Buchbesprechung von Uwe Lammers

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Eckdaten

  • Jack McDevitt
  • Mondsplitter (OT: Moonfall)
  • Bastei 24268, 704 Seiten, TB, 2000
  • Übersetzt von Thomas Schichtel
  • ISBN 3-404-24268-8

Der Roman beginnt am 8. April 2024 mit einem astronomischen Ereignis, das höchstwahrscheinlich real sein wird – einer totalen Sonnenfinsternis. Aber die Welt, in der dies geschieht, ist von der unsrigen doch auf sehr grundlegende Weise verschieden, dies betrifft auf signifikante Weise die Entwicklung der Raumfahrt seit dem Jahre 1998, als der Roman verfasst wurde:

Auf dem Mond ist die Mondbasis International (MBI) entstanden. Im Orbit befindet sich eine voluminöse Raumstation namens Skyport, und auch im Lagrange-Punkt L 1 existiert eine Raumstation. Auf diese Weise entsteht eine Weltraum-Infrastruktur, die mit Langstrecken-Raumfähren und einem regelmäßigen Shuttle-Dienst die rasche Verkehrsverbindung zwischen Erde und Mond realisierbar werden lässt. Es ist nötig, das im Hinterkopf zu behalten, weil das noch sehr wichtig werden wird.

Die USA werden von dem sterbenskranken zweiten schwarzen Präsidenten Henry Kolladner regiert, der seinen Vizepräsidenten Charlie Haskell zum Mond geschickt hat, um die MBI einzuweihen und zu eröffnen. Mit der Percival Lowell ist das erste atomgetriebene Langstreckenschiff geschaffen worden, das demnächst zum Marsflug starten soll. Dank moderner Technik wird dieser Flug nur zwei Monate dauern und soll der Menschheit endgültig das Tor zum Sonnensystem aufstoßen.

Leider hat das Universum grundlegend andere Pläne, und dies, wie sich herausstellt, wohl schon seit Millionen von Jahren.

Während der Sonnenfinsternis sichtet die Hobby-Astronomin Tomiko Harrington seitlich der Korona ein ungewöhnlich helles, unkartiertes Objekt – einen Kometen, wie es scheint, und sie meldet ihn. Alsbald bestätigen auch Astronomen diese Sichtung, doch das Objekt verschwindet nach der Sonnenfinsternis wieder hinter der Sonne und ist nicht mehr zu sehen. Als der Astronom Professor Wesley Feinberg den Kurs zu bestimmen versucht, um den Kurs einzuschätzen, stößt er sehr bald auf einfach nur noch bestürzende Daten. Das stellare Objekt, dem man nach der Entdeckerin den Namen Tomiko gegeben hat, ist sehr viel größer als ein gewöhnlicher Komet (auf dem Klappentext falsch als „Asteroid“ angegeben) … und sehr viel schneller … und es nimmt Kollisionskurs auf die Erde.

Am 10. April 2024 steht fest: Das Objekt wird statt der Erde glücklicherweise nur den Mond treffen … die Rückseite des Mondes. Und der Zeitpunkt ist leider auch relativ klar und unglaublich nah: Am 13. April 2024 gegen 22.35 Uhr.

Feinbergs Berechnungen zeigen aber schnell auch – der Impakt wird nicht nur die Mondbasis bedrohen, auf der sich zurzeit gut siebenhundert Personen aufhalten, sondern es wird die strukturelle Integrität des Erdtrabanten grundlegend gefährden. Mit großer Wahrscheinlichkeit, sagt er alarmiert, hört der Mond an diesem Tag auf zu bestehen. Ein unglaublicher Wettlauf mit der Zeit beginnt, um die Menschen von der Mondbasis in Sicherheit zu bringen … aber natürlich ist dies nicht das Ende vom Lied, sondern die Worst-Case-Szenarien Feinbergs beginnen sich zu erfüllen. Nach dem Zeitpunkt Null regnet es Mondsplitter vom Himmel, und eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes nimmt ihren Lauf, die durchaus das Ende der Menschheit und der Welt, wie sie sie kennen, bedeuten kann.

Jack McDevitts Romane, von denen ich wirklich lange keinen mehr gelesen habe (muss ich dringend nachholen!) zeichnen sich, etwa im Gegensatz zu den eher technisch-unterkühlten Werken von Stephen Baxter, durch lebendige Charakterzeichnung der Protagonisten aus, denen er mit knappen Skizzen Glaubwürdigkeit verleiht. Dieser Roman besticht dazu durch die enzyklopädische Fülle an Personen.

Neben dem klassischen Raumfahrtpersonal haben wir, beispielsweise, einen an Captain Kirk angelehnten Filmhelden, der für fiktive Weltraumabenteuer berühmt ist. Wir haben einfache Rentner an der Küste, die ihrer verstorbenen Frau hinterhertrauern. Es gibt Literaturagenten in New York, die den öffentlichen Verlautbarungen der Regierung nicht trauen und diejenigen belächeln, die aus der Stadt ins Binnenland flüchten. Es gibt fanatische Regierungsgegner, die sogar soweit gehen, dass sie es begrüßen würden, wenn ein kilometergroßes Trümmerstück im Herzen der USA einschlägt und jeden Rettungsversuch sabotieren – nur um die verhasste Regierung zu Fall zu bringen (dass sie damit die Welt zum Untergang verurteilen, scheint ihnen dagegen nicht klar zu sein). Es gibt karrierebewusste Astronomen, Familien, die ins Binnenland flüchten und, statt Opfer des Kometeneinschlags zu werden, in den Verkehrsstaus Todesopfer zu beklagen haben. Besonders gefallen hat mir der Möbelfabrikant, der in New Jersey feststellt, dass er keine Versicherung gegen Flutschäden hat und daraufhin beschließt, seine ganze Firma auf Lkws zu verladen und ins Binnenland zu transportieren, obwohl selbst sein Anwalt ihn belächelt, da die Firma 40 Kilometer im Binnenland liegt … spätestens als es Washington, D.C., wegspült, wird klar, dass diese Handlungsweise sehr begründet war!

Die unglaubliche Vielfalt an Personen, Handlungsschauplätzen und verschiedensten Blickwinkeln auf diese Ereignisse macht den bemerkenswerten Reiz dieses zwar schon recht alten, aber in vielen Fällen immer noch durchaus plausiblen Romans aus. Da McDevitt die Kapitel zum Teil im Minutentakt countdownartig angeordnet hat, erzeugt er eine rasante Lesegeschwindigkeit, die mich beispielsweise innerhalb von 2 Tagen durch den Roman jagte … das ist bei einem Roman diesen Umfangs selbst für mich ungewöhnlich flink und spricht sehr für eine flüssige Übersetzung.

Natürlich gibt es auch ein paar Punkte, die ich durchaus belächeln musste. So hat sich bei McDevitt im Jahre 2024 immer noch die Diskette als Speichermedium der Zukunft durchgesetzt (S. 100), aber das ist nur ein Randparameter. Wichtiger ist es, wie er sich optimistisch die Weiterentwicklung der Welt denkt: „Das dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war … eine gute Zeit für den Planeten gewesen. Hundert Millionen Chinesen fuhren inzwischen eigene Autos; fast alle Menschen waren sich einig, dass militärische Übergriffe von schlechtem Geschmack zeugten; der alte Wirtschaftszyklus von Aufschwung und Depression schien gebändigt; und die Großmächte hatten entdeckt, dass Kooperation bessere Früchte trug als Konfrontation. Die Technik ermöglichte fast jedem ein besseres Leben. Die Wissenschaft machte Fortschritte, und die Menschen lebten länger und blieben dabei länger jung al sje zuvor. Die meisten Krebsformen waren heilbar; Energiesats lieferten fast unbegrenzt Strom, und der lange Kampf um die Behebung der Umweltschäden hatte endlich die Wende geschafft. In den Vereinigten Staaten hatten ethnische Spannungen stetig abgenommen; das Bruttoinlandsprodukt stieg jährlich, während Verbrechensraten und Bevölkerungswachstum abnahmen …“ (S. 509)

Ein Idyll? Nun, trotz weiter Verbreitung von Solarautos eins mit Schattenseiten, die er auch nicht restlos verschweigt. An derselben Stelle heißt es nämlich weiter, die überoptimistische Vision etwas einhegend: „Das sollte nicht heißen, dass es keine Probleme gab. Weit mehr Menschen lebten auf der Erde, als ihnen die natürlichen Ressourcen sicheren Unterhalt boten, und alte Traditionen und religiöse Gruppen bekämpften jeden Versuch, das Bevölkerungswachstum umzukehren.“

Auch Verbrechen gibt es natürlich noch, ebenso Analphabetismus, und 25 Prozent der Weltbevölkerung haben in dieser Welt noch keinen Anschluss an die globale Datensphäre gefunden … hier zeigt sich, dass McDevitt das Internet und die Satellitenkommunikation wie auch die Verbreitung von Computern und Handys deutlich unterschätzt.

Dennoch … das ist durchaus eine beeindruckend fortschrittliche Welt, in der man ganz gern leben würde. So erreicht der Autor, dass man sich nicht nur um die mehrheitlich sympathischen Protagonisten sorgt, sondern auch um den Bestand der ganzen Welt, die am Schluss buchstäblich auf Messers Schneide steht, als die monströse Bedrohung durch den „Possum“, ein gigantisches Trümmerstück des Mondes scheinbar unausweichlich naht.
Schön wäre es übrigens auch, wenn sich die Einstellung der ersten Präsidentin der USA im Roman mal herumsprechen würde. Wie beschreibt McDevitt das doch? „Sie absolvierte eine Amtszeit von 2017 bis 2021, und lehnte dann die Kandidatur für eine zweite Amtszeit mit der Bemerkung ab: Die Sache ist es nicht wert.“ Na, das ist doch mal eine Einstellung! Leuten wie Donald Trump fiele so etwas nie im Leben ein.

Als ich den Originaltitel „Moonfall“ las, musste ich an Roland Emmerichs Katastrophenfilm gleichen Namens denken … und es ist wirklich unübersehbar, wie mir scheint, dass Emmerich sich wesentliche Teile aus diesem Roman ausgeborgt hat, nicht nur den Titel. Emmerich beging halt nur den kapitalen Fehler, seine Filmgeschichte nicht – wie McDevitt – in einer technologisch weit fortgeschrittenen Zukunft anzusiedeln, in der die oben erwähnte erdnahe Weltraum-Infrastruktur existiert, sondern er siedelt sie in unserer technikskeptischen Gegenwart an, in der Raumfähren in Museen landen und selbst der Mondflug an sich zu einem utopischen Projekt geworden ist. Das musste seinem Film letzten Endes jede Glaubwürdigkeit rauben. Denn mit einem Space-Shuttle – wie im Film dargestellt – zum Mond zu gelangen, und mag er noch so nah an die Erde heranschlingern … und dann wieder zurückzukommen, ist raumfahrttechnisch so absurd, dass ihm das nicht mal ein Fünftklässler abgenommen hätte.

Hätte dieser Film dagegen in McDevitts Technosphäre gespielt, in der sogar eine Evakuierung einer Mondbasis binnen weniger Tage realisierbar erscheint, hätte das vollkommen anders ausgesehen. Ich glaube kaum, dass Jack McDevitt über Emmerichs Film sonderlich erbaut war, ich war es auch nicht. Es wäre schöner und sicherlich auch dramatischer gewesen, wenn er einfach den Roman so verfilmt hätte, statt nur den englischen Titel zu klauen.
McDevitts solide durchkomponierter, packender Roman vermag auch 25 Jahre nach Abfassung noch mitzureißen … ob Emmerichs Film in 25 Jahren überhaupt noch bekannt sein wird, nun, das ist doch wohl eher zu bezweifeln.
Der Roman lohnt also ungeachtet seines Alters definitiv die Lektüre!

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