicht erkennen, dass meine Rechnung aufging. Yarun und seine Krieger ließen von den Verteidigern ab und nahmen die Verfolgung auf. Wütende Hyperfunksprüche wurden mir hinterhergeschickt und ich freute mich auf die kommenden Jahre voller Kampf und Abenteuer.

Mit solchen und ähnlichen Erlebnissen verbrachte ich die nächsten drei Jahre. Ich besuchte auch einige der anderen Galaxien ESTARTUs. So lernte ich vieles über die Geschichte dieser zwölf Sterneninseln und ihrer Völker, wie die Elfahder – ein solcher war mein stacheliger Gegner auf dem Planeten der Tragos gewesen –, die Pterus, aus denen sich die Ewigen Krieger rekrutierten, die Somer und wie sie alle hießen.
Der Lösung des eigentlichen Rätsels bin ich aber nicht näher gekommen. Weder hatte ich herausfinden können, wer oder was ESTARTU war, noch hatte ich etwas über die Entstehung des Kriegerkultes erfahren können. Letztendlich hatte ich nur Tod und Zerstörung über einige Jünger des Permanenten Konfliktes gebracht und doch nichts an dem Los derer geändert, die in den zwölf Galaxien unterdrückt und geknechtet wurden.
Nach drei Jahren überkam mich diese Erkenntnis wie ein Schlag und ich fiel in tiefe Depressionen. Bis ich mich entschloss ein Kind zu zeugen.

Vier Jahre Flugzeit

„Baramos … Baramos?“
„Was …? Oh, Marakos! Ich muss geschlafen haben. Was gibt es denn, mein Kleines?“
Lyktor Baram saß in seinem Pilotensessel und war tatsächlich eingenickt. Normalerweise schliefen Haluter insgesamt nur wenige Minuten pro Tag, meist in vielen, über den Tag verteilten, nur sekundenlangen Schlafphasen. Es machte ihnen auch nichts aus, mehrere Tage oder gar Wochen völlig ohne Schlaf auszukommen, den sie dann zu gegebener Zeit mit einem einstündigen Tiefschlaf nachholten. Baram schlief jetzt insgesamt bis zu zwei Stunden an einem Tag. Auch das war ein Zeichen seines hohen Alters.
Sein Sprössling hatte bis jetzt an seinem Positronikterminal gesessen und verschiedene Lehr- und Schulungsprogramme laufen lassen. Die „Kleine Drangwäsche“, wie die Zeit der Geschlechtsreife bei Halutern genannt wurde, hatte er vor ein paar Monaten hinter sich gebracht. An Raufereien mit seinem Elter hatte er das Interesse verloren. Er diskutierte lieber mit ihm über wissenschaftliche oder philosophische Probleme und rannte auch nur noch selten über den virtuellen Planeten. Er war jetzt fast ein ausgewachsener Haluter und reichte Lyktor Baram bereits an den Ansatz des halbkugelförmigen Kopfes.
„Ich wollte ein wenig mit dir reden. Da sind noch so viele Fragen, die mich beschäftigen. Aber ich warte gerne, bis du ausgeschlafen bist, Baramos.“
„Aber nein.“
Der alte Haluter richtete sich in dem Sessel auf.
„Ich habe genug geschlafen. Ich unterhalte mich gern mit dir. Komm, setz dich zu mir und erzähle, womit du dich zur Zeit beschäftigst. Bist du immer noch bei den althalutischen Philosophen? Die haben es dir ja sehr angetan.“
Byltor Marak setzte sich schwungvoll in den gegenüberliegenden Sessel. Er freute sich immer auf die Diskussionen mit seinem Elter. Dieser zeigte stets großes Interesse an seinen Fragen und Problemen.
„Weißt du, Baramos, ich habe mir kürzlich etwas durch den Kopf gehen lassen. Und zwar sind wir ja mittels der Schiffspositronik in der Lage, eine vollkommen künstliche Welt zu schaffen. Eine Welt, wie den virtuellen Planeten, auf dem ich immer herumlaufe und spiele. Du hast mir erzählt, dass die Positronik für all meine Sinne die erforderlichen Eindrücke nachahmt, damit ich glaube, wirklich auf diesem Planeten zu sein.“
„Genau“, erwiderte Baram.
Er hatte bereits eine Ahnung, worauf sein Kleines hinaus wollte.
„Dennoch bleibt es eine künstliche Welt, die lediglich in der Positronik existiert.“
Marak richtete sich ein wenig auf und sagte: „Das weiß ich aber auch nur, weil du es mir gesagt hast. Was für einen Beweis habe ich denn dafür, dass nicht auch diese Welt, dieses Raumschiff, in Wirklichkeit nur in einem Computer existiert, und meinen Sinnen durch entsprechende Reize vorgegaukelt wird?“
Lyktor Baram fing an lauthals zu lachen.
„Marakos“, rief er, „ich bin stolz auf dich. Du hast einen Gedankengang beschritten, den in manchen Völkern, wenn überhaupt, nur deren größte Denker entdecken. Du hast vollkommen recht, einen solchen Beweis hast du nicht. Nun, was meinst du, hast du diesen Beweis nur noch nicht gefunden, oder welch anderer Schluss lässt sich aus dieser Erkenntnis ziehen?“
Der Kleine freute sich, seinen Elter zum Lachen gereizt zu haben, was bei Halutern durchaus kein Zeichen der Geringschätzung war.
Mit noch größerem Eifer fuhr er fort, zu erzählen: „Ich habe die Texte aller mir bekannten althalutischen Denker nach einer Antwort auf diese Frage durchsucht und nichts gefunden. Nun muss ich zugeben bei Weitem nicht alles verstanden zu haben, aber ich hatte ein wenig den Eindruck, dass sich niemand diesem Thema widmen würde. Ich selbst habe lange darüber nachgedacht, aber keinen Beweis für die Echtheit dieser Welt finden können. Daher komme ich jetzt auch zu dir.“
Erwartungsvoll blickte er aus seinen längst tiefroten Augen Lyktor Baram entgegen.
Dieser erwiderte jetzt etwas ruhiger: „Es widmen sich schon einige der Philosophen dieser Thematik. Sie haben diese jedoch schon viel weiter durchdacht und tun es sozusagen auf einer höheren Ebene. Deine Frage bildet im Grunde den Anfang des Problems. Den findest du nur bei noch älteren halutischen Denkern behandelt, die vor etwa 40.000 bis 50.000 Jahren gelebt haben. Doch ich werde dir deine Frage nicht weniger kompetent beantworten können: Es gibt keinen solchen Beweis. Im Grunde kannst du nicht wissen, welche Welt die wahre ist. Diese hier im Raumschiff oder die des virtuellen Planeten – vielleicht habe ich ja gelogen, oder weiß es einfach nicht besser – oder sogar eine andere, die du gar nicht kennst. Tatsächlich kannst du nicht einmal sagen, ob es überhaupt eine wahre Welt gibt. Diese Erkenntnis macht es nun natürlich schwer, Konsequenzen für sein eigenes Handeln zu ziehen. Wenn es keine reale Welt gibt, warum soll man dann überhaupt noch etwas tun, beziehungsweise kann man dann nicht tun und lassen, was man will? Die Antwort darauf ist folgende: Du selbst musst entscheiden, in welcher Welt du leben möchtest, und was für dich wahr ist. Doch deine Wahl will wohl bedacht sein. Denn ob real oder nicht, jede Welt hat Regeln, nach denen man sich richten muss, um in ihr zu bestehen. Es ist deine Entscheidung, ob dieses Raumschiff real ist oder der virtuelle Planet oder keines von beiden.“
Der Kleine – der so klein gar nicht mehr war, einem Terraner wäre er wie ein Riese vorgekommen – hatte sehr aufmerksam zugehört.
„Die Entscheidung, wenn ich sie wirklich habe, ist leicht“, sagte er endlich. „Für mich ist die Welt real, in der du bei mir bist, Baramos. Aber über das alles werde ich später noch nachdenken müssen.“
Der Elter war sehr gerührt.
„Tu das, mein Kleines. Es ist ein wichtiges Thema, und ich weiß, dass du deine ganz persönliche Antwort auf diese Fragen finden wirst“, sagte er.
Eine Weile herrschte Schweigen in der kuppelförmigen Zentrale. Die mächtigen Haluter blickten versonnen auf den roten Punkt, der seit Jahren den Mittelpunkt des großen Panoramaholoschirmes einnahm und das dereinstige Ziel dieser Reise darstellte.
Byltor Marak war es, der diese Stille erneut unterbrach: „Baramos, ich hätte da noch eine andere Frage.“
„Nur zu Marakos, frage mich.“
„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Vielleicht ist es auch eine dumme Frage, aber mir ist eben aufgefallen, dass du von den Denkern von vor 50.000 Jahren erzählt hast. Ich dachte immer, dass über diese Zeit keine detaillierten Daten vorliegen, wenigstens habe ich solche in der Positronik nicht gefunden. Du meintest ja, dass die Haluter damals sehr schlimm waren, hast aber immer nur allgemein über die Zeit gesprochen. Nun ja, ich wollte schon immer mal etwas über den Ursprung unseres Volkes wissen. Und nun dachte ich, dass es vielleicht auch Daten darüber geben könnte, die du mir einfach noch nicht gezeigt hast, weil sie auch so ein Tabu, wie die Drangwäsche sind.“
Diesmal dauerte Barams Schweigen so lange, dass Marak bald glaubte, sein Elter wäre wieder eingeschlafen. Doch dem war nicht so. Vielmehr war dem uralten Haluter ein tiefer Schreck in die Glieder gefahren. Vor diesem Moment, vor dieser Frage seines Kindes, hatte er sich weit mehr gefürchtet, als vor der „Kleinen Drangwäsche“, und zwar in so hohem Maße, dass er den Gedanken daran, dass er einmal unweigerlich auf ihn zukommen würde, völlig verdrängt hatte. Dass sie nun auf einmal so unerwartet kam, traf ihn beinahe wie ein Schlag.
Unerwartet schnell hatte er sich jedoch wieder gefasst. Doch wie sollte er sich nun verhalten? Seinen Kleinen anlügen konnte er nicht. Das wusste er in dem Moment, in dem er ihm in die vertrauensvollen Augen blickte. Nie wieder hatte er sich mit diesem Thema auseinandersetzen wollen, nun würde er es Byltor Marak zuliebe doch tun müssen. Doch würde der Kleine an dieser Erkenntnis nicht zerbrechen, so wie es bei ihm der Fall gewesen war?
Das brachte ihn darauf, dass noch weitere unangenehme – persönliche – Fragen berührt werden würden. Es kostete ihn ein unglaubliches Maß an Überwindung. Wieviel einfacher war dagegen doch jede auch noch so aussichtslose Schlacht gewesen? Doch endlich rang er sich zu dem Entschluss durch, dass er seinem Kleinen alles erzählen würde.
„Marakos, ich werde dir deine Frage beantworten. Aber erlaube mir, dass ich etwas weiter aushole.“
Lyktor Baram hatte erwartet, dass sein Stimme schwach und brüchig klingen würde. Sie erfüllte jedoch mit großer Ausgeglichenheit und Ruhe den hohen Raum.
„Ich habe dir bereits erzählt, was ich bei meiner Drangwäsche im Reich ESTARTUs alles erlebt habe, wie mein erstes Abenteuer dort aussah und wie mein letztes. Ich habe auch gesagt, dass ich bereits ein sehr alter Haluter bin. Jetzt werde ich jedoch berichten, warum ich überhaupt ein letztes Mal von der Wut der alten Bestien erfüllt wurde und in weite Fernen aufbrach. Dies ist in meinem Alter nämlich höchst ungewöhnlich. Eigentlich gedachte ich meinen Lebensabend ruhig und beschaulich auf Halut zu verbringen. Der Grund dafür, dass dies anders kam, hängt eng mit deiner Frage zusammen, mein Kleines.“

Dritter Bericht Lyktor Baram

Ich hatte mich schon vor einigen Jahrzehnten zur Ruhe gesetzt und lebte seitdem relativ zurückgezogen in meinem Haus auf Halut. Ich verbrachte meine Tage damit, mein nach knapp dreitausend Lebensjahren zu recht ansehnlicher Größe angewachsenes Archiv zu sichten und zu sortieren. Hier fand ich von mir gemachte und dokumentierte Entdeckungen und Forschungsprojekte aber auch Reiseberichte und Souvenirs aller Art, und ich schwelgte in Erinnerungen.
Ich hatte keineswegs das Interesse an meiner Umwelt verloren. Ich wollte nur nicht mehr in sie eingreifen und aktiv an ihr teilhaben. Immerhin verfolgte ich stets aufmerksam die über die verschiedenen Medien verbreiteten Ereignisse auf Halut und in der Galaxis, die gerade zu dieser Zeit von großer Brisanz waren. So war es das erste Mal seit undenklichen Zeiten, dass wir Haluter an die galaktische Öffentlichkeit traten und offiziell Kontakt mit einem anderen Volk aufnahmen. Dieses Volk waren die Terraner, und es war der junge Icho Tolot, der im Zuge seiner Drangwäsche diesen ersten Kontakt herstellte, nachdem er, wie viele andere von uns, mit großer Anteilnahme den Werdegang dieses jungen Volkes verfolgt hatte.
Ich verfolgte diese Entwicklung mit gewisser Skepsis. Sicher, auch mich hatten die oftmals amüsanten Tricksereien eines gewissen Perry Rhodan, von denen auf Halut berichtet wurde, in die allgemeinen Begeisterungsstürme einstimmen lassen. Dennoch, dass diese Terraner nun auch von uns wussten, war mir nicht geheuer. Dieser Schritt des jungen Tolot hat den jahrtausendealten Status unseres Volkes auf einen Schlag umgeworfen. Waren wir bisher in der Galaxis völlig unbekannt und tauchten höchstens in den Legenden einiger Völker auf, schaute nun die ganze Sterneninsel auf uns.
Groß war mein Unbehagen zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, schließlich kannte noch niemand den Standort unseres Planeten. Doch auch das änderte sich schnell. Im Laufe der folgenden Jahre, in denen die Terraner mit Tolots Unterstützung nach Andromeda, wie sie die nächstgelegene Galaxis nennen, vordrangen, kamen durch diese Aktivitäten Dinge ans Licht, die besser in den Mahlströmen der Zeit verschollen geblieben wären.
Den Terranern wurde im Laufe ihres Feldzuges die Geschichte und der Ursprung ihres Volkes bekannt, was in der gesamten Milchstraße weitgehend in Vergessenheit geraten war. Zwangsläufig erfuhren sie damit auch die barbarische Geschichte unserer Vorfahren.
Dieses äußerst unangenehme Kapitel halutischer Geschichte hatte ich stets zu ignorieren versucht. Überhaupt war es unter Halutern nie Thema gewesen, fast ein größeres Tabu gar als die Drangwäsche. Der einzige, der auf Halut wirklich über diese und womöglich noch viel unangenehmere Dinge Bescheid wusste, war der Wächter der Unberührbarkeit. Dieses Amt, das einzige, das es auf unserem Planeten überhaupt gibt, hatte wie zu allen Zeiten der älteste lebende Haluter inne. Zu jener Zeit war das Waxo Khana. Er war nur einige Sonnenumläufe älter als ich, und mit Mühe verdrängte ich die Tatsache, dass ich womöglich meine letzten Jahre damit würde verbringen müssen, ihn in diesem Amt zu beerben und mich mit der ungeliebten Vergangenheit, wie sie im Tempel der Unberührbarkeit aufs Akribischste dokumentiert sein soll, zu befassen.
Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Schlimmer noch als die Verbreitung der halutischen Untaten vor 50.000 Jahren in der gesamten Galaxis durch die Terraner. Dinge, die wir bisher höchstens hinter vorgehaltener Hand unserem Nachwuchs vermittelt hatten.
Nein, das hatte den Jünglingen Tolot und Teik nicht genügt. Sie mussten ja unbedingt noch weiter in der Vergangenheit herumschnüffeln, als wenn das Ansehen der weisesten und friedliebendsten Wesen dieser Galaxis nicht schon genug angeschlagen worden wäre. Sie durchforsteten von blindem Forscherwahn getrieben älteste Archive und folgten schließlich einer jahrtausendealten Spur, die sie zum tatsächlichen Ursprung unseres Volkes führen sollte. Nun, diese Spur führte Icho Tolot und Fancan Teik zunächst in die Satellitengalaxien der Milchstraße, von den Terranern Magellansche Wolken genannt. Dort schlossen sie sich erneut den Erdenmenschen an.
Um es abzukürzen: sie entdeckten den Ursprung unseres Volkes und zwar in der 32 Millionen Lichtjahre von Halut entfernten Galaxis M 87.

Auf Terra schrieb man Oktober 2436, als Tolot und Teik mitsamt den Terranern aus M 87 zurückkehrten. Die Erkenntnisse, die sie mitbrachten und auf ganz Halut verbreiteten, waren erschütternd. Ja, die Vorfahren der Haluter stammten ursprünglich aus jener Galaxis M 87. Doch war es keine natürliche Evolution, die sie auf irgendeinem Planeten aus einer Tierart hatte entstehen lassen. Nein, die ersten bestienhaften Urahnen unseres Volkes waren künstlich gezüchtete Monstren.
Die Beherrscher dieser Galaxis, die Okefenokees, hatten vor vielleicht 70.000 Jahren ein Volk von perfekten Kriegern erschaffen wollen. Dazu nahmen sie das Genmaterial einer intelligenten Spezies namens Skoars, deren Angehörige – vieräugig und sechsgliedrig – nur entfernt wie heutige Haluter aussahen. Durch Züchtung und Genmanipulation gaben sie ihnen all jene Eigenschaften, die sie bei perfekten Kampfmaschinen für nötig erachteten, und die wir stets für besondere Geschenke der Natur gehalten hatten. Sie machten ihre Bestien extrem langlebig und robust, sorgten dafür, dass sie in kürzester Zeit voll ausgewachsen waren, gaben ihnen enorme Kraft, Ausdauer und Widerstandsfähigkeit und versorgten sie schließlich mit Organen, die sie in fast allen denkbaren Umgebungen überleben ließen. Zu guter Letzt versahen die Okefenokees ihre Geschöpfe mit einem biologischen Computer als Zweithirn sowie einer gewaltigen Aggressivität. Diesen Geschöpfen sollte nichts und niemand widerstehen können.
Ich weiß nicht, wie es den anderen Halutern ergangen ist, aber für mich brach eine Welt zusammen. War es schon schlimm genug, mit einer gewalttätigen Vergangenheit leben zu müssen, hieß es nun auf einmal, dass das Volk der Haluter ausschließlich für Krieg und Zerstörung erschaffen worden war. Geschockt verfolgte ich den auf ganz Halut verbreiteten Bericht der beiden Jünglinge. Neben einem persönlichen Bericht Tolots, einer Menge Daten und Originalaufnahmen von der M-87-Expedition, beinhaltete er auch einen uralten Holofilm, in dem die damaligen Okefenokees ihr neu erschaffenes Kriegervolk präsentierten.
Es wurden unerträgliche Bilder gezeigt, von Bestienhorden, die wie Bomben in verhärtetem Zustand über einem Planeten abgeworfen wurden, um nach ihrem bereits verheerenden Einschlag aus den Kratern zu steigen und sofort stumpfsinnig und wahllos über die Planetenbevölkerung herzufallen. Dabei pries man ihre Fähigkeiten, wie ihren Aggressionstrieb, ihre Kraft, Stärke, Schnelligkeit, Ausdauer und Widerstandskraft, ja sogar ihr „intelligentes“ Vorgehen, später für die Eroberer wichtige Gebäude zu verschonen. Nicht nur ihre Gnadenlosigkeit wurde in ausführlichen Bildern beschrieben, sondern auch ihre Fruchtbarkeit. Alle dreißig Stunden legten sie, nur kurz ihr Zerstörungswerk unterbrechend, ein Ei, ohne sich weiter um ihren Nachwuchs zu kümmern. Kaum geschlüpft, trat dieser sofort in die unseligen Fußstapfen des Elters. Innerhalb kurzer Zeit, war die „Demonstration“ beendet und der Planet restlos erobert. Die Raumschiffe der Herren konnten landen und den Planeten übernehmen. Dank ihrer hohen Fruchtbarkeit, waren Verluste unter den Bestien mehr als ausgeglichen. Man sammelte sie wieder ein, um sie zum nächsten Einsatzort zu befördern.
Dass die Wirklichkeit ganz anders ausgesehen hatte – die Bestien hatten sich sehr schnell gegen ihre Schöpfer gewandt und sie grausamst bekriegt, ehe sie aus M 87 verbannt worden waren –, war ein anderes Thema. In jedem Fall nahmen mich diese Erkenntnisse dermaßen mit, dass mein Blut ein letztes Mal in Wallung geriet und mich der Fluch der Bestien trotz meines hohen Alters erfasste. Das Wissen darum, dass dies kein Relikt einer natürlichen Wildheit, sondern angezüchtet war, steigerte meinen Zorn zusätzlich zur Raserei.
Doch nicht allein, dass wir von nun an mit diesem schrecklichen Wissen leben mussten. Nein, die gesamte Galaxis wusste von unserer schändlichen Herkunft. Wieder einmal waren es die Terraner, die die Geheimnisse der Vergangenheit ans Licht brachten. Das war ihnen selbstverständlich nicht zum Vorwurf zu machen, auch in meiner ausbrechenden Drangwäsche erkannte ich dies. Dennoch schürte es meine Wut, dass in diesen Tagen eine terranische Expedition Zugang zum Tempel der Unberührbarkeit erhalten hatte.
Mich hielt nun nichts mehr in meiner Behausung, die ich eigentlich nicht mehr hatte verlassen wollen.

Wie es Tradition war, kündigte ich einem medizinisch geschulten Haluter meinen Entschluss an, das Ritual zur Drangwäsche durchführen zu wollen. In diesen Tagen war es in der Regel Klautos Mur, der die Aufgabe übernahm, das Ritual zu begleiten. Auch den jungen Icho Tolot hatte er vor einigen Dekaden betreut. Ich hatte Klautos Mur lediglich die Nachricht zukommen lassen, ohne auf eine Reaktion seinerseits zu warten. Darin bat ich ihn, noch am selben Tage vor der Rüstkammer zu erscheinen. Ich war bereits dort als der Mediziner eintraf und begann, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, die zeremoniellen Worte zu sprechen.
Gleichzeitig legte ich meine Kleidung ab und schloss mit der rituellen Formel: „Ich bin bereit, es sei. Ich gehe.“
Ich konnte förmlich spüren, dass der etwas jüngere Klautos Mur mit meiner Entscheidung nicht einverstanden war. Ich ignorierte dies jedoch. Einerseits tobte in mir die pure Aggressivität, so dass ich kaum Gedanken an die Gefühle Anderer verschwendete, und außerdem stand es dem Arzt zu diesem Zeitpunkt des Rituals noch nicht zu, sich zu äußern. Erst als ich mir in der streng gesicherten Rüstkammer einen vielleicht 10.000 Jahre alten roten Kampfanzug, einen schweren Kombinationsstrahler sowie einige andere Ausrüstungsgegenstände gewählt und diese Utensilien einer eingehenden Funktionsprüfung unterzogen hatte, wagte Mur es, das Wort an mich zu richten.
„Lyktor Baram“, begann er fast zaghaft. „Sind Sie wirklich sicher, dass Sie noch einmal die Strapazen einer Drangwäsche auf sich nehmen wollen? Ich will keineswegs die Weisheit Ihres Alters in Frage stellen, dennoch habe ich die Befürchtung, dass Sie den Anstrengungen, die auf Sie zukommen nicht mehr gewachsen sein werden. Schließlich sind Sie einer der ältesten Lebenden unseres Volkes.“
Noch war ich in der Lage, die Umgangsformen soweit zu wahren, dass ich Klautos Mur ausreden ließ. Doch als er fertig war, konnte ich kaum mehr an mich halten.
„Machen Sie mir keine Vorschriften!“, herrschte ich den armen Mediziner an. „Ich habe meine Entscheidung getroffen und werde sie nicht mehr ändern. Und außerdem, wie stellen Sie sich eigentlich vor, dass ich die in mir brodelnde Wut ausleben soll, etwa hier auf Halut? Dann können wir den anwesenden Terranern gleich einmal zeigen, welch hervorragende Kriegsmaschinen wir sind.“
Mein Gegenüber murmelte daraufhin nur noch eine Entschuldigung und beschränkte sich von da ab auf die nötigsten Äußerungen. Auch ihn hatten die neuesten Erkenntnisse über unsere Herkunft sicherlich getroffen.
„Erproben Sie bitte die Umschaltphase Ihrer Herzen“, sagte Mur schließlich.
Auch ich beruhigte mich wieder einigermaßen und konzentrierte mich auf die medizinischen Tests. Sicherlich, es lief alles nicht mehr so reibungslos wie vor tausend Jahren. Dennoch waren Klautos Mur und ich mit meinen Körperfunktionen zufrieden. Als die etwa einen Tag dauernden Belastungstests in der Vakuumkammer und auf dem Laufband abgeschlossen waren, war es endlich soweit. Das von mir gewählte Raumschiff landete vor meiner Behausung. Die 120 terranische Meter durchmessende Kugel war eigentlich für mehrere Haluter Besatzung konstruiert worden, konnte aber durchaus auch von einem alleine gesteuert werden, und für das, was ich vorhatte, benötigte ich diese sehr leistungsfähige Konstruktion.

In einen Orbit um Halut einschwenkend setze ich einen letzten Funkspruch mit dem ebenfalls traditionellen Wortlaut ab: „Ich gehe, um zu suchen. Ich werde finden.“
Mit einer atomaren Lichterkette als Antwort endete das Ritual zum Aufbruch zur Drangwäsche. Ich gab Vollschub, verließ die Umlaufbahn und verschwand nach wenigen Augenblicken im Linearraum.
Einige Lichtjahrtausende über der Ebene der Milchstraße begann ich meinen selbstmörderischen Plan in die Tat umzusetzen. Ich programmierte die Schiffspositronik für einen Dimetransflug in die Galaxis M 87. Selbstverständlich hatte auch ich vorher vom Wirken des Blauen Zentrumsleuchtens gehört, ignorierte dieses Wissen in meiner Wut aber vollständig. Ich wollte lediglich in die Galaxis unseres schmachvollen Ursprungs und die Verantwortlichen für ihre ungeheuerliche Tat bestrafen. Tatsächlich trugen mich wohl unbewusste Selbstmordgedanken, schließlich war schlüssig Bewiesen worden, dass jedes mittels Dimetranstriebwerk in M 87 materialisierende Schiff auf der Stelle detonieren würde.
Doch soweit sollte es nicht kommen. Die Positronik war von vornherein programmiert worden, Flüge nach M 87 nicht auszuführen. Höchstwahrscheinlich hatte man auf Halut alle Schiffspositroniken dergestalt instruiert, da dergleichen unüberlegte Vorgehensweisen bei drangwäschegetriebenen Halutern wie mir vorausgeahnt worden waren. Ich begann zu toben und wollte meine Wut an der Positronik auslassen, erkannte jedoch früh genug, dass das keine Lösung war.
In meinem vor Wut benebelten Ordinärhirn entwickelte sich schließlich folgender primitiver Plan: Ich wollte – ich musste – die mich plagenden Gedanken über die Herkunft der Haluter vorerst ignorieren, sie gar unterdrücken und verdrängen. Dann wollte ich mich in eine anständige Drangwäsche stürzen und an nichts anderes als die Auslebung meiner Wut denken. Was danach geschehen sollte kümmerte mich zu diesem Zeitpunkt nicht. Wenn ich nicht auf der Stelle verrückt werden wollte – einen hartnäckigen Rest Selbsterhaltungstrieb schien ich mir bewahrt zu haben – musste ich so und nicht anders vorgehen. Also machte ich mich erneut an die Programmierung eines Dimetranssprunges.
Scheinbar schlummerte in mir noch immer der Gedanke, auf Umwegen nach M 87 vorzudringen, denn ich wählte als Ziel eine Galaxis, die in relativer Nähe zu M 87 lag.

Fünf Jahre Flugzeit und Ankunft

Leise trat Byltor Marak an die Liegestatt seines Elters und weckte ihn sanft.
„Baramos, man kann sie jetzt sehen.“
Langsam öffneten sich die Augen des alten Haluters und mit krächzender Stimme erwiderte er: „Was kann man sehen, mein Kleines?“
„Die Milchstraße. Soeben haben wir die letzte Linearetappe im intergalaktischen Leerraum beendet. Wir sind noch etwa 50.000 Lichtjahre von ihrem Rand entfernt. In etwa zwei Tagen werden wir Halut erreichen.“
Selbstverständlich hatten die beiden Haluter ihre Heimatgalaxis die ganze Fahrt über mit entsprechenden Vergrößerungsfaktoren beobachten können. Doch jetzt konnte man erstmals auf solche Vergrößerungen verzichten, um einzelne Sterne zu sehen.
Schwerfällig erhob sich Lyktor Baram mit Hilfe seines Nachkommens von der Liege in seinem Wohnraum, auf der er seit einigen Monaten den Großteil seiner Zeit verbrachte. Während er für einen Terraner immer noch riesig und furchteinflößend wirken musste, hätte jeder Haluter erkennen können, wie schwach er bereits geworden war.
Seine Haut war grau und faltig geworden und hatte längst die Fähigkeit zur Strukturwandlung verloren. An manchen Stellen traten seine Knochen hervor, weil die sie umgebenden Muskeln verkümmert waren. Der Alterungsprozess eines Haluters vollzieht sich stets mit rasender Geschwindigkeit, da er bis zuletzt durch die Fähigkeit, den Körper bis zur einzelnen Zelle willentlich steuern zu können, aufgehalten wird – bis es nicht mehr geht.
Nur die Augen Lyktor Barams strahlten noch in lebendigem Glanz. In der Zentrale angekommen, ließ sich der uralte Haluter erschöpft in den Pilotensessel fallen und richtete dann seinen Blick auf den großen Hauptholoschirm, auf dem die Milchstraße zu sehen war, wie man sie durch ein Fenster wahrgenommen hätte. Hinter ihm stand sein Sprössling, der nun körperlich fast ausgewachsen war.
Von seiner körperlichen Schwäche abgesehen, fühlte sich Lyktor Baram so gut, wie seit langem nicht mehr. Tiefer innerer Friede erfüllte ihn. Nachdem er seinem Nachkommen vor einem knappen Jahr alles über den Ursprung der Haluter und den tatsächlichen Grund seines letzten Aufbruchs berichtet hatte, hatten die beiden tage- und wochenlang diskutiert. Byltor Marak hatte das Wissen über die tatsächliche Herkunft seines Volkes völlig anders aufgenommen als sein Elter. Entgegen den Befürchtungen Lyktor Barams, war er nicht an dieser Erkenntnis zerbrochen. Vielmehr hatte er begonnen, seinen Erzeuger über alle Details der schrecklichen Vergangenheit auszufragen. Dieser hatte sich zunächst gesträubt, seinem Kind aber letztlich sein Wissen nicht vorenthalten. Schließlich hatte Byltor Marak durch seine Fragen, denen die Weisheit des noch nicht in festgefahrenen Bahnen denkenden Geistes eines Junghaluters innewohnte, es erreicht, dass nach und nach Lyktor Barams Scheu vor diesem Thema abgefallen war, und er begonnen hatte, sich frei von inneren Zwängen damit auseinanderzusetzen.
Diese endlosen Gespräche hatten ihn erkennen lassen, dass es falsch war, die Augen vor der unliebsamen Vergangenheit zu verschließen, oder gar vor ihr davonzulaufen. Ihm war bewusst geworden, wie immens wichtig die Arbeit Icho Tolots und Fancan Teiks tatsächlich gewesen war. Alle Haluter mussten um ihre wahre Herkunft und ihre grausame Vergangenheit wissen und durften es nie mehr vergessen. Ihre Vergangenheit sollte ihnen und anderen Völkern stets als warnendes Beispiel dienen. Auch würde es nicht von Größe und Weisheit zeugen, wenn die Haluter sie verdrängten. Sein Volk würde erst dann das Barbarentum der Bestien überwunden haben, wenn es seiner Geschichte ohne Angst entgegentrat, und sie selbstbewusst als Teil der eigenen Identität akzeptierte. Und Baram hatte dieses Selbstbewusstsein entwickeln können. Schließlich, so wurde ihm klar, hatte er den Sotho Torm Arn nicht an seiner Wildheit als Haluter im Geiste erkannt, sondern an dessen mütterlichen Gefühlen seinem Animateur gegenüber.
„Vergrößern“, wies der Alte die Positronik an.
Langsam wuchs das Bild der heimatlichen Galaxis, bis Baram den Zoom durch einen weiteren Befehl anhielt. Nun war es sehr leicht, auch in dichteren Zonen die einzelnen Sterne auseinanderzuhalten. Ein-, zweimal blähten sich kurz kleine Sonnen auf, die wie Novae wirkten, dafür aber viel zu kurzlebig waren.
„Ist das der große Krieg, Baramos?“
„Möglich“, erwiderte der Alte. „Das Licht, das wir hier empfangen, ist etwa 50.000 Jahre alt, und zu jener Zeit wurden von unseren Ahnen durchaus auch ganze Planeten vernichtet. Doch mag dieses Phänomen auch andere Gründe haben, sogar natürliche. Hast du alles für die letzte Linearetappe vorbereitet, mein Kleines?“
Byltor Marak, der in den letzten Monaten viel über die Führung des Schiffes gelernt hatte – zuletzt hatte er die Orientierungsstopps im Normalraum allein vornehmen müssen –, machte eine Geste der Zustimmung.
„Ich habe die Positronik so programmiert, dass wir einige Lichtminuten außerhalb der Bahn Haluts in den Normalraum zurückfallen werden. Aber es ist vielleicht besser, wenn du das Programm noch einmal kontrollierst.“
Baram drehte seinen Sessel zum Terminal, besah sich die Berechnungen seines Nachkommens und nahm nur wenige Optimierungen vor. Falsch hatte Marak ohnehin nichts machen können, da die Positronik dies von vornherein verhindert hätte. Dann wandte er sich seinem Kind zu, das immer noch neben seinem Sessel stand.
„Setz dich doch, Marakos.“
Langsam, fast schwerfällig kam er der Aufforderung nach.
„Du bist aufgeregt, nicht wahr? Nun, kein Wunder, jetzt ist es bald soweit. Du wirst erstmals einen echten Planeten betreten. Den Planeten, auf dem ich und zig Generationen unserer Vorfahren geboren wurden, und den sich unser Volk als seine Heimat gewählt hat. Du wirst anderen Halutern begegnen, bald womöglich auch Terranern und anderen Intelligenzen. Es gibt noch so viel für dich zu lernen und zu entdecken. Freue dich darauf.“
„Ja, ich freue mich“, antwortete Byltor Marak nach einer Weile. „Aber es ist nicht nur die Aufregung, die mich bewegt. Es ist vor allem die Angst um dich, Baramos.“
Wie schon so oft blickten sich Elter und Kind lange Zeit schweigend in die Augen. In diesen fünf Jahren hatte Lyktor Baram eine derart innige Beziehung zu seinem Kind entwickelt, wie er es nie für möglich gehalten hatte. In dieser Zeit waren ihm längst vergessen geglaubte Erinnerungen an seinen eigenen Elter ins Gedächtnis gekommen, an seine Kindheit und die Liebe zu seinem Erzeuger.
„Weißt du, mein Kleines, als ich etwa in deinem Alter war, verließ mich mein Elter, den ich sehr in meine Herzen geschlossen hatte, eines Tages, da er zu einer Drangwäsche aufbrechen musste. Da ich im Grunde ausgewachsen war, bekam ich an diesem Tag mein eigenes Haus. Es war das eines kürzlich verstorbenen Haluters. Ich litt die erste Zeit sehr unter dieser Trennung, doch das legte sich sehr schnell. Als mein Elter dann nach einigen Wochen zurückkehrte, hatte ich es nicht mal mehr eilig, ihn zu sehen. Es verging sogar fast ein Jahr, bis ich ihm mehr aus Zufall wieder begegnete. Wir Haluter sind Individualisten, wir leben im Grunde am liebsten allein. Es wird dir im Moment kein Trost sein, aber du wirst dich schnell an die Einsamkeit gewöhnen und sie sogar schätzen lernen. Du musst dich damit abfinden, dass ich sehr bald sterben werde. Doch wisse, dass ich als glücklicher und zufriedener Haluter abtrete und das habe ich einzig und allein dir zu verdanken. Ich werde in dir weiterleben. Wenn du mich immer im Gedächtnis behältst – und ich weiß, dass du das tun wirst –, werde ich stets bei dir sein.
Doch brechen wir auf, ich möchte dir die Heimat unseres Volkes zeigen.“

Zwei Tage später fiel das schwarze Schiff ein letztes Mal aus dem Linearraum. Nur wenige Lichtminuten außerhalb der Bahn, die Halut um sein Muttergestirn Haluta zog, entstand die ramponierte 120-Meter-Kugel wie aus dem Nichts. Es vergingen einige Stunden, ehe ein Hyperfunkspruch die Antennen des Raumschiffs in Richtung des einzigen Planeten des Systems verließ. Darin wurde knapp erklärt, dass Byltor Marak, Lyktor Barams Kind, um Landeerlaubnis bitte. Die prompte Antwort enthielt lediglich eine Bestätigung, es wurden keinerlei Fragen gestellt. Zur gleichen Zeit wurde ein Leitstrahl aktiviert, dem das Schiff schließlich folgte. Er führte es auf eine Fläche direkt vor einem kuppelförmigen Gebäude. Niemand war dort, um den Ankömmling zu empfangen. Daher sah auch niemand, wie nach einer Weile ein Schacht aus dem abgeflachten unteren Pol ausgefahren wurde, dem schließlich eine Gestalt entstieg. Diese Gestalt trug einen schlaffen Körper auf den längeren Handlungsarmen, mit der sie in dem Gebäude verschwand.
Das Schiff startete selbständig und begab sich auf seine letzte vorprogrammierte Reise. Sie würde es direkt in die rote Sonne Haluta führen. Byltor Marak aber hob hinter dem Haus seines Elters, das nun das seine war, ein Grab aus. Lyktor Baram war kurz nachdem er Halut auf dem Frontholoschirm gesehen hatte gestorben. Marak beschloss, seinem Elter ein steinernes Grabmal zu schaffen. Diese Art der Bestattung war bei Halutern eher selten, aber Marak wollte sicherstellen, dass er Lyktor Baram niemals aus dem Gedächtnis verlor.
Wochen später trat er erstmals mit den anderen Halutern in Kontakt. Er verschwieg in seinem Bericht alles, was sein Elter in seiner Drangwäsche erlebt hatte. Dieser halutischen Tradition blieb auch er treu. Aber er berichtete von den Diskussionen über die halutische Vergangenheit und verbreitete so Lyktor Barams Erbe, dass die Haluter von jetzt an offen und ehrlich mit ihrer Geschichte umgehen mussten, wenn sie auch künftig dem Bild des weisesten Volkes der Galaxis gerecht werden wollten.

Ende

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