Das fantastische Fanzine

Die Wälder von Katalis, 3. Buch: Vorbereitungen

Fortsetzungsgeschichte von Veronika “Vroni” Bärenfänger, Fortsetzung von: Die Wälder von Katalis, 2. Buch: Die Aufgabe

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Zweifel

Am nächsten Morgen war ich der Erste, der aufstand und in der Wasserkuhle einen erfrischenden Schwung Nass in mein Gesicht schüttete. Leila schlief zusammengerollt in ihrer Kuhle, während der schnarchende Onais-Tjelfort am Baumstamm daneben lehnte. Ich klopfte den Sand aus meiner Hose, streifte das Wasser aus meinem Bart und bändigte meine Zöpfe, bevor ich in den Wald ging, um etwas Brennholz zu holen. Als ich vollbepackt zurückkehrte, hatte Onais Tjelfort bereits die Feuerstelle so weit hergerichtet, dass ich nur noch nachlegen musste. Die Glut vom Vorabend hatte sich gut gehalten. Ich brach ein paar Äste über mein Knie, als sich Onais-Tjelfort verzog, ohne ein Wort mit mir zu sprechen. Er ging zum Wasserloch, nahm seine Kappe ab und benetzte das Moos mit etwas Wasser. Das Ding sah also nicht nur so aus, als würde es leben, es lebte tatsächlich. Erstaunlich. Leila war aus ihrer Kuhle gekrochen und streckte sich. Sie kam zur Feuerstelle und hockte sich direkt davor. Verschlafen stocherte sie in der Asche am Rand und fischte ein Käferpäckchen heraus. Ich brach weiterhin die Äste über dem Knie und beobachtete Leila, wie sie vorsichtig die Beine eines Käfers abzupfte und ihn dann in ihren Mund schob. Sie schien den anfänglichen Ekel überwunden zu haben. Offensichtlich hatte ich sie so sehr angestarrt, dass sie aufblickte und fragte, »Ist was?«

Ich schüttelte den Kopf und wandte meinen Blick ab. Ich sah hinüber zu dem Wasserloch, an dem noch vor wenigen Augenblicken Onais-Tjelfort gestanden hatte und seine Kappe ‘bewässerte’. Er war weg, wie vom Erdboden verschluckt. Mein Blick wanderte suchend die Uferlinie entlang. Im Schilf versuchte ich etwas zu erkennen und konnte ihn nirgendwo sehen, also beschloss ich nachzusehen. Ich suchte den Waldrand ab, durchsuchte das Schilf und ging ein paar Meter in die Dornenbüsche hinein. Kein Onais-Tjelfort weit und breit. »Wo ist der Alte?«, fragte ich Leila, die sofort aufsprang und sich umsah. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie und fing bereits, genau wie ich, an ihn zu suchen. Wir teilten uns auf, während ich die Ufernähe absuchte, suchte Leila im Wald. Aus irgendeinem Grund machte ich mir Sorgen um den alten Kerl, wobei das unlogisch war. Er lebte hier schon viel länger als wir und das ebenfalls völlig alleine, oder war er während der ganzen Zeit gar nicht hier gewesen? Mir gingen diese Gedanken durch den Kopf, während ich das mit Schilf bewachsene Ufer ablief. Gerade als ich umkehren wollte, hörte ich, wie Leila laut nach mir rief. Jetzt beeilte ich mich, zu unserem Lagerplatz zurückzukommen. Dort angekommen, traute ich meinen Augen nicht. Onais-Tjelfort saß am Wasserloch, so als hätte er sich nie davon wegbewegt. Als ich näher kam, konnte ich sehen, dass in unserem Wasserloch Bewegung herrschte und als ich direkt davor stand, sah ich, dass sich ein paar Fische darin tummelten. »Was ist das?«, fragte ich.

Onais-Tjelfort antwortete mit Onais Stimme: »Deine Tinte. Du wolltest doch den Fisch, der die Tinte abgibt. Hier bitte!« Leicht genervt machte er eine Handbewegung und im Bruchteil einer Sekunde war er wieder verschwunden. Ich stand mit offenem Mund da. Hatte ich nicht soeben fragen wollen, warum er mich nicht mitnahm, dann war da nur ein Windhauch und er war verschwunden. Ich hatte das ganz vergessen, bei unserer ersten Begegnung verpasste er uns den Übersetzer und dabei bewegte er sich ebenfalls so schnell. Leila kam zu mir herüber und fragte: »Was war denn das jetzt?«

Ich blickte sie an und antwortete: »Ich weiß es nicht.«
Während wir also noch dastanden und etwas ratlos in die Wasserkuhle blickten, spürten wir einen Windzug und da war er wieder. In einem weiteren Schildkrötenpanzer hatte er ein kleines Flussmonster und schlenzte beides auf den Boden neben der Feuerstelle. »Hopp, hopp!«, forderte er uns auf und fügte hinzu, »was steht ihr da so unnütz rum? Uns läuft die Zeit davon. Wir müssen viel besprechen und die Ankunft vorbereiten!«
Ich blickte Leila an, die verwirrt mit den Schultern zuckte und sich sogleich daranmachte, das Flussmonster auszunehmen. »Ja, was ist mit dir?«, raunte er mich von der Seite an.
Ich zuckte mit den Schultern, weil mich das alles im Moment überforderte. »Na willst du denn nicht langsam einen dieser Fische melken? Wofür hab’ ich sie dir mitgebracht?«, fragte er streng. »Wie bitte?«, fragte ich zurück. Onais rollte genervt mit den Augen und sagte, »Du … Fisch … quetschen … Tinte … auffangen!« Er sprach mit mir, als sei ich schwer von Begriff. »Ja!«, blaffte ich jetzt zurück und fügte an, »Wo soll ich die Tinte auffangen?« Jetzt blickte er mich mit seinen stechend blauen Augen verwundert an, überlegte einen Moment, hob dann den rechten knöcherigen Zeigefinger, griff unter seine Robe und präsentierte mir ein Glasfläschchen mit Korken. »Hier, das müsste gehen.« Er überlegte einen Moment und sagte, »Ja, darüber müssen wir auch noch sprechen. Über all das, was ihr von der Erde mitbringen könnt. So etwas hier, so etwas geht absolut.« Er brabbelte noch etwas in seinen Bart und verschwand. Ich versuchte einen dieser Fische zu erwischen und nachdem ich endlich einen in meiner Hand gehalten hatte, war es gar nicht so schwer, diesen Tintensack zu entleeren.
Nachdem ich den Fisch entleert hatte, wollte ich ihn zuerst wieder in das Wasserloch werfen. Aber wie sollte ich dann erkennen, welchen ich schon gemolken habe? Ich schien recht unbeholfen dazustehen, denn Onais, der bereits weitere Zutaten für unseren Wegproviant gesammelt hatte, fragte,
»Jetzt stehst du schon wieder nur herum. Möchtest du nicht endlich weitermachen?«
»Ja, wie? Wo soll ich mit diesem hier hin?«, fragte ich. »Schmeiß ihn in den Fluss, der verkriecht sich wieder am Ufer und mehr Tinte, als diese fünf geben werden, können wir eh nicht aufheben!«, antwortete er mir und widmete sich sogleich Leila, die das Monster bereits zerlegt hatte und in Palmblätter wickelte. Ich arbeitete mich von Fisch zu Fisch und mir gingen so einige Gedanken durch den Kopf. Gestern hätte man von Onais keinen geraden Satz erhalten. War er doch wie ein Narr um das Feuer gesprungen und trällerte sein seltsames Lied. Heute wirkte er so fokussiert und geradeheraus. Nun scheuchte er uns herum und gab Befehle. Das überforderte mich aktuell etwas. Leila folgte brav und er scherzte immer wieder mit ihr, was ich argwöhnisch beobachtete. Mir erschloss sich bislang nicht, warum er es plötzlich so eilig hatte, denn so wie ich ihn verstand, wollte er noch heute zurück zur Höhle aufbrechen. Irgendwie fühlte ich mich überrumpelt, denn ich begann erst zu verstehen, worum es hier überhaupt ging. Leider wusste ich nicht, wie weit ich von dem Ausmaß der ganzen Sache entfernt war. Ich gab jedenfalls klein bei und fügte mich in Onais Anweisungen, genau wie Leila es tat. Nur tat Leila dies völlig selbstlos und in völligem Gehorsam. Das machte mich sehr misstrauisch. Ich wollte nicht, dass sie sich um den Finger wickeln ließ. Auf der anderen Seite war ich stolz, dass sie so bedacht und sorgsam unsere Vorräte erweiterte. Onais saß mittlerweile nur noch vor dem Feuer und wartete darauf, dass das Wasser im Tontopf zu kochen begann. Die Fische waren gemolken und wieder in die Freiheit entlassen. Das Glasfläschchen hatte ich mit dem Korken fest verschlossen. Danach ging ich zu Leila, um ihr beim Zusammenpacken zu helfen. Die Schildkrötenpanzer waren eine großartige Bereicherung unserer Utensilien, allerdings ähnlich sperrig, wie der Tontiegel. Wir beschlossen, sie an unseren Rucksäcken festzubinden, damit sie uns beim Laufen nicht behindern würden. Wenig später löschte ich das Feuer und bedeckte alles mit Sand. Unseren Schlafplatz beließen wir, immerhin dachte ich, dass wir bald wieder herkommen würden, um unsere Vorräte aufzufüllen. Leila kontrollierte noch die verschiedenen Schuppen, die sie dem Kadaver abringen konnte, und wickelte sie sorgsam in ein Palmblatt. Wir hatten also endlich so etwas wie Messer. Onais-Tjelfort war natürlich wieder nicht dort, wo wir ihn erwartet hätten, also mussten wir ihn erst suchen, bevor wir aufbrechen konnten. Leila fand ihn dann an einer Baumreihe, an der Rinde schnitzend. Erst später fiel uns auf, dass er dort ein paar dieser Rinden abgeschält hatte, die sich zum Beschriften eigneten. Ich drängte aber jetzt zum Aufbruch, denn ich wollte vor der Abenddämmerung an unserem Rastplatz vom Herweg ankommen. Wie ich mich doch irren konnte. So fokussiert wie Onais-Tjelfort die Stunden zuvor war, so chaotisch führte er sich jetzt auf. Ich beschloss für mich selbst, ihn ab jetzt nur noch mit dem Namen anzusprechen, in dem er aktuell auftrat. Als Onais hatte er keinen engen Bezug zu mir aufgebaut, wie zu Leila. Sie konnte ihm alles sagen und ihn immer wieder dazu bewegen, mit uns zu gehen. Allerdings war das, als würden wir fünf Schritte vorwärts und drei Schritte zurückgehen. Ich fühlte mich dadurch genervt und Leila hatte bisweilen mit uns beiden zu kämpfen. Mit mir, der fast aus der Haut fuhr und den Alten grün und blau prügeln wollte und mit dem verwirrten Teil des spitzohrigen Wesens. Immer wieder eilte sie ihm nach, um ihn auf dem richtigen Weg zu halten oder sie blieb stehen und wartete, bis er sich an dieser einen schönen Blume sattgesehen hatte. Wir erreichten unseren alten Rastplatz vor Dämmerung nicht mehr. Mir blieb nichts anderes übrig, als ein weiteres Nest in einer Astgabelung zu bauen. Niemand hatte Lust darauf, diesen seltsamen Wölfen zu begegnen. Während Leila und ich die Palmblätter zu einer festen Matte verflochten, saß Onais brav am Fuß des Baumes. Immerhin blieb er dort und bewegte sich nicht hinweg. Es war schon dunkel, als ich mir sicher war, dass das Geflecht fest genug für uns alle drei sein würde. Leila reichte mir unsere Rucksäcke, die ich einen Ast weiter oben aufhing und als sie Onais nach oben helfen wollte, trauten wir unseren Augen nicht, denn er hockte schon oben. Ich hätte damit rechnen müssen, immerhin war er in der Lage, sich schnell wie ein Blitz zu bewegen. Unglücklicherweise war die Gabelung noch kleiner als die Erste, die ich baute und so hockten wir ziemlich dicht nebeneinander. Leila war so erschöpft, dass sie sich an Onais lehnte und schnell hinweg döste. Ich saß auf der anderen Seite von Onais, der einfach nur ins Dunkel zu starren schien. Den ganzen Tag hatten wir es nur mit Onais zu tun und ich fragte mich schon, ob ich bald die Gelegenheit haben würde, mich mit Tjelfort zu unterhalten. Ich hatte so viele Fragen an ihn. Wann würden wir endlich zurück zur Erde können? Was war denn unsere Aufgabe und wie viel Zeit bliebe uns dafür? Es würde schwer für mich werden, die ganzen Umstände zu akzeptieren. Eines akzeptierte ich bereits. Ich wollte Leila an meiner Seite, nicht nur als Frau, sondern als Freund, als Partner, auf den ich mich bedingungslos verlassen konnte. Ja, ich war mir sicher, dass wir das beide hinbekommen konnten. Sie hatte sich so sehr zu ihrem Vorteil entwickelt. Ich mochte den Ehrgeiz, mit dem sie ihre Aufgaben anging und ich mochte ihre Ideen, die wir zwar nicht alle umsetzen konnten, die aber dennoch einen Versuch wert waren.
So überlegte ich eine Weile, was noch alles auf uns zukommen mochte, und bei all diesen Gedanken döste ich langsam hinweg.
Die Nacht blieb ruhig. Außer den üblichen Geräuschen des Waldes gab es keine seltsamen Wölfe, die uns als Beute ansehen konnten. Es gab auch sonst keine Störungen. In den frühen Morgenstunden erwachte ich und stellte fest, dass Onais-Tjelfort nicht mehr zwischen uns saß. Erschrocken suchte ich nach ihm und fand ihn dann am Fuße des Baums. Er hatte Brennholz gesammelt und ein kleines Feuer entfacht. In unserem Tontiegel befand sich Wasser. Woher er das hatte, war mir ein Rätsel. Aber gut, wir würden jetzt etwas essen und dann weiter Richtung Höhle wandern. Ach, was war ich naiv zu glauben, es würde heute zügig voran gehen. Dieser Kerl würde mich noch an den Rand des Wahnsinns treiben. Nur gut, dass ich das bis dahin nicht wusste. Wahrscheinlich hätte ich ihm dann genau hier, an dieser Stelle den Hals umgedreht.
Als Leila vom Baum kletterte, wurde Onais auf einmal aktiv. Er achtete darauf, dass sie sicher den Boden erreichte, geleitete sie zur Feuerstelle und bevor sie sich setzte, bereitete er ihren Platz. Das war ein regelrechtes Hofieren und ich beobachtete das mit wachsender Skepsis. Was hatte er vor? Durfte ich ihm wirklich trauen? Gemeinsam aßen wir von dem Flussmonster und tranken den Tee, den Onais angesetzt hatte. Als wir dann unsere Sachen zusammenpackten, löste sich der Tau von den Blättern und rauschte in einem kräftigen Regenguss auf uns hernieder. Dieses Phänomen hatte mich immer in Staunen versetzt, denn auf Katalis gab es im Sommer nahezu keine Wolken, aus denen es regnen könnte. Im Winter war das anders, da schneite es direkt aus dunkelgrauen Wolken, die sich immer wieder bedrohlich am Himmel auftürmten. Die Herbststürme waren ebenfalls nicht zu verachten, denn sie hatten mich häufig dazu gezwungen, meine Tage in der sicheren Höhle zu verbringen. Der Winter war manchmal noch unangenehmer und dunkel. So hell es nachts im Sommer war, so dunkel waren die Tage im Winter. Nach dem Regenguss, der so plötzlich endete, wie er gekommen war, schulterten wir unsere Rucksäcke und marschierten in Richtung Höhle. Ich rechnete damit, dass wir im Laufe des Nachmittags ankommen würden, ich rechnete aber nicht mit Onais. Leila war ständig beschäftigt, ihm zu folgen oder ihn zu holen, wenn er wieder einmal stehen geblieben war. Manchmal ging er einfach in seiner Spur zurück und so war es bereits abends, als wir endlich den Vorplatz unserer Höhle erreichten. Während ich sofort die Schilfmatten vor dem Eingang entfernte, um etwas frische Luft hereinzulassen, ging Onais-Tjelfort schnurstracks hinein und begab sich in den hinteren Bereich. Leila schlenzte lediglich ihre Sachen auf den Boden und wandte sich in Richtung Teich. Ich blickte ihr nach und sah, dass sie schon während des Laufens ihre Kleider ablegte. Sie wollte wohl dringend ein Bad nehmen. Ich zögerte, war hin- und hergerissen zwischen einem erfrischendem Bad und dem Drang, diesen anstrengenden Gnom zu kontrollieren. Ich wartete, bis Leila wiederkommen würde. Sie kam nicht wieder und ich schaute nach Onais-Tjelfort, der im hinteren Teil der Höhle vor der Karte hockte und weinte. Jetzt war ich völlig verwirrt. Warum saß er vor der ausführlichen Wandmalerei und heulte?
Auch wenn ich eigentlich über sein seltsames Verhalten sehr verärgert war, überwand ich meinen Stolz und fragte, »Was ist los, Onais oder Tjelfort?«
»Onais«, antwortete er und schniefte. »Was ist das Problem? Erklär mir das bitte. Wir haben alles getan, was du gesagt hast und nun sitzt du hier und heulst. Warum?« Ich verstand es einfach nicht. »Tjelfort ist hier gestorben«, sagte er leise. Betroffen seufzte ich und sagte, »Das ist sehr bedauerlich, aber wir können nichts mehr daran ändern. Onais, wir brauchen deinen Rat. Was sollen wir jetzt tun? Wir müssen durch das Portal, aber wir sollten vorbereitet sein. Tjelfort hat mir das gesagt.«
Er blickte auf und ich konnte die Tränen in den Augen sehen.
»Wir müssen zu den Ruinen der Dulnae. Die Ankunft vorbereiten und wir müssen noch die Liste der Wanderer finden. Schließlich darf nicht jeder mitkommen«, er setzte ab, blickte mich eindringlich an und fuhr fort, »Stell dir vor, diese Gräfin mogelt sich unter die Reisenden. Das wäre ja schrecklich.« »Du warst doch derjenige, der ganz entzückt von ihr war!«, erklang plötzlich Tjelforts Stimme. Er war also wieder da! Diese Gelegenheit musste ich nutzen. »Tjelfort, was sollen wir jetzt tun?«, fragte ich mit Nachdruck.
Er räusperte sich und begann, »Onais hat es schon richtig angesprochen. Wir müssen zu den Ruinen und diese für die Auserwählten herrichten. Dazu bleibt uns nicht viel Zeit«
»Was sind die Ruinen?«, fragte ich. »Es ist die größte ehemalige Siedlung eurer Vorfahren. Es ist tatsächlich noch recht viel erhalten. Wir müssen diesen Ort nur so vorbereiten, dass die Ankömmlinge möglichst schnell mit dem Wiederaufbau beginnen können«, erklärte er.
»Gut, wo sind diese Ruinen?«, fragte ich weiter. Tjelfort stand auf und deutete auf einen Bereich der Karte. »Dort war ich schon, dort ist ein Dornenwald«, sagte ich überrascht. »Ja, das ist das Problem. Wir müssen durch die Dornenhecke ins Innere. Dort sind die Ruinen. Die Hecke wurde zum Schutz gegen die Vilkas angelegt«, sagte er.
»Was sind Vilkas?«, fragte ich.
»Diese Wölfe, die ihr gesehen habt.«
»Sind die gefährlich?«
»Ja!«
Irgendwie hatte ich das zwar geahnt, es aber genau zu wissen, ließ mich schon erschaudern. »Was hat das mit dieser Liste auf sich?«, fragte ich. »Wir haben eine Liste erstellt, auf der wir, nach langer Beobachtung, alle würdigen Menschen notiert haben. Ich habe sie in einer Truhe in den Ruinen hinterlegt. Da wir leider durch den Unfall so viel Zeit verloren haben, müsst ihr diese Liste so schnell wie möglich abarbeiten, sobald ihr das Portal durchschritten habt. Es tut mir leid, aber neben ein paar Ausnahmen, die eure eigene Intuition hervorbringt, können wir von dieser Liste nicht abweichen.« Seine Stimme klang hart, als er das erwähnte.
»Du willst mir jetzt wirklich sagen, dass ihr eine Liste derer erstellt habt, die ihr für würdig haltet? Habt ihr allen Ernstes vergessen, dass ihr mich hier für zehn Jahre allein gelassen habt, weil ihr euch in dieser garstigen Gräfin geirrt habt?«, ich konnte nicht fassen, was die beiden da ausgeheckt hatten und ich würde ihnen diese Einsamkeit, in die sie mich verbannt hatten, lange nicht vergeben. »Ich sagte ja schon, dass uns das unendlich leidtut“, entschuldigte sich Tjelfort und fuhr fort, »Die Liste hat das Universum erstellt, nicht wir.«
»Das soll mich jetzt beruhigen?«, fragte ich und wechselte das Thema, »Dann erzähl mir mal, warum du hier sitzt und heulst?«
»Ich weine nicht«, sagte Tjelfort und das verwirrte mich abermals. »Onais weint«, fügte er an. Ich hatte wirklich Schwierigkeiten, das auseinanderzuhalten. Wer hatte denn schon einmal etwas mit einem Wesen zu tun, das zwei Persönlichkeiten in sich vereinte, die noch dazu abwechselnd anwesend waren und anders sprachen?
»Und warum weint er?«
»Weil du meine sterblichen Überreste nicht begraben hast, sondern sie immer noch aufbewahrst, dort hinten.« Er deutete in die Richtung, in der ich die Knochen sorgsam aufgestapelt hatte. »Das ist bei uns so üblich«, sagte ich.
»Nun, die Dulnae hatten tatsächlich Begräbnishöhlen, aber sie lebten nicht darin«, polterte Tjelfort.
»Wenn ich mehrere Höhlen gehabt hätte, dann wäre ich sicherlich ausgewichen. Ich wollte ihm … äh, dir einfach die letzte Ehre erweisen und mit deinen Überresten respektvoll umgehen«, versuchte ich mich zu rechtfertigen und fragte, »Wie gehen wir jetzt weiter vor?«
»Ich würde vorschlagen, wir erfrischen uns, schlafen eine ganze Nacht darüber und dann bereiten wir uns vor. Wir müssen mit möglichst vielen Dingen umziehen. Wir haben nicht viel Zeit. Geh du erst mal zu Leila. Sie hat bereits Gesellschaft und die beiden Limfie brauchen ebenfalls noch den Universalübersetzer. Sonst geht die Reise der Missverständnisse unendlich weiter.« Er lächelte mich an, als er das sagte. Das war so seltsam. Ihm liefen dabei die Tränen die runzeligen Wangen hinunter und gleichzeitig lächelte er mich an. Ich war mit der Idee eines erfrischendes Bades im Quellteich sehr einverstanden, also begab ich mich dorthin. Leila lag bewegungslos bis zu den Ohren im glasklaren Wasser und hatte dabei einfach nichts mehr an. Bei diesem Anblick hätte ich eigentlich auf dem Absatz kehrt machen müssen, aber ich konnte nicht. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte sie einfach nur an. All die ganzen Vorsätze waren nicht mehr vorhanden. Nichts von all meiner Selbstbeherrschung zog jetzt mehr. Ich wollte diese Frau jetzt, mit Haut und Haaren und tatsächlich war mir eigentlich nicht nach Zärtlichkeiten. Noch stand ich einfach nur da und starrte sie an, noch. Ich hatte sie am liebsten sofort aus dem Wasser gezerrt und direkt hier am Ufer genommen. Ich hatte mich gerade noch so weit unter Kontrolle, dass ich einfach stehen blieb und abwartete, was sie tun würde, würde sie mich endlich bemerken.

Und dann richtete sie sich auf und blickte mich an. »Was ist?« fragte sie.
Ich war nicht in der Lage, etwas zu sagen, also entfuhr mir nur ein Grunzen. Leila lachte und sagte ganz trocken, »komm her!«
Sie winkte mit der Hand und ich fühlte mich tatsächlich wie in einem Traum. Meinte sie das jetzt wirklich ernst? War ihr bewusst, dass sich das nicht mehr aufhalten lassen würde? Ich öffnete den Bändel um meine Hüften und die Hose rutschte direkt bis zu den Knöcheln. Mit einer geschickten Bewegung wurde ich sie los, während ich mein Hemd abstreifte. Wenige Sekunden später war ich bei ihr im Wasser. Sie umschlang mich mit ihren Armen und ich spürte ihren feuchten und kühlen Körper. Sie griff meinen Kopf, küsste mich innig und schlang ihre Beine um meine Hüften. Wir tauchten einen Moment komplett unter und nachdem wir die Oberfläche wieder erreicht hatten, löste ich meine Lippen von den ihren. Und dann ging alles so schnell, zu schnell für meinen Geschmack. Einen Moment hielt ich sie noch im Arm und als sie sich von mir löste, sagte ich leise, »Es tut mir leid, dass es für dich zu schnell ging.«
Sie blickte mich mit ihren zweifarbigen Augen an, zog die Augen zusammen und lächelte mich an. »Das spielt keine Rolle, denn zum allerersten Mal hat es nicht weh getan.« Sie küsste mich noch einmal innig und ließ sich dann tief hinab ins Wasser gleiten. Ich sah sie, wie sie im klaren Wasser ein paar kräftige Schwimmzüge machte, am anderen Ufer auftauchte, den See verließ und das Wasser aus ihren Haaren streifte. Ich stand völlig neben mir. So hatte ich mir unsere Zusammenkunft nicht vorgestellt. Ich weiß nicht mal, wie ich mir das vorgestellt hatte, aber nicht so. Wobei, was hatte ich von mir erwartet? Der Drang hatte sich schließlich schon so lange aufgestaut und unter diesen Umständen konnte man eigentlich nichts anderes erwarten. Völlig mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, fiel mir nicht auf, dass Leila weg war. Ein fröhliches ‘Nock nock nock’ riss mich aus meinen Gedanken. Zzila! Was für eine Freude!
Die beiden Limfie hatten sich jetzt so lange nicht blicken lassen, dass ich mich richtig freute, sie zu sehen. Eines vergaß ich völlig, ich konnte sie jetzt wirklich verstehen und schon der erste Satz, der diesem kleinen, süßen Schnabel entwich, empörte mich zutiefst. »Na endlich habt ihr euch gepaart, ein wenig schnell, aber immerhin …«, schnatterte sie direkt drauflos. Ich blickte sie verdutzt an und sagte, »Ich glaub’ das einfach nicht, es ging dir tatsächlich immer nur darum?« »Ja, was sonst, dafür sind Männchen und Weibchen nun mal da. Etwas länger hätte es sein können, aber war schon nicht schlecht«, quietschte sie. »Ich fasse das nicht, du hast uns beobachtet? Hat das Spaß gemacht? Ist dir eigentlich klar, wie unhöflich das ist?«, langsam wurde ich sauer. »Warum, das ist doch ganz natürlich. Fehlt nur noch der Nachwuchs.« Das kam so kalt, so klinisch aus ihrer Schnute, sodass mir Karrs damalige Andeutung auf dieses Experiment in den Sinn kam. »Du weißt schon, dass Leila keine Kinder mehr bekommen kann?«, fragte ich und wartete argwöhnisch auf ihre Reaktion. »Ach das, das spielt doch keine Rolle. Sie konnte keine Kinder mit dem Schnösel haben …«, plapperte sie munter weiter. War ihr vielleicht gar nicht bewusst, dass ich sie viel besser verstehen konnte, als davor? Ja, natürlich wusste sie das nicht. Tjelfort hatte mir gesagt, dass die Limfie noch Übersetzer brauchen würden, weil sie uns weiter begleiten würden. Sie verstand mich daher nur bedingt, während ich gerade alles glasklar vor mir hatte.

»Zzila, bitte steigere dich da nicht so hinein. Jean hat etwas getan, was wir uns beide nicht vorstellen können oder gar wollen. Lass Leila damit in Ruhe. Sie wird keinen Nachwuchs bekommen können, dessen ist sich sogar Onais-Tjelfort sicher.«
Sie blickte mich erstaunt mit ihren großen Augen an und ich konnte sehen, wie die Pupillen immer größer wurden. »Tjelfort lebt?«, knatterte sie vorsichtig. »Leben würde ich das nicht nennen, er existiert, ja, so wird was daraus, er existiert.«
Mir war irgendwie nicht ganz wohl dabei. Sie kannte Tjelfort und Onais? Nun, das musste wohl so gewesen sein. »Wo ist er?«, fragte sie vorsichtig und ich antwortete, »Oben in der Höhle.«
»Ich … ich geh’ jetzt.«
»Ja, ich halte dich nicht auf«, antwortete ich, tauchte erneut unter und als ich wieder auftauchte, war sie weg.
Ich stieg aus dem Wasser und schlüpfte in meine Sachen. Beim Weg zur Höhle, dachte ich kurz darüber nach, dass es wohl besser gewesen wäre, ich wäre mit Zzila gleichzeitig dort angekommen. Der Vorteil dessen, dass ich sie vollständig verstehen konnte, war jetzt wohl dahin. Onais-Tjelfort hatte ihr bestimmt schon den Übersetzer verpasst. Oben angekommen, hockte Leila vor der Feuerstelle und versuchte, das aufgestapelte Holz zu entzünden. Ich blickte sie an und sog unvermittelt jeden einzelnen Eindruck in mich auf, wie ein Schwamm. Sie hatte ihre nassen Haare zu einem Knoten zusammengerollt und mit einem Holzstab fixiert. Auf diese Art und Weise hielt er an ihrem Hinterkopf, wie ein Dutt. Unsere Blicke trafen sich für einen Moment und erleichtert stellte ich fest, dass hier keinerlei Anspannung herrschte. Sie lächelte mich an und ich fragte, »Soll ich dir helfen?« »Nein, das schaff’ ich schon«, antwortete sie und beugte sich wieder über den Zunder, der tatsächlich mit dem nächsten Schlag der Steine Feuer fing. Sie hatte so viel gelernt und ich ebenfalls. Mir war wahrlich der Respekt wichtiger und ich hatte schon befürchtet, dass unser kleiner Zwischenfall am Teich etwas zu voreilig war. Ihr Verhalten und ihre Ausstrahlung sagten mir etwas anderes. So entspannt hatte ich sie lange nicht gesehen.
Ohne weiter auf sie zu achten, begab ich mich in unsere Wohnhöhle und erwartete dort auf Zzila und Onais-Tjelfort zu treffen. Ich fand nur Onais-Tjelfort, schlafend in meinem Bett.
Ich ging wieder zu Leila und fragte, »Wo ist Zzila?«
»Sie holt Karr, warum fragst du?«, fragte Leila zurück.
»Dann hat er ihr den Übersetzer schon angeheftet, oder?«, wollte ich wissen.
»Ja, warum auch nicht?« Sie blickte mich verdutzt an. »Nun, ich hätte den Vorteil, ihr gegenüber schon noch etwas genossen«, sagte ich und musste schmunzeln. »Welchen Vorteil?«, fragte Leila und ich erklärte, »Es war vorhin sehr interessant, sie genau zu verstehen, während sie mich nicht vollständig verstand. Ich hätte diese Situation gern etwas länger ausgekostet.« »Nun lass dir doch nicht schon wieder alles aus der Nase ziehen, was war interessant?«
»Sie hat uns beobachtet«, begann ich und blickte in Leilas entsetzt aufgerissene Augen.
»Sie hat was? Sie hat gesehen, wie wir Sex hatten? Was fällt ihr ein, das kann ja jetzt echt nicht sein!«
Mir gefiel ihre Empörung, denn sie stimmte mit meiner eigenen Gefühlslage überein. »Zzila hat sich so darauf fixiert, dass wir beide zusammen Nachwuchs bekommen können, dass mir das schon unheimlich ist. Was sagst du dazu?«, fragte ich.
Leila blickte mich verwundert an, »Das ist unmöglich und das weißt du.«
Sie blickte ins Feuer und stocherte in der Asche, damit die Ulkoknolle genug Hitze abbekam.
»Das hast du mir erzählt und ich glaube dir. Ich zweifle aber an Zzilas Absichten. Meinen die Limfie es wirklich gut mit uns?«, sagte ich und prüfte ihre Reaktion. »Du zweifelst?«, fragte sie »Ich zweifle nicht an dir, im Gegenteil, ich fühle mich sehr zu dir hingezogen und tatsächlich hätte ich nichts dagegen, mit dir eine Familie zu gründen, aber Tjelfort hat mir erklärt, dass ich dich so nehmen muss, wie du bist und er sagte, dass dein Päckchen schwer wiegt.« Ich blickte sie an und wartete auf ihre Reaktion. Sie räusperte sich und sagte, »Ich kann dir nicht erzählen, warum es uns nie möglich sein wird, eine Familie zu gründen, noch nicht. Vielleicht bin ich dazu bereit, wenn wir unsere Aufgabe erledigt haben, aber im Moment würde das zu viele Erinnerungen wecken und ich bin gerade dabei zu vergessen. Das hab’ ich dir zu verdanken und ich muss mir darüber klar werden, was ich will. Momentan würde ich gern noch einmal mit dir so zusammen sein wie eben im Teich. Ich weiß aber, dass wir wohl kaum eine weitere ungestörte Gelegenheit haben werden.« »Dann lass uns die Zeit nutzen, bis sie wieder hier sind. Ich würde vorschlagen, ich helfe dir mit den Haaren, das gilt in meinem Volk als Zeichen der Verbundenheit. Vielleicht kannst du mir mit einer dieser Monsterschuppen, die Haare vom Kopf rasieren, damit der Irokese wieder zur Geltung kommt. Wenn es stimmt, was Onais-Tjelfort erzählt hat, so werden wir bald nach Hause gehen und ich möchte dich meiner Familie vorstellen. Mir wäre wichtig, dass wir uns dann an die Regeln halten. Bist du damit einverstanden, oder widerstrebt dir das?«, fragte ich. »Du weißt, dass ich noch eine Rechnung offen hab«, sagte sie lächelnd, was mich sehr überraschte. »Ich dachte nicht, dass dir das so ernst ist, aber wenn das so sein soll, dann wird das so kommen«, antwortete ich. »Nun, ich habe gemischte Gefühle, wenn es darum geht, deiner Familie und deinen Freunden gegenüberzutreten. Ich bin Galier«, sagte sie.
»Leila, du bist in erster Linie eine Frau, eine schöne und starke Frau und du bist es wert gesehen zu werden. Sie werden meine Entscheidung akzeptieren müssen. So oder so, werden wir zurückgehen und sie können sich uns anschließen oder bleiben. Wenn es stimmt, was Tjelfort sagt, dann wird das ihr Ende sein.«
»Du glaubst das?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich ihr.
Ich wusste es wirklich nicht und meine Zweifel wuchsen mit jeder Sekunde, in der ich über diese Situation nachdachte. Ich zweifelte an der Aufrichtigkeit von Zzila und Karr, von Onais-Tjelfort konnte ich nichts anderes erwarten. War das nur ein Spiel oder war die Ankündigung der Apokalypse echt? Ich legte ein paar Äste nach und setzte mich hinter Leila, um ihre Haare zu ordnen. Sie schmiegte sich an mich und genoss es, dass ich ihren Knoten löste, mit der Hand die Strähnen glättete und danach einen festen Zopf flocht, den ich mit einer Flachsfaser fest verschloss. Die Berührungen taten gut und so wechselten wir die Positionen und Leila schabte, äußerst vorsichtig, die Haare über meinen Ohren weg. Sie sortierte noch meine Zöpfe und flocht einige neu. Ich mochte ihre Berührungen, vielleicht jetzt sogar mehr als davor und ich meinte, dass sie intensiver waren. Definitiv hatte sich etwas verändert. Es wirkte alles viel vertrauter und ich hoffte, dass es auch ihre Empfindung betraf. Wir würden sehen.

***

War es wirklich das, was Leila fühlte?
Nun, sie war recht erschöpft, weil sie sich ständig um Onais-Tjelfort kümmern musste. Sie wusste aber auch, dass Markus ihm den Hals umgedreht hätte, hätte sie das nicht übernommen. Warum war dieser Mann nur so ungeduldig? Aber war er das wirklich oder war die Situation, in der sie steckten, schlicht zu absurd? Sie hatte sich so sehr geschämt in dem Wasserloch, als er ihr so lüstern auf ihre Brust starrte und dann noch lästerte, dass sie so klein war. Als dann Onais-Tjelfort zu ihnen stieß, öffnete er ihr die Augen. Sobald sie zur Erde zurückkehren würden, hätte sie eine Aufgabe zu erledigen. Ja, sicher, sie musste die Wanderer suchen, aber sie musste einen Schlussstrich ziehen. Den endgültigen Abschluss ihrer Ehe vollziehen und das würde für mindestens einen nicht gut ausgehen. Nach dieser langen, anstrengenden Wanderung strebte sie direkt in den kühlen Quellteich. Sie hatte sich diesmal völlig ausgezogen und genoss die angenehme Kühle. Die Zeit verflog und dann stand er da. Das war der erste Moment, in dem sie wusste, dass sie ihn jetzt wollte und genau so kam eines zum anderen. Leila war sich selbst nicht sicher, ob das jetzt zu diesem Zeitpunkt das Richtige war. Es war auch nicht überragend oder fantastisch, aber es tat nicht weh, es fühlte sich, obwohl es zügig vonstattenging, gut an. Und dann kam er mit seinen Zweifeln. Nicht an ihr, an der Situation und er steckte sie an.

***

Zzila und Karr kamen gerade erst wieder ins Spiel und man könnte denken, dass sie etwas im Schilde führten. Waren hier meine Zweifel angebracht, oder irrte ich mich einfach? Vielleicht war es nur eine unglückliche Verkettung von Missverständnissen.
Allerdings waren die Limfie nicht ganz ehrlich, es ging um ein Experiment. Die Initiatoren dieses Experimentes waren nicht die Limfie.
Das würde alles keine Rolle mehr spielen, denn die Aufgabe war bereits so weit voran gediehen, sodass ihre kleine Unehrlichkeit gar nicht mehr ins Gewicht fiel. Die beiden waren Teil dieses Experimentes und sie waren gerade dabei zu beweisen, dass es möglich war. Es war möglich, die Menschen zu einem Besseren zu bekehren. Ein Ende der Kriege, ein Ende von Neid und Missgunst. Es ist noch ein steiniger Weg, bis die Menschen wieder auf Katalis leben können. Dem Planet mit Wald, Wasser und Wild. Eigentlich perfekt für eine gemäßigte Zivilisation. Die Limfie waren weiterhin wichtig für die Wanderung, denn wer sollte die Menschen willkommen heißen und wer sollte ihnen über die ersten Monate helfen, wenn nicht sie.
Wir werden sehen.

Die Ruinen der Dulnae

Die Nacht verbrachten wir zu dritt auf unserem Bett. Zu Beginn lag Onais-Tjelfort zwischen uns und brauchte elend viel Platz. Irgendwann reichte es und sie krabbelte zu mir herüber. Nichts hätte ich mir mehr gewünscht als das, aber dieser Gnom lag mit uns im Bett. Also würde abermals meine Beherrschung geprüft werden.
Als ich mich letztlich aus Leilas Armen schälte und nach draußen ging, wurde ich freudig von Zzila begrüßt, während Karr mich nur anbrummte. Ich erwiderte die Begrüßung und fragte, »Was ist los Karr?«
Er brummte und antwortete, »Ich hab’ überhaupt keine Lust auf Menschen.«
Ich stutzte. Hatte er das jetzt wirklich gesagt? Und dann fiel mir ein, dass Karr noch gar keinen Übersetzer hatte. Er war möglicherweise überzeugt, ich würde weiterhin nicht alles verstehen, was er da so von sich gab.
Mir war nicht daran gelegen, ihn in irgendeiner Weise auflaufen zu lassen. Also beließ ich es fürs Erste dabei und beschloss das zu beobachten.
Immerhin hätte ich diese Einsamkeit ohne die beiden nicht überstanden.
Wahrscheinlich hätte ich mir eine tödliche Dosis des Egelgiftes verpasst oder Ähnliches. Jedenfalls waren die Jahre, die ich hier allein verbracht hatte, schlimm genug, auch mit den beiden.
Leila huschte an uns vorbei, wahrscheinlich um sich im Wald zu erleichtern, denn wenig später stand sie neben mir und begrüßte Zzila. Sie kniete sich nieder und knuddelte über den flauschigen Kopf. Woraufhin Zzila auf ihren Arm hüpfte und sich mit einem knarren gegen ihre Brust schmiegte. Zum ersten Mal in ihrem Leben verstanden sie beide, was der andere sagte. Wir hatten das Feuer entfacht. Ein Tontopf mit Gemüsen köchelte bereits friedlich vor sich hin und Leila hatte aus ihrem Mehl wieder ein paar Fladen geformt.
Onais-Tjelfort kam erst aus der Höhle, als wir mit den Vorbereitungen fertig waren. Ich ärgerte mich ein wenig, denn wir mussten ihn ständig bedienen. Immer, wenn es etwas zu tun gab, war er Onais und wenn wir mit allem fertig waren, ließ sich Tjelfort blicken. Ich argwöhnte schon, dass dahinter eine Absicht stecken würde. Allerdings konnte der arme Kerl ja nichts dafür, dass die Gräfin ihn übers Ohr gehauen hatte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie das sein mochte, sich mit einem anderen Geist den Körper zu teilen. Ja, ich war kein so grober Klotz, wie es den Anschein hatte. Vielleicht war das die Erziehung meiner Mutter, die immer sehr viel Wert darauf gelegt hatte, dass man sich in die Situationen der anderen hineinversetzen sollte. Einen winzigen Moment dachte ich wehmütig an sie und hoffte, ich würde sie schon bald wieder sehen.
Als der Alte am Feuer hockte und sich seinen Tee schmecken ließ, sagte er,
»Wir müssen uns vorbereiten.« Das war deutlich Onais und diesmal wirkte er sehr vernünftig.
»Worauf genau?«, fragte ich und fügte an, »Ich weiß, wir müssen diese Ruinen finden, aber was sollen wir dort tun?«
»Du bist wirklich ein Dummkopf!«, schnauzte er mich an.
Ich zog die Augen zu schmalen Schlitzen.»Was?«, polterte ich zurück. »Führ dich nicht so auf!«, reagierte er und fuhr fort, »Dort sollen die Reisenden ihren Neuanfang beginnen!«
Karr, der mittlerweile ebenfalls einen Übersetzer hatte, mischte sich ein.
»Dort haben einst Menschen gelebt, die Umgebung ist perfekt für sie. Einige der Häuser sind noch bewohnbar, wir müssen sie nur von den Gewächsen befreien. Eine Wasserquelle gibt es dort ebenfalls.«
Leila stand auf, streckte sich und fragte, »Wie lange werden wir brauchen, bis wir dort sind?«
»Die Ruinen sollten wir innerhalb eines Tages erreichen können, vorausgesetzt wir gehen kurz vor Sonnenaufgang«, erklärte Karr. Ich weiß nicht, warum. Ich beobachtete ihn. Eigentlich dachte ich immer, seine kühlen Reaktionen kämen von einer gewissen Eifersucht. Immerhin war Zzila immer völlig aus dem Häuschen, sobald es um mich ging. Jetzt, da ich ihn vollständig verstehen konnte, hatte ich fast den Eindruck, hier stand ein kleiner Wissenschaftler vor mir, der die Situation lediglich nüchtern umriss.

Wir begannen, unseren Ausflug vorzubereiten. Leila erntete nochmals Süßgräser, verarbeitete diese zu einem ordentlichen Stapel Fladenbroten und ich erlegte eine weitere Ziege. Onais-Tjelfort war leider nicht sehr hilfreich, im Gegenteil, Leila musste sich häufig um ihn kümmern, was ihre Zeit ziemlich einschränkte. Mich ärgerte das immer wieder und ich musste mich zurücknehmen, um ihn nicht zu verprügeln. Leila ging häufig dazwischen und wusch mir den Kopf. Das machte sie immer attraktiver für mich und ich merkte, dass ich mich von ihr nicht nur angezogen fühlte, weil sie die einzige Frau hier auf Katalis war, sondern weil sie mich in ihrer Art beeindruckte.
Letztlich hatten wir die Ziegenmägen mit Wasser gefüllt und die Fladen eingepackt. Ulkoknollen und Kapi-Beeren, sowie Kräuter für Tee und vorgegartes Fleisch in unseren Beuteln verstaut. Die Schildkrötenpanzer hatten wir ebenfalls bei uns. Nur Tongefäße nahmen wir keine mit, weil Tjelfort berichtet hatte, dass es in den Ruinen genügend gab. Ich verschloss die Höhle sorgsam, während Leila das Feuer löschte. Einmal blickte ich mich noch um, ob wir nicht doch etwas vergessen hatten, dann begaben wir uns auf den Weg zum Dornenhain. Dort war ich nie weitergegangen, weil ich dachte, dass nichts anderes als Dornen existierte. Onais-Tjelfort erklärte aber, dass genau dort die Ruinen der Dulnae waren.
Die Geschichte über die Dulnae verstand ich nicht so ganz. Das lag vielleicht daran, dass Onais hierüber sehr wirres Zeug erzählte und ich ihm nicht richtig zuhörte. Tjelfort erzählte ebenfalls nicht die ganze Geschichte, sondern nur genau die fehlenden Informationen, die Onais nicht erwähnte. Ich hätte also beiden zuhören müssen, um das Ganze zu verstehen. Die Informationen, die ich mir aus den Geschichten zog, fühlten sich weiter unvollständig an.

Es war wohl so, dass es hier, auf Katalis ein Volk gab, das sich ‘Dulnae’ nannte. Menschlich, eindeutig, denn nach Berichten von Tjelfort gab es hier menschliche Siedlungen, die im Laufe der Zeit vom Wald überdeckt worden waren. Dieses Volk bestand aus fünf Stämmen, die, ähnlich der Struktur der Lafaree, in einen Waldstamm, einen Bergstamm, einen Wüstenstamm, einen Stamm der Ebene und einen weiteren Stamm, den Meeresstamm. Natürlich war ich etwas verdutzt, dies zu hören. Auf der Erde gab es so ein Volk nicht. Noch erstaunter war ich, dass es hier ein großes Meer, sowie eine große Wüste gab. Allerdings war das gar nicht so unrealistisch. Ich hatte es in all den Jahren nie aus dem Wald heraus geschafft und ein Fluss dieser Größe musste zwangsläufig in einem Meer enden. Auch die sommerliche Hitze lieferte ausreichend Indizien für die Existenz einer Wüste. Das mit den Ebenen erschloss sich mir aber nicht. Wenn es fruchtbare Ländereien ohne das schützende Laubdach gab, dann müsste es viel Regen geben. Oder irrte ich mich. Vielleicht herrschten aber auf anderen Breitengraden des Planeten andere klimatische Verhältnisse. Ja, ich war ein kleiner Mensch, der alleine niemals in der Lage sein würde, diese Gegebenheiten auszukundschaften. Das würde ich anderen überlassen müssen.
Vorausgesetzt, sie kämen mit und begännen hier neu. So war das nämlich geplant. Sie sollten hier ein friedliches Leben beginnen, aber erst müssten wir den fünften Stamm finden und integrieren. Ich war völlig planlos, wer der fünfte Stamm, auf der Erde wäre. Jedenfalls war dieser Planet, nach Auskunft von Onais-Tjelfort, schon einmal zum Sterben verdammt und die Menschen wurden auf die Erde gerettet. Es sei wohl eine Art natürlicher Zyklus, dessen Sinn sich mir aber bis jetzt nicht erschloss. Ich zügelte meine Ungeduld und wartete darauf, was sich mir in den Ruinen bieten würde. Leila war überaus motiviert. Leider hatten wir auf unserer Wanderung viel zu wenig Berührungspunkte.
Die Wanderung war bei Weitem nicht so anstrengend wie der Weg zum Fluss. Da wir weit vor Sonnenaufgang aufgebrochen waren, standen wir bereits am Nachmittag vor dem undurchdringlichen Dornengestrüpp.
Wir standen wie angewurzelt davor und überlegten, wie man dieses Geflecht aus Dornen durchdringen konnte. Onais-Tjelfort lief unterdessen ein Stück nach links, kehrte um und ging nach rechts, um das Gestrüpp herum. Kaum war er außer Sichtweite, folgte Leila, weil sie befürchtete, er würde sich wieder verlaufen. Ich blickte ihr hinterher und genau in dem Moment, als ich sie nicht mehr sehen konnte, rief sie mir zu. Ich folgte den beiden und stand vor einer Art Durchgang. Zugewachsen, nicht gleich zu erkennen, aber hier schien das dornige Gewächs nicht so dicht. »Die Hecke wurde zum Schutz angelegt und ist leider etwas sehr verwildert«, sagte der Zwerg mit der Stimme von Onais. »Und wie sollen wir jetzt hier durchkommen? Wir haben keine Messer oder Schwerter.«, fragte ich ihn.
»Wir müssen uns durchschlagen«, antwortete er und legte seine Tasche ab. Er nahm seinen Stab und fing an, wie wild auf die Dornenhecke zu schlagen. Überraschenderweise mit Erfolg. Die Äste brachen relativ leicht. Wenn ich relativ sage, dann ist das natürlich nicht ganz so einfach gewesen. Ich schloss mich ihm an und auch Leila tat ihr Bestes. Die Sonne war bereits untergegangen, bis wir es endlich geschafft hatten.
Wir standen inmitten eines riesigen Kreises von Häusern und Hütten, in dessen Mitte etwas stand. Man konnte nicht identifizieren, was es war, denn es war vollständig überwachsen. Die Natur hatte sich fast alles zurückgeholt und das Erste, was Onais uns eröffnet hatte, machte mich etwas sprachlos. Wir sollten hier sauber machen, damit die Neuankömmlinge sofort einen Platz zum Leben haben. Das war also damit gemeint, dass wir die Wanderung vorbereiten müssen. Ich war eher überzeugt, wir müssen auswählen, wer mitkommen darf und wer nicht. Das würde noch obendrauf kommen, denn diese Liste, von der Onais-Tjelfort erzählt hatte, befand sich ebenfalls hier in diesem Dorf. Ja, es war ein Dorf und es war größer, als es auf den ersten Blick schien.
Geschickt verborgen hinter dem dornigen Gestrüpp. Mir erschloss sich nicht ganz warum, denn immerhin hatte mir Tjelfort erklärt, dass die Menschen hier weitestgehend friedlich ihr Dasein fristeten. Der fünfte Stamm, der würde mir schon bald ins Gedächtnis gerufen werden. Die Lafaree bestanden nur aus vier Stämmen und wenn es stimmte, dass wir die Nachfahren der Dulnae waren, mochte es wohl möglich sein, dass die Galier den fünften Stamm darstellen? Mir war das eigentlich nicht recht, aber ich konnte diese Zusammenhänge nicht leugnen. Wie konnte so etwas passieren, dass ein Volk sich aus einer Gemeinschaft abspaltet und so sehr ins Gegenteil entwickelt. Ich wurde neugierig – was war hier passiert? Meine Gedanken wurden durch meinen knurrenden Magen unterbrochen. Außerdem war der Gasriese bereits am Himmel sichtbar, was die sommerliche Nacht einläutete. Wir sollten zügig unser Nachtlager herrichten. Onais-Tjelfort hatte zielstrebig eine der Hütten angesteuert und verschwand im Inneren. Wenig später reckte er den Kopf heraus und rief Leila zu sich. Sie blickte mich an und ich sagte, »Geh schon, ich sorge für das Feuer.«
Sie nickte und verschwand ebenfalls in der Hütte. Ich begab mich nochmals in den Wald und suchte geeignetes Brennholz. Dann entdeckte ich unter dem dicht bewachsenen Boden des freien Platzes, inmitten des Dorfes, einen Steinkreis, der wohl früher wahrscheinlich als Feuerstätte genutzt worden war. Es kostete mich einige Mühe, aber ich konnte die Stelle von Unkraut befreien, Holz aufstapeln und das Feuer entfachen. Leila und der Gnom waren immer noch in der Hütte. Nach einer Weile beschloss ich nachzusehen und war sehr überrascht, dass die beiden im Inneren bereits aufgeräumt hatten. Es waren Schlafplätze hergerichtet und unsere Vorräte sorgsam gelagert. Die beiden saßen auf einer Bank, an einem Tisch, auf dem ein flackerndes Licht den Raum erhellte. Leila hielt ein Buch in der Hand. Ein Buch! Sicher, es war an den Rändern aufgequollen und der lederne Einband war sehr mitgenommen, aber offensichtlich war es nicht zu einem Klumpen verwittert. Es war also mit Sicherheit noch nicht lange hier. Ich musste lächeln, als ich merkte, dass Leila sich mühte, darin zu lesen. Tjelfort, zumindest hörte ich an dem Klang der Stimme, dass es Tjelfort sein musste, versuchte ihr zu erklären, was dort stand. Ich blieb einfach stehen und lauschte und nach wenigen Minuten war mir klar, dass dies wohl die dubiose Liste sein musste, von der er am Fluss gesprochen hatte. Natürlich war ich neugierig, ich war aber ebenso hungrig, also sagte ich,
»Das Feuer brennt schon, wollen wir uns etwas zu Essen gönnen?« Leila blickte auf und ich konnte sehen, dass sie einen Moment ins Leere sah und überlegte. Dann antwortete sie, »Ja, ich habe Hunger.« Onais-Tjelfort, jetzt wieder im Wesen des verrückten Onais, sprang auf und eilte hinaus zum Feuer. Er freute sich wie ein kleines Kind, dass ich die alte Feuerstelle entdeckt und ein großzügiges Lagerfeuer entzündet hatte. Zudem hatte ich einiges an Brennholz aufgeschichtet und sogar ein paar dieser trockenen Äste der Dornenbüsche hatte ich ebenfalls ins Feuer geschmissen. Leila packte drei Flussmonsterpakete in die Asche und steckte Ulkoknollen in die Glut. Sie packte für jeden ein Fladenbrot aus und legte es auf die Randsteine, damit es etwas aufwärmte. Ich legte gelegentlich ein paar Äste nach und wartete ebenso hungrig wie die beiden. Als mir dann der Duft der gegarten Ulkoknolle in die Nase stieg, wurde mir fast schlecht vor Hunger. Verunsichert blickte ich in die Runde und musste feststellen, dass die beiden wohl ähnliche Gefühle an den Tag legten.
Leila fischte mit einem Stock eine Ulkoknolle aus der Glut und schälte sie mit einer Flussmonsterschuppe, die sie in einen gespaltenen Ast eingefügt und mit Flachsfasern befestigt hatte. Ich muss schon sagen, diese Schuppen aus Perlmutt waren messerscharf und äußerst nützlich. Sie zerquetschte die Knolle, mit einem Stein und verteilte den Brei auf drei der Fladen, danach fischte sie das Palmblattpaket mit dem Flussmonsterfleisch aus der Asche. Als sei es das Selbstverständliche für sie, bereitete sie jedem einen Fladen mit zerdrückter Ulkoknolle, Flussmonsterfleisch und Kräutersalz, welches sie höchstpersönlich zusammengestellt hatte.
»Du musst das nicht tun«, sagte ich, um ihr das Gefühl zu vermitteln, dass sie hier nicht zum Küchendienst verbannt war. Sie lächelte mich an und sagte,
»Ich tu’ das gern.«
Ich atmete einmal tief durch und sagte, »Leila, ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, dass du diese Aufgabe übernehmen musst. Es ist unser aller Aufgabe, für das Essen zu sorgen. Du musst dich wirklich nicht genötigt fühlen, dies für uns zu übernehmen. Ich kann ganz gut kochen.«
Für einen winzigen Moment blickte sie mich erstaunt an, dann sagte Onais ganz trocken, »Markus hat recht, wir brauchen keine Sklaven, wir brauchen denkende Mitglieder unserer Gemeinschaft.«
Jetzt blickten wir gleichzeitig erstaunt in seine Richtung.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Leila.
Onais-Tjelfort blickte von einem zum anderen und sagte, »Dass ihr beide die Sklaven eurer Zwänge seid. Befreit euch davon!«
Ich verstand, welchen Zwängen sich Leila nicht unterwerfen sollte, aber was meinte er mit mir? Ich war doch gar keinen Zwängen unterworfen, oder?
»Nun, du unterwirfst dich doch auch den Regeln deines Volkes. Sogar hier und das ist völlig unnötig. Du kannst hier deine eigenen Regeln erschaffen und das Universum hat dich gewählt, weil es dir vollkommen vertraut«, erklärte er. Ich war mich jetzt nicht sicher, was er damit meinte, aber je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde es mir. Ich musste es niemandem recht machen und wenn ich auch anfangs dachte, ich würde einfach auf der Erde bleiben und nichts von all diesen Plänen hier umsetzen, so begann ich langsam, das nochmals zu überdenken. Mir sollte noch deutlich werden, dass es nach all der langen Zeit kein Zurück mehr geben konnte.
Es gingen mir so viele Dinge durch den Kopf, während wir aßen und ich fragte Onais-Tjelfort mehrfach, wie es nun weitergehen würde. Er antwortete schwammig, nur dass wir hier erst alles zum Funktionieren bringen müssten, damit die Ankömmlinge sich sofort heimisch fühlen konnten. Heimisch!
Das sollte mir erst mal einer erklären. Rein optisch unterschied sich dieses Dorf schon von denen auf der Erde, geschweige denn, der ganze Planet. Nachdem wir das liebevoll gefertigte Fladenbrot verspeist hatten, saßen wir alle drei noch schweigsam am Feuer. Eigentlich war ich müde, jedoch beschäftigten mich so viele Fragen. Leila, die eine Weile dicht neben mir gesessen hatte, stand auf, drückte mir einen Kuss auf die Lippen und sagte, »Ich leg’ mich jetzt hin, räumst du auf?«
Ich nickte und sie verschwand in der Hütte.
Onais-Tjelfort folgte ihr auf dem Fuße. Was mauschelten die beiden da hinter meinem Rücken? Ich beobachtete das von Anfang an, aber langsam hatte ich wirklich das Gefühl, dass hier etwas vor mir verborgen bleiben sollte. Ich räumte unsere Vorräte zusammen und verstaute sie ordentlich in den Rucksäcken. Den Tontiegel mit dem Tee deckte ich mit einem großen Blatt ab und legte einen kleinen Stein darauf. Dieser durfte in der Asche stehen bleiben, dann würde er morgen früh gleich wieder aufgewärmt. Ich stocherte ein wenig in der Asche, um zu sehen, ob wir nicht noch eine Ulkoknolle vergessen hatten. Leila ging sehr sorgsam mit unseren Vorräten um. Es befand sich keine mehr in der Glut. Ich kontrollierte, ob der Steinkreis wirklich sauber war, damit keine Flammen auf das bodendeckende Gestrüpp übergreifen konnten und ging ebenfalls in die Hütte. Die beiden saßen am Tisch und während Onais-Tjelfort blätterte, sah es so aus, als würde sie lesen. Sie drückte jedenfalls den Zeigefinger auf die Seite und ihr Mund bewegte sich, als würde sie Laute formen. Ja, so sah es aus, wenn man anfing zu lesen. Nur konnte ich mich daran erinnern, dass wir laut lasen. Ich freute mich. Dies war ein großer Schritt in Leilas Unabhängigkeit. Beide blickten gleichzeitig auf, als ich die Hütte betrat und Tjelforts Stimme sagte freundlich, »Setz dich doch.«
Ich setzte mich so, dass ich neben Leila ebenfalls einen Blick in dieses Buch werfen konnte. Die gewellten Seiten aus Pergament waren von oben bis unten mit Namen beschrieben. Fein säuberlich nach Zugehörigkeit zu den jeweiligen Stämmen sortiert. Die Schrift glich derer auf den Rinden, sie war nur nicht so klein und in jeder Zeile stand nur ein Name. Im letzten Kapitel standen eine Reihe von Galischen Namen. Es war tatsächlich geplant, Menschen aus diesem Volk mitzunehmen. Warum? Sollten wir nicht fürchten, dass diese ihren Krieg hier weiterführen würden? Onais-Tjelfort schien diesen Gedanken in meinem Gesicht gelesen zu haben, denn er sagte, »Markus, auch im Volk der Galier gibt es Menschen, die es wert sind, gerettet zu werden. Im Gegenzug sind nicht alle Lafaree es wert, in diese Welt zu kommen. Das Universum versucht, das Gute zu retten. Allerdings ist es nicht unfehlbar und letztlich liegt es an den Menschen, das Beste daraus zu machen. Im Grunde seid ihr alle Raubtiere, die, ähnlich den Vilkas, ihr Revier verteidigen und auf Beutejagd sind. Euer Verstand macht euch noch gefährlicher, denn ihr bekämpft euch nicht nur wegen Nahrung und Wohnraum. Ihr kämpft um Ansehen, Gewinn und vor allem für euer Ego.« Mir wurde in diesem Moment klar, wie recht er damit hatte. Es war mein Ego, das verletzt worden war. Man hatte mir meine Frau und mein Kind genommen. Keine Sekunde hatte ich daran gedacht, dass es auch meine verletzte Eitelkeit gewesen war, die mich so ausrasten ließ. Natürlich wollte ich nicht zulassen, dass nur ein Galier hier auf diesem Planeten eine Chance für einen Neuanfang bekam. Es war mein verletzter Stolz, der Verlust meiner geliebten Menschen, der mich dazu veranlasste, alle Galier dafür verantwortlich zu machen. Das wurde mir langsam klar. Sollte ich bei dieser Meinung bleiben, tat ich schließlich auch Leila unrecht. Sie blickte mich an, schlug eine Seite dieses Buches auf, zeigte mit dem Finger auf einen Namen und sagte, »Hier steht der Name deines Vaters.«
Ich blickte ihr erst überrascht in das Gesicht und dann auf den Namen, den sie mir zeigte. »Meine Mutter?«, fragte ich. Leila sah mir in die Augen und schüttelte den Kopf. Ich nahm das Buch und begann zu blättern. Zeile für Zeile suchte ich nach dem Namen meiner Mutter und konnte ihn nicht finden. Ich fand nur den Namen meiner Schwiegermutter. Claudia von Vildskov und Christian, mein bester Freund. Der Rest war mir nach all der Zeit nicht mehr geläufig. Das war verrückt, war meine Mutter tatsächlich nicht würdig, ein neues Leben zu beginnen? Das verstand ich nicht. Sie war doch die Güte in Person. Leila schien zu spüren, was gerade in mir vorging, sie legte ihre Hand auf meinen Arm und sagte leise,
»Meine Eltern stehen auch nicht in diesem Buch. Ich habe meine damalige Zofe gefunden und eine Marquise Maria de Gaullier.«
»Deine Schwiegermutter?«, fragte ich. Leila schüttelte den Kopf, »Das muss seine neue Frau sein, der Ersatz für mich.« »Woher konntet ihr so etwas wissen?«, fragte ich in Richtung Onais-Tjelfort. Tjelfort blickte nach oben und sagte dabei,
»Das weiß nur das Universum. Wir haben nur die Anweisungen befolgt.« Danach fügte er an,
»Wir sollten uns hinlegen und etwas ruhen. Morgen müssen wir beginnen, all die Unkräuter zu beseitigen. Zudem solltet ihr euch mit dem Inhalt der Liste befassen. Es stehen nicht nur die Namen der Menschen dort, es gibt Dinge, wie Bücher, Teller, Tiere und hilfreiche Transportmittel, die ihr mitnehmen könnt. Befasst euch damit. Je mehr ihr darüber wisst, desto weniger Zeit werden wir auf der Erde benötigen. Wie zuvor erwähnt, die Tage dieses Planeten sind gezählt.« Er stand auf und begab sich zu einem der beiden Schlafplätze, ausnahmsweise dem kleineren, er wollte uns also tatsächlich mal etwas Raum gönnen. Bevor er sich dann zum Schlafen legte, sagte er noch, »Morgen kommen die Limfies, sie werden uns ebenfalls beim Aufräumen helfen. Das habe ich mit ihnen geklärt.« Lange hatte ich mich gewundert, warum Zzila und Karr nicht mehr aufgetaucht waren. Ich hatte schon befürchtet, dass sie uns mieden, weil wir jetzt verstehen konnten, was sie sagten. Ich machte den Ansatz, noch weiter in diesem Buch zu lesen, als Leila es mir entschlossen aus der Hand nahm.
Sie drängte mich auf den Schlafplatz und löschte die Öllampe. Wenig später schlief sie schon in meinen Armen. Auch wenn wir hier ein Bett für uns alleine hatten, so gäbe sich tatsächlich keine Gelegenheit mehr. Das würde abermals warten müssen. Ich starrte eine Weile an die Decke und fiel dann in einen kurzen, traumlosen Schlaf.
Am nächsten Morgen begab ich mich aus dem Dorf hinaus, um mich zu erleichtern. Auf dem Rückweg sammelte ich ein paar Äste und versuchte, den Durchgang durch die Hecke noch zu erweitern, damit man sich nicht immer vorsichtig hindurchschlängeln musste. Das war nicht so einfach wie gedacht und schließlich gelang es mir nur bedingt. Immerhin konnte man jetzt aufrecht hindurchlaufen. Wenn ich aber daran dachte, dass dieser Durchgang breit genug werden müsste, dass ein Eselskarren hindurchpasste, dann war ich mit meinem Latein am Ende. Die verdorrten Dornenäste ließen sich leicht mit einem festen Stock abschlagen. Die grünen, frischen Triebe brauchten eigentlich ein Schwert oder zumindest ein Messer – beides hier nicht vorhanden. Mitsamt meiner Ausbeute an trockenem Gehölz begab ich mich zurück ins Innere dieses Heckenkreises. Er war groß, aber nicht so groß, dass all die Menschen, die wir holen sollten, hier untergebracht werden konnten. Leila hockte bereits am Feuer, das sie jetzt ohne Probleme selbst entzünden konnte. Ich erwähnte ja, sie war geschickt und lernte schnell.
Nach unserem Frühstück machten wir uns daran, aufzuräumen. Onais fing an und kommandierte uns herum. Es war deutlich an der Stimmfarbe zu hören, wer gerade mit uns kommunizierte. Tjelfort war deutlich ruhiger und präziser in dem, was er sagte. Onais hingegen häufig fahrig und wirr. Überall mussten die Gebäude von den wuchernden Pflanzen befreit werden und bis zum Mittag, an dem die Sonne unbarmherzig auf die Lichtung niederbrannte, hatten wir nur einen winzigen Bruchteil geschafft. Meine Hände taten weh, vom Reißen an den Gewächsen und natürlich schmerzte der Rücken. Wenn ich Leilas Gesichtsausdruck richtig deutete, so fühlte sie sich ähnlich ausgelaugt. Sie setzte sich an den Feuerkreis und ließ sich rücklings fallen. Einen Moment starrte sie in den Himmel und sagte dann,
»Das schaffen wir niemals!«
»Du musst!«, kam es von Onais, der die ganze Zeit nur herumgelaufen war und uns Anweisungen gegeben hatte. Helfen? Fehlanzeige!
Ich war verärgert und wünschte mir viele fleißige und helfende Hände. In dem Moment, als ich diesen Gedanken hatte, ließ ich mich auf den Boden fallen. Ich war völlig fertig und man konnte nach all der Mühen noch keinen Fortschritt erkennen.
Wir würden Wochen brauchen, um alleine dieses Dorf zu säubern. Was war mit den anderen? Tjelfort hatte von fünf weiteren Dörfern gesprochen, die zu besiedeln wären. Ich zweifelte bereits an diesem Plan, bis ich dann durch ein fröhliches Knarren aus den Gedanken gerissen wurde. Zzila! Aber es war nicht nur eines, es knarrte und klackte an allen Enden und Ecken dieses Dorfes. Zzila und Karr waren gekommen und hatten Freunde mitgebracht. Scheue Freunde, also versuchte ich mich nicht zu hektisch zu bewegen. Sie sollten keine Angst vor uns haben. Leila strahlte über das ganze Gesicht und Zzila setzte sich sofort auf ihren Schoß. Karr begab sich direkt zu mir und begrüßte mich freundlich, »Na, altes Haus. Wie geht es dir? Ich hab’ ein paar Freunde mitgebracht, die dir unter die Arme greifen.« Jetzt war ich völlig perplex, hatte ich doch das Gefühl, dass die Limfie etwas im Schilde führten, so zeigte sich, dass auf einmal ein großer Teil der Limfie-Gemeinschaft bereit war, uns Menschen zu helfen. Ich versuchte nicht zu überschwänglich zu antworten und sagte,
»Als Erstes möchte ich dir sagen, dass ich mich sehr freue, dich zu sehen. Ich bin erleichtert, dass diese Mammutaufgabe nicht mehr Leila und mir alleine anlastet. Das ist wahre Freundschaft.« Ich beobachtete seine Reaktion und war abermals überrascht, dass er sich wie ein Kätzchen an mich schmiegte. Karr teilte offensichtlich die Freude und ich hatte mich getäuscht? Führten sie gar nichts im Schilde? Hatte ich das nur missverstanden?

Aus allen Winkeln und Ecken kamen auf einmal Limfie. Erst jetzt konnte ich sehen, dass sie nicht alle die gleiche Fellfärbung hatten, einige waren beige und die Streifen um ihr Näschen war braun, andere waren hellblau und die Streifen weiß, wieder andere hatten sogar drei Farben und waren hervorragend den Baumwipfeln angepasst. Diese Wesen waren also weitaus interessanter, als ich dachte.
Eh wir uns versahen, waren wir von diesen kleinen flauschigen Wesen umringt. Sie hatten Obst mitgebracht und verteilten es untereinander. Zuerst aßen wir und dann machten wir uns gemeinsam ans Aufräumen. Es ging spürbar schneller, mit so vielen fleißigen Händen. Dennoch würden wir eine ganze Weile damit beschäftigt sein.
Nach einer Weile, in der wir eifrig aufräumten, entdeckte ich Leila, wie sie bei dem großen Gewächs in der Mitte des Dorfplatzes stand und es genau betrachtete. Ich ging hinüber zu ihr und fragte, »Was ist?«
»Hörst du das?«, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. »Hör genau hin«, flüsterte sie. Ich lauschte und hörte ein zaghaftes Plätschern. War hier etwa Wasser?
Leila streckte vorsichtig die Hand aus, um ein paar Blätter dieser Pflanze beiseite zu schieben. Vielleicht konnte man etwas sehen. Genau in diesem Moment erschien, wie aus dem Nichts, Onais-Tjelfort und schlug ihre Hand mit seinem Stab zur Seite. Das klatschte richtig laut und Leila entfuhr ein erbostes ‘Au’. Als ich aber genau hinsah, hatte sich etwas in dem Stab verbissen. Bei näherer Betrachtung konnte ich einen handtellergroßen, grüngelben Schlangenkopf erkennen.
Leilas Gesichtszüge änderten sich in Sekundenschnelle von ärgerlich zu entsetzt. Während Onais-Tjelfort geschickt den Kopf des Biestes griff und ihm mit einer ebenso schnellen Bewegung das Genick brach. Er zog eine stattliche Schlange aus dem Gewächs, griff sich eine der Schuppen des Flussmonsters, schlitzte die Schlange der Länge nach auf und zog ihr mit einem festen Ruck die Haut ab. Geschickt nahm er es aus und hackte es in handliche Stücke, die er auf ein großes Blatt legte. Leila betrachtete das Gewächs, aus dem dieses Vieh herausgeschossen war, skeptisch. »Ist da noch mehr drin?«, fragte sie zögerlich. »Nein, dort ist immer nur eine. Die sind nicht sonderlich gesellig, die fressen sich auch gegenseitig«, antwortete Onais. »Das heißt, ich kann mir dieses Gewächs hier genauer ansehen?«, fragte sie weiter. »Ja, du kannst es jetzt bedenkenlos entfernen und das frische Wasser aus dem Brunnen genießen.«
»Wasser?«, fragte ich. »Ja, frisches Quellwasser. Das, in der Mitte ist nicht der Stamm der Pflanze, es ist ein Stein, aus dessen Mitte frisches Quellwasser sprudelt.« Onais ließ sich beim Zerteilen der Schlange nicht stören. Er wickelte die Stücke bereits in Palmblätter und schob sie mit einem Stock an den Rand der Glut. Kurz darauf sah ich ihn, wie er seine Hände mit Leder umwickelte und eines unserer gebastelten Messer nutzte, um die Dornen von den frischen Trieben der Hecke zu schaben. Das war einfach genial, denn so konnte man sie, ohne groß verkratzt zu werden, heraus hacken.

Wir verbrachten alle gemeinsam gut zwei Wochen mit der Reinigung des Dorfes. Es wurde der Eingang vergrößert und die Quelle von dem Gewächs befreit. Die Häuser waren so weit hergerichtet, dass die Ankommenden ein Dach über dem Kopf hatten. Sie würden einen guten Start auf Katalis haben, dessen war ich mir sicher.
Neben den Aufräumarbeiten gingen wir Tag für Tag die Liste durch. Wir überlegten, was alles mitgenommen werden könnte und kamen auch auf Saatgut und Lebensmittel. Ebenso könnte man ein paar Hühner und Schweine in den Karren transportieren. Onais-Tjelfort versicherte uns, dass die Ankömmlinge nicht blind und taub sein würden, würden wir beide das Portal offen halten. Wir beide dürften nur nie den Kontakt zueinander verlieren, müssten also immer zusammen sein. Langsam war uns klar, was wir zu tun hatten. Ob ich das nach dem Durchqueren des Portals auch tun würde, stand noch in den Sternen. Ich wollte so unbedingt zu meiner Familie und zu meinen Freunden, dass ich völlig vergaß, dass Leila keine Chance mehr hatte, in ihr altes Leben zurückzukehren. Jean hatte sie verstoßen, ihre Eltern dachten, sie sei tot und sollte sie dort wieder aufkreuzen, so musste sie hoffen, dass man ihr nicht gleich den Kopf abschlug. Langsam verursachten diese Gedanken gemischte Gefühle. Ich fühlte mich immer mehr zu ihr hingezogen und ich wollte auf keinen Fall, dass ihr etwas passierte. Mit Karr führte ich angeregte Gespräche. Wir unterhielten uns über die sozialen Strukturen unserer Planeten und fanden so einige Gemeinsamkeiten zwischen den Lafaree und den Limfie und er klärte mich ein wenig über die Dulnae auf. Das waren definitiv Menschen und sie lebten hier in verschiedenen Gesellschaften. Jedes Volk hatte seine eigenen Regeln gebildet und man mischte sich kaum. Ähnlich der Erde gerieten hier die Meinungsverschiedenheiten irgendwann außer Kontrolle.
»Es ist doch immer das Gleiche«, schnarrte Karr und fügte hinzu, »Je fruchtbarer dein Boden, desto neidischer ist dein Nachbar. Je erfolgreicher deine Jagd, desto missgünstiger der Nebenmann und umso schöner eine Frau, desto gefährlicher lebt sie.« Er fügte ein seufzendes Schnarren hinzu. »Läuft das bei euch Limfie auch nach diesem Schema?«, fragte ich. »Es lief einmal so, aber wir lernten durch eure Fehler«, antwortete er. »Ist es überhaupt möglich, eine Gesellschaft zu gründen, die in keiner Weise von irgendeinem Konkurrenzdruck beeinflusst ist?«, fragte ich weiter. »Die Lafaree auf der Erde haben bereits ein anschauliches Beispiel geliefert«, antwortete Karr. »Ja, aber wir leben im Krieg«, entgegnete ich.
»Du hast vergessen, dass es nicht eure Absicht war, diesen zu provozieren. Wir hatten hier schon alles versucht. Es war leider nicht möglich, die Völker zu einen. Dein Vater hat wahre Wunder vollbracht«, sagte er und blinzelte mit seiner Nickhaut. »Du warst auf der Erde?«, fragte ich erstaunt.
»Ja, mehrfach«, antwortete er. »Was hast du dort getan?«, fragte ich weiter. »Beobachtet, geforscht und Vorschläge zur Liste gegeben. Du warst, um ehrlich zu sein, nicht die erste Empfehlung an Tjelfort. Ich persönlich bevorzugte Nicolas de Ugwadule«, erklärte er und seufzte abermals knatternd.
»Nicolas starb in der Schlacht um sein Heimatdorf. Ich war bei ihm, als das passierte!« Diese Erzählung wühlte mich auf. Trauer durchflutete meine Gedanken. Nicolas war wirklich ein feiner Kerl und ja, vom Charakter wahrscheinlich besser geeignet als ich. Aber jetzt war ich hier und mit dieser Aufgabe betraut, die ich eigentlich nicht wollte. »Immerhin seid ihr als Einheit aufgetreten. Das Volk der Ugwadule und das Volk der Lork. Ihr wurdet unterstützt von Männern und Frauen der Vildskov genau wie euch die Harmaapatra zur Seite standen. Ihr wart vier der fünf Völker, die ihren Zwist, der aus der Zeit der Dulnae stammte, vergaßen, um gemeinsam am Leben zu bleiben. Es fehlt nur das Volk des Wassers, aber das wird sie richten, denn Leila stammt in direkter Linie von den Galesen ab.«
»Das heißt, die Galier sind das fünfte Volk?«, fragte ich erstaunt. »Kluger Junge«, antwortete Karr und klackte. Von der Feuerstelle klang ein fröhliches Lachen herüber und Zzilas »Nock-nock« war ebenfalls nicht zu überhören.
Karr verzog seine Schnute zu einem Grinsen und deutete mit dem Kopf zu den anderen.
»Sie warten«, fügte er an und huschte an die Seite von Zzila. Als ich dazukam, setzte ich mich neben Leila, die mir sogleich ein empörtes, »Stell dir vor, Zzila lästert über meine Brust!«, entgegenbrachte. Versehentlich entwich mir ein lauter Lacher, den sie natürlich mit einem bösen Blick abstrafte. »Was soll man denn dazu schon sagen?«, schnatterte Zzila und fügte an, »Flach wie ein Knabe!« Sie endete mit einem frechen ‘Nock-nock’ und hielt sich ihren Bauch. »Was soll das?«, fauchte Leila. »Nun, du solltest im Allgemeinen noch etwas zulegen, aber vor allem obenrum. Babys brauchen da etwas mehr, oder willst du, dass es verhungert?«
Zzila hatte sich, allem Anschein nach, so in das Thema verbissen, dass sie jetzt nicht mehr aufhören konnte. Karr schüttelte den Kopf und versuchte, sie zu bremsen, aber es war zu spät. Leila stand auf und brüllte sie an, »Ich kann keine Kinder bekommen, wann willst du das endlich verstehen. Jean hat mit seinen perversen Spielchen so viel in mir verletzt, dass es nie wieder funktioniert. Ich kann froh sein, dass ich noch lebe!« Sie spuckte beim Sprechen und ihr Kopf war feuerrot angelaufen. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte hinaus in den Wald. Ich stand auf, strafte Zzila mit einem wütenden Blick und folgte Leila.
Draußen, vor der Dornenhecke, fand ich sie dann. Sie stützte sich an einem Baum ab und schluchzte. Vorsichtig näherte ich mich ihr und berührte sie. Sie zuckte zusammen und ich sagte sanft, »Leila, das ist mir egal. Das ist nicht mehr wichtig. Du bist mir wichtig und ich möchte, dass du das weißt.« Sie drehte sich zu mir um und ich wischte ihr die Träne von der Wange. »Ist dir das wirklich ernst?«, fragte sie vorsichtig. »Ja, ich möchte mit dir den Rest meiner Zeit verbringen«, antwortete ich und spürte, dass ich das zum zweiten Mal in meinem Leben genau so meinte und nicht anders. Ich musste Anna nicht vergessen, um Leila zu lieben. »Ist es dir völlig egal, dass ich dir keine Nachkommen gebären kann?«, fragte sie und eine weitere dicke Träne rann die Wange hinunter. »Völlig. Es ist nicht wichtig und in unserer Situation ist es vielleicht sogar besser. Lassen wir uns doch überraschen, was da alles noch auf uns zukommt. Ich bin gespannt, wie und ob wir es schaffen, die Aufgabe zu erfüllen.« Sie blickte mir ganz tief in die Augen und diese zwei Farben hatten mich sofort in den Bann gezogen. Ich küsste sie und spürte, wie alle Anspannung von ihr abfiel. Vorsichtig drängte ich sie etwas weiter in den Wald. Ich wollte nicht wieder von den Limfies beobachtet werden. Nachdem wir eine trockene, belaubte Stelle gefunden hatten, ließ ich zügig meine Hüllen fallen. Ich zeigte ihr deutlich, was ich jetzt wollte und Leila wollte das auch, jedenfalls schloss sie sich mir an. Sie legte sich in den weichen Laubhaufen und ich kniete mich über sie. Vorsichtig berührte ich sie, streichelte ihre Brust, liebkoste die Nippel, bis ich das feine Zittern wahrnahm, das die Erregung anzeigte. Jetzt war wohl der geeignete Moment, also drückte ich vorsichtig ihre Beine auseinander und versuchte mich dabei nicht zu sehr zu beeilen. Hoffentlich war ich heute in der Lage, meinen Orgasmus so lange hinauszuzögern, bis auch sie auf ihre Kosten kam. Allerdings hatte ich gar keine Chance, überhaupt etwas zu beeinflussen. Leila kam so schnell, dass ich mich ebenfalls nicht mehr zurückhalten konnte. Ich hoffte zumindest, dass sie gekommen war, ganz genau konnte ich das nicht sagen, denn sie hatte sich einen Moment wie ein Schraubstock angefühlt, so sehr hatte sie sich zusammengekniffen und dann war ihr das Blut ins Gesicht geschossen. Ihr Körper war feucht und warm. Ich rollte mich etwas zur Seite, damit ich sie nicht mit meinem Gewicht erdrückte. »Was war das?«, fragte sie mich atemlos. Ich räusperte mich und fragte, »Du kennst das nicht?«
»Nein, ich … das war … äh …«, stotterte sie. »Du kennst das wirklich nicht!«, entwich es mir erstaunt. »So soll das zwischen Mann und Frau sein, nur so«, fügte ich hinzu. Bevor sie etwas sagen konnte, küsste ich sie innig. Ich kann gar nicht beschreiben, wie richtig sich das anfühlte. Ich würde um ihre Hand anhalten. Sollten ihre Eltern wirklich noch leben, dann werde ich sogar den offiziellen Weg gehen. Sie wird die erste galische Frau eines Lafaree werden und somit etwas ganz Besonderes sein. Ich hoffte, sie würde zustimmen. Wir setzten uns beide auf und mussten sofort anfangen zu lachen, denn das Laub klebte an unseren feuchten Körpern. Bevor wir uns anziehen konnten, mussten wir möglichst viele Blätter abstreifen und aus den Haaren zupfen.
Wenige Minuten später standen wir, mit einem Armvoll Brennholz vor dem Steinkreis und legten etwas nach. Ein paar Becher vergorener Kapi-Beerensaft und wir feierten, dass wir schon bald aufbrechen würden. Zurück zur Erde.

***

Leila versuchte lange, die Aufgaben zu erfüllen, von denen sie dachte, dass man sie von ihr erwartete, bis Onais-Tjelfort vorbrachte, dass dies überhaupt nicht erwartet wurde. Sie fühlte sich immer wohler in Markus Nähe und als sie dann im Quellteich ihr erstes sexuelles Zusammentreffen hatten, es war nichts Besonders, aber es war dennoch völlig anders als mit ihrem Mann. Markus hatte etwas an sich, was sie für sich nicht einordnen konnte. Sie vertraute ihm und sie fühlte sich immer mehr zu ihm hingezogen. Als sie das Buch, bzw. die Liste mit all den Wanderern gesehen hatte, lag ihr ein Stein im Magen. Was war mit ihren Eltern? Beide waren nie böse Menschen gewesen, waren sie es nicht wert, sie in die neue Gesellschaft einzugliedern? Erleichtert hatte sie den Namen ihrer Zofe, Mira, entdeckt. Dieser Frau hatte sie es zu verdanken, dass sie überhaupt noch am Leben war. Und dann stand da der Name dieses Mädchens Maria. Das gab einen Stich, jetzt mit Sicherheit zu wissen, dass sie nur in diesen Krieg geschickt worden war, damit sie auf keinen Fall wiederkehren würde. Nachdem die Einheit in der Wüste vernichtet worden war, dachten alle, sie sei tot. Natürlich hatte er sich ein neues Mädchen geholt. Ein grauenvoller Gedanke, was er wohl alles mit ihr angestellt haben mag. Als sie dann in den Ruinen angekommen waren, fühlte sie sich von der Menge an Arbeit regelrecht erschlagen. Erst als die Limfie kamen, um zu helfen, wurde es angenehmer. Nur konnte Zzila es einfach nicht lassen. Und dann war es raus, sie hatte es herausgeschrien und wollte es doch so gerne einfach vergessen. Entgegen all ihren Vermutungen stand Markus bei ihr und es machte ihm gar nichts aus. Er fand es nicht wichtig, es machte sie also nicht hässlich. Es störte ihn nicht, im Gegenteil. Und dann passierte etwas, woran sie schon nicht mehr geglaubt hatte. Sie konnte sich gehen lassen, sich vollends hingeben und wurde dabei von ihren Empfindungen so überrannt, dass sie nicht einordnen konnte, was das gewesen war. Es war um sie geschehen, sie hatte sich verliebt. Dieser Mann war der Mann, mit dem sie diese Aufgabe erfüllen wollte und danach wollte sie mit ihm alt werden. Aber zuerst musste sie einen Schlussstrich ziehen. Jean würde dafür büßen, für all das, was er ihr angetan hatte und was er dieser Maria bestimmt ebenso antat. Sie musste das tun, sie musste auf diese ganz besondere Art und Weise ihren Frieden mit der Sache schließen und dies würde für Jean nicht gut ausgehen.

Die Limfie hatten nun ihr Experiment.
Zum wiederholten Mal würden Menschen den Planeten besiedeln und sich hoffentlich diesmal nicht wieder zerstreiten und bekriegen.
Es war schließlich das Universum, das dies beschlossen hatte. Wann würde das Universum aufgeben und den Menschen für unwürdig erachten? Dann wäre es vorbei, dann gäbe es keine Völkerwanderungen mehr. Anschließend würde man sich vielleicht auf eine andere Spezies konzentrieren. Aber bis dahin ist es noch lange hin.

Heimkehr

Nach zwei Wochen hatten wir in produktiver Gemeinschaftsarbeit ein bewohnbares Dorf geschaffen. Ich dachte, dass wir weiterwandern würden und das nächste Dorf auf Vordermann bringen müssten. Onais-Tjelfort belehrte mich eines Besseren. Ursprünglich war es geplant, dies zu tun, aber unsere Zeit lief davon. Das Inferno auf der Erde rückte näher und durch den Unfall war leider viel Zeit verstrichen. Ich konnte mir weiterhin nicht vorstellen, dass ein globales Ereignis sämtliches Leben auf der Erde auslöschen könnte. Wer veranlasste dies? Wie konnte ich mir das vorstellen und wer oder was war dieses Universum? Fragen, auf die ich keine Antworten erhielt. Onais-Tjelfort sagte mir nur, dass es eben so sei.
Nachdem wir das Dorf gesäubert und vorbereitet hatten, erklärte uns Tjelfort, dass hier alles beginnen würde. Ob die Völker sich wieder in ihre Stämme aufteilen würden oder nicht, läge ganz allein an den Neuankömmlingen. Bewusst waren aus jedem Stamm der Erdbevölkerung ausreichend Mitglieder ausgewählt worden, um einen möglichst bunten genetischen Grundstamm zu bilden. Die Einzigen, bei denen Tjelfort mit Schwierigkeiten rechnete, waren die Galier. Ich war immer wieder irritiert, denn er nannte sie nicht Galier, sondern Galesen. Bis ich endlich begriff, dass sie hier, auf Katalis, die Galesen waren. Die Benennungen der Stämme waren hier gewachsen, nie auf der Erde. Jedenfalls hatten sich die Galesen so sehr von den ursprünglichen Sozialformen entfernt, sodass einige Brennpunkte auftreten könnten. Wie schafft man es, so vielen Männern begreiflich zu machen, dass es falsch und dumm ist, ihre Frauen wie Vieh zu behandeln? Das war fast eine unlösbare Aufgabe. Ich mochte nicht daran denken, dass ich bei Leila feststellen müsste, dass sie ihre Macht ausnutzen würde, um Schwächere zu kontrollieren. Hier müsste ein dringendes Umdenken in der Gesellschaftsform stattfinden und ich war mir nicht sicher, ob man das schaffen könnte. Jedenfalls nicht in so kurzer Zeit.
Nun, wir verließen die Ruinen der Dulnae mit der Gewissheit, dass wir hier einen bestmöglichen Start gewährleisten konnten. Unsere Wanderung führte uns zurück zur Höhle und wir begannen mit den Vorbereitungen, das Portal zu durchschreiten. Noch konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich das gestalten würde. Bei meiner ersten Reise hindurch, wurde ich, gleich eines heftigen Schlages, völlig außer Gefecht gesetzt. Über Stunden konnte ich weder sehen noch hören und fühlte mich auch danach nicht wirklich wohl. Es war mir ein wenig flau im Magen, diese Reise nochmals anzutreten. Onais-Tjelfort, diesmal beide, hatten aber erklärt, dass wir gemeinsam mit keiner dieser Auswirkungen zu kämpfen hätten. Wir müssten uns nur gut aneinander festhalten. Meine Frage, ob die Neuankömmlinge unter den Nebenwirkungen leiden würden, verneinten die beiden auch. Leila und ich hatten diese Auswirkungen nur durchleiden müssen, weil Tjelfort nicht mehr lebte. Seine Existenz in Onais alleine reichte nicht aus, um das Portal ordentlich zu öffnen. Mir wurde übel, als Onais ganz nebenbei erzählte, dass wir durchaus in den Weiten des Universums hätten verschwinden können.
An unserer Höhle angekommen, verbrachten wir erneut zwei, drei Tage damit, ausreichend Proviant zu beschaffen. Dann begaben wir uns zum Steinkreis und zu der großen Stele. Lange waren wir nicht mehr hier. Verändert hatte sich kaum etwas. Der Efeu rankte immer noch um den größten Stein. Hier waren wir an dem Ort, an dem für uns beide das Abenteuer Katalis begann. Onais trieb mich an, den Stein zu berühren, was ich zögernd tat. Es kribbelte in der Handfläche und ich spürte die Vibrationen. Nichts, was ich in all den Malen davor nicht auch gespürt hatte.
Dann streckte Leila ihre Hand aus und ein Beben durchfuhr uns beide. Eindeutig veränderte sich etwas. Eine Spannung baute sich auf, das Kribbeln fuhr durch den ganzen Körper und schien sich noch zu steigern. In meinen Ohren hörte ich das Tosen eines stürmischen Ozeans, vor meinen Augen sah ich Unmengen an weißen Punkten, die sich in einem Strudel fingen. Wie von weiter Ferne hörte ich Onais-Tjelfort mit einer Doppelstimme, als würde er gegen einen Sturm anbrüllen. Ich verstand nicht, was er sagte. Leila schien es aber verstanden zu haben, denn sie näherte sich mir. Ich bekam es fast nicht mit, als sie meine linke Hand griff. Ich spürte ihre Wärme und sah, wie sich dieser Strudel aus weißen Punkten verdichtete und vor meinen Augen immer schneller rotierte, bis er sich zu einem einzigen riesigen weißen Fleck aufblähte, um dann in einer visuellen Explosion zu münden. Das Rauschen in meinen Ohren hatte sich zu einem Orkan entwickelt, welcher dann ebenfalls in einem heftigen Knall endete, der uns die Luft nahm.
Danach herrschte eine unheimliche Stille, in der ich uns nur atmen hörte. Der Fleckenteppich vor meinen Augen formte langsam Konturen und ich erkannte Licht und Schatten. Leila festigte ihren Handdruck und flüsterte aufgeregt,
»Die Wüste!«
Wir hörten von Onais-Tjelfort ein doppeltes »Ja, die Erde.«
Aus Licht und Schatten wurden Sonne und Sand und ich erkannte die Felsformation und in unmittelbarer Sichtweite lag dort etwas großes haariges, bewegungslos im Sand. Was war das?
Bevor ich in der Lage war, mich zu bewegen, hörte ich abermals Onais-Tjelfort, wie er sagte, »Ihr könnt jetzt noch nicht gehen. Ihr braucht Wasser und Proviant für die Wanderung durch die Wüste. Lasst uns das vorbereiten und dann wagen wir den Sprung. Wichtig für euch beide: ihr dürft den Kontakt zueinander nicht verlieren. Nur gemeinsam könnt ihr das Portal öffnen und es offen halten, damit die Reisenden hindurch können. Bitte löst euch langsam wieder, wir können nicht sofort aufbrechen. Wir brauchen Wasser und wir brauchen Schutz gegen die Hitze und Sand.«
Leila und ich lösten vorsichtig den Kontakt zu der Stele und das Bild vor unseren Augen schloss sich in einem schwarzen Strudel, an dessen Rand der Wald zurückkehrte. Ich hielt Leilas Hand immer noch ganz fest, so als wolle ich mich vergewissern, dass sie bei mir bleiben würde. »Was machen wir jetzt?«, fragte Leila.
»Wir gehen zurück zur Höhle und bereiten uns vor«, sagte ich, bevor Onais-Tjelfort antworten konnte. »Ja«, kam einheitlich von dem Gnom. Wir blickten uns nur kurz an und machten uns schweigend auf den Rückweg. Ich hatte wirklich Respekt vor diesem Wirbel und wollte mir das nicht eingestehen. Also erwähnte ich es erst einmal nicht. Leila war sehr in sich gekehrt, das fiel mir erst auf, als wir an der Höhle ankamen. Ich entzündete das Feuer, während sie frisches Wasser vom Quellteich holte. Als sie nicht zurückkam, folgte ich ihr. Sie hockte am Ufer und starrte ins Wasser. Die Wasseroberfläche war, wie immer, unbewegt und man konnte das Laub am Grund erkennen. Ich zögerte einen Moment, ließ mich aber doch neben ihr nieder. »Was ist?«, fragte ich. »Ich weiß nicht«, antwortete sie kurz. »Hast du Angst?«, fügte ich an.
»Ja und nein. Ich weiß nicht, wie deine Familie und deine Freunde auf mich reagieren werden und wenn das nicht gut läuft, bin ich allein.«
Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich war wirklich so naiv gewesen, zu denken, dass dies überhaupt nicht zur Diskussion stehen könnte. Sie hatte aber recht, was würde ich tun? Ich atmete einmal tief ein und sagte, »Du bist nicht allein. Ich bleibe bei dir, komme, was wolle.« Sie blickte mich ungläubig an und ich fuhr fort, »Wir haben das jetzt miteinander begonnen, dann werden wir das auch gemeinsam beenden.« »Du würdest dich gegen deine Familie stellen?«, fragte sie.
»Wenn es nötig ist. Ich glaube aber, dass wir nicht in diese Situation geraten«, antwortete ich ihr. Sie fuhr mit der Hand durch das Wasser und sagte, »Jetzt weiß ich endlich, warum ich das Wasser so liebe. Ich stamme aus dem Wasser, ich fühle es und ich lebe es.«
Danach stand sie auf und streckte sich. Ich rappelte mich auf und fragte, »Kannst du deswegen so gut schwimmen?« Sie lachte, »Das weiß ich nicht. Ich kann es einfach.« Eigentlich wollte sie sich schon abwenden, ich hielt sie aber fest. Ich wollte in ihre Augen sehen, diese Farben genießen und prüfen, ob nicht doch etwas Angst in ihr steckte. Ich küsste sie und als wir die Augen wieder öffneten, sah ich das Feuer. Leila war fest entschlossen. Ich war zuversichtlich, meine Familie war nicht so. Sie konnten ebenso vergeben, wie ich das konnte und sie würden sicher auf mich hören.
Wir gingen zurück zu Onais-Tjelfort, der sich überraschenderweise nützlich machte und aus dem restlichen Mehl ein paar Fladen buk. Hungrig und durstig aßen und tranken wir und legten uns wenig später zum Schlafen. Abermals schliefen wir zu dritt in dem Bett in der Höhle und ich kam kaum zur Ruhe.
Früh weckte uns das Doppelwesen und Onais eröffnete uns seinen Plan. Wir würden die nächsten Tage damit beschäftigt sein, uns Tücher gegen den Wüstenwind zu fertigen, einen weiteren Ziegenmagen zum Wassertransport präparieren, Wanderstöcke schnitzen, Schuppenmesser fertigen, unsere Rucksäcke packen und die Schildkrötenpanzer so platzieren, dass wir alles gemeinsam tragen konnten. Daneben gingen wir jeden Tag die Liste durch, lernten die Namen, wussten, was wir alles mitnehmen konnten und legten uns bereits einen Plan zurecht, wo wir anfangen würden. Obwohl uns klar war, dass wir inmitten der Wüste ankommen würden, wagte ich es nicht, als Erstes zu den Ugwadule zu gehen. Die Steppen wären zwar von dort aus am ehesten erreichbar, nur lagen die Gebiete des Steppenvolkes im Osten. Die Ebenen von Lork befanden sich im Westen. Ich wollte unbedingt so schnell es ging zu meinem Volk. Was ich dabei nicht bedachte, war die Tatsache, dass Galien direkt an Lork angrenzte. Die schwierigste Aufgabe würde uns als Erstes bevorstehen. Der Weg über Ugwadule und über Harmaapatra wäre viel logischer gewesen. Mit diesen beiden Völkern im Rücken wäre möglicherweise weniger Widerstand zu erwarten. Ich wollte meinen Kopf durchsetzen und ahnte nicht, was ich damit anrichten würde. Jedenfalls würde unser gegenseitiges Vertrauen noch auf eine harte Bestandsprobe gestellt werden.

Wir bereiteten uns ganze zwei Tage vor und dann standen wir, voll bepackt, abermals an der Stele. Ich griff Leilas Hand und gemeinsam steckten wir die jeweils andere Hand aus, um die Stele zu berühren. Leila zögerte und fragte, »Was war das für ein haariges Ding, das wir beim ersten Mal gesehen hatten?« »Das war ein Gronk«, antwortete Onais-Tjelfort. Erschrocken blickte sie mich an.
»Werden wir etwas von ihnen befürchten müssen?«, fragte sie an den alten Mann gewandt.
»Nein, die beiden waren leider ein unglückliches Missgeschick aus meiner unkoordinierten Zeit. Sie sind nicht für die Erde geschaffen und haben es bedauerlicherweise nicht überlebt. Sie werden euch nichts tun, denn sie sind nicht mehr am Leben.« Onais-Tjelfort war bedrückt über diese Tatsache. Er drängte zum Aufbruch. Immerhin würde er uns begleiten und hoffentlich anleiten, mit dem, was wir zu tun hätten. Immerhin war es seine Schuld, dass wir uns jetzt so beeilen mussten. Leila drückte meine Hand und wir beide streckten unsere andere der Stele entgegen. »Was ist mit dem Übersetzer? Wird er im Portal verschwinden?«, fragte ich plötzlich. Onais-Tjelfort verdrehte genervt die Augen. Er wollte jetzt endlich aufbrechen. »Er ist doch schon lange weg. Hast du wirklich nicht gemerkt, dass der Knopf sich längst aufgelöst hat? Die Informationen sind jetzt direkt unter deiner Haut«, antwortete er. Ich fasste mir hinter das Ohr und musste feststellen, dass ich nur noch eine kleine Erhebung spüren konnte. Ein wenig gruselig war das schon, als hätte er uns markiert. Ich blickte Leila kurz ins Gesicht. Sie nickte mir zu und so nahm ich tief Luft und wir beide berührten gleichzeitig die Stele. Abermals entstand dieser Strudel vor meinen Augen, schneller, intensiver. Das Tosen entwickelte sich rasend schnell zu einem Orkan. Ich drückte ihre Hand fest und dann öffnete sich der Durchgang, gleich einer Explosion. Wir warteten einen Moment, bis Onais-Tjelfort das Portal durchschritten hatte. Leila festigte ihren Griff, dann folgten wir ihm. Ich dachte, wir würden mit einem Schritt auf der Erde landen, das war aber keineswegs so. Wir wurden eingesaugt und durch eine Art Röhre auf dieses Bild der Wüste geleitet. Um uns herum konnte ich auf pechschwarzem Grund die fantastischen Farben und Konstellationen sehen. Gasnebel und blinkende Sterne. Ein Planet raste ganz dicht an uns vorbei, seine violettfarbene Oberfläche war mit braunen Streifen durchzogen. Ein Meteor kreuzte unseren Weg und eine Gaswolke, die in den Farben eines Regenbogens glitzerte, fing sofort meine Aufmerksamkeit. Was für eine Schönheit, welch eine Faszination. War dies das erwähnte Universum oder war es ‘nur’ eine Galaxie, die wir durchquerten, um nach Hause zu kommen? Ich blickte zu Leila und sah ihre weit geöffneten Augen und den offenen Mund. Auch sie konnte sich dieser Faszination nicht entziehen. Wenig später schlugen wir dann heftig auf dem Sandboden auf.
Direkt unter der großen Stele in der Wüste. Exakt das Bild, das wir gesehen hatten. Ich rappelte mich auf und half Leila auf die Füße. Onais-Tjelfort war bereits dabei, die Umgebung zu durchsuchen und fand tatsächlich ein paar Ausrüstungsgegenstände der verschollenen Einheiten. Wir hatten zum ersten Mal wieder Waffen in unseren Händen.

Ich dachte immer, dass es in den Wäldern heiß war, aber ich hatte vergessen, wie heiß es in dieser Wüste werden konnte. Leila begann bereits, ihren Umhang festzuzurren und ein Tuch um Kopf und Gesicht zu schlingen. Ich folgte ihrem Beispiel und wappnete mich für die Wanderung durch die Wüste. Onais-Tjelfort rüstete sich ebenfalls und verteilte die kleinen Stichwaffen an uns. Den Bogen, den ich vom Boden aufhob, konnte man nicht mehr verwenden. Einen winzigen Moment stand Leila vor dem riesigen Schädel des Gronk und betrachtete ihn. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass ihm eine seiner Klauen fehlte. Glatt abgeschnitten, als hätte ihn jemand mit einem scharfen Schwert durchtrennt. Dies war also der eine, der versucht hatte, sie zu töten. Ich konnte ihren Blick unter den Tüchern nicht richtig deuten, also gab ich das Zeichen zum Aufbruch. Wir waren zurück auf der Erde, hatten einen Plan und sowohl Leila als auch Onais-Tjelfort folgten meiner Anweisung. Ich war wirklich überrascht. Wir wanderten, bis die Sonne sich langsam dem Horizont näherte. Hier auf der Erde war es dunkel und so richteten wir uns so ein, dass wir nächtigen konnten. In Ermangelung von Holz, verzichteten wir auf ein Feuer und kuschelten uns in der Nacht eng zusammen.
Die Sonne hatte noch nicht den Horizont überschritten, es war kalt und klamm geworden und die Bewegung ließ die steifen Gliedmaßen wieder erwachen und so machten wir uns noch vor Sonnenaufgang weiter auf den Weg. Ich hatte von Anfang an mit zwei Tagesmärschen gerechnet, bevor wir die Grenzen meiner Heimat erreichten und ich würde recht behalten. Wir schwiegen. Jeder schien mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt zu sein, nur gelegentlich reichte ich Leila die Hand, die sie dankbar ergriff. Onais-Tjelfort schwieg, genau wie wir. Er legte auch keine verrückten Aktionen an den Tag. Ich hatte das Gefühl, wir hätten es gerade nur mit Tjelfort zu tun, aber wenn sie nicht sprachen, konnte man die beiden nicht unterscheiden. Am Ende des zweiten Tages hatten wir die Wüste hinter uns gelassen. Wir befanden uns an der Grenze der Ebene von Lork. Ich fühlte mich großartig, war aufgeregt und wollte eigentlich die Nacht durchwandern. Ein Blick auf den erschöpften Gnom ließ mich aber das Lager einrichten und ein Feuer entfachen. Wir lagerten am Rande eines großen Maisfeldes, welches durchaus schon erntereif war. Vorsichtig brachen wir ein paar Maiskolben und rösteten sie über der offenen Flamme. Wir hatten nicht mehr viel unseres Proviants aus Katalis und auch das Wasser wurde knapp. Nur hatten wir es nicht mehr weit. Am nächsten Morgen drängte ich abermals früh zum Aufbruch. Ich wollte gegen Mittag mein Dorf erreichen. Und dann war es endlich so weit. Nach all den Jahren stand ich auf den ausgetretenen Pfaden und blickte auf das Dorf, in dem ich groß geworden war. Wie viele Jahre hatte ich nicht mehr daran geglaubt und dennoch stand ich jetzt genau in diesem Moment hier und konnte es nicht in Worte fassen. »Das ist dein Zuhause?«, fragte Leila. Ich nickte und deutete auf ein Haus, mein Haus, das keinen sonderlich guten Eindruck machte, aber dennoch das Haus war, das ich für Anna und mich gebaut hatte. So wie es aussah, hatten sie es nach meinem Verschwinden nicht wieder genutzt. Nun, das ermöglichte es uns, genau dort unterzukommen. Wir gingen den ausgetretenen Pfad, genau mitten ins Dorf. Ich blickte mich um und konnte auf den ersten Blick niemanden erkennen, der mir bekannt vorkam. Immer mehr Blicke waren auf die Fremden gerichtet, die den Dorfplatz betreten hatten. Ich blieb stehen und nahm das Tuch von meinem Kopf, um zu zeigen, dass ich ein Lafaree war, einer von ihnen. Zu meiner Linken hörte ich einen Schrei und eine Frau meines Alters eilte auf mich zu. Sie fiel mir um den Hals und nach dem ersten Überschwang, löste sie sich, hielt meinen Kopf in Händen und rief, »Markus! Du lebst!« Daria, die Frau meines besten Freundes Christian. »Ja, ich lebe«, brachte ich schüchtern hervor. »Wo warst du nur so lange, wir alle dachten, du seist gefallen!«, sagte sie laut, wandte sich ab und rief, »Kommt heraus ihr Lieben, Markus ist zurück! Markus von Lork ist wieder hier! Holt seinen Vater, er muss das sofort wissen!«
»Langsam Daria, keine Eile, wir haben Zeit und wir müssen viel besprechen.«
Sie wurde hektisch, hörte nicht auf mich und eilte davon, um die anderen zu holen. Irgendwie wusste ich nicht, wie mir gerade geschah, aber ohne es zu wollen, bahnte sich hier etwas an, was ich nicht kontrollieren konnte und das störte mich. Ich blickte Leila an, die komplett unter Strom stand. Sie hatte immer noch das Tuch um ihren Kopf gewickelt und wagte es nicht, es abzunehmen. Wir standen hier, wie bestellt und nicht abgeholt. Onais-Tjelfort war erstaunlich still und mischte sich überhaupt nicht ein. Hatte ich mir vielleicht etwas Hilfe von ihm erhofft? Ich weiß es nicht, ich wusste auf einmal gar nichts mehr. Langsam begab ich mich zu meinem Haus und blickte daran hinauf. Das Dach musste repariert werden, die Tür war aus den Angeln gehoben und auch so war über die Jahre nichts daran repariert worden. Ich hob die Tür an und öffnete sie. Gleichzeitig hob ich sie wieder auf die Angel, dass man sie erneut gut öffnen konnte. Ich bat Leila und Onais-Tjelfort einzutreten. Beide folgten dieser Bitte, wortlos.
Das war alles so seltsam, denn wenige Augenblicke, nachdem wir uns in der großen Küche niedergelassen hatten, klopfte es an der Tür. Ich öffnete und traf auf Claudia. Claudia von Vildskov, die Mutter meiner verstorbenen Frau, stand leibhaftig vor mir und blickte mich ungläubig an.
»Du bist es wirklich, ich dachte, Daria erzählt Märchen, aber du stehst wahrhaftig hier, mein Sohn. Das ist ein Wunder, ein wahres Wunder. Wo hast du nur so lange gesteckt, Junge!«, sagte sie laut. Ich räusperte mich und antwortete, »Claudia, das ist eine lange Geschichte und ich denke, dass du mir das nicht glauben wirst. Ich werde sie euch aber ganz sicher ausführlich erzählen.«
»Ich bin im Moment nur so froh, dich lebend zu sehen. Es ist so viel passiert, seit du verschwunden bist.« Sie blickte über meine Schulter und fügte hinzu, »Möchtest du mir deine Freunde nicht vorstellen?«
Gezwungenermaßen machte ich eine einladende Handbewegung und bat sie herein. Ich drehte mich um und blickte Leila ins Gesicht. Sie stand auf, lächelte und reichte Claudia die Hand. Claudia ergriff diese und sagte, »Ich bin Claudia von Vildskov und wer seid Ihr, junge Dame?« »Mein Name ist Leila«, sie setzte ab, suchte selbstbewusst den Augenkontakt und fügte hinzu, »Leila de Gaullier.« Mir fuhr es wie ein Schlag in die Magengegend, warum musste sie das so frei heraussagen? Konnte sie nicht warten? Letztlich sollte ich noch merken, dass es gut war, dass sie so offen damit umging, allerdings war das nicht die Rückkehr, die ich mir gewünscht hatte. Claudias Gesicht war versteinert, sie schluckte, wischte aber dann ihre Reaktion mit einer Bewegung weg. »Was bringt deinen Gast zu uns?«, fragte sie, ohne eine Miene zu verziehen. »Die Tatsache, dass ihr Mann sie umbringen wollte«, antwortete ich trocken und war bereits kampfbereit. Niemand würde mir die Beziehung zu Leila madig machen. Ich hatte mich bereits entschieden und sollte ich tatsächlich mit ihr nicht hier bleiben können, so würde ich eben wieder nach Katalis gehen. Mir entging nicht, dass sie Leila immer wieder musterte und dabei überhaupt keine Frage nach dem alten Mann in unserer Begleitung stellte. Sie erzählte, dass mein Vater auf der Jagd sei und bald zurückkehren würde und dann müssten wir alle zusammen ein kleines Fest feiern. Es stünde nicht alle Tage einer von den Toten auf. So schnell sie aufgetaucht war, so schnell verschwand sie.
Wenig später hatten wir das Haus vom Staub befreit. Über der Küche klaffte ein großes Loch im Dach, die beiden Schlafräume waren aber trocken und sicher. Leila schien sich etwas seltsam zu fühlen, als sie auf dem Bett Platz nahm. Immerhin hatte ich hier das Bett mit meiner Frau geteilt. Die ganze Situation war seltsam und ich hatte mir das ebenfalls nicht so vorgestellt. Nach der ersten Reaktion von Claudia fühlte ich bereits, dass hier etwas auf uns zukam, womit wir nicht gerechnet hatten. Also ich nicht, ob Leila das so empfand, konnte ich natürlich nicht sagen. Sie schwieg, sprach nur wenig und ich hatte den Eindruck, sie verfiel in alte Gewohnheiten. Dann kam der Abend. Die Dorfbewohner hatten ein großes Lagerfeuer entzündet und zum Fest geladen.
Ich war die Hauptperson, die das eigentlich nicht wollte. Leila trat in den Hintergrund. Ich konnte nicht ermessen, wie viel Angst sie haben musste und genau deswegen fiel es mir nicht auf. In meinem ganzen Überschwang, endlich wieder den heimatlichen Boden unter meinen Füßen zu haben, vergaß ich völlig, dass ich diese Frau fragen wollte, ob sie bei mir bliebe, bis zum Ende meiner Zeit. Ich war einfach ein Idiot. Ich sah die Zeichen nicht und ich unternahm nichts, um es zu verhindern. Wir feierten mit Met und gutem Essen, bis mein Vater auftauchte. Ich dachte, er würde sich ebenso freuen, mich lebend zu sehen, wie sich die anderen freuten und irrte dabei so sehr. Theobald von Lork war wütend und das Erste, das ich von ihm zur Begrüßung bekam, war die Faust ins Gesicht. Noch begriff ich nicht, warum. Noch hatte er kein Wort gesagt, aber als ich mir das Blut von der Nase wischte, brüllte er mich an,
»Wo warst du!«
»Vater, das ist schwer zu erklären«, antwortete ich und erhielt den nächsten Schlag.
»Wo warst du!«, schrie er mich an.
»Nicht hier, weit weg, schwer zu erklären und eine lange Geschichte!«, konnte ich gerade noch vollenden, bevor ich mir die nächste einfing.
Ich sah einen Moment lang zu Leila und erkannte ein entsetztes Gesicht. »Lass es mich doch erklären!«, versuchte ich zu Wort zu kommen und es gelang mir, einen weiteren Schlag zu blocken. Ich hatte meinen Vater noch nie so erlebt, so aufgebracht, so außer Kontrolle. Was war nur geschehen? »Du verschwindest für Jahre, dass alle Welt denkt, du seist gefallen und dann tauchst du hier wieder auf, als sei nichts geschehen und bringst diesen Galier mit? Ausgerechnet die Frau des Marquis de Gaullier? Was denkst du überhaupt, wer du bist?«
Mit diesen Worten ging er auf mich los. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu verteidigen. Der große Theobald von Lork war gerade dabei, seinem Sohn eine heftige Tracht Prügel zu verpassen und ich wusste nicht, was ihn dazu trieb. Leila konnte nicht allein der Grund sein. Ich erduldete seinen Ausbruch, wollte wissen, warum er so wütend war, vertagte die Klärung auf einen anderen Tag und genehmigte mir mit blutender Nase den ein oder anderen Met. Als wir dann abends im Bett lagen, bekam ich kaum mit, dass sich Leila schweigend an mich schmiegte. Am nächsten Morgen wurde ich von den lauten Rufen von Claudia geweckt.
Mit schwerem Kopf stand ich auf und öffnete ihr die Tür. »Wir müssen reden, Markus!«, sagte sie bestimmt. »Ja«, entgegnete ich schlaftrunken. »Das geht so nicht!«, sagte sie.
»Was?«, fragte ich.
»Ja, diese Frau«, keifte sie.
»Leila?«, fragte ich. »Es ist mir egal, wie diese Frau heißt. Sie ist Galier und dazu die Frau des Marquise. Dieser Mann bedeutet Ärger. Sieh zu, dass du sie von hier fortbringst!«, sagte sie trocken.
Ich schüttelte kurz den Kopf, um mich wach zu bekommen.
»Weißt du eigentlich, was du da gerade sagst?«, fragte ich und fügte hinzu, »Ich frage mich gerade, ob das Universum einen Fehler begangen hat, oder ob du wirklich nur aus Unwissenheit so garstig bist?«
Sie blickte mich stur an und entgegnete, »Bring sie weg, sie wird Unglück über uns alle bringen!« Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand. Ich erschrak, als Leila hinter mir stand und sagte, »Ich fühle mich nicht willkommen, vielleicht sollte ich aufbrechen und meine Leute alleine zusammensuchen.« Ich wandte mich zu ihr und zog sie in meine Arme.
»Nein, Leila. Du darfst nicht alleine zu ihnen gehen. Wenn deine Leute dich so empfangen, dann bist du tot, bevor du ihnen erklären kannst, worum es geht. Das müssen wir gemeinsam tun.«
»Genauso wie hier?«, fragte sie und hatte einen wunden Punkt getroffen.
Niemanden interessierte, warum ich Leila hergebracht hatte. Alle sahen in ihr nur den Feind. Bis auf Daria und Christian. Beide waren Freunde seit Kindertagen und beide standen auf dieser Liste. Daria war so eine herzensgute Persönlichkeit, bei ihr überwog die Neugier und das konnte man spüren. Als die beiden dann kamen, um mit uns zu essen, war das Eis rasch gebrochen. Ich hatte ein gutes Gefühl dabei, denn Daria und Leila unterhielten sich völlig entspannt. Nachdem wir den beiden die Geschichte erzählt hatten, waren sie die Ersten, die uns glaubten. Nicht nur, weil Onais-Tjelfort seinen Teil dazu beitrug, die beiden wollten raus aus diesem Krieg, einen Neuanfang und Katalis schien dafür geeignet zu sein.

***

Die Faszination des Portals betraf natürlich nicht nur Markus.
Auch Leila hatte solche Empfindungen nie vorher. Die Aufregung stieg und als sie letztlich das Portal durchschritten, wirkte dieses bunte, glitzernde Farbspektrum wie eine Droge. Der Aufprall auf dem sandigen Wüstenboden hingegen war wie das plötzliche Erwachen aus einem wunderschönen Traum. Während der Wanderung sprachen sie nicht viel miteinander. Leila dachte, es würde sich ändern, sobald sie das Dorf erreichten, aber es passierte das Gegenteil. Als dann Markus Vater auf ihn losging, fühlte sie sich vollkommen fehl am Platz. Sie hassten sie, sie war ein Galier, ein erbitterter Gegner und nachdem, was Markus ihr erzählt hatte, wunderte sie das nicht. Es war ihr durchaus klar, dass sie als Marquise de Gaullier hier völlig fehl am Platz war. Die Worte von Claudia hatten sie verletzt. Was sollte sie jetzt tun? Sie würde ihre Aufgabe erfüllen und vor allem würde sie diesen Tyrannen beseitigen. Noch war sie sich nicht sicher, wie sie mit der Situation der neuen Frau umgehen sollte. Zum einen hatte Jean sich ihrer entledigt, um mit Maria einen neuen Ehebund einzugehen. Zum anderen war diese junge Frau, und sie war sich sicher, dass Maria sehr jung war, ebenfalls eines seiner Opfer. Leila fühlte eine Verpflichtung ihr gegenüber, denn sie musste sie aus den Fängen dieses Monsters befreien. Gleichzeitig hütete sie dieses eine kleine Geheimnis, das sie mit Onais hatte, wie die kleine Schatulle, in der sie früher ihre Ohrringe aufbewahrte. Niemand, nicht einmal Markus, sollte wissen, was sie plante. Er sollte auch nicht wissen, dass sie sich bereits optimal vorbereitet hatte. Onais hatte ihr die Mittel an die Hand gegeben und sie würde ungeachtet ihrer weiteren Aufgabe diesen Plan durchziehen. Komme was wolle. Leila würde sich sonst nie von ihrer Vergangenheit lösen können und das wusste das Universum sehr genau. So litt sie unter den Vorurteilen, schwieg und war dann überrascht, dass Daria ihr die Freundschaft anbot. Daria war also der erste Anker in der Welt der Lafaree und diese Freundschaft würde die Erfüllung der Aufgabe erst möglich machen.

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Unterdessen hatten sie auf Katalis ein Loch hinterlassen. Niemand hätte für möglich gehalten, dass die sonst so kühlen und analysierenden Limfie in einem Gefühlschaos versinken würden, sobald die Menschen das Portal durchschritten hatten. Zzila rutschte direkt in ein tiefes Jammertal und auch Karr war zutiefst erschüttert. Es fiel ihm schwer, sein Weibchen zu trösten, hatte er sie doch so selten weinen sehen. Auch ihm tat es leid, dass die Menschen nicht mehr hier waren, selbst wenn er die Begeisterung seiner Frau nicht immer genau so teilte. Die letzten Gespräche mit Markus waren so, wie er sich das immer vorgestellt hatte, was natürlich an dem Universalübersetzer lag. Die Erkenntnis darüber, dass dieser »dumme« Mensch gar nichts dafür konnte, dass sie sich nicht verstanden hatten, war ihm jetzt erst gekommen. Zzila und Karr arbeiteten weiter an den Vorbereitungen für die Ankunft der Reisenden, wie sie sagten, und sie organisierten wirklich viel. Jetzt lag es an den Menschen, dass es diesmal nicht wieder in die Hose ging. Sollte das so passieren, sollte sich die Vergangenheit wiederholen und diese kriegerischen Wesen immer noch keine Ruhe geben, so hofften die Limfie, dass das Universum endlich aufgeben würde. Vielleicht war eine andere Spezies es mehr wert, gerettet zu werden.
Zzila und Karr warteten sehnsüchtig auf die Ankunft der ersten Reisenden.

Fortsetzung folgt …

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