Das fantastische Fanzine

Die Wälder von Katalis, 2. Buch: Die Aufgabe

Fantasy-Fortsetzungsgeschichte von Veronika “Vroni” Bärenfänger, Fortsetzung von Die Wälder von Katalis, 1. Buch: Die Ankunft

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Zweites Buch

Die Aufgabe

Vergangenheit

Es war sicherlich schon ein Monat vergangen, seit ich sie hier, unter der seltsamen Stele gefunden hatte. Verletzt und verängstigt hatte sie dort gelegen. Eine schwierige Situation für mich, denn sie war eine Angehörige der verfeindeten Armee und dann passierte etwas, was ich nicht mehr für möglich gehalten hatte.
Ich lernte zu vergeben. Nach so vielen Wintern der Einsamkeit sprang ich über meinen Schatten. Der Krieg sollte hier enden, hier auf Katalis. Ich, der stolze General Markus von Lork, ließ Gnade walten und kümmerte mich um diesen verletzten Soldaten der Gegenseite. Ich fing an, sie zu mögen. Manchmal dachte ich mir, dass es wohl überwiegend an dem natürlichen biologischen Trieb lag, aber dann beeindruckte Leila mich. Sie war absolut folgsam und fleißig. Aufmerksam beobachtete sie jeden meiner Handgriffe und imitierte diese relativ schnell.
Sie war äußerst geschickt bei der Jagd und viel schneller als ich, wenn es darum ging, den gespaltenen Flachs zu einem Faden zu spinnen. Die Wunde in ihrer Schulter heilte überraschend schnell und schon bald konnte sie den Arm wieder vollständig einsetzen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing, mit ihr zu trainieren. Ich wollte, dass sie fit war, wenn wir den großen Ausflug zum Fluss wagten. Zweimal war ich bisher dort gewesen, beide Male kehrte ich mit leeren Händen zurück. Nach meinem ersten Ausflug hatte ich die Höhle mit all den Hinweisen gefunden. Beim zweiten Mal war es mir nicht gelungen, einen dieser Fische zu fangen, die mein Vorgänger nutzte, um seine Tinte herzustellen. Ich konnte also selbst keine Aufzeichnungen anfertigen und ihr somit nicht beibringen, wie man schreibt. Das war etwas, was mir schwer zu schaffen machte. Die Galier gestatteten ihren Frauen nicht, zu lesen oder zu schreiben. Das wollte ich unbedingt ändern, allerdings stellte mich das vor ein großes Problem, denn ich hatte hier keine Bücher.
Mit dem Lesen tat sie sich schwer, weil die Rinden unseres Vorgängers doch sehr eng und klein beschriftet waren. Es war ohnehin erstaunlich, dass dieser Mensch in der Lage gewesen war, Rinde so zu bearbeiten, dass man darauf schreiben konnte und wenn ich das richtig gesehen hatte, mit so einem Pflanzendorn beschrieben, mit dem ich die Löcher in das Leinen stach, um die einzelnen Stoffstücke miteinander zu verbinden. Die Tinte fehlte mir bisher, aber selbst darüber hatte er in meiner Sprache berichtet, sodass ich es verstehen konnte.
Alles, was dieser Mensch hier erschaffen hatte, gab Rätsel auf.
Warum hatte er nichts über sich geschrieben? Warum nur ausgefeilte Anweisungen und seine Vorgehensweisen bei bestimmten Problemen? Meine erste Vermutung, es handle sich um eine Art Tagebuch, war somit hinfällig. Eine Sammlung von Anweisungen für wen? Wusste er, dass ihm eines Tages jemand folgen würde, oder hatte das Ganze einen völlig anderen Grund. Die Landkarte, die sehr detailliert die Umgebung der Höhle abbildete, wirkte eher wie ein Hinweis, wohin man gehen konnte, als dass dieser Mensch sie selbst zur Orientierung nutzte. Natürlich durfte ich nicht jammern, denn der Nachlass war unglaublich wertvoll, wenn nicht sogar überlebenswichtig.
Interessanterweise erzählten wir uns nicht mehr viel aus unserem bisherigen Leben. Welchen Vorteil brachte es mir, wenn ich ihr weiterhin vorwerfen würde, dass ihr Volk Anna und Tiana getötet hatte? Sie war doch selbst Leidtragende ihrer Gesellschaft. Als Frau wie ein Gebrauchsgegenstand behandelt zu werden, stellte ich mir nicht sehr erstrebenswert vor. Man konnte sich schließlich nicht aussuchen, in welchem Geschlecht man geboren wurde. Ich hatte also vor, nicht weiter in der Vergangenheit zu verweilen und ihr zu zeigen, wie die Lafaree lebten. Das erschien mir weitaus sinnvoller, als ihr zu erzählen, wie wir früher gelebt hatten. Wir waren hier gestrandet. Die Rückkehr zur Erde war für mich nur noch ein Wunsch, dessen Erfüllung ich schon lange nicht mehr erwartete. Ich war jetzt nicht mehr alleine, ich hatte eine Ansprache, konnte mich streiten und ich dachte, wir könnten uns irgendwann bestimmt lieben.

Ja, dieser Gedanke ging mir häufig durch den Kopf, würde ich sie irgendwann lieben können? Bisher war das ein reiner biologischer Drang, den ich recht gut unterdrücken konnte. Mir half dabei, den Vergleich zu ziehen. Anna mit ihren wilden roten Locken und den ausgeprägten weiblichen Attributen. Diese Frau war klug und unheimlich frech. Ich war ihr häufig unterlegen, nicht körperlich. Ich liebte ihre grünen Augen, die einen in die Hölle schicken konnten, genau wie ich jede Sommersprosse in ihrem Gesicht liebte. Und dann war da Leila, diese schlanke, feingliedrige Frau, die in ihrem Leben noch nie viel arbeiten musste. Ein Leben mit vielen Annehmlichkeiten, aber ohne jegliche Rechte. Es fiel mir immer noch schwer, dies zu verstehen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, eine Frau wie ein Stück Vieh zu behandeln, über sie zu herrschen und sie zu benutzen, wenn mir danach war. Das war in meinen Augen so absurd und dann neigte sie wirklich dazu, ihre Kultur zu verteidigen. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie würde, genau wie die Männer ihrer Kultur, ihre Macht gegenüber den Untergebenen ausnutzen, wenn sie nur könnte.
Jetzt waren wir aber hier und ich würde dieser interessanten, jungen Frau den Respekt entgegenbringen, den sie verdiente.
Warum sie mir nichts erzählte, erschloss sich mir nicht. Ich drängte sie aber nicht, im Gegenteil. Ich wollte einen Neuanfang, dazu brauchte ich ihre Vergangenheit nicht. Da entwickelte sich etwas anderes als das reine Verlangen. Ich musste dennoch aufpassen, dass ich nicht aus Versehen übergriffig wurde.
Sportlich förderte ich zuerst ihre Ausdauer. Sie sollte möglichst nicht so schnell ermüden, wenn wir anfingen, die Erkundungsausflüge zu erweitern.
Dann ging ich zum Krafttraining über. Zuerst ließ ich sie Holz tragen, dann Steine. Sie mühte sich redlich, ihr Körper brauchte allerdings lange, um ausreichend Muskeln aufzubauen. Immerhin war sie geschickt und schnell. Das würde ihr auf jeden Fall einen Vorteil verschaffen. Das hätte ihr im Kampf viele Vorteile verschafft und ich konnte nicht begreifen, warum man sie darin nie geschult hatte. Wenn man sich überlegt, dass sie sich hier in Feindeshand befand. Sie hatte nie einen einzigen Versuch gewagt, wegzurennen, das war so unlogisch. Eine Lafaree wäre ohne mit der Wimper zu zucken im Wald verschwunden und hätte auf eigene Faust versucht zu überleben. Leila blieb und ich hatte das Gefühl, dass sie für sich keine andere Möglichkeit sah. Vielleicht wäre sie tatsächlich nie in der Lage gewesen, alleine zu überleben. Vielleicht hatte sie das nie in Erwägung gezogen. Wenn ich dann über ihre Kultur nachdachte, also über das, was sie mir erzählt hatte, beschäftigte mich die Vorstellung, dass ihr Mann sie mit Haut und Haaren loswerden wollte. So etwas ging mir nicht in den Kopf, ich konnte das nicht verstehen. Bei uns war eine Trennung der Eheleute geregelt. Die Parteien suchten sich Rat bei einer außenstehenden Person. Wichtig war dabei, dass es auf keinen Fall ein Freund oder ein Familienmitglied sein durfte. Zuerst wurde einzeln beraten. Die Parteien hatten jeweils die Gelegenheit, vorzubringen, was ihrer Meinung nach gegen die Fortführung der Ehe sprach. Befanden die Berater, nach ausführlichen Gesprächen, dass es keinen Sinn mehr machte, an dem Eheversprechen festzuhalten, so durften die Parteien getrennte Wege gehen. In vielen Fällen rauften sie sich wieder zusammen. Oft fester als zuvor. Es war für mich also unvorstellbar, meine Frau ohne irgendeine Ausbildung in den Krieg zu schicken, nur um sie loszuwerden.

Wie zuvor erwähnt, tagsüber harmonierten wir beide beinahe perfekt. Nachts fiel es mir immer schwerer, meine Hände bei mir zu lassen. Ich hätte sie so gerne berührt, ihren Herzschlag gespürt und noch so viel mehr. Ich wollte ihr aber nicht zu nahe treten, sie nicht verschrecken. Tatsächlich war es für mich viel wichtiger, dass sie mir vertraute und ich lernte, ihr zu vertrauen.

Zzila drängte immerzu. Wir sollten endlich diesen Streit beilegen und uns wie normale Menschen benehmen. Normale Menschen würden sich vermehren und Nachwuchs bekommen. Katalis war schon viel zu lange menschenleer und es würde Zeit, dass sich dies änderte. Sie war so uneinsichtig, als wir versuchten, ihr zu erklären, dass all ihre Versuche, uns zueinander zu bringen, nichts nutzen würden. Leila würde keinen Nachwuchs austragen können. Hier war Zzila der Ansicht, dass sie vorher einfach nur das falsche Männchen gehabt hatte. Sie war nicht von diesem Gedanken abzubringen.
Karr erwähnte beiläufig etwas von einem Experiment und dass Zzila deswegen so erpicht sei. Ich war mehr als nur überrascht, was führten die Limfie im Schilde? Ich dachte, sie wären meine Freunde und ich könnte mich auf sie verlassen. Da ich hierzu keine weiteren Andeutungen vernahm, beschloss ich, diese Aussage zu ignorieren. Vor allem erzählte ich es nicht Leila, weil ich sie nicht beunruhigen wollte. Sie vertraute Zzila, auch wenn sie sich kaum verstanden.

Wir arbeiteten hervorragend zusammen. Die Aufgaben teilten wir uns, aber nicht so, dass jeder eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hatte, jeder tat, was nötig war und wofür er gerade Zeit hatte. So teilten wir uns das Gerben des Leders oder die Flachsernte. Das Sammeln und Zubereiten des Essens tat immer gerade der, der Zeit hierfür hatte. Nur bei der Jagd ließ sie mir gerne den Vortritt, da es ihr offensichtlich schwerfiel, den Tieren ein Ende zu bereiten.

An einem Tag hatte Leila eine große Menge an Flachs, mit unseren einfachen Werkzeugen aus Stein, geerntet und ja, das ist anstrengend. Sie hatte zudem, etwas Abseits meiner üblichen Erntestellen, ein riesiges Feld davon entdeckt und sie entdeckte noch etwas: Süßgräser, die unserem heimischen Weizen fast identisch waren. Die Ähren waren kleiner, aber optisch vergleichbar. Die Körner waren goldgelb, was darauf schließen ließ, dass sie wohl reif waren.
Nach einer kurzen Rücksprache mit Karr war klar, dass sie wohl essbar waren, nur nicht besonders ergiebig. Er meinte, dass die frischen Halme viel besser seien, da sie süß schmecken und gut satt machten. In diesem vertrockneten Zustand seien sie wohl nicht sehr schmackhaft. Leila wollte das unbedingt ausprobieren, also brachte sie neben dem Flachs noch jede Menge von diesem Süßgras mit und machte sich gleich daran, die Ähren auszuschlagen. Ich musste sie glatt bremsen, nachdem ich festgestellt hatte, dass sie sich die Hände an den scharfen Halmen blutig geschnitten hatte. Also stoppte ich ihren Drang. Wir würden das morgen austesten, wir würden morgen sehen, ob es ihr gelingen würde, ihren Plan durchzuführen und ein Fladenbrot daraus zu backen. Ich versorgte ihre Hände und wir aßen gemeinsam unsere, beinahe schon rituelle, Gemüsesuppe.
Mitten in der Nacht schreckte sie hoch. Ich erschrak, als sie sich aufsetzte und dachte, sie würde jetzt im Dunkeln aufstehen und herumlaufen. Das tat sie nicht, sie rutschte an den äußersten Rand des Bettes, rollte sich zusammen und zog das Fell über ihren Kopf. Bewusst hatte sie sich von mir abgewandt. Ich registrierte das, dachte mir aber noch nichts dabei.
Am nächsten Tag begann sie sofort, ihren Plan weiter durchzuführen. Am Vortag hatte sie bereits die Körner vom Stängel getrennt. Jetzt begann sie, diese auf einem flachen Stein zu zerstoßen. Sie schlug, drückte und rieb kräftig. Immer wieder entfernte sie Schalen oder Reste der Halme. Immer feiner wurde das Mehl, das sie aus den Körnern gewann. Ich versuchte sie nicht zu intensiv zu beobachten, aber es schien sie gar nicht zu interessieren. Leila war so vertieft in ihre Arbeit, dass ich das Gefühl hatte, gar nicht zu ihr durchzudringen, als ich sagte, ich würde auf die Jagd gehen. Abwesend hatte sie nur genickt. Stolz kam ich mit einer Ziege zurück und musste feststellen, dass Leila ebenso stolz einen Teig angerührt und die Feuerstelle schon so weit vorbereitet hatte, dass ich sie nur noch entzünden musste.
»Ich hoffe, es funktioniert«, sagte sie und blickte mich an. Erst da fiel mir auf, dass sie einen gewölbten Stein in die Feuerstelle hineinplatziert hatte, sodass er sich mit dem Feuer erwärmte. Ich verstand, sie wollte den Teig darauf ausbacken. Unweigerlich musste ich lächeln und sie fragte empört,
»Was gibts da zu lachen?«
»Gar nichts, das ist äußerst klug von dir«, antwortete ich. Sie wirkte so verbissen, irgendetwas war aber doch mit ihr los.
»Alles in Ordnung mit dir?«, hakte ich nach.
»Alles gut, ich hab’ nur Brot so vermisst und jetzt hoffe ich, wir können etwas Ähnliches selbst herstellen«, antwortete sie mir. Das klang nicht ehrlich. Da war noch mehr, irgendwas beschäftigte sie. Ein Traum? Der Grund, warum sie heute Nacht so seltsam gewesen war?
»Du siehst nicht erfreut aus, wenn ich das sagen darf«, brachte ich ihr entgegen und hoffte, sie würde etwas aus sich herauskommen. Sie blickte aber nur erschrocken in mein Gesicht. Wie ein Kind, das man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Sie wollte mit mir nicht darüber sprechen, das war offensichtlich.

»Ich hoffe nur so sehr, dass es funktioniert. Immerhin hab’ ich das noch nie selbst gemacht, nur gesehen und ich weiß nicht wirklich, was in den Teig alles reingehört«, antwortete sie mir und damit schien sie mir ihre Verbissenheit erklärt zu haben. Sie war doch so viel klüger, als ich dachte, denn es gelang ihr wirklich lange, ihr Geheimnis vor mir zu verbergen.
»Es kommt normalerweise nicht viel hinein. Salz und Wasser? Hefe haben wir ja nicht«, sagte ich.
»Gut, dann sollte es für dünne Fladen reichen. Ich hoffe nur, dass die Körner wirklich genießbar sind. Wie war das noch? Unser Vorgänger hatte doch geschrieben, dass nicht alles giftig ist, aber essen könnte man es trotzdem nicht«, sagte sie und ich war erstaunt, sie lernte schnell und setzte vieles gleich um. Ich ließ mich von ihrem Forscherdrang mitreißen und war sehr gespannt. War es uns möglich, so etwas wie Brot zu erschaffen? Ich beeilte mich also, die Ziege zu häuten und zu zerteilen. Im Ganzen war es leider nicht möglich, sie zu grillen. Sie war dafür zu groß, also packte ich zwei Teile in große Palmblätter, die ich eigens dafür im Wald holte und legte diese in die Glut, was sich als praktikabelste Möglichkeit der Konservierung herausgestellt hatte. Die Stücke wurden in der Asche belassen und später mit ein paar Steinen abgedeckt. Sie waren dann noch eine Weile genießbar. Die zwei anderen Teile spießte ich auf einen stabilen Ast, um sie über dem Feuer zu garen. Ulkoknollen hatten geschmacklich viel Ähnlichkeit mit Süßkartoffeln, wuchsen aber eher wie Zuckerrüben. Ich legte zwei so, dass sie in der Glut gegart werden würden, eine weitere schälte ich, zerhackte sie in kleine Stücke und gab sie in den Tontopf, der jedes Mal, wenn wir grillten, gleichzeitig gekocht wurde, damit hatten wir immer eine kräftige Brühe für andere Mahlzeiten vorbereitet. Nach einer Weile fühlte sie über den Stein, ob er ausreichend Wärme hatte, um ihren Teig auszubacken.
Leila nutzte zwei Tontöpfe, die wir zur Verfügung hatten. Im einen hatte sie den Teig, im anderen Wasser. Ich merkte erst, als sie anfing, dass sie das Wasser zum Befeuchten der Hände benötigte. Sie holte etwas von der klebrigen Masse aus dem Topf und verteilte es auf dem Stein. Aufmerksam beobachteten wir beide, was passierte. Mit zwei Stöcken wendete sie das Ganze und wenige Minuten später zog sie es auf ein großes Blatt. Beide waren wir gespannt, wie es wohl schmecken würde und ob sich die ganze Arbeit denn lohnte. Wir waren so neugierig, sodass wir uns die Finger verbrannten, als wir den Fladen aufteilten und was soll ich sagen. Nach so vielen Jahren, ohne etwas Vergleichbarem, war das der Himmel auf Erden. Knusprig, brotig, sättigend und absolut genießbar. Es fehlte nur so etwas wie ein Belag, Butter oder dergleichen. Leila schickte sich an, den restlichen Teig zu verarbeiten, während ich die Ziege grillte. Als ich die erste Keule vom Grill nahm, hatte sie ihren Teig vollständig ausgebacken und einen kleinen Stapel an Fladen produziert. Ich streifte ihr etwas Fleisch auf den Teller und behielt mir die Keule auf dem Stein, auf dem ich normalerweise immer das Fleisch zerteilte. Wir hatten, neben einer großen Zahl an Tontiegeln, nur eine Schüssel für die Suppe, einen Teller und einen Becher. Es war mir tatsächlich bisher nicht gelungen, einen Ton zu finden, den man verarbeiten konnte, und in den Hinweisen des Vorgängers war darüber nichts hinterlegt. Das ist wohl ein Geheimnis, dem wir selbst auf die Spur kommen mussten. Vielleicht ist er nur nicht mehr dazu gekommen, dies aufzuschreiben. Jedenfalls nahm sich Leila einen der Fladen, zupfte Fleisch von dem Stück, das ich ihr gegeben hatte, und gab es auf das Brot. Sie salzte nochmals und streute ein paar Kräuter darüber, dann wickelte sie es ein und biss ab.
Mit halb vollem Mund nuschelte sie, »Es fehlt Butter oder Käse.« Sie schluckte und ich lächelte, als ich es ihr gleichtat.
»Willst du damit sagen, dass ich beim nächsten Mal eine dieser Ziegen mit Jungtier fangen sollte?«, fragte ich.
Sie hielt inne, blickte mich erstaunt an und sagte dann, »Das wäre genial, wir hätten Milch und könnten Käse machen. Vielleicht so etwas wie Butter oder Schmalz.«
»Du weißt schon, dass dies ein großer Schritt in der Evolution gewesen ist? Als die Menschen den Vorteil des Ackerbaus und der Viehzucht entdeckten?«
Sie biss erneut in ihren Fladen, blickte mich an und sagte, »Echt? Das wusste ich nicht.« Sie schluckte und biss erneut in den Fladen, so als ob das nichts Besonderes sei.
Vielleicht bekamen wir eine neue Chance, die Gelegenheit, alte Fehler nicht zu wiederholen. Wir müssten uns nur daran halten … und dann fiel mir ein, wie weit ich immer noch von ihr entfernt war. Ich konnte Anna nicht vergessen und ich dachte, ich müsste das erst, bevor ich sie in mein Herz lassen konnte. Dabei war es doch so einfach, mich Leila zuzuwenden, es musste ja nicht heißen, Anna zu vergessen.

Wir feierten unseren Fladenbroterfolg mit vergorenem Kapi-Beerensaft. Ebenfalls eine menschliche Errungenschaft, die eigentlich nicht notwendig war, aber dennoch gelegentlich ganz guttat. Das hatte ich rein zufällig entdeckt, als ich versuchte, die Kapi-Beeren aufzubewahren. Die überreifen Früchte verschimmelten nicht, sondern bildeten mit einer Art, natürlicher Fermentation einen ziemlich guten Saft, einen alkoholischen Saft.
Leila war weitere Tage damit beschäftigt, Süßgräser zu sammeln und die Spreu von den Körnern zu trennen. Sie wollte erst mehr davon haben, damit es sich lohnte, die Fladen auszubacken, denn immerhin hielten sie sich gut ein paar Tage. Die Halme des Süßgrases behielt sie und verflocht sie zu Matten, die sich hervorragend zur Lagerung des Brotes eigneten. Ich war wirklich fasziniert von dem Erfindungsreichtum, den sie an den Tag legte. Ich hatte recht, als ich sagte, es konnte ihr nichts Besseres passieren, als hier auf Katalis zu stranden.
Und dann kam die nächste Nacht, in der sie hochschreckte und sie sich ängstlich zusammenrollte.
Wie gern hätte ich sie an mich gedrückt und ihr gesagt, dass alles gut ist, ich wagte es nicht. Ich beobachtete, wie sie sich entwickelte. Neben der Ausdauer und der Kraft, fing ich an, ihr Kampftechniken beizubringen. Irgendwann sagte sie mir, dass sie so etwas in den zwei Jahren, in denen sie bei den Streitkräften war, niemals gelernt hätte. Das hatte ich schon vermutet, aber dennoch erklärte es sich mir nicht. Wollten sie die jungen Frauen an der Front tatsächlich einfach nur loswerden? Waren diese weiblichen Wesen wirklich nur unbequemes Beiwerk des männlichen Lebens?

Wir prügelten uns, was diverse blaue Flecken beiderseits verursachte. Noch war ich zart zu ihr, sollte ich aber merken, dass sie Fortschritte machte und selbst härter kämpfen konnte, dann würde ich ebenfalls härter zugreifen. Sie fing an, um ihr Leben zu kämpfen, und es schien, als gäbe es endlich etwas, wofür es sich lohnte.
Diese seltsamen Situationen, in denen sie nachts hochschreckte und sich dann völlig von mir entfernte, nahmen zu. Sie häuften sich und irgendwann fing ich an, mir Sorgen zu machen. Nachdem das drei Nächte in Folge so gelaufen war, fasste ich mir ein Herz und berührte sie vorsichtig. »Leila, was ist los?«, fragte ich leise. Sie weinte nur und sagte nichts. Leila war nicht bereit, mir zu erzählen, was sie belastete. Was sollte ich tun, sie dazu zwingen? Das lag mir so fern wie nie zuvor, denn ich ahnte bereits, dass gerade der Zwang einer der größten Auslöser dieser ruhelosen Nächte war. Ich gab nach und wahrte respektvollen Abstand. Ich hoffte, dass sie irgendwann von ganz allein eine Erklärung liefern würde.
Wir trainierten und arbeiteten zusammen. Wir schliefen jede Nacht in einem Bett und dennoch lief nichts. Kein biologischer Trieb, keine Art der Machtausübung über den anderen, keine Zärtlichkeiten, oder Ähnliches. Leila wurde immer besser, aber gleichzeitig quälten sie ihre Träume immer mehr. Ich weiß nicht, woran das lag, aber an diesem einen Tag, als wir den Schwertkampf übten, zeigte sie sich von ihrer besten Seite. Es mag wirklich sein, dass ich nicht aufmerksam war, ich gebe aber zu, dass sie bereits viel gelernt hatte. Sie entwaffnete mich und stand dann schwer atmend vor mir. »Mit Verlaub, Mylord, ihr seid tot«, sagte sie trocken. Sie hatte recht, in einem echten Kampf hätte sie mich mit ihrem letzten Hieb erwischt und wahrscheinlich getötet. Ich ging einen Schritt auf sie zu und sie grinste mir frech ins Gesicht. Sie stand ganz dicht bei mir und griff meinen Kopf. Sie blickte mir tief in die Augen und ich musste zugeben, dass diese zwei Farben ihrer Iris noch immer keinen Funken der Faszination verloren hatten.
Während dieses Eisblau mich kühl abstrafte, strahlte dieses Braun etwas aus, was mich dazu veranlasste, ihre Hüften zu umschließen. Ich sah die Schweißperlen auf ihrer Oberlippe und ihrer Stirn. Ich sah, wie sich ihre Nasenwurzel kräuselte und die senkrechte Zornesfalte auf ihrer Stirn verschwand. Ihre vollen Lippen zogen mich völlig in ihren Bann, als sie mich einfach küsste. Das war meine Gelegenheit, Leila küsste mich aus freiem Willen und ich erwiderte ihren Kuss. Zaghaft drückte ich meine Zunge zwischen ihre Lippen und entgegen meiner Vermutung, gab sie nach. Sie gab sich hin, für einen winzigen Moment. Einen winzigen Moment lang schien es, als wäre es möglich, dass wir miteinander verschmelzen könnten und dann lachte Zzila. Leila löste sich sofort von mir und versuchte, sich wegzuschieben. Ich hielt sie fest, drückte meine Stirn an ihre und blickte ihr in die Augen. Wieder nur einen winzigen Moment lang und ich gab nach. Ich wusste nun nicht, ob sie sich schämte, oder ob sie eine ähnliche Erregung gespürt hatte wie ich. Mit hochrotem Kopf wandte sie sich ab, während Zzila enttäuscht knarrte. Ich blickte böse in Zzilas Richtung und eilte Leila hinterher.
»Bitte warte«, sagte ich und griff ihre Hand. Sie blieb mit gesenktem Kopf stehen und sagte nichts.
»Leila, wir müssen reden«, sagte ich streng und wünschte mir, ich hätte das anders betont. Ich zog sie zu mir und sah, dass ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen.
»Was ist los mit dir? Ich dachte, du wolltest das?«, fragte ich vorsichtig. Sie stand mit gesenktem Kopf vor mir. »Erkläre mir das bitte, denn ich möchte dir so gerne nahe sein. Ich warte auf dich und sehe, dass du mit irgendeinem inneren Dämon kämpfst«, forderte ich.
Mit Tränen in den Augen blickte sie mich an und schluchzte, »Du willst mir nahe sein?«
Ich neigte meinen Kopf, um ihr ins Gesicht zu blicken.
»Ja, das will ich«, sagte ich bestimmt.
Vorsichtig hob sie den Kopf und blickte mich an.
»Ich will das auch«, flüsterte sie.
»Warum sagst du das nicht?«, fragte ich und versuchte in ihrem Gesicht zu lesen.
»Weil ich Angst habe«, antwortete sie mir und blickte mich an. Ich konnte die Verzweiflung praktisch sehen, ich konnte es jedoch nicht verstehen.
»Wovor hast du Angst? Du hast mich soeben besiegt und wenn du mich besiegen kannst, dann musst du dich doch nicht mehr ängstigen. Ich verstehe das nicht, vielleicht erklärst du mir das.«
Sie straffte sich, »Ein Kuss ist das eine, eine innige Umarmung die Folge und dann … das kann ich nicht. Ich kann das nicht …«, sagte sie und blickte mich verzweifelt an.
»Leila, du warst verheiratet, du willst mir jetzt …«, ich atmete tief ein und hauchte meinem Atem heraus. Mir war soeben dieser furchtbare Gedanke in den Sinn gekommen. Sie war fünfzehn, als sie verheiratet wurde.
»Was hat er dir angetan?«, fragte ich.
»Ich kann das nicht …«, wiederholte sie sich.
»Kannst du es mir nicht erzählen, oder willst du das nicht?«, fragte ich vorsichtig. Die Dämme brachen und die toughe Kriegerin, die mich vor wenigen Minuten besiegte und ihren Kuss einforderte, wurde zum kleinen Kind, das hemmungslos weinte. Ich drückte sie an mich, ihren Kopf hielt ich fest an meiner Schulter und ich wartete, bis sie sich beruhigte. Keine weiteren Fragen, das war mir bewusst. Wenn nur eine meiner Fantasien zutreffen sollte, so konnte ich sie jetzt und in diesem Augenblick verstehen. Sie musste das nicht offenbaren. Ich rechnete damit, dass es ohnehin herauskommen würde, oder es würde an Dringlichkeit verlieren und hoffentlich in Vergessenheit geraten.
Ich flüsterte: »Lass uns im Teich etwas Abkühlung suchen. Es ist heiß und bald noch viel heißer.«
Sie schluchzte, was ich als ja wertete. Ich hob sie hoch und während sie ihren Kopf fest an meine Schulter drückte, trug ich sie zum Teich. Ich stellte sie auf ihre Füße und versuchte, mich wenigstens meines Hemdes zu entledigen. Schwierig, denn sie wollte mich nicht loslassen. Letztlich glitt ich mit ihr auf dem Arm in den Teich und ließ mich nieder. Sie saß wie ein kleines Kind auf meinem Schoß, kauerte sich zusammen und legte ihren Kopf auf meine Brust. Ich tauchte extra nicht zu weit ab, damit kein Wasser in ihr Gesicht schwappte. Schweigend lagen wir so eine ganze Weile im angenehm kühlen Nass. Bis sie dann zaghaft sagte, »Du hast ein wirklich starkes Herz.«
Ich wusste nicht, wie ich das einordnen sollte und antwortete, »Ich glaube langsam, dass ich ein sehr großes Herz habe«, und lächelte dabei.
„Nein, ich mein das ernst, der Schlag deines Herzens ist stark und seine Gleichmäßigkeit beruhigt mich sehr«, sie holte einmal tief Luft und fuhr fort, »Ich danke dir für dein Verständnis.«
Sie hob den Kopf und blickte mir direkt in die Augen.
Ich strich ihr ein Haar aus dem Gesicht und erwiderte ihren Blick wortlos. Sie musste anfangen, das nahm ich mir ganz fest vor.
»Markus, ich kann es dir nicht sagen, du würdest mich nie wieder so ansehen, wie du mich gerade ansiehst und du würdest mich nie wieder so küssen können.«
Sie packte mein Gesicht und drückte mir erneut einen Kuss auf den Mund. Danach stieß sie sich ab und schwamm zum anderen Ufer. Ja, richtig, sie schwamm. Ich hatte sie nie schwimmen sehen, seit wann konnte sie das?
Ehe ich mich versah, war sie raus aus dem Wasser, packte ihre Sachen und verschwand im Wald. Ich blieb mit meinen Gedanken zurück. Es schaukelte sich auf, ich wurde wütend. Was hatte dieses Schwein ihr angetan, das so schlimm war, dass sie nicht darüber reden wollte? Was hatte sie gemeint, als sie sagte, ich könne sie nie wieder so ansehen oder gar küssen, wenn ich wüsste, was es war?
Mich machte das wahnsinnig, meine Gedanken kreisten nur noch darum und dann erschien Zzila mit einem fröhlichen Geknarre. Ich fauchte sie so sehr an, dass sie sofort erstarrte und mich mit großen verschreckten Augen anblickte. Nach einer kurzen Schrecksekunde hatte sie sich erstaunlich schnell gefangen und polterte zurück. Ich mühte mich ab, ihr zu erklären, warum ich so aufgebracht war und stieß abermals auf ihr Unverständnis. Zzila konnte nicht verstehen, warum ich Leila nicht hinterhergeeilt war. Warum ich sie nicht im Arm hielt und mit ihr darüber sprach. Ich musste mit ihr sprechen, ihr zeigen, dass sie sich auf mich verlassen kann, dass ich kein böser Mann bin. Sie überschlug sich fast mit ihren Lauten. Sie schubste mich und verschwand. Ich stieg aus dem Teich und griff meine Sachen. Welche Gedanken mich im Moment am allermeisten quälten, kann ich gar nicht sagen. Es war wohl eine Mischung aus Wut und Sorge. Ich ging hinauf zur Höhle und sah, dass die Schilfmatte und der Efeu nicht vor dem Eingang waren. Im Inneren unterhielt sich Zzila mit Leila. Nun, so gut sie konnten. Ich blieb einen Moment stehen, wollte hören, was sie sagten. Zwei Sätze und ich stellte fest, dass Zzila nicht in der Lage war, aus Leila herauszubekommen, was vorgefallen war.

Ich lauschte einen Moment und entschloss, die beiden zu stören.
Es machte einfach keinen Sinn, noch länger rumzudiskutieren. Wir waren hier, auf diesem Planeten, die einzigen Menschen, wenn man den Ausführungen der Limfie Glauben schenken konnte.
Was machte es da für einen Sinn, die Dinge der Vergangenheit zu verheimlichen?
Vor allem, wenn sie solch gravierenden Einfluss auf die Gegenwart haben konnten. Ich platzte also mitten in die Diskussion der beiden und gab Zzila zu verstehen, dass sie gehen sollte. »Wir müssen reden«, sagte ich und setzte mich neben Leila. Sie wandte sich ab und schüttelte den Kopf.
»Leila, bitte, wir haben doch gar keine andere Wahl. Wir sind hier völlig auf uns gestellt. Bitte …«
»Ich kann … ich kann das nicht«, stammelte sie. »Wenn du mir nicht erzählst, warum du das nicht kannst, kann ich dir nicht helfen. Ich möchte dich verstehen, aber du sollst sehen, was die aktuelle Situation für mich bedeutet.«
Ich neigte meinen Kopf, um ihre Reaktion zu sehen. »Das kannst du nicht verstehen«, erwiderte sie stoisch.
»Wenn ich wüsste, wovon du redest, dann wüsste ich, was ich nicht verstehen kann. Im Augenblick gehen mir viele Gedanken durch den Kopf und zum einen würde ich deinen Mann gerne an die Wand nageln und zum anderen möchte ich dir begreiflich machen, dass dir das nie wieder passieren wird. Egal, was es war.«
»Warum willst du es dann so unbedingt wissen?«, fauchte sie mich an und die senkrechte Zornesfalte auf ihrer Stirn war so tief wie noch nie.
»Weil ich sonst nicht weiß, worauf ich aufpassen muss!«, polterte ich.
Ich war wütend, aber am allerwenigsten auf sie. Ich brachte diese Gedanken nicht aus meinem Kopf. Es war verrückt, sich auszumalen, was ein Mann einer Frau antun konnte, damit sie Angst hat sich hinzugeben. Hatte sie etwa nie die Freuden einer einvernehmlichen Vereinigung erfahren dürfen? Es konnte ja gar nicht anders sein, dennoch wollte ich jetzt wissen, was vorgefallen war. Sie blickte mich an, zögerte einen Moment und sagte laut, »Nein!«
»Siehst du, schon hätten wir den wesentlichen Unterschied. Du bist vollkommen berechtigt dazu, Nein zu sagen. Das betrifft alles, was uns beide angeht. Du solltest aber berücksichtigen, dass auch ich Nein sagen darf«, ich versuchte, mich richtig auszudrücken. Sie blickte mich nur ungläubig an, daraufhin fuhr ich fort, »Du warst doch gerade so glücklich. Das konnte man spüren, dieser Stolz, der durch dich fuhr, als du mich besiegtest und dann hast du mich geküsst. Freiwillig und ich hatte das Gefühl, das war absolut keine Pflicht.« Mit einer Kopfbewegung versuchte ich dieser ‘Pflicht’ etwas Nachdruck zu verleihen. Sie schniefte und holte tief Luft, es entwich ihr aber nur ein tiefer Seufzer. Also musste ich weiter machen. »Warum denkst du, dass aus einem Kuss unweigerlich etwas entstehen muss, was du nicht willst? Vertraust du mir so wenig, oder was für eine Vorstellung hast du von dem Zusammenleben?«, bohrte ich weiter.
»Ich kenn’ das nicht anders« sagte sie leise und blickte zu Boden.
»Und ich kenne das nicht. Bei uns gibt es keinen Zwang, man küsst sich, wenn man das will, man umarmt sich, wenn man das will und nur wenn beide das wollen, geht es den Schritt weiter. Da darf es keinen Zwang geben, Leila, Zwang zerstört alles.«
Ich nahm sie in den Arm und sie ließ es zu. Sie weinte an meiner Schulter und ich flüsterte, »Schh, so etwas wird dir nie wieder passieren. Das verspreche ich.« Auch wenn ich gar nicht genau wusste, worum es ging. Ich wollte nicht weiter bohren, denn ich merkte, wie sehr sie das belastete. Sie blickte mich an und ihre Tränen rannen die Wangen hinunter.
Ich küsste ihr auf die Stirn und sagte, »Vertrau mir, bitte. Ich werde nichts tun, was du nicht selbst willst.«
Dann ließ ich sie los, zog die nasse Hose aus und legte mich neben sie in unser Bett.
Sie saß noch einen Moment am Rand, tat es mir dann aber gleich. Die nassen Hosen würden jetzt also ein paar Stunden hier rumgammeln, was ich nicht leiden konnte, aber ich beschloss für mich, dass es an diesem Tag keine Rolle spielte.
Eine Weile lagen wir Rücken an Rücken und meine Gedanken hinderten mich am Einschlafen. Aber die tägliche Siesta, während der Sommermonate, musste sein. Bei der Hitze war es kaum möglich, etwas Sinnvolles zu schaffen, es war einfach besser, sich eine Weile Ruhe zu gönnen und dann länger in den Abend hineinzuarbeiten. Im Sommer wurde es nachts ohnehin nie richtig dunkel, da der Mond und der Gasriese erst mit der Morgendämmerung das Spielfeld verließen.
Als ich erwachte, lag ich auf dem Rücken und sie ganz dicht an mich geschmiegt. Sie war immer noch so leicht, überhaupt keine Last. Dennoch wollte ich sie jetzt nicht aufwecken, also drehte ich mich vorsichtig zu ihr. Sie lag bereits so schön in meinem Arm, sodass ich sie nur noch ein wenig näher an mich ziehen musste. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren und atmete tief ein.
Dieser angenehme Geruch, den sie ausstrahlte. Ein wenig nach Erde, Laub und Harz. Sehr angenehm und obwohl sie beim Training immer wieder sehr ins Schwitzen kam, roch nichts an ihr unangenehm. Das vernebelte gerade meine Sinne. Fühlte ich mich genau in diesem Moment nur zu ihr hingezogen, weil ich unbedingt einmal Druck ablassen wollte? Als sie sich bewegte, lockerte ich meine Umarmung und tat so, als sei alles reiner Zufall. Vorsichtig stand sie auf, dachte offensichtlich, dass ich noch schlafen würde. Ich ließ sie in dem glauben und bewegte mich nicht. Leise war sie rausgeschlichen und hatte die nassen Hosen dabei mitgenommen. Ich blieb eine Weile liegen und beschloss, dass wir zum Fluss gehen würden.
Wir würden in den nächsten Tagen alles für die Wanderung vorbereiten und dann loslaufen. Ich wollte unbedingt einen weiteren Versuch starten, diesen Tintenfisch zu fangen. Sie musste endlich lernen, wie man schreibt.

* * *

Leila begann sich immer wohler zu fühlen. Markus hielt sein Versprechen und kam ihr nicht zu nahe. Er forderte nur, dass sie sich einbrachte in all die Arbeiten, die täglich anlagen und das, so musste sie zugeben, waren nicht wenige. Es war interessant, was er ihr erzählte und sie versuchte, so viel wie möglich von ihm zu lernen. Schnell hatte sie festgestellt, dass dieses Wissen ein großer Vorteil war. So gerne hätte sie gewusst, was dort alles auf den Rinden stand. Die Karte konnte sie mittlerweile recht gut deuten und genau so fand sie dann die Lichtung, auf der Flachs und das Getreide wuchsen. Sie hatte Getreide schon gesehen und sie hatte Bedienstete beobachtet, wie sie es verarbeiteten und letztlich Brot daraus buken. Sie wollte endlich etwas Eigenes zum gemeinschaftlichen Leben beitragen und so packte sie all ihre Energie in die Herstellung dieser Fladen. Es war logisch, dass Leila stolz war auf ihr Ergebnis und sie fühlte sich so akzeptiert, als Markus dieses Gefühl mit ihr teilte. Sie war also doch nicht nur nutzloser Ballast, so wie Jean das häufig zu ihr gesagt hatte. Und dann waren da eben all die Dinge, die sie mit Jean erlebt hatte. Als sie auf der Lichtung den Flachs entdeckte, hatte sie sich ablenken wollen, zu viele Erinnerungen kreisten in ihrem Kopf. All die Demütigungen, die sie über sich ergehen lassen musste. Sie dachte, das sei normal. Bis sie auf Markus traf. Lafaree waren wirklich in keiner Weise diese grausamen Monster, wie man ihnen weismachen wollte. Das war Jean. Jean war dieses Monster und genau dieses quälte sie jede Nacht. Je mehr Leila lernte, desto wohler fühlte sie sich in Markus Gegenwart. Sie achtete sehr darauf, seinen Anweisungen exakt zu folgen. Er hatte hier völlig allein überlebt. Definitiv, war er der ältere und erfahrenere hier und er hielt sich an die Abmachung. Markus hatte viel Geduld mit ihr und er forderte sie. Da blieb es nicht aus, dass sie sich immer mehr zu ihm hingezogen fühlte. Sie trainierte bis zum Umfallen und dann kam diese Gelegenheit. Leila hatte gesehen, dass er unaufmerksam war und sie reagierte sehr schnell. Sie schlug ihm seinen Stab aus den Händen. Was für ein Hochgefühl. Noch nie hatte sie das so gefühlt, sie war noch nie so stolz auf sich selbst und dann küsste sie ihn einfach. Das hatte sie ebenfalls noch nie gemacht, einen Mann von sich aus geküsst und das war ebenfalls neu und aufregend. Eigentlich wollte sie sehen, wie weit das gehen würde, aber der Dämon der Vergangenheit tauchte auf. Die Angst vertrieb dieses Hochgefühl und sie fing an, sich zu schämen. Ein unsinniges Gefühl, denn es gab nichts, vor dem sie sich schämen müsste. Dennoch wollte Leila nicht, dass Markus erfuhr, was sie so bedrückte. Sie wollte diesmal wirklich alles richtig machen. Dieser Mann gab ihr so viele Freiheiten, er zeigte ihr, wie sie sich selbst verteidigen konnte, wie sie vielleicht sogar allein überleben könnte. Es fühlte sich so richtig an und dennoch machte es ihr eine Heidenangst. Wenn Jean sie geküsst hatte, lief das immer auf dasselbe hinaus und das war alles andere als schön. Davor hatte sie Angst. Sie hatte Angst, dass es so werden würde, wie es mit Jean war.

Der Fluss

Solange ihre Schulter nicht vollständig einsatzfähig war, hatte ich große Ausflüge vermieden.
Als es ihr besser ging, hatte ich sie trainiert und nun ging es ihr körperlich so gut, dass sie mich tatsächlich in einem Kampf geschlagen hatte. Die körperlichen Wunden waren verheilt, aber es schien mir, dass der Geist noch litt. Vielleicht konnten wir gemeinsam etwas daran ändern. Vielleicht tat ihr ein wenig Ablenkung gut. Also begann ich, unseren Ausflug vorzubereiten.
Wir studierten die Karte und versuchten, uns die Route gut einzuprägen. Immerhin mussten wir den Weg zurück finden. Selbst wenn uns die Limfies mit Sicherheit dabei behilflich sein würden, so wollte ich, dass wir das auch selbst konnten. Leila buk einige Fladen und verpackte sie sorgfältig mit den verwebten Halmen. Ich hatte Fleischstücke im Bananenblatt gegart und ebenfalls sorgfältig verpackt. In all den Jahren war ich nur zwei Mal am Fluss. Beide Male hatten die Flussmonster meinen Forscherdrang abrupt gebremst. Ich hatte nicht nur einen Heidenrespekt vor diesen Viechern, nein, sie ängstigten mich und ich fühlte mich am Flussufer einfach nicht wohl. Nur gab es ausgerechnet dort den Tintenfisch und, das hatte ich nachgelesen, die Bäume, deren Rinden sich, gemäß meines Vorgängers Beschreibung, gut als Papierersatz nutzen ließen. Dieser Fluss, zu dem wir lange vor Sonnenaufgang aufbrechen wollten, war der größte, den man vom Berg oberhalb der Stele sehen konnte. Katalis war mit vielen Flüssen durchzogen, aber dieser eine war so breit, dass er den Wald sichtbar teilte.
Der Sommer machte diese Jahr wirklich seinem Namen alle Ehre. Die beste Zeit, um sich auf den Weg zu machen, war also noch fast in der Nacht. Auf Katalis wurde es dank des Gasriesen praktisch nie stockdunkel. Im Winter gab es ein oder zwei Wochen, aber dann thronte dieser große Ball am Himmel, alles war durch sein fahles Licht erhellt. Ich hatte also wenige Stunden geschlafen, war aufgestanden und kontrollierte unseren Proviant, den wir uns auf den Rücken binden würden. Drei Schläuche mit Wasser hatte Leila gefüllt und hergerichtet. Sie stand auf und machte sich fertig. Ich half ihr dabei, ihre Beine zu schützen. Wir waren uns einig, dass niemand scharf auf Insektenbisse war. Da wir noch in der Nacht losliefen, hatten wir unsere Jacken an. Meine Schuhe hatte ich schon lange durch selbst gefertigte Mokassins aus Leder ausgetauscht. Leilas feste Schuhe ergänzten wir jedes Mal durch ein Leder, welches wir ihr um die Waden wickelten. So war sie bestens gegen die beißwütigen Krabbler gewappnet. Das Wasser würde sicherlich bis zum Fluss reichen. Wir banden uns unsere Beutel gegenseitig auf den Rücken, gingen sicher, das Feuer gelöscht zu haben und ich stellte die Schilfmatte an Ort und Stelle, während Leila sorgfältig den Efeu darüber drapierte. Danach marschierten wir los.
In sicherer Entfernung wurden wir von den Limfie begleitet. Allerdings hatte ich die beiden gebeten, sich zurückzuhalten. Leila brauchte diesen Ausflug. Vor allem wollte ich, dass sie sich bewusst wurde, dass sie das auch ohne die Hilfe von außen bewältigen konnte. Mein letzter Ausflug zum Fluss war schon so lange her, sodass ich gar nicht mehr wusste, wie mühselig sich das gestalten konnte. Das Dickicht hatte sich seither noch dichter verwoben und zwang uns immer wieder, es zu umgehen. Ich hoffte, dass wir uns dadurch nicht verliefen. Gut, zur Sicherheit waren die Limfie dabei, aber das wusste nur ich. Wie ich schon sagte, ich wollte, dass Leila diese Erfahrung machte, ohne zu wissen, dass ihr jemand jederzeit zu Hilfe kommen konnte. Ja, ich war bei ihr, aber letztlich hatte auch ich den Weg zu den Stelen nicht zurückgefunden.
Stellenweise wateten wir knietief durch Bäche oder brackige Pfützen. Dort, wo es ging, schlugen wir uns mit den Speeren und den Holzknüppeln durch das Gestrüpp. Das war anstrengend und so kam es, dass wir weitaus früher unser Lager aufschlugen, als ursprünglich geplant. Bei der Hitze war es nicht möglich, lange Zeit durchzuhalten. Wir suchten uns ein schattiges Plätzchen, prüften den Untergrund, auf irgendwelches Ungeziefer und Unebenheiten, schließlich wollten wir hier in Ruhe unser Mittagsschläfchen halten. Dennoch war es nicht angenehm, so verschwitzt und dreckig eine Pause einzulegen. Zusätzlich verlängerte sich unsere Reisezeit, leider.
So saßen wir dann, vor der Sonne geschützt, im Dickicht und warteten darauf, dass die Hitze etwas nachließ. Leila hatte Fladenbrot ausgepackt und kaute gedankenverloren auf einem Bissen herum.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich. Sie nickte.
»Sag mal, bilde ich mir das eigentlich ein, oder gibt es hier dieselben Pflanzen, wie auf der Erde, nur viel größer?«, fragte sie.
Ich musste unweigerlich lächeln.
»Warum lachst du? Ich weiß, ich kenn’ mich nicht sonderlich gut damit aus, aber ein paar Pflanzen hab’ ich früher schon gesehen. Der Farn hier ist groß wie ein Baum und die Blüte einer Schlüsselblume, groß wie ein Laib Brot.«
Sie wirkte fast beleidigt, als ich weiterhin lächelte.
»Ich hab’ dich nicht ausgelacht, Leila. Es freut mich, dass du solche Dinge bemerkst. Manche Sachen sind größer, andere wieder viel kleiner«, erklärte ich und reichte ihr ein winziges Blatt. »Das ist ein Eichenblatt. Hier ist es hundertmal kleiner als in unserer Heimat und ich selbst musste mehrfach hinsehen, bevor ich diese winzigen Bäume erkennen konnte. Sie sehen fast aus wie Moos, ähneln in ihrer Struktur aber den Bäumen unserer Heimat«, erklärte ich.
»Ist dann alles irgendwie genau umgekehrt?«, fragte sie.
»Nicht alles. Denk an die Hasen oder die Ziegen und es gibt die Limfie. Soviel ich weiß, sind sie nicht die Einzigen ihrer Art hier. Nur eben die Einzigen in unserer Nähe.«
»Du meinst, es gibt noch andere Wesen hier?«, fragte sie.
»Ich bin mir ziemlich sicher. Wie lange dachten die Menschen, sie seien die einzigen im Universum und sieh uns an, wir sitzen in einem riesigen Wald, auf einem Planeten, wahrscheinlich sogar nur ein Mond, der um einen riesigen Gasriesen kreist. Die Bedingungen hier sind optimal, es gibt Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und Nahrung im Überfluss. Nur Metall gibt es hier nicht. Das macht das Überleben mühselig, aber vielleicht ist das ganz gut so.« Ich legte eine kleine Schweigeminute ein, in der ich diesen Gedanken reifen ließ. Sicher, es war immer mühselig, mit den Steinsplittern die Dinge zu bearbeiten. Es hatte aber definitiv seine Vorteile. Leila dachte ebenfalls nach und sagte dann,
»Es ist gut, dass es hier keinen Stahl gibt. Wir hätten uns doch schon lange die Kehlen aufgeschlitzt.«
Betroffen blickte sie zu Boden und ich musste ihr zustimmen. Was hatte dieser elende Krieg nur aus uns Menschen gemacht? Ich lehnte mich an den Baum, unter dem wir im Dickicht rasteten und schloss die Augen. Ein wenig ruhen während dieser unerträglichen Hitze. Selbst den Grillen war es heute zu heiß. So leise wie an diesem Tag war es selten. Immerhin gab es hier eine Fülle an Vögeln und anderem Getier. Ob diese nun auch so intelligent waren, wie die Limfie, war fraglich. Lange hatte ich überlegt, ob es noch andere intelligente Lebewesen auf Katalis gab. Vielleicht einmal, vor langer Zeit. Vielleicht gab es einst wirklich Menschen hier und eine winzig kleine Hoffnung hegte ich weiter, dass wir vielleicht nur noch keinen Menschen begegnet waren, weil ich bisher immer nur auf der einen Seite des Flusses gewesen war. Es war unmöglich, diesen Fluss zu queren, selbst wenn es mir gelingen sollte, ein stabiles Boot zu bauen. Die Flussmonster machten so ein Unterfangen unmöglich. Ihrer Beißkraft hielt kein Holz stand. Wir saßen schwitzend und erschöpft im Dickicht und versuchten, etwas Ruhe zu finden. Sobald es abkühlte, würde ich zum Aufbruch drängen. Wir mussten noch ein Stück laufen, bevor wir zu dem Baum gelangten, auf dem ich das letzte Mal die Nacht verbrachte. Damals hatte ich das Gefühl, ich sollte lieber nicht auf dem Boden schlafen. Es war ein Gefühl, ich wusste nicht, dass es andere Raubtiere, als das Flussmonster gab. Ich war bisher noch keinem solchen Tier begegnet, glücklicherweise.

Der Wald lichtete sich und wir standen auf einer großen Lichtung. Der allgegenwärtige Geruch nach feuchter Erde und Harz wurde durch einen blumigen Geruch nach Blütenhonig durchbrochen. Man konnte den großen Baum, in dessen tief herabhängenden, kräftigen Astgabelungen ich damals meinen Schlafplatz gerichtet hatte, kaum übersehen. Leila seufzte erleichtert. Es schien, als fühlte sie sich im Laufe der letzten Stunde zunehmend unwohl. Hier, auf der Lichtung, gab der Gasriese ausreichend Licht, sodass wir ohne die direkte Sonne in der Lage waren, unser Nachtlager aufzuschlagen. Ich legte meinen Beutel mit dem Proviant ab und kletterte auf den Baum. Leila beobachtete mich unsicher und ich ermutigte sie, solange es noch hell genug war, ein paar Dinge zu sammeln, so benötigte ich ein paar große Palmblätter. Sie legte ihre Taschen ab und machte sich sogleich auf die Suche. Wenig später erschien sie mit einigen ausgewählten Palmwedeln und reichte sie zu mir herauf. Ich hatte eine Astgabelung ausgesucht, die stark genug war, um uns zu tragen, aber dennoch nicht zu tief herunter hing. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, dass uns noch etwas ganz anderes überraschen könnte.
Ich verflocht die Wedel zu einer stabilen Matte und fixierte sie mit Lianen, die Leila entdeckt hatte. Unsere Beutel mit dem Proviant hängte ich an einen abgebrochenen Ast und dann half ich ihr nach oben zu klettern. Wir aßen gemeinsam einen Fladen mit Fleisch und Ulkoknolle und vermissten beide die Soße, die das Ganze doch etwas delikater gemacht hätte. In einem angeregten Gespräch tauschten wir die Ideen, wie wir eine herstellen könnten und der Gedanke an das Einfangen einiger Ziegen wuchs. Wir wären vielleicht wirklich in der Lage, sie zu zähmen und zu melken und Milch oder Käse herzustellen. Wir sollten uns auch auf die Suche nach dem Ton machen, aus dem unser Vorgänger die Schale und den Teller sowie all die Töpfe und Tiegel gefertigt hatte. Eine Pfanne, in der wir, mit etwas Fett, Fleisch anbraten konnten, gäbe bestimmt einen tollen Bratensaft, den man dann wiederum zu einer leckeren Soße verarbeiten könnte. Ich war begeistert von dem Einfallsreichtum, den Leila an den Tag legte. Warum hatte man sie das niemals ausleben lassen? Sie wäre ein wirklich gutes und produktives Mitglied unserer Gemeinschaft gewesen. So wie es schien, war ihr das in die Wiege gelegt worden. Ich war schon gespannt, was da noch alles zum Vorschein kam, fühlte es sich doch an, wie die Seiten eines unbeschriebenen Buches, die erst gefüllt werden müssten. Ich hatte einen Lehrer, der mich für den Kampf vorbereiten sollte, aber mein Kopf war so voll von Informationen und ich war nicht mehr in der Lage, viel mehr aufzunehmen. So sagte er eines Tages zu mir: ‘Leere die Seiten deines Buches, nur so bist du offen für Neues.’ Nachdem ich das verstanden hatte, nachdem ich verstanden hatte, was er damit meinte, fiel es mir viel leichter, seine Lektionen zu verinnerlichen. Leila war ein unbeschriebenes Buch und sie würde jetzt auf jeden Fall in die Richtung gehen, in die ich sie leitete. Keine Fehler, die durfte es jetzt nicht geben. Ich musste aus ihr eine Lafaree machen, um Werte wie Empathie, Nächstenliebe und Zusammengehörigkeit zu festigen. Dennoch war mein ehrgeiziger Plan mit vielen Fehlern behaftet, die uns leider noch zu schaffen machen würden. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht und ob das nun gut war oder nicht. Ich weiß es nicht. Immerhin dachte ich, wir wären für ewig hier gefangen, allein, nur wir beide. Sogar der Nachwuchs würde uns verwehrt bleiben, sollte sich Leila dazu entschließen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Nach unserem ausgiebigen Gespräch legten wir uns auf das Geflecht, das erstaunlich stabil war. Leila legte sich in meine Arme und wir betrachteten durch das Blätterwerk hindurch den Himmel. Deutlich war der Gasriese zu sehen. Die Farben eines Regenbogens umschlossen ihn, aber nicht gleichmäßig, sondern in Wellen oder durch andere Farben gekreuzt. Wir sprachen über das Universum und ich erklärte ihr das Modell der Galaxie. Das, was ich darüber wusste, versuchte ich so verständlich wie möglich darzulegen. Ich erklärte ihr die Planeten unseres Sonnensystems und dass ich vermutete, dass Katalis nur ein Mond des Gasriesen war. Nicht wie unsere Erde, ein Planet, der sich um die Sonne drehte. In unserem heimatlichen Sonnensystem gab es so einen Gasriesen nicht. Deswegen vermutete ich, dass wir in einer völlig fremden Galaxie gelandet waren.
Leila hörte meinen Erklärungen schweigsam zu und sagte irgendwann: »Ich fühle mich so winzig, wenn ich auf diese riesige bunte Murmel blicke. Sind wir wirklich nur ein Staubkorn in all diesen riesigen Universen?«
Ich blickte sie an und sagte: »Besser hätte ich es nicht ausdrücken können.«
»Das bedeutet, dass du es auch nicht weißt, hab’ ich recht?«, hängte sie an und ich antwortete: »Du hast recht, ich weiß es nicht.«
»Was glaubst du, werden wir das herausfinden?«, fragte sie.
»Es spielt doch keine Rolle, was ich glaube. Wir sind hier und fast alles, was es hier auf Katalis gibt, existiert auf der Erde nicht und wenn, dann sind die Dimensionen vertauscht. Ich denke, wir beide haben die einmalige Chance, unseren ganz persönlichen Frieden zu finden, nur das zählt für mich.«
Ich räusperte mich, um meine trüben Gedanken zu vertreiben. Leila kuschelte sich an mich, und wenige Minuten später hörte ich ihren gleichmäßigen Atem. Sie war eingeschlafen. Ich blickte noch eine Weile durch die Baumkrone in den Nachthimmel und schlief dann auch.
In den frühen Morgenstunden erwachte ich durch ein seltsames Geräusch. Es klang wie eine Mischung aus dem Schnüffeln eines Hundes, der eine Spur aufgenommen hatte, und dem Schnauben eines Pferdes. Ich richtete mich auf und suchte im fahlen Licht des Gasriesen nach der Ursache und dann sah ich sie. Eine Gruppe hundeähnlicher Wesen. Von der Statur her erinnerten sie mich an Hyänen, die Hinterläufe waren kürzer als die Vorderläufe. Der Brustkorb der struppigen Gesellen war mächtig ausgeprägt, was auf einen kraftvollen Angreifer schließen ließ.
Angespannt beobachtete ich, was diese Gruppe von sechs Tieren auf dieser Lichtung tat. In all den Jahren hatte ich sie nie bemerkt. Waren das nun eher Wölfe oder Hunde? Auch ihre Fellfärbung irritierte mich ein wenig, denn ich konnte sie nicht zuordnen. War das grau oder braun? Im schummrigen Licht konnte man das kaum unterscheiden.
Als Leila mich anfasste, rutschte mir vor Schreck das Herz in die Hose. Gerade noch schlief sie, schon hatte sie sich aufgerichtet und sich ebenfalls auf die Lichtung konzentriert. Sie flüsterte mir zu: »Was ist das?«
Ich legte den Zeigefinger auf meine Lippen, weil ich das Gefühl hatte, dass wir möglichst kein Geräusch machen sollten, aber es war schon zu spät. Die Tiere hatten uns wahrgenommen, hoben sofort die Köpfe und wandten sich uns zu. Sechs Köpfe, die zuerst intensiv den Waldboden geschnüffelt hatten, drehten sich uns zu und ich sah zum ersten Mal das Gesicht dieses Wesens. Ich spürte, wie Leila ihre Fingernägel in meinen Unterarm grub und versuchte, ihr Entsetzen zu unterdrücken. Mein Forscherdrang betrachtete diese Wesen mit einer respektvollen Distanz. Auch wenn ich wirklich neugierig war, als ich in das Gesicht dieses Räubers blickte, war mir durchaus klar, dass ich keine direkte Bekanntschaft mit einem von ihnen machen möchte. Dieses Wolfstier hatte vier Ohren, die sich perfekt in jede Richtung ausrichten konnten. Es konnte also auf die feinsten Geräusche reagieren. Obendrein besaß es vier Augen. Die Hauptaugen wirkten wie die Augen eines Hundes, die zusätzlichen Augen lagen etwas weiter vorn am Nasenrücken. Dieser endete nicht wie gewohnt in einem Nasenspiegel, sondern in Nüstern, ähnlich derer eines Pferdes, die links und rechts des Nasenrückens angeordnet, für das auffällige Geräusch sorgte. Erschreckenderweise begab sich das größte Tier genau zu unserem Baum, stellte sich am Stamm auf und just in dem Moment, als ich dachte, es würde anfangen zu jaulen oder zu bellen, stimmte es einen faszinierenden Gesang an. So faszinierend, dass ich dachte, ich hätte langsam nicht mehr alle Sinne bei mir. Beinahe wäre ich herabgestiegen, aus meinem sicheren Nest in der Höhe und fast hätten wir beide das getan, hätte nicht plötzlich ein grausiges Kreischen den Himmel erfüllt. Der Gesang verstummte abrupt, genau wie das Gefühl, dem unbedingt nachzugeben. Wir hörten das Schlagen von Flügeln, von großen Flügeln und die sechs Wolfs-ähnlichen Tiere huschten auf leisen Pfoten in das Unterholz. Das Geräusch des Flügelschlags entfernte sich in die gleiche Richtung, in der die Wolfstiere verschwunden waren. Leila blickte mich verstört an und hauchte, »Was war das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich und fügte hinzu, »ich habe diese Tiere noch nie gesehen.«
Gab es also doch mehr auf Katalis, als ich mir eingestehen wollte?
Ich würde die Limfie auf jeden Fall bei der nächsten Gelegenheit darauf ansprechen. Zusammengekauert verbrachten wir den Rest der Nacht. Keiner von uns beiden konnte ein Auge schließen, so sehr beschäftigte uns das. Als die Sonne die ersten Baumwipfel beleuchtete, begann ich, unsere Sachen zusammenzupacken. Leila tat es mir gleich und band sich ihren Proviantbeutel auf den Rücken, bevor sie sich vorsichtig am Stamm heruntergleiten ließ. Ich fand das sehr mutig, da sie als erste die Lichtung betrat und gar nicht lange wartete, bis ich ihr folgte. Sie hielt den Speer bereit und beobachtete den Waldrand. Ich war stolz auf sie, als ich den Stamm hinunterglitt und ihr folgte. Leila hatte viel gelernt, sie hatte viel Selbstbewusstsein aufgebaut und sie bewies mir deutlich, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Sie vertraute mir, weil ich schon so lange hier war. Wie sollte ich ihr das dann erklären, dass ich ebenfalls noch nie etwas von diesen Tieren gesehen hatte?
Es beruhigte mich ein wenig, dass sie keine Fragen stellte. Vielleicht hatte sie gedacht, dass ich wusste, wie wir damit umgehen mussten, weil ich sie ermahnte, still zu sein. Egal, ich würde ehrlich zu ihr sein und ihr erklären, dass ich diese Wesen nicht kannte und schon gleich gar nicht dieses fliegende Etwas, das wir nur gehört und nicht gesehen hatten.
Stunden später erreichten wir dann endlich das Ufer des Flusses. Während ich meine alte Raststätte anstrebte, merkte ich nicht, dass sich Leila nicht mal entkleidete, als sie sich mit freudiger Wonne ins Wasser begab.
Hatte ich wirklich vergessen, sie zu warnen? Wie konnte ich nur?

Sie stand schon bis zum Bauchnabel in dem angenehm kühlen Wasser, als ich sie ruppig zur Seite stieß, um sie vor dem Angriff des Flussmonsters zu bewahren. Glücklicherweise landete ich gleich mit dem ersten Stoß einen Treffer. Der Speer bohrte sich durch das weit aufgerissene Maul des Viehs und mit einem kräftigen Schwung gelang es mir, das Monster mitten auf den Sandstrand zu katapultieren. Ich packte Leila und zog sie eilends an Land, bevor sich auch schon die Horde der restlichen Fischmonster über sie hermachen konnte. Das Wasser brodelte durch die Bewegungen und man hörte das Schnappen der messerscharfen Kiefer. Ein gruseliges Geräusch und Leila stand am Ufer und betrachtete das schäumende Aufbegehren dieser hungrigen Flussmonster mit Entsetzen.
Ich war wütend, vor allem auf mich selbst. Mir war es im Traum nicht eingefallen, Leila nach dieser Nacht auf etwas vorzubereiten, was noch viel gruseliger war als diese Wolfswesen. Wütend trat ich mit Schwung gegen das gestrandete Monster und kickte es dabei noch ein weiteres Stück den Strand hinauf. Mich interessierte es keine Sekunde, dass es dort lag, japste, die Kiefer zusammenschlug und mit den Kiemen flatterte, bis es in den letzten Zügen seine vier Augen verdrehte und sein Leben aushauchte. Es hätte mich mit gleicher Genugtuung verspeist, also warum sollte ich Mitleid haben? Verrückt, worüber ich mir alles Gedanken machte, oder?
Ich war einfach nur froh, dass Leila nichts geschehen war und ich konnte ihr nicht mal einen Vorwurf machen, war ich es doch, der vergessen hatte, ihr zu sagen, dass sie niemals in diesen Fluss gehen durfte. Sie stand immer noch wie angegossen am Ufer und blickte starr auf das schäumende Wasser vor ihr. Gierige Kauleisten in verschiedenen Größen versuchten sich zu übertreffen und ein winziges Stück der gewitterten Beute zu erhaschen. Sie wäre diese Beute gewesen und ihr Gesichtsausdruck zeigte mir, dass sie das wusste. Sie blickte mich vorwurfsvoll an und hatte absolut recht damit.
»Leila, es tut mir leid, aber ich kann jetzt nicht«, fauchte ich und wandte mich ab. Ich ballte die Fäuste, stampfte in den Sand, sodass er davonstiebte und ließ meinem Frust freien Lauf. Hatte ich sie nicht leichtsinnig in diese Falle laufen lassen, obwohl ich um die Gefahr wusste? Ich hätte sie durch eines dieser Monster verlieren können. Hier stand ich jetzt, wütend und verzweifelt und wurde mir gerade bewusst, dass mir bereits viel mehr an ihr lag, als nur eine nette Gesellschaft. Ich wollte auf keinen Fall, dass ihr irgendetwas passieren würde, ich fühlte mich bereits viel mehr zu ihr hingezogen, als ich mir eingestehen wollte und ich hatte das gerade alles aufs Spiel gesetzt.
Ich zuckte zusammen, als sie mir sanft die Hand auf die Schulter legte. Sie sagte nichts, sie blickte mich mit ihren zweifarbigen Augen nur an, da war kein Vorwurf in ihrem Gesichtsausdruck, was mich veranlasste, sie fest zu umfassen und an mich zu ziehen. Ich flüsterte, »Es tut mir leid«, in ihr Ohr. Leila erwiderte die Umarmung und drückte sich fest gegen mich. Sie sagte nichts. Zum ersten Mal spürte ich ihren Herzschlag, ganz nah bei mir und dann flüsterte sie. »Es muss dir nichts leidtun.«
In diesem Moment war ich ihr so nah wie nie zuvor, jetzt und hier schien alles möglich und ich war mir sicher, dass sie sich jetzt völlig hingeben könnte. Einen Moment nur und ich war mir darüber im Klaren, dass dies einfach nur ein Ausnutzen der Situation wäre, also küsste ich sie auf die Wange und wisperte, »So weit ist es noch nicht und du weißt, dass es jetzt falsch wäre.« Ich hatte mein Verlangen scheinbar gut unter Kontrolle.
Sie legte beide Hände auf meine Wangen, drückte ihre Stirn an meine, blickte mir tief in die Augen und sagte, »Jetzt noch nicht, aber wer weiß.«
Sie straffte sich, was man in jedem Muskel spüren konnte, löste ihre Stirn von meiner, schloss die Augen und küsste mich erneut. Daraufhin drückte sie sich von mir weg und drehte sich um.
Mir fiel erst jetzt auf, dass sie von oben bis unten voller Sand war. Es klebte förmlich an ihr. Sie schüttelte sich und versuchte, das Gröbste loszuwerden, was sich nicht einfach gestaltete. Sie streifte Arme und Beine ab und man sah ihr an, dass sie sich zu gerne gewaschen hätte. Aber wer würde sich bei diesen Monstern noch ins Wasser wagen?
Das Monstrum hatte sich durch seine letzten Atemzüge gequält und lag jetzt einfach wie ein nasser Sack im Sand. Ein nasser Sack, der geschützt durch einen glänzenden Schuppenpanzer nicht einmal im Tod zu knacken war. Es war nicht mal möglich, einzelne Schuppen zu entfernen oder einzelne Zähne. Beides hätte man sicherlich gut gebrauchen können, so scharf wie die Kanten der Schuppen waren und so spitz die Zähne. Aber wir Menschen kamen nicht daran.
Während ich begann, unser Lager herzurichten und Holz für das nächtliche Lagerfeuer zu schlichten, ging Leila das Ufer ab. Ich beobachtete, wie sie sorgsam die Wasseroberfläche im Auge behielt. Diese Biester waren immer noch da draußen und warteten nur darauf, dass einer von uns einen Fuß ins Wasser setzen würde. Wenig später kam sie mit einem Schildkrötenpanzer zurück und begann in sicherer Entfernung zum Wasser ein Loch auszuheben. Ich beschäftigte mich damit, unser Lager herzurichten und beobachtete sie nur aus dem Augenwinkel heraus. Noch erschloss sich mir nicht, was sie dazu veranlasste, in dieser schweißtreibenden Hitze, mit dem Panzer einer Schildkröte, ein tiefes Loch im Sandboden auszuheben. Als sie aber dann aus dem tiefen Loch stieg und mit dem Panzer einen Graben zum Wasser aushob, sah ich, wie das Wasser langsam in die Grube lief. Es dauerte eine ganze Weile, bis das Loch vollgelaufen war und Leila musste den Graben immer wieder ein wenig mehr freischaufeln, aber letztlich füllte sich eine ganze Wanne voll mit Flusswasser. Was für eine kluge Frau und was für eine Verschwendung für ein Volk der Galischen Männer, die nicht zu schätzen wussten, was für ein einfallsreiches Köpfchen hinter dieser schönen Frau steckte. Bevor ich mich versah, warf sie den Schildkrötenpanzer zur Seite und sprang in das Loch. Auch wenn das Wasser nicht so klar und rein, wie das Wasser des Quellsees war, so hinderte es sie nicht daran, in dieser schaumigen Brühe, unterzutauchen und prustend wieder aufzutauchen. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und jauchzte erfreut. Unweigerlich musste ich schmunzeln. Leila war so weit gereift, dass sie sich durchaus selbst verteidigen konnte. Sie war beim besten Willen nicht mehr auf mich angewiesen und das erfreute mich. Es gab wirklich keine schlimmere Situation als die, dass ein Mensch nur mit dir zusammen war, weil er auf dich angewiesen war. Viel schöner war es, wenn das ganze aus freiem Willen … Das versetzte mir abermals einen Stich, wir hatten immer noch keine Wahl, wir waren hier völlig auf uns angewiesen. Sicher konnte jeder von uns mittlerweile alleine überleben, aber wollten wir das auch? Ich nicht. Lang genug war ich alleine und Mutter Natur hatte mich wahrlich genug geprüft. Ich wünschte mir so sehr, sie würde sich endlich ganz öffnen. Aber diese Entscheidung legte ich in ihre Hände.
Eine Weile beobachtete ich sie und fragte dann: »Darf ich auch in dein Loch?«
Sie blickte mich an und antwortete, »Ja, warum nicht?«
Ich entkleidete mich vollständig, was ein paar irritierte Blicke hervorrief. Als ich so nackt in das Loch stieg, hatte ich das Gefühl, dass sie sich gar nicht mehr wohlfühlte.
»Was ist?«, fragte ich sie und hielt meinen Kopf schief. »Ich … ach nichts«, stammelte sie und die Schamesröte stieg ihr in den Kopf.
»Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du dich auch ausziehst?«, sagte ich beiläufig und konnte augenblicklich sehen, wie ihr Kopf noch roter wurde.
»Leila, wir schlafen seit Wochen in einem Bett, glaubst du wirklich, dich nackt zu sehen, würde etwas an meinem Respekt dir gegenüber ändern?«
Ihr Mund stand offen, ihr hübscher Kopf schien wie wild zu arbeiten. Sie suchte nach Worten und fand offensichtlich keine. »Nun leg schon ab, ich schaue dir nichts weg«, ermutigte ich sie.
Sie tauchte im trüben Wasser unter und wenig später schlenzte sie ihre Hose an den Strand. Ich musste grinsen, was sie nicht sonderlich nett fand. Sie zögerte, ihr Oberteil auszuziehen. Ich ließ es mir nicht nehmen, sie genau zu beobachten. Sie versuchte, so gut es ging, ihre Brust zu verdecken. Offensichtlich fühlte sie sich barbusig in meiner Gegenwart nicht sonderlich wohl
»Leila, das bisschen Busen bringt mich nicht aus meiner Ruhe, da müsstest du schon etwas mehr aufwarten«, entwich mir schnippisch. Ihre Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen. Ich hatte es offensichtlich übertrieben. So sehr, dass sie einen Batzen nassen Sand in ihren Händen formte, aufstand, mir ihren nackten Oberkörper zeigte und mit voller Wucht einen feuchten Klumpen Sand in mein Gesicht klatschte. Das, was ich gesehen hatte, bevor ich lauter Sand in meinen Augen hatte, hätte ich gern angefasst. Der gut sichtbare Rippenbogen zeigte mir, dass sie immer noch nicht genug Fleisch auf den Knochen hatte. Der Bauch, mehr als bis zum Bauchnabel konnte ich nicht sehen, war flach und die Muskulatur zeichnete sich deutlich ab. Die Brust war klein und straff, höchstens eine Handvoll und dennoch hätte ich jetzt gern … Sollte ich? Nein, das war nicht der richtige Moment.
Ich versuchte, den Sand aus meinen Augen zu waschen und stand auf. Ich scheute mich nicht, weiterhin nackt am Strand herumzulaufen. Wer würde daran Anstoß nehmen? Die Flussmonster? Wohl kaum. Leila hingegen entfaltete das weiche Leder ihrer Gamaschen und band es sich als Schurz um ihre Lenden. Ihr Hemd, das sie bei ihrer Ankunft getragen hatte, zog sie durch das Wasser und nachdem das Gröbste an Sand entfernt war, zog sie es an. Sie bedeckte damit die Stellen ihrer Haut, die noch keine natürliche Bräune aufwiesen. Obwohl ich mich sicherlich an ihrer Nacktheit erfreut hätte, war es vernünftig. Wir hatten keine unserer Pasten mitgenommen, das wartete alles zwei Tagesmärsche von hier entfernt. Wenn sie sich die Haut verbrannt hätte, dann müsste sie damit zurechtkommen, ohne Heilpaste und ohne Linderung. Da sie mich immer wieder mit einem strafenden Blick ansah, nahm ich mir das zweite Leder und band es um meine Hüften. Wenn es sie beruhigte, dann sollte mir das recht sein.
Wir verbrachten also die größte Zeit des Tages damit, das Lager aufzubauen. Immerhin wollten wir ein paar Tage hier bleiben. Ich musste den Fisch finden, der die Tinte abgab und die Bäume, deren Rinde man so schälen konnte, dass man eine Art Pergament daraus erhielt. Der Proviant, den wir mit uns trugen, war knapp kalkuliert und ich hoffte, wir würden noch etwas anderes Schmackhaftes finden. Unser Vorgänger hatte ja hierzu wertvolle Hinweise hinterlassen. Ich wollte mich darauf konzentrieren, es schien mir wichtig, dass Leila lesen lernte und dann auch schreiben.

Die Feuerstelle war gut hergerichtet und ich konzentrierte mich darauf, unser Nachtlager vorzubereiten. Diesmal wollten wir nicht auf einem Baum schlafen, denn dann hätten wir ausnahmslos recht weit in die Höhe klettern müssen. Außerdem gab es oben, in den palmähnlichen Baumkronen, keine Astgabelungen, zwischen denen ich die Palmwedel verweben könnte. Ich entschloss mich also, eine Mulde zu graben, die ich mit einem hölzernen Konstrukt überdachen wollte. Hier würde ich dann wieder die Palmwedel miteinander zu einer festen Matte verknüpfen und auf ebenso einer Matte würden wir ruhen. Ich schickte Leila also in das Dickicht, um die Blätter hierfür zu schlagen.

Während sie also die Blätter für unser Nachtlager sammelte, hob ich mit diesem, äußerst praktischen, Krötenpanzer die Mulde aus und konstruierte aus einigen Ästen das Gestell für unsere Überdachung. Zweimal brachte Leila einen Schwung geeignete Blätter und lud sie bei mir ab. Beim dritten Mal bat ich sie, doch noch nach etwas Holz für das Feuer zu suchen. Es bot sich an, da sie sich schon beim ersten Mal ihre festen Schuhe angezogen hatte.
Ich hatte gerade die Unterlage unseres Schlafplatzes fertiggestellt, als sie mit einer reichlichen Ausbeute an Brennholz zurückkehrte. Mir fielen sofort die glänzenden, daumengroßen Krabbelkäfer auf, mit denen ihr helles Hemd übersät war. Diese Käfer hatte ich bereits beim letzten Ausflug verspeist. Eine der Sachen, die unser Vorgänger ausführlich beschrieben hatte. Im Palmblatt eingeschlagen und im Feuer geröstet, waren sie, nach dem Entfernen der stacheligen Beine, ein wahrlich schmackhafter Snack. Ich hielt sie also an und sagte: »Was hast du denn da Leckeres mitgebracht?«
Verwirrt blickte sie mich an. »Was?«, fragte sie.
»Na, die köstlichen Käfer an dir«, entgegnete ich lächelnd. Sie blickte an sich herunter, ließ das Holz abrupt fallen und fing an, wie verrückt, um sich zu schlagen. Die Käfer lösten offensichtlich eine regelrechte Panik aus. Ich schnappte mir ein Blatt und beeilte mich zu ihr zu kommen. Sie hatte eine gute Menge dieser Käfer an sich und für mich war es tatsächlich wichtiger, diese zu sammeln, als sie zu beruhigen. Ich hatte Mühe, mit ihr mitzuhalten, denn sie war wahrlich flott unterwegs. Irgendwann realisierte sie, dass ich einen Käfer, nach dem anderen abzupfte oder aufhob und in das Blatt in meiner Hand steckte.
»Was tust du da?«, keifte sie mich an.
»Essen sammeln«, antwortete ich kurz und hob den nächsten Käfer auf. Sie erstarrte.
»Was?«, brachte sie hervor und ihre Stirn zog sich in Falten, während ihr linkes Auge verstört zuckte.
»Diese Käfer kann man essen«, antwortete ich trocken und zupfte einen weiteren von ihrem Hemd. Leila würgte und ich musste lachen.
»Du bist ein Idiot«, fuhr sie mich an. Unterdessen hatte ich ausreichend Käfer gesammelt und sie in dem Blatt fest verschnürt. Es würde sicherlich keiner von ihnen entkommen können, bis wir mit allem so weit waren, um das Lagerfeuer zu entzünden. Leila blickte mich verärgert an, griff sich den Krötenpanzer, schöpfte Wasser aus dem Loch und schüttete es über sich, mehrfach, als wolle sie ihren Ekel abwaschen. Ich verstaute das Blattbündel sorgfältig und widmete mich weiterhin dem Aufbau unseres Nachtlagers, während sie die größeren Äste übers Knie brach und sorgsam stapelte. Zwischendrin begutachtete sie das verendete Monster und schnitt sich an den scharfen Schuppen abermals. Die Sonne schickte sich bereits an, zwischen den Baumwipfeln zu verschwinden, als mir zum ersten Mal auffiel, dass die Sonnenuntergänge auf Katalis, mit denen auf der Erde nicht vergleichbar waren. Auf der Erde schimmerte das Licht der Sonne in verschiedenen Nuancen. Von grellem Hellgelb bis Blutrot war so ziemlich alles dabei. Die Sonne von Katalis erschien hingegen immer goldgelb und daran konnten die seltenen Wolken nichts ändern. Ich vermutete schon lange, dass dies wohl daran lag, dass der dichte Wald mit seinen geschlossenen Baumkronen wenig der verdampften Flüssigkeit nach oben steigen ließ und sich so kaum Wolken bilden konnten. Innerhalb dieser dichten Baumkronen hingegen konnte es sogar regnen. Ein Tauwasserregen, der einem Sturzregen auf der Erde glich, oder ein sanftes Nieseln, das einen völlig durchfeuchten konnte. Jedenfalls schickte sich die Sonne bereits an, in den Tiefen des Waldes zu verschwinden und bald würde daraufhin der Gasriese am Himmel erscheinen und die Nacht erhellen. Dennoch beeilte ich mich, das Feuer zu entfachen. Das Nachtlager war gerichtet. Es war mir gelungen, eine unscheinbare Schlafmulde für uns zu gestalten. Mit einem festen Blätterdach waren wir vor der Witterung geschützt. Es hinderte uns aber nicht an der Flucht, falls wir dies tun mussten. Die Begegnung mit diesen gruseligen Wölfen, oder was immer das auch war, hatte mich dazu gebracht, diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen.

Das Feuer brannte gut und Leila platzierte eine große Ulkoknolle in der Glut, während ich mein gewickeltes Blatt mit den Silberkäfern daneben schob. Nach einer Weile legte sie ein Fladenbrot auf einen der Steine, die rund um die Feuerstelle platziert waren. Sie zupfte das letzte Stück Ziegenfleisch darauf, holte die Ulkoknolle aus der Glut, teilte sie und zerdrückte die Hälfte auf dem Fladen. Danach rollte sie ihn zusammen und riss mir die Hälfte ab. Ich lächelte sie an und schob das Blattpäckchen aus der Glut, damit es abkühlen konnte. Ich biss genussvoll in meinen Teil des Brotes und nuschelte,
»Es fehlt immer noch etwas Soße. So ist das wirklich trocken.« Mit einem kräftigen Schluck Wasser spülte ich nach, während Leila gedankenverloren auf ihrem Bissen herumkaute.
»Ist alles OK?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern und antwortete,
»Das ist unser letztes Stück Fleisch. Sollten wir keinen genießbaren Fisch fangen, so sieht es nicht gut aus mit unseren Mahlzeiten. Das Brot reicht sicher nicht, bis wir wieder bei der Höhle sind.«
Ich war erstaunt, worüber sie sich Gedanken machte. »Wir können doch sicher auch hier jagen oder Knollen sammeln«, antwortete ich.
»Ich war jetzt wirklich lange im Wald und konnte weder Spuren sehen noch ein Tier. Auch wachsen hier keine Knollen oder Kapi-Beeren.« Sie wirkte angespannt.
»Hast du echt Angst, wir könnten verhungern?«, fragte ich sie.
»Na ja, der Weg zurück ist ziemlich weit und Zzila und Karr haben sich auch schon eine Weile nicht mehr blicken lassen«, antwortete sie mir. Das war mir in der Tat noch gar nicht aufgefallen. Zzila und Karr hatten sich noch kein einziges Mal blicken lassen. Leilas Blick schweifte hinüber zu dem verendeten Flussmonster.
»Ob das Vieh wohl essbar ist?«, fragte sie.
»Nun, ich habe leider keinen Hinweis darüber gefunden. Außerdem ist es nahezu unmöglich, diesen Perlmuttpanzer zu öffnen. Glaube mir, ich hab’ alles versucht, denn diese scharfen, handtellergroßen Schuppen könnten ein wirklich gutes Messer abgeben, genau wie die Zähne wundervolle Pfeilspitzen wären. Nur ist es mir nie gelungen, etwas aus diesem Biest herauszubekommen.«
Leila starrte gedankenverloren ins Feuer und ich fischte das Blattpäckchen aus der Asche. Ich lag auf der Seite und stützte mich auf dem Unterarm auf. Leila saß im Schneidersitz genau neben mir. Als ich den ersten gerösteten Käfer aus dem Blatt heraus fingerte, beobachtete sie mich aufmerksam. Vorsichtig zupfte ich die stacheligen Beine ab und steckte mir den Käfer in den Mund. Es knackte laut, als ich darauf biss. Leila verzog angeekelt das Gesicht und ich lachte wieder einmal. Ich zupfte die Beine von einem weiteren Käfer und hielt ihn ihr hin. Sie schüttelte nur den Kopf. »Komm schon, probier. Wenn du wirklich recht hast und wir hier nichts Essbares finden können, sind diese Käfer die beste Verpflegung, die wir haben können. Zier dich nicht, sie schmecken nussig, sind knusprig und nahrhaft«, spornte ich sie an.
Sie zögerte, blickte mich misstrauisch an und beobachtete, wie ich mir selbst einen weiteren in den Mund schob. Sie hatte ihren immer noch in der Hand und betrachtete ihn skeptisch. Man konnte sehen, dass es sie eine Menge Überwindung kostete, aber letztlich biss sie davon ab. Ich sah in das erstaunte Gesicht, als sie merkte, dass es gar nicht so schlecht schmeckte. »Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm und wie ich schon sagte, hiermit können wir eine Weile aushalten. Wir müssen diesen Fisch fangen, sonst habe ich keine Möglichkeit dir das Schreiben beizubringen. Das bedeutet aber auch, dass wir hier so lange bleiben müssen, bis uns dieser ins Netz geht.«
Ich war nachdrücklich, denn es schien mir wichtiger, als irgendwelche Erkundungen im Wald. Den nächsten Käfer griff sie sich selbst, zupfte die Beine aus und steckte ihn sich in den Mund. »Du hast recht, sie schmecken irgendwie nach gerösteten Mandeln«, sagte sie und kaute gedankenverloren. Nach einer Weile fragte sie,
»Glaubst du, wir sind für immer hier völlig alleine? Ich meine, ich bin an der Steinformation einfach erschienen, ist es vielleicht möglich, dass dort noch mehr Menschen ankommen?«
Ich blickte sie an und zuckte mit den Schultern, »Das weiß ich nicht. Ich dachte immer, es sei ein Portal zwischen unseren Welten und ich hoffte immer, ich könne zurückkehren zu meiner Familie und meinen Freunden. Das passierte nicht und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis du hier aufgetaucht bist. Vielleicht in zehn Wintern?«, antwortete ich frustriert. Ich erwartete nichts dergleichen. Dieses Portal würde sein Geheimnis nicht offenbaren, dessen war ich mir sicher. Bevor wir es uns in der Kuhle bequem machten, blickte ich mich um. Keine Limfies weit und breit, nur diese Geräusche, die vom Fluss herüberkamen. Dieses schabende Geräusch, das Schnappen und das Platschen beschallte das gesamte Flussufer. Zudem konnte man die Augen über dem Wasserspiegel leuchten sehen. Diese Biester wussten, dass wir hier waren und würden uns garantiert nicht aus den Augen lassen. Leila schmiegte sich an mich und ich umfasste sie, um sie zu schützen. Wenig später fiel ich auch schon in einen traumlosen Schlaf.

* * *

Leila fühlte sich in Markus Gegenwart geborgen, mehr noch, zum allerersten Mal war sie auch erwünscht. Natürlich entwickelten sich da immer mehr Gefühle zu ihm, aber ihre Angst blockierte immer noch alles. Vielleicht sollte sie ihm wirklich erzählen, was vorgefallen war, aber sie wollte sich damit nicht noch einmal konfrontieren. Sie wollte ihre Ehe mit Jean einfach vergessen. Womit sie nicht gerechnet hatte, egal, wer sie anfassen würde, jeder Versuch, intim zu werden, würde sie daran erinnern. Auch wenn sie sich noch so sehr von Markus angezogen fühlte, jede Berührung von ihm machte ihr Angst. Selbst wenn sie sich im Schlaf an ihn schmiegte, hatte sie immer Angst, ihr könnte erneut das passieren, was Jean ihr angetan hatte. Das war einer der Gründe, warum sie sich mit voller Inbrunst in ihr körperliches Training warf. Endlich kümmerte sich jemand darum, dass sie selbst etwas an ihrer Lage ändern konnte. Sie musste nur begreifen, dass sie auch in anderen Situationen immer selbst diejenige sein würde, die entscheiden konnte, ob etwas jetzt geschah oder später. Mit großer Freude arbeitete sie also an den Vorbereitungen für den geplanten Ausflug zum Fluss. Sie studierte mit Markus zusammen die Karte, damit sie den Weg auch wieder zurückfinden würden. Sie kümmerte sich um den Vorrat an Fladenbrot, pflückte Kapi-Beeren und grub Ulkoknollen aus. Leila dachte nicht einen Moment daran, dass dieser Ausflug ganz andere Herausforderungen für sie bringen könnte.
Bisher war sie noch keinem anderen Lebewesen auf Katalis begegnet, als Hasen, Ziegen, ein paar Vögeln, Insekten und natürlich den Limfie. Dass es auch gefährliche Zeitgenossen geben könnte, schien ihr gar nicht möglich.
Gleich bei der ersten Rast wurden sie dann etwas besseren belehrt. War sie noch fasziniert davon, dass Markus ihr Nachtlager in der Astgabelung eines großen Laubbaumes errichtete, so ängstigte sie die Begegnung mit den Wolfshunden. Die beiden waren vom Gesang dieser Wesen so verzaubert gewesen, dass sie leicht deren Opfer hätten werden können. Gruselig war dann auch der Grund, warum diese Wölfe von ihnen abließen. Sie hörten es nur kreischen und sie hörten den Flügelschlag eines großen Vogels. Ein Greif? Nun, sie hatten ihn nur gehört, nicht gesehen und sie hatten gesehen, welchen Respekt die Wolfstiere davor hatten. Interessanterweise dachte Leila aber keine Sekunde daran, dass sich gefährliche Wesen im Wasser befinden könnten. Markus hatte das auch mit keiner Silbe erwähnt. Umso geschockter war sie, als er sie grob zur Seite riss und dieses Ungetüm an den Strand schlenzte. Dieses Vieh, mit seinen spitzen und scharfen Zähnen, das unentwegt nach ihr schnappte. Leila war starr vor Schreck und erschrak noch viel mehr über Markus heftige und grobe Reaktion. Ihr war nicht bewusst, dass es ihm um ihr Leben ging, und dass er sich Vorwürfe machte, sie nicht gewarnt zu haben. Sie hatten Glück, es passierte nichts. Aber die wundervolle Erfrischung im kühlen Nass war somit dahin. Das ließ ihr keine Ruhe. Sie musste sich jetzt etwas einfallen lassen, um all den Sand an ihr loszuwerden. Die junge Frau wanderte den Strand entlang, ohne nur einen Moment ein Auge von dem unruhigen Wasserspiegel zu nehmen. Man konnte sehen, dass sich dort noch mehr dieser Monstren aufhielten. Sie lief den Strand ab und sammelte bereits etwas Treibholz für die Feuerstätte. Bei dieser Gelegenheit entdeckte sie dann einen Panzer, der aussah, als wäre er von einer Schildkröte. Deutlich konnte man daran die Bissspuren der Flussmonster erkennen. Das arme Wesen war wohl deren Mahlzeit geworden und nur der leere Panzer blieb. Leila hob ihn an und betrachtete ihn eingehend. Das erinnerte sie an eine Art Schaufel und sie dachte daran, wie oft sie ihrem Bruder und seinen Freunden dabei zugesehen hatte, wie sie, um die reißenden Strömungen des Flusses zu umgehen, eine tiefe Mulde in den Strand gruben und dort ein erfrischendes Bad nahmen. Sie drehte den Krötenpanzer in ihrer Hand und fasste diesen Entschluss. Mit diesem Ding ließe sich bestimmt gut graben und schöpfen. Hitzebeständig war es sicherlich nicht, aber viele andere Dinge könnte man damit tun. Sie würde auf jeden Fall sehen, ob es hier noch ein paar weitere leere Panzer zu finden gab. Jetzt strebte sie erst mal ein erfrischendes Bad an. Also machte sie sich daran, eine tiefe Grube zu graben und sie danach mit frischem Flusswasser volllaufen zu lassen. Als sie damit fertig war, ließ sich Markus natürlich ebenfalls darin nieder. War ja nicht anders zu erwarten. Als er aber wieder damit anfing, dass sie so eine kleine Brust hatte, dass sie eben nicht so vollbusig sei wie seine Frau, da platzte ihr der Kragen. Sie warf eine Handvoll nassen Sand in sein Gesicht und verließ das Wasserloch genervt. Warum musste er sie immer so bloßstellen? War ihm nicht bewusst, wie verletzend das war? Immerhin hatte sie sich ihre körperliche Statur nicht ausgesucht. Während Jean sich von ihrer knabenhaften Figur angezogen fühlte, schien das Markus nicht sonderlich zu gefallen. Vielleicht sagte er das nur, um ihr nicht nahezukommen. Aber woher sollte sie das wissen, es tat weh, es gab immer einen Stich, wenn er wieder so abwertend über ihre weiblichen Attribute sprach. Als er dann noch völlig schamlos nackt am Strand herumlief, demonstrierte sie deutlich, dass ihr das missfiel. Irgendwann bedeckte er sein Genital, zwar nur lose mit einem Leder, aber immerhin verschwand »es« aus dem Blickfeld. Markus allein war ja schon ein Hingucker. Sein Alter sah man ihm nicht an, er wirkte nicht älter als dreißig, was er aber war. Immerhin hatte er ihr mal gesagt, er sei so alt wie ihr Mann und Jean war acht Jahre älter als sie. Ja, auch Leila stellte Vergleiche an, wobei ihr der muskulöse Körperbau mit all diesen kunstvollen Tattoos um einiges besser gefiel als der hagere, strenge und brutale Jean.
Während er sich um das Nachtlager kümmerte, zog sich Leila an und ging in den Wald. Sie sollte große Palmblätter für das Nachtlager suchen und Holz und brachte dann all diese widerlichen Käfer mit, die sich an jedem freien Flecken ihrer Kleidung angehaftet hatten. Völlig verwirrt musste sie feststellen, dass Markus jeden Einzelnen einsammelte und in ein Blatt wickelte. Er erwähnte nicht, was er damit vorhatte. Als sie dann letztlich zusammen saßen, unterhielten sie sich über das Nahrungsproblem. Die Vorräte, die sie mitgebracht hatten, würden nicht lange reichen und im Wald schien es nichts von dem zu geben, was sie um ihre Wohnhöhle herum finden konnten. Sie machte sich Sorgen um ihre Verpflegung. Markus blieb hart. Sie hatten diesen Ausflug gemacht, um den Fisch zu fangen, der die Tinte abgab, mit der ihr Vorgänger all die Rinden beschriftet hatte. Auch wuchsen hier, irgendwo, die Bäume, von denen diese Rinden stammten. Er würde bleiben, bis er das gefunden hatte, was er suchte.
Ach, wären doch nur die Limfie hier bei ihnen. Wie sehr vermisste Leila das Schnattern von Zzila. Es schien, als hätte es einen bestimmten Grund, warum die beiden sich jetzt so rar machten. Nach dem langen Marsch und den ganzen Arbeiten um das Lager schlief sie erschöpft in seinen Armen ein. Eine ruhige Nacht und ein schöner, frischer Morgen.

Onais-Tjelfort

Als ich meine Augen öffnete, dämmerte es bereits. Leila hatte die gesamte Nacht eng an mich geschmiegt geschlafen und sich kaum bewegt. Während sich die ersten Sonnenstrahlen bereits in dem ruhigen Wasser spiegelten, konnte man den Gasriesen langsam in den Baumwipfeln verschwinden sehen.
Leila streckte sich kurz und half mir dann sofort, das restliche Holz in der Feuerstelle zu schlichten, damit ich es entzünden konnte. Sie hatte es schon mehrfach selbst versucht, aber es gelang ihr noch nicht. Morgen würde ich ihr diese Aufgabe übertragen, nahm ich mir vor. Sie sollte das alleine können.

Es dauerte ein wenig, bis das Feuer brannte, doch dann gab es schnell die notwendige Wärme ab. Es war kalt geworden, hier am Strand, ohne den Schutz des dichten Blätterwaldes. In den Nächten wurde es hier immer kalt, denn es gab keine schützende Wolkenschicht, wie auf der Erde. Sie kauerte an der Feuerstelle und ich füllte einen der beiden mitgebrachten Tontöpfe mit frischem Wasser. Leila legte die restlichen Kapi-Beeren auf ein Blatt und ich tat die letzten gerösteten Käfer dazu. Das müsste für das Frühstück reichen, denn die letzte Ulkoknolle und das Fladenbrot wollte ich für das Mittagessen aufheben. Ich wollte unbedingt diesen Fisch fangen. Der Vorgänger hatte geschrieben, dass er essbar war und vor allem diese Tinte abgab. Bisher hatte ich ihn nicht gefunden. Nur war ich versessen darauf, ihn dieses Mal zu finden.
»Guten Morgen!«, sagte sie freudig zu mir, schlotterte von der Kälte im Morgengrauen und versuchte, sich am Feuer zu wärmen. »Ich hab’ etwas Wasser gewärmt, damit wir etwas Warmes in den Bauch bekommen. Lass uns dann unsere Hosen und Schuhe anziehen und mit den Speeren den Strand ablaufen. Irgendwo muss dieser Fisch zu finden sein. In den Aufzeichnungen steht, dass er in Ufernähe herumschwimmt, silberblau glitzert, die Größe eines Herings hat, bei Gefahr zwar eine Tintenwolke ausstößt, aber immer ausreichend Tinte in seinem Beutel bei sich hat, sodass man sie von ihm gewinnen kann«, erklärte ich entschlossen. Leila blickte mich an, griff sich den Krötenpanzer und sagte,
»Ich werde auf jeden Fall nach weiteren solchen Panzern suchen. Auch wenn wir sie nicht zum Kochen verwenden können, so sind das äußerst praktische Schaufeln oder Schüsseln.«
Ich blickte sie erstaunt an, was für eine kluge Frau. Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mich richtig für sie freute. Statt im Krieg als Kanonenfutter vergeudet, fand sie hier ihre eigene Aufgabe, ohne Zwang. Nun, einem gewissen Zwang waren wir hier beide unterlegen, immerhin galt es uns am Leben zu halten und das so angenehm wie möglich.
»Ich hoffe, wir finden genügend nützliche Dinge, die wir mit nach Hause nehmen können«, sagte ich und wurde augenblicklich nachdenklich.
»Zuhause«, seufzte Leila.
»Du weißt, wie ich das meine. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir sind hier gestrandet und ich wüsste keinen Weg zurück«, versuchte ich zu beschwichtigen.
»Ich weiß, aber ich habe noch ein wenig Probleme damit, die Höhle als mein Zuhause anzusehen. Ich weiß ja nicht mal mehr, wo ich dieses Gefühl zuordnen soll. Das scheint alles so weit weg.« Sie starrte gedankenverloren in die Flammen und fügte an, »Wenn wir wenigstens nicht ganz so alleine wären.«
Mir gingen ebenfalls einige Dinge durch den Kopf. Meine Familie fehlte mir, mein Vater, meine Mutter und meine Freunde. Anna und Tiana würde ich nie wieder sehen, aber der Rest von Ihnen war hoffentlich noch am Leben. Ich dachte daran, welche Wahl Leila wohl hätte? Ihr Mann ging davon aus, dass sie tot sei. Sicher hatte er sich bereits eine neue Frau genommen und sie einfach vergessen. Ich reichte ihr den Becher mit dem warmen Wasser. Das tat bei dieser Kälte wirklich gut und wärmte von innen. Ich stand auf und legte ihr meine Jacke über die Schultern. Wortlos blickte sie mich an und ich sagte, »Mir ist nicht kalt.«
Das ließ sie den Schluck Wasser gleich wieder heraus prusten, denn meine Gänsehaut war nicht zu übersehen. Ich lächelte sie an und sie erwiderte den Blick. Der Wunsch, ihr näherzukommen, wuchs tatsächlich von Tag zu Tag. Dennoch hatte ich Respekt vor ihrer Angst. Sie müsste sich mir erst anvertrauen, davor wollte ich ihr nicht noch mehr Angst machen.
Dann schreckte uns ein Geräusch auf. Mein Lächeln verschwand aus meinem Gesicht mit der gleichen Geschwindigkeit, wie Leilas ernst wurde. Ich stand auf, griff nach dem Speer. Sie tat es mir gleich. Ich suchte die Richtung des Ufers ab, aus der wir Schritte hörten. Ja, es waren eindeutig Schritte, nur gab es noch nichts zu sehen. Dieser Teil des Ufers war bis fast zur Wasserlinie mit Schilfgras und Sträuchern bewachsen. Das war die Seite, die den Rastplatz am Strand für uns eigentlich recht sicher gestaltete, da hier niemand ungehört zu uns durchdringen konnte. Deutlich hörte man das Knirschen des Sandes und regelmäßiges Platschen ins Wasser. Das Schilfgras bewegte sich ebenfalls mit einem Rauschen. Irgendwie schien es ewig zu dauern, bis wir sehen konnten, was da auf uns zukam. Ich war jedenfalls bereit, mich zu verteidigen, egal, was es war, das sich da auf uns zubewegte. Leila wirkte ebenso angespannt wie ich. Hoffentlich war es keine Meute, die sich da auf uns zubewegte und ich dachte an diese Wolfshunde, nur hörte ich dieses Schnauben nicht, das mich so irritiert hatte.

Als es dann in Sichtweite kam, dachte ich, ich traue meinen Augen nicht. War das ein Mensch? Ich ließ meinen Speer sinken und betrachtete ihn genau. Ein alter Mann mit langem grauem Bart. Er trug eine Art Krone aus Ästen, Moosen und Blättern, mit einem Lederband gebunden, auf dem Kopf. Wie ein kleiner Wald schien es ein Eigenleben zu haben, denn ein geflügeltes Insekt labte sich an den kleinen Blümchen, die aus dem Moos hervorwuchsen. Er trug eine beige Robe, die so lang war, dass sie durch den Sand schleifte. Der Saum war feucht und eines der Flussmonster im Kleinformat hatte sich daran festgebissen. Seinen geschwungenen Wurzelstock stieß er mit jedem Schritt fest in das Wasser und verursachte so das Platschen, das wir schon gehört hatten. Das obere Ende des Stockes hatte, wie seine Kopfbedeckung, Äste, Moose, Blätter und Blumen, die mit einem Lederband befestigt waren.
Ich hatte nicht das Gefühl, dass von diesem alten Mann eine Gefahr ausging, also betrachtete ich ihn neugierig. Er hatte große spitze Ohren, was nun nicht gerade auf einen Menschen hindeutete. Er war etwa einen Kopf kleiner als ich, wirkte aber aufrecht und nicht gebückt, wie die Alten meiner Kultur es häufig durch ihre schwere körperliche Arbeit geworden waren.
Die große Nase prangte markant in seinem Gesicht und ein langer, struppiger weißer Bart säumte seinen Mund. Das Gesicht gebräunt und faltig, blickten seine klaren, blauen Augen starr in die meinen. Das kleine Flussmonster schnappte und zappelte am Saum der Robe herum, was den Alten nicht im Geringsten zu interessieren schien.
Er blickte von Leila zu mir und sagte, »Nihen didat«, er lächelte, machte zuerst eine schwungvolle Bewegung mit der rechten Hand und sagte »il fuit Onais« und anschließend eine ebenso schwungvolle Bewegung mit der rechten Hand und fügte »et il Tjelfort« hinzu.
Grinsend erwartete er eine Antwort, während er versuchte, ohne hinzusehen, das kleine Monster von seinem Robensaum zu entfernen. Da es ihm nicht gleich gelang, brabbelte er weitere unverständliche Worte, blickte nach unten und stieß einmal den Stab fest darauf und trat es dann schwungvoll zurück in den Fluss. Er richtete seine Robe und blickte uns wieder erwartungsvoll an.
Ich blickte kurz in Leilas ebenfalls verwundertes Gesicht und fragte,
»Was?«
Der Alte erwiderte unseren verwirrten Blick, verzog seinen Mund dann zu einem breiten Grinsen und antwortete,
»Aaahh!«, er hob dabei den knöcherigen Zeigefinger seiner rechten Hand. Danach spürte ich einen Windzug und einen stechenden Schmerz hinter meinem rechten Ohr. Ein kurzer Blick zu Leila und ich sah, dass auch sie sich die Stelle hinter dem Ohr hielt.
»Nicht entfernen!«
Hörten wir den Alten, der sich scheinbar nicht von der Stelle bewegt hatte. »Jetzt müsste es gehen«, fügte er hinzu.
»Was sollte gehen?«, hakte ich nach.
»Nun, das ist der Dulnäische Universalübersetzer, ihr solltet mich jetzt verstehen«, er lachte hämisch, rieb sich die knochigen Hände, fasste sich ans bärtige Kinn und sprach, ohne uns anzusehen, »Hmm, seltsam, eigentlich hättet ihr diesen bereits bei eurer Ankunft erhalten sollen. Hmm, ich muss da wirklich noch mal in mich gehen.«
Ich blickte ihn verwundert an, als er sich leicht nach rechts wandte und in einer anderen Stimmfarbe empört verlauten ließ, »Hast du das schon wieder vergessen? Das war doch wichtig. Kein Wunder, dass wir schon so lange aneinander vorbeilaufen!« Die Stimme klang empört und fast wütend. Der Alte wandte sich nach links und schien sich selbst zu antworten. »Möglich«, sagte die erste Stimme und fügte hinzu, »das passiert mir in letzter Zeit häufiger, als mir lieb ist.«
Ich wurde ungehalten, wusste ich doch nicht, was hier los war. Also fauchte ich in seine Richtung, »Mach das Ding ab, ich will das nicht haben!«, und versuchte diesen Knopf mit den Fingern zu greifen.
»Tu das nicht!«, sagte die Stimme zur Linken erschrocken und die Stimme zur Rechten fügte an, »Das ist gefährlich für dich, lass es dort, wo es ist. Es tut doch nicht weh und wir können reden?« Der letzte Satz klang eher wie eine Frage als eine Anweisung.
Leila legte ihre Hand beschwichtigend auf meinen Unterarm. »Was wollt ihr, mein Herr?«, fragte sie und versuchte, sich so freundlich wie möglich auszudrücken.
»Nun«, begann die Stimme zur Rechten, »am besten, ich fange von vorn an. Friede sei mit euch«, er vollführte abermals die schwungvolle Handbewegung, mit der linken Hand, nach rechts und fügte, »ich bin Onais«, und mit einer ebenso schwungvollen Handbewegung der rechten Hand, »und ich bin Tjelfort«, hinzu. Er vollendete zweistimmig mit den Worten, »Wir sind die Wächter.«
Mir blieb der Mund offen stehen. So etwas habe ich noch nie erlebt, dieser hutzelige Greis schien zwei Wesen in einem darzustellen und er war wohl eher von dieser als von unserer Welt. Ich wollte schon abwinken, als die Stimme, die sich selbst als Onais bezeichnete, sagte, »Vielleicht sollten wir uns setzen, es wird eine Weile dauern, was wir euch zu erzählen haben.«
Ich war verärgert, ich wollte mich nicht setzen, ich wollte diesen Knopf wieder loswerden. Irgendwie kam mir das vor, als sollten wir manipuliert werden. Was war das genau für ein Ding an meinem Schädelknochen, dass es möglich machte, diese seltsame Sprache zu verstehen. »Was wollt ihr!«, grollte ich.
Der alte Mann, beide oder vielleicht doch nur einer von ihnen, schnippte mit dem Finger und erschien direkt neben mir. Er oder sie schnippte erneut, verschwand und erschien neben Leila. Er oder sie schnippte erneut und stand wieder an genau der Stelle, an der er begonnen hatte, zu schnippen. Ich war völlig verwirrt. Die Stimme, die sich als Onais bezeichnet hatte, sagte,
»Tjelfort kann das wirklich gut, oder? Ihr stimmt mir doch zu, mein Bruder beherrscht das perfekt.«
Der Alte blickte uns an, als würde er Applaus verlangen. »Was versuchst du hier? Was für ein hinterhältiges Spiel treibst du mit uns?«, brummte ich ihn ärgerlich an. Er antwortete mit der Stimme von Onais,
»Das würden wir euch gerne erklären, aber wie wir schon sagten, es könnte eine Weile dauern.«
Das war für mich alles völlig irrational und genau so reagierte ich darauf. Hätte Leila ihren Druck auf meinen Unterarm nicht erhöht, wer weiß, wie sehr ich ausgerastet wäre. Sanft sagte sie, »Lass uns hören, was er zu sagen hat. Wir können dann immer noch entscheiden, was wir tun oder was nicht.«
Das tat mir wirklich gut, etwas, was wieder Ruhe in die aufgewühlten Emotionen brachte. Ich war erstaunt, denn ich wusste nicht, dass sie das konnte. Allerdings konnte ich mir nicht verkneifen, »Wer von beiden?«, zu fragen. Leila knuffte mich mit dem Ellenbogen in die Seite und antwortete,
»Ich denke, Onais ist vertrauenswürdiger.«
Ich konnte sehen, wie sich der Kopf des Alten auf die linke Seite neigte und einen Schmollmund zog. Wir hatten Tjelfort, wie soll ich sagen, beleidigt?
Onais-Tjelfort setzte sich an unseren Feuerplatz und verrenkte sich dabei ein paarmal auf eine sehr unnatürliche Weise. Letztlich saß er im Schneidersitz an unserem Feuer, direkt gegenüber meiner Position. Leila setzte sich ebenfalls und auch ich setzte mich, ohne einen Blick von diesem seltsamen Alten zu lassen. Dieser blickte erwartungsvoll von mir zu Leila und zurück, ohne etwas zu sagen.
»Was ist?«, fragte ich und hängte sofort an, »Wir müssen unsere Vorräte auffüllen und sind auf der Suche nach einem bestimmten Fisch und dann sind wir hier auch schon wieder weg.«
Abermals wechselte sein Blick von mir zu Leila und zurück. »Dabei kann ich euch vielleicht helfen.« Er beschrieb mit seinen Händen einen großen Kreis vor seinem Körper und meine Verwirrung fand kein Ende.
»Wobei? Bei der Suche nach dem Fisch?» Er oder Sie kicherten, was mich beinahe platzen ließ. Ich hatte schon immer Probleme damit, wenn mir jemand nicht sagte, was er von mir wollte und diese beiden, oder einer oder wie auch immer, kam einfach nicht heraus mit der Sprache. Die Stimme, die ich mittlerweile Onais zuordnete, sagte ganz ruhig,
»Ein Teil eures Proviants liegt hier«, er deutete auf das verendete Flussmonster, »und der Fisch, den ihr sucht, den findet ihr wenige Meter das Flussufer entlang in dem sumpfigen Teil des verschilften Ufers entlang.« Er deutete in die entsprechende Richtung. Leila blickte ihn erstaunt an.
»Wir können dieses Biest essen? Wie? Wie kommen wir an das Fleisch?«, fragte sie neugierig. »Ja, das werde ich euch zeigen!«, antwortete Onais und Tjelfort rief dazwischen, »Das ist ganz einfach!« Onais bremste ihn und sagte, »Wir möchten euch aber erst etwas erklären und vorweg gleich sagen, dass es uns furchtbar leidtut. Das alles war nicht so gedacht, bitte, das müsst ihr uns glauben.«
»Was tut euch leid«, fauchte ich und wurde langsam wieder ungehalten. »Was soll das ganze Theater?«, fragte ich.
Der Alte räusperte sich zweistimmig und begann dann in Onais Stimmlage,
»Die Gestalt, in der ihr uns wahrnehmen könnt, ist die von Tjelfort. Mein Körper, oder das, was von mir übrig geblieben ist, habt ihr in der Höhle gefunden. Ohne Tjelforts Güte, wäre ich jetzt nicht mehr existent, was uns die aktuelle Situation sicherlich erschweren würde.« Ich zog die Brauen zusammen und meine Stirn in Falten.
»Was?«, hakte ich nach.
»Nun, das war selbstverständlich!«, sagte die Stimme von Tjelfort und ignorierte somit meine Frage vollständig. Auch Onais ignorierte meine Frage und fuhr fort,
»Mein Geist ist in diesem Körper nur Gast, was uns dazu zwingt, einige Kompromisse einzugehen.«
Leila hielt den Kopf schief und fragte,
»Kompromisse? Welche Kompromisse?«
»Nun, nach dem Unfall, bei dem ich mein Leben verlor, war er sofort bereit, mich aufzunehmen. Aber so eine Verschmelzung hat einen hohen Preis. Tjelfort ist häufig nicht Herr seiner Sinne und ich bin nicht Herr dieses Körpers. Es kommt vor, dass ich für Tage einfach verschwinde und er letztlich nicht wirklich weiß, was er tut. Das hat leider zu eurer Situation geführt«, erklärte Onais.
»Du scheinst ja wenigstens einigermaßen bei Sinnen zu sein«, entwich es mir.
»Ja, aber nur solange, bis Tjelfort die Oberhand verlangt und das kann jederzeit, völlig unvorhergesehen passieren. Ich kann das nicht verhindern und deshalb lasst uns schnell das Wichtigste zusammenfassen«, plapperte Onais zügig. Tjelfort kicherte und fügte hinzu,
»Ich mach’ das nicht mit Absicht, das passiert einfach!«
Leila war neugierig und fragte,
»Was führte zu diesem Unfall?«
»Die Frau, die wir für ihn auserwählt hatten. Ich wollte dich von Anbeginn, aber Tjelfort meinte, du seist zu jung«, antwortete Onais und Tjelfort fügte hinzu, »Es tut mir leid, dass ich mich so in dir getäuscht habe.«
Ich blickte den Alten verwirrt an,
»Ihr hattet was für mich vorgesehen? Eine Frau?«
Onais räusperte sich, während Tjelfort munter losplapperte,
»Gräfin Kristina von Aldenhoven, sie sollte deine Partnerin hier werden. Ich weiß, sie hat uns hereingelegt und …«, er setzte ab und fügte hinzu, »sie hat Onais getötet, sie hatte nie vor unserem Plan zu folgen.«
»Welchem Plan?«, fragte ich.
»Nun, unsere Aufgabe bestand darin, ein Menschenpaar nach Katalis zu holen. Diese beiden Menschen sollten aus unterschiedlichen Kulturen kommen und sich hier, in der Einsamkeit Katalis zusammenfinden«, es schien, als versuche Onais so viel wie möglich in wenige Sätze zu packen. Ganz klar war das für mich noch nicht.
»Wir haben versucht, dir so viele Hinweise zu geben, wie wir konnten. Auch die Limfie sind Teil der Aufgabe. Sie sind wirklich großartig, aber jetzt verstehe ich, warum du nicht schon viel weiter in deiner Entwicklung bist. Du hast sie nicht verstanden!«, brachte Onais hervor.
Tjelfort seufzte und unterbrach ihn, »Ja, diese Kristina war ein scheußliches Biest. Es hieß, die Frauen der Galier würden keine eigene Meinung haben dürfen, und ich dachte, es sei ein Leichtes, sie herzuholen, für dich, Markus.« Mir blieb der Mund offen. Die beiden wollten mich mit einer Galierin verkuppeln? Verstand ich das jetzt richtig?
»Ich kenne diese Kristina nicht, aber ich habe von ihr gehört«, sagte Leila. Ich blickte sie an.
»Was hast du von ihr gehört?«
»Nun, Jean hat nichts Gutes von ihr erzählt. Sie sei ein ziemlich starrsinniges Weib, hätte ihren Gatten völlig unter Kontrolle. Wäre also mehr Mannweib, als Gefährtin und der arme Graf hätte sein volles Mitgefühl. Allerdings sei dieser Schwächling auch nicht in der Lage, seinen Stand durchzusetzen«, erzählte Leila.
»Und mit so etwas wolltet ihr mich zusammenbringen?«, fragte ich und konnte die Empörung in meiner Stimme kaum zügeln.
»Ich hatte von Anbeginn Leila im Sinn«, sagte Onais. Tjelfort winkte ab,
»Sie war zu jung und ich dachte auch sie sei zu dumm«, brachte Tjelfort hervor.
»Was?«, entfuhr es Leila empört. »Ihr hättet das verhindern können und habt es nicht? Ihr hättet mich mit 17 aus dieser Ehe herausholen und mich herbringen können und ihr habt das nicht getan? Ich … ich fasse es nicht … ich …«, suchte sie nach Worten, um ihre Empörung auszudrücken. Ich schüttelte den Kopf und fragte,
»Ist das der Grund, warum ich so lange alleine hier verzweifeln musste?«, fragte ich. »Nein«, sagte Tjelfort und Onais fügte ein, »Ja«, hinzu.
»Was nun?«, hakte ich streng nach.
»Wir hatten dich geholt und wollten Kristina direkt hinterherschicken. Ihr solltet miteinander im Wald erwachen und so gleich zueinanderfinden. Wie ich schon sagte, Kristina hatte nicht vor uns zu begleiten, sie verletzte meinen Bruder tödlich und ich konnte ihn gerade noch in die Höhle mit den Hinweisen bringen. Dort verstarb Onais in meinen Armen und ich öffnete meinen Geist für ihn. Danach begann für mich eine wirre Reise durch so viele Stufen meines Seins, sodass ich nicht mehr wusste, wer ich war, wo ich war und warum ich hier war. Erst nachdem Onais wieder erwacht war, konnten wir das Wissen langsam reaktivieren. Ich fühle mich aber immer noch die meiste Zeit unwissend und absolut glücklich. Vielleicht bevorzuge ich deswegen diesen Zustand. Ich kann das nicht erklären«, versuchte sich Tjelfort in seinen Erklärungen. »Im Grunde mussten wir selbst erst herausfinden, worum es ging«, fuhr Onais fort. Es war schon eine seltsame Situation, diese beiden in einem einzigen Körper, der immer die Stimme wechselte, sobald er den Kopf auf die andere Seite neigte. Rechts schien Onais, während links Tjelfort die Oberhand hatte. Ich war mehr als verwirrt und ich war verärgert, jemand hatte meine Situation also bewusst provoziert und mich dann hier alleine gelassen. Ja, gut, die Höhle mit den Hinweisen. Das machte nun endlich Sinn, es war kein Tagebuch, sondern gezielt dafür gedacht, dass ich überleben würde.
»Wenn ihr mich schon im Blick hattet, wie konntet ihr wissen, dass ich ausgerechnet an diesem Tag in der Wüste sein würde?«, fragte Leila.
»Das wusste ich nicht«, antwortete Onais bedrückt.
»Das war ich«, brachte sich Tjelfort ein.
»Woher wusstest du es?«, fragte Leila nochmals.
»Ich wusste es nicht, ich sah dich und griff zu«, sagte Tjelfort ohne weitere Erklärungen. Ich atmete tief ein und brachte ein empörtes,
»Ihr könnt das Portal öffnen!«, hervor.
»Nein!«, erklang es zweistimmig.
»Wie konntet ihr sie dann sehen!«, hängte ich an.
»Wir konnten es gemeinsam öffnen, aber seit wir nur noch ein Wesen sind, ist es uns nur noch möglich hindurchzusehen und Tjelfort gelang es, Leila zu greifen und zu retten«, antwortete Onais bedrückt.
»Dann sind wir also doch für ewig hier gestrandet«, sagte ich frustriert. War doch gerade eine winzige Hoffnung aufgekeimt, dass es einen Heimweg geben könnte.
»Wenn ihr hindurchsehen könnt, seht ihr doch, ob immer noch Krieg herrscht?«, fragte Leila.
Ich blickte sie erstaunt an. Das war ihr also wichtig? Oder saß ich abermals einem Missverständnis auf.
»Leider bekriegen sie sich immer noch«, antwortete Onais bedrückt.
»Das ist aber doch eure Aufgabe«, warf Tjelfort in den Raum.
»Unsere Aufgabe?«, fragte ich.
»Ja, ihr müsst das beenden«, fuhr er fort und klang dabei wieder etwas verrückt. Onais musste sich mittlerweile anstrengen, um durch Tjelforts Anwesenheit zu dringen. »Ihr müsst zuallererst euren Frieden finden, dann könnt ihr vielleicht etwas Frieden unter euren Leuten stiften. Aber nicht auf der Erde, hier auf Katalis«, brachte er, wie unter Schmerzen hervor und fügte an, »Ich werde nicht mehr lange mit euch sprechen können – Tjelfort gewinnt die Oberhand. Nur soviel, ihr könnt diesen Fisch dort essen.«
»Wie?«, fragte ich und schon konnte er mir nicht mehr antworten. Tjelfort hingegen lachte, »Hihihi, du musst die Leiche finden, hihihi.«
Er sprang auf und fing an zu singen, »So findet den Kadaver am Strand,
versteckt unter all dem Sand.
Es liegt so klar auf der Hand, nutzt euren Menschenverstand.
Die Schale, scharf wie ein Messer,
schneidet den Wams entlang der Linie so viel besser.
Und liebstes Mädchen mein, dein Geist so gütig und fein.
Nimm die Spitze Nadel, füll sie mit Gift und jag sie dem Mistkerl rein,
die Rache wird die deine sein.«
Dabei sprang er wie ein Hexer um die Feuerstelle und sah aus, als würde er eine Beschwörungsformel singen. Wir beobachteten ihn, wie er lachend die gleiche Strophe seines Liedes wiederholte. Bei Leila stehen blieb, sie in den Arm nahm und sang,
»Sei nicht blind, mein liebes Kind. Die Rache ist dein und wird des Tyrannen Ende sein.« Er lachte und kicherte wie ein Betrunkener und ließ sich dann mit einem beseelten Blick in den Sand plumpsen. Als wären wir zu einer Salzsäule erstarrt, standen wir bewegungslos da und starrten ihn an.
»Wünscht ihr nicht langsam anzufangen, diesen wohlschmeckenden Fisch zu zerteilen und zuzubereiten?«, fragte er und seine blauen Augen schienen einen förmlich zu durchbohren.
»Wie?«, fragte ich und fügte hinzu, »Diesen Panzer kann man nicht durchbrechen, schon gleich gar nicht ohne Messer!« Ich war wütend, was dachte dieser Knilch, dass ich es nicht versucht hätte? Er starrte mich an und summte wieder sein Lied. »So finde den Kadaver am Strand, unter all dem Sand!«, rief er uns entgegen. Ich wusste einfach nichts damit anzufangen, aber Leila begann nachzudenken.
»Warst du früher schon einmal hier?«, fragte sie.
»Ja, natürlich, sonst hätte ich uns nicht gerade hierher gebracht«, antwortete ich ihr. Sie blickte mich intensiv an und ich musste mich zusammenreißen, um mich nicht in ihren zweifarbigen Augen zu verlieren. Das passierte mir nämlich häufig, wenn sie mich so ansah.
»Worauf willst du hinaus?«, fragte ich sie.
»Als ich mich in das Wasser wagte, hast du gewusst, was dort im Wasser lauerte und du hast gezielt die einzige Schwachstelle dieses Biestes getroffen. Hast du das schon einmal getan?«, fragte sie mich.
»Ja, natürlich, sonst hätte ich ja nicht …«
Mir ging ein Licht auf und ich überlegte bereits, wo ich es vergraben hatte und Leila griff den Gedanken auf.
Sie fragte, »Erinnerst du dich, wo du es entsorgt hast?«
Ich schüttelte den Kopf, »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dort bei den Bäumen.« Mit der rechten Hand deutete ich zum Waldrand und fragte, »Weißt du, was er meint?«
Sie lachte mich an, »Ich glaube schon. Wenn es schon lange her ist, dass du das andere Vieh vergraben hast, so dürfte es mittlerweile verrottet sein. Die Perlmuttschuppen und das Gebiss ganz bestimmt noch nicht. Also das hoffe ich und wenn es stimmt, dann können wir das andere Vieh damit aufschlitzen. Ich denke, den Wams entlang der Linie schneiden, bedeutet, dass es dort eine Stelle gibt, an der man durch die Panzerung kommt.«
»Aber warum konnte er uns das nicht einfach sagen? Warum dieses Rätsel?«, fragte ich.
Leila ließ ihre Hand vor ihrem Gesicht kreisen.
»Ich denke, er ist ein wenig verrückt«, sagte sie.
»Und dann willst du ihm vertrauen und diesen Fisch essen?«, fragte ich sie.
»Natürlich, die Heilpaste in der Höhle hat mir das Leben gerettet. Stell dir vor, die Wunde hätte sich entzündet. Ich wäre jetzt nicht mehr bei dir.«
Sie grinste mich an, nahm den Krötenpanzer und stapfte zum Waldrand. Dort angekommen, blieb sie stehen und breitete die Arme aus.
»Wo?«, rief sie.
Ich griff mir ein Holzstück, mit dem ich dachte, dass ich graben könnte, und lief ebenfalls zum Waldrand. Ich wusste nur noch vage, wo wir anfangen sollten, also deutete ich ihr an, dort zu beginnen, wo sie stand, ich würde es hier versuchen. Zumindest hatte ich es nicht so tief vergraben, das wusste ich noch. Leila hatte das Badeloch viel tiefer gestaltet. Mir ging durch den Kopf, was wäre, wenn wilde Tiere es ausgegraben und verschleppt hätten, dann würden wir völlig umsonst unsere Kräfte aufopfern. Andererseits, woher wollte dieser Zwerg denn wissen, dass sie hier den Kadaver finden würden. Das war alles so undurchsichtig. Von welcher Aufgabe hatte er gesprochen, bevor Tjelfort offensichtlich mit seinem verrückten Benehmen dazwischenkam. Ich konnte mir das mit den verschiedenen Geistern in einer Person noch nicht wirklich vorstellen. In diesem verrückten Zustand würden wir sicherlich keine weiteren Hinweise von ihm erhalten. Es blieb abzuwarten, ob sich das wieder geben würde und ob wir abermals mit dem vernünftigen Onais zu tun haben würden. Es schien, dass dann auch Tjelfort bei Sinnen war.
Wir gruben uns also durch den Sand entlang der Baumreihe, an der ich meinte, den Kadaver vergraben zu haben. Gefühlte Stunden wühlten wir uns durch den Sandboden und ich war sehr darauf bedacht, hierzu nicht meine Hände zu verwenden. Leila tat es mir gleich. Sollten wir auf die Perlmuttschuppen treffen, so war die Gefahr groß, dass sich einer von uns tiefer schnitt und sollte das passieren, so hatten wir nicht mit der Paste vorgesorgt. Ein zweitägiger Rückmarsch zur Höhle wäre dann unverzüglich angesagt und das würde meinen Plan, diesen Tintenfisch zu finden, mächtig durcheinanderbringen. Zumindest hätten wir das Nahrungsproblem gelöst, vorausgesetzt, wir würden endlich in der Lage sein, diesen Schuppenpanzer zu knacken. Es fühlte sich an, als würden wir bereits seit Stunden in der brütenden Hitze arbeiten. Mit aller Kraft, suchten wir nach diesem Kadaver. Ich hatte Hunger und hätte mich zu gern über das letzte Fladenbrot hergemacht, aber ich musste mir eingestehen, dass dies durchaus noch Zeit hatte.
Leila begab sich zu ihrem Badeloch, das sich immer mehr versandet hatte. Sie schöpfte ein paar Krötenpanzer, voll mit feuchtem Sand heraus und vertiefte den Zulauf, damit sich wieder mehr Wasser im Loch sammelte. Sie wartete einen Moment und nachdem sich etwas mehr als die Hälfte gefüllt hatte, reckte sie sich nach unten und steckte ihren Kopf ins Wasser. Als sie wieder auftauchte, prustete sie und versuchte ihre Haare zu bändigen. Tjelfort sprang auf und eilte zu ihr. Ich dachte, er würde sich jetzt ein Bad in unserem Sandloch gönnen, aber er griff Leila mit so einem Schwung in die Haare, sodass sie beinahe in das Loch gefallen wäre. Als er seine Hand zurückzog, riss er ihr grob an den Haaren. Ich ließ meinen Ast fallen und wollte schon lossprinten, um ihr zu helfen, als ich sah, was er ihr da aus den Haaren gezogen hatte. Er hielt ein kleines, wild um sich schnappendes Flussmonster in die Höhe. Lachte laut auf und spießte es auf einen spitzen Ast seines Stockes. »Danke Liebes!«, brabbelte er laut und setzte sich wieder auf seinen vorherigen Platz. Von dort blickte er uns an und machte eine auffordernde Handbewegung. Das Vieh auf seinem Stock zappelte unterdessen weiter. Ein Todeskampf, das war uns klar. Leila blickte mich an, zuckte mit den Schultern, seufzte und ging wieder zu der Stelle, an der sie aufgehört hatte zu graben. Verärgert blickte ich den Alten an und begab mich ebenfalls zu meiner Kuhle. Ich hob den Ast, den ich zum Graben verwendete, und sah einen Lichtreflex im Boden.
Genauer betrachtet, stellte ich fest, dass ich mich nicht irrte, ich hatte den Kadaver gefunden.
»Leila, komm rüber, ich hab’s gefunden!«, rief ich zu ihr.
Der Greis jubelte und klatschte in die Hände. Das irritierte und ärgerte mich. Wir legten die Überreste des Biestes vorsichtig frei. Es galt, sich an den Schuppen nicht zu schneiden. Interessanterweise löste sich der Panzer tatsächlich auf und wir suchten uns die größten Schuppen heraus. Ich ging in den Wald und holte uns ein großes Blatt, auf das wir die Schuppen legten. Leila hatte unterdessen die Stacheln der Rückenflosse inspiziert. Von dem Flussmonster war nicht mehr geblieben als eine fragile Hülle mit jeder Menge unterschiedlich großen und kleinen Schuppen, das Skelett, ein massiver, wuchtiger Schädel und die Flossen. Der Rest war wohl von Insekten verspeist worden, nahm ich an. Wir sammelten die brauchbaren Schuppen zusammen und legten diese, genau wie die Rückenflosse in das Blatt. Bei letzterer war mir damals nicht aufgefallen, dass sie spitze Stacheln beinhaltete. Hatte Tjelfort das mit der spitzen Nadel gemeint?
Nun, auf jeden Fall waren die Stacheln so spitz, dass man sie gut zum Durchstechen von Leder verwenden konnte. Ich holte mir einen Stock und setzte mich ans Feuer. Mit ein paar geschickten Schlägen, Stein auf Stein, gelang es mir, den Stock so zu spalten, dass ich eine Schuppe einfügen und mit etwas Flachs fest einbinden konnte. Ich hatte mir also gerade ein Messer geschaffen und ich fühlte mich großartig. Leila hatte unterdessen das Flussmonster gedreht und die Unterseite vorsichtig untersucht. Richtig, es gab eine relativ breite Linie, vom Unterkiefer bis zum Ansatz der Schwanzflosse.
Leila zögerte keinen Moment, griff sich das Messer, das ich gebastelt hatte, und drückte fest auf diese Linie. Ich war genauso überrascht wie sie, als die Schuppe sich wie Butter durch den Panzer schnitt. Eilig ging ich ihr zur Hand und als ich die Innereien im Fluss entsorgte, begann sie bereits, das Fleisch entlang der Gräten sorgsam auszulösen. Diese Frau war ein Genie, was diese Fingerfertigkeiten anging. Noch nie hatte ich jemanden erlebt, der mit so einem Feingefühl eine Beute in seine Komponenten zerlegte. Mir war gar nicht aufgefallen, dass Tjelfort schon eine ganze Weile nicht mehr an seinem Platz saß. Umso erstaunter war ich, als er mit einer ganz bestimmten Art von Blättern aus dem Wald kam und sie Leila hinlegte.
»Schneide hübsche Stücke heraus und wickel sie in die Blätter.«
Er stutzte und blickte mich an. »Du, hole endlich mal etwas Holz, damit das Feuer nicht ausgeht!«, sagte er und wandte sich erneut zu Leila.
»Du kannst auch ein paar Gewürze an das Fleisch tun, dann schmeckt es noch besser!« Mit diesen Worten überreichte er ihr einen Leinenbeutel und behielt einen Zweiten in der Hand. »Wenn du den Fisch in der Glut gar werden lässt, wärst du dann so nett und würdest mir einen Tee machen?«
Ich blickte die beiden ungläubig an. Was ging hier vor sich? Bis Tjelfort mich bissig anblickte und mich mit den Worten, »holst du jetzt endlich Holz, das Feuer geht sonst aus!«, und einer entsprechenden Handbewegung davon scheuchte.
Als hätte man mich einer Gehirnwäsche unterzogen, folgte ich der Anweisung und kehrte mit den Armen voller Brennholz zurück. Und dann sah ich sie dort zusammen am Feuer, sie scherzten und spaßten. In diesem Moment fühlte ich mich ausgeschlossen. Ein Gefühl wie Eifersucht, dabei war ich mir durchaus darüber im Klaren, dass es hier keine Eifersucht geben sollte. Dennoch fühlte ich mich, als tuschelten sie hinter meinem Rücken. Das Gefühl besserte sich zwar, als mir dann bewusst wurde, dass Leila seinen Anweisungen Folge geleistet hatte und sämtliche Fleischstücke, bereits gut verpackt, zum Garen in der Glut lagen. Sie hatte zudem aus Flusswasser und Tjelforts Kräutern einen aromatischen Tee gebraut. Dennoch war ich skeptisch, was hatte dieser Kerl vor?
Ich legte frisches Holz ins Feuer und gesellte mich zu den beiden. Leila lächelte mich an und reichte mir ein Stück des letzten Fladenbrotes, belegt mit frisch gegartem Flussmonster. Einen anderen Teil reichte sie an Onais-Tjelfort und den Rest richtete sie für sich selbst. Vorsichtig roch ich daran, bevor ich hineinbiss. Das Vieh war wirklich köstlich. Der Geschmack erinnerte mich an frisch geräucherten Heilbutt, den ich als Kind an der Küste des Galischen Meeres verspeist hatte. Lange, bevor der Konflikt ausbrach, als es noch friedliche Nachbarvölker gab. Gedankenverloren starrte ich ins Feuer. Es war Mittag, es war sehr heiß und wir verspeisten gerade das letzte Fladenbrot. Allerdings würden wir uns keine Sorgen machen müssen. Die Flussmonster waren essbar und endlich hatten wir etwas Ähnliches wie ein Messer, um Dinge zu schneiden. Als ich meinen Anteil aufgegessen hatte, schnappte ich mir den Krötenpanzer und fischte zuerst die beiden kleinen Biester, die sich in der Kuhle gesammelt hatten, heraus, um dann das Loch wieder zu vertiefen. Ich wollte ein kühlendes Bad nehmen, bevor ich mich auf die Suche nach dem Tintenfisch machen würde. Vielleicht war Onais-Tjelfort klar genug im Kopf, um mir zu zeigen, wo ich ihn finden konnte. Zudem war ich mir natürlich nicht sicher, ob ich diesen Fisch überhaupt erkennen würde. Ich erschrak, als er dann neben mir erschien und die zappelnden Monster mit einer äußerst geschickten Bewegung auf einem Stab aufspießte. Er hob seine Kutte bis über die Knie, legte sich den Saum über den Arm und tänzelte summend zurück zum Feuer, über dem er sogleich die kleinen Flussmonster röstete.
Ich buddelte das Loch tiefer und größer und als ich wieder zum Feuer blickte, konnte ich sehen, dass Onais-Tjelfort eines der kleinen Flussmonster aus den Flammen holte, es kurz abklopfte und genüsslich verspeiste. Mit Haut und Haaren hätte man bei uns gesagt. Ein weiteres reichte er Leila, die dankend ablehnte. Ich versuchte nicht zu oft zu den beiden herüberzusehen, denn ich merkte, dass mich diese Vertrautheit störte, die Tjelfort oder Onais oder wie auch immer diese Person heißen mochte, gegenüber Leila an den Tag legte. Und sie, sie vertraute ihm sofort. Ohne Rückfragen, ohne Zweifel und ich verstand das nicht.
Sie hatte doch gerade erst gelernt, dass man sich nicht jedem unterwerfen sollte. War das jetzt Naivität oder Instinkt? Ich konnte mir das nicht erklären, aber ich konnte mir auch nicht erklären, warum ich diesem Greis glaubte. Ja, ich glaubte ihm, dass hinter all dem, was mir widerfahren war, ein tieferer Sinn steckte. Es musste einfach so sein. Dieser Gedanke gab mir wenigstens ein kleines bisschen Frieden. Mein Leid war also einem höheren Zweck geschuldet und somit war es durchaus wieder etwas erträglicher.
Ich vergrößerte das Becken und bevor ich den Zufluss erneut öffnete, bastelte ich einen Rechen aus Stöcken, damit nicht abermals die kleinen Flussmonster unser erfrischendes Bad stören würden. Danach vertiefte ich vorsichtig den Zulauf und ließ das Becken wieder volllaufen. Mittlerweile stand Leila lächelnd neben mir. Sie freute sich, genauso wie ich, auf das erfrischende Bad. Ich gebe zu, ich vermisste meinen Quellteich schon sehr. Das saubere Wasser und die angenehme Temperatur. Der Fluss wäre ebenso erfrischend, wenn da nicht diese unzähligen, gierigen Zahnreihen wären, die einem nach dem Leben trachteten. Nachdem der Wasserstand endlich ausreichend war, entkleidete ich mich und ließ mich in das Becken gleiten. Leila tat es mir gleich, während Onais-Tjelfort keinen Millimeter von der Feuerstelle wich.
Er wirkte, als ruhe er völlig in sich. Leila schlüpfte zu mir in das Becken, um sich abzukühlen. Nach wenigen schweigsamen Minuten, fragte sie, »Ist was, du bist so ruhig?«
Ich schüttete zuerst den Kopf, fügte dann aber an, »Traust du ihm?«
Leila wandte den Blick ab, prustete einmal aus, tauchte unter und als sie wieder auftauchte, sagte sie ganz ruhig, »Das, was er erzählt, macht Sinn.«
»Du glaubst also, dass es möglich ist, dass wir nach Hause kommen?«, fragte ich.
»Möchtest du das?«, stellte sie die Gegenfrage und blickte mich von der Seite an.
»Ja, schon. Ich vermisse meine Familie. Du etwa nicht?«, sagte ich und vermied aus irgendeinem Grund, sie dabei direkt anzusehen. Leila überlegte einen Moment und sagte dann,
»Wenn ich zurückkehre, dann nur, um Jean umzubringen.«
Ich blickte sie erschrocken an. Ich hatte mir in meiner Fantasie die wildesten Geschichten erdacht, aber dass ihre Situation so ernst ist, dachte ich nicht.
»Was hat er dir alles erzählt?«, fragte ich und bewegte meinen Kopf in Onais-Tjelforts Richtung.
»Nicht viel. Er sagte, dass wir geliebte Menschen ‘von der anderen Seite’ holen müssen, um von vorn zu beginnen, aber erst, wenn wir beide zueinanderfinden, wird das Volk der Dulnae geeint werden. Ich verstehe das nicht, aber Tjelfort ist niemand, den man einfach so verstehen kann. Du weißt, was ich meine?«, sagte sie.
Ich nickte. Damit hatte sie absolut recht. Bewusst ließ ich das Gespräch im kühlen Wasser versanden. Ich hoffte inständig, dass ich irgendwann im Laufe des Tages noch mit Onais alleine sprechen konnte. Sein Geist schien mir wesentlich vernünftiger und vor allem verständlicher. Ich wollte Tjelfort nicht unrecht tun, er war auf seine Art durchaus nützlich.

Nach dem erfrischenden Bad wartete ich einen Moment, bis ich etwas trockener war und schlüpfte dann in meine Hose.
Wenig später durchsuchte ich den Wald, nach der Stelle, an der sich Leila diese Käfer eingefangen hatte. Sie suchte auf der anderen Seite und kam mit einem Bündel Brennholz zurück. Keine Käfer. Onais-Tjelfort schien zu schlafen, zumindest ruhte er tief in sich.
Mit einsetzender Dämmerung hatten wir ausreichend Holz für die Nacht gesammelt und das Nest der Käfer gefunden. Zwei, säuberlich gefaltete Blattpakete rösteten bereits in der Glut. Der mitgebrachte Tiegel war gefüllt mit köstlichem Kräutertee, der den Durst wesentlich besser löschte, als das pure Wasser. Ich würde Onais-Tjelfort fragen, welche Kräuter wir hierzu benötigen. Er saß nach wie vor untätig an ein und derselben Stelle, die er schon den ganzen Nachmittag nicht verlassen hatte. Wir aßen, wir tranken, wir lehnten uns zurück und genossen die gerösteten Käfer.
Onais-Tjelfort schwieg, was mich irgendwie ganz kribbelig machte. Da ich aber nicht wusste, mit wem ich sprechen würde, unterließ ich es, ihn anzusprechen. Langsam wurde es dunkel und kühl. Leila zog sich ihre Sachen über, trank noch einen beherzten Schluck Tee und verkroch sich dann in unsere Schlafmulde.
Offensichtlich hatte Onais-Tjelfort nach einer Weile das Gefühl, sie sei eingeschlafen, denn er wandte sich mir zu und sagte, »Wir müssen reden.«
»Oh, ja, das denke ich auch. Mit wem spreche ich gerade?«
»Onais. Tjelfort schläft«, antwortete er mir. Ich blickte in sein faltiges Gesicht und er starrte mich mit seinen blauen Augen an.
»Was ist das für eine Geschichte über die Dulnae. Ich kenne kein Volk, dass sich so nennt und Tjelfort hat etwas über eine Wiedervereinigung des Volkes gesprochen. Wir sollen das bewerkstelligen?«, fragte ich und starrte zurück.
Er seufzte und begann, »Die Dulnae bevölkerten einst diesen Planeten. Es waren fünf Stämme, die sich die Lande teilten und sie lebten friedlich nebeneinander. Sie betrieben Handel mit ihren Feldfrüchten, ihren Tieren und ihrer Beute. Deswegen findet ihr hier so viele Pflanzen und Tiere, die denen aus eurer Heimat ähneln«, er setzte ab, hob den Tiegel zu den Lippen und nahm einen kräftigen Schluck, bevor er fortfuhr, »Du hast sicherlich festgestellt, dass es hier kein brauchbares Metall gibt und das war damals gut so. Es gab wenig Auseinandersetzungen, aber letztlich kann man sich auch mit Steinen erschlagen oder mit dem Speer oder einem Pfeil töten. Es geschah durch einen winzigen Auslöser und entwickelte sich zum Flächenbrand. Die Stämme waren so zerstritten, dass es kaum noch einen Ausweg gab. Dann entsandte das Universum die Wächter – uns. Wir suchten ein Paar, welches die Wanderung anführen könnte und fanden sie. Bevor das Universum entschied, das Leben auf Katalis auszulöschen, gelang es uns, unsere Aufgabe zu erfüllen und die wertvollsten Mitglieder dieser Gemeinschaft zu retten und über das Portal auf die Erde zu bringen. Wir hatten nur eines nicht bedacht. Wir hätten die Stämme vorher einen sollen, damit sie sich nach ihrer Ankunft nicht gleich wieder bekriegen würden.«
»Was hat das jetzt alles mit uns zu tun?«, fragte ich ihn.
»Ihr seid die Nachkommen der fünf Stämme«, antwortete er und fügte hinzu, »und ihr bekriegt euch nach so vielen Jahren immer noch.«
»Und was sollen wir nun tun?«, fragte ich weiter.
»Die Erde stirbt. Sie wird zwar, wie Katalis auch, aus der Asche wieder auferstehen, aber im Moment stirbt sie und das kann nicht verhindert werden.«
Ich hatte das Gefühl, sein Blick würde mich durchbohren.
»Verstehst du das nicht? Ihr beide seid das Paar, dass die Wanderung in Gang setzen wird. Ihr müsst zurückkehren und die Stämme einen, damit wir so viele wie möglich retten können. Die Zeit rennt, durch unseren Unfall ist sie zu kurz, um sich lange darauf vorzubereiten. Immerhin hat dein Vater gute Vorarbeit geleistet. Wir müssen uns also nur um das sture, rückständige, eingebildete fünfte Volk kümmern. Aber mit ihr«, er deutete mit seinem Stab auf die schlafende Leila, »wirst du das schaffen!«
»Wir sollen also hier eine neue Zivilisation gründen, hab’ ich das richtig verstanden?«
Ich blickte ihn fragend an. »So könnte man das ausdrücken.«
»Wie kann ich eine neue Zivilisation mit Leila gründen, wenn sie keine Kinder bekommen kann?«, dachte ich laut.
»Das ist nicht vorgesehen«, antwortete er.
Ich blickte ihn erstaunt an.
»Schau nicht so, ich weiß schon lange, dass du sie willst, aber du wirst sie so nehmen müssen, wie sie ist und ihr Päckchen wiegt schwer.« Diese stechenden Augen starrten mich an und täuschte ich mich, oder hatte er gerade seine spitzen Ohren wackeln lassen?
»Wer entscheidet das?«, fragte ich.
»Das Universum«, antwortete er kurz.
»Was müssen wir jetzt tun?«, fragte ich und wunderte mich selbst darüber, dass ich diese Vorsehung einfach schluckte, ohne sie weiter zu hinterfragen.
»Zuerst müssen wir den Tintenfisch finden, damit du ihr die Dinge erklären kannst. Dieser Ansatz war hervorragend und hat meine Meinung über dich bestätigt. Danach müssen wir zur Höhle. Dort müsst ihr nochmals eure Vorräte auffüllen. Die Wanderung zu den Ruinen der Dulnae sollte vorbereitet sein. Ihr müsst diesen Ort aufräumen, für die Ankunft vorbereiten und Entscheidungen treffen. Sobald ihr beide das Portal durchschritten habt, seid ihr auf euch gestellt. Tjelfort und ich können euch nicht folgen, aber wir können alle, die ihr uns schickt, bei ihrer Ankunft begleiten«, erzählte er.
»Muss ich sie lieben?«, fragte ich und wusste selbst nicht, warum ich das gesagt hatte.
Onais-Tjelfort lächelte und antwortete, »Das tust du doch schon.«
»Eine Frage noch, wenn wir durch das Portal gehen, was passiert auf der anderen Seite? Sind wir dann wieder taub und blind?«
»Nein. Ihr beide könnt gemeinsam durch das Portal sehen. Ihr beide könnt gemeinsam durch das Portal gehen, ihr könnt es für die anderen öffnen und nur gemeinsam, wird euch nichts geschehen. Dazu müsst ihr aber erst eins werden. Das sollte dir bewusst sein.« Er blickte mich an und fügte hinzu, »Ich werde versuchen, dir so viele Fragen wie möglich zu beantworten, solange Tjelfort mich lässt. Tu mir einen Gefallen, schreib ihn nicht ab, er gibt euch ebenfalls Hinweise, aber auf ungewöhnliche Weise. Hab’ Geduld mit ihm«, er setzte ab, seufzte einmal tief und fügte an, »lass uns schlafen, morgen müssen wir einiges erledigen und den Heimweg antreten.«
Ich stimmte ihm zu und kuschelte mich wenig später an Leila. Mir war das noch nicht bewusst, ich konnte nicht überreißen, welche Aufgabe noch vor uns lag und ich wusste nicht, wie viel Zeit uns blieb, um diese zu erfüllen. Morgen war ein guter Tag, um diesen Fisch zu jagen, morgen war ein guter Tag, um ein weiteres Flussmonster zu erlegen und morgen würde es vielleicht einen weiteren Hinweis auf unsere Aufgabe geben. Zumindest hatten wir jetzt eine Aufgabe und die Heimkehr auf die Erde wurde greifbar.

* * *

Leila war genau, wie Markus sehr verwirrt über das Erscheinen dieses dubiosen, spitzohrigen Greises, der mit zwei Stimmen sprach und sich so seltsam benahm. Die Geschichte, die er ihnen erzählte und die, seltsamerweise, völlig Sinn machte. Ja, sie war sauer, es hätte die Möglichkeit gegeben, Jahre vorher aus Jeans Einfluss auszubrechen. Was wäre ihr nicht alles erspart geblieben!
Ihre Skepsis wich vollständig, als sich der Mann zu einem kichernden, verrückten Clown entwickelte. Zuerst amüsierte sie sich über sein Gehopse und den Gesang, dann hörte sie genau hin. Das, was sich wie der Gesang eines wirren Narren anhörte, ergab Sinn. Die Suche nach dem verrotteten Flussmonster war zwar anstrengend, aber erfolgreich. Sie hatten nun Messer und die Zähne würden sicherlich gute Pfeilspitzen ergeben, wenn ihnen einfiel, wie man sie am Ende der Stöcke befestigen konnte. Als Markus in den Wald ging und Leila alleine mit Onais-Tjelfort war, wurde er ganz ernst. Er hatte komplett aufgehört herumzuzappeln, legte ihr seine Hand auf die Schulter und sie hatte das Gefühl, er gäbe ihr einen väterlichen Rat. »Ich habe dir gesagt, dass du ihn töten wirst, mein Kind«, flüsterte er ihr zu.
»Wen?«, fragte sie und dachte schon, er meinte Markus. »Jean, du musst es beenden, die Welt von diesem Tyrannen befreien und vor allem seinen Anhängern zeigen, dass er ein verabscheuungswürdiges Subjekt ist, mehr nicht. Es ist für dich und die, die mit dir gehen werden, enorm wichtig, dass du es tust«, erklärte ihr der Greis mit der festen Stimme von Tjelfort.
»Wie?«, fragte sie weiter.
»Ich sagte schon, du wirst ihm die Nadel in die Halswirbelsäule stechen. Am besten zwischen dem dritten und vierten Wirbel. Ich werde dir auf jeden Fall genau zeigen, wo und womit du die Stacheln füllen musst. Nicht jetzt, dafür haben wir später Zeit.« Er verstummte und reichte ihr die Rückenflosse des Monsters. Leila fächerte sie auf und sah die drei spitzen Stacheln. Sie waren hohl, man konnte sie also füllen. Sie blickte Tjelfort an, der mit dem Kopf in Richtung Waldrand deutete und hinzufügte,
»Das bleibt unter uns, das hat mit ihm nichts zu tun. Das ist einzig für dich. Aber du musst mit ihm sprechen, du musst ihm sagen, was Jean dir angetan hat. Das wird sonst ewig zwischen euch stehen. Solange dies zwischen euch steht, werdet ihr nicht in der Lage sein, das Portal zu durchschreiten.«
»Tust du nur so, als wärest du verrückt?«, fügte Leila an.
»Nein, ich habe klare Momente, die wirren überwiegen, leider.«
Er blickte bedrückt nach unten. Als Markus zurückkam, schwiegen die beiden. Irrte sich Leila, oder war da ein Anflug von Eifersucht zu erkennen?
Sie aßen das Flussmonster. In diesen Blättern gegart, schmeckte es einfach köstlich und sättigte gut. Irgendwie war die Situation seltsam.

Onais-Tjelfort und die Geschichte, dass alles vorhergesehen war und die Limfies, die sich schon über mehrere Tage nicht blicken ließen.
Dank des Universalübersetzers wären sie jetzt in der Lage, genau zu verstehen, was die beiden sagten, oder? Wo steckten die beiden und was führten sie im Schilde?

Fortsetzung: Die Wälder von Katalis, 3. Buch: Vorbereitungen

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