Das fantastische Fanzine

Die Wälder von Katalis

Fantasy-Fortsetzungsgeschichte von Veronika “Vroni” Bärenfänger

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Erstes Buch

Die Ankunft

Zeit und Raum

Ich bin General Markus von Lork, Oberbefehlshaber der Lafarenischen Wüsteneinheit. Vor zehn Wintern erwachte ich hier, unterhalb einer Steinformation, mitten im Wald.
Wie ich hier herkam, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich mit meiner Einheit, in der Wüste, auf der Suche nach etwas Schatten war. Wir wollten nur kurz rasten und etwas von dem kostbaren Wasser zu uns nehmen. Nicht lange, denn die Galier waren uns dicht auf den Fersen. Wir fanden diese Steine, die den Anschein erweckten, als wären sie vor Generationen absichtlich in das Gelände eingebracht worden. Ich erinnere mich noch daran, wie ich meinen Gurt lockerte, die Wasserflasche entnahm und mich gegen einen dieser Steine lehnte. Dann fühlte ich einen mächtigen Schlag, der mir die Luft raubte und das Bewusstsein nahm. Als ich wieder erwachte, mussten Stunden vergangen sein. Ich konnte nichts sehen und nichts hören, aber fühlen. Allein die Feuchtigkeit der Luft, die ich atmen konnte, machte mich stutzig. Die erste Berührung mit dem mit Moos bewachsenen Waldboden schockierte mich. Ich war offensichtlich in einem Wald, aber wie kam ich hierher? Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, mein Kopf schmerzte, in meinen Ohren surrte es und ich konnte nichts sehen, schmecken oder riechen. Mein letzter, mir bekannter Aufenthaltsort war die Wüste. Wir befanden uns meilenweit von der nächsten Oase entfernt. Wie kam ich jetzt in einen Wald?
Hatten unsere Feinde uns übermannt und waren wir jetzt Gefangene? Was hatten sie mit mir gemacht? Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Wald lag, bis sich mein Gehör langsam wieder normalisierte. Und dann hörte ich sie, die Geräusche des Waldes, unbekannte und unheimliche Laute. Nichts davon hörte sich an, wie in den Wäldern von Lork. Nichts war mir auch nur im Ansatz vertraut. Es machte mir Angst. Mir, dem mehrfach ausgezeichneten General Markus von Lork, machte dieser Wald eine Höllenangst. So viel Angst, dass ich begann mich dafür zu schämen. Hatte ich nicht in der Schlacht um die Ländereien von Ugwadule, erfolgreich 700 Kämpfer gegen die Galier geführt? In dieser Schlacht waren wir ganz besonders skrupellos gegen unseren Gegner vorgegangen, vor allem, als wir sahen, was sie mit den überlebenden Dorfbewohnern angestellt hatten. Sie hatten viele der Kinder verschleppt, Mädchen wie Jungs. Die meisten konnten wir nicht wieder finden. Die Vorräte waren immer geplündert worden, genau wie unsere Bodenschätze. Wie viele unserer Frauen nun getötet, missbraucht oder verschleppt wurden, konnte bis zu dem Tag, an dem ich hier erwachte, niemand sagen. 21 Dörfer wurden unter meiner Leitung von den Galliern befreit. Ich tötete zwölf Offiziere eigenhändig im Zweikampf. Die Kollateralschäden zählte ich nicht mit. Zwei Jahre hatte ich meinem Hass und meiner Wut freien Lauf gelassen und so starben auf diesem Weg nicht nur ebenbürtige Gegner, sondern auch Frauen und Bedienstete. Nur Kinder fasste ich nie an, nicht ein Einziges. Ich lag hier in diesem fremden Wald, konnte weder sehen noch riechen oder schmecken und hatte so viel Angst wie noch nie. Es war für Männer der Lafaree nicht üblich, sich solchen Gefühlen hinzugeben. Immerhin gab es eine Gesellschaft zu verteidigen. Eine, die viel Wert auf ihre einzelnen Mitglieder legte und in der Gefühle wie Liebe, Vertrauen und Zugehörigkeit die höchsten Güter darstellte. In dieser Gesellschaft war man nicht ängstlich, hier war man gemeinsam stark, gemeinsam mutig. Aber hier war niemand, ich war völlig alleine und ich sollte mich nicht dafür schämen, dass meine Gefühle mit mir durchgingen.
Ohne etwas zu sehen, richtete ich mich auf und schob mich rücklings gegen etwas, was ich nach kurzer Zeit als Stein identifizieren konnte.
Vorsichtig tastete ich meinen Waffengürtel ab – nichts – keine einzige Waffe, kein Messer, nichts. Ich war also doch ein Gefangener, aber warum hörte ich niemanden und warum konnte ich immer noch nichts sehen? Endlose Stunden hockte ich an diesen Stein gelehnt und lauschte auf jedes ungewöhnliche Geräusch. Ein furchtbares Gefühl, nichts sehen zu können, nicht zu wissen, warum und dann all diese seltsamen, unbekannten Geräusche. Irgendwann hörte ich ein Knacken und Knarren neben mir. Zuerst ganz zaghaft, dann immer aufgeregter. Ich hatte den Eindruck, dass mindestens zwei Wesen neben mir ‘sprachen’, aber was war das für eine Sprache? Alles in allem wurde es immer seltsamer.
Als ich mir mit den Händen durch mein Gesicht fuhr, stellte ich fest, dass ich wohl heftiges Nasenbluten gehabt haben musste. Hatte ich einen Schlag in das Gesicht erhalten? Nun, das muss Stunden her gewesen sein, das Blut war zäh und klebrig, ein Teil schon vollends getrocknet. Der Kopf schmerzte und als ich mir mit der Hand durch meine Zöpfe strich, fiel mir auf, dass mein gesamter Schmuck fehlte. All die silbernen Spangen und Schließen, die Perlen und die Drähte. Die sorgsam geflochtenen Zöpfe meines Irokesen öffneten sich schon. Wer zur Hölle tut so etwas und warum? Diese Gedanken halfen mir leider nicht über meine Angst hinweg. Im Gegenteil, die vielen Fragen machten mich mittlerweile schier wahnsinnig. Nachdem jetzt die Laute des Waldes immer klarer wurden, stellte ich fest, dass ich langsam wieder Licht und Schatten erkennen konnte. Ich würde also meine Sehkraft wiedererlangen, ich müsste nur geduldig sein. Das war aber nur eines meiner Probleme. Meine geliebte Frau hat mir das auch immer vorgeworfen, dass ich zu ungeduldig sei. Anna, wie sehr vermisse ich sie und Tiana, meine kleine, wunderschöne Tiana. Seit ihrer Ermordung hatte ich an nichts anderes gedacht als an Rache. Diese widerwärtigen Galier hatten abgewartet, bis die Männer auf die Jagd gingen und dann unser Dorf überfallen und geplündert. Sie hatten alle niedergemetzelt, einfach alle, die Frauen, Kinder und die Alten. Und das hier? War das jetzt wiederum deren Rache an unseren Gräueltaten? Im Grunde hatten wir uns danach ja nicht wesentlich netter verhalten. Wir hatten auch unsere Aggressionen an den Schwachen ausgelassen. Wobei ich persönlich immer den Kampf mit einem Gegner, Auge in Auge suchte. Mir war es egal, ob ich siegen oder verlieren würde. Anna und Tiana waren tot, es gab nichts mehr, was mich auf dieser elendigen Welt halten würde. Wenn ich also sterben sollte, dann bitte im Kampf, aber nicht so hilflos wie in diesem Moment.
Langsam konnte ich immer mehr sehen, ich nahm bereits deutlich die Unterschiede zwischen Hell und Dunkel wahr. Einmal hörte ich noch dieses Knarren und Klacken und ich bildete mir ein, eine Bewegung wahrgenommen zu haben, aber sicher war ich mir dabei nicht. Es waren mit Sicherheit weitere Stunden vergangen, als es mir endlich besser ging. Die Temperatur war spürbar angestiegen und als ich mich endlich umblicken konnte, musste ich feststellen, dass diese Steine hier große Ähnlichkeit mit der Formation in der Wüste hatten. Außerdem stellte ich fest, dass ich völlig allein war. Zumindest hier, an diesem Ort. Ich blickte mich um, hier war nichts und niemand. Um mich herum gab es nichts anderes als Wald und hier war auch kein Mensch außer mir. Ich betrachtete die Steinformation und als ich meine Hand auf die große Stele legte, unter der ich erwacht war, bildete ich mir ein, ein Kribbeln in den Fingern zu spüren. Eine Vibration, die sich in meinem ganzen Körper ausbreite. Was für ein seltsames Gefühl. Ich blickte in die Wipfel der Bäume und dem Sonnenstand nach musste es ungefähr Mittag sein. Ich entschloss mich, loszulaufen, heraus aus diesem Wald. Irgendwann würde ich die Orientierung wieder finden. Also lief ich los. Ich lief durch den Wald, bis es dämmerte und war doch nicht einen Schritt herausgelangt. Das konnte doch gar nicht sein. Kein Wald in meiner gewohnten Umgebung war so groß wie dieser, der schier nicht enden wollte. Es muss wohl Vollmond gewesen sein, denn das fahle Licht sorgte dafür, dass es nicht richtig dunkel wurde. Als ich zu müde war, um weiterzulaufen, kauerte ich mich in einem Busch zusammen und versuchte, mich etwas auszuruhen. In der Nacht nickte ich mehrfach weg, schreckte aber immer wieder hoch. Richtig guter Schlaf war das nicht. Als die ersten Sonnenstrahlen die Wipfel durchbrachen, hatte ich mir etwas Tauwasser von den Blättern gesammelt, getrunken und mich dazu entschlossen, wieder zurück zu den Steinen zu laufen. Glücklicherweise konnte ich meine Spuren vom Vortag noch sehen und fand somit leicht zurück zu meinem Ausgangspunkt. Also marschierte ich einen halben Tag zu den Steinen und von dort bergauf. Vielleicht konnte ich mir von oben einen besseren Überblick verschaffen.

Es war heiß und der Tau auf den Blättern schon seit einer gefühlten Ewigkeit verdunstet. Die Baumwipfel ließen zwar nur gelegentlich etwas Sonne durch, dennoch heizte sich die darunter entstandene feuchtwarme Luft unbarmherzig auf. Meine Jacke hatte ich mir schon vor einiger Zeit um die Hüfte geschlungen. Langsam meldete sich der Hunger und ich machte mir so meine Gedanken, was ich wohl essen könnte. Die Pflanzen hier waren alle so anders als alles, was mir bisher bekannt war. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie essen konnte, also ließ ich es. Im Laufe des Tages ging ich immer weiter bergan und erreichte endlich die Wipfel dieses Waldes. Ein kleines Stück kletterte ich noch über zerklüftete Felsen, bis ich den Gipfel erreichte und dann sah ich es. Ich sah den großen gestreiften Ball am Himmel, der sich wie eine riesige Kugel hinter den Horizont schob. Vor ihm schwebte eine kleinere Kugel, ähnlich des gewohnten Mondes. In meinem Rücken versank die Sonne ganz langsam am Horizont. So weit mein Auge reichte, gab es hier nur Wald. Ich drehte mich um und beobachtete den Sonnenuntergang. Wie bei einem ganz normalen Sonnenuntergang brachen sich ihre Strahlen in einem großen Fluss, der den schier nicht enden wollenden Wald zerteilte und sich dann doch wieder im Dickicht verlor. Ich war wohl nicht mehr auf der Erde, wie ich sie kannte. Ich fragte mich nur, ob es eine andere Welt war, oder ob ich nur eine Reise durch die Zeit gemacht hatte. Die Berater meines Vaters hatten häufig solche Geschichten erzählt, dass die Menschen einst so fortschrittlich gewesen waren und es fast geschafft hatten, zu anderen Welten zu reisen. In den Schulen hatte man uns das Konzept unseres Sonnensystems beigebracht und gelehrt, dass es wohl mehr als eine Welt im Weltall gab. Mit dem Fernrohr blickte ich als junger Bursche gerne zu den Sternen und malte mir die wildesten Geschichten aus. Ich war viel gereist und hatte alle Länder der Lafaree besucht, nichts war hier vergleichbar. Nur wo befand ich mich jetzt und wo waren die anderen Menschen? Ich beschloss, sitzen zu bleiben, vielleicht hier oben, auf den Felsen etwas zu schlafen. Ich legte mich hin und beobachtete diese riesige bunte Kugel und den kleinen Mond. Waren das zwei Monde oder war dieser Waldplanet ein Mond dieses riesigen Balls? Nachdem die Sonne vollends untergegangen war, wurde es abrupt eisig kalt, so kalt, dass ich mich wieder etwas weiter unter die Baumkronen begab. Das fahle Licht, welches die beiden Monde reflektierten, sorgten dafür, dass es nicht richtig dunkel wurde. Im Schutz der Bäume und Pflanzen war es überraschenderweise sogar angenehm warm. Ein paar große Blätter, die ich abreißen konnte, nutzte ich als Decke und wenig später schlief ich auch schon ein.
In den frühen Morgenstunden wurde ich vom herabtropfenden Tau geweckt. Ich öffnete die Augen und dachte noch für einen Moment, ich läge in meinem Bett. Als ich realisierte, dass dies alles doch kein Traum gewesen war, entdeckte ich ihn, den Hasen. Dieses Tier sah genau so aus wie ein Hase, es muss also ein Hase sein. Gemütlich graste es im Unterholz, knabberte an ein paar Pilzen, hoppelte zu einer Pflanze, an der ein paar Früchte hingen und er bediente sich genüsslich. In diesem Moment beschloss ich, dass dieser Hase meine nächste Mahlzeit werden würde. Voller Enthusiasmus sprang ich auf und wollte nach meinem Messer greifen, aber es war ja nicht da. Der Hase erschrak und ehe ich mich versah, verschwand er im Wald. Ich überlegte, was ich nun tun sollte. Ich sollte mir eine Möglichkeit einfallen lassen, wie ich diesen Hasen fangen konnte. Früher oder später musste ich etwas essen, das war sicher und dieser langohrige Kerl war eine willkommene Mahlzeit. Ich blickte mich um und sammelte ein paar dieser Pilze und ein paar dieser Früchte. Wenn der Hase sie fressen konnte, dann waren sie bestimmt nicht giftig, hoffte ich. Vorsichtig kostete ich zuerst die Pilze, die wie rohe Champignons schmecken und danach genehmigte ich mir zwei dieser orangefarbenen Kugeln, die etwa die Größe einer Pflaume besaßen. Die Früchte waren süß und saftig und stillten den schlimmsten Hunger und Durst. Nachdem ich mich gestärkt hatte, suchte ich einen möglichst geraden Ast und fand auch einen. Ich wollte mir einen Speer daraus fertigen und stand gleich wieder vor dem nächsten Problem. Wie sollte ich den Ast vom Baum schlagen, ohne Werkzeug und wie danach anspitzen? Da fielen mir die Felsen ein. Vielleicht lagen dort Steine herum, die man nutzen konnte. Ich stieg also wieder nach oben und suchte mir ein paar Steine zusammen, die ich für geeignet hielt. Mit einem großen Stein versuchte ich einen nach dem anderen zu zerschlagen, in der Hoffnung, sie würden so zersplittern, dass man damit schneiden oder hacken konnte. Nach etlichen, schweißtreibenden Versuchen, gelang es mir, einen scharfen Splitter abzuschlagen. Weitere schweißtreibende Stunden später hatte ich es geschafft. Mein Speer war geschlagen und gespitzt. Der Preis waren blutige Finger, die ich danach kaum noch bewegen konnte. Der einzige Vorteil dieser Aktion lag dann tatsächlich vorerst darin, dass ich zufällig zwei Steine zusammengeschlagen hatte, die dabei Funken schlugen.
Ich würde also in der Lage sein, Feuer zu machen, mich zu wärmen und meine Nahrung zu kochen. Jetzt hieß es nur noch, herauszufinden, was hier alles essbar war. So verbrachte ich die ersten Tage mit Sammeln von diesen Früchten und den Pilzen, von denen ich ja schon wusste, dass ich sie essen konnte und den mühseligen Versuchen, einen Hasen zu erlegen. Zwischendrin entwickelte ich eine durchaus praktikable Technik, in den Morgenstunden mehr Tauwasser auf einmal zu sammeln und es bis in die Mittagsstunden auch aufzubewahren. Die beiden Feuersteine packte ich in den Beutel, in dem ich früher mein Münzgeld aufbewahrte. Wie alles andere aus Metall waren auch diese nicht mehr da. Mit der Hilfe des Steinsplitters gelang es mir, einen Ast zu spalten. Anfangs band ich den Stein mit Flachs fest, musste aber feststellen, dass sich dieser zu schnell aufarbeitete. Da musste ich mir noch etwas Besseres einfallen lassen, aber immerhin gab es hier so etwas wie Flachs. Nach einigen Tagen hatte ich mein Lager wieder zur Steinformation verlegt. Von hier aus startete ich immer wieder verschiedene Erkundungstouren, gelangte aber nie aus dem Wald heraus.
Eines Tages packte ich all meine Sachen zusammen und wagte den Ausflug zum Fluss. Was ich leider nicht bedachte, war die Tatsache, dass diese essbaren Pflanzen und Pilze nicht überall wuchsen. Ich musste also irgendwie improvisieren und hoffen, dass ich am Fluss dann ein paar genießbare Fische finden würde. Ich war so naiv zu glauben, dass dieser Wald keine Gefahren für mich parat haben würde.

Nach einer schweißtreibenden Wanderung stand ich dann am Ufer eines Flusses, der so breit war, dass man das andere Ufer kaum wahrnehmen konnte. Vorsichtig kostete ich das Wasser. Wie herrlich erfrischend und genießbar. Ich schüttete mir zwei volle Hände in das Gesicht, bevor ich mich entkleidete und schon bis zu den Knien im Wasser stand. Eigentlich wollte ich mich ins kühle Nass werfen, als mir diese Bugwelle auffiel, die sich direkt auf mich zubewegte. Unweigerlich musste ich an Krokodile denken und ergriff instinktiv die Flucht. Ich erreichte gerade noch rechtzeitig das Ufer, als ein silbrig glänzendes Ungetüm aus dem Wasser schoss und mit seinen mehrfach mit messerscharfen Zähnen ausgestatteten Kauleisten heftig nach mir schnappte. Ich schnappte mir meinen Speer und wandte mich diesem Ding zu. Beherzt stach ich zu und rutschte an den harten Schuppen einfach ab. Das Biest hatte sich zu weit aus dem Wasser gewagt und versuchte nun, mit heftigen Schwanzschlägen wieder in den Fluss zu gelangen. Vielleicht war das meine Chance, nur wie sollte ich diesen Panzer durchdringen? Ich versuchte es erneut und rutschte erneut ab. Diese Schuppen waren hart wie ein Schildkrötenpanzer und glänzten wie das feinste Perlmutt. Einzig diese messerscharfen Zahnreihen mäßigten meine Faszination. Ich versuchte, mit aller Kraft dieses Monstrum zu erwischen, traf in das Maul und das Biest brach, ohne dass ich mit der Wimper zucken konnte, die Spitze meines Speeres ab.
Geistesgegenwärtig stieß ich voran, statt erschrocken nachzugeben und hatte das Ungeheuer am Spieß. Mit letzter Kraft schleuderte ich es noch ein weiteres Stück an den Strand, wo es langsam und zuckend verendete. Erst Stunden später wagte ich, es anzustoßen. Es war definitiv tot, also untersuchte ich es genauer. Das Biest hatte vier Augen, zwei riesige Glupschaugen, direkt links und rechts von seinem steinharten Schädel, sowie zwei weitere, die nach vorn ausgerichtet waren. Die Schuppen waren, wie ich vermutete, aus einer Art Perlmutt und umschlossen den Körper wie eine Rüstung. Im verhältnismäßig großen Maul verbargen sich drei Zahnreihen, ausgestattet mit einer Vielzahl spitzen und scharfen Zähnen. Ich überlegte noch, ob man aus ihnen vielleicht ein Werkzeug bauen könnte, gab aber den Versuch, einige zu entfernen, nach einigen schmerzhaften Verletzungen auf. Genauso erging es mir mit den Schuppen. Leider würde ich erst viel später entdecken, dass ich dieses Tier überdies hätte essen können und dass die Schuppen perfekte Messer abgeben würden. Ich verscharrte es im Sand, fertigte mir mühselig einen neuen Speer und verbrachte die Nacht am Strand. Im Schein meines Lagerfeuers entdeckte ich dann das Leuchten über dem Wasser. Unzählige Augen spiegelten sich im Mondlicht und betrachteten mich. Zuerst in absoluter Ruhe und dann konnte man hören, wie sie sich gegenseitig angingen, wie das Wasser schwappte, sie schnappten und die Schuppen aneinander rieben. Hier wollte ich nicht bleiben, also schulterte ich meine Sachen und wanderte zurück in die Richtung, aus der ich kam. Mehrere Tage lief ich in die Richtung, aus der ich dachte, dass ich gekommen sei, bis ich auf einen kleinen, glasklaren Teich stieß. Das Wasser war so klar und rein, sodass man das Laub am Boden gut erkennen konnte. Nun, das sollte nichts heißen, immerhin konnte es gut sein, dass sich genau dort, unter dem Laub, ein Untier versteckte. Vorsichtig schöpfte ich also etwas Wasser ab und trank. Nichts passierte, also wurde ich mutiger, brach einen Ast mit vielen Blättern ab und schlug auf die Wasseroberfläche. Abermals geschah nichts. Da ich völlig durchgeschwitzt war, fasste ich den Entschluss, an der flachsten Stelle ganz vorsichtig in das Wasser zu gehen. Knöcheltief stand ich darin und es passierte nichts, es bewegte sich nichts und es griff mich auch nichts an. Ich wagte mich also immer weiter in das kühle Nass und stellte fest, dass hier nichts lauerte. Dieser Teich war ein einfacher Quellteich ohne grauenvolles Monster. Eine gefühlte Ewigkeit war ich noch angespannt und achtete auf alles um mich herum. Letztlich war das Wasser aber so angenehm kühl, sodass ich entspannt die Augen schloss. Geweckt wurde ich von diesem knarrenden Geräusch und dem Klacken, genau demselben Geräusch, welches ich bei meiner Ankunft hörte. Ich machte die Augen auf und blickte in zwei riesige gelbe Augen mit schmalen Schlitzen. Ich wäre beinahe ertrunken, vor lauter Schreck. Das kleine Tier erschrak ebenfalls und huschte in sichere Entfernung. Ich richtete mich im Wasser auf und kletterte heraus. Das Wesen stand bewegungslos einige Meter von mir entfernt und diese handtellergroßen Augen starrten mich an. Ich hockte mich auf den Boden und versuchte nicht mal meine Hose anzuziehen. Die nasse Haut würde das ohnehin unmöglich machen. Ich betrachtete diese kleine Katze. Zumindest hatte es die Größe einer Katze, nur diese riesigen gelben Augen, auch war die Nase recht spitz und erinnerte eher an ein Mäuschen. Nachdem ich diesen Mörderfisch gesehen hatte, war ich auf alles gefasst, nur nicht auf so ein niedliches, flauschiges Blau – das war doch blau, oder irrte ich mich. Dieses Wesen hatte ein zartblaues, flauschiges Fell mit feinen weißen Streifen, die von den äußeren Augenwinkeln geschwungen, über die Wangen bis zum Näschen reichten. »Hey, wer bist du denn?«, rief ich zu ihm herüber. Ich hörte etwas, wie ein Knacken, ein Fiepen, Schnurren und etwas, dass sich anhörte wie nock, nock, nock.
Das war meine erste Begegnung mit den Limfies, so nannte ich sie, nachdem ich in all den Jahren ihre Sprache gelernt hatte. Na gut, zumindest wusste ich meist, was sie wollten und konnte ihnen mit ein paar kurzen Lauten mitteilen, was ich brauchte.
Zzila und Karr, ein Paar, welches sich auf ewig gefunden hatte. Die beiden sollten fortan sehr hilfreich für mich sein, denn immerhin erleichterten sie mir das Überleben und sie zeigten mir die Höhle. Ein wenig oberhalb des Teiches befand diese sich, in den Felsen. Von außen fast nicht zu erkennen, so dicht war der Efeu darüber gewachsen. Als ich mich dann ins Innere begab, staunte ich nicht schlecht. Hier in dieser Höhle waren eindeutige, menschliche Zeichen. Es hatte hier also einmal Menschen gegeben. Neben einem Bett mit Fellen gab es einen Tisch und einen Stuhl, eine Feuerstelle, deren Rauch über eine geschickte Konstruktion nach außen geführt wurde. Tongeschirr, ein Teller, ein Becher und Tontöpfe zum Kochen und Aufbewahren. Ich fand gegerbtes Leder und zu meinem Entsetzen auch die Überreste des ursprünglichen Höhlenbewohners. Ich fand auch eine Art Aufzeichnungen. Zum einen waren die hinteren Wände der Höhle mit sehr ausführlichen Zeichnungen der Umgebung versehen und in einer Truhe lagen, fein säuberlich sortiert, beschriftete, weiße Baumrinden. Hier würde ich auf jeden Fall eine Weile bleiben, denn durch den Efeu, war ich hier sicher. Ich hatte ein Bett und ich konnte hier Feuer machen, ohne gleich im Rauch zu ersticken. Wasser war nahe und die Limfie konnten mir sicherlich auch zeigen, was ich essen kann und was nicht. So verging die Zeit.
Mittlerweile konnte ich meine Kleidung selbst reparieren und sogar neue anfertigen. Ich war in der Lage, meine Haare über den Ohren mit einem scharfen Steinsplitter zu schneiden und meine Zöpfe neu zu ordnen. Auch meinen Bart hielt ich einigermaßen in Form. Den Männern der Lafaree wurde schon immer eine gewisse Gockelhaftigkeit nachgesagt. Also die Edelmänner der Galier behaupteten das. Sie vergaßen aber, dass unsere Aufmachung zu den Stammesritualen gehörte. Junge Männer mussten sich beweisen und erst danach erhielten sie den Irokesen mit den teilweise verfilzten Zöpfen. Allerdings mussten sich junge Frauen auch beweisen. Jeder bekam eine Aufgabe, die er oder sie bewältigen musste.
Auch die Tätowierungen hatten alle ihre Bedeutung. Das Dornentribal habe ich mir verdient. Ich musste in meinem Initiationsritus gegen ein Wildschwein kämpfen und dieses ist der Ursprung des Tribals. Mittlerweile rankt es sich über meinem linken Ohr, auf der kahl geschorenen Kopfseite. Jeder Dorn ist ein bestandener Kampf, jeder Dorn zeigt einen Sieg und seit die mordende und plündernde Meute über mein Dorf hergefallen war, zeigte sie auch jeden einzelnen Gegner, den ich im Kampf tötete. Ja, ich kann töten, mit bloßen Händen. Die Skrupel, die ich mit sechzehn noch hatte, habe ich mit meinem Zorn verloren. Die Wut und der Hass haben mich hart werden lassen und langsam dachte ich, dass diese Einsamkeit nun die Strafe von Mutter Natur sei. Wenigstens hatte ich ein bisschen Ansprache, durch die Limfies und ich hatte wenig Zeit zum Grübeln. Ständig gab es etwas zu tun und wenn es nichts zu tun gab, dann machte ich Erkundungsausflüge. Hier gab es genug zu entdecken und beim besten Willen war nicht alles so freundlich wie die Limfie. Bei einem meiner ersten großen Ausflüge wurde ich dann auch von einem Egel gebissen. Ich konnte ihn gerade noch entfernen, bevor ich das Bewusstsein verlor.
Ich wusste nicht, wie lange ich weggetreten war. Jedenfalls erwachte ich durch Zzilas liebevolle Fürsorge. Sie hatte unablässig meine Lippen mit Wasser benetzt, damit ich nicht austrockne. Mein Schädel brummte, als hätte ich mit meinem Schwager ein Saufgelage veranstaltet. Der Geschmack in meinem Mund erinnerte an das Aroma von Feuer und Stahl, der sich bildet, wenn man einen ganzen Tag in der Schmiede verbringt. Ich fühlte mich grauenvoll, bis mir auffiel, dass ich nicht nur wenige Stunden außer Gefecht war, es waren wohl ein paar Tage. Mein körperlicher Zustand ließ mich das vermuten. Ich brauchte viel Wasser und mindestens eine Woche, um wieder einigermaßen auf die Füße zu kommen. Letztlich war ich froh, noch am Leben zu sein. Ich durchsuchte die Aufzeichnungen meines Vorgängers und fand entsprechende Passagen. Auch er hatte ebenfalls unliebsame Bekanntschaft mit diesen Egeln gemacht, die es nur zu einer bestimmten Jahreszeit gab. Er hatte aus ihnen ein Mittel gegen den Schmerz entwickelt. Mit Wasser gemischt, hatte er es gegen seine Zahnschmerzen im Mund gespült. Die genauen Mischungsverhältnisse und die Wirkung hatte er genauestens dokumentiert. Er schrieb auch über die Heilwirkung einer bestimmten Pflanze und auch hier genau, über die Zubereitung der Paste. Das war grandios, denn sollte ich mich verletzen, so wäre ich in der Lage, mich selbst zu behandeln. Auch wenn es aussichtslos erschien, ich wollte überleben. Ich konnte mir nicht vorstellen, ewig hier alleine zu bleiben. Das war zwar einfach nur so ein Gefühl und ich konnte nicht ahnen, dass ich recht behalten würde. Nur so, wie es dann kam, hatte ich mir das natürlich nicht vorgestellt.

Katalis, so nannten die Limfie ihren Planeten. Es gab hier Jahreszeiten und da ich nicht genau wusste, ob die Jahre auf Katalis denen auf der Erde entsprachen, zählte ich die Winter. Das eindeutigste, konstanteste klimatische Ereignis. Es wurde kalt, die Bäume verloren viele ihrer Blätter. Der Quellteich gefror an der Oberfläche und es fiel Schnee. Wie in meiner Heimat. Also stellte das kein Problem für mich dar. Zudem hatte ich in meiner Höhle ein wirklich gutes Versteck vor Wind und Wetter.

Mit den Limfie konnte ich mich im Laufe der Zeit immer besser verständigen, wenn ich auch häufig einfach riet, was sie mitteilen wollten.
Jedenfalls war es ein Tag, wie jeder andere. Ich war gerade dabei, das frisch gegerbte Leder weichzuklopfen, als Karr sehr aufgeregt und nervös bei mir erschien. Ich wurde sofort stutzig, Karr, er hatte es nicht so mit mir. Meist war er nicht glücklich mit Zzilas Enthusiasmus und mied mich. Wenn ich das kleine Limfieweibchen richtig verstanden habe, ist sie der Ansicht, dass ich aus einem bestimmten Grund hier bin. Karr hingegen meint, ich wäre ein schreckliches Vorzeichen. Nun, in diesem Moment war er aber so aufgeregt, dass ich ihn kaum verstand. Nur so viel, ich sollte ihn unbedingt begleiten, es wäre etwas angekommen und dieses Ding bräuchte wohl Hilfe. Viele Schmerzen und viel Blut, sagte er noch, bzw. verstand ich. Ich holte also meinen Beutel mit meiner Medizin und folgte ihm in den Wald.
An der Steinformation konnte ich sie schon sehen. Da lag sie.
Eine Frau.
Ein Soldat der Galier. Ich blieb stehen und atmete einmal tief durch.
Sie lag genau an der Stelle, an der ich vor zehn Wintern hier angekommen war. Eine sehr schlanke Frau. Sie wirkte auf mich sehr jung, vielleicht gerade mal dem Kindesalter entwachsen, aber nicht viel älter als zwanzig. Sie hatte dunkle, lange Haare, die locker zu einem Zopf geflochten waren, der sich schon fast auflöste. Das Mädchen trug keinen Helm, aber die schwere Montur der Galischen Armee. Lange, dünne Beine, feingliedrige Finger. Überhaupt nicht muskulös, eher mager, fast zu dürr für einen Soldaten. Sie war schmutzig, sie wirkte ausgetrocknet und abgehetzt und sie hatte definitiv Angst. Ich beobachtete ihr Gesicht, die Augen waren weit aufgerissen und suchten nach etwas, was sie wahrscheinlich nicht sehen konnte. Ich stand da über ihr und betrachtete sie in aller Ruhe. Ihre Augen, das hatte ich so noch nie gesehen, sie hatten zwei Farben. Während das eine das Blau eines glasklaren Eissees besaß, war das andere in einem warmen Braunton. Die leicht geschwungenen, dunklen Augenbrauen passten perfekt in dieses Gesicht. Ihre Lippen waren aufgesprungen und das Blut an ihrer schmalen Nase bereits getrocknet. Interessiert registrierte ich jede Feinheit ihres Gesichts, zumindest das, was man unter all dem Dreck sehen konnte. Da sie so viel Angst hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass sie die Geräusche um sich herum schon wahrnehmen konnte.
Mit einer Hand krallte sie sich tief in das Moos, ein weiteres Anzeichen für ihre abgrundtiefe Angst. Ich wusste jetzt nicht, ob ich mich darüber amüsieren durfte oder nicht. War das jetzt fair oder war das jetzt tatsächlich etwas gemein von mir?
In der linken Schulter steckte etwas, das wie eine riesige Klaue aussah. So etwas hatte ich bisher noch nie gesehen, also beschloss ich, mir das genauer anzusehen. Zzila versuchte, mir mit vielen Lauten mitzuteilen, dass es dringend sei und dass die Frau unbedingt meine Hilfe brauchte. Das hier war mein Feind.
Ich hätte mir beim besten Willen nicht vorstellen können, dass die Erlösung aus dieser unendlichen Einsamkeit ausgerechnet ein weiblicher, Galischer Soldat sein würde. Nein, ich habe nichts gegen Frauen. Ich bin überzeugt, sie können viele Arbeiten genauso gut wie Männer erledigen. Mir ging es um den Galier. Da diese junge Frau in einer Uniform steckte, herrschte nach all der Zeit wohl immer noch ein Krieg. Ein einziger Blick reichte, um festzustellen, dass auch sie nicht eine einzige Waffe besaß. Das Portal, wie ich es mittlerweile nannte, hatte wohl sämtliches Metall verschluckt. Ich war mir da nicht sicher, aber mein Vorgänger hatte darüber geschrieben. Ich stand da und beobachtete sie, während Zzila und Karr beide ihre Schnäbel nicht halten konnten. Die beiden waren so aufgeregt. Also beugte ich mich über sie, knackte und schnurrte den Limfies eine Antwort entgegen. Ich würde ihr helfen, in dem Moment, in dem ich das mitteilte, hoffte ich bereits, dass sie sich auch helfen lassen würde.
Ich kniete mich nieder und packte ihren rechten Arm fest. Sie fing natürlich an, wie eine Wilde um sich zu schlagen, aber in dem Zustand konnte sie garantiert nichts gegen mich ausrichten.
»Hör auf!«, raunte ich sie an.
Sie schnappte nach Luft, wollte antworten, aber es kam kein Ton über ihre Lippen.
Ich packte fester zu und drückte die Schulter mit dem Knie auf den Boden.
Sie schrie.
»Hör auf! Du wirst deine Kraft noch brauchen!«
Ich glaube, ich hörte mich nicht wirklich nett an, irgendwie war mir auch nicht nach ‘nett’ zumute.
Sie hörte auf und ich lockerte den Griff. Ich wedelte kurz mit der Hand vor ihrem Gesicht und da sie keine Reaktion zeigte, musste ich lachen. Oh, war das hässlich von mir, aber irgendwie auch nicht. Sie versuchte, wieder etwas zu sagen.
»Lass es!«, fuhr ich sie an und fügte hinzu, »Das ist der Sprung, das dauert, bis es wieder geht.« Das wird ihre Gedanken bestimmt eine Weile beschäftigen. Unterdessen sprach ich mit den Limfie ab, was ich nun tun wollte. Die beiden müssten mir ein wenig zur Hand gehen. Zzila konnte es natürlich nicht bleiben lassen, von ihrer Vorahnung zu sprechen, während Karr das Ganze für ein schlechtes Omen hielt. Darüber würden wir aber heute keine Entscheidung treffen, ich würde jetzt entscheiden, ob ich die Klaue sofort entferne oder erst später in meiner Höhle.
Ich überlegte kurz und entschied mich für jetzt. »Ich werde dir jetzt diese Klaue entfernen«, sagte ich trocken und packte ihren Kopf. Natürlich wehrte sie sich gegen meinen Griff, was es jetzt nicht gerade leicht machte. Mein Knie fixierte ja bereits ihre Schulter, also verlagerte ich noch etwas mehr Gewicht darauf. Das tat weh, das war mir klar. Sie ließ es ja auch hören. Allerdings hatte sie ihren Mund auch so schön weit offen, sodass ich ihr ein wenig meiner Egelpaste hineingeben konnte. Laut meines Vorgängers würde die Narkose etwa zwei Stunden anhalten. Ich hatte mich bei der Zubereitung der Paste exakt an die Vorgaben gehalten. In ein paar Minuten konnte ich also loslegen.
Da sie das Zeug beinahe ausspucken wollte, musste ich ihr Mund und Nase zuhalten.
Ich bin dann aufgestanden, nachdem sie geschluckt hatte. Widerliches Zeug, ich weiß, ich habe eine niedrigere Dosis geschluckt, als ich es gegen Schmerzen getestet hatte.

Man konnte praktisch sehen, wie sich das Gift in ihrem Körper ausbreitete. Zuerst würgte sie, dann wandte sie sich vor Schmerzen, bis ihre Bewegungen immer langsamer wurden.
Sie wurde immer ruhiger, während sie die Kontrolle über ihren Körper vollständig verlor. Ich beugte mich über sie und sagte,
»Jetzt werden wir sehen, was für ein Soldat du bist.«
Den Spott konnte ich mir nicht verkneifen. Warum war mir jetzt schon klar, dass das Ganze hier noch eine große Menge an Stress bedeuten würde?

Ich packte sie fest und mit einem Ruck drückte ich die Klaue von hinten nach vorn durch die Schulter. Mit einem weiteren Ruck zog ich dieses Teil dann völlig aus der Wunde und warf es auf den Boden.
Danach entkleidete ich sie und versuchte, die Wunde zu versorgen. Es blutete stark und natürlich war ich mir nicht ganz sicher, ob die Pflanzenpaste auch bei so großen Wunden gut wirken würde. Ich brauchte eine Menge davon, bis ich dieses Loch in ihrer Schulter versorgt hatte. Nun, ich würde wohl in den nächsten Tagen neue Paste ansetzen müssen. Hoffentlich war die Jahreszeit der Pflanze noch nicht vorbei.
Nachdem ich alles sorgsam verbunden hatte, wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und kontrollierte noch den Rest ihres Körpers. Keine weiteren Verletzungen, sollte sich also die Wunde nicht noch entzünden, so hatte das Mädel relativ gute Chancen. Ich zog sie wieder an, sammelte die Klaue ein und steckte sie in meinen Beutel. Das Ding würde bestimmt ein gutes Werkzeug geben.
Zzila und Karr schickte ich weg. Ich würde damit alleine zurechtkommen.
Bevor ich ging, blickte ich erneut auf die Steinsäule, unter der sie gelegen hatte.
Der gleiche Ort, an dem ich vor etwa zehn Jahren hier landete.
Ein Sprung durch Zeit und Raum und jetzt kam dieses Mädchen, ebenfalls ein Mensch, aus meiner Welt. Ich blickte sie an, ein Galier, zog die Nase hoch und spuckte abfällig auf den Boden. Sie war der Feind, nichts, wofür sich der Aufwand lohnte.
Ich weiß nicht, ob es diese Einsamkeit hier war oder einfach, weil die Zeit eben doch die Wunden heilt. Auch wenn mir eigentlich nicht nach Vergebung war, ich würde mich um sie kümmern. Schwierig würde es allemal werden. Sie musste erst begreifen, wo sie sich jetzt befand.

Katalis, ein Waldplanet, der eigentlich ein Paradies für Menschen wäre. Zumindest gibt es hier ausreichend Nahrung und Wasser. Wie bei jedem Paradies existiert aber ein Haken. Ich schulterte das Mädchen und wanderte zurück zu meiner Höhle.

* * *

Die junge Frau war ohne Vorwarnung auf einen fremden Planeten geschleudert worden.

Sie hatte die Augen geöffnet und versucht, sich zu bewegen. Seit ein paar Stunden lag sie hier, direkt unter der efeubewachsenen Stele.
Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch die linke Schulter. Sie schloss die Augen und tastete vorsichtig mit der rechten Hand über das Leder ihrer Uniform. Etwas Spitzes steckte tief in der Schulter. Sie versuchte, sich zu entspannen, was war geschehen?

Zusammen mit ihrer Einheit hatte sich die Soldatin in der Wüste befunden. Sie waren in einen Hinterhalt geraten, als sie versuchten, in diesen seltsamen Steinformationen Schutz zu finden.
Es surrte in ihrem Kopf, die Schulter schmerzte stark und sie konnte sich kaum konzentrieren. Was war da noch?
Sie erinnerte sich, wie Colonel Simmons tödlich getroffen zusammenbrach.
Cynthia, ihre beste Freundin, sie hatte gesehen, wie ihr Brustkorb von etwas durchbohrt worden war.
Ein Gronk!
Der Gedanke schockierte sie, die Lafaree hatten offensichtlich einen Pakt mit ihnen geschlossen. Das war eine Katastrophe, niemand konnte gegen die Gronk etwas ausrichten. Der Krieg würde sich jetzt gegen sie wenden, die Lafaree würden siegen und die Galier auslöschen. Wie hatten sie das geschafft, bisher war es niemandem möglich gewesen, mit den Gronk eine Allianz einzugehen. Diese Wesen waren nicht kontrollierbar. Sie bewohnten die Wüsten, versteckten sich in Steinhöhlen, lebten von dem, was ihnen die Wüste bot. Diese haarigen Gestalten, mit scharfen Klauen und Zähnen, waren unzivilisiert und unzähmbar. Man erzählte grausame, blutrünstige Geschichten über sie. Einige behaupteten, sie seien gar nicht von der Erde. Sie seien hier ausgesetzt worden, kämen von einem der blinkenden Sterne dort oben am Himmel.
Wusste das jemand? Wusste jemand, was hier draußen in der Wüste vor sich ging? War das dem Stab bekannt? Wenn nein, es musste sie jemand warnen.
Abermals öffnete die Frau die Augen, ein dichter Schleier um sie herum, sie konnte rein gar nichts erkennen. Waren das ihre Augen, oder war sie in völliger Dunkelheit? Sie versuchte, sich aufzurichten, brach den Versuch sofort ab, zu sehr schmerzte die Schulter. Ihr war schwindelig, der Kopf, nein, der ganze Körper schmerzte, als wäre sie gegen eine Wand geprallt. Sie überlegte, ja natürlich, das war sie auch, es hatte sie etwas getroffen und sie war rücklings gegen einen dieser Steine geschleudert worden.
War das jetzt wohl eine abgebrochene Klaue, die da in ihrer Schulter steckte? Sie atmete einmal tief durch, fasste an das Ding in ihrer Schulter und versuchte, es herauszuziehen. Sie bäumte sich auf, sackte wieder zurück und konnte einen Schrei nicht unterdrücken. Das, was auch immer es war, steckte zu tief, um es einfach herauszuziehen. Sie atmete schwer, leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. Sie konnte immer noch nichts ihrer Umgebung erkennen. Entweder war es stockfinstere Nacht, oder der Aufprall an dem Stein hatte auch ihre Augen verletzt. Es war kaum etwas zu hören, oder konnte sie das auch nicht mehr?
Sie wischte sich mit der rechten Hand durch das Gesicht. Das Blut war bereits zähflüssig angetrocknet und klebte zwischen den Fingern, sie musste schon eine ganze Weile hier liegen.

Die junge Frau konnte nichts sehen und nichts hören, sie hörte nur das Surren in ihrem Kopf. Wenn sie sich noch einen kurzen Moment ausruhte, vielleicht käme dann die Kraft zurück. Sie ließ die rechte Hand neben sich in den Sand gleiten …
Sand? Das war kein Sand, das war feucht und weich. Abermals versuchte sie, etwas zu sehen, konnte aber nichts erkennen. Sie tastete mit den Fingern über den Untergrund. Das war eindeutig kein Sand, das war Moos, feucht und weich. Sie spürte Blätter und Nadeln. Ihr letzter bewusster Aufenthaltsort war tief in der Wüste gewesen, dort hatte es weit und breit keinen Wald gegeben. Alles, was sie zum Schutz finden konnten, war doch diese seltsame Steinformation, die wie eine alte Kultstätte wirkte.
Wie um alles in der Welt kam sie in einen Wald?
Ihr Puls schoss in die Höhe, sie konnte es nicht verstehen, außer den Truppen war es gelungen, die Gronk erfolgreich zu bekämpfen. Aber warum war sie dann allein?
Da sie nicht in der Lage war, die Geräusche des Waldes wahrzunehmen, konnte sie auch nicht wissen, dass sie schon eine ganze Weile nicht mehr allein war. Zwei katzenähnliche Wesen hatten sie schon inspiziert. Einheimische, intelligente Wesen dieses Waldplaneten. Generell recht friedliche Wesen.
Die Frau hatte die Aufmerksamkeit der beiden auf sich gezogen, seit sie versucht hatte, sich die Klaue aus der Schulter zu ziehen. Zaghaft näherten sie sich ihr, die zu diesem Zeitpunkt weder etwas hören, noch sehen konnte.
Die beiden Wesen huschten nun schon eine ganze Weile um das Mädchen herum, betrachteten sie von allen Seiten und unterhielten sich.
Eine Reihe von Zisch – Knarr – und Schnurrlauten in aufgeregter Abfolge. Das Pärchen diskutierte, was zu tun war. Die Zeit drängte, das viele Blut, der Frau ging es nicht gut und der Mann war schließlich auch genau hier aufgetaucht.
Beide zischten und diskutierten noch ein wenig, bis sich einer aufmachte, um den Mann zu holen.
Währenddessen gingen der Soldatin tausend Gedanken durch den Kopf. Sie lag mit offenen Augen auf dem Rücken. Sie wollte warten, bis sie sich etwas besser fühlte.
Die junge Frau konnte sich das alles nicht erklären, wie kam sie in diesen Wald und vor allem, warum war sie allein? Immer wieder kreisten die Gedanken um die Tatsache, dass sie sich nicht mehr in der Wüste befand. Ein Gefühl, das einen wahnsinnig machen konnte.

Mit der Zeit wurde das Surren in ihrem Kopf leiser und die Geräusche des Waldes drangen sukzessiv zu ihr durch. Hoffnung keimte in ihr auf, wenn sie wieder etwas hören konnte, konnte sie vielleicht auch bald wieder etwas sehen. Sie lauschte eine ganze Weile den Geräuschen, die natürlich sehr unheimlich erschienen, vor allem da sie kaum Licht und Schatten unterscheiden konnte. Dann hörte sie es laut knacken, als ob jemand auf einen Ast gestiegen war.
Der Blutdruck stieg augenblicklich, die Atemfrequenz steigerte sich. Das Mädchen suchte mit den Augen etwas und konnte doch nichts sehen, sie grub die Finger der rechten Hand in das Moos, mit der linken konnte sie sich nicht bewegen. Ihr Herz raste, der Mund wurde trocken. Was auch immer da jetzt auf sie zukam, sie war nicht in der Lage sich zu wehren. Beinahe wünschte sie sich, dass sie immer noch nichts hören könnte.

Es raschelte und knackte nun direkt neben ihr. Sie hatte das Gefühl, als beuge sich jemand über sie und daraufhin spannte sie jeden Muskel in ihrem Körper. Die Schulter tat ihr weh, aber sie würde sich sicherlich nicht ohne Gegenwehr töten lassen.
Dann hörte sie eine Stimme, die seltsame, knackende, knurrende und zischende Laute von sich gab. Das Zischen und Schnarren auf der anderen Seite reagierte.

Jemand kniete neben ihr nieder und wartete einen Moment, bevor er ihren rechten Arm fest packte und auf den Boden drückte. Sie fing an, wie wild, um sich zu schlagen, mit wenig Erfolg.

Er sprach mit ihr und lachte sie aus.
Sein Lachen verwirrte die junge Frau und sie versuchte zu sprechen.
»Lass es!«, fuhr er sie an, »Das ist der Sprung, das dauert, bis es wieder geht.« Was? Was für ein Sprung? Das Mädchen war jetzt völlig verwirrt, was ging hier vor? Diese elende Angst wollte nicht weichen. Sie hörte ihn abermals zischen, knurren und knacken und wieder schien ihm etwas zu antworten.

Mit seinem Knie drückte er ihre rechte Schulter fest zu Boden, woraufhin sie einen Schmerzschrei ausstieß. Er nutzte die Gelegenheit und flößte ihr etwas ein, wechselte blitzschnell seine Hand und hielt Mund und Nase zu, bis sie schluckte, dann ließ er locker und stand auf.

Die junge Frau hatte einen abscheulich bitteren Geschmack im Mund, sie hustete und würgte, gleichzeitig krümmte sie sich vor Schmerzen.
Vom Mund heraus breitete sich ein schreckliches Gefühl aus. Wie eine Welle verteilte sich das Gift und betäubte ihre Nerven rasend schnell.
Was hatte er ihr gegeben?
Sie spürte, wie es langsam auf den ganzen Körper betraf, wie es sich immer mehr ausbreitete.
Während sie immer ruhiger wurde, verlor sie die Kontrolle über ihren Körper.
Ein Betäubungsmittel. Sie sollte möglichst wenig Schmerzen haben, dennoch war sie bei Bewusstsein.
Nach einer Weile beugte er sich über sie, sie spürte seinen Atem in ihrem Gesicht, unfähig sich zu bewegen. Sie hörte, wie er spöttisch sagte,
»Jetzt werden wir sehen, was für ein Soldat du bist.«
Danach hatte er sie gepackt. Sie spürte noch, wie er mit einem Ruck die Klaue in ihrer Schulter bewegte und dann verlor sie das Bewusstsein.

* * *

Zzila hatte sie entdeckt. Das kleine Limfieweibchen war den Menschen sehr wohlgesonnen, was für ihren Partner leider nicht zutraf. Karr mochte den Menschen nicht und zeigte das immer wieder offen und ohne Scheu. Er hatte schon einmal schlechte Erfahrungen mit einem Menschen gemacht. Dem Mann, der früher in der Höhle wohnte, der hatte ihn gejagt und wollte ihn wohl essen. Menschen waren primitive Geister, sie gierten nach Waffen aus Stahl, um sich letztlich gegenseitig zu töten. Warum sollte man also diesem Menschen hier helfen?
Das Wesen war verletzt und die Natur würde schon dafür Sorge tragen, dass die Bestandteile nicht ungenutzt vergehen. Zzila war da anderer Ansicht. Sie dachte zwar auch, dass die Menschen nicht wirklich intelligente Wesen waren. Zu viel Hass herrschte unter ihnen und das war alles andere als zivilisiert. Das Limfieweibchen sah das Erscheinen des Mannes aber als Zeichen. Ihre Großmutter hatte ihr davon berichtet, dass es in ihrer Kindheit Menschen gab. Gute Menschen, die versuchten etwas Vernünftiges hier aufzubauen und leider scheiterten. Sie hatte erzählt, sie seien wieder gegangen und hätten vorhergesagt, dass eines Tages wieder Menschen kommen würden. Mit guten Absichten, wichtig für den Planeten. Wobei Zzila zugeben musste, dass Markus sich in vielen Dinge einfach völlig idiotisch benahm. Sie glaubte an das Gute im Menschen, also setzte sie sich auch für dieses Wesen ein. Als an diesem Tag nun die Frau erschien, war das für Zzila ein gutes Zeichen. Bald würden wieder Menschen auf Katalis leben. Hoffentlich friedlich.

Unterschlupf

Ich musste nicht weit gehen, wobei ich dieses Fliegengewicht wahrscheinlich noch einige Kilometer weiter hätte tragen können.
Warum schickte man solch ein zartes Wesen an die Front?
Das konnten tatsächlich nur Galier, die schickten auch Kinder in den Krieg.
Die Lafaree hatten natürlich auch Frauen in ihren Truppen, aber nicht so zarte, zerbrechliche Wesen. Ich würde aber noch merken, wie sehr ich mich in dieser Annahme täuschte. Das Mädchen war wehrhaft wie eine Katze.
Eine Sache hatte sich jetzt bewahrheitet. Auf gar keinen Fall würde ich so enden, wie mein Vorgänger. Sollten sich etwa noch mehr Gegebenheiten bewahrheiten? Diese wichtige ‘Sache’ von der Zzila immer sprach, vielleicht?

An meinem Unterschlupf angekommen, legte ich sie vorsichtig auf den Boden. Der Efeu verbarg zwar recht gut meinen Eingang, dennoch hatte ich Schilf zu großen Matten geflochten, um den Durchgang fester zu verschließen. Ich hatte mich ja damit abgefunden, meinen Lebensabend hier zu verbringen, also wollte ich für mich die größtmögliche Sicherheit. Ich weiß nicht, womit ich rechnete, oder wer mich hier unangekündigt besuchen sollte. In zehn Wintern war es nicht geschehen. Aber egal, ich hatte so das Gefühl, in einem Haus zu leben und nicht in einer Höhle, wie ein Urmensch. Allerdings fühlte ich mich manchmal so. Wie ein Höhlenmensch, so all ohne den Stahl.
Nein, es gab keine Erze hier. Zumindest nicht oberflächlich, vielleicht konnte man sie tief im Fels finden, aber selbst dann gab es ja keine Möglichkeit, das Feuer so heiß zu schüren, dass es diese Erze auch schmelzen könnte. Das fehlte hier, allerdings gab es genug zu essen und meine Fähigkeiten in der Jagd sorgten dafür, dass ich auch regelmäßig etwas Fleisch auf dem Tisch hatte.
Ich hob sie an und trug sie über die Schwelle und genau so fühlte sich das an.
Ich wollte nicht, dass sich das so anfühlte. Sie war nicht meine Frau!
Diese verdammte Einsamkeit machte mir gerade einen gewaltigen Strich durch meine Rechnung. Alles, was ich mir auf dem Weg hierher vorgenommen hatte, war dahin. Ich versuchte, dieses Gefühl abzuschütteln.
Ich wollte sie auf keinen Fall als etwas anderes sehen, als das, was sie war. Eine galische Frau, die durch Zufall hier gelandet war. Das wollte ich mir einreden und ich wollte mir unbedingt einreden, dass sich da auf gar keinen Fall etwas anderes entwickeln würde, als eine Art Duldung.
Gut, zu Beginn würde sie selbst dafür Sorge tragen, dass ich mich erst einmal nicht anfreundete. Wie zuvor erwähnt, es war mir noch nicht nach Vergebung.
Sie würde ohnehin noch für ein wenig Aufregung sorgen und bis dahin sollte ich es genießen, dass sie schlief.

Ein Lafaree und ein Galier

Wie schnell würde sie begreifen, dass dies hier überhaupt keine Rolle spielte? Wie schnell würde ich selbst akzeptieren, dass dies gar keine Rolle spielen darf?
Vorsichtig legte ich sie auf meinen Schlafplatz. Ich befreite sie von ihrer Uniform und positionierte sie so, dass sie bequem lag. Unter den verletzten Arm legte ich ein zusammengerolltes Fell, um Schmerzen zu vermeiden. Ich deckte sie zu und machte mich daran, meine Öllampe zu entzünden. Danach entfachte ich mein Feuer und setzte den Tontopf auf die Flammen. Ich füllte Wasser hinein und zerhackte etwas Gemüse. Die Knochen meines letzten Mahls, gab ich ebenfalls hinein, etwas Salz und ein paar Kräuter. Kurz darauf fing das Wasser an zu kochen und nach und nach durchflutete der würzige, angenehme Geruch der Suppe die Höhle. Das konnte einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Ja, ich hatte hier einiges gefunden, um mein Leben angenehmer zu machen. Allerdings hätte ich mich weitaus schwerer getan, hätte ich nicht die wertvollen Hinweise meines Vorgängers gefunden. Auch die Limfies waren sehr hilfreich, vor allem, was Obst und Gemüse anging.

Das Mädchen würde noch viel Kraft brauchen, bis diese Wunde zugeheilt war. Ich hoffte, sie würde wenigstens so lange schlafen, bis die Nebenwirkungen des Sprungs verschwanden. Nicht mal meinem größten Feind wünschte ich das Gefühl, dass ich hatte, als ich feststellte, dass ich alleine bin. Also würde ich jetzt nicht gehen, ich würde warten, bis sie zu sich kam.
Ich setzte mich auf meinen Stuhl, holte die Klaue aus dem Beutel und betrachtete sie. Das würde eine gute Waffe geben, damit würde sich bestimmt gut jagen lassen.

Es dauerte mehrere Stunden, bis die Kleine wieder zu sich kam. Ich hatte unterdessen die Klaue mit meinen Steinen bearbeitet und die kräftigende Brühe kochte ebenfalls vor sich hin.

Ich malte mir in den verschiedensten Konstellationen aus, wie sie wohl reagieren wird, wenn sie mich zum ersten Mal sieht. Meine Herkunft wollte ich nicht verbergen. Ich war nun mal ein Lafaree, sogar ein von Lork. Der Sohn des Lafaree, dem es gelungen war, die Stämme zu vereinen. Meinem Vater gehörten die Wiesen, die Felder und die Wälder des Lork, so nannte man das Land, auf dem mein Stamm lebte. Fruchtbar und natürlich sehr begehrenswert für die Galier. Diese Edelleute waren so arrogant, sie unterhielten Bedienstete, die ihnen die Arbeit abnahmen. Ihre Untertanen wurden eher wie Sklaven behandelt und nicht wie die Bürger eines Volkes. Bei dem Gedanken musste ich meinen Kopf schütteln.

Ich dachte daran, dass wir uns ja auch optisch von den Edelleuten unterschieden.

Die Lafaree waren gebildete Menschen. Dennoch bestellten sie ihre Felder selbst, sammelten die Früchte des Waldes und gingen auf die Jagd. Die Männer und Frauen kümmerten sich gemeinsam um Haus und Hof. Frauen durften alles werden, was sie wollten, da wurden ihnen keine Grenzen gesetzt. Mit sechzehn durchliefen alle Kinder ihr Initiationsritual, in dem sich alle ihre Bestimmung suchten. Jeder meisterte seine Herausforderung und erhielt als Belohnung sein Tattoo. Wir Lafaree waren stolze Menschen, hart im Nehmen, raue Schale, weicher Kern und das trugen wir nach außen.
Als Mann war man bärtig, tätowiert, trug einen Irokesen und Zöpfe, die gerne mit diversen Metallen verziert wurden. Dazu dann eine lederne Montur mit Fell, schwere Stiefel und meist auch hier Metall zur Zierde. Lafaree-Frauen waren natürlich etwas feiner gekleidet, sie hatten keinen Irokesen, aber durchaus sehr gepflegte Haare mit Zöpfen und Knoten. Ihre Körper trugen ebenfalls einige Tätowierungen, jede einzelne davon mit einem besonderen Hintergrund.

Mein Vater hatte die Stämme vereint. Das Buschvolk der Ugwadule, das Waldvolk von Vildskov, das Bergvolk von Harmaapatra, und mit den Ebenen von Lork waren das die vier Hauptstämme der Lafaree.

Über die Galier wusste ich nur, dass sie in einer monarchistischen Struktur lebten. In ihren Städten gab es zwei Schichten von Menschen, die Reichen und die Armen. Die Armen waren hauptsächlich Bauern und Bedienstete, die gnadenlos ausgebeutet wurden.
Mein Wissen über deren Lebensweisen oder gesellschaftliche Strukturen war somit erschöpft. Ich wusste tatsächlich nicht viel über meinen Feind.
Während ich mir also meine Gedanken machte und an der Klaue herum schnitzte, schlief das Mädchen tief und fest.
Zweimal prüfte ich, ob sie überhaupt noch atmete, denn sie bewegte sich überhaupt nicht.

Meine Kleidung hatte nach all den Jahren nicht mehr viel mit der traditionellen Kleidung eines Lafaree zu tun. Ich nutzte Flachs, dem ich, auf einem Stein, die Samen abschlug und ihn danach in Wasser einlegte. Nach dem Trocknen zog ich die Fasern so lange über ein Holz, bis sich eine weiche Faser daraus ergab. Ich verspann mit einem kleinen Stein und einem Ast die Fasern zu einer einigermaßen gleichmäßigen Schnur und verwebte diese dann zu einem Stoff. Mit einem gespaltenen langen Dorn gelang es mir dann, Stoffstücke daraus zu fertigen, um Hemden und Hosen daraus zu nähen. Einige Felle meiner Beutetiere, nicht alle, behandelte ich, indem ich sie in einem Aschebad von Haaren und dem Fett befreite. Danach wusch ich es gründlich aus, ließ es trocknen und klopfte es langwierig, damit ich es später, mit Lederbändern verknüpft, tragen konnte. Neben meinem Wurfspeer hatte ich mir Pfeil und Bogen gebaut. Alles aus Holz, die Sehne aus Darm, damit konnte ich gut jagen gehen. Zu Essen gab es hier genug, der Wald strotzte nur so von Essbarem, wilde Gemüse, Obst und natürlich Wild. Eigentlich genau wie in der Heimat, es hatte nur eine Ewigkeit gedauert, bis ich herausgefunden hatte, was davon genießbar war und was nicht.
Es dämmerte bereits, als sich das Mädchen zum ersten Mal bewegte. Als ihre Bewegungen immer häufiger wurden, stand ich auf, füllte eine Schale mit Suppe, legte den Löffel hinein und stellte sie auf den Boden vor dem Bett. Es war besser, sie würde mich erst von der Ferne sehen. Es würde ohnehin eskalieren und ich wollte nicht gleich wieder grob werden, wobei ich befürchtete, dass ich das erneut werden müsste.
Ich beobachtete sie. Bestimmt hatte sie noch den widerlich bitteren Geschmack im Mund. Wahrscheinlich denkt sie, sie sei in ihrem Bett. Das hatte ich ja auch gedacht. Ich konnte an ihren Bewegungen abschätzen, was da gerade in ihrem Kopf vorging. Sie überlegte wahrscheinlich, ob sie in Feindeshand war oder bei einem Freund. Beides nicht ganz falsch – ich musste schmunzeln.
Nun, wenn sie nicht dumm war, dann sollte sie mittlerweile bemerkt haben, dass ihre Wunde ordentlich versorgt worden war. Welcher Feind würde so etwas tun?
Komm schon Mädchen, sieh mich an …
In dem Moment drehte sie sich zu mir.
Sie zog die Beine an, setzte sich abrupt auf und rutschte mit dem Rücken zur Wand. Sie hatte mich offensichtlich erkannt und offensichtlich hatte sie sich auch schon wieder selbst wehgetan. Armes Ding, wie furchterregend musste ich doch wirken, sodass sie mich wie paralysiert anstarrte.
Unweigerlich musste ich lachen. Ich richtete mich dabei auf, was zur Folge hatte, dass die Kleine sich noch mehr zusammenkauerte und vor Schmerz stöhnte. Ich holte tief Luft und konnte mir den zynischen Unterton nicht verkneifen, als ich sagte: »Die Begrüßung habe ich mir tatsächlich freudiger vorgestellt.«
Wie gerne hätte ich jetzt in ihre Gedanken sehen wollen, sie zog jedenfalls das Fell dicht an sich und fragte,
»Was willst du?«, und fügte ein, »Wo bin ich? Was mach’ ich hier?«, gleich hinzu.

Ich achtete darauf, mich nicht zu sehr zu bewegen, denn ich wollte ihr nicht noch mehr Angst machen. »Ich will gar nix, du bist in meinem Haus, du ruhst dich aus«, antwortete ich kurz und bündig.
»Willst du mich verarschen?«, schmetterte sie mir mutig entgegen.
»Nein, wie kommst du darauf?« Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. Keine Panik, sie war immerhin verletzt.
»Ich war in einem Hinterhalt, das wart ihr, ihr habt die Gronk auf uns gehetzt«, sprudelte nur so aus ihr heraus.

Ich rutschte mit dem Stuhl ein wenig herum, um ihr direkt gegenüber zu sein, beugte mich leicht nach vorn, stützte die Ellenbogen auf die Knie, wischte mir über die Mundwinkel und sagte, »Erstens weiß ich nicht, was ein Gronk ist und zweitens war ich seit gut zehn Jahren nicht mehr im Krieg.«
»Du lügst!«, platzte es aus ihr heraus.
»Warum sollte ich das tun?«, fragte ich sie.
»Weil du ein Lafaree bist!«, schrie sie.
»Ach …«, ich musste unweigerlich laut lachen, »… das reicht also, um ein Lügner zu sein.«
»Du willst mich nur durcheinander bringen, damit ich einen Fehler mache!«, schmollte sie jetzt.
Irgendwie fing sie gerade an, sich irgendetwas zu konstruieren. Vielleicht, weil nicht sein konnte, was nicht sein darf?
»Überleg doch mal«, ich griff nach der Klaue, zeigte sie ihr und fuhr fort, »hätte ich dir wirklich diese Klaue aus der Schulter geholt, wenn ich dich töten wollte?«
Jetzt hatte es ihr die Sprache verschlagen. Ich nutzte die Sprachlosigkeit, deutete auf die noch dampfende Suppe und sagte mit Nachdruck: »Iss!«

Ich beobachtete, wie sie auf die dampfende Schüssel schielte. Sie musste Hunger und Durst haben. Ich sah, wie sie an den Rand des Bettes rutschte und in dem Moment, als sie sich hinunterbeugte, fiel ihr offensichtlich auf, dass ich sie entkleidet hatte. Ich hatte das tatsächlich nicht bedacht, denn ich wollte es ihr eigentlich nur bequem machen. Die schwere Soldatenmontur war einfach nichts für einen geschwächten Körper.
»So ist das also, ich bin deine Beute«, sagte sie trocken.
Da sie mich eingehend ansah, vermute ich, dass sie versuchte, meinen Gesichtsausdruck zu erfassen. Ich lehnte mich zurück, strich mir mit beiden Händen durch das Gesicht, atmete einmal tief ein und antwortete: »Ich wusste ja, dass das nicht so einfach wird, aber …«
»Was aber? Ich bin doch nicht blöd oder welchen anderen Grund sollte es haben, dass ich noch am Leben bin!«, fiel sie mir ins Wort.

Kopfschüttelnd sagte ich ernst: »Iss, es wird sonst kalt«, und nach einer kurzen Pause fragte ich, »Wie ist dein Name?«
Erneut beugte sie sich nach vorn, um nach der Suppe zu greifen, zuckte stöhnend zurück. Ich fragte: »Soll ich sie dir reichen?«
»Nein, bleib, wo du bist und mein Name ist Leila«, fauchte sie zurück.
Mit der Andeutung einer Verbeugung sagte ich grinsend,
»Es ist mir ein Vergnügen, MyLady. Sie können mich Markus nennen.«
Leila betrachtete mich skeptisch, fischte nach der Schüssel, angelte sie sich nach oben und begann zu löffeln. Sie wagte es nicht, einen Blick von mir zu nehmen, so fest schien sie davon überzeugt, dass ich ihr jeden Moment an den Pelz gehen würde.
Eilig löffelte sie die Gemüsestücke heraus und trank direkt aus der Schüssel.
Irgendwie konnte ich meine Blicke nicht von ihr lassen.
Als ich aufstand und zur Feuerstelle ging, keifte sie: »Komm mir ja nicht zu nahe!« Jetzt musste ich mich am Riemen reißen, das ging mir auf die Nerven. Noch ein wenig mehr und ich könnte sie möglicherweise packen. Ich versuchte, so gelassen wie möglich zu wirken. Als ich mir selbst einen Becher mit Suppe füllte, wandte ich mich kurz ihr zu und fragte: »Noch was?«
»Geh weg!«, fauchte sie nur.
Als ich mich wieder setzte und meine Suppe aus dem Becher trank, wurde ich von ihr misstrauisch beobachtet. Ihre Augen funktionierten offensichtlich wieder einwandfrei, denn kurz, nachdem ich das gedacht hatte, muss sie meine Tätowierungen entdeckt haben. Der Gesichtsausdruck war einfach nicht anders zu deuten. Sie hatte gerade begriffen, dass ich kein No-Name war und natürlich würde sie denken, dass sie mir ausgeliefert sein musste. Ich war nun mal ein Offizier der gegnerischen Armee. Im Nachhinein kann ich wirklich nicht sagen, was genau dazu führte, dass sie ausrastete, ich kann nur sagen, dass ich nicht mal mehr zu Wort kam. Zuerst stellte ich meinen Becher auf den Tisch und blickte sie an. Sie erwiderte den Blick, aber wenn der töten könnte, wow.
Wie sollte ich ihr am verständlichsten erklären, was hier eigentlich los war und wo sie sich tatsächlich befand. Just in dem Moment, in dem ich ansetzen wollte, fing sie wieder mit der Beutetheorie an. Sie steigerte sich bereits hinein. Ich hatte noch nie ein Talent darin, Dinge zu erklären und genau deswegen gelang es mir auch nicht, ihr diesen Zahn zu ziehen. Bemerkenswert hart im Nehmen war sie, das musste ich neidlos anerkennen. Erst eine Reise durch ein interstellares Portal und das mit durchbohrter Schulter, und jetzt sie kämpfte wie eine Löwin. Wie sollte ich sie jetzt wieder herunterholen, sie fing an, sich da in etwas hineinzusteigern und als ich abermals aufstand, wirkte sie bereits hysterisch.
Da platzte mir der Kragen.
Ich wirbelte herum, war schneller neben ihr, als ihr lieb war, packte sie am Hals, riss sie auf die Füße und drückte sie gegen die Wand. Mit voller Absicht ließ ich sie meinen ganzen Körper spüren und drückte meine Wange gegen ihre. Sie konnte sich keinen Millimeter bewegen, geschweige denn sprechen, denn meine eine Hand drückte fest auf ihren Kehlkopf. Ruhig, mit meiner tiefsten, rausten Stimme flüsterte ich ihr ins Ohr.
»Oh ja, ich könnte eine ganze Menge, jetzt und jederzeit. Ich habe dir das Leben gerettet, du schuldest mir was.«
Mein Griff war grob und fest.
»Dankbarkeit wäre angebracht«, zischte ich ihr noch ins Ohr und ließ sie los. Ich ging einen Schritt zurück und brüllte sie an, »Oh ja, ich bin ein Mann und ich hatte lange keine Frau«, blickte ihr wütend ins Gesicht, als ich etwas leiser hinzufügte, »Ich bin aber kein Schwein!«

Mit diesen Worten packte ich meine Jacke, griff meinen Bogen und meinen Speer und bevor ich die Höhle verließ, befahl ich: »Schlaf, ruh dich aus. Ich werde dir morgen erklären, worum es hier geht.«
Danach überließ ich sie ihren Gedanken und folgte meinen, hinaus an die frische Luft, meinen Ärger vergessen. Was bildete sich dieses Weib ein? So ging man mit mir nicht um, schließlich hatte ich ihr nichts getan.
Ich wusste nicht, dass ich sie völlig verwirrt hinterließ. Wir wussten beide praktisch nichts von dem anderen und sie war mir tatsächlich völlig ausgeliefert. War das nun gut so? War das gewollt?
Ich musste begreifen, dass ich durch mein Auftreten ihre Reaktionen verursachte. Mir musste etwas einfallen, einen Vertrag schließen?
Was sollte dieser beinhalten?
Waffenstillstand?
Zum allerersten Mal war ich wirklich froh, dass es auf Katalis kein Metall gab. Wie leicht hätten wir uns gegenseitig aufgeschlitzt. Im Kampf, im Schlaf oder bei sonstigen Gelegenheiten. Vergebung – dabei hatte ich immer noch so gar keine Lust darauf. Ja, genau meine Wut war mir sehr ans Herz gewachsen, aber es war ungerecht, es an ihr auszulassen. Wenn ich mich nicht verschätzte, war dieses junge Ding gerade mal ein Teenager, als Anna starb. Wie konnte ich sie für etwas verantwortlich machen, was ihre Vorfahren getan hatten?
Wir beide mussten diesen Krieg beenden, hier und jetzt. Sie war auf mich angewiesen und ich musste jetzt endlich auch mal ehrlich zu mir sein. Ich genoss diese Abwechslung, auch wenn es erst nur der Streit war. Ich hatte einen Menschen um mich. Aber wie brachte ich sie jetzt dazu, mir zuzuhören?

* * *

Markus hatte die junge Frau völlig verwirrt zurückgelassen. Sie hatte die ganze Situation falsch gedeutet. Nach dem Aufwachen fühlte sie sich noch so wohl, so behütet und aufgehoben. Es war warm. Sie war sorgfältig zugedeckt worden und die Schulter hatte man auch ordentlich versorgt. Erst als sie sah, mit wem sie es zu tun hatte, bekam sie Angst. Als sie dann feststellte, dass er sie entkleidet hatte und sie offensichtlich in seinem Bett lag, zählte sie eins und eins zusammen.
Dann bemerkte sie dieses Dornentribal. Sie hatten ihnen in der Ausbildung erklärt, wie diese zu lesen waren. Lafaree, bei denen die Dornen bereits zum Kopf gereichten, waren die schlimmsten Mörder. Jeder Dorn ein Sieg, jeder Dorn ein getöteter Galier. Sie schmückten sich mit ihren Gräueltaten und es war ja auch bekannt, dass sie vor Frauen und Kindern keinen Halt machten.
Die Situation, in der Leila steckte, konnte für sie gar nichts anderes bedeuten. Sie waren in der Wüste besiegt worden und nachdem der Gronk sie nicht umgebracht hatte, wurde sie von diesem Lafaree verschleppt, in diesen Wald gebracht und nun müsste sie ihm gefügig sein. Das wollte sie nicht. Das war einfach unvorstellbar. Auf keinen Fall, nicht mit so einem ungehobelten Klotz. Nein, niemals, auf keinen Fall.
Und ja, Leila steigerte sich da in etwas hinein. Als er sie abermals packte, seine Macht über sie eindrucksvoll demonstrierte, fühlte sie sich in der Annahme bestätigt.
Sie rechnete bereits mit dem Schlimmsten. Dachte, er würde sich sofort über sie hermachen und sie danach töten, würde sie sich jetzt wehren. Überraschenderweise ließ er sie einfach los. Damit hatte sie am allerwenigsten gerechnet. Das brachte das Chaos in ihrem Kopf erst recht durcheinander. Was sollte sie jetzt davon halten. War es nun, wie sie dachte oder wollte er etwas ganz anderes?

Seine Worte hallten in ihren Ohren. »Oh ja, ich bin ein Mann und ich hatte lange keine Frau – ich bin aber kein Schwein!«
Er hatte sie so fest gepackt und so angebrüllt, sodass ihr das durch Mark und Bein fuhr. Und jetzt saß sie heulend auf dem Bett und er war weg. Er hatte ihr befohlen, zu schlafen, und er würde ihr morgen alles erklären. Was wollte er ihr erklären? Sie fühlte sich so ausgeliefert und so unendlich alleine. Sie rollte sich zusammen und versteckte sich unter dem Fell.
Vorsichtig, sodass die Schulter nicht schmerzte, wiegte sie sich in den Schlaf. Viele Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie haderte mit ihrem Schicksal. Dennoch wünschte sie sich, dass sie das alles überleben würde. Sie wollte noch nicht sterben, nicht heute und auch nicht morgen.

Katalis

Für den Moment hatte ich sie also ihren Gedanken überlassen. Ich hoffte, sie würde begreifen, dass ich ihr nichts getan hatte. Im Gegenteil, ich hatte die Klaue entfernt, die Wunde gesäubert und versorgt. Zudem lag sie gerade in meinem Bett und ich hatte sie soeben weder verprügelt noch anders misshandelt. Ich wollte, dass ihr das durch den Kopf ging. Ich würde sie nicht anfassen, dessen war ich mir schon sicher.

Wobei man ja solche Vorsätze eigentlich gar nicht fassen sollte. Vor allem, wenn man alleine mit einer hübschen Frau auf einem Waldplaneten war. Ich atmete einmal tief durch, meine Gefühle gingen offensichtlich gerade mit mir durch. Daran durfte ich in diesem Moment noch gar nicht denken. Ich würde sie nicht anfassen. Das machte ich mir immer wieder klar.

Ich hoffte, sie würde die Zeit nutzen, um sich auszuruhen, nachzudenken, zur Besinnung zu kommen. Wir befanden uns in einer vertrackten Situation. Tatsächlich war sie noch gar nicht in der Lage, das Ausmaß dieser Misere zu erfassen. Leila, ein hübscher Name für eine hübsche Frau. Ihre braunen, glatten Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Das Gummiband hatte den Sprung überlebt, allerdings war sie mittlerweile so zerzaust, als käme sie aus einem anstrengenden Zweikampf. Sie war schlank, sehr schlank, was ihr Becken und ihre Brust ebenfalls betraf. Ich lächelte, als ich feststellte, dass ich mir darüber Gedanken machte. Vielleicht schätzte ich sie genau deswegen jünger ein, als sie war. Sie hatte eben immer noch etwas Kindliches an sich. Ansonsten war sie mit ihren zweifarbigen Augen, die vor lauter Hass richtig hell funkeln konnten, hübsch anzusehen.
Ich schüttelte mich kurz, meine Gedanken mussten sich wieder beruhigen. Ich stand vor der schier unlösbaren Aufgabe, ihr zu erklären, wo wir uns befanden.

Im Mondschein begab ich mich nochmals zu der Steinformation. Vielleicht war noch etwas zu finden, vielleicht hatte sie irgendeinen Hinweis mitgebracht und er war mir nur noch nicht aufgefallen. Vielleicht brachten die Steine die zündende Idee, wie ich das jetzt anstellen sollte.
Ich blickte nach oben, das fahle Licht des kleinen Mondes, zusammen mit dem Gasriesen, schien durch die Baumkronen und erhellte mir den Weg. An dem Tag meiner Ankunft standen die Planeten in der gleichen Konstellation. Sollte das vielleicht etwas bedeuten? Nein, jedes Jahr um diese Zeit standen die Planeten in dieser Konstellation und nie war etwas passiert. Ich stand direkt unter der großen Stele, unter der Leila heute Morgen gelegen hatte. Ich blickte an ihr herauf,
»Was für ein Geheimnis hältst du für mich bereit?«, fragte ich laut und berührte den Stein.

Ich spürte die Vibrationen wie ein angenehmes Kribbeln an der Handfläche. Je länger meine Hand auf dem Stein verweilte, desto intensiver spürte ich, wie sich die Vibration im ganzen Körper fortsetzen. War sie stärker als sonst, oder bildete ich mir das nur ein? Ich drückte die Hand fester dagegen und schloss die Augen. Vielleicht konnte ich fühlen, was auf der anderen Seite geschah, aber es passierte nichts anderes als sonst. Ich wünschte mir so sehr, hindurch gehen zu können, zurück nach Hause. Ich musste wieder an meinen ersten Tag hier denken und ich dachte an meine Angst. Jetzt hatte ich auch etwas Mitleid mit Leila. Sie musste ebenfalls Angst gehabt haben und jetzt hatte sie auch noch Angst vor mir. Ich war ihr körperlich deutlich überlegen und sie hatte recht, wenn ich wollte, könnte ich mir jederzeit alles nehmen, was mir in den Sinn kam.
Ich überlegte, was ich damals getan hatte, nachdem ich sehen konnte, wo ich war. Richtig, ich war nach einem kleinen Irrweg, bergan gegangen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Von wo konnte man sich einen besseren Überblick verschaffen als von oben.

Jetzt hatte ich die Antwort auf die schwierige Frage, wie ich Leila begreiflich machen konnte, wo sie sich befand. Dort hatte ich schließlich begriffen, dass ich mich keinesfalls noch auf der Erde befinden konnte. Ich würde sie mit der Morgendämmerung mit hinauf auf den Berg nehmen. Wenn sie das sehen würde, würde sie hoffentlich begreifen, in welcher aussichtslosen Situation wir uns beide befanden. Dann würde sie mir hoffentlich auch zuhören und verstehen, dass wir miteinander auskommen müssen. Es bleibt uns doch nichts anderes übrig, wir haben keine Wahl. Wir können hier nicht mehr weg, außer ein überirdisches Wesen würde uns wieder nach Hause lassen.

Ich konnte nicht wissen, wie sehr unsere beiden Kulturen noch aufeinanderstoßen würden. Auch ich musste lernen, dass wir beide eine Vergangenheit hatten, die wir erst hinter uns lassen mussten. Ich konnte nicht wissen, was diese junge Frau in ihrem kurzen Leben schon ertragen musste. Als ich mich auf den Rückweg machte, ging mir noch durch den Kopf, dass so ein Marsch möglicherweise zu anstrengend für sie werden könnte. Ich verwarf den Gedanken. Sie war ein zähes kleines Biest und ich war mir schon sicher, dass sie völlig genesen nicht so leicht zu kontrollieren wäre.
Zurück in der Höhle, sah ich, dass sie sich unter dem großen Fell zusammengerollt hatte und schlief.
Ich kramte ein paar Felle zusammen und richtete mir ein Lager auf dem Boden. So leise wie möglich legte ich noch etwas Holz nach und löschte die Lampe. Ich entkleidete mich und legte mich zum Schlafen.

Früher als geplant wachte ich wieder auf. Es war einfach zu unbequem, hier auf dem Boden. Mühsam rappelte ich mich auf und lächelte, du wirst alt mein Freund, dachte ich und streckte mich. Ich schlüpfte in meine Hose, legte einen Holzscheit in die Glut und verließ die Höhle auf ein Bad im Quellteich.

Als ich zurückkam, weckte ich Leila.
»Steh auf, wir gehen«, sagte ich kühl.
Sie schreckte hoch, brauchte offensichtlich ein paar Minuten, um zu realisieren, wo sie sich befand.
Ich hatte mich gerade mit nacktem Oberkörper herunter gebeugt, um meine Stiefel zu schnüren, als ich spürte, dass sie mich anstarrte. Ich richtete mich auf und blickte sie an. Ihr Mund stand offen, sie sagte keinen Ton.
»Ist was?«, fragte ich schroff.
»Wow«, entwich es ihr.
»Was, wow?«, hakte ich nach.
»Nichts, ich dachte nur …«, begann sie und brach ab.
»Was, wir haben keine Zeit, mach schon, wir müssen los!«, entgegnete ich möglichst emotionslos. Ich hatte gesehen, dass sie mich angestarrt hatte und ich war mir jetzt nicht ganz sicher, ob es meine Tattoos waren, die sie irritiert hatten, oder mein Körperbau.
»Wo gehen wir hin?«, fragte sie.
»Du möchtest doch wissen, was hier los ist. Ich kann es dir nicht erklären, also zeige ich es dir«, antwortete ich und fügte hinzu, »Zieh dich an, wenn die Sonne aufgeht, wird es heiß und der Weg ist lang und steinig.« Mit diesen Worten legte ich ihre Sachen auf das Bett.

Ich werde mit ihr reden müssen, dachte ich, der Boden ist auf Dauer zu hart.

Ich hatte das Gefühl, sie wollte mich etwas fragen, aber sie schwieg. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, wandte ich mich ab, während sie sich anzog. Als sie fertig schien, drehte ich mich zu ihr und kontrollierte mögliche Schwachstellen. Ihre Hosen schlossen unten nicht richtig ab. Das war gefährlich, nicht nur wegen der Egel. Ameisen und andere Krabbeltiere konnten auch leicht die Beine hinaufklettern. Auch wenn deren Bisse nicht ganz so extrem waren wie die von einem Egel, so waren sie dennoch sehr unangenehm. Ich ging in den hinteren Teil der Höhle und kramte zwei gute Lederstücke und ein paar Lederbänder heraus. Ich ging in die Knie und wollte sie um ihre Wade schlingen. Sie zog den Fuß zurück.
»Halt still!«, befahl ich.
»Nein«, entgegnete sie.
»Halt still!«, schnauzte ich erneut und packte ihren Fuß. Abermals zog sie ihn weg. Ich blickte sie verärgert von unten her an und sagte,
»Es gibt hier ein paar unangenehme Krabbelviecher, wenn du möchtest, dass sie dir die Hosenbeine hinaufklettern, bitte. Wenn nicht, mache ich sie dir so zu, dass da kein Käfer mehr reinkommt.«
»Was?«, fragte sie erstaunt.
»Gib her«, sagte ich und packte ihren Fuß erneut. Ich schlang das Leder um die Wade, stopfte die Enden in ihren knöchelhohen Stiefel und befestigte es mit zwei Lederbändern, die ich fest verknotete. Wortlos ließ sie sich noch das zweite Bein verpacken. Als ich fertig war, klopfte ich kurz gegen ihr Schienbein und sagte, »Fertig, lass uns gehen.«
Ich kniete vor ihr und blickte ihr direkt in das Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, jedenfalls wirkte sie jetzt nicht mehr so verbissen, so verärgert wie am Vortag. Sie hatte wirklich faszinierende Augenfarben, man konnte da gar nicht wieder wegsehen.
– Schlag dir das aus dem Kopf, Junge, sie ist wie Feuer und Wasser gleichzeitig und sie ist immer noch dein Feind! –

Ich löschte die Lampe und wir verließen die Höhle. Nachdem ich den Eingang wieder sorgfältig mit den Schilfmatten verschlossen hatte, drapierte ich den Efeu erneut so davor, dass man die Höhle nicht erahnen konnte.

Dann ging ich ohne große Worte voran.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie.
Ich antwortete ihr nicht.
Eine Weile liefen wir schweigend durch den Wald.
Erstaunlicherweise stellte sie keine weiteren Fragen, sondern folgte mir, ohne zu murren. Mit Sicherheit machte sie sich ihre Gedanken über diesen Wald. Wenn sie nicht ganz dumm war, und davon ging ich aus, dann waren ihr die Besonderheiten schon aufgefallen. Nach einer ganzen Weile fragte sie erneut,
»Wo gehen wir hin?«
Ich musste lächeln, dieses Mädchen war wirklich erstaunlich, so gar nicht Edelfrau, so wie ich sie erwartet hätte. Sie war Galier, die machten sich oft nicht gerade ihre Hände dreckig. Vielleicht war sie ja eine Bedienstete, die zum Dienst gezwungen wurde. Allerdings wusste ich, dass häufig die jungen Edelleute zum Militär gingen, um sich einen Namen zu machen. Jedenfalls beeindruckte mich ihre Schweigsamkeit.
»Wir gehen nach oben auf den Berg, von dort kann man besser sehen«, antwortete ich ihr. Ich erwartete schon, dass sie jetzt weitere Fragen stellen würden, aber das tat sie nicht. Schweigend folgte sie mir, ohne weitere Fragen. Wir machten nur Pause, um etwas Wasser zu uns zu nehmen. Die Ziegenmägen eigneten sich hervorragend zum Wassertransport und der Inhalt reichte gut für einen Tag. Zwei hatte ich gefüllt und diese orangefarbenen Kapi-Beeren, wie die Limfie sie nannten, hatte ich auch eingepackt. Alles also gut durchdacht. Als ich ihr eine Beere reichte, beobachtete ich genau ihre Reaktion. Sie betrachtete sie eingehend und nachdem ich mir, völlig sorglos, eine in den Mund steckte, biss sie vorsichtig ab. Die Beeren waren ja wirklich köstlich, da überraschte es mich nicht, dass sie den ganzen Rest gleich in den Mund steckte. Sie fragte mich nicht danach.
Was hätte ich gegeben, für einen Blick in ihren hübschen Kopf. Ich hatte ja schon daran gedacht, dass dieses Mädchen hart im Nehmen ist, aber diese Wanderung, mit der verletzten Schulter, bei der steigenden Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, ohne Murren durchzuziehen, beeindruckte mich wirklich. Der erste Eindruck bestätigte sich.
Eine ganze Weile gingen wir über felsigen Grund bergauf. Dass wir den Baumwipfeln jetzt ganz nahe waren, musste ihr aufgefallen sein. Sie erwähnte das mit keinem Wort. War sie nicht neugierig? Machte sie sich keine Gedanken darüber?
Bei Sonnenaufgang mussten wir nur noch über ein paar Felsen zum Plateau hinauf. Wir waren schon eine Weile nicht mehr umgeben von den Bäumen. Abermals hatte sie keine einzige Frage gestellt. Ich wunderte mich sehr, die Unterschiede zu einem Wald auf der Erde mussten ihr doch aufgefallen sein. Aber konnte es vielleicht sein, dass sie noch gar nicht sonderlich viel von der Welt gesehen hatte? Hatte sie gar keine Bücher gelesen?
Ich hievte mich auf das Plateau, reichte ihr die Hand und zog sie auf den obersten Felsen. Da standen wir nun, weit über den Wipfeln der Bäume, freie Sicht in alle Richtungen und sie blickte in den Sonnenaufgang. Die Luft war noch kühl, der Himmel wolkenlos. Das Timing hätte gar nicht besser sein können. Ich hatte so gehofft, dass wir rechtzeitig hier sein würden, damit sie sehen konnte, wie die Sonne aufgeht und der Doppelmond am Horizont verschwindet. Wie oft war ich hier oben und hatte die verschiedenen Konstellationen der Sonnenauf- und -untergänge beobachtet und jedes einzige Mal traf mich die grauenvolle Gewissheit, hier völlig allein zu sein. Jetzt stand ich hier oben und blinzelte in die Sonne. Zum allerersten Mal war ich nicht mehr allein. Ich drehte mich um, um die Schönheit der Monde zu genießen. Leila tat es mir gleich, mit offenem Mund.

So weit das Auge reichte, gab es hier nur Wald. In alle Richtungen nichts anderes als Wald. Nirgendwo war auch nur die kleinste Andeutung einer Zivilisation zu erkennen. Lediglich ein breiter Fluss war zu sehen, der den Wald ein Stück lang teilte. In dessen Wasser spiegelte sich die aufgehende Sonne, bis er dann schlussendlich im satten Grün verschwand. Was für eine wunderschöne Natur und was für eine grausame Einsamkeit.

Gemeinsam sahen wir die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne über den Wipfeln der Bäume und den wolkenlosen Himmel. Während auf der anderen Seite der Gasriese, der in den Farben eines Regenbogens schimmerte und der wesentlich kleinere Mond, im Begriff waren, am Horizont zu verschwinden.
Ich wartete ab, ließ das Ganze auf sie wirken.
Mit einem deutlichen Zittern in der Stimme fragte sie, »Wo sind wir?«
Ich drehte mich einmal um mich selbst und deutete auf den Wald.
»Das ist Katalis.«
»Der Wald?«, fragte sie.
»Nein, das ist der Planet.«
Leila sackte auf ihre Knie.
Ich stand neben ihr und blickte in den Sonnenaufgang.
»Wo sind die Anderen?«, fragte sie.
»Welche Anderen?«, stellte ich die Gegenfrage.
»Unsere Kameraden, wo sind sie?«
»Tot, am Leben, ich weiß es nicht, sie sind jedenfalls nicht hier«, antwortete ich.
Sie fing an zu weinen und das tat mir wirklich sehr leid.
»Kannst du mir jetzt glauben, dass ich dir nie etwas Böses antun wollte?«, fragte ich sie.
Sie schluchzte nur.
»Da du jetzt weißt, wo wir sind, steht es dir frei, zu gehen. Es liegt mir nichts daran, dich gewaltsam festzuhalten«, sagte ich sanft und reichte ihr die Hand.
Sie griff diese und richtete sich auf. Ich blickte ihr in das Gesicht und wischte ihr eine Träne von der Wange. »Ich biete dir die Möglichkeit, bei mir zu bleiben, dann sind wir beide nicht so allein. Ich möchte das aber an Bedingungen knüpfen. Nenn es einen Vertrag.«
Sie hatte meine Hand immer noch in ihrer, drückte diese und sagte,
»Was hab’ ich denn für eine Wahl?«
Ich fuhr mit dem Zeigefinger der anderen Hand unter ihr Kinn und hob den Kopf leicht an. Sie musste mir jetzt direkt in die Augen blicken. »Ob du irgendwann als Frau zu mir gehören willst, ist und bleibt ganz allein deine Entscheidung. Ich verlange von dir, dass du alles tust, um uns beide hier am Leben zu halten. Ich muss mich darauf verlassen können, so wie du dich auf mein Versprechen, dich nicht anzufassen, verlassen kannst.«
Das war mir so spontan eingefallen, ich wusste nun auch nicht, ob ich mir da nicht etwas zu viel zugemutet hatte oder nicht. Ich wollte nur einfach diese Situation entschärfen. Ich war ja der festen Ansicht, dass ich diesen Planeten nie wieder verlassen würde.
Offensichtlich hatte es ihr die Sprache verschlagen. Sie sah mich immer noch ungläubig an und hielt meine Hand. Vielleicht wusste sie nicht, was sie darauf antworten sollte, also nahm ich ihr das ab.
»Du musst dich nicht sofort entscheiden, lass uns gehen. Es wird bald sehr heiß und wir sollten vorher noch versuchen, etwas zu Essen zu finden. Den Rest können wir bei einem guten Mahl besprechen«, schlug ich vor. Wir machten uns auf den Heimweg und wechselten kein Wort. Sie wirkte völlig in Gedanken, als ich sie bat, leise zu sein, damit ich den Hasen unweit von uns erlegen konnte.
Sie wirkte auf mich völlig emotionslos, als ich beim ersten Versuch den Hasen erlegte und ihn noch vor Ort ausnahm. Ich pflückte noch ein paar Beeren und stieß dabei zufällig auch noch auf ein paar Pilze. Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber sie beobachtete mich dabei, völlig ohne sichtbare Zeichen einer Emotion. War das nun ein gutes Zeichen? Sie war offensichtlich völlig in ihre Gedanken versunken. Ich trieb sie zur Eile, denn ich wollte in der Nähe der Höhle sein, bevor es zu warm wurde, um sich lange außerhalb aufzuhalten. Immerhin befand sich vor dem Höhleneingang eine freie Fläche, die ich gerne zum Grillen nutzte. Ich blickte in die Wipfel der Bäume. Noch tropfte der Tau, wir sollten durchaus noch ein paar Stunden haben, bevor wir den Schatten suchen mussten.

* * *

Leila hatte in der kurzen Zeit wirklich schon sehr viel durchmachen müssen. Zuerst wacht sie verletzt in einem Wald auf, obwohl sie sich zuvor in einer Wüste befand. Dann wurde ihr von einem Fremden ein Mittel verabreicht, welches sie außer Gefecht setzte. Stunden später erwachte sie in einer Höhle, in einem Bett und musste voller Entsetzen feststellen, dass ihr ‘Retter’ ein General der feindlichen Streitkräfte war. Es war doch einfach nur logisch, dass sie all die schrecklichen Schlussfolgerungen aus der Situation zog. Wer sollten denn auch auf so eine absurde Idee kommen, dass man auf einen anderen Planeten gesprungen war. Sie wusste doch so wenig darüber.

Und nun hatte er sie auch noch vor Morgengrauen aus dem Bett gescheucht. War doch der Traum so süß gewesen, so wurde sie ziemlich unsanft zurück in die Realität geschleudert. Er hatte sie nur angestoßen, damit sie endlich aufstehen würde.
Schlaftrunken hatte sie ihn angesehen und konnte ihre Augen nicht mehr abwenden. Abgesehen von diesen dunklen Haaren, die zum Teil ordentlich geflochten und zum Teil verfilzt waren, wirkte er überhaupt nicht ungepflegt oder unsauber.
Über das Dornentribal, das sich an der linken, kahl geschorenen Schädelseite befand, war sie in der Ausbildung aufgeklärt worden. Es hieß, dass sich anhand der Dornen der Rang eines Soldaten ablesen ließe. Was aber nicht erklärt worden war, dass der gesamte Oberkörper tätowiert war. Verschiedene Bilder, die sich perfekt ineinanderfügten. Leila starrte ihn an und überlegte, ob das wohl alles eine Bedeutung haben könnte. Sie wusste nicht mehr, was sie von all dem denken sollte. Er war grob zu ihr gewesen, aber war das wirklich seine Absicht? War sie nicht eher über das Ziel hinausgeschossen, als sie ihm vorwarf, er würde Böses im Schilde führen? Er hatte ihr tatsächlich nichts getan. Und jetzt wandte er sich auch noch respektvoll ab, sodass sie sich anziehen konnte.
Bevor sie die Höhle verließen, machte er sie nochmals sprachlos.
Er kniete vor ihr nieder, um ihre Beine vor Insektenbissen zu schützen. Auch das hatte sie erst missverstanden.
Und dann blickte er auch noch zu ihr auf. Dieser bärtige Koloss mit den sanften braunen Augen. Das war schon sehr seltsam, also beschloss sie, einfach einmal das zu tun, was er sagte. Er wollte ihr zeigen, wo sie waren, das hatte er jedenfalls gesagt.
Diese Wanderung durch den Wald hatte sie sich aber nicht so anstrengend vorgestellt. Der Arm und die Schulter schmerzten und jeder Schritt fiel ihr schwer.
Es war schwül und die Feuchtigkeit legte sich auf die Haut und die Kleidung. Der Wald war ohnehin sehr seltsam.
Da waren Pflanzen und Blumen, die sie noch nie gesehen hatte. Die Bäume waren riesig im Vergleich zu denen auf den Ländereien ihres Vaters und die Baumkronen schlossen sich über ihnen zu einem Dach. Die Vegetation war üppig und immer wieder entdeckte sie zwischen den unbekannten Pflanzen, die ein oder andere, die sie kannte. Nur waren diese um ein Vielfaches größer. Es roch erdig nach Moos, Pilzen und Holz. Die Gerüche unterschieden sich nicht von denen, die sie kannte.
Sie entdeckte einen Hasen, der eilig ins Unterholz hoppelte. Die Größe der Ameisen, die ihren Weg kreuzten, erschreckte sie dann doch. Die waren mindestens drei Zentimeter lang und schwarz wie Pech. Ihr Hinterleib erinnerte an kleine schwarze Oliven. So ein Vieh hätte sie wirklich nicht gerne in ihrem Hosenbein gehabt. Machte er sich tatsächlich Sorgen um ihr Wohlbefinden, oder war das alles einfach nur Teil seines Plans? Wollte er sie in Sicherheit wiegen, damit sie ihm vertraute und dann? In dem Moment, als sie sich Gedanken darüber machte, war er geradewegs durch das Gestrüpp gegangen und der Ast, der hinter ihm zurückschlug, hätte sie beinahe getroffen. Sie konnte ihn gerade noch abwehren, indem sie ihn mit ihrer rechten Hand festhielt.
Einen winzigen Moment betrachtete sie diesen Ast. Das war ein Farn, ein riesengroßer Farn, so groß wie ein Baum. Was für ein Wald war das?
Aufmerksam hatte sie während der Wanderung die Umgebung beobachtet. Irgendwie war das alles so seltsam. Als sie anhielten, um etwas zu trinken, reichte er ihr diese Frucht. So eine Frucht hatte sie noch nie gesehen, aber das musste ja nichts heißen. Immerhin war sie noch nicht weit gekommen in ihrem Leben. Erst als er eine ganze Beere in den Mund steckte, traute sie sich, davon zu kosten.
Was für ein herrlich fruchtiger Geschmack. Sogleich schob auch sie sich die ganze Frucht in den Mund. Das war wirklich angenehm, denn die Gemüsesuppe vom Vorabend war nicht gerade ausreichend, um für einen so ausgedehnten Fußmarsch vorbereitet zu sein.

Wenig später hatten sie die Baumgrenze erreicht und konnten zum ersten Mal von oben auf den Wald blicken. Noch konnte man nicht alles sehen, nur dass schon bald die Sonne aufgehen würde. Das war seltsam, die ganze Zeit war es schon so hell gewesen, als würden um sie herum die Sonne aufgehen. Was machte es hier so hell, wenn die Sonne noch gar nicht zu sehen war?
Es war noch wenige steinige Schritte bis zum Gipfel. Er hatte ihr die Hand gereicht und sie nach oben auf das Plateau gezogen. Als sie sich oben aufrichtete, konnte Leila bis zum Horizont nur Wald erkennen und diesen riesigen Fluss, der sich irgendwo im Wald verlor. Als Markus auf den Wald deutete und ihr sagte, dass dies Katalis sei, dachte sie, er meinte den Wald. Er sagte aber, es sei der Planet. Also einer dieser funkelnden Sterne, die sie gerne am Himmel beobachtet hatte? Das erschien ihr unmöglich. Leila beschloss aber, ihm erst einmal zu glauben. Vielleicht würde er ihr das noch erklären. Wie sollte das gehen?
Der Blick auf die riesengroße, in Regenbogenfarben schillernde Kugel, verschlug ihr dann die Sprache. So etwas gab es auf der Erde nicht. Hatte er wirklich recht, waren sie zu den Sternen gereist? Leila rang nach Luft und ging in die Knie. Das war nicht ihre Heimat, dessen war sie sich sicher. Hatte er wirklich nicht gelogen?
War er tatsächlich schon seit Jahren nicht mehr im Krieg?
Wo waren die anderen? Alle tot oder waren sie in der Heimat geblieben?

Für sie eröffnete sich die Gewissheit, dass es wohl absolut keinen Sinn machen würde, wegzulaufen. Wo sollte sie hin? Sie war nicht so mutig und schon gar nicht fit genug, um das hier alleine durchzustehen.
Und dann kam er mit diesem Vertrag. Woran dachte er, als er ihr sagte, dass sie entscheiden könne, ob sie als Frau zu ihm gehören wollte oder nicht. Wollte er also doch mehr, oder stimmte all das, was er gesagt hatte, dass er schon so lange hier alleine war. Zumindest bot er ihr eine Wahl. Das hatte sie seit ihrer Heirat nicht mehr gehabt. Leila versank völlig in Gedanken, als sie den Rückweg antraten. Sicher registrierte sie, dass er mithilfe eines simplen Holzbogens einen Hasen erlegte und ihn mit einem scharfen Steinsplitter aufschlitzte und ausnahm.
Sie registrierte auch das völlige Fehlen von Metall. Aber all das half ihr nicht, eine Entscheidung zu finden. Was für einen Vertrag wollte er schließen und hatte sie überhaupt Einfluss darauf?
Würde er ihr gestatten, ihre eigene Meinung dazu zu äußern? Nur am Rande registrierte sie, wie er noch Pilze und Früchte sammelte. Immer wieder hatte sie sein Gesicht kontrolliert. Sie hatte das Gefühl, er würde sofort eine Antwort von ihr erwarten. Aber da war nichts. Kein fordernder Blick, nichts.
Das verunsicherte sie noch mehr, war sie es doch gewohnt Befehle zu erhalten und sich dem unterzuordnen. Und genau das tat sie, sie ordnete sich bereits wieder unter, auch weil sie wusste, dass sie niemals alleine hier überleben würde. Sie war für so ein Leben nicht geboren. Er hatte das aber geschafft und wenn es stimmte, was er gesagt hatte, dann ging es ihm nicht darum, über sie zu herrschen, sondern darum, nicht mehr alleine zu sein. War das nun gut oder schlecht? Darauf musste sie sich zwangsläufig einlassen.

* * *

Was trieben eigentlich die Limfies, während Markus versuchte, die Differenzen zwischen sich und Leila beizulegen?
Er hatte seine beiden Freunde gebeten, ihm etwas Zeit mit ihr alleine zu lassen, bevor er ihr das noch zeigen würde. Karr war sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. Insgeheim hoffte er, dass sich Zzila nicht mehr so häufig bei dem Menschen aufhielt. Sie brauchte ihn nicht mehr zu bemuttern, schließlich hatte er jetzt sein eigenes Weibchen. Ja, neben den schlechten Erfahrungen mit Markus Vorgänger, war Karr eifersüchtig. Seine Partnerin verbrachte eindeutig zu viel Zeit mit diesem Menschen. Leider musste er feststellen, dass sein geliebtes Weibchen regelrecht dem ersten Zusammentreffen, mit dem Menschenweibchen, entgegen fieberte.
Zzila war so neugierig.
Wie war dieses Menschenweibchen, würden sie sich paaren?
Würden sie dadurch die Prophezeiung, von der die Großmutter immer sprach, erfüllen und dieser Planet würde bald wieder von menschlichem Lachen erhellt werden? Ja, Zzila liebte es, wenn Markus lachte, es klang viel freundlicher als das, unter Limfies übliche ‘nock, nock’. Während Karr die Ruhe genoss, platzte Zzila vor lauter Ungeduld. Dieser Mensch war wie ein Experiment, ein Studienobjekt.
War es vielleicht möglich, dass die Menschheit ohne Metall endlich eine friedliche Lebensweise entwickeln würde, oder würden sie abermals jede erdenkliche Waffe ersinnen, um sich gegenseitig den Garaus zu machen?
Ja, diese kleinen flauschigen, blauen Katzenwesen mit den großen gelben Augen waren wesentlich intelligenter, als es den Anschein hatte. Auch wenn sie für Markus und später auch für Leila den absoluten Niedlichkeitsbonus hatten, so würde ihr Einfluss große Auswirkungen auf das Geschehen haben. Die beiden waren Mitglieder einer gesunden Population. Einheimische dieses Planeten und durchaus in der Lage, sich ausreichend zu verteidigen, sollte das Experiment schiefgehen.
Schließlich hatten sie das schon einmal getan, vor Generationen.

Der Vertrag

Ich hatte so viele Früchte sammeln können, wie in meinen Beutel passten. Mit einem Lederband hatte ich die Läufe des Hasen zusammengebunden und ihn mir so über die Schulter geworfen. Leila beobachtete mich permanent und sagte kein Wort. Als wir dann endlich am Vorplatz zu meiner Wohnhöhle angekommen waren, war ich mir nicht ganz sicher, ob wir den Hasen nicht erst abends grillen sollten, es würde schon bald heiß werden und dann war ein zusätzliches Feuer nicht gerade sehr zuträglich. Ich entschloss mich für gleich. Sorgsam öffnete ich den Efeuvorhang und entfernte die Schilfmatten. Die leeren Ziegenmägen hängte ich über die Ecke einer der Matten. Mit dem Beutel voller Obst tat ich es ebenso. Ich hängte den Hasen an einem Felsvorsprung auf, damit ich ihm später das Fell abziehen konnte.
Ich holte meinen Stab, mit dem ich die Feuerstelle auflockerte.
Abermals beobachtete mich Leila nur dabei. Sie könnte sich ruhig nützlich machen, dachte ich verärgert und lenkte ein. Ich atmete einmal tief ein, sammelte mich und sagte so ruhig wie möglich,
»Könntest du bitte dort hinten etwas Holz holen?«
Sie blickte mich aufmerksam an und fragte, »Wo finde ich welches?«
Ich deutete nach rechts und erklärte,
»Wenn du den Trampelpfad entlanggehst, dann wirst du automatisch auf ein paar Äste stoßen. Die sind vor ein paar Tagen vom Wind abgerissen worden. Nimm nur das, was du auch tragen kannst. Wir müssen zu große Äste ja irgendwie klein bekommen und wie du sicherlich schon gesehen hast, hier gibt es keine großartigen Werkzeuge.«
Sie nickte mir zu und verschwand eilig.
Während sie also ein paar Äste zusammensammelte, richtete ich mit meinem eingelagerten Holz die Feuerstelle her. Mit einem Zunderschwamm und etwas abgeschabter Holzspäne gelang es mir relativ schnell ein Feuer zu entfachen. Diese beiden Feuersteine begleiteten mich seit meinen ersten Tagen hier und waren wirklich zu zuverlässigen Werkzeugen geworden. Gerade als ich mich hinunterbeugen, um die Glut noch etwas anzupusten, kam sie mit einem Armvoll Äste. Klug war sie, sie hatte nur solche gewählt, die man leicht zerbrechen konnte. Geduldig wartete sie, bis ich mich wieder aufrichtete.
»Wo soll ich das hinlegen?«, fragte sie.
»Gleich hier zu mir«, sagte ich und deutete auf den Boden vor meinen Füßen. Ich hielt sie auf, als sie gleich wieder loswollte, um weitere Äste zu holen.
»Geh bitte hinunter zum Quellteich und fülle die Ziegenmägen mit Wasser«, sagte ich und deutete ihr die Richtung an. Ohne zu murren, griff sie sich die beiden Schläuche und ging in die angegebene Richtung.

Ich brachte das Feuer in Gang, häutete den Hasen und machte ihn fertig, um ihn über das Feuer zu hängen.
Nachdem ich noch ein paar Äste in handliche Stücke gebrochen und geschlagen hatte, machte ich mir Gedanken um sie. Sie war jetzt schon eine ganze Weile dort unten am See. Ich ging also, um nachzusehen. Sie wird doch nicht tatsächlich weggelaufen sein? Als ich sie dann aber dort unten am See hocken sah, fühlte ich mich erleichtert. Sie war also doch nicht dumm, aber sie saß da, wie angewurzelt und starrte ins Wasser. Ich näherte mich vorsichtig und sah, dass sie ihr Spiegelbild betrachtete. Sie wirkte traurig und ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte.
Vorsichtig sprach ich sie an,
»Alles in Ordnung?«
Erschrocken fuhr sie herum und starrte mich an.
Sie zögerte einen Moment und sagte,
»Ja, es ist nur, weil …«
»Wir reden später, der Hase ist schon auf dem Feuer«, unterbrach ich sie. Wortlos fügte sie sich und folgte mir sogleich. Oben angekommen, hängte sie die gefüllten Ziegenmägen wieder an die Ecke der Schilfmatte und wollte schon wieder gehen.
»Wohin willst du?«, fragte ich sie.
Sie deutete nach rechts.
»Dort hinten liegen noch ein paar Äste, ich wollte sie noch holen.«
»Gut, aber dann sollten wir nach deiner Schulter sehen«, sagte ich und wandte mich ab.
Ich kontrollierte kurz den Hasen und suchte dann die Reste meiner Heilpaste zusammen.
Richtig, ich wollte ja noch nachsehen, ob ich die Pflanzen für eine neue Mischung finden konnte. Beim Blick in den Tontiegel wusste ich, dass ich das auch noch unbedingt tun müsste. Ich überlegte, vielleicht konnte ich Leila damit beauftragen. Das war keine schwere Arbeit und sie müsste trotz Beeinträchtigung durchaus in der Lage sein, das zu tun. Als ich die gewebten Leinenstoffe durchging, hatte ich gleich die nächste Arbeit für sie gefunden. Flachs hatte ich bereits reichlich vorbereitet, dieser musste nur versponnen und verwebt werden. Wir würden auf jeden Fall neue Kleidung benötigen.

Als ich die Höhle wieder verließ, versuchte sie gerade einen Ast zu zerbrechen und tat sich mit der verletzten Schulter sehr schwer.
»Gib her«, sagte ich zu ihr.
Sie schüttelte den Kopf und versuchte, einen Ast über das Knie zu brechen. Es blieb bei dem Versuch, mit der ruckartigen Bewegung zuckte sie schmerzerfüllt zusammen.
»Lass mich das machen!«, schnauzte ich sie an und fügte hinzu, »Danach sehe ich nach deiner Wunde.«
Wütend warf sie den Ast auf den Boden, drehte sich von mir weg und setzte sich, mir den Rücken zugewandt, an das Feuer. Schmollte sie jetzt?

Ich ging neben ihr in die Knie und wendete den Hasen. Dann blickte ich sie an.
Sie hatte eine tiefe Zornesfalte auf der Stirn und hielt sich verbissen den Arm.
»Lass sehen!«, forderte ich sie auf. Verärgert schnaubte sie aus, ließ aber ihren Arm los und richtete sich auf.
»Was ist los mit dir?«, fragte ich sie.
»Ich weiß nicht, ich fühle mich so nutzlos. Ich kann nicht mal diese Äste zerbrechen. Wie soll ich dann einen Vertrag erfüllen?«, antwortete sie. Ich stieg noch nicht dahinter, um was ging es?
»Später«, sagte ich trocken, »erst die Schulter und wenn wir gegessen haben, reden wir über den Vertrag. Es verhandelt sich schlecht mit leerem Magen.«

Wortlos entledigte sie sich ihres Hemdes. Jetzt war es natürlich um einiges schwieriger, denn sie würde ganz bestimmt ihr Unterhemd nicht ausziehen. Ich musste aber genau dort hin, wo der Träger lag.
»Könntest du bitte den Träger etwas wegziehen, oder mit dem Arm herausschlüpfen? Ich muss genau dort die Wunde versorgen.«
Sie blickte mich verwundert an und ich hatte das Gefühl, dass sie ganz bestimmt nicht das tun würde, was ich jetzt von ihr verlangte.
Ich war hungrig und müde, meine Knochen schmerzen von der Nacht auf dem Boden und ich wollte, verflixt noch einmal, endlich fertig werden, um mich etwas zu entspannen.
»Stell dich nicht so an, ich guck dir schon nichts ab!«, fauchte ich wütend und bereute es in dem Moment, als es mir über die Lippen rutschte. Ich war mir doch dessen bewusst, was dies Mädchen gerade alles durchmachte. Ich wollte sie doch eigentlich nicht verärgern und eigentlich war ich ja auch gar nicht … doch ich war grob und ich war auch manchmal sehr verletzend. Schon immer, auch Anna gegenüber. Sogar meine besten Freunde stieß ich früher öfter vor den Kopf. Bevor ich hierherkam, war ich völlig außer Kontrolle geraten. Dann war ich hier allein und alles war egal und jetzt, oh Mann, wie konnte ich. Gerade hatte sich die Lage zwischen uns beruhigt und jetzt – hatte ich wirklich alles wieder ruiniert? Eingeschüchtert und etwas sehr umständlich schlüpfte sie aus dem Träger ihres Unterhemdes und zeigte mir die Schulter. Ich entfernte die Tücher und warf sie sogleich ins Feuer. Dann stand ich auf und holte einen der Ziegenmägen.
Ich befeuchtete ein weiteres Tuch und wusch zuerst die Stellen um die Wunde sauber. Letztlich tupfte ich vorsichtig darüber. Es sah wirklich gut aus. Keine Rötungen entlang der Wundränder. Die Paste schlug gut an. Vorsichtig verteilte ich nochmals reichlich und deckte es mit einem großen frischen Tuch ab. Ich half ihr, das Hemd wieder richtig anzuziehen, damit das Tuch auch dort blieb. Danach überließ ich sie sich selbst.
Ich holte meine Steinsplitter, um den Hasen zu zerteilen, zog ihn vom Feuer und zerhackte ihn, auf einem großen Stein, den ich extra an der Feuerstelle deponiert hatte, in handliche Teile. Ich reichte ihr den einzigen vorhandenen Teller mit einer Hasenkeule.
Mit meinem Stock stach ich in die Glut und holte eine gegarte Knolle heraus, die ich gleichzeitig mit dem Hasen dort deponiert hatte. »Du musst nur die Schale entfernen«, sagte ich und streifte die Knolle auf ihren Teller.
Sie blickte mich scheu von der Seite an und nachdem ich anfing zu essen, tat sie es mir gleich.
Gesättigt streckte ich mich, stand auf und holte ein paar Kapi-Beeren, als Nachtisch. Ich reichte ihr welche und setzte mich wieder. Eine Weile saßen wir schweigend in der Hitze, bis sie anfing zu sprechen.
»Was soll ich tun, um diesen ‘Vertrag’ zu erfüllen?« Sie betonte diesen ‘Vertrag’ so extrem, als würde sie ihr Todesurteil unterschreiben.

Ich blickte sie erstaunt an.
»Ich … warte mal, du verstehst das falsch, dieser Vertrag soll für uns beide sein!«
Ich war überrascht, was dachte sie denn?
»Was?«, fragte sie und blickte mich mit großen Augen an.
»Nun, wir stellen ein paar Regeln auf, gegenseitig. So was, wie wir uns die Arbeiten, die nötig sind, aufteilen. Wasser holen, Beeren sammeln, jagen, Feuer machen, Holz holen, Flachs verarbeiten und verweben, Leder gerben und so viele weitere Dinge.«
»Ich …«, sie setzte ab, »ich dachte, ich muss mich dir jetzt unterwerfen, weil …«
»Leila, wir sind hier allein, niemand befindet sich hier im Krieg und ich sagte dir schon, dass ich dich nicht zwingen werde, bei mir zu bleiben. Es wär nur schön, weil wir sonst beide allein wären, aber das bleibt einfach auch deine Entscheidung.« Ich hoffte inständig, dass ich die Situation wieder gerettet hatte, aber was dachte sie denn eigentlich, dass ich sie jetzt zur Sklavin machen würde? Sie überlegte. Wie gern hätte ich ihre Gedanken gelesen.

»Ich kenn das nicht«, antwortete sie deprimiert.
»Was kennst du nicht?« Mir war überhaupt nicht klar, in welcher Zwickmühle sie steckte.
»Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber Frauen treffen keine Entscheidungen. Über sie wird entschieden«, begann sie. Jetzt stand mir der Mund offen, ich hatte mit viel gerechnet – nun ja, genau genommen wusste ich gar nicht, womit ich gerechnet hatte, aber bestimmt nicht damit, dass die Galier ihre Frauen wie Sklaven hielten. Ich tat mich wirklich schwer, jetzt etwas zu erwidern.
»Das musst du mir genau erklären«, sagte ich ganz ruhig.
»Das ist bei uns so. Als Kind haben wir noch ein paar Freiheiten. Vorausgesetzt, man wird im Hochadel geboren, so wie ich. Dienerinnen haben nie das Vergnügen einer unbeschwerten Kindheit.«
Das erstaunte mich, sie war also eine Adlige, vielleicht wirkte sie deswegen so zart.
»Dann bist du freiwillig den Streitkräften beigetreten, oder?«, fragte ich sie.
Sie blickte mich an und antwortete, »Nein, ich sagte doch, das entscheiden wir Frauen nicht. Das hat mein Mann entschieden.«
»Dein Mann?«, fragte ich ungläubig und fügte, »Warum?«, hinzu.
»Ich kann keine Kinder kriegen, ich bin ihm nicht edel und fein genug, ich repräsentiere ihn nicht ausreichend und außerdem empfand er mich als langweilig.«
Aus dem Augenwinkel registrierte ich eine Träne, die da langsam ihre Wange herunterrann.
»Er hat dich also verstoßen. Dann ist es also in Wirklichkeit noch viel schlimmer, als ich dachte. Sie machen wirklich vor gar nichts Halt.«
Das ging mir gerade so unter die Haut. Daher kam also die Respektlosigkeit, mit der mein Dorf vernichtet worden war. Sie hatten vor nichts Halt gemacht. Es ging also beim Mord an meiner Frau um mich, um meinen Besitz und um mich mit dem Missbrauch an ihr zu demütigen, nicht daran, dass man mir den wundervollsten Menschen an meiner Seite genommen hatte. Eine Frau war für die also nur ein Gegenstand, den man beliebig austauschen konnte, wenn man wollte. So langsam fügte sich das ineinander. Deswegen hatte sie so hysterisch reagiert. Sie hatte gedacht, ich mache … ich konnte es nicht fassen.
»Ich weiß nicht, was ich jetzt dazu sagen soll.«
Mir fiel es tatsächlich schwer, etwas Vernünftiges dazu zu sagen. Es brodelte in mir, ich hasste die Galier so sehr und ich merkte, dass es sich tatsächlich nur auf Männer bezog.
»Warum? Ist das bei euch etwa anders?«, fragte sie.
»Selbstverständlich«, entwich es mir empört. »Das verstehe ich nicht. Ich dachte, eine Frau ist bei euch auch nichts wert. Eure Kämpfer haben sich schließlich auch an ihnen vergangen und sie getötet. Man sagte mir, ihr würdet da keine Gnade kennen und wenn man in Gefangenschaft gerät, wäre ein Bordell dagegen noch gnädig!«, brachte sie hervor.
»Bitte? Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich und fügte sogleich an: »Sicher gibt es bei uns auch Kerle, die sich gern hervorheben wollen und sich auch mächtig danebenbenehmen. Auch könnten die Rechte unserer Frauen durchaus noch mehr denen der Männer angepasst werden, aber wir sind auf einem guten Weg dorthin gewesen, bis eure Männer uns überfallen haben!«
»Uns erzählt man das Gegenteil. Das will ich nur mal erwähnt haben«, warf sie aggressiv ein. Ich fasste es nicht, sie erzählte mir gerade, dass Frauen in ihrer Gesellschaft überhaupt keine Rechte haben und im gleichen Atemzug macht sie mir Vorwürfe über mein Volk. In mir brodelte es.
»Was hat man euch erzählt?«, hakte ich nach.
»Sie erzählten uns, dass die Tätowierung an eurem Schädel eine Auszeichnung ist. Jeder Dorn steht für ein Leben, das ihr genommen habt. Ihr seid barbarische Tiere, nichts anderes und genau so haust ihr und benehmt ihr euch!«
Sie schrie mich fast an. Ich strich mir mit der Hand über das Tribal, atmete tief ein, um mich etwas zu beruhigen.
»Du weißt nichts über mein Volk, du kennst weder meine Sitten noch Bräuche. Du kennst mich jetzt seit zwei Tagen und du überschüttest mich mit Vorwürfen, die einer Prüfung niemals standhalten würden. Wir führten ein friedliches Leben, bevor unsere Dörfer überfallen wurden. Sie warteten, bis die Jäger aufgebrochen waren. Als sie sich sicher waren, dass wir nicht so schnell zurückkommen würden, überfielen sie das Dorf. Ein Dorf voll mit Alten, Frauen und Kindern. Die Frau meines besten Freundes lag tot vor seinem Haus. Sie hatten ihr das ungeborene Kind aus dem Leib geschnitten. Ich mag nicht viel über eure Kultur wissen, aber du selbst erzählst mir gerade, dass Frauen bei euch keine Rechte haben. Das passt haargenau zu den Erfahrungen, die ich mit euch machen musste. Ich habe meine Familie verloren, meine Frau und meine Tochter. Erst danach, wurden aus den Dornen des Sieges, die Dornen des Todes.«
Ich blickte sie ärgerlich an. Ihr Mund stand offen. Ihre Augenbrauen zog sie zusammen und auf ihrer Stirn bildeten sich abermals die Zornesfalten.
»Du weißt auch nichts über uns!«, fauchte sie beleidigt.
»Wäre ich ein so fürchterlicher Barbar, wie dir erzählt wurde, dann hätte ich mich gleich über dich hergemacht. Du warst mir doch vor wenigen Stunden völlig ausgeliefert. Ist dir das eigentlich nicht bewusst?« Ich suchte nach Argumenten, es fiel mir aber beim besten Willen nichts dazu ein. Also drehte ich den Spieß ein wenig herum.
»Du hast mir gerade erzählt, dass die Männer eures Volkes über euch bestimmen. Wie sieht das aus? Erzähl, damit ich lerne euch zu ‘verstehen’«, forderte ich sie auf und war mir eigentlich schon bewusst, dass mir dieses ‘verstehen’ sehr schwerfallen würde.
»Wie soll ich anfangen?«, fragte sie.
»Ja, wie ist das zwischen euch, wie kann ich mir vorstellen, wie eure Kultur funktioniert, wenn die Männer das Sagen haben und die Frauen gehorchen müssen. Du sagtest, du hast einen Mann, wann habt ihr geheiratet, wie und warum?«
Sie blickte mich erstaunt an, räusperte und begann, »Ich bin vor 27 Jahren als zweites Kind von Baron Klaus von Waddlock und Baroness Katharina von Waddlock zur Welt gekommen. Mein älterer Bruder Christoph starb im Alter von fünfzehn bei einem Reitunfall«, sie setzte kurz ab, seufzte und gab mir damit Zeit das sacken zu lassen. Sie war tatsächlich ein Mitglied des Hochadels.
»Ich war damals zwölf und wurde dem Marquis de Gaullier versprochen«, erzählte sie weiter.
»Wie kann ich mir deine Kindheit vorstellen?«, fragte ich vorsichtig.
»Nun, der größte Teil meiner Kindheit verbrachte ich mit meiner Zofe, die mit mir spielte, spazieren ging, um die Blumenpracht zu bewundern und auch gelegentlich einen Strauß für meine Mutter zu pflücken. Ich hatte eine Vielzahl von schönen Kleidern. Ich lernte, wie ich mich bei Hofe zu benehmen hatte, wie ich mich richtig bewegte. Etikette war überall gefragt, auch zu Tisch. Außerdem hatte ich gut auszusehen, gepflegte Haare und Nägel, zartes Make-up, reine Haut und all solche Sachen«, erklärte sie.
»Lesen? Lerntest du nicht, ein Buch zu lesen?«, fragte ich.
»Studieren ist den Männern vorbehalten, genau wie Reiten, Fechten und andere Sportarten. Ich sagte ja schon, dass mein Bruder bei einem Reitunfall ums Leben kam. Warum? Ist das bei euch nicht so?«, fragte Leila.
»Nun«, begann ich, »das ist wohl einer der ersten Unterschiede. Bei uns lernt jeder das Lesen und Schreiben. Wir haben eine Schule, in der vor allem unsere Alten den Kindern, die Geheimnisse und Wunder dieser Welt beibringen. Ich möchte dich aber nicht unterbrechen, erzähl erst einmal weiter. Du wurdest also diesem Marquis versprochen. Was war das für ein Kerl?« Ich war neugierig geworden, vielleicht beantworteten sich so einige Fragen, die mich schon immer beschäftigten.
»Er sieht gut aus, besitzt viel Land und ist sehr geschickt im Umgang mit seinen Untertanen. Für meine Eltern war das ein guter Handel. Da ich nicht berechtigt bin, die Ländereien meines Vaters zu übernehmen, wird das mein Ehemann tun und meine Eltern bis zu ihrem Ableben dort residieren lassen. Mir war das aber damals nicht wirklich bewusst. Ich war einfach noch zu jung und zu naiv, um den Sinn dahinter zu erfassen. Meine Eltern hatten mich verkauft.«
Sie atmete tief ein und räusperte sich. Ich wollte mich auf keinen Fall zu einer vorschnellen Meinung hinreißen lassen, also fragte ich,
»Das heißt also, du wurdest zwangsverheiratet, oder verstehe ich das falsch?«
»Ja, alle Frauen meines Volkes bekommen den Mann, den die Eltern für sie aussuchen. Wir werden meist sehr früh versprochen und wenig später verheiratet. Wie das jetzt bei den Bediensteten abläuft, weiß ich nicht genau, aber es gibt Gerüchte, dass sich junge Frauen darüber hinwegsetzen und auch heimlich lesen lernen. Ich weiß, dass ich einmal von meinem Vater auf ein Pferd gehoben wurde und er drehte mit mir eine große Runde im Schlossgarten. Ich hätte es so gerne gelernt, das Reiten, aber es war mir verboten.«
Sie blickte traurig zu Boden. Ich atmete tief ein, auf keinen Fall wollte ich mich jetzt im Ton vergreifen, denn mir stellten sich schon die Nackenhaare bei dem Gedanken, dass man den Frauen jegliche Bildung verweigerte. So ganz unbegründet war meine Abneigung gegen dieses Volk also nicht. Wie konnte man solche unmenschliche Regel erstellen und sich dann brüsten, dass dies eine Zivilisation sei?
»Wann wurdest du die Frau des Marquis?«, fragte ich sie.
»Vor zwölf Jahren.« Sie blickte mich direkt an, als sie antwortete.
»Mit fünfzehn?« Das entsetzte mich etwas, bei uns waren das noch Kinder, im Jahr vor dem Initiationsritual, bei dem ihr Erwachsenwerden offiziell bestätigt wurde.
»Lass mich das verstehen, du musstest mit fünfzehn einen Mann heiraten und ihm mit Leib und Seele gefügig sein?«, fragte ich und ekelte mich bei der Vorstellung, einem so jungen Kind zu Leibe zu rücken.
»Ja«, antwortete sie nur und blickte mir weiterhin mitten ins Gesicht.
»Wann und warum hat er dich verstoßen?«
»Ich kann keine Kinder kriegen, außerdem wurde ich ihm langsam zu alt. Jean bevorzugt junge Frauen. Er ist überzeugt, dass ich nicht edel genug für eine Marquise sei und obendrein sei ich langweilig geworden. Die Unfähigkeit, ihm einen Erben zu schenken, gestattete ihm, mich loszuwerden. Natürlich wählte er die Streitkräfte, weil die Wahrscheinlichkeit, hier ums Leben zu kommen, doch viel größer ist, als in einem Bordell.«
Ich sah, wie ihr Kinn zitterte, als sie das sagte.
»Er musste dich also vollständig loswerden. Warum?«, fragte ich.
»Weil er sich nur eine neue Frau aussuchen darf, wenn ich tot bin. Mich einfach so zu beseitigen, wäre zu einfach gewesen. Es wäre aufgefallen und selbst wenn wir Frauen nicht wirklich mehr Wert haben, als die Bediensteten, so hätten meine Eltern ihn wegen Mordes belangen können.«
Ihre Erklärung klang so trocken, so emotionslos. Da erzählte mir eine junge Frau, na gut, besonders weiblich schien sie irgendwie nicht zu sein. Keine großartige Brust, ein sehr schmales Becken, aber vielleicht würde sich das ja noch ändern, wenn sie zu sich selbst finden könnte. Es war mir einfach nicht bewusst, dass ihre Statur nichts mit ihrem Alter, eher mit der Tatsache, dass sie keine Kinder empfangen konnte, zu tun hatte.
»Wie lange ist das jetzt her?«, stellte ich meine letzte Frage. Zumindest wollte ich vorerst nicht mehr wissen.
»Zwei Jahre. Aber jetzt bin ich wahrscheinlich schon für tot erklärt worden und damit ist er frei, sich eine neue Frau zu suchen. Eine, die ihm seinen Erben gebären wird.«
»Was Besseres hätte dir ja dann nicht passieren können.«
Das war mir einfach so herausgerutscht und ich bin ehrlich, das tat mir auch sofort leid. Wobei wir beide vielleicht wirklich in eine Situation geworfen wurden, die gar nicht besser für uns sein konnte. Wäre ich auf der Erde geblieben, dann hätte mich der Hass zerfressen und eines schönen Tages wäre ich ebenso zugrunde gegangen, wie ich viele meiner Gegner zugrunde gehen ließ. Daran hatte ich keinen Zweifel und wenn man das betrachtete, was sie mir gerade erzählt hatte, galt für sie etwas Ähnliches. Wir waren beide am Leben und wir hatten die einmalige Chance etwas ganz Neues aus dieser Situation entstehen zu lassen. Die Chance, unser beider Frieden zu finden.
Ich hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sie begann, »Wie war das bei dir? Wann hast du geheiratet?«
Ich musste unweigerlich lächeln, denn diese Frage spülte einfach wundervolle Gedanken in meinen Kopf. »Ich war zwanzig.«
»Und deine Frau?«
»Auch.«

Augenblicklich sah ich Anna vor mir, ihre wilde rote Mähne, die sie kunstvoll zu einem Zopf geflochten hatte. Ihre grünen Augen, die mich liebevoll betrachteten und diese Sommersprossen auf ihrer Haut. Sie war einfach wunderschön und so klug.
»Wurde sie dir versprochen?«, fragte sie und holte mich mit einer unglaublichen Härte wieder zurück in die Realität.
»Nein, das entscheiden wir immer noch allein«, antwortete ich ihr.
»Jetzt hab’ ich dir so viel von mir erzählt. Fang an, lass was von dir hören. Wie geht das? Wie entscheidet ihr, wen ihr heiraten wollt?«
Sie blickte mich neugierig an.
»Oh, ich kann da nur für mich sprechen, wie das andere entschieden haben, weiß ich nicht. Normalerweise wird da nicht viel darüber gesprochen. Anna war die Tochter eines Freundes meines Vaters. Kalgrim Vildskov, ihr Vater, war das Oberhaupt der Waldstämme und die Stämme des Lork führten gute Beziehungen zu ihnen, also besuchten wir uns häufig. Dort traf ich sie. Den kleinen Bogen beherrschte sie mit so einer Präzision, dass ihr kaum ein Beutetier entging. An ihrem Initiationsritus wurde sie im Wald ausgesetzt und musste, nur mit dem Bogen und einem Messer ausgestattet, völlig allein wieder nach Hause finden. Sie bestand die Prüfung und erhielt die Wurzel ihrer Dornenranke, genau wie ich, nachdem ich den Kampf gegen das Wildschwein überstanden hatte. Wir feierten den Sieg über den Tod. Jedes Mal, wenn mein Vater ihren Vater besuchte, sah ich sie. Wir verbrachten jede freie Minute miteinander. Ich ließ mir von ihr vorlesen, diskutierte bis tief in die Nacht und wir küssten uns heimlich. Ja, wir mussten das eine Weile geheim halten, denn mein Haus war noch nicht fertig. Das war ein ungeschriebenes Gesetz, erst wenn ich es geschafft hatte, ein solides Heim für uns zu bauen, durfte ich um ihre Hand anhalten. Was ich tat. Kalgrim befragte seine Frau und seine Tochter und nachdem ich einstimmig angenommen wurde, feierten beide Dörfer vier Tage lang.«
Ich starrte in die Glut und bemerkte nicht, dass sie mich ansah.
»Sie fehlt dir, oder?«, sagte Leila sanft. Mir entwich nur ein Brummen. So nah wollte ich sie jetzt nicht an mich heranlassen. Ich blickte kurz in den Himmel und sagte,
»Lass uns zusammenräumen und noch etwas Abkühlung im Quellteich suchen, bevor wir uns ein wenig in die Höhle zurückziehen.«
Sie nickte und half mir beim Aufräumen. Wir brachten die Reste in die Höhle, löschten das Feuer. Die Knochen gab ich in die Gemüsesuppe, die ich nebenher für den Abend schon vorbereitet hatte.
Die Schilfmatten stellte ich sorgfältig vor den Höhleneingang und drapierte den Efeuvorhang davor. Wie zuvor erwähnt, es war zwar in all den Jahren niemand in meine Höhle eingedrungen, aber dieses ‘abschließen’ gab mir ein Gefühl von einem Zuhause. Wenig später entledigte ich mich meines Hemds und stieg, diesmal mit Hose in das erfrischende Nass. Ich suchte mir meine seichte Stelle, an der ich mich entspannt etwas zurücklegen konnte und tauchte einmal vollständig unter. Als ich prustend wieder auftauchte, stand sie unschlüssig am Ufer.
»Du kannst ruhig reinkommen, das Wasser ist angenehm kühl und macht die Hitze etwas erträglicher. Du solltest nur auf die Schulter achtgeben. Ich hab’ nicht mehr so viel von der Paste. Wir müssen erst noch das Kraut finden und eine Neue ansetzen.«
Sie blickte mich etwas irritiert an und dann fiel mir wieder ein, dass sie sich nie vor mir entkleiden würde.
»Du kannst deine Hose ruhig anlassen, vielleicht die Jacke ausziehen, aber der Rest ist bis heut Abend wieder trocken.«
Scheu begab sie sich langsam in das Wasser.
»Hier bei mir ist es etwas flacher, hier kannst du dich hinsetzen. Der See ist stellenweise sehr tief.«
Sie wagte es und kam tatsächlich näher. Als sie sich so setzte, dass das Wasser bis zu ihrem Bauchnabel stand, betrachtete sie mich neugierig. Ich blickte sie an, sagte aber nichts. Es sah so aus, als suchte sie nach Worten und dann holte sie tief Luft und fragte, »Hat das alles auf deinem Körper eine Bedeutung?«
Jetzt war es raus, vielleicht interessierte sie das schon länger, sie hatte mich ja bereits mehrfach mit demselben Gesichtsausdruck angesehen.
Ich antwortete mit einem einfachen, »Ja.«
Es macht mir eindeutig Spaß, in dieses überraschte Gesicht zu blicken und abzuwarten, bis sie sich weiter hervorwagen würde.
»Diese Bilder sehen aus wie die Kunst, die wir uns an die Wände hängen, um unsere Anwesen zu verschönern. Kann man das hier alles auch so verstehen? Ein Schmuck?«
»Nein.«
»Orrr, kannst du mir nicht einfach erzählen, was es mit deinen Tattoos auf sich hat? Muss ich dir wirklich alles aus der Nase ziehen?«, schnaubte sie wütend. Ich lachte.
»Du kannst ja richtig wütend werden. Wie süß!«
Sie klatschte mit der flachen Hand auf die Wasseroberfläche und spritzte mich voll, sich dabei allerdings auch. Ich musste noch mehr lachen.
»Erzählst du es mir jetzt, oder muss ich dumm sterben?«, fragte sie.
»Du hättest tatsächlich dumm sterben können, wenn ich dich nicht gefunden hätte. Wie kann das sein, dass du nicht lesen kannst!«, brachte ich ihr erst einmal entgegen und fuhr fort, »das werden wir so schnell wie möglich ändern, das verspreche ich dir. Und nun zu deiner Frage. Jedes Tattoo erzählt eine Geschichte aus meinem Leben.«
Ich richtete mich etwas auf, legte meine Zöpfe zur Seite und zeigte ihr meinen Nacken. »Das bin ich, das ist mein Zeichen, das mir von meinen Eltern gegeben wurde, genau wie mein Name. Meine Mutter erzählte mir immer, dass ein Sturm über Lork herrschte, in der Nacht, als sie mit mir niederkam.«
»Ihr erhaltet euer erstes Tattoo als Baby? Oh, unvorstellbar.«
»Nun, andere Völker, andere Sitten. Jedes große Ereignis im Leben kann verewigt werden. Das liegt an einem selbst. Die Prüfung des Initiationsritus hat auf meiner linken Schulter Platz genommen. Von dort aus erwächst die Dornenranke, die jeden Sieg des Lebens darstellt. Wichtig ist hierbei, dass ein Dorn auch einen Sieg über sich selbst darstellen kann. Eine Aufgabe, die besonders schwerfiel und bei der man Überwindung braucht, um sie zu erledigen, auch dies ist ein Sieg. Der Tod hielt erst mit dem Krieg Einzug und du kannst es sehen, denn jeder Tod, den meine Dornenranke enthält, hat eine rote Spitze. Bevor du auf falsche Gedanken kommst. Ich tötete nie ein Kind und niemals einfach aus Lust am Töten.«
Sie blickte mich schweigend an und so fuhr ich fort, »Hier, in der Mitte der Brust, etwas mehr links, dort, wo das Herz sitzt, dort ist Annas Wolke, zusammen mit Tianas Rose.«
»Deine Frau und deine Tochter?«, fragte sie.
»Ja«, ich setzte kurz ab und seufzte, »all das andere sind die Ebenen von Lork, die Wälder von Vildskov, die Berge von Harmaapatra und die Steppe von Ugwadule. Alle vier Stämme der Lafaree und ihre Ländereien. Ich habe in allen vier Landen der Lafaree Abenteuer erlebt, zuletzt gegen meinen Feind gekämpft und die Ländereien zurückerobert.« Ich hatte während der Erzählung auf die jeweilige Körperstelle gedeutet.
»Haben dann die ganzen Metallspangen und Nieten ebenfalls eine Bedeutung?«
Ich lachte, denn ich wusste, auf was sie hinauswollte.
»Das ist in der Tat einfach nur Schmuck. Wie ihr Ketten, Ringe und Ohrringe tragt, so schmücken wir uns mit Silber, Gold und Kupfer in den Haaren, aber nur in den Haaren. Wir stechen keine Löcher durch unsere Ohrläppchen oder tragen Ringe, die uns bei der Arbeit nur behindern würden.«
»Aber dafür stecht ihr euch bunte Bilder in die Haut«, spottete sie ein wenig. Sie schien ein wenig verärgert darüber, dass ich immer wieder lachte.
Nach einer Weile im kühlen Nass, sagte ich, »Lass uns in die Höhle gehen, ein wenig ausruhen. Es ist jetzt so heiß, dass es fast nicht auszuhalten ist und Abkühlung ist erst am späten Nachmittag in Sicht. Dann müssen wir aber unbedingt das Heilkraut suchen und die Paste ansetzen. Du wirst noch einiges davon brauchen, bis die Wunde vollständig zugeheilt ist.«
Leila nickte und stieg aus dem Wasser. Sie griff ihre Jacke und ging schon einmal vor. Ich hörte es im Gebüsch rascheln, dann hörte ich ein bekanntes Schnurren und klacken. Zzila, dieses kleine neugierige Weib. Sie konnte es nicht bleiben lassen, sie hatte unbedingt nachsehen müssen, was wir trieben. Sie war aufgeregt, das war nach all den Jahren schon eine Sensation. Eine Menschenfrau für den einsamen Menschenmann. Wir sprachen uns ab, morgen früh würde ich sie einander vorstellen. Zzila und Karr waren wichtig für unser Überleben hier und deswegen musste Leila erfahren, wer die beiden waren. Keine kuscheligen Schmusetiere, bissige Hausgeister vielleicht, oder eben einfach gute Freunde.
Als ich dann oben an der Höhle ankam, hatte sie schon sorgsam den Efeu zur Seite gehängt und eine der Schilfmatten bewegt. Sie selbst fand ich im Inneren. Sie hatte sich die Hose ausgezogen und ein Fell um die Hüften geschlungen. Ich konnte einfach nicht anders, ich musste schon wieder lachen. Sie blickte mich verärgert an und setzte sich auf das Bett. Ich ging direkt an ihr vorbei in den hinteren Teil der Höhle, holte mir einen langen, kräftigen Lederbändel und ein schönes großes Stück von dem weichen Ziegenleder. Diese Ziegen, sofern man sie erwischte, hatten ein wirklich köstliches Fleisch und ein wundervoll feines Leder. Ich zog meine nasse Hose aus und band mir das Leder fest um die Hüfte, sodass ich MyLady ganz bestimmt nicht in Bedrängnis bringen würde. Ich ging an ihr vorbei, hob ihre Hose auf und brachte beide nach draußen zum Trocknen. Als ich wieder ins Innere ging, ließ ich den Efeuvorhang herunter und in dem Moment, als ich mich zu ihr umdrehte, stellte ich fest, dass sie ihren Kopf abgewendet hatte und die Hand so hielt, dass sie mich nicht sehen konnte. Es tat mir wirklich leid, aber ich musste abermals laut lachen.
»Keine Sorge, du kannst deine Augen aufmachen, ich bin nicht nackt, wobei das hier meine Höhle ist und ich eigentlich machen kann, was ich will.«
Leila schnaufte böse und blickte mich verärgert an.
»Und da wären wir schon beim Thema. Das hier ist mein Bett und ich werde darin schlafen. Du kannst, bis wir ein zweites Bett gebaut haben, das Felllager auf dem Boden dein Eigen nennen.«
Mit verschränkten Armen stand ich vor ihr und blickte sie streng an. Sie schien nicht zu verstehen, was ich gerade gesagt hatte, denn sie rührte sich keinen Millimeter.
»Ja, was ist jetzt, ich möchte mich hinlegen. Wir halten eine kurze Siesta, bis es wieder angenehmer draußen ist. Dazu möchte ich in ‘mein’ Bett!« Die Betonung auf ‘mein’ müsste ihr doch aufgefallen sein.
»Ich geh’ ja schon«, erwiderte sie genervt, packte das Fell, das sie um die Hüfte trug und setzte sich auf den Boden. Endlich konnte ich mich auf mein Bett fallen lassen. Der Vertrag, bzw. die Vereinbarung, die wir noch zu treffen hatten, stand zwar noch im Raum, aber ich hatte beim besten Willen keine Lust mehr. Mich drängte hier niemand und bei der Hitze da draußen war es ohnehin fast nicht möglich, großartig etwas zu bewegen. Ich drehte mich ein, zweimal und suchte die perfekte Position und nachdem ich sie hatte, schloss ich meine Augen.
Wenig später spürte ich im Halbschlaf jemanden neben mir. Es war, als läge Anna in meinen Armen. Ich griff zu und zog sie dichter an mich, vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und küsste sie in den Nacken. Das war seltsam, die Haare waren so weich, wo war Annas widerspenstige lockige rote Mähne? Das hier war nicht Anna.
Ich schreckte hoch und schubste Leila dabei. Sie fuhr erschrocken hoch und zuckte sogleich schmerzerfüllt zusammen.
»Was zur Hölle soll das?«, fauchte ich sie an.
Eingeschüchtert huschte sie auf den Boden und sagte, »Es tut mir leid. Es war nur, weil …«
»Wie stellst du dir das vor, dass du dich an mich schmiegst und ich keine biologischen Gefühle bekomme? Ich bin kein Gott, ich kann mich nicht so unter Kontrolle halten. Das hätte jetzt mächtig in die Hose gehen können!«
Ich brüllte und spuckte beim Sprechen, ich geriet immer mehr in Rage, bis sie anfing, bitterlich zu weinen. Das tat mir sogleich fürchterlich leid. Ich rutschte zum Rand des Bettes und setzte mich aufrecht hin.
»Komm her, wir müssen reden.«
Leila schluchzte und schüttelte den Kopf.
»Bitte, ich hab’ das nicht so gemeint. Darüber müssen wir sprechen. Leila, du willst das nicht und ich will das nicht.«
Sie blickte mich an und schniefte.
»Ich hatte Angst, da waren so seltsame Geräusche, so ein Knacken und Knarren. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, bitte entschuldige. Daran hatte ich gar nicht gedacht.«
In mir brodelte es. Ich wusste, wer für die Geräusche verantwortlich war. »Zzila!«, brüllte ich und Leila zuckte erschrocken zusammen.
Und dann erschien dieses kleine intrigante blaue Fellknäuel mit den überdimensional großen gelben Augen. Sie knarrte, knatterte, fauchte und schimpfte. Ihre Laute kamen dabei in einer so schnellen Abfolge, dass ich kaum verstehen konnte, was sie sagte. Weil ich ja obendrein ohnehin nicht wirklich alles verstand. Zzila näherte sich vorsichtig, blieb in sicherem Abstand vor Leila stehen, neigte den Kopf und starrte sie mit ihren großen gelben Augen an.
»Was ist das?«, fragte Leila erschrocken.
»Das ist Zzila«, antwortete ich und deutete auf den Fellball.
»Was ist Zzila?«
Leila war sehr irritiert, irgendwie war alles zu viel.
»Zzila ist eine Limfie, eine Einheimische. Wir befinden uns auf ihrem Planeten.« Zzila schnatterte wie wild. Sie sagte mir, dass es doch gar nicht so schlimm war, dass die Frau in meinem Bett geschlafen hätte. Das sei doch gut so, dafür gäbe es ja Männer und Frauen. Ich antwortete ihr mit einer Reihe von gleichartigen Lauten. Im Grunde versuchte ich Zzila zu erklären, warum das nicht ging, aber letztlich ließ sie mich nicht wirklich zu Wort kommen. Leila beobachtete die Diskussion. Irgendwann fragte sie, »Unterhaltet ihr euch etwa?«
Zzila und ich hielten inne. Ich antwortete, »Ja, mehr schlecht als recht zwar, aber ja, wir unterhalten uns.«
»Was hat diese Katze gesagt?«, fragte sie.
Ich blickte, sie verstört an.
»Zzila ist keine Katze!«, entgegnete ich empört.
»Ja, was ist sie dann?«
Offensichtlich konnte Leila sich nicht vorstellen, dass sie es hier mit einem intelligenten Wesen zu tun haben könnte. War das der Niedlichkeitsfaktor der Limfies?
»Ein Limfie ist auf jeden Fall keine Katze. Ich habe ihr und ihrem Partner viel zu verdanken. Sie sind viel klüger, als du vielleicht denkst!« Ich musste feststellen, dass mein Ärger noch nicht völlig verdampft war. Mein Blutdruck stieg offensichtlich schon wieder. Wie konnte man nur so ignorant sein?
Daran mussten wir arbeiten, Vorurteile abbauen, vor allem aber an dem Respekt anderen gegenüber. Irgendwie verstand ich das nicht. Niemand hatte Respekt vor ihr gehabt. Niemand hatte ihre Meinung gewürdigt. Warum nutzte sie jetzt dasselbe Muster und stellte sich über andere? Das musste unbedingt in unseren Vertrag einfließen.

»Zzila hat soeben mit mir darüber diskutiert, wie ich mit dir umgehen soll. Sie ist da in ihrer Ansicht, sehr direkt. So ist sie der Meinung, dass wir unsere Differenzen beilegen sollten und nichts würde sich dafür besser eignen als ein ausgiebiger Paarungsakt.«
Leila blickte mich mit großen Augen an. »Sie hat mich mit Absicht erschreckt?«
Ich lachte, nickte und blickte sie dabei an.
»Ja.«
»Und ich bin darauf hereingefallen!«, sagte sie mit einem vorwurfsvollen Unterton.
Zzila schnatterte, knackte und endete mit nock, nock, nock. Dieses Geräusch hatte ich nach all den Jahren als Lachen identifiziert, weil es immer dann kam, wenn einer von ihnen einen Schabernack mit mir getrieben hatte und ich darauf hereinfiel. Ich versuchte, ihr zu erklären, dass dies im Moment keine gute Idee war. In unserer Heimat waren wir Feinde, das schien etwas zu sein, was Zzila nicht verstehen wollte, oder gar konnte.
Im Augenblick sah es eher so aus, dass ich Leila nicht vertraute und sie mir noch viel weniger. Vielleicht half uns der Vertrag. Die Gelegenheit, darüber zu sprechen, war jetzt mehr als perfekt. Also begann ich.
»Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie unser, nennen wir es Vertrag, aussehen soll.«
»Ich dachte, wir hätten da schon eine Abmachung. Ich helfe dir bei den täglichen Arbeiten und du fasst mich nicht an. Du sagtest oben am Berg, dass dies meine Entscheidung sei. Ich würde entscheiden dürfen, wann ich zu dir gehören will und ich habe vorhin entschieden, dass ich lieber ganz nah bei dir sein möchte, als alleine auf dem Boden.«
Jetzt war ich es, der sie mit offenem Mund anstarrte. »Eh …«, ich suchte nach Worten und wenn mir auch gerade so viele Gedanken durch den Kopf gingen, ich fand keine. »Das geht aber so nicht«, sagte ich schließlich.
»Was geht so nicht?«
»Du kannst nicht bei mir im Bett schlafen und erwarten, dass ich dich nicht anfasse!«
»Warum nicht?«
Himmel, tat sie nur so, oder war ihr das wirklich nicht bewusst?
»Weil ich ein Mann bin und Männer sich manchmal nicht unter Kontrolle haben«, sagte ich streng.
Jetzt blickte sie mich verständnislos an, »Dann kannst du dich also nicht an die Abmachung halten. Was soll ich jetzt davon denken? Dass der Vertrag nutzlos ist?«, brachte sie hervor.
Ich war schier am Verzweifeln, wusste nicht, wie ich ihr das jetzt erklären sollte und dann fiel es mir auf. Sie konnte weder lesen noch schreiben, sie wusste also nichts von Biologie oder ob ich nach zehn Jahren voller Einsamkeit nicht sehnsuchtsvoll eine intime Zweisamkeit herbeisehnte. Ich steckte in einer Zwickmühle, sie hatte Angst, alleine auf dem Boden zu schlafen und ich hatte Bedenken, dass ich meinen Trieb nicht unter Kontrolle halten würde.
Zzila mischte sich ein, mit einer lauten Folge von knarrenden und knackenden Geräuschen gab sie ihre Meinung zum Besten. Sie hatte uns sehr wohl verstanden. Letztlich überraschte mich das weniger, als es vielleicht sollte, aber Zzila verstand die menschliche Sprache in etwa genauso gut wie ich die ihre. Sie unterbreitete den Vorschlag, dass wir in dieser Hinsicht beide nachgeben sollten. Leila durfte in meinem Bett schlafen und ich übte mich in Selbstkontrolle, dafür würde sie mich im Schlaf nicht erdrosseln oder erstechen oder anderwärtig umbringen. Um ihr Verständnis für meine Lage zu schärfen, sollte sie alles darüber lernen, was es zu lernen gab, vor allem lesen und schreiben.
Zzila hielt diese Prüfung sogar für bedeutungsvoll, damit sich das gegenseitige Vertrauen aufbauen konnte. Die Arbeiten sollten gerecht geteilt werden und Leila sollte ebenso die Verantwortung dafür tragen, dass wir täglich etwas zu essen auf dem Tisch hatten.
Ich übersetzte so gut ich konnte und blickte ihr prüfend ins Gesicht.
»Ist das wirklich das, was sie gesagt hat?«, fragte sie.
Zzila quiekte und nickte zur Bestätigung mit dem Kopf.
»OK, dann will ich das euch mal glauben«, sagte sie.
»Bist du einverstanden, auch, dass ich dein Lehrer werde?«, fragte ich.
»Ja, bin ich, ich will lernen, ich möchte aber, dass du mich auch respektierst.«
»Das tue ich. Ich zolle dir auf jeden Fall mehr Respekt, als es dein Ehemann jemals getan hat«, ich streckte ihr die Hand entgegen und sagte, »schlag ein.«
»Du passt auf mich auf, ja?«, fragte sie und griff meine Hand.
Ich klopfte auf das Bett und sagte, »Komm her.«
Zögerlich setzte sie sich neben mich und ich nahm sie in den Arm.
»Wir werden beide lernen, damit umzugehen. Das verspreche ich dir. Wir haben beide keine andere Wahl, denn ich glaube nicht, dass wir hier wieder wegkommen. Ich werde aber nur solange auf dich aufpassen, bist du das selber kannst.«
Irgendwie ergab das für mich immer noch keinen Sinn. Sie war Soldatin der Galischen Streitkräfte und sie war nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen? Sollte es wirklich möglich sein, dass ihr Mann sie unbedingt tot sehen wollte? Sie holte mich dann unvermittelt aus meinen Gedanken, als sie fragte, »Meinst du, ich kann lernen, dich zu lieben?«
Jetzt war ich vollkommen perplex und suchte schon wieder nach Worten.
»Das lernt man nicht, das kommt von innen, vom Herzen. Das muss man fühlen und wenn man es fühlt, dann will man es auch.«
Ich drückte sie einmal kurz an mich und sagte dann, »Ziehen wir uns an. Jetzt ist es nicht mehr so heiß und wir können die Pflanze suchen, die ich für die Heilpaste brauche. Außerdem ist es die Jahreszeit der Blutegel, aus denen ich das Zeug, gegen die Schmerzen gemacht habe.«
An diesem Tag fanden wir reichlich von der Heilpflanze und setzten sogleich den größten Tontopf an, um in ein paar Tagen diese schleimige Heilpaste zu erhalten. Ganz unten am Hang, abseits des kleinen Baches, der sich aus dem Quellteich ergoss, konnten wir dann drei recht schöne Exemplare des Blutegels herausfischen. Das würde eine Weile reichen, um für Notfälle gewappnet zu sein.

Aufmerksam war sie, lernwillig und sie fragte viel, auch woher ich so viel wusste. Nachdem wir alles, was wir sammelten, verarbeitet hatten, zeigte ich es ihr.
Ich zeigte ihr all die Tontöpfe, Schüsseln und Tiegel, die mein Vorgänger hinterließ, und ich zeigte ihr die Baumrinden, die er mit vielen Worten, aber auch Bildern beschriftet hatte. Das zu lesen, würde ich ihr beibringen, genau wie jagen, sammeln und kämpfen. So ging die Zeit ins Land.
Sie half mir sehr und erleichterte mir vieles, genauso tapfer überstand ich jede Nacht neben ihr. Sie half mir auch, sehr geschickt, mit der Pflege meines Bartes und meiner Zöpfe. Interessanterweise schnitzte sie, mit der Hilfe eines Steines, kleine Schmuckstücke aus Knochen und Nüssen, während ich die Klaue dieses Gronk nicht zu einem Werkzeug machte, sondern zu einem Schmuck für ihre Haare. Sie half mir, die Haare über den Ohren zu entfernen und ich kümmerte mich um ihre Haare. So etwas fördert Vertrauen, zumindest in meiner Gesellschaft, denn ein Meister kümmert sich um seine Lehrlinge. Ich hatte bereits angefangen, ein paar Lederbänder einzuflechten, und gelegentlich nutzte ich eine schöne Waldblume, die leider nie sonderlich lange so frisch und schön aussah. Dank dieser Wunderpaste heilte die Wunde hervorragend. Bald konnten wir also anfangen, die körperliche Fitness zu trainieren. Die brauchten wir, wenn wir einen Ausflug zum Fluss wagen wollten. Die brauchte Leila aber auch für ihr Selbstvertrauen. Sie musste in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen.

Leila war eine dankbare Schülerin. Sie bewältigte ihre Aufgaben immer sehr gewissenhaft. Ich brauchte eine Weile, um festzustellen, dass sie nicht nur immer fitter, sondern auch immer glücklicher wurde. Sie lachte viel, machte gelegentlich einen wirklich derben Spaß, bei dem ich feststellen musste, dass Zzilas Einfluss mächtige Wirkung tat. Die beiden verstanden sich sehr gut, auch ohne viele Worte.
Ich musste mir eingestehen, dass mein Leben durch Leila wieder einen Sinn bekommen hatte. Auch ich konnte endlich wieder fühlen und ich konnte anfangen zu verzeihen. Der Groll wich, aber leider wuchs das Verlangen.
Das Bett hatten wir erweitert. Nach ein paar tiefschürfenden Gesprächen hatten wir uns dazu entschlossen. Leila hatte immer noch Angst, deswegen gab ich nach, auch wenn es mir immer schwerer fiel, ihr zu widerstehen. Ich wusste es ja nicht, ich wusste nicht, woher ihre Angst kam. Ihre Angst vor dem Unbekannten war größer als die Angst, ich könnte ihr zu nahe treten. Ich sollte mich geehrt fühlen, dass sie so viel Vertrauen in mich entwickelte und das nach so kurzer Zeit. Ich würde das noch lernen und es würde mich mehr belasten, als mir lieb war.

* * *

War das nun wirklich alles, was Leila dachte und fühlte? Sicher nicht. Sie ließ es nicht zu, sie wollte nicht, dass er ihr Geheimnis erfuhr. Es schien so, als würde er ihr so viel Verständnis entgegenbringen.
Waren die Lafaree doch viel gesitteter und gebildeter als die Galier? Das klang alles viel zu schön, um wahr zu sein. Sie hatte aber doch selbst gesehen, wie rigoros diese Barbaren gegen ihre Leute vorgingen, oder war das einfach nur eine Reaktion auf das, was davor geschehen war?
Diese Zweifel machten sie verrückt. Und dann brachte er so viel Verständnis für sie auf, aber er schrie sie auch an, war übel gelaunt und herrschsüchtig. Was sollte sie davon wieder denken?
Und dann fühlte sie sich immer mehr zu ihm hingezogen und er wies sie ab. Das war etwas, was sie überhaupt nicht verstand. Sie würde lernen müssen, dass es Zeit brauchte, damit etwas zusammenwachsen konnte, was zusammen gehörte. Nur weil sie ihn wollte, musste das noch lange nicht heißen, dass er sie auch wollte. Zumindest hatte sie ja einen guten Geist an ihrer Seite, Zzila.

Leila schlief mit ihm in einem Bett, teilte sich die Aufgaben mit ihm, sammelte, jagte und bereitete das Essen zu. Sie versuchte alles zu lernen und jede Nacht wünschte sie sich, er würde sie nochmals so anfassen, wie an dem Tag, an dem sie zum ersten Mal gemeinsam im Bett lagen. Dieses angenehme Kratzen seines Bartes an ihrem Hals. Dieser Kuss, den er ihr auf den Nacken gehaucht hatte. Sie hatte sich dabei so wohl gefühlt, so gewollt und geachtet.

Zzila hatte nicht unrecht, es gab nichts Besseres als einen ausgiebigen Paarungsakt, um Differenzen beizulegen.

Fortsetzung: Die Wälder von Katalis, 2. Buch: Die Aufgabe

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